[46] Sechszehnter Brief.
London, den 5. Juni 1827.
Bei Gelegenheit einer Visite, die ich Mistriß Hope machte, besah ich ihres Mannes Kunstsammlung heute etwas mehr en detail. Eine sehr schöne Venus von Canova war für mich besonders deßwegen sehr anziehend, weil ich sie, noch nicht völlig vollendet, im Attelier des liebenswürdigen Künstlers in Rom vor ziemlich vielen Jahren gesehen, wo sie schon damals von allen seinen Werken den angenehmsten Eindruck bei mir zurückließ.
Unter den Gemälden frappirte mich das des berüchtigten Cäsar Borgia, von Correggio. Ein erhabener Sünder! In der kühnsten, männlichen Schönheit steht er da, Geist und Größe blitzt aus allen Zügen, nur in den Augen lauert ein häßlicher Tiger.
Ganz besonders reich ist die Sammlung an Bildern der niederländischen Schule. Viele sind von der unübertreffbarsten Wahrheit, welche, ich gestehe es gern, für mich oft einen größern Reiz hat, als selbst[47] das erreichte Ideal, wo dieses keinen verwandten Punkt in meiner Seele anspricht.
So war eine alte sehr anständige holländische Bürgersfrau, die mit großer Délice ein Glas Wein in sich sog, während ihr in einem Mantel danebenstehender Mann, die Bouteille, aus der er ihr eingeschenkt, noch in der Hand, mit gutmütigem Vergnügen auf sie herabsieht, ein höchst anziehender Gegenstand. Eben so einige Offiziere aus dem 16ten Jahrhundert in ihrer schönen und zweckmäßigen Tracht, die sich's nach harter und blutiger Arbeit beim frohen Mahle wohl seyn lassen, und andre mehr. Unter den Landschaftsmalern machte ich die neue Bekanntschaft eines Hobbena, der die größte Aehnlichkeit mit der Manier Ruysdaels hat. Täuschende Früchte von van Huysum und van Os, Häuser von van der Meer, auf denen bekanntlich jeder Ziegel ausgeführt ist, mehrere Wouvermanns, Paul Potters etc. etc., nichts fehlte in dieser reichen Sammlung. Nur die neueren englischen Gemälde waren schlecht.
Später ging ich nicht mehr aus, um im Stillen den Geburtstag meiner guten Mutter zu feiern.
Den 7ten.
Als ein Beispiel, was ein Dandy hier alles bedarf, theile ich Dir folgende Auskunft meiner fashionablen Wäscherin mit, die von einigen der ausgezeichnetsten Elegants employirt wird, und allein Halstüchern die[48] rechte Steife, und Busenstreifen die rechten Falten zu geben weiß. Also in der Regel braucht ein solcher Elegant wöchentlich 20 Hemden, 24 Schnupftücher, 9–10 Sommer-»Trowsers«, 30 Halstücher, wenn er nicht schwarze trägt, ein Dutzend Westen, und Strümpfe à discrétion. Ich sehe Deine hausfrauliche Seele von hier versteinert. Da aber ein Dandy ohne drei bis vier Toiletten täglich nicht füglich auskommen kann, so ist die Sache sehr natürlich, denn
1. erscheint er in der Frühstücks-Toilette im chinesischen Schlafrock und indischen Pantoffeln.
2. Morgentoilette zum Reiten im frock coat, Stiefeln und Sporen.
3. Toilette zum Dinné, in Frack und Schuhen.
4. Balltoilette in Pumps, ein Wort, das Schuhe, so leicht wie Papier, bedeutet, welche täglich frisch lackirt werden.
Der Park war um 6 Uhr so voll, daß er einem Rout zu Pferde glich, jedoch weit anmuthiger, da die Stelle der Bretter eine grüne Wiese einnahm, statt der Dampfhitze frische Kühle herrschte, und statt die eignen Beine zu ermüden, die der Pferde die Arbeit thun mußten.
Als ich vorher die Fürstin E. besuchte, fand ich dort drei junge und schöne Ambassadrices en conférence, toutes les trois profondément occupées d'une queue, nämlich ob eine solche bei der Königin von Würtemberg getragen werden müsse oder nicht.
[49] Auf dem Ball, dem ich Abends beiwohnte, bei der neulich erwähnten Marquise L .... sah ich zum erstenmal hier Polonaisen und auch Masurka tanzen, aber sehr schlecht. Man aß im Saal der Statüen, denen verschiedene Damen ihre Hüte aufgesetzt und ihre Shawls umgehangen hatten, was dem Kunstsinne sehr wohlthat. Um 6 Uhr kam ich zu Hause und schreibe Dir noch, während man schon meine Laden schließt, um mir eine künstliche Nacht zu bereiten. Die Kammerdiener haben es hier schlimm, und können nur, so zu sagen: aus der Hand schlafen, oder wie die Nachtwächter, am Tage.
Den 13ten.
Ich habe Dir schon erzählt, daß man hier auf die königlichen Prinzen eingeladen wird, wie an andern Orten im vertrauten Zirkel auf irgend eine Delikatesse. So war ich gestern auf die Herzogin von Gloucester, und heute auch auf den Herzog von Sussex zu Tisch eingeladen. Dieser Prinz, der mit dem König ganz brouillirt ist 1, sich aber durch sehr liberale Gesinnungen bei der Nation beliebt gemacht hat, und dies in jeder Hinsicht verdient, war viel auf dem Continent, und liebt die deutsche Lebensart. Unsere Sprache ist ihm, wie den meisten seiner Brüder, völlig geläufig. [50] Seinetwegen wurden nach Tisch, sobald die Damen uns verlassen hatten, Cigarren gebracht und mehr als eine geraucht, was ich in England bisher noch nicht gesehen habe. M. de Montron erzählte mit französischer Kunst sehr lustige Anekdoten; am unterhaltendsten war aber Major Keppel, der Reisende in Persien, der heute manche scrabreuse, aber höchst pikante Geschichten aus jenen Ländern zum besten gab, die er dem Druck nicht übergeben konnte, und die ich daher auch Dir nicht mittheilen darf, was mir jedoch sehr leid thut.
Morgen werde ich mit dem jungen Capt. R ... nach Ascott fahren und Windsor besehen, um wieder einige Varietät in mein einförmiges Leben zu bringen. Man vermuthet, daß die Wettrennen ungewöhnlich brillant seyn werden, da sie der König diesmal besucht, und Pferde von ihm Theil daran nehmen.
Windsor, den 14ten.
Nach einer raschen Fahrt von 25 englischen Meilen, zum Theil durch den Park von Windsor, hinter dem sich das Schloß, die alte Residenz so vieler Könige, erhebt – erreichten wir die weite und dürre Haide von Ascott, wo die Wettrennen statt finden. Der Platz bot ganz das Bild eines Lustlagers dar. Unabsehbare Reihen von Zelten für Pferde und Menschen, Wagenburgen längs der Rennbahn, größtentheils [51] mit schönen Damen besetzt, häuserhohe Gerüste in drei, vier Etagen übereinander, mit der Loge des Königs am Ziele – alles dies durch 20–30,000 Men schen belebt, von denen Viele schon seit sechs Tagen hier stationiren. – Dies sind ohngefähr die Hauptzüge des Gemäldes. Das eine Quartier bildet den Markt, wo sich unter den übrigen Buden und Zelten, gemäß einer alten Freiheit, auch vielfache Arten von Hazardspielen befinden, welche sonst streng verboten sind. Doch mehr als Pluto wird noch der holden Venus geopfert, und nirgends sind Intriguen unbemerkter anzuspinnen. Die Damen in den Wägen sind dabei täglich mit Champagner und vortrefflichem Frühstück reichlich versehen, was sie sehr gastfreundlich austheilen. Ich fand viele alte Freunde, und machte auch einige neue Bekanntschaften, unter andern die einer höchst liebenswürdigen Frau, Lady G ...., die mich nach ihrer Cottage mit R .... zum Essen einlud. Als daher um 6 Uhr die Races für heute beendigt waren, fuhren wir durch eine wunderschöne Gegend, deren Baum-Reichthum ihr, ohngeachtet der bebauten Fluren, das Ansehen eines cultivirten Waldes giebt, nach T .... Park. Wir kamen früher an, als die Familie selbst, und fanden das Haus zwar offen, doch ohne einen Diener oder ein anderes lebendiges Wesen darin. Es war wie die bezauberte Wohnung einer Fee, denn einen reizenderen Aufenthalt kann es nicht geben! Hättest Du es nur sehen können. Auf einem Hügel, unter den prachtvollsten uralten Bäumen halb verborgen, lag [52] ein Haus, dessen vielfache Vorsprünge, zu verschiedenen Zeiten gebaut, und da und dort durch Gebüsch versteckt, nirgends erlaubten, seine ganze Form auf einmal ins Auge zu fassen. Eine gallerieartige Rosenlaube, von hundert Blumen strotzend, führte direkt in das Vorzimmer, und durch einige andere Pieçen und einen Corridor gelangten wir dann in den Eßsaal, wo schon eine reiche Tafel gedeckt stand, aber immer noch kein Mensch zu erblicken war. Hier lag die Gartenseite vor uns, ein wahres Paradies, von der Abendsonne reich beleuchtet. Am ganzen Hause entlang, bald vorspringend, bald zurücktretend, wechselten Verandas von verschiedenen Formen und mit verschiedenen blühenden Gewächsen berankt, mit einander ab, und dienten dem buntesten Blumengarten zur Bordure, der den Abhang des Hügels durchaus bedeckte. An ihn schloß sich ein tiefes und schmales Wiesenthal, hinter dem sich das Terrain wieder zu einem höheren Bergrücken erhob, dessen Abhang mit uralten Buchen besetzt war. Am Ende des Thales links schloß Wasser die nächste Aussicht. In der Ferne sahen wir über den Baumkronen den round tower (runden Thurm) von Windsor Castle mit der darauf gepflanzten kolossalen königlichen Fahne, in die blaue Luft emporsteigen. Er allein erinnerte in dieser Einsamkeit daran, daß hier nicht bloß die Natur und eine wohlthätige Fee walte, sondern auch Menschen mit ihrer Freude, ihrer Noth und ihrem Glanz sich hier angesiedelt! Wie ein Leuchtthurm des Ehrgeizes schaute er auf die friedliche Hütte herab, [53] verlockend zu einem höheren trügerischen Genuß – doch wer diesen erreicht, erkauft ihn nur mit schwerem Verlust! Friede und Ruhe bleiben zurück in des Thales trauter Stille. –
Ich wurde bald in meiner poetischen Ekstase durch die schöne Wirthin unterbrochen, die sich an unserer Schilderung des verzauberten Schlosses sehr ergötzte, und nun sogleich selbst dafür sorgte, daß uns Stuben angewiesen wurden, um unserer Toilette obzuliegen, die der Staub und die Hitze des Tages sehr nöthig machten. Ein excellentes Diné mit geeistem Champain und vortrefflichen Früchten wurde mit Vergnügen angenommen, und hielt uns bis um Mitternacht bei Tisch. Caffee und Thee mit Musik nahmen noch ein paar andere Stunden hinweg, und, aufrichtig gesagt, die letzte, ich meine die Musik, hätten wir der Familie gern erlassen. Meine Verdauung wurde wesentlich durch die ungeheure Anstrengung gestört, mit der ich das Lachen, in einer wahren Agonie, unterdrücken mußte, als die alte Mutter der Hausfrau sich zuletzt ans Clavier setzte, und uns eine Arie aus ihrer Jugend, von Rousseaus Composition, zum besten gab, an deren Refrain: »Je t'aimerai toujours« ich ebenfalls Zeit meines Lebens denken werde. Sie benutzte nämlich das ai jedesmal zu einem Trillo, der im Anfang dem Meckern eines Lammes glich, dann eine Zeitlang der Lachtaube nachahmte, und mit der Cadenze eines balzenden Auerhahns endete. Das Lied schien unendlich, der junge R ..., der leider eben so leicht als ich zum Lachen [54] zu bringen ist, hörte bereits in der Stellung eines Fiedelbogens, mit gewaltsam zusammengedrücktem Leibe zu, und schnitt hinter seinem großen Schnurrbarte die seltsamsten Grimassen. Was mich betrifft, so suchte ich meiner moralischen Kraft hauptsächlich dadurch zu Hülfe zu kommen, daß ich unaufhörlich an Dich, gute Julie, und Deine so musterhafte Contenance bei ähnlichen Gelegenheiten dachte. Die Leute waren dabei so ausserordentlich gütig und freundschaftlich gewesen, daß ich wahrhaftig lieber hätte Blut weinen, als über sie lachen mögen; aber was soll man anfangen, wenn der Sinnenreiz unwiderstehlich wird! Die Annäherung der ominösen Stelle war immer eine furchtbare Epoche für mich. Ich betete förmlich zu Gott, er möge die gute Alte doch regieren, nur diesmal »Je t'aimerai toujours« ohne Verzierung abzukrähen. Aber vergeblich; kaum war das verhängnißvolle ai angeschlagen, so folgte auch immanquablement der unbarmherzige Trillo. Beim 7ten Verse konnte ich es nicht mehr aushalten, Rousseau schien mir zum erstenmal wahrhaft unsterblich – ich fuhr der Alten, wie die Studenten sagen, in die Parade, ergriff ihre Hand, ehe sie die Tasten von neuem anschlagen konnte, schüttelte sie herzlich, dankte für ihre Güte, versicherte, ich fühle die Indiscretion, sie so lange zu belästigen, drückte gleichfalls die Hand der schönen Tochter, (car c'est l'usage ici) wie der übrigen Familienmitglieder, und fand mich in einem clin d'œuil mit R ... im Wagen, der schon seit einer Stunde angespannt auf uns gewartet hatte. [55] Du kannst Dir denken, daß wir unsre Lachmuskeln mit Bequemlichkeit entschädigten. Bis Windsor ergötzte uns noch der Nachhall des unnachahmlichen Trillos – mich aber erwartete hier, nach ausgelassener Lustigkeit, ein ziemlich unangenehmes Abkühlungsmittel. Wie ich mich nämlich zu Bett legen wollte, fing B .... zu jammern an, »daß ihn doch das Unglück überall verfolgen müsse!«
»Nun, was ist Dir denn geschehen?«
»Ach Gott, wenn ich könnte, ich sagte es gar nicht, aber es muß nun doch heraus.«
»Nun zum T ....l, mach' ein Ende, was ist es?«
Was kam nun zum Vorschein? Der confuse Alte hatte mein Geld, 25 L. St., ihm in einem Beutel von mir übergeben, um es in das Wagenkästchen zu thun, anstatt dessen in die Tasche gesteckt, und wie der dumme Landjunker von Kotzebue, um ein Glas Bier zu bezahlen, im Gedränge der Buden den Beutel herausgenommen, einen Souverain gewechselt, wie er sagte, weil er kein kleines Geld mehr hatte, wahrscheinlich aber um mit der Goldbörse groß zu thun, und dann den Beutel sorgfältig wieder eingesteckt. Es war sehr natürlich hier in England, daß er ihn, als er zum Wagen zurückkam, nicht mehr fand. Ein wahres Glück im Unglück ist es, daß ich noch einiges Geld selbst bei mir trug, und also wenigstens in keine augenblickliche Verlegenheit gesetzt wurde.
[56] Richmond, den 13ten.
Wir besahen heute früh das Schloß, welches jetzt erst nach den alten Plänen völlig ausgebaut wird, und bereits die größte und prachtvollste Residenz ist, die irgend ein europäischer Fürst besitzt. Die Zeit war zu kurz, das Innere zu besehen, was ich daher auf ein anderesmal aufschob. Ich besuchte blos die Herzogin von C ..., die hier im großen Thurme wohnt, und eine himmlische Aussicht von ihrem hohen Söller genießt. Unter ihrer Dienerschaft war ein schöner griechischer Knabe in seiner Nationaltracht, Scharlach, Blau und Gold mit bloßen Schenkeln und Füßen. Er war bei dem Massacre von Scio in einen Backofen versteckt, und so gerettet worden. Er ist jetzt bereits ein vollkommner Engländer geworden, hat aber in der Tournure etwas ungemein Nobles und Ausländisches beibehalten. Um 1 Uhr begaben wir uns wieder auf den Raceground, und ich erhielt diesmal mein Frühstück von einer andern Schönheit. Nach dem beendigten Rennfeste fuhren wir nach Richmond, wo R ...s Regiment garnisonirt, und verlebten dort mit dem Offizier-Corps einen sehr lustigen und geräuschvollen Abend. Die allgemeine Wohlhabenheit erlaubt hier ein weit luxurieuseres Leben, denn die Herren versagen sich nichts, und ihre mess ist überall servirt, wie bei uns gar oft nicht eine fürstliche Tafel.
[57] Morgen wird das Husaren-Regiment nebst einem Regiment Uhlanen vom General-Inspecteur gemustert werden, was ich noch abwarten will, bevor ich nach London zurückkehre.
Den 16ten.
