[148] Vierter Akt.
Pallast in Corinth.
Diagoras, Zelinde.
DIAGORAS.
Ja, nach dreißig langen Jahren kehr' ich wieder, schönes Weib!
Und die ganze Welt besah' ich, was ein hübscher Zeitvertreib:
Sah das Herz Europa's, wie sie's nennen; leider ist's von Speck;
Dein massives Herz, Zelinde, liegt allein am rechten Fleck.
ZELINDE.
O du bist umsonst gewandert, da du tief in deiner Brust
Wiederbringst dieselben Laster und dieselbe böse Lust!
Hättest wirklich im Sarmatenlande du so süß und lind
Grasen sehn die frommen Schäflein, die mitunter Katzen sind,
Hören können, wie die Krüdner als Velleda dort geschrien,
O es wäre deine Seele voll erhabner Psalmodien!
DIAGORAS.
In Campanien, wo man auf den platten Dächern drischt das Korn,
Wenn Vertumnus ausgeschüttet seines Ueberflusses Horn,
In Campanien vor die Augen trat mir ein Berliner Christ,
Und ich sah, daß dieser Leute Gott ein bloßer Apis ist;
Auch die Krüdner, wo sie jemals lehrte, wo sie wirkte je,
Nicht Velleda war sie, scheint es; aber wohl Pasiphae!
ZELINDE.
Hast du denn auf deinen Reisen nichts als Heuchlervolk erblickt,
Keinen, welcher gegen Himmel wirkliche Gebete schickt?
DIAGORAS.
Einen wahren Frommen sah ich, den das Erzgebürg gebar,
[149] Der, was Jene tölpisch äffen, wirklich in der Seele war;
Doch wie Mancher, der so linkisch itzt den Himmel klimmt hinan,
Thut es, weil gerad' er eines frommen Königs Unterthan:
Wäre noch, wie sonst, ein Freigeist Flügelmann, wie schnell belehrt
Würden Jene Gott verläugnen durch ein steifes Rechtsumkehrt!
ZELINDE.
Laß uns von uns selber sprechen! Liebst du wirklich mich getreu?
DIAGORAS.
Kannst du fragen?
ZELINDE.
Deine Worte, sind es keine leere Spreu?
DIAGORAS.
Prüfe mich! Die größte Probe scheint mir, dir zu Liebe, klein.
ZELINDE.
Nun so schenke mir dein Herz!
DIAGORAS.
Seit sechzig Jahren ist es dein!
ZELINDE.
Nein, so mein' ich's nicht! Dergleichen Phrasen sind für ein Sonett!
Nein, ich will das körperliche Herz, ein Herz mit wahrem Fett:
Da du stets materiell warst, werd' auch ich materiell:
Ein platonisch Herz genügt mir keineswegs! – Entscheide schnell!
DIAGORAS.
Immer schlug mein Herz für dich nur!
ZELINDE.
Aber sinnlich und verrucht,
Und dadurch mit Recht erregend meines Mannes Eifersucht;
Glaube mir, auf keine Weise thu' ich seinem Zorn genug,
Wenn ich nicht das Herz ihm schenke, das für mich in Liebe schlug.
DIAGORAS.
Dieser Antrag kommt mir etwas unerwartet, ja sogar
Grob und unmanierlich wag' ich ihn zu nennen.
ZELINDE.
Sonderbar!
[150] Also Redensarten waren's, wenn du sagtest mir und schriebst,
Daß du mehr mich als das Leben, mehr als deine Seele liebst?
Lüge waren deine Seufzer, deine Schwüre waren Scherz?
Und das Herz, das jetzt du weigerst, war es nur ein falsches Herz?
O der Männer! O des Meineids, den sie jeden Tag begehn,
Sie, die nicht die kleinste Prüfung, auch die kleinste nicht, bestehn!
Welche Freude dir zu machen wähnt' ich! Jahre sann ich nach,
Zu befrei'n von jeder Qual dich, und mich selbst von jeder Schmach:
Endlich fand ich dieses Mittel, fand es und du schlägst es aus!
DIAGORAS.
Steigst du selbst mit mir hinunter, tret' ich gern in Pluto's Haus.
ZELINDE.
Sterben ich? Noch lang zu leben denk' ich, meinem Gatten treu.
DIAGORAS.
Alte Hekuba!
ZELINDE.
Was hör' ich?
DIAGORAS.
Hältst du dich vielleicht für neu?
ZELINDE.
Welch ein Zorn ergriffe jetzt mich, gab' es meine Tugend zu!
DIAGORAS.
Schöne Tugend!
ZELINDE.
Wie? Du zweifelst? Alter Rabe!
DIAGORAS.
Kakadu!
ZELINDE.
Nun, ich hoffe, nicht vergebens schiltst du meine Tugend alt!
Im Abgehn.
Was er mir im Guten weigert, das ertrotz' ich mit Gewalt!
Ab.
DIAGORAS.
Welch ein Vorschlag! Auszuschneiden mir das Herz in seiner Kraft!
[151] Und dergleichen Leute gelten heut zu Tag für tugendhaft!