Das Regiment machte seine Sachen sehr gut, mit weniger Affektation, und auch Präcision vielleicht, als unsere wunderbar dressirten dreijährigen Reiter, aber mit mehr ächt militärischer Ruhe und langgewohnter Sicherheit, auch alle Evolutionen schneller, wegen der vortrefflichen Pferde, mit denen die des Continents doch nicht zu vergleichen sind. Dabei hat die englische Cavallerie an Zäumung und militärischem Reiten seit dem letzten Kriege durch die darauf gewandte Sorgfalt des Herzogs von Wellington ganz ungemein gewonnen. Die Leute hatten ihre Pferde so gut in der Gewalt als die besten der unsrigen. Merkwürdig nach unsern Begriffen war es, die Ungeniertheit zu sehen, mit der wohl 50–60 Offiziere in Civil-Kleidern, darunter mehrere Generäle, einige in Stolpenstiefeln und Morgenjacken, die andern im frock coat und bunten Halstüchern die Revue mitmachten und den inspizirenden General umschwärmten, der, ausser dem Regiment selbst, welches inspizirt wurde, allein mit seinen beiden Adjutanten in Uniform erschienen war. Ja sogar einige übercomplette Offiziere desselben Regiments, die gerade nicht im activen Dienst [58] waren, ritten in Civilkleidern und Schuhen mit herum, ein Anblick, der einem .... General vor Erstaunen den Verstand kosten könnte. Mit einem Wort, man sieht hier mehr auf das Reelle, bei uns mehr auf die Form. Hier machen in der That die Kleider den Mannnicht, und diese Simplicität ist zuweilen sehr imposant.
R. sagte mir, daß dieses Regiment ursprünglich, als die Franzosen mit Invasion drohten, von der Londner Schneidergilde errichtet wurde und im Anfang aus lauter Schneidern bestand, die sich jetzt in sehr tüchtige und martialische Husaren verwandelt, und mit großer Auszeichnung, namentlich bei Belle-Alliance, gefochten haben.
Den 13ten.
Seit vorgestern bin ich denn wieder im alten Gleise und debütirte mit vier Bällen und einem Diné bei Lord Caernarvon, wo ich den berühmten Griechenprotektor, Herrn Eynard, fand, dessen hübsche Frau einen gleichen Enthusiasmus für die Hellenen an den Tag legte. Gestern aß ich bei Esterhazy, und fand einen jungen Spanier dort, von dem ich gewünscht hätte, er sey ein Schauspieler, um den Don Juan darstellen zu können, denn er schien mir das Ideal dafür zu seyn. Mit den Tönen der dramatischen Pasta im Ohr, die man jetzt alle Abende irgendwo hört, ging ich zu Bett.
[59] Heute war Concert beim großen Herzog, in dem der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber dennoch Alles in Entzücken gerieth, weil er einst gut sang, hier aber noch immer den alten Ruhm usurpirt. Dann ging ich auf einen der hübschesten Bälle, den ich noch in London gesehen, bei einer vornehmen schottischen Dame. Der große Saal war unter andern ganz mit Papierlampen dekorirt, die sämmtlich Formen der verschiedensten Blumen nachahmten, und sehr geschmackvoll gruppirt waren.
Als wir um 6 Uhr bei Sonnenschein in die Wägen stiegen, nahmen sich die Damen höchst sonderbar aus. Keine Fraicheur konnte diese Probe bestehen. Sie changirten Farben wie das Chamäleon. Einige sahen ganz blau, andere scheckig, die meisten leichenartig aus; die Locken herabhängend, die Augen gläsern. Es war ganz abscheulich anzusehen, wie die beim Lampenschein blühenden Knospen vor den Strahlen der Sonne plötzlich zu entblätterten Rosen verblichen. Das Loos des Schönen auf der Erde!
Den 23sten.
Was sagst Du, gute Julie, zu einem Frühstück, zu dem 2000 Menschen eingeladen sind? Ein solches fand heute statt in den horticultural gardens, die groß genug sind, um so viel Menschen bequem zu fassen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches Gedränge bei den Eßzelten ab, besonders da, wo [60] die Ausstellung der Früchte statt fand, die zu einer bestimmten Stunde Preis gegeben, und dann auch imNu höchst unanständig verschlungen wurden. Man sah dort eine Providence-Annanas, die 11 Pfund wog, hochrothe und grüne, von nicht viel geringern Dimensionen, Erdbeeren von der Größe kleiner Aepfel, überhaupt die seltenste Auswahl der kostbarsten Früchte. Auch war im Ganzen das Fest heiter und in angenehmem ländlichem Charakter.
Der glatte Rasen und die Menge geputzter Menschen darauf, die Zelte und Gruppen in den Büschen, eine ungeheure Masse von Rosen und Blumen aller Art, gaben den freundlichsten Anblick. Ich war mit unserm Gesandten hingefahren, mit dem ich auch um 7 Uhr Abends wieder zurückkehrte. Wir mußten über die Industrie eines Irländers lachen, der sich das Air gab, uns mit einer Laterne, in der natürlich kein Licht brannte, da es heller Tag war, zum Wagen zu leuchten, und sich durch diesen Spaß bei den Frohgesinnten und Gutmüthigen einige Schillinge erwarb. Unterwegs rief ihm einer seiner englischen Kameraden zu: »Du führst wahrlich großmüthige Leute!« – »O,« sagte er, »wenn ich sie dafür nicht kennte, ginge ich auch nicht mit ihnen.« Originell waren auch die Tyroler Sänger, die hier sehr Mode geworden sind, Alle, selbst den König, der mit ihnen deutsch spricht, Du nennen, und keine falsche Menschenfurcht kennen. Es sieht komisch genug aus, wenn einer von ihnen auf den Fürsten Esterhazy losgeht, dessen patriotischer Protektion sie ihre große Vogue hauptsächlich verdanken, [61] ihm die Hand reicht, und ihm zuruft: Nun, was machst Du Esterhazy? Das Weibchen, welches sich unter diesen Tyroler Wunderthieren befindet, kam heute auch auf mich zu und sagte: Dich habe ich mir schon lange angesehen, denn Du siehst meinem lieben John so ähnlich, daß ich Dir einen Kuß geben will. Die Offerte war eben nicht sehr einladend, denn das Mädchen ist häßlich; da sie aber auch Se. Majestät geküßt hat, auf welche Scene eine gute Carrikatur in den Handel gekommen ist, so findet man jetzt die Zumuthung schmeichelhaft.
Den 26sten.
Der Herzog von Northumberland hatte die Güte, mir diesen Morgen seinen sehenswerthen Palast en detail zu zeigen. Ich fand hier etwas, was ich lange vergebens zu sehen gewünscht, nämlich ein Haus, in dem, bei hoher Pracht und Eleganz, das Größte wie das Kleinste mit völlig gleicher Sorgfalt und Vollkommenheit ausgeführt ist – ou rien ne cloche.
Ein solches Ideal ist wirklich hier erreicht. Man findet auch nicht die geringste Kleinigkeit vernachlässigt, keine schiefe Linie, keinen Schmutzfleck, nichts Fanirtes, nichts aus der Façon Gekommenes, nichts Abgenutztes, nichts Unächtes, kein Meuble, keine Thüre, kein Fenster, das nicht in seiner Art ein wahres Meisterstück der Arbeit darböte.
Diese außerordentliche Gediegenheit hat freilich mehrere Hunderttausend Pfd. St. und gewiß nicht geringe [62] Mühe gekostet, aber sie ist auch vielleicht einzig in ihrer Art. Die reichste Ausschmückung von Kunstschätzen und Curiositäten aller Art fehlt ebenfalls nicht. Die Aufstellung der letzteren in, mit violettem Sammt ausgeschlagenen, Terrassenschränken, hinter Spiegelgläsern aus einem Stück, war sehr geschmackvoll. Besonders auffallend ist die große Marmortreppe, mit einem Geländer aus vergoldeter Bronze. Die Wange von polirtem Mahonyholz, welche das Geländer deckt, bietet eine ganz eigenthümliche Merkwürdigkeit dar. Es ist nämlich durch eine Vorrichtung, die noch ein Geheimniß ist, das Holz so behandelt, daß es durchaus unmöglich ist, auf der ganzen Länge der mehrmals gewundenen Treppe irgendwo auch nur die mindeste Spur einer Fuge zu entdecken. Das Ganze scheint aus einem Stück zu seyn, oder ist es wirklich.
Eine andere Sonderbarkeit ist eine falsche porte cochêre in der äußern Hausmauer, die nur bei Festen für den größern Andrang der Wagen geöffnet wird, und wenn sie zu ist, in der Façade nicht mehr aufgefunden wird. Sie ist von Eisen, und durch den Anwurf einer Steincomposition und ein falsches Fenster so vollständig maskirt, daß man sie von dem übrigen Hause nicht unterscheiden kann. Ueber die Gemälde ein andermal mehr.
Bei'm Herzog von Clarence lernte ich Abends einen interessanten Mann kennen, Sir Gore Ousely, den letzten Ambassadeur in Persien, den der Verfasser des Hadjé Baba, Herr Morier, als Legations-Sekretär begleitete.
[63] Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakterisirende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzählen hörte.
Der jetzige Schach wurde von seinem ersten Minister Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron gesetzt, als er noch ein Kind war, lange in solcher Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach regierte. Es war ihm um so unmöglicher, Widerstand zu leisten, da jede Gouverneurstelle der Provinzen und ersten Städte des Reichs ohne Ausnahme durch Verwandte und Creaturen des Ministers besetzt worden war. Endlich beschloß der König, um jeden Preis sich einer solchen Sklaverei zu entziehen, und wählte folgendes energische Mittel dazu, welches den ächten orientalischen Charakter an sich trägt. Es existirt nämlich, nach den alten Gesetzen des Reichs, eine Klasse Soldaten in Persien, die in allen Hauptstädten nur sparsam vertheilt ist, und des Königs Garde heißt. Diese befolgen keine andern Befehle als solche, welche unmittelbar vom König selbst gegeben werden, und mit seinem Handsiegel unterzeichnet sind, daher auch diese Garden allein vom alles beherrschenden Minister unabhängig geblieben waren, und die einzige sichere Stütze des Throns bildeten. An die Chefs dieser Vertrauten erließ der König nun im Geheimen selbst geschriebene Befehle, die dahin lauteten, an einem gewissen Tage und Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte, hielt der Schach einen Divan, suchte während desselben Streit mit Ibrahim herbeizuführen und als dieser, [64] wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, befahl er ihm, sich sofort in das Staatsgefängnis zu begeben. Der Minister lächelte, indem er erwiederte: »Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken, daß jeder Gouverneur seiner Provinzen deshalb Rechenschaft von ihm fordern werde.« Nicht mehr, Freund Ibrahim, rief der König heiter; – nicht mehr – und indem er seine englische Uhr hervorzog und dem betretenen Minister einen verderbenden Blick zuwarf, setzte er kaltblütig hinzu: In dieser Minute hat der letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du wirst ihm folgen. – Und so geschach es.
Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich nach dem Prinzip der französischen chanson handelte, welche sagt: »quand on à dépeuplé la terre, il faut la répeupler après«.
Sir Gore bat bei seiner Abschieds-Audienz den König, ihm gnädigst zu sagen, wie viel Kinder er habe, um über einen so interessanten Umstand seinem eignen Monarchen Rechenschaft geben zu können, wenn dieser sich darnach, wie zu vermuthen stehe, erkundigen sollte. »Hundert vier und fünfzig Söhne,« erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Majestät zu fragen wagen, wie viel Kinder? – Das Wort Mädchen durfte er nach der orientalischen Etikette nicht aussprechen, und die Frage überhaupt war schon nach dortigen Ansichten fast eine Beleidigung. Der König indeß, der Sir Gore sehr wohl wollte, nahm es nicht übel auf. Aha ich verstehe, lachte er ihm zu, und rief nun seinen obersten Verschnittenen herbei: »Musa! wie viel Töchter habe ich?« König der [65] Könige, antwortete Musa, sich auf sein Angesicht niederwerfend: Fünfhundert und Sechzig. – Als Sir Gore Ousely diese Unterredung in Petersburg der Kaiserin Mutter erzählte, rief diese bloß aus: Ah, le monstre!
Den 29sten.
Da die Season sich nun (Gottlob!) ihrem Ende naht, so gedenke ich in Kurzem eine Reise nach dem Norden von England und Schottland anzutreten, wohin ich auch mehrere Einladungen erhalten habe, mich aber lieber in Freiheit erhalten will, um das Land à ma guise zu durchstreifen, wenn es Zeit und Umstände erlauben.
Wir hatten heute einen der schönsten Tage, seit ich in England bin, und als ich Abends vom Lande zurückkehrte, wo ich zeitig beim Grafen Münster gespeist, sah ich zum erstenmal hier eine italienische Beleuchtung der Ferne mit Blau und Lila so reich geschmückt, wie ein Gemälde Claude's.
Apropos, als Notiz zur Nachahmung muß ich Dir noch einen sehr hübschen Blumentisch der Gräfin beschreiben. Die Platte ist krystallhelles Glas, darunter ein tiefer Tischkasten, in welchen feuchter Sand gethan wird, und ein feines Drahtnetz darüber gelegt, in dessen Zwischenräume man dicht, eine neben der andern, frische Blumen steckt. So schiebt man den Kasten wieder ein, und hat nun zum Schreiben und Arbeiten das schönste Blumengemälde vor sich. Will man sich aber am Dufte erlaben, so schlägt man [66] den Glasdeckel auf, oder nimmt ihn ganz weg, wozu er eingerichtet ist.
Die Kinderbälle sind in dieser Season sehr an der Tagesordnung, und ich besuchte Abends einen der hübschesten dieser Art bei Lady Jersey. Diese vornehmen nordischen Kinder waren alle möglichst aufgeputzt; und viele nicht ohne Grazie, aber es that mir ordentlich weh, zu bemerken, wie sehr sie schon aufgehört hatten, Kinder zu seyn, denn die armen Dinger waren größtentheils schon eben so unnatürlich, so unlustig, und so mit sich selbst beschäftigt, als wir größern Figuren um sie her. Italienische Bauernkinder würden hundertmal liebenswürdiger gewesen seyn. Nur beim Essen erschien der angeborne Trieb wieder offner und ungenirter, und die durchbrechende Sinnlichkeit setzte die Natur wieder in ihre Rechte ein. Das hübscheste und reinste dieser Naturgefühle war die Zärtlichkeit der Mütter, die sich ohne Affektation in ihren glänzenden Blicken verrieth, und manche Häßliche sehr leidlich erscheinen machte, die Schönen aber zu höherer Schönheit verklärte.
Ein zweiter Ball bei Lady R ... bot nur die hundertste Wiederholung des gewöhnlichen stupiden Gedränges dar, in dem der arme Prinz B., für dessen Korpulenz diese Presse nicht geeignet ist, ohnmächtig geworden war, und auf das Treppengeländer gelehnt, wie ein abstehender Karpfen nach Luft schnappte. Vergnügen und Glück werden doch auf sehr seltsame Weise in der Welt gesucht.
[67] Den 3ten Juli.
Um eine einsame Fischmahlzeit zu machen, ritt ich Nachmittag, nach einem großen Umweg gen Greenwitch. Die Aussicht von der dortigen Sternwarte ist besonders dadurch merkwürdig, daß das ganze Stück Erde, welches man übersieht, fast nur von der Stadt London eingenommen wird, denn immer weiter und weiter breitet sie seit Jahren ihre Polypenarme aus, und verschlingt einen der kleinen Oerter, die sie umgeben, nach dem andern. Freilich, für eine Population, die bald der des Königreichs Sachsen (seit dieses jüdisch behandelt, nämlich beschnitten wurde) gleichkömmt, bedarf es Platz.
Ich kehrte in der Shiptaverne ein, übergab mein Pferd dem Hausknecht (denn ich war ganz allein, und die Wartung der Pferde ist hier so allgemein vortrefflich, daß man das beste Pferd unbedingt der Sorge des Hostlers in jedem Gasthofe überlassen kann) und erhielt ein sehr nettes Zimmer, mit einem über die Themse hervorspringenden Erker, unter dem die Fische noch herumschwammen, die ich, menschliches Raubthier, bald unbarmherzig verzehren sollte. Der Fluß war durch hundert Barken belebt, Gesang und Musik tönte freundlich von den vorbeisegelnden Dampfschiffen herüber, und die Sonne senkte sich über der bunten Scene, blutroth im leichten Nebelschleier, dem Horizonte zu. Ich gab, am Fenster sitzend, meinen Gedanken vielfache Audienz, bis die hereinkommenden Seeaale, Flounders und Sole, alle auf verschiedene Art zubereitet, mich zu materiellerem Genusse aufforderten. Champagner in Eis und Lord [68] Chesterfields Briefe, die ich zu mir gesteckt, würzten das Mahl, und nach einer kleinen Sieste, während der die Nacht eingebrochen war, bestieg ich wieder mein Roß, und ritt die anderthalb deutschen Meilen bis zu meiner Wohnung in einer ununterbrochenen Allee von hellschimmernden Gaslaternen, auf der wohlarrosirten Straße langsam nach Hause. Es summte gerade Mitternacht, als ich dort ankam, und ein schwarzbehangener Sarg fuhr, wie eine Geistererscheinung, links an mir vorüber.
Den 5ten.
Auf Almacks gab mir B. Deinen Brief, und ich eilte sogleich damit home. Wie sehr haben mich Deine Schilderungen gefreut, und fast hätte ich über die ehrlichen alten Parkbäume geweint, die mir durch Dich zuriefen: O Herr, hörst Du nicht, von tausend Vögelchen belebt, unsrer Wipfel Rauschen?.. Ach ja! ich höre es im Geiste, und werde auch nicht eher wieder wahre Freude empfinden, bis ich dort angelangt bin, wo meine treueste Freundin weilt, und wo meine Pflanzenkinder mir entgegenwachsen. Für das fünfblättrige Kleeblatt danke ich vielmals, und da das Pferd des beigefügten, tausend Glück bringenden Wiener Postillons unterwegs seinen Schweif verloren hat, so habe ich diesen durch das Kleeblatt ersetzt, welche Vegetabilie ihm ein wahres heiliges Allianz-Ansehen gibt.
Hier unterbrach mich der alte B ....dt mit der Frage, ob er den Rest der Nacht wohl ausgehen [69] könne, früh um 8 Uhr sey er wieder da. Ich gab lächelnd meine Erlaubniß, und frug, welche Abenteuer er sich denn vorgenommen? »Ach,« war die Antwort, »ich will blos einmal hängen sehen, und wie sie das hier machen, denn um 5 Uhr sollen fünf auf einmal gehenkt werden.«
Welcher Mißton klang mit diesen Worten in mein Leben voll Saus und Braus! Welcher Contrast mit den Tausenden, von Tanz und Lust Ermüdeten und Uebersättigten, die um jene Stunde zu behaglicher Ruhe zurückkehren, und jenen Unseligen, die unter Todesangst und Schmerzen zur ewigen eingehen müssen. Ich rief wieder mit Napoleon: O monde, o monde! und konnte lange nach dem in Frivolität vergeudeten Tage nicht einschlafen, verfolgt von dem Gedanken, daß eben jetzt die armen Unglücklichen geweckt würden, um von der Welt und ihren Freuden einen so schaudervollen Abschied zu nehmen, nicht gehoben und gen Himmel getragen durch das Gefühl, Martyrer des Guten und Großen zu seyn, sondern sich der gemeinen, der erniedrigenden Schuld bewußt. Man bemitleidet den, der unschuldig leidet, weit bemitleidungswerther scheint mir der Schuldige!
Meine Einbildungskraft geht, einmal angeregt, immer etwas weiter als räthlich, und so erschien mir auch jetzt aller eitle Genuß, alle jene die Armuth und das Elend höhnenden Raffinements des Luxus eine wahre Sünde, und recht oft fühle ich mich in dieser Stimmung. – Nicht selten hat es mir die beste Mahlzeit verbittert, wenn ich die armen Diener betrachtete, die zwar gegenwärtig seyn dürfen, aber [70] nur als zureichende Sklaven, und doch von derselben Mutter Natur geboren sind – oder an den Dürftigen dachte, der nach des langen Tages angestrengter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend kaum erschwingen kann, während wir, wie auf jener englischen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den Bettler um seinen Hunger beneiden! Darin eben liegt aber vielleicht die Compensation, und unsere Entschuldigung, daß wir aller dieser guten und gerechten Gefühle ungeachtet (ich schließe von mir auf andere) uns dennoch sehr entrüsten würden, wenn der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von der wohlbesetzten Tafel zulangen, oder der Arme im unhochzeitlichen Kleide sich selbst bei uns zu Tische bitten wollte. Gott hat es selbst so angeordnet, daß die Einen genießen, die Andern entbehren sollen, und es bleibt so in der Welt! Jedem Ruf der Freude ertönt am andern Ort ein Echoschrei der Angst und Verzweiflung, und wo Raserei sich hier den Kopf zerschmettert, fühlt ein Andrer in demselben Augenblick das höchste Entzücken der Lust!
Also gräme sich Niemand unnütz darüber, wenn er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm besser oder schlechter als Andern geht. Das Schicksal liebt einmal diese bittere Ironie – drum pflückt, o Menschen, die Blumen kindlich so lange sie blühn, theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit, und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne Brust.
[71] Den 7ten.
Ich kehre wieder zur Tages-Chronik zurück.
Nachdem ich bei Sir L ... dem Epikuräer, gegessen, brachte ich den Abend in einer kleinen Gesellschaft bei der Herzogin von Kent sehr angenehm zu; denn die hiesigen Hofzirkel, wenn man sie so nennen will, haben gar nichts Aehnliches mit denen des Continents, welche den distraiten Grafen R ... einst verführten, dem Könige von B.., der ihn frug, wie er sich auf dem heutigen Balle amüsire, zu antworten: O, sobald der Hof weg ist, denke ich sehr lustig zu seyn.
Ganz spät fuhr ich von hier noch zu einem Ball bei der Fürstin L ...., eine Dame, deren Feste ihrer Vornehmheit par excellence stets völlig angemessen sind. Das hier zufällig angesponnene Gespräch mit einem andern Diplomaten verschaffte mir einige nicht uninteressante Notizen. Er erzählte von jener diffizilen Mission, deren Aufgabe war, die Kaiserin der Franzosen mitten aus einer, Napoleon noch ganz ergebenen Armee, die aus wenigstens 12,000 Mann auserlesener Truppen bestand, gutwillig zu entführen. Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luise fast gar keinen Widerstand, und sehr wenig Liebe zum Kaiser (was auch wohl die Folge bestätigt hat). Der kleine fünfjährige König von Rom allein weigerte sich standhaft zu folgen, und konnte nur mit Gewalt dazu gezwungen werden, so wie er sich auch, wie durch einen heldenmäßigen Instinkt geleitet, schon in Paris eben so bestimmt der püsillanimen Abreise [72] der Regentschaft nicht anschließen wollte. Die Rolle, welche manche andere bekannte Männer dabei spielten, übergehe ich, aber sie bestärkte mich in der Ueberzeugung, daß die französische Nation sich nie so tief unter ihrer Würde gezeigt, als zu der Zeit der Abdikation Napoleons.
Den 10ten.
Es wird nun so drückend heiß, wie ich es in diesem Nebellande kaum für möglich gehalten hätte. Der Rasen in Hydepark gleicht der Farbe des Sandes, und die Bäume sind fahl und vertrocknet, auch die Squares in der Stadt sehen ungeachtet alles Begießens, nicht viel besser aus. Demungeachtet werden die Grasplätze fortwährend so sorgfältig geschoren und gewalzt, als ob wirklich noch Gras darauf vorhanden wäre. Gewiß könnte man mit gleicher Pflege und Sorgfalt im südlichen Deutschland schöneren Rasen als hier erzielen, aber man wird es doch nie dahin bringen, denn wir sind zu bequem dazu.
Mit der Hitze leert sich auch London täglich mehr, und die Season ist so gut wie vorbei. Zum erstenmal befand ich mich heute ohne irgend eine Einladung, und benutzte die Freiheit sogleich zu verschiedenen Excursionen. Unter andern besah ich die Gefängnisse von Kingsbench und Newgate. Das erste, welches hauptsächlich für Schuldner bestimmt ist, bildet eine völlig isolirte Welt im Kleinen, einer nicht unbedeutenden Stadt ähnlich, welche jedoch von ungewöhnlichen, [73] nämlich dreißig Fuß hohen Mauern umgeben ist. Garküchen, Leihbibliotheken, Kaffeehäuser, Buden und Handwerker aller Art, schönere und ärmlichere Wohnungen, selbst öffentliche Plätze und Mädchen, auch ein Markt fehlen nicht. Auf dem letztern wurde bei meiner Ankunft eben sehr geräuschvoll Ball gespielt. Wer Geld mitbringt, lebt, bis auf die Freiheit, im Bezirk des Orts so gut und angenehm als möglich. Selbst an sehr anständiger Gesellschaft von Damen und Herren ist in der kleinen Commune von tausend Menschen nicht immer Mangel, nur wer nichts hat, ist übel dran. Für einen Solchen aber ist ja jeder Fleck der Erde ein Gefängniß! Lord Cochrane hat eine Zeit in Kingsbench zugebracht, als er, um die Fonds fallen zu machen, eine falsche Nachricht hatte verbreiten lassen, und der reiche und angesehene Sir Francis Burdet saß ebenfalls hier geraume Zeit wegen eines Libells, das er verfaßt. Der Gefangene, welcher mich herumführte, war bereits zwölf Jahre ein Bewohner dieses Orts, und äußerte mit dem besten Humor, daß er wohl nie mehr heraus zu kommen Hoffnung habe. Aehnlich sprach sich eine alte, sehr anständige Französin aus, die gar nicht einmal ihre Verwandten von ihrer Lage unterrichten wollte, indem sie hier zufrieden lebe, und nicht wisse, wie es ihr in Frankreich ergehen möchte, wohl eingedenk que le mieux est l'ennemi du bien.
Schlimmer sieht es in Newgate, dem Gefängnisse für Verbrecher aus. Aber auch hier herrschte viel Milde in der Behandlung, und dabei eine musterhafte [74] Reinlichkeit. Das Gouvernement gibt jedem Verbrecher früh eine halbe Kanne dicke Gerstenschleim-Suppe, Mittags, den einen Tag ein halbes Pfund Fleisch, den andern Fleischbrüh-Suppe, und täglich ein Pfund gutes Brot. Ausserdem ist ihnen auch noch anderes Essen und eine halbe Flasche Wein täglich zu kaufen erlaubt. Sie beschäftigen sich den Tag über, wo sie sich in besondern Höfen, die zu einer gewissen Anzahl Stuben gehören, aufhalten können, wie und womit sie wollen. Für diejenigen, welche arbeiten wollen, gibt es Werkstätten; viele aber rauchen und spielen nur von Früh bis Abend im Hofe. Um 9 Uhr Morgens müssen sich alle zum Gottesdienst versammeln. Gewöhnlich wohnen 7–8 in einer Stube. Zum Schlafen erhalten sie jeder eine Matratze und zwei Decken, auch Kohlen zum Kochen, und im Winter zum Heizen, so viel nöthig ist. Die zum Tode Verurtheilten kommen in besondere, etwas weniger kommode Zellen, wo zwei bis drei in einer schlafen. Am Tage haben indeß auch diese ihren Hof zur Recreation und zum Essen eine besondere Stube. Ich sah sechs Knaben, wovon der älteste kaum vierzehn Jahre zählte, und die alle unter Todesurtheil schwebten, sehr lustig hier rauchen und spielen. Das Urtheil war indessen noch nicht bestätigt, und sie daher noch mit den übrigen Gefangenen zusammen. Man glaubte, sie würden begnadigt und nur Zeitlebens nach Botanybay geschickt werden.
Vier Aeltere, die sich in derselben Lage befanden, nur mit dem Unterschied, daß sie, wegen zu schwerer Verbrechen auf keine Begnadigung rechnen durften[75] und ihr Lebensende in wenig Wochen erwarten mußten, nahmen demohngeachtet ihr Schicksal noch humoristischer auf als jene, denn drei davon spielten sehr geräuschvoll, unter Späßen und Gelächter Whist mit dem todten Mann, der vierte aber saß auf dem Fensterbrett, wo er eifrig in einer Grammatik studierte, um – französisch zu lernen! C'etait bien un philosophe sans le savoir.
Den 12ten.
Gestern Abends besah ich mir zum erstenmal Vauxhall, ein öffentlicher Garten, in dem Geschmack von Tivoli in Paris, aber weit glänzender und grandioser. Die Illumination mit Tausenden von Lampen in den brennendsten Farben ist ungemein prachtvoll. Besonders schön nahmen sich colossale unter den Bäumen aufgehangene Blumen-Bouquets aus, wo die Blumen von rothen, blauen, violetten und gelben Lampen, die Blätter und Stiele von grünen gebildet wurden, dann Kronleuchter von einem bunten türkischen Muster aller Nüancen, und ein Tempel für die Musik, von dem königl. Wappen nebst dem crest darüber gekrönt. Mehrere Triumphbögen waren nicht wie sonst gewöhnlich, von Brettern aufgeführt, sondern transparent von Eisen gegossen, welches sie unendlich eleganter und dennoch eben so reich erscheinen ließ.
Weiterhin breitet sich der Garten noch mit verschiedenen Abwechslungen und Darstellungen aus, wovon [76] heute die merkwürdigste die der Schlacht von Waterloo war. Um 7 Uhr wird der Garten geöffnet. Aller Orten giebt es verschiedene Darstellungen. Um 8 Uhr beginnt die Oper. Dieser folgen anderswo Seiltänzer, um 10 Uhr zum Schluß die erwähnte Schlacht von Waterloo. Dies Schauspiel ist sonderbar genug, und die Täuschung wirklich in manchen Scenen sehr groß. Zum Schauplatz dient ein Theil des freyen Gartens selbst, der mit uralten Kastanienbäumen mit Gebüsch untermengt, besetzt ist. Zwischen vier der ersten, deren Laub so dicht ist, daß kaum der Himmel durchschimmern kann, war eine Tribune mit Gradins für ungefähr 1,200 Menschen errichtet, die wohl bis 40 Fuß Höhe hinanstieg. In einem furchtbaren Gedränge, nicht ohne einige empfindliche Stöße zu erhalten und auszutheilen, erreichten wir unsern Sitz. Es war eine warme, wunderliebliche Nacht. Der Mond schien äußerst hell und zeigte in einer Entfernung von ohngefähr 50 Schritt zwischen zwei Riesenbäumen einen colossalen Vorhang von rothem Zeuge mit den vereinigten Wappen Großbrittanniens bemalt. Hinter dem Vorhang ragten viele andere Baum-Gipfel, so weit man sehen konnte, hervor.
Nach einer minutenlangen Stille donnerte ein Kanonenschuß durch den Wald und die militairische Musik von 2 Garde-Regimentern ertönte zugleich in grandioser Harmonie aus der Ferne. Der Vorhang öffnete sich in der Mitte, rauschte von einander, und wir erblickten wie im Tageslicht auf einem Boden der sich sanft erhebt, unter hohen Bäumen hervorschimmernd, das Vorwerk Houguemont (nicht eine [77] Dekoration, sondern aus Holz aufgebaute Facaden mit gemalter Leinwand bekleidet, die wirkliche Häuser vollkommen nachahmten) und aus dem Walde anvancirten unter militairischer Musik die französischen Garden, treu uniformirt, mit ihren bärtigen Sapeurs voran. – Sie formiren sich in Parade und Napoleon auf seinem Schimmel, im grauen Ueberrock, von mehreren Marschällen begleitet, passirt sie en revûe. Ein tausendstimmiges vive l'Empereur erschallt, der Kaiser berührt seinen Hut, eilt im Galopp weiter, und die Truppen in gedrängten Massen bivouakiren. Nach einiger Zeit beginnt ein fernes Schießen, es wird immer tumultuarischer auf der Scene, und die Franzosen marschiren ab. Kurz darauf erscheint Wellington mit seinem Generalstab, alle in recht guter Copie der Personalitäten, haranguirt seine Truppen und reitet langsam ab. Das große Original befand sich selbst unter den Zuschauern, und lachte herzlich über sein Conterfey. Jetzt beginnt das Gefecht durch Tirailleurs, ganze Colonnen rücken dann gegeneinander an, machen Attaken mit dem Bajonet, die französischen Cürassiere chargiren die schottischen Quarees, und da gegen 1,000 Menschen und 200 Pferde in der Action sind, auch das Pulver nicht gespart wird, so waren manche Momente in der That auffallend einem wirklichen Gefechte ähnlich. Besonders gut gerieth der Sturm auf Houguemont, das in derselben Zeit durch einschlagende Bomben in Feuer aufgeht. Der dichteste Rauch eines wirklichen Feuers, verhüllte eine Zeit lang die Streitenden, die im allgemeinen Tumult nur durch die Blitze des kleinen Gewehrfeuers [78] theilweise sichtbar wurden, während mehrere Sterbende und Todte den Vordergrund einnahmen. Als der Rauch sich verzog, stand Houguemont noch in Flammen, die Engländer als Sieger, die Franzosen als Gefangene umher, und von weitem sah man Napoleon zu Pferde, und hinter ihm seinen vierspännigen Wagen über die Scene fliehen. Wellington aber als Sieger wurde unter dem fernen Kanonendonner mit Hurrah-Geschrei begrüßt. Die lächerliche Seite der Vorstellung war Napoleon, welcher der Eitelkeit der Engländer zu Liebe, mehreremal flüchtend und verfolgt über die Scene jagen und dem Plebs in gutem und schlechtem Anzug zum Jubel dienen mußte. Das ist das Loos des Großen auf der Erde! der Welteroberer, vor dem einst die Erde zitterte, dem das Blut von Millionen bereitwillig floß, und auf dessen Wink die Könige lauschten – ist jetzt ein Kinderspiel, die Mährchen seiner Zeit verschwunden wie ein Traum, der Jupiter dahin, und Scapin, wie es scheint allein noch übrig. Obgleich nach Mitternacht, war es doch noch Zeit genug, mich aus der seltsamen Licht- und Mondscheinscene auf einen glänzenden Ball bei Lady L ... zu begeben, mit vielen Diamanten, schönen Weibern, kostbaren Erfrischungen, schwelgerischem Soupé, und colossalem Ennui. Schon um 5 Uhr früh ging ich daher zu Bett.
Den 12ten.