Aus dem Staube mach' ich schnell mich! Nein, dem Himmel sey's geklagt,
Daß dem weiblichen Geschlechte die Vernunft er hat versagt!
Polybus, Diagoras.
POLYBUS.
Ei, Diagoras, willkommen!
DIAGORAS.
Sieh zu Füßen deinen Knecht;
Doch vergönne, daß ich gehe!
POLYBUS.
Nein, du kommst mir eben recht!
Gern um Rath dich fragen möcht' ich, werther Freund! Ich weiß, du bist
Weit gereis't und kannst mir viel entdecken was mir nützlich ist:
Mit dem Bergbau mich beschäftigt hab' ich in der letzten Zeit,
Und du bist gewiß hierüber zu belehren mich bereit.
DIAGORAS.
Zwar in Sachsen und in Polen untersucht ich manchen Schacht,
Und es eilte meine Schwermuth gern hinab in's Reich der Nacht,
Wo sich keine Möve schaukelt auf dem unterird'schen Teich,
Wo Natur so nah zu uns tritt, und so todtenstill zugleich;
Aber jetzt vergönne –
POLYBUS.
Nicht doch! Was du sagst, gefällt mir sehr:
Komm, Diagoras, in mein Gemach, denn gerne hört' ich mehr!
Ueber Berg- und Hüttenkunde hab' ich oft und viel gedacht,
Gold und Silber, Erz und Schwefel manichfach zu Tag gebracht,
Und besonders viel Arsenik, wie du sehn wirst. Komm herein!
[152] Wir besprechen dann noch Manches über einem Glase Wein.
DIAGORAS.
Deine Huld ist allzuhuldvoll. Könnt' ich nicht ein andres Mal –
POLYBUS.
Nein, du leerst auf deines Königs Wohl sogleich den Goldpokal!
Beide ab.
Festlicher Saal in Theben. Oedipus auf dem Thron, um ihn die Großen des Reichs; unter ihnen Tiresias.
OEDIPUS.
Im zehnten Jahr gebiet' ich diesen Reichen,
Seitdem befreit ich euch von jenem Gaste,
Den durch ein Distichon ich zwang zu weichen,
Und mich vermählt der Königin Jokaste:
Nun hör' ich, daß ein Jammer ohne Gleichen,
Trotz meiner Hut, auf diesem Lande laste,
Und daß gequält von Hungersnoth und Seuchen
Im schweren Joche die Thebaner keuchen.
Drum hab' ich hier zusammen euch geladen,
Um Rath zu schlagen, Männervolk und Greise!
Ob Einer wisse, wie der große Schaden
In's Land gekommen und auf welche Weise?
Ein guter Rath ist wie der goldne Faden
Der Ariadne für die Lebensreise,
Und wir Monarchen um so mehr bedürfen
Des guten Raths bei Planen und Entwürfen.
TIRESIAS.
So will denn ich zuerst zu sagen eilen,
Was mir im Geist gelungen auszuspüren:
Durch welche Mittel jene Pest zu heilen
Mit allen ihren Beulen und Geschwüren,
Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen,
[153] Wie sie hereinbrach und durch welche Thüren,
Und für die Meinung muß ich mich entscheiden,
Daß jene Sphinx die Quelle dieser Leiden.
Längst war sie selbst den Fels hinabgesprungen,
Dank deinem Distichon und deinem Witze!
Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen,
Daß solch ein Wesen hier in Theben sitze,
Und jeder Sänger, welcher je gesungen,
Gerieth in solche Wuth und solche Hitze,
Hieherzukommen und den Vers zu schmieden,
Daß aus der Welt gewichen schien der Frieden!
So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben,
Ein Gaul, ein Kütschchen oder nur ein Nachen,
So lang's noch einiges Papier zum Schreiben,
Noch etwas Tinte gab zum Versemachen,
So wollte Keiner mehr zu Hause bleiben:
Die Greise kamen selbst, die alterschwachen,
Es rissen sich die Säuglinge vom Busen
Der Mütter ab und saugten an den Musen.
Das Jüdchen Raupel erst begann zu singen,
Das itzt als Raupach trägt so hoch die Nase:
Es suchte sich zur Trunkenheit zu zwingen
Durch Schillers zehnmal abgebrühte Phrase,
Und als der Rausch ihm wollte nicht gelingen,
Da rief es aus: Ich taumle schon! Ich rase!
Der Edle rief's und eilt' in seine Kammer,
Und schmiert' ein Trauerspiel im Katzenjammer.
Sein Freund nur wollte nicht sich herverfügen,
Ihm war die matte Seele wie vernichtet,
Und seine Leier, nach so stolzen Flügen,
Im Hof als Brennholz zierlich aufgeschichtet:
Familienschwächen sucht er jetzt zu rügen,
Und spielt den Teufel, den er sonst gedichtet,
Indeß er selbstzufrieden ruht und eisern,
Zwar nicht auf Lorbeern, aber Birkenreisern.