Oft hatte ich von einem gewissen Herrn Deville in der City gehört, einem Schüler Galls, passionirten[79] Cranologen, der unentgeltlich, um seine eignen Kenntnisse zu bereichern, alle Tage der Woche zu gewissen Stunden Audienz ertheilt, und jedem die gewünschte Auskunft giebt. Er untersucht den Schädel sorgfältig und macht gefällig mit dem Resultat bekannt.
Voller Neugierde besuchte ich ihn diesen Morgen, und fand sein Empfangzimmer, in welchem eine merkwürdige Sammlung aller Arten von Schädeln aufgestellt war, mit mehrern Damen und Herren angefüllt, die theils ihre Kinder zum Behufe fernerer Erziehung untersuchen ließen, theils, vielleicht Aemter suchend, oder schon im Besitze derselben, sich erkundigten, ob sie sie wohl auch verwalten könnten? Ein einfacher, ernster und blasser Mann verrichtete dies Geschäft mit sichtlichem Wohlwollen und Vergnügen. Ich wartete, bis alle Uebrigen weg waren, und bat nun Herrn Deville, mir eine besondere gütige Berücksichtigung zu schenken, da es zwar zur Erziehung leider zu spät bei mir sey, ich auch kein Amt habe, aber sehr wünsche, eine solche Charakteristik von ihm zu vernehmen, die ich mir, zu noch thunlicher Vervollkommnung, gleich einem Spiegel vorhalten könne. Er sah mich sehr aufmerksam an, vielleicht um zuerst auf Lavater'schem Wege zu erspähen, ob ich de bonne foi oder als Schalk hier aufträte, und bat mich dann höflich, Platz zu nehmen. Er befühlte hierauf meinen Kopf wohl eine gute Viertelstunde lang, wonach er in abgebrochenen Sätzen folgendes Portrait von mir entwarf, das Dich, die mich so genau kennt, gewiß [80] eben so sehr überraschen wird, als es mich, ich gestehe es, in keine geringe Verwunderung setzte, denn es war ganz unmöglich, daß er je früher irgend etwas von mir erfahren haben, noch mich kennen konnte.
Da ich Alles sogleich aufschrieb, und die Sache, wie Du denken kannst, mich nicht wenig interessirte, so glaube ich nicht, daß ich mich bei der Wiederholung in einem irgend wesentlichen Punkte irren kann 2.
»Ihre Freundschaft,« fing er zuerst an, »ist sehr schwer zu gewinnen, und nur durch Solche, die sich Ihnen ganz und mit der größten Treue widmen. In diesem Falle werden Sie aber Gleiches mit Gleichen mit unwandelbarer Beständigkeit vergelten.«
»Sie sind leicht zu reizen in jeder Hinsicht und dann großer Extreme fähig, geben aber weder der leidenschaftlichen Liebe, noch dem Haß, noch andern Leidenschaften eine lange Folge.«
»Sie lieben die Kunst, und werden, wenn Sie ausübend darin sind oder werden wollen, sich ohne Schwierigkeit darin ausbilden können, und ich finde die Kraft der Composition auf Ihrem Schädel stark ausgedrückt. Sie sind kein Nachahmer, sondern wollen [81] selbst schaffen, ja es muß Sie das Gefühl oft drängen, Neues hervorzubringen.«
»Sie haben auch einen starken Sinn für Harmonie, Ordnung und Symmetrie. Wenn Sie Diener haben, oder Handwerker beschäftigen, werden diese viel Mühe finden, Sie zu befriedigen, weil Ihnen nichts genau und accurat genug seyn kann.«
»Sie haben sonderbarerweise die Liebe zum Häuslichen und die des Umherschwärmens in der Welt, welche sich gegenseitig opponiren, gleich stark.«
»Gewiß werden Sie daher auf Reisen, so weit es Ihre Mittel erlauben, gern recht viel Dinge mit sich führen, und überall sich so schnell, als möglich, das häusliche, gewohnte Bild wieder herzustellen suchen.«
(Dies so treffende und so sehr in's Detail Gehende frappirte mich besonders.)
»Ein ähnlicher Widerspruch findet sich bei Ihnen, in einem scharfen Verstande (verzeihe, aber ich muß seine Worte treu wiederholen) und einer bedeutenden Anlage zur Schwärmerei. Sie müssen innig religieus seyn, und werden doch wahrscheinlich keiner positiven Form der Religion sonderlich anhängen, vielmehr (ebenfalls seine eignen Worte) eine erste Ursache aller Dinge unter einem moralischen Gesichtspunkte verehren mögen.«
»Sie sind sehr eitel, doch nicht von der Art, die viel zu seyn glaubt, sondern viel seyn möchte. Daher wird Ihnen auf die Länge die Gesellschaft Ueberlegener, Höherer in irgend einer Art, ja selbst Ihres [82] Gleichen nicht ganz wohl thun. Recht behaglich (easy) finden Sie sich nur da, wo Sie auf eine Weise wenigstens entweder durch ihre Stellung, oder in irgend einer andern Beziehung anerkannt präponderiren. Das Gegentheil, versteckte Satyre, scheinbare Kälte, besonders wo sie sich nicht bestimmt feindlich, nur ungewiß ausspricht, paralysiren ihre Fähigkeiten leicht, und Sie werden sich, wie gesagt, ganz ungezwungen und heiter (cheerfull) nur da bewegen können, wo Ihre Eitelkeit durch nichts niedergedrückt (hurt) wird, die Menschen, mit denen Sie umgeben sind, Ihnen aber zugleich wohlwollen, wofür Ihre Gutmüthigkeit eines Ihrer starken Organe Sie sehr empfänglich macht.«
»Diese letztere, mit einem scharfen Urtheil gepaart, macht Sie auch zu einem großen Verehrer der Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Gegentheil empört Sie, und Sie werden ohne alles persönliche Interesse immer die Parthei eines Unterdrückten lebhaft zu nehmen im Stande seyn. Auch Ihr eignes Unrecht gestehen Sie gerne ein, und verbessern es bereitwillig. Unangenehme Wahrheit, die Sie betrifft, kann Sie wohl verdrießen, Sie werden aber dem, der sie aus keiner feindlichen Absicht Ihnen sagt, doch eher geneigt seyn, und jedenfalls deshalb wahre Achtung für ihn fühlen. Aus demselben Grunde werden Sie Geburtsdistinktionen eigentlich nicht zu hoch anschlagen, wenn Ihre Eitelkeit auch nicht ganz unempfindlich dagegen ist.«
[83] »Sie lassen sich leicht hinreissen, es fehlt Ihnen aber dennoch an leichtem Sinn. Im Gegentheile haben Sie cautiousness 3 in zu hohem Grade, welche Ihrem Leben als Wermuth beigemischt ist, denn Sie werden über Alles viel zu viel reflektiren, sich abwechselnd die seltsamsten Grillen machen, und gerade bei Kleinigkeiten, ohne Noth in Kummer und Sorge, Mißtrauen in sich selbst und Argwohn gegen Andere, oder auch in Apathie verfallen, sich im Ganzen fastimmer mit der Zukunft, wenig mit der Vergangenheit und noch weniger mit der Gegenwart beschäftigen.«
»Sie streben beständig, sind begierig nach Auszeichnungen, und sehr empfindlich für Vernachlässigung, haben überhaupt sehr viel Ambition und von allen Arten, die Sie zugleich schnell wechseln, auch gleich damit am Ziele seyn wollen, da Ihre Imagination stärker ist, als Ihre Geduld, weshalb Sie besonders günstige Umstände finden müssen, um zu reüssiren.«
»Sie haben jedoch Eigenschaften, die Sie fähig machen, nicht Gemeines zu leisten, und selbst das Organ der Ausdauer und Festigkeit ist stark bei Ihnen ausgedrückt, aber von so vielen widerstrebenden Organen gehindert, daß Sie einer großen Aufregung [84] (excitement) bedürfen, um Spielraum dafür zu gewinnen. Dann treten die edlern Kräfte hervor, und die geringern sinken.«
»Sie schätzen Geld und Vermögen sehr hoch, wie Alle, die viel thun wollen, aber nur als Mittel, nicht als Zweck. Geld an sich ist Ihnen gleichgültig, und es ist wohl möglich, daß Sie nicht immer sehr haushälterisch damit umgehen.«
»Sie wollen in allen Dingen schnell und augenblicklich befriedigt seyn, wie mit dem Zauberstab; oft stirbt der Wunsch eher, als die Erfüllung möglich ist. Die Sinnlichkeit und das Wohlgefallen am Schönen hat einen zu mächtigen Einfluß auf Sie, und da Sie sich zum Gebieterischen, Herrschsüchtigen und Eitlem allerdings neigen, so findet sich hier ein Foyer von Eigenschaften, die Sie sehr zu hüten haben, um nicht in große Fehler zu verfallen, denn alle Eigenschaften an sich sind gut, nur ihr Mißbrauch bringt Unheil hervor. Selbst die so unrichtig von dem Vater unserer Wissenschaft bezeichneten Organe des Mord-und Diebssinnes (jetzt richtiger Destruktionssinn und Erlangungssinn benannt) sind nur Anzeichen von Thatkraft und Begehrlichkeit, die, mit Gutmüthigkeit, Gewissens- und Vorsichtssinn verbunden, einen wohlbegabten Schädel formiren, ohne diese intellektuellen Eigenschaften aber leicht zu Verbrechen führen mögen.«
Er sagte daher auch, daß bei Beurtheilung eines Schädels es gar nicht auf die einzelnen Organe, sondern auf ihren Complex ankomme, indem sie sich gar mannichfaltig gegenseitig modificirten, ja zum Theil[85] völlig neutralisirten, also nur die Proportion des Ganzen den eigentlichen Schlüssel zu dem Charakter des Menschen geben könne.
Als allgemeine Regel stellte er auf: daß Menschen, bei deren Schädel – wenn man sich eine gerade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des Ohres gezogen denkt – der vordere Theil eine größere Masse, als der hintere darbiete, empfehlengswerther seyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen Eigenschaften, der hintere die thierischen enthalte.
Alle Schädel der Hingerichteten z.B., die er besaß, zeugten für diese Lehre, und bei einem der Grausamsten nahm der Hinterkopf 2/3 des ganzen Schädels ein. Auch bei den Büsten von Nero und Caracalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß.
Ist dieses jedoch im entgegengesetzten Extrem vorhanden, so fehlt es den zu intellektuellen Individuen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie in allen Dingen, ist ein billiges Gleichgewicht das Wünschenswertheste.
Herr Deville behauptet, daß man nicht nur hervorstechende günstige Organe durch Uebung der von ihnen bedingten Eigenschaften sehr vergrößern könne, sondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern, und versichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz ausgeschlossen sey. Er zeigte mir den Schädel eines Freundes, der sich noch im sechzigsten Jahre einem sehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete, und in wenigen Jahren dadurch die betreffendebosse [86] so merklich hervortreten machte, daß sie alle übrigen überragte.
Zuletzt gab er mir noch, gleichsam als Beleg zu seiner Charakterschilderung, eine Liste der bei mir hauptsächlich hervorstehenden und gemeinschaftlich wirkenden Organe meines Schädels, die mir sein Urtheil sehr wohl erklärten, die ich aber nicht ganz mittheilen mag, da man über sich selbst immer weislich noch etwas zurückbehalten muß, wie die vertrauteste Dame doch auch nicht alle Toilettengeheimnisse enthüllt. Ohnedieß kennst Du mich in mancher Hinsicht wahrscheinlich noch besser als Deville, da Dir ein mächtigerer Talisman dazu zu Gebote steht, als die Cranologie – ächte und wahre Liebe. Nur so viel muß ich des Scherzes wegen anführen.
Organ des Wunderbaren, schwach – weshalb ein Gläubiger an mir verdorben ist, ohne deshalb ein Schuldner werden zu müssen.
Idealität, sehr stark – weshalb ich nie mit der Gegenwart zufrieden bin.
Zahlensinn, schwach – weshalb ich sehr viel Mühe habe, Einnahme und Ausgabe stets im richtigen Verhältniß zu erhalten, und überhaupt Adam Rieß Rechenbuch nie geschrieben haben würde.
Zeitsinn ist auch schwach, weswegen ich gewöhnlich überall zu spät komme, als eine personifizirtemoutarde apres diné.
Eminentes Vergleichungsorgan. Wieder unglücklich für gläubigen und blinden Gehorsam.
[87] Ueber so viele Fehler tröstet mich schlecht die große bosse des Causalitäts-Organs, welches uns unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der menschlichen Existenz immer recht bitter vor Augen zu behalten, indem es das Vermögen ausübt, sich selbst und den eignen Geist als ein Fremdes zu be trachten und zu analysiren, sich zugleich mit den andern Menschen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei willkürlich von allem zu abstrahiren, was durch Erziehung, Schicksal u.s.w. auf diese Wesen Einfluß gehabt hat und noch hat – oder um schulgerechter zu sprechen: welches von allem die Ursache ergründen will, die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung genau erforscht, und bei Allem den Menschen zu fragen zwingt: Warum? eine ... lästige Eigenschaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Vernunft zu nennen pflegt.
Leider ist Eventualität bei mir weit schwächer, als jenes Organ. Dieses, welches man das Realitätsvermögen nennen könnte, ist ebenfalls ziemlich schwer zu definieren, und sein geringes Volumen bei mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art Poeten, der nur im Traume sehen und leben darf, was er in der Welt selbst nicht erreichen kann.
Eventualität ist nicht Thatkraft, obgleich ihr Mangel eine auf denselben Zweck fortwährend gerichtete Thatkraft verhindert, denn wo sie nicht ist, entsteht eine Abwesenheit des Interesses und der Aufmerksamkeit auf das was geschieht, ein Mangel des praktischen Gesellschaftssinnes. Man hat bemerkt, [88] daß alle großen Staatsmänner das Organ der Eventualität im hohen Grade besitzen, welches zugleich eine große Begierde in sich begreift, alles zu wissen, was im Getreibe der Welt vorgeht, sich nur wohl im Geschäftsstrudel zu befinden, der daraus hervorgeht, stets bereit zu seyn, darin handelnd einzugreifen, keine Mühe dabei scheuend und alle ihre Impulse nur von der äußern Wirklichkeit, nie von der innern Phantasie, zu erhalten. An Cannings und noch mehr an Napoleons Gyps-Schädel zeigte Herr Deville Eventualität gigantisch vorherrschend, bei beiden waren aber auch die andern intellektuellen Eigenschaften sehr ausgebildet, bei Napoleon die animalischen eben so kräftig, bei Canning mehr Phantasie und Kausalität. 4
Den 14ten.
Schon mehreremal habe ich den Architekten Herrn Nash besucht, dem ich viel Lehrreiches in meiner Kunst verdanke. Man sagt, daß er sich ein Vermögen von 500,000 L. St. im speziellen Sinne des Wortes »aufgebaut« habe. Er besitzt einige herrliche Landsitze, und kein Künstler in der Stadt wohnt auch in dieser anmuthiger. Vor allen gefiel mir seine Bibliothek.
[89] Sie bildet eine lange, breite Galerie mit zwölf tiefen Nischen auf jeder Seite und zwei großen Portalen an den Enden, die in zwei andere geräumige Zimmer führen. Die Galerie ist flach gewölbt, und erhält einen Theil ihres Lichts von oben durch eine zusammenhängende Reihe eleganter Rosetten, deren mattes Glas verschiedene grau in grau gemalte Figuren schmücken. In jeder Nische befindet sich in der Decke ebenfalls ein halbrundes Fenster von lichtem Glase, an der Rückwand oben ein Alfresco-Gemälde aus den Logen Raphaels, und unter diesem auf Postamenten aus Gyps-Marmor: Abgüsse der besten Antiken. Den übrigen Raum der Nische nehmen Schränke mit Büchern ein, welche jedoch nicht höher, als das Postament der Statur ist, emporsteigen. Auf den breiten Pfeilern zwischen den Nischen sind ebenfalls Arabesken nach Raphael aus dem Vatican, vortrefflich al fresco ausgeführt.
Vor jeder Nische, und etwas entfernt davon, steht in der mittleren Gallerie ein Tisch von Bronce mit offenen Fächern, welche Mappen mit Zeichnungen enthalten, und auf den Tischen Gypsabgüsse irgend eines berühmten architektonischen Monuments des Alterthums. Ein breiter Gang bleibt noch in der Mitte frei.
Aller Raum an Wänden und Pfeilern, der keine Malereien enthält, ist mit mattem Stuck belegt, der in einem blaßröthlichen Tone gehalten und mit goldnen schmalen Leisten eingefaßt ist. Die Ausführung [90] erscheint durchgängig gediegen und vortrefflich.
Als ich von hier zum Diné fuhr, sah ich in der Themse ein Boot mit ganz nackten Menschen, gleich Wilden, darin, von denen zu Zeiten einer hinaussprang, um zu schwimmen, eine Indecenz, die mich mitten in London verwunderte, um so mehr, da ich erst gestern in der Zeitung las, daß vor einiger Zeit ein Officier einen Mann, der sich auf ähnliche Art mit seinem Sohne nackt unter den Fenstern seines Hauses badete, und der auf seinen Zuruf sich nicht entfernen wollte, ohne Umstände mitten durch den Leib geschossen habe. Vor Gericht sagte er aus, daß der Badende sich vor den Augen seiner Frau schamlos entblößt, was er nicht habe dulden können, und im ähnlichen Falle daher eben wieder so handeln würde. Es ist charakteristisch, daß er von der Jury frei gesprochen wurde. Das Mittagsmahl bei dem portugiesischen Gesandten hätte bald wie das berühmte Fest des Fürsten Schwarzenberg in Paris geendet. Eine der schönen silbernen Girandolen, von Rundel and Bridge, die wie Diamanten glänzte, kam dem Vorhange zu nahe, welcher sogleich lichterloh aufloderte. Das Feuer wurde jedoch schnell gelöscht, und zwar vom spanischen Gesandten, was bei den jetzigen politischen Conjunkturen den Zeitungen zu Witzeleien hätte Anlaß geben können.
Spät in der Nacht fuhr ich noch eine halbe Post weit in die Stadt hinein, um mir den Kirchthurm [91] von St. Giles zu besehen, dessen neues, colossales rosenrothes Ziffernblatt mit vielen Lampen erleuchtet, wie ein herrlicher Stern in der Nacht strahlt.
Zu Hause fand ich Deinen Brief mit allerlei liebevollen Vorwürfen, das Persönliche zu sehr über äußere Dinge zu vernachläßigen. Wäre dieses auch zuweilen der Fall, so denke darum doch nicht, daß mein Herz je weniger von Dir erfüllt sey. Auch die Blume duftet ja zu Zeiten schwächer, zu andern stärker, ja manchmal gibt es wohl gar keine Blume am Rosenstrauch, zu seiner Zeit dringen und blühen sie dann alle wieder hervor – aber die Natur der Pflanze bleibt immer dieselbe.
Herders Gebet ist schön, doch hier auf Erden bewährt es sich nicht, denn hier scheint zwar Gottes Sonne über Gute und Böse, aber auch Gottes Gewitter trifft Gute und Böse. Jeder muß sich selbst wahren so gut er kann!
Die Menschen sind Dir lästig, sagst Du – ach Gott, und wie lästig sind sie mir! Wenn man so lange in größter Intimität der Austauschung aller Gefühle, und Aufrichtigkeit aller Gedanken mit einander gelebt hat, wird der Umgang mit der banalen teilnahmlosen Welt oft mehr als leer und geschmacklos.
Deine Hypothese, daß hier verwandte Seelen einst in einer andern Welt zu einem Wesen sich verschmelzen, ist wohl lieblich, aber mit Dir möchte ich[92] doch nicht auf diese Weise verbunden werden, dennein Wesen muß sich freilich selbst lieben, zwei aber lieben sich freiwillig, und nur das hat Werth! Wir wollen uns also zwar immer wieder begegnen, aber auch immer nur durch gegenseitige Liebe und Treue Eins werden, wie wir es jetzt sind, und vor der Hand auf dieser Welt auch so lange als möglich noch bleiben mögen.
Diese Betrachtung bringt mich ganz natürlich zum Gegenwärtigen wieder zurück, in dessen vielfachem Treiben der Strom mich gestern auf die hiesige Kunstausstellung führte. Von historischen Gemälden war wenig Erfreuliches zu sehen. Einige Portraits von Thomas Lawrence zeigten, wie immer, eben so sehr sein Genie wie seinen Uebermuth, mit dem er nur einzelne Theile ausmalt, und alles Uebrige so hinkleckst, daß man es nur von weitem, wie eine Theater-Dekoration, betrachten muß, um es einigermaßen den darzustellenden Gegenständen ähnlich zu finden. So malte Raphael und die Heroen der Kunst nicht, wenn sie sich einmal zur Portraitmalerei verstanden. Unter den Genre-Bildern fand sich dagegen manches sehr Anziehende.
Zuerst: der todte Elephant. Man erblickt eine wilde Berggegend im Innern Indiens; seltsame Riesenbäume und üppig verworrenes Gestrüpp, tiefer Wald im Hintergrunde, umgeben einen dunkeln See. Ein todter Elephant liegt vorn am Ufer ausgestreckt, und ein, seinen Rachen weit aufsperrendes, [93] und die furchtbaren Zähne fletschendes, Crocodill klettert eben an ihm herauf, einen ungeheuren Raubvogel verjagend und den andern Crocodillen drohend, die aus dem See eilig zum Fraße herbeischwimmen. Auf den Aesten der Bäume wiegen sich Geyer, und in den Büschen zeigt sich eben der Kopf eines Tigers. Auf der andern Seite erblickt man aber schon mächtigere Raubthiere, nämlich drei englische Jäger, deren Büchsen bereits auf das große Crocodill angelegt sind, und bald unter der gräulichen Versammlung noch gräulichere Verwirrung erregen werden.
Ein anderes Stück spielt in Afrika. Das Ufer des Meeres ist die Scene. Man entdeckt Schiffe in weiter Ferne. In der Nähe senkt sich ein Palmenwald, von Lianen durchzogen, bis in die klare Fluth hinab, wo ein Boot am Anker liegt, in dem ein Neger schläft – aber in welcher schauderhaften Umgebung! Eine der riesenhaften Boa-Schlangen ist aus dem Walde hervorgesprungen, und während ihr Schweif noch dort ruht, hat sie vorn schon einen losen Ring um den Schläfer geschlagen, und streckt nun ihren Hals hoch empor, zischend den Rachen gegen die Gefährten des Negers öffnend, die mit Beilen zu Hilfe eilen. Eben hat der Eine glücklich einen Theil ihres Körpers zerschnitten, und so den nun erwachten, mit den Zügen des gräßlichsten Entsetzens auf die Schlange starrenden Sclaven gerettet; denn sobald die Rückenmuskeln der Boa irgendwo durchschnitten sind, verliert ihr ganzer Körper augenblicklich alle [94] Kraft. Die Scene ist einer wahren Begebenheit treu nachgebildet, die sich 1792 zutrug.
Wir bleiben noch in den fernen Welttheilen, gehen aber zugleich in ferne Zeiten zurück.
Eine wunderherrliche silberne Mondnacht glänzt und glittert über Alexandriens Meerbusen. Die Pracht ägyptischer Denkmäler und Tempel zieht sich am Seegestade in vielfacher Erleuchtung hin, und unter einer Halle von edler Architektur im Vorgrunde, besteigt Cleopatra, von allem Luxus Asiens umgeben, die goldne Barke, ihrem Antonius entgegen zu eilen. Die schönsten Mädchen und Knaben streuen Blumen unter ihre Füße, und ein Chor weißbärtiger Greise in Purpur gekleidet, spielt, auf einem Felsen am Meeresstrande sitzend, auf goldnen Harfen das Abschiedslied.
Hast Du noch nicht genug, gute Julie? Nun wohlan, so sieh noch den gereisten Affen, der als Exclusiv gekleidet zu seinen Brüdern und Schwestern in die Einsamkeit der Wälder zurückkehrt. Alles umgibt ihn staunend, hier zupft einer an der Uhrkette, dort ein anderer am gesteiften Halstuch. Zuletzt gibt ihm, eifersüchtig auf solche Pracht, Cocotte eine Ohrfeige, die das Signal zum allgemeinen Ausplündern wird – und, geht das nur noch eine Minute so fort, so steht Balzer bald in naturalibus da, wie meine antiken Statuen, die Dich so sehr scandalisiren.
Hiermit beschließe ich die Kunstausstellung. Gute Julie, gestehe, wenn Du selbst Redacteur des Morgenblattes [95] wärest, Du könntest keinen fleißigern Referenten haben als mich, und es mag mir schlecht oder gut gehen, ich mag traurig oder heiter seyn, dennoch thue ich immer meine Pflicht. Grade jetzt geht es mir nicht zum besten. Ich bin unwohl, und habe viel Geld im Whist verloren. Uebrigens ist es merkwürdig, wie schnell man sich hier in England gewöhnt, ein Pfund wie einen Thaler zu betrachten. Obgleich ich den Unterschied wohl kenne, und oft nicht ganz angenehm empfinde, so bleibt doch der sinnliche Eindruck des Pfundes hier gerade derselbe, wie der eines Thalers bei uns, worüber ich oft selbst lachen muß. Ich wünschte, das Schicksal machte auch einmal einen ähnliche Verwechselung, und unsere Thaler zu Pfunden, gewiß vergrübe ich das meinige nicht. Doch wucherten wir immer gut mit dem uns Verliehenen, denn wenn man eine verschönerte Gottes-Natur aus todtem Gelde zu machen sucht wie ich, so hat man gut gewuchert, auch wenn man glückliche und zufriedene Menschen damit macht, und auch das that ich durch gegebene Arbeit, Du auf direkterem Wege reichlich durch Wohlthaten an die Bedürftigen.
Klugheit war weniger unsre Stärke, und wenn Du etwas mehr als ich davon aufzuweisen hast, so kömmt das bloß daher, weil Du ein Weib bist, welche sich immer auf der Defensive halten müssen. Klugheit ist aber weit mehr eine Vertheidigungs- als eine Angriffskunst.
Du kannst sie jetzt grade in der S ...schen Angelegenheit üben, und ich sehe Dich schon in Gedanken[96] die Widerspenstigen bezähmen, und würdevolle Worte des Friedens über sie aussprechen. Erblicke hier am Rande Dein Portrait à la Thomas Lawrence – Du wirst ohne Zweifel viel von der Anlage zur Kunst darin wahrnehmen, welche der Gallianer auf meinem Schädel gelesen hat, die umstehenden Carikaturen aber rechne meiner etwas mürrischen Laune zu.
Da eine solche plattgedrückte Stimmung aber wenig Gedanken liefert, so erlaube mir, Dir aus einem seltsamen Buche einige Stellen mitzutheilen, von denen Du glauben wirst, daß sie nicht nur aus meiner Feder, sondern auch aus meinem Innersten geflossen sind.
»Es ist nicht zu berechnen,« sagt der Autor, »welche Wichtigkeit die Umgebungen unsrer Jugend auf spätere Charakterausbildung haben. Die düstern Wälder meines Geburtslandes, meine vielfachen einsamen Wanderungen in jener Natur waren es, wo meine frühe Liebe zu meinen eigenen Gedanken entstand, und in dem Maße wie ich auf der Schule mit meines Gleichen bekannter wurde, machte es mir schon der Zustand meines Gemüths ohnmöglich, irgend eine in time Cameradschaft anzuknüpfen, ausgenommen die, welche ich bereits in mir selbst zu entdecken anfing.
Am Tage war einsames Wandern in der Natur meine Freude, Abends das Lesen romantischer Fiktionen, [97] die ich mit jenen gesehenen Scenen verband, und ich mochte nun im Winter am Kamin über meinem Buche sitzen oder in wollüstigem Nichtsthun im Sommer unter einem Baum ausgestreckt liegen, meine Stunden waren immer angefüllt mit allen den nebelhaften und üppigen Träumen, welche vielleicht die Essenz jener Poesie waren, welche zu verkörpern ich nicht das Genie besaß. Diese Stimmung ist nicht für das Leben mit Menschen gemacht. Bald verfolgte ich etwas mit rastloser Thätigkeit, bald lebte ich bloß in thatenloser Reflection. Nichts gelang meinen Wünschen gemäß, und mein Wesen wurde endlich tief von jener bittern melancholischen Philosophie durchdrungen, die mir, gleich Faust, lehrte, daß Wissen nichts sey als unnützer Stoff, daß in Hoffnung nichts als Trug liege – und die den Fluch auf mich legte, gleich ihm, durch die Genüsse der Jugend, wie alle Lockungen des Vergnügens, immer die Gegenwart eines feindlichen Geistes der Finsterniß zu fühlen.
Die Erfahrung langer und bitterer Jahre läßt mich jetzt zweifeln, ob diese Erde je eine lebende Form hervorbringen kann, die den Visionen desjenigen genügen möchte, welcher zu lange nur in den Schöpfungen seiner Phantasie verloren lebte.«
Ein andermal heißt es von einem gepriesenen Manne:
»Er war eine von den macadamisirten Vollkommenheiten der Gesellschaft. Sein größter Fehler war[98] seine vollkommene Ebenheit und Gleichheit, und man schmachtete nach einem Hügel, den man ersteigen könnte oder nach einem Stein, wenn er auch im Wege läge. Liebe hängt sich nur an etwas Hervorstehendes, wäre es auch etwas, das Andere hassen würden. Schwer kann man Extreme für Mittelmäßiges fühlen.« C'est vraiment une consolation!
Weiter:
»Unsre Sinne mögen durch Schönheit gefesselt werden, aber Abwesenheit verwischt den Eindruck, Vernunft kann ihn besiegen. Unsre Eitelkeit kann uns Rang und Auszeichnung mit Leidenschaft verehren lassen, aber das Reich der Eitelkeit ist auf Sand gebaut. Doch wer kann den Genius lieben, und nicht inne werden, daß die Gefühle, die er einflößt, ein Theil unsres eignen Wesens und unsrer Unsterblichkeit sind!«
Den 18ten.
Glaubst Du wohl, beste Julie, daß ich, obgleich von verschiedenem Unangenehmen berührt, und fast krank, dennoch diese Tage der Einsamkeit, wo ich nur mit Dir, meinen Büchern und Gedanken beschäftigt war, weit genügender, wie soll ich sagen, weit voller ausgefüllt finde, als die trostlose Existenz, welche man große Welt und Gesellschaft nennt. Das Spiel gehört auch dahin, denn es ist eine bloße Zeittödtung ohne Resultat, jedoch hat es wenigstens den [99] Vortheil, daß man die Zeit, die man verschwendet, nicht während dem gewahr wird, wie in dem andern Falle. Wie wenig Menschen mögen solche Stimmungen recht verstehen, und wie glücklich kann ich mich schätzen, daß Du es thust. Nur bist Du zu nachsichtig gegen mich, und diese Ueberzeugung läßt mich Deinen Urtheilen keinen vollen Glauben beimessen. Wische also die Rosenfarbe, die Deine Liebe auf das Glas haucht, durch das Du mich beschaust, mit dem Schwamme des kalten Verstandes ein wenig ab (ganz eben nicht) und wage es dann immer keck, auf meine Dir annoncirte Eitelkeit hin, mir ganz unumwunden die Wahrheit zu sagen.
Nun noch die Entdeckung eines Geheimnisses. Wenn ich Dir Excerpte schicke, kannst Du nie darauf schwören, von wem sie sind, denn vermöge meines gerühmten Compositions-Vermögens (Du siehst selbst, daß Deville mich noch fortwährend beschäftigt), ist mir das reine Abschreiben fast unmöglich. Es wird selbst ein fremder Stoff immer etwas anders, wenn auch nichts Besseres, unter meinen Händen. Weil ich aber so beweglich bin, erscheine ich gewiß oft inconsequent, und meine Briefe mögen daher manche Widersprüche enthalten. Dennoch, hoffe ich, tritt immer ein rein menschlicher Sinn daraus hervor, und hie und da wohl auch ein ritterlicher, denn jeder zahlt den Umständen, die Geburt und Leben umschließen, seinen schuldigen Tribut.
Lebten wir wohl schon zusammen in jenen wahren Ritterzeiten? Gewiß, denn gar lieblich erhob[100] sich schon oft vor meiner Phantasie wie eine dunkle Erinnerung das reizende Bild der Burg unsrer Väter, die wir damals bewohnten, im wilden Spessart vom Felsen herabdrohend, rund umher alte Eichen und Tannen, und durch den Hohlweg im Thal sehe ich den Besitzer mit seinen Reisigen der Morgensonne entgegen ziehen (denn als Ritter stand er früher auf). Du, gute Julie, lugst vom Söller und winkst und wehst mit dem weißen Tuche, bis kein Stahlpanzer mehr in den Sonnenstrahlen blinkt und nichts Lebendes mehr sichtbar bleibt, als ein scheues Reh, das aus dem Laube schielt, oder ein hochgeweihter – Hirsch, der auf der Bergspitze sich ernsthaft die Gegend beschaut.
Ein andresmal sitzen wir, nach glücklich geendeter Fehde, beim Humpen, wie in Paris einmal beim Champagner. Du kredenzest, ich trinke ritterlich, und der gute Hauspfaff liest die Wunder einer Legende. Da schallt des Zwerges Horn vom Thurme, und zeigt ein Fähnlein an, das sich dem Burgthor nähert. Dein ehemaliger Geliebter ist's, der aus dem gelobten Lande zurückkehrt. – Gare â toi! 5
[101] Den 19ten.
Ein freundlicher Sonnenblick lockte mich ins Freie, das ich jedoch bald wieder mit dem Unterirdischen vertauschte. Ich besah nämlich den berüchtigten Tunnel, die wunderbare, 1,200 Fuß lange Communication unter der Themse. Du hast wohl in den Zeitungen gelesen, daß vor einigen Wochen das Wasser des Flusses einbrach, und sowohl den über 100 Fuß tiefen und 30 Fuß breiten Thurm am Eingang, als auch den schon 540 Fuß langen, fertigen doppelten Weg gänzlich anfüllte. Auf glückliche und unglückliche Begebenheiten ist hier immer ein paar Tage darauf die Caricatur fertig. So sieht man bei der Catastrophe des Tunnels, als das Wasser einbricht, einen dicken Mann, der wie eine Kröte auf allen Vieren sich zu retten sucht, in der Angst mit weit aufgerissenem Munde »Feuer« schreien. Durch Hilfe der Taucherglocke hat man das Loch im Grunde des Flusses, wo die Erde nachgegeben, durch Säcke voll Lehm nicht nur wieder zugefüllt, sondern jetzt, so weit der Tunnel noch fortzusetzen ist, den Erdboden unter dem Wasser überall 15 Fuß hoch durch Vermischung mit Lehm so befestigt, daß, wie man sagt, keine ähnliche Gefahr mehr zu befürchten ist. Eine Dampfmaschine der stärksten Art, die in der Höhe des Thurms placirt ist, hat gleichzeitig das eingedrungene Wasser fast ganz wieder ausgepumpt, so daß man schon wieder das Ganze bequem besehen [102] kann. Es ist ein gigantisches Werk, nur hier ausführbar, wo die Leute nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollen.
Aus dem Tunnel fuhr ich nach Astleys Theater, dem hiesigen Franconi, und diesem überlegen. Ein Pferd mit angeschnallten Flügeln, Pegasus genannt, macht wunderbare Kunststücke, und der russische betrunkene Courier, der auf 6–8 Pferden auf einmal reitet, kann in Geschicklichkeit und Kühnheit nicht übertroffen werden. Die theatralische Vorstellung bestand in einer sehr ergötzlichen Parodie des Freischützen. Statt des Kugelgießens wird durch Pierrot und Pantalon ein Eierkuchen gebacken, wozu sich die beibehaltene Weber'sche Musik höchst komisch ausnimmt. Die Geister, welche erscheinen, sind sämmtlich Küchengeister, Satanas selbst ein bloßer Chef de cuisine. Bei dem letzten Graus bläst ein gespenstischer Blasebalg alle Lichter aus, bis auf eine große Kerze, die immer wieder von Neuem Feuer fängt. Da ergreift eine Riesenfaust den armen Pierrot, legt ihn über die Flamme, und eine Köchin, so groß wie das Theater, in schwarz und rothem Teufelscostüme, deckt beide mit einem Extinguisher vom Umfange eines Hauses zu. Währenddem fliegt Pantalon mit einer Rakette an einer gewissen Stelle, die sich unter seinem Wehgeschrei nach unten entladet, durch die Lüfte davon.
Aller dieser Unsinn macht allerdings im Augenblick lachen, ein trauriges Gemüth macht er aber [103] doch nicht heiterer, und Du weißt, ich habe so manche Ursache zu Kummer, die ich nicht immer vergessen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Es muß eine schlechte Constellation jetzt für uns am Himmel stehen – denn gewiß gibt es glückliche und unglückliche Strömungen in der Lebensperiode und sie zu wissen würde dem Steuermann gar sehr zu Hülfe kommen.
Der Stern, der, wie Du schreibst, über Deinem Schloß so brennend funkelte, muß ein feindlicher gewesen seyn. Mir funkelt nur noch ein Stern günstig, und das ist der Stern Deiner Liebe. Mit ihm würde mein Leben verlöschen!
Veränderung der Umgebung für mich scheint mir immer nöthiger, besonders da ich mich aus der wenigen Gesellschaft, die noch hier ist, fast ganz zurückgezogen habe. Till sagt sehr weise: Nach Regen folgt Sonnenschein – dem also entgegen! und richte auch mich durch Deine Briefe auf. Laß sie heiter und stärkend sein durch eigne Heiterkeit, denn diese ist wichtiger für mich als alle Nachrichten, böse oder gute, die sie enthalten. Nichts ist mir schrecklicher als der Gedanke, Dich in der weiten Entfernung bekümmert zu wissen, denn es ist eine so große Kunst,freudig zu leiden, wie ein Märtyrer! Man kann [104] es auch nur, wo man unschuldig, oder aus Liebe zu einem Andern leidet. Du meine, theure Julie, hast kaum andere Leiden gekannt, ich aber darf nicht so stolz von mir sprechen.
Den 23sten.
Haymarket-Theater ist jetzt mit sehr guten Schauspielern besetzt, und das Rendezvous aller, nach beendigter Season vacant gewordener gai Ladies. Ich saß gestern in meiner Loge, ganz aufmerksam auf das Stück, als sich plötzlich der allerniedlichste Fuß, in einen netten Schuh und perlfarbnen seidnen Strumpf gehüllt, auf den Stuhl neben mir aufstützte. Ich sah mich um, und ein paar prächtige braune Augen lächelten mich schalkhaft aus einem Philinengesichte an, das ein großer italienischer Strohhut halb verdeckte, während ein ganz einfaches, sehr weißes Kleid, von einem ponceaurothen Bande unter der züchtig verdeckten Brust zusammengehalten, den ganzen Putz der kleinen Person ausmachte, welche kaum 18 Sommer zu zählen schien.
Alle Dandies, und auch viele junge Leute in der großen Welt, die dies eben nicht sind, pflegen hier Maitressen zu halten, denen sie ein eignes Haus miethen, sie darin einrichten, und ihre müßigen Augenblicke dort zubringen, ganz wie ehemals die petites maisons in Frankreich. Sie kommen bald auf [105] einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und sind auch in diesem Verhältniß so systematisch als in allen übrigen. Treu sind diese Art Weiber »auf Zeit« selten, aber oft weit gebildeter an Geist und Sitte als ihres Gleichen in andern Ländern.
Die Kleine hinter mir schien die Absicht zu haben, ein solches Verhältniß anzuknüpfen, denn sie benahm sich nicht ohne Feinheit, und wußte eben so sehr durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch ein äußerst gemessenes Benehmen gegen Andere, die sich ihr zu nähern suchten, bald eine Art Einverständniß zwischen uns hervorzubringen, ohne daß wir noch ein Wort gewechselt hatten. Auch fehlte des Anstandes halber eine Mutter neben ihr nicht, die sie chaperonierte, aber sey es nun eine gemiethete oder eine wahre, nirgends sind diese Mütter bequemer als in London. –
Es ist sonderbar, daß die meisten jungen Mädchen die hier einem langen Elend so lustig entgegengehen, nicht von Männern und durch Liebe, sondern, wie mir ein sehr Kundiger versicherte, fast immer von ihrem eignen Geschlecht zu solcher Lebensart verführt werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände so sehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von ihnen weniger interessirt, und weit gefühlvoller als ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Romantische selbst verläßt sie nicht immer bei ihrem jammervollen Beruf! Die Nüancen unter diesen Damen sind übrigens eben so verschieden, als die der verschiedenen[106] Stände in der Gesellschaft, und ihre Zahl in London bekanntlich eben so groß, als die der sämmtlichen Einwohner Berlins.
Es ist kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe, das ich diesen Morgen besuchte. Nirgends logieren die Narren besser, das heißt, die eingesperrten. Einpleasure ground befindet sich vor dem Thore des Palastes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßiger eingerichtet seyn als das Innere. Als ich in die erste Weiber-Galerie, von einer sehr hübschen jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich eines der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre alt, lange aufmerksam, und kam dann plötzlich auf mich zu, indem sie sagte: You are a foreigner – I Know You Prince! – Warum haben Sie Ihre Uniform nicht angezogen, um mich zu besuchen, fuhr sie fort, das hätte sich besser geschickt. Ach, wie schön sah Charles unter seinigen aus!
Die arme Seele, sagte die Schließerin, welche mein Befremden gewahr ward, ist von einem fremden Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem Ausländer einen solchen zu sehen. Manchmal weint sie Tagelang, und läßt dann Niemanden sich nahe kommen. Nachher ist sie wieder Wochenlang ganz vernünftig. Einst war sie sehr schön, aber der Kummer hat jeden Reiz von ihr abgestreift.
Merkwürdig war ein reicher und sehr gebildeter junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er [107] sey ein Stuart, und habe daher das legitime Recht zum Throne. Ich unterhielt mich eine halbe Stunde mit ihm, ohne ihn auf dieses Thema bringen zu können. Er brach immer vorsichtig, ja schlau ab, und sprach dabei höchst interessant über verschiedene Dinge, unter andern über Amerika, das er lange bereist, hatte auch in seinem Benehmen und Aeußern nicht die mindeste Spur von Wahnsinn. Endlich gelang es mir, indem ich bei Gelegenheit von Walter Scotts Romanen des Prätendenten vielfach erwähnte, ihn wärmer zu machen, und als ich endlich vertraulich sagte: »Ich weiß, Sie selbst sind ein Stuart«, schien er zu erschrecken, und den Finger auf den Mund legend, flüsterte er: »Davon dürfen wir hier nicht sprechen. Ich bin es – aber nur von der Zeit kann ich den Sieg der Gerechtigkeit erwarten. Das Licht wird aber bald hell leuchten!« Ich gehe nach Wales, erwiderte ich (dort ist er her, und sein Vater ein reicher Gutsbesitzer) wollen Sie mir die Adresse Ihres Vaters mittheilen, damit ich Ihre Grüße an ihn ausrichten kann? Mit großem Vergnügen, erwiederte er, geben Sie mir Ihr Taschenbuch, ich werde die Adresse hineinschreiben. Ich gab es ihm, und er schrieb nun seinen wirklichen Namen B.G ... hinein, und indem er lächelnd darauf hinwies, sagte er mir ins Ohr: Unter diesem Namen passirt mein Vater dort. Leben Sie wohl – und mit gnädigem Winke der Hand entließ er mich.
So etwas ist doch recht schrecklich! Eine einzige fixe Idee macht den liebenswürdigsten Menschen zum [108] incurablen Narren, kostet ihm seine Freiheit, und verdammt ihn für sein Leben zur Gesellschaft der gemeinsten Wahnsinnigen! Was ist doch der unglückliche Mensch im Conflict mit physischen Uebeln, und wo ist dann die Freiheit des Willens!
Spaßhafter war ein fremder Narr, ein deutscher Pedant und Reisebeschreiber, der sich mit anschloß, um das Haus zu besehen, wo er eigentlich hinein gehörte. Er konnte mit seinen Noten kaum fertig werden. Jeden der Eingesperrten redete er weitschweifig an, und brachte sogleich seine Antwort sorgfältig zu Papier, ohngeachtet sie manchmal nicht die artigste für ihn war. Kaum hatte er meine Unterredung mit B.G. bemerkt, als er auf mich zustürzte, und dringend bat, ihm doch mitzutheilen, was der Herr, wie er bemerkt, in mein Taschenbuch geschrieben. Ich erzählte ihm kurz die Geschichte. O vortrefflich, höchst merkwürdig, rief er, vielleicht dennoch wirklich ein Verwandter der Stuarts. B.G. – ich muß deshalb gleich nachschlagen, vielleicht ein Staatsgeheimniß, wer kann wissen? Ist er in der That ein Verwandter, wie sehr ist seine Narrheit zu entschuldigen! Sehr merkwürdig, ein reicher Stoff, ich empfehle mich untertänigst, und damit stolperte er so tölpisch, so unbeholfen, albern, und doch so mit sich selbst zufrieden von dannen, daß man sich fast verwunderte, ihn nicht gleich wieder einfangen zu sehen. Beim Zuhausefahren begegneten mir abermals eine Menge Leichenzüge, was freilich in einem Gouffre wie London, wo der Tod immerwährend hart arbeiten [109] muß, kein Wunder ist, aber doch ein übles Omen bleibt, wenn auch der Aberglaube, der solches glaubt, gleichfalls mehr nach Bedlam als in einen vernünftigen Kopf gehört; bei mir hat er indeß einigen Grund.
Ich fuhr einst, als ich noch sehr jung war, in einem eleganten Curricle durch die Stadt J ..., wo ich mich damals aufhielt. Ein langer Begräbnißzug kam mir entgegen, ich mußte halten, und da meine Pferde scheu und unruhig wurden, so daß ich Mühe hatte, sie zu regieren, teilte sich endlich ihre Ungeduld mir selbst mit. Ich brach mit Gewalt durch den Zug und rief die unbesonnenen Worte: Hole der T ... den alten Leichenprunk, ich werde mich nicht länger von ihm aufhalten lassen. So stürmte ich dahin, und war kaum 50 Schritte weiter gefahren, als ein kleiner Knabe aus einem nahestehenden Laden heraussprang, und wie eine Fliege ins Licht, mit solcher Schnelligkeit zwischen die Pferde und den Wagen lief, daß es unmöglich war, sie eher anzuhalten, bis schon das Rad der Länge nach über den armen Knaben gegangen war, und er leblos, wie ein aus dem Wagen verlornes Bündel auf dem Pflaster lag. Du kannst Dir meinen tödtlichen Schreck denken! Ich sprang hinaus, hob den Kleinen auf, und schon attroupierten sich viele Menschen um uns, als die jammernde Mutter herzustürzte, mit ihren Wehklagen mein Herz zerriß, und zugleich den Pöbel dadurch aufregte, sogleich ihre Rache zu übernehmen. Ich mußte das Volk schnell haranguiren, um den beginnenden Tumult zu beschwichtigen, und indem [110] ich den Hergang der Sache kurz erzählte, meinen Namen nannte und der Mutter Geld zurückließ, gelang es mir endlich, wiewohl nicht ohne Mühe, meinen Wagen wieder zu besteigen und mich aus der Bagarre ziehen zu können. Ich befand mich nahe am Tore, vor welchem sich ein ziemlich steiler Berg hinabsenkt. In der Zerstreuung mochte ich auf die Zügel nicht gehörig achten, kurz einer entglitt meiner Hand, die wilden Pferde gingen durch, und trafen in einem Querwege mit dem Karren eines Frachtfuhrmanns dermassen zusammen, daß eins davon auf der Stelle todt blieb, und mein Wagen ganz zerschmettert wurde. Ich selbst ward mit unwiderstehlicher Gewalt hinausgeschleudert und einen Augenblick durch den ungeheuren Chok betäubt. Im zweiten fand ich mich mit dem Gesicht in den Boden eingedrückt, so daß ich fast erstickte. Ueber mir aber fühlte ich das Toben eines rasenden Thieres, und hörte das Donnern von Schlägen, die meinen Kopf zu treffen schienen, und dennoch mir nur wenig Schmerz verursachten. Dazwischen vernahm ich noch deutlich das Wehklagen vieler Umstehenden und den Ausruf: der ist eine Leiche, schießt doch das Thier todt .... Bei diesen Worten erhielt ich eine Verwundung am Schlaf, nach welcher ich die Besinnung gänzlich verlor.
Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich mitten in einer ärmlichen Stube auf einer Matraze, eine alte Frau wusch mir das herabrinnende Blut vom Kopf und Antlitz, und ein Chirurgus, mit seinen [111] Instrumenten beschäftigt, schickte sich eben an, mich zu trepaniren. O laßt doch den armen Herrn ruhig sterben, rief mitleidig die Frau, und da ich selbst, einigen Schmerz meiner äußern Wunden ausgenommen, mit Gewißheit zu fühlen glaubte, daß keine innere wesentliche Verletzung statt gefunden habe, so widersetzte ich mich noch glücklich der Operation, die auch ganz unnütz gewesen wäre, obgleich der junge Mann, ein Eleve der clinischen Anstalt, sehr begierig war, seine Geschicklichkeit an einer Operation zu erproben, die er bis jetzt, wie er sehr encouragierend versicherte, noch nicht selbst zu machen Gelegenheit gehabt hätte.
Ich raffte mich sogleich auf, um meine rückkehrenden Kräfte zu beweisen, verlangte einen Wagen und ließ, um mich zu reinigen, mir einen Spiegel geben, in dem ich jedoch mein Gesicht durchaus nicht wieder erkennen konnte, weil der größte Theil der Haut davon in der Chaussée geblieben war. Erst später, als sie die Natur durch eine neue wieder ersetzt hatte, erklärte mir mein Kutscher, der während des Accidents neben mir saß, und seitwärts ins Feld geschleudert, weniger beschädigt worden war, welche wirklich seltsamen Umstände die Begebenheit begleitet hatten. An dem Frachtwagen war nämlich die Deichsel des zweirädrigen Curricle wie eine Lanze am Harnisch zersplittert, das leichte Fuhrwerk vorwärts gestürzt, und ich mit ihm. Der übriggebliebene Rumpf der Deichsel hatte sich in die Erde gebohrt, und meinen Kopf mit eingeklemmt. Ueber mir lag, vom Geschirr [112] gefesselt, das eine Pferd, welches die wüthendsten Versuche machte aufzukommen, und fortwährend mit den Hinterfüßen gegen den zerbrochenen Deichselschaft schlug, welcher auf diese Art mein alleiniger Retter wurde, indem er die Schläge auffing, welche sonst meinen Kopf zehnmal zerschmettert hätten. Fast eine Viertelstunde hatte es gedauert, ehe man im Stande war, mich und das Pferd loszumachen.
Seit dieser Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen.
Als Nachschrift zu dieser Erinnerung aus meinem vergangenen Leben muß ich noch ein komisches Element hinzufügen. Der überfahrne Knabe genaß völlig, und sechs Wochen nach seiner und meiner Catastrophe brachte mir ihn die Mutter rosig und im Sonntagsstaat ins Haus. Während ich ihn küßte, und der Mutter ein letztes Geschenk einhändigte, rief diese arme Frau unter Tränen der Freude: Ach Gott, wenn mein Sohn doch täglich so überfahren würde!
Den 28sten.
Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt, manchmal einen Tag zubringe, wie der Gourmand zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskost erfrischt, nicht besucht, und widmete ihr daher den gestrigen Tag.
Da ich (als deutscher Ritter) auch ein Bierbrauer bin, so lenkte ich mein Cabriolet zuerst nach jener[113] durch ihre ungeheuren Dimensionen fast phantastisch gewordnen, Barcley'schen Brauerei, eine der sehenswerthesten Merkwürdigkeiten Londons. Hier werden täglich 12–1500 Fässer, d.h. gegen 20,000 große Quart Bier, gebraut. Alles wird durch Maschinen bewegt, aber eine einzige Dampfmaschine treibt diese, und zugleich die Flüssigkeit durch alle Instanzen in kupfernen Röhren hin, die, beiläufig gesagt, das Bier eben nicht zum gesündesten machen mögen. In vier Kesseln wird es gekocht, deren jeder 300 Fässer und darüber faßt. Beim Kochen wird der Hopfen zuerst trocken in die Kessel gethan, und eine Maschine rührt ihn beständig um, damit er nicht anbrennt. Die süße Masse fließt während dem Rühren fortwährend zu. Eine besondere Vorrichtung findet statt, das Bier in der heißen Jahreszeit zu kühlen. Es wird nämlich zu diesem Endzweck durch eine Menge Röhren, die einer Orgel mit ihren Pfeifen gleichen, getrieben, worauf frisches Wasser denselben Weg nachgeht, und sofort, immer mit dem Biere abwechselnd. Zuletzt fließt das fertige Getränk in haushohe Faßbehälter, deren es unter gigantischen Schuppen 99 gibt. Nichts ist sonderbarer, als sich ein solches Haus, das 600,000 Quart enthält, anzapfen zu lassen, um ein kleines Glas vortrefflichen Porters zu schöpfen, der sich so kalt wie Eis darin erhält. Diese Fässer sind oben mit einem kleinen Hügel frischen Sandes belegt, und conserviren das Bier ein Jahr lang frisch und gut. Dann erst wird es auf kleine Fässer gezogen und an die Käufer versendet. [114] Das Abziehen geschieht durch Schläuche, wie das Begießen aus einer großen Spritze, sehr schnell, indem die kleinen Fässer schon in Gewölben unter dem Boden des Raumes, wo die großen aufbewahrt werden, bereit stehen.
Hundert und fünfzig elephantenartige Karrenpferde sind täglich mit dem Verfahren des Biers in der Stadt beschäftigt, von denen zwei: 100 Centner ziehen.
Eine einzige thurmhohe Feueresse absorbirt den Rauch der ganzen Anstalt, und auf der mit Zink gedeckten eleganten Platform des Hauptgebäudes hat man die Aussicht auf ein sehr schönes Panorama Londons. Nachher besah ich die Westindia Docks und Warehouses, ein unermeßliches Werk, eines von denen, bei deren Anblick auch der Kaltblütigste Ehrfurcht und Staunen für Englands Größe und Macht empfinden muß. Welches Capital liegt hier in Gebäuden, Waaren und Schiffen aufgehäuft! Das künstlich ausgegrabene Bassin, welches zu umgehen ich eine halbe Stunde brauchte, ist 36 Fuß tief und rund umher befinden sich die Waarenhäuser und Schuppen, zum Theil 5–6 Stock hoch. Einige Magazine sind ganz aus Eisen aufgebaut, nur der Grund in der Erde ist Stein. Man hat jedoch diese Bauart gefährlich gefunden, da das Eisen durch den Einfluß der Witterung sich auf unegale Weise bald ausdehnt, bald zusammenzieht. In diesen unermeßlichen Waarenlagern war Zucker genug vorhanden, um das nebenliegende Bassin zu versüßen, und Rum genug, um [115] halb England trunken zu machen. 2500 Aufseher und Arbeiter pflegen hier täglich beschäftigt zu seyn, und der Werth der aufgespeicherten Güter wird auf 20 Millionen L. St. geschätzt, außer den Stores 6 welche in großer Menge im Vorratshause aufbewahrt werden, so daß das Verderben oder Brechen irgend eines Geräthes die Arbeit nur wenige Minuten aufhalten kann.
Die Menge der angewandten Maschinen und zweckmäßigen Utensilien ist bewundernswürdig. Ich sah mit großem Vergnügen zu, wie Blöcke von Mahagony- und andern ausländischen Hölzern, manche größer als die stärksten Eichen, durch Maschinen gleich Flaumfedern aufgehoben und so behutsam, wie die zerbrechlichste Waare, auf die Transportwagen wieder niedergelegt wurden. Alles erscheint hier im colossalsten Styl. Im Bassin selbst stand auf beiden Seiten Schiff an Schiff gereiht, deren größter Theil eben jetzt neu angestrichen wurde. Solcher Bassins sind zwei, eins für den Import, das andere für den Export. Ich mußte sie früher, als ich wünschte, verlassen, da um 4 Uhr das Eingangsthor wie alle Magazine geschlossen werden, und man dabei nicht die mindeste Rücksicht nimmt, ob noch Jemand darin ist, welcher, wenn er die Stunde versäumt, bis zum nächsten Morgen ohnfehlbar bivouakiren muß. Der Mann am Thore versicherte mir ganz kaltblütig, und wenn der König darin wäre, so würde nicht eine [116] Minute gewartet werden. Ich eilte also schleunigst von dannen, um in keine ähnliche Verlegenheit zu gerathen.
Auf dem Rückweg kam ich bei einer Bude vorbei, wo man ausschrie, daß hier gezeigt werde: der berühmte deutsche Zwerg mit drei Zwergkindern, ferner das lebende Skelet, und endlich das dickste Mädchen, das je gesehen worden sey. Ich bezahlte der Curiosität wegen meinen Schilling, ging hinein, und nachdem ich 1/4tel Stunde hatte warten müssen, bis noch fünf andere Angeführte sich zu mir gesellten, wurde der Vorhang weggezogen, um die impertinenteste Charlatanerie zu produciren, die mir je vorgekommen ist. Als lebendes Skelet erschien ein ganz gewöhnlicher Mensch, nicht viel magrer als ich selbst bin, und zur Erklärung dieser Ueberraschung wurde entschuldigend angeführt, er sey als Skelet aus Frankreich angekommen, aber hier durch die englischen guten Beefsteaks unaufhaltsam corpulenter geworden. Darauf kam »die fetteste Frau in der Christenheit« das vortrefflichste Pendant zum Skelet, denn sie war nicht dicker als die Königin von Virginiawater.
Zuletzt zeigten sich die sogenannten Zwerge, welche nichts anders als – kleine Kinder des Unternehmers waren, die man in eine Art Vogelbauer gesteckt hatte, der ihr Gesicht verhüllte, und nur Beine und Hände frei sehen ließ, mit welchen letzteren die kleinen Dinger mit großen Klingeln einen furchtbaren[117] Lärm machen mußten. Damit schloß die Vorstellung, eine englische Prellerei, die kein Franzose burlesker und mit mehr Effronterie hätte ausführen können.
Den 29sten.
Seit ich Devilles Schüler geworden bin, kann ich nicht umhin, immer den Schädel meiner neuen Bekannten mit den Augen zu messen, ehe ich mich weiter mit ihnen einlasse, und heute habe ich, wie in der Kotzebueschen Comödie, einen englischen Bedienten, den ich annahm, vorher in optima forma untersucht. Hoffentlich wird das Resultat nicht das nämliche seyn, denn die durch's Ohr gezogene Linie gab guten Ausweis, wobei es mir lebhaft auffiel, daß das gemeine Sprichtwort (und wie viel populäre Wahrheit enthalten oft diese) mit Devilles Princip ganz einverstanden sey, indem es sagt: Er hat es hinter den Ohren, hütet Euch vor ihm. Allen Scherz bei Seite, bin ich ganz überzeugt, daß man, wie mit dem Magnetismus, auch bei der Cranologie das Kind mit dem Bade verschüttet, wenn man sie selbst nur für ein Hirngespinnst ansieht. Es mögen noch manche Modificationen nicht aufgefunden seyn, aber ich habe die Richtigkeit des bestehenden Princips an meinem eignen Schädel so sehr erprobt, daß ich es durchaus nicht mehr lächerlich finden kann, wenn Aeltern bei der Erziehung ihrer Kinder darauf Rücksicht nehmen, und auch Erwachsene zu Erleichterung der Selbstkenntniß [118] es zu benutzen suchen. Wenigstens habe ich auf diesem Wege mehr Klarheit über mich selbst erlangt, als mir sonst vielleicht möglich gewesen wäre.
Da ich den ganzen Tag mit einigen schriftlichen Arbeiten beschäftigt war, so benutzte ich die milde und helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn, Gottlob, ich brauche mich nicht sclavisch an die Zeit zu binden!
Die Nacht war ganz italienisch, und außerdem hinlänglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich mich stets hielt, und so mehrere Stunden lang in Stadt und Vorstädten umherritt. Von Westminsterbridge aus entfaltete sich eine wunderbare Aussicht. Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwische auf der Themse, und die vielen Brücken spannten sich wie weite, illuminirte Bogen-Festons von einer Häusermasse zur andern über den Fluß. Nur Westminster-Abtey lag ohne Lampenschein da, und die sehnsüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und gotischen Denkmälern, buhlte mit ihrem blassen Scheine mystisch um die steinernen Spitzen und Blumen, senkte sich inbrünstig in die dunklen Tiefen, und versilberte emsig die langgestreckten, glitternden Fenster, während Dach und Thurm des hohen Baues, in schwarzer farbloser Majestät, über den Lichtern und dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternenhimmel still und starr emporstrebten.
Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich belebt, ja ich sah sogar einen Knaben von höchstens[119] acht Jahren, der ganz allein in einem kleinen Kinderwagen, mit einem großen Hunde bespannt, im vollen Trabe neben den letzten Diligencen und Equipagen furchtlos vorbeifuhr. Dergleichen findet man gewiß nur in England, wo Kinder schon im achten Jahre selbstständig, und im zwölften gehangen werden.
Doch guten Morgen, liebe Julie, es ist Zeit, das Bett zu suchen.
Den 1sten August.
Die Hitze bleibt noch immer drückend, der Boden wird ganz zu Asche, und wenn nicht in den macadamisirten Straßen überall fortwährend, mit großen, sich immer abwechselnden, Wagen gegossen würde, so wäre es gewiß vor Staub in der Stadt nicht auszuhalten. So aber bleibt Fahren und Reiten immer angenehm, und obgleich die elegante Zeit vorbei ist, auch Shopping noch sehr unterhaltend. Es ist eine der größten Versuchungen hierbei, mehr zu kaufen als man braucht, und da ich grade jetzt wenig Geld habe, so helfe ich mir bei Dingen, die ich sonst wohl für Dich und mich zu acquiriren wünschte, mit der Phantasie, wie jener vortreffliche persische Geizhals, von dem uns Malcolm Folgendes erzählt:
Ein Harpagon in Ispahan, der lange Zeit mit seinem jungen Sohne nur von trockenem Brod und Wasser gelebt hatte, wurde eines Tages doch durch die zu[120] einladende Beschreibung eines Freundes verlockt, ein schmales Stück von einem besonders vortrefflichen und wohlfeilen Käse zu kaufen. Doch ehe er noch damit zu Haus kam, überfielen ihn schon Gewissensbisse und Reue. Er verwünschte seine törichte Extravaganz, und statt den Käse, wie er früher beabsichtigte, zu essen, verschloß er ihn in eine Flasche, und begnügte sich in Gesellschaft des Knaben bei jedem Mahle ihre Brodrinden im Angesicht des Käses zu genießen, dieselbe aber vor jedem Bissen gegen die Bouteille zu reiben, und so den Käse einstweilen nur mit der Einbildungskraft zu schmecken. Einmal, berichtet die Geschichte weiter, verspätete Harpagon sich auswärts, und fand, als er eine Stunde nach der Essenszeit zu Haus kam, seinen Sohn bereits mit der täglichen Brodrinde beschäftigt, und diese emsig gegen die Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel? rief er verwundert aus: »O Vater! es ist Essenszeit, Ihr habt den Schlüssel zum Schranke mitgenommen, und da habe ich denn mein Brod ein bischen gegen die Türe gerieben, weil ich nicht zur Flasche kommen konnte.« Infame Range, schrie der Vater im höchsten Zorne, kannst Du nicht einen einzigen Tag ohne Käse leben? Geh mir aus den Augen, verschwenderische Brut, Du wirst nimmer ein reicher Mann werden.
So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich ebenfalls längst aufgegeben.
[121] Ich schilderte Dir einmal einen gewissen Sir L.M. als ein besonderes Original.
Bei diesem war ich heute zu einem luxurieusen Mahle eingeladen, welches seit so lange vorbereitet wurde, daß sogar einer der diplomatischen Gäste, vor vier Wochen schon, durch einen Courier von Baden über das Meer herüber dazu citirt worden war, auch pünktlich am selben Morgen eintraf, und ausländischen mit inländischen Appetit vereinigt, mitgebracht zu haben schien. Er hatte nicht vergessen, sich mit verschiedenen continentalen Delicatessen zu befrachten, denen man, nebst einer Anzahl der ausgesuchtesten Weine, die größte Gerechtigkeit widerfahren ließ. Es gehört ein starker Kopf dazu, um solchen Gelagen hier zu widerstehen, aber die Luft macht wirklich viel Essen und starke Getränke nötiger als bei uns, und wer im Anfang kaum einigen englischen (d.h. mit Branntwein versetzten) Claret trinkt, findet später eine ganze Flasche Portwein recht verträglich mit seiner Gesundheit und den englischen Nebeln.
Wenn aber auch dem sinnlichen Genuß hier hauptsächlich geopfert ward, so blieb die Unterhaltung doch auch nicht ohne Salz. Ein Officier unter andern, der den Krieg gegen die Birmanen mitgemacht, erzählte uns sehr interessante Details aus jenen Gegenden, z.B. daß die dortigen Kinder, nach unsrer Theorie Kälber fett zu machen, oft drei Jahre lang gesäugt werden. Da nun auch das Tabakrauchen in frühester Jugend anfängt, so sah der Capitän öfters [122] Jungen, die, indem sie die Brust der Mutter verließen, zum Nachtische die brennende Cigarre in den Mund steckten. Am ergötzlichsten erschien mir aber folgende Geschichte eines irländischen Bulls. Es ist gewiß der stärkste, der je statt gefunden hat, indem es sich um nichts weniger handelt, als um einen Bauer, der sich aus Distraktion selbst den Kopf abschneidet. Dabei ist dennoch das Factum authentisch, und folgendermassen trug sich die unerhörte Begebenheit zu.
Die Bauern in Ulster haben die Gewohnheit, wenn sie vom Wiesenmähen zu Hause gehen, ihre kolossalen Sensen, welche eine Spitze am Griff haben, um sie in die Erde zu stecken, gleich einem Gewehre in die Höhe stehend, auf der Schulter zu tragen, so daß die Schärfe der Sense ganz über ihrem Halse schwebt. Zwei Kameraden schlenderten auf diese Weise den Fluß entlang nach Hause, als sie einen großen Lachs gewahrten, der, mit dem Kopf unter einem Baumstamm verborgen, den Schwanz im Wasser emporstreckte.
Sieh Paddy, ruft der Eine, den dummen Lachs, der glaubt, daß wir ihn nicht sehen, weil er uns selbst nicht sieht. Hätt' ich doch meinen Speer, dem wollte ich einen guten Stoß geben. O, sagt der Andere, an den Lachs heranschleichend, das muß auch mit dem Sensenstyel gehen. Gib acht! und zu stößt er, und trifft den Lachs richtig, leider aber auch zugleich seinen Kopf mit der Sense, der vor den Augen des erstaunten Kameraden schallend in's Wasser [123] plumpt. Lange konnte dieser nicht begreifen, wie Paddy's Kopf so schnell herunterkam, und noch heute gibt er nicht zu, daß die Sache mit rechten Dingen zugegangen sey. Ein böser Kobold, meint er, habe sicher die Sense geführt.
Mit der englischen Oper beschloß ich den Tag, wo am Ende des ersten Akts ein Bergwerk einstürzt, und die Haupthelden des Stücks begräbt. In der letzten Scene des zweiten Aktes erscheinen sie aber im Bauche der Erde wieder, in der That schon dreiviertel verhungert, wie sie selbst erzählen, da sie nun bereits 3 Tage hier verschmachtet lägen, und jetzt ihre letzten Kräfte dahinschwänden. Das verhindert die prima Donna jedoch keineswegs, eine lange Arie mit Polonaisenmusik zu singen, worauf der Chor mit Trompeten einfällt: »Ha wir sind verloren, alle Hoffnung ist dahin« – doch, o Wunder, die Felsen fallen von neuem ein, und eröffnen eine weite Pfortedem hereinbrechenden Tageslichte. Aller Jammer und mit ihm aller jammervolle Unsinn des Stücks haben ein Ende.
Den 2ten.
Die gestrige Schwelgerei hat mich auf ein Organ aufmerksam gemacht, das Herr Deville noch unter seiner Liste nicht aufgenommen hat. Es ist dieses der Gourmandise, und befindet sich unmittelbar neben dem ehemaligen Mordsinn, denn es findet, gleich [124] ihm, im Zerstören sein höchstes Vergnügen. Ich besitze es in bedeutendem Maße und wünschte, alle übrigen Buckel und Beulen meines Schädels gäben so unschuldige und angenehme Resultate. Es verleiht dieses Organ nicht bloß die gemeine Lust am Essen und Trinken, sondern befähigt seine Inhaber auch, die wahre Qualität der Weine und ihr Bouquet zu würdigen, so wie jeden Fehler und jede Genialität des Kochs augenblicklich gewahr zu werden. Dieses genußreiche Organ wird nur dann der menschlichen Zufriedenheit nachtheilig, wenn es mit einem sentimentalen Magen verbunden ist, was glücklicher Weise bei mir nicht der Fall zu seyn scheint.
Ich besah heute die Ausstellung einer mit der Nadel genähten und von einer Person allein angefertigten ganzen Gemäldegallerie, deren Vortrefflichkeit wirklich in Erstaunen setzt. Miß Linwood heißt die Künstlerin, diese geduldigste aller Frauen. In geringer Entfernung scheinen die Kopien den Originalen gleich, und wie sehr sie Anerkennung finden, kann man aus den ungeheuren Preisen beurtheilen. Eine solche Tapete nach Carlo Dolce war eben für 3000 Guineen verkauft worden.
Ein Porträt Napoleons als Konsul soll, so sehr es von seiner spätern Persönlichkeit abweicht, dennoch eine seltene Aehnlichkeit aus jener Zeit darbieten, und wurde von den anwesenden Franzosen mit großer Ehrfurcht betrachtet.
Einige Häuser weiter waren Mikroskope von millionenfacher Vergrößerungskraft aufgestellt. Was [125] sie zeigen, könnte einen Menschen von lebhafter Einbildungskraft verrückt machen. Es kann gar nichts Schauerlicheres geben, keine furchtbareren Teufelsfrazzen je erfunden worden seyn, als jene gräßlich scheußlichen Wasserinsekten, die wir täglich (mit bloßen Augen und selbst geringern Vergrößerungsgläsern unbemerkbar) hinunterschlucken – wie sie gleich Verdammten in dem sumpfig erscheinenden Kloak mit der Schnelle des Blitzes umherschießen, und deren wahrscheinliche Begattung wie Kampf und Schmerz auf Tod und Leben aussieht.
Da ich einmal im Sehen begriffen war, und den entsetzlichen Eindruck dieser Unterwelt durch lieblichere Bilder tilgen wollte, so wurden noch drei verschiedene Panoramen mit Muse genossen: Rio Janeiro, Madrid, Genf.
Das erste ist eine, aus unsern Naturformen ganz heraustretende, originelle und zugleich paradiesisch üppige Natur. Das zweite sieht in der baumlosen, sandigen Ebene wie Stillstand und Inquisition aus. Glühende Hitze brütet über dem Ganzen, wie ein Auto da fe. Das dritte dagegen erschien mir wie ein lieber alter Bekannter, und Herz erhoben blickte ich lange auf den unerschütterlichen, sich allein stets gleichbleibenden vaterländischen Freund hin, den majestätischen Montblanc.
[126] Den 8ten.
Canning ist todt! Ein Mann in der Fülle der geistigen Kraft, seit wenigen Wochen erst am Ziel seines thätigen Lebens angelangt, endlich der Regierer Englands und dadurch ohne Zweifel der einflußreichste Mann in Europa, mit einem Feuergeiste begabt, der diese Zügel mit mächtiger Hand zu führen wußte, und einer Seele, die das Wohl der Menschheit von einem noch höhern Standpunkte zu umfassen fähig war. –Ein Schlag hat dieses stolze Gebäude vieler Jahre zertrümmert, und enden mußte der kühne Mann, wie ein Verbrecher – plötzlich, tragisch, unter den fürchterlichsten Leiden, das Opfer einer unbarmherzigen Natur, die mit eisernem Fuße fort und fort niedertritt, was in ihren Weg kömmt, unbekümmert, ob sie die junge Saat, die schwellende Blüthe, den königlichen Baum, oder die schon hinsterbende Pflanze zerknickt.
Was werden die Folgen dieses Todes seyn? In Jahren werden sie erst klar werden, und vielleicht eine Auflösung beschleunigen, die uns in vielen Dingen droht, und der nur ein großartiger, aufgeklärter Staatsmann, wie Canning es war, Einheit und günstige Richtung zu geben im Stande seyn möchte. Vielleicht wird grade die Parthei, die jetzt so unanständig und gefühllos über seinen frühen Tod triumphirt, durch diesen Tod die erste ernstlich gefährdete werden, denn nicht mit Unrecht hat Lord Chesterfield vor langer Zeit mit prophetischem Sinne gesagt: Je prevois que dans cent ans d'ici les metiers [127] de gentilhomme et de moine ne seront plus de la moitié aussi lucratifs qu'ils sont aujourd'hui.
Doch was kümmert mich die Politik! Könnte ich nur immer in mir selbst das gehörige Gleichgewicht erhalten, wäre ich zufrieden. Das von Europa wird sich schon von selbst herstellen. Klugheit undDummheit führen am Ende alle zu demselben Ziel – der Nothwendigkeit.
Indessen ist Canning's Tod natürlich jetzt das Stadtgespräch, und die Details seiner Leiden empörend. Die Frömmler, denen er wegen seiner freisinnigen Meinungen sehr zuwider war, suchen auszubreiten, er habe sich während dieser Schmerzen bekehrt – was sie nämlich Bekehrung nennen – einer seiner Freunde dagegen, der lange an seinem Todes-Bette zugebracht, konnte nicht genug den stoischen Muth und die Sanftmuth rühmen, mit der er sein herbes Geschick getragen, bis zum letzten Augenblicke der Besinnung nur von seinen Plänen zum Wohle Englands und der Menschheit erfüllt, und ängstlich sorgend: sie dem Könige noch einmal an's Herz zu legen.
Wie sich nun Frivoles und Ernstes hienieden stets die Hand reicht, so erregt nebst diesem tragischen Tode zugleich ein höchst seltsamer Roman: »Vivian Grey,« durch seine oft barokken, oft aber auch sehr witzigen und wahren Schilderungen der Sitten des Continents hier viele Aufmerksamkeit. Die Beschreibung des Anfangs eines Balles in Ems möge [128] hier Platz finden, als eine Probe, wie Engländer das Eigenthümliche unsrer Gebräuche beobachten:
»Des Prinzen Fête war äusserst ausgesucht, d.h. sie bestand aus Allen, die eine Invitations-Karte entweder durch Protektion hatten erhalten können, oder dieselbe von des Fürsten Haushofmeister Crakofsky mit schwerem Gelde erkauft hatten. Alles war höchst königlich, keine Kosten und Mühe waren gespart, das gemiethete Haus in eine fürstliche Residenz umzuschaffen, und seit einer Woche war das ganze kleine Herzogthum Nassau dafür in Contribution gesetzt worden. Am Eingange der Salons, gefüllt mit gemietheten Spiegeln und provisorischen Draperien, stand der Prinz voller Orden, empfing Alle mit der ausgezeichnetsten Herablassung, und versäumte nicht, jeden der angesehenen Gäste mit der schmeichelhaftesten Anrede zu beehren. Seine Suite, hinter ihm aufgestellt, bückte sich jedesmal gleichzeitig, so bald die schmeichelhafte Anrede beendigt war.«
Nach einander hörte ich, seitwärts stehend, folgende Unterhaltung. »Frau von Fürstenberg, sagte der Prinz, sich verbeugend, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Frau von Fürstenberg, ich hoffe, daß Ihre liebenswürdige Familie sich wohl befindet. (Die Familie passirt vorbei.) Cravaticheff! fuhr seine Hoheit fort, den Kopf halb zu einem seiner Adjutanten gewandt, Cravaticheff, eine charmante Frau, Frau von Fürstenberg, es gibt [129] wenig Frauen, die ich mehr bewundere, als Frau von Fürstenberg. – Prinz Salvinsky, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Niemand macht Polen mehr Ehre, als Prinz Salvinsky. – Cravaticheff! ein merkwürdig langweiliger Kerl der Prinz Salvinsky. Es giebt wenig Menschen, die ich mehr en horreur habe, als Prinz Salvinsky. – Baron von Königstein, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Baron von Königstein, ich habe die excellente Geschichte von der schönen Venetianerin noch nicht vergessen. – Cravaticheff! ein höchst amüsanter Kerl, der Königstein. Es giebt wenig Menschen, deren Gesellschaft mich mehr amüsirt, als die des Baron Königsteins. – General Altenburg, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu sein. Vergessen Sie nicht, mir nachher Ihre Meinung über das österreichische Manöuvre zu geben. – Cravaticheff! ein excellenter Billardspieler ist General Altenburg. Es giebt wenig Menschen, mit denen ich lieber Billard spiele, als mit Graf Altenburg. – O Lady Madeline Trevor, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn, Miss Jane, Ihr Sclave. Cravaticheff! eine magnifique Frau, Lady Trevor. Es giebt wenig Frauen, die ich mehr bewundere, als Lady Trevor, und, Cravaticheff! Miß[130] Jane ein herrliches Mädchen! es giebt wenig Mädchen, die ich lieber ......«
Hier raubte mir das Geräusch der einfallenden Polonaisenmusik den Rest der Phrase, und ich gieng zu einer andern Scene über.
Nicht wahr, Julie, beißend genug! Es giebt wenig Schilderungen, die mich mehr amüsirt hätten, und meine Uebersetzung, nicht wahr? sehr gelungen. Es giebt wenig Uebersetzungen, die mir besser gefielen, als meine eignen.
Auch im Ernsten ist der Verfasser nicht übel. »Wie furchtbar, sagt er, ist das Leben, welches doch unser höchstes Gut ist! Unser Wesen athmet unter Wolken und ist in Wolken gehüllt, ein unbegreifliches Wunder für uns selbst. Es giebt nicht einen einzigen Gedanken, der seine bestimmte Gränze hätte. Sie sind wie die Cirkel, die das Wasser bildet, wenn man einen Stein hineinwirft, immer weiter sich ausdehnend und immer schwächer sich zeichnend, bis sie sich zuletzt ganz verlieren in dem unermeßlichen Raume, den der Gesichtskreis nicht mehr fassen kann. Wir sind gleich Kindern im Dunkeln, wir zittern in einer düster beschatteten und schrecklichen Leere, die nur durch die Bilder unserer Phantasie bevölkert ist. Leben ist unsere wahre Nacht, und vielleicht der erste Strahl der Morgenröte der Tod. –«
Praktischer noch schrieb der berühmte Smolett an einen Freund: »Ich bin alt genug geworden, um gesehen und mich überzeugt zu haben, daß wir alle ein Spielzeug des Schicksals sind, und daß es auf [131] eine Kleinigkeit, so unbedeutend als das in die Höhewerfen eines Pfennings, ankömmt, ob ein Mensch zu Ehren und Reichthum sich emporschwingen, oder bis zu seinem Tode in Elend und Noth vergehen soll.«
Den 15ten.
Täglich besehe ich mir die Arbeiten in den sogenannten Parks von St. James und Greenpark die, früher bloße Viehweiden waren, und nun nach den Plänen des Herrn Nash in reizende Gärten und Wasserparthien umgeschaffen werden. Ich lerne hier viel Technisches, und bewundere die zweckmäßige Vertheilung und Folge der Arbeit, die ingenieusen Transportmittel, die beweglichen Eisenbahnen u.s.w.
Charakteristisch ist es, daß während die Gesetze, welche das Eigenthum schützen, so streng sind, daß ein Mensch, der über die Mauer steigt, um in einen Privatgarten zu gelangen, riskirt gehangen zu werden, und jedenfalls grausam bestraft wird, auch der Besitzer, wenn es des Nachts geschieht, ihn ohne Umstände totschießen darf – man auf der andern Seite mit dem Publikum, wo es nur einen Schein von Anspruch hat, so subtil umgehen muß, wie mit einem rohen Ey. In den beiden genannten Parks, die königliches Eigenthum sind, aber seit ewigen Zeiten dem Publikum Sonntags offen gegeben wurden, wagt man jetzt, ohngeachtet der Umwälzungen und Arbeiten, die der König (freilich wohl auf Kosten [132] der Nation) machen läßt, nicht dem Plebs den Eingang temporär zu verbieten, sondern hat nur Tafeln anschlagen lassen, auf denen wörtlich folgendes steht:
»Das Publikum wird respektueusest ersucht, während der Arbeiten, die nur die Vergrößerung seines eigenen Vergnügens bezwecken, die Karren und Utensilien der Arbeiter nicht zu beschädigen, und überhaupt den Distrikt, worin die Arbeiten stattfinden, möglichst zu schonen.«
Demungeachtet wird sehr wenig Rücksicht auf diese respektueuse Bitte genommen, und die Karren, die nach der Arbeit aufgeschichtet liegen, werden häufig gebraucht, um Jungen darin herum zu fahren, und allerhand andern Unfug damit zu treiben. Auf den langen Brettern schaukeln sich die Mädchen, und viele unnütze Brut wirft Steine gerade da in's Wasser, wo Damen davor stehen, die natürlich so davon besprützt werden, daß sie, unwillkürlich gebadet, zu Hause eilen müssen. Diese Rohheit des englischen Publikums ist in der That sehr eigenthümlich, und die einzige Entschuldigung für die Inhumanität aller Wohlhabenden, mit der sie ihre reizenden Besitzungen so neidisch verschließen. Es ist aber auch möglich, daß diese Inhumanität der Reichen die Rohheit und Bosheit der Armen erst hervorgerufen hat.
Die Spaziergänge und Ritte in der Umgegend wer den jetzt ebenfalls wieder sehr einladend, da der Herbst schon früh beginnt. Das verbrannte Gras prangt von Neuem in hellem Grün, und die Bäume erhalten ihr Laub fester und frischer als bei uns, obgleich sie sich auch zeitiger zu färben anfangen. Der Winter [133] aber kömmt sehr spät, oft gar nicht, um sein weißes Todtengewand über sie zu breiten. Dabei hört das Mähen des Rasens, und das Reinhalten der Plätze und Gärten nie auf, ja auf dem Lande, wo der Herbst und Winter die Season ist, wird in dieser Zeit grade die meiste Sorgfalt darauf verwendet.
London wird aber dann von den Fashionablen geflohen, und das mit solcher Affektation, daß Viele sich, bei etwanigem nöthigen Aufenthalt daselbst, förmlich zu verstecken suchen. Die Straßen sind imwestend of the town so leer wie in einer verlassenen Stadt; nur die gemeinen Mädchen verfolgen Abends auf die unanständigste Weise und mit den handgreiflichsten, gewaltsamen Liebkosungen jeden Vorüberziehenden. Nicht nur Engländerinnen, sondern auch Fremde, nehmen schnell diese abscheuliche Sitte an. So desesperirte mich neulich eine alte Französin mit bleichen Lippen und geschminkten Wangen, die mir angemerkt, daß ich ein Fremder sey, mit solcher Beharrlichkeit, daß selbst die Gabe des geforderten Schillings mich noch nicht von ihr befreite. Encore un moment, rief sie immer, je ne demande rien, c'est seulement pour parler français, pour avoir une conversation raisonnable, dont les Anglais ne sont pas capables. Diese Geschöpfe werden hier zu einer wahren Landplage.
Bei der jetzigen Einsamkeit hat man nun wenigstens so viel Zeit für sich als man will, kann arbeiten und die Legion der Zeitungen mit Muße lesen. Die Albernheiten, welche täglich in diesen über fremde Angelegenheiten stehen, sind unglaublich. Heute fand [134] ich folgenden Artikel: »Des seligen Kaiser Alexanders Bewunderung Napoleons war eine Zeit lang ohne Grenzen. Man weiß, daß in Erfurth, als Talma auf dem Theater die Worte sprach: L'amitié d'un grand homme est un bienfait des dieux, Alexander sich gegen Napoleon verbeugte und ausrief: Ces paroles ont été ecrites pour moi. – Weniger bekannt ist vielleicht folgende Anekdote, deren Wahrheit wir verbürgen können. Eines Tages äußerte Alexander gegen Duroc den lebhaften Wunsch, ein Paar Hosen seines großen Verbündeten, des Kaisers Napoleon zu besitzen. Duroc sondirte seinen Herren über die allerdings ungewöhnliche Angelegenheit. Napoleon lachte herzlich: O, auf jeden Fall, rief er, donnez lui tout ce qu'il veut, pourvû qu'il me reste une paire pour changer.« Dieß ist authentisch, man versicherte uns indessen noch, daß Alexander, der sehr abergläubig war, in den Campagnen 1812 und 13 im Felde nie andere als »Napoleons-Hosen« trug!!! Solchen Unsinn glaubt jedoch ein Engländer unbedenklich.
Der Tag endete sehr angenehm für mich mit der Ankunft meines Freundes L ...., für den ich Dich jetzt auch verlasse, und den entsetzlich langen, leider nichts weniger als im Verhältniß inhaltreichen Brief, mit der eben so alten, aber für Dich, wie ich weiß, doch stets den Reiz der Neuheit behaltenden Versicherung schließe, daß Du, fern oder nah, meinem Herzen immer die Nächste bist und bleibst.
Dein treuer L.