[154] Houwald hingegen kam herangefahren,
Ein alter Mensch, doch ähnlich einem jungen,
Ein Abcschütz von gereiften Jahren,
Der oft im Schweiß des Angesichts gesungen;
Und höchst bescheiden forschend nach dem Wahren,
Fragt er den Leser: Ist es mir gelungen?
Die Gans, von welcher ich entlehnt die Kiele,
Spaziert sie auch durch meine Trauerspiele?
Nach diesen sah ich ganze Züge wallen,
Wie könnt' ich nennen dir so viele Meister?
Und aus der Tasche guckte leider Allen
Ein schwerer Band von Poesien, ein feister:
Man hörte nichts als lauter Verse knallen,
Und Alle rochen nach Papier und Kleister,
Und Alle wollten uns die Zeit verkürzen,
Und suchten nebenbei die Sphinx zu stürzen.
Allein der Hauch, den diese Sänger hauchten,
Verpestete die Straßen und die Plätze,
Auch kam dazu, daß viele Musen schmauchten,
Und andre litten vollends an der Kratze,
Wofür sie leider eine Salbe brauchten,
Die als mephitisch ich vor vielen schätze:
Und so in Kurzem roch es allenthalben
Nach schlechten Versen, nach Taback und Salben.
Im Norden kann man solchen Duft ertragen,
Und aus dem Norden kamen jene Musen;
Bei uns jedoch fing Alles an zu klagen,
Und schalt sie Kamtschadalen und Tungusen;
Doch schon begann die schnöde Pest zu nagen
An mancher Brust, an manchem schönen Busen:
Es ächzten Männer sich zu todt und Weiber,
Doch unermüdlich blieben jene Schreiber!
OEDIPUS.
Und solche Musen fahren fort zu klexen,
Und wollen hier vielleicht noch Ruhm gewinnen?
[155] Ihr habt noch nicht sie mir verbrannt als Hexen,
Noch nicht gestäupt als Beutelschneiderinnen?
Glaubt ihr, ich könne, gleich den Versifexen,
Verdrehungen um alles Gute spinnen,
Und Mittelmäß'ges bis zum Himmel heben?
Glaubt ihr, ich sey der Böttiger von Theben?
TIRESIAS.
Wir glauben's nicht; doch lange sind zerstoben
Die bösen Reime, die die Pest verbreitet:
Uns kam Apoll, der über goldne Globen
Im lichten Himmel auf- und niederschreitet,
Zu Hülfe selbst, er kam herab von oben,
Und zürnte streng, durch unser Flehn geleitet,
Der Reimerzunft und ihren tollen Händeln;
Denn Viele wagten selbst mit Gott zu tändeln!
Und schnell verwandelnd jene Dichterschaaren,
Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege,
Macht' er zum Affen Den mit langen Haaren,
Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege,
Die Meisten wurden Papagai'n und Staaren;
Houwaldchen ward in eine matte Fliege,
Und Raupel, der mit Trauerstücken handelt,
In einen Wiedhopf alsobald verwandelt.
Doch ist der Krankheitsstoff im Volk geblieben,
Und immer neu beginnt der Tod zu wüthen:
Er sichelt frech mit ihren vollsten Trieben
Die Jugend ab, mit ihren schönsten Blüthen!
Und täglich hören Herzen auf zu lieben,
Die gestern noch von einem Feuer glühten,
Das eine Welt umher entzünden könnte,
Wofern es ihnen das Geschick vergönnte.
OEDIPUS.
Welch Mittel fruchten soll und welche Sühne,
Nur einer Götterlippe kann's entschallen;
Drum alsogleich verlaß die Rednerbühne,
Und flehend eile nach den Tempelhallen,
[156] Wo jener Gott, der mächtige, der kühne,
Der schöne, der melodische vor Allen,
Wo jener fromme Lautenschläger weilet,
Der Drachen tödtet und Gebrechen heilet!
Und durch ein Lied auf seinem weichen Psalter,
Das unsre Dürre, wie ein Strom, umflute,
Verkünde gnädig uns der Welterhalter
Das Opfer, das für diese Zeiten blute:
Wir leben nicht in jenem goldnen Alter,
Wo auf dem Siegerwagen schläft das Gute,
Um welchen Lorbeern oder Myrten sprossen;
Denn diese Zeiten sind aus Erz gegossen!
Er steigt mit raschen Schritten vom Thron herab; Tiresias verläßt den Saal, indem er dem Balthasar begegnet.
BALTHASAR.
Schlimme Botschaft dir zu bringen, komm' ich, König, aus Corinth.
OEDIPUS.
Führen wieder mich die Götter durch ein neues Labyrinth,
Schwieriger vielleicht als jenes, das bei Nürnberg ward gepflanzt,
Wo der Pegnitz Blumenorden unter grünen Buchen tanzt?
BALTHASAR.
Polybus ist todt, gestorben ist Zelinde, seine Frau.
OEDIPUS.
Dieses Doppeljammers Anlaß, schnell erzähl' ihn und genau!
BALTHASAR.
Es kam zurück nach zehentausend Tagen
Diagoras zum Hofpallast des Fürsten;
Doch dieser schien, voll eifersücht'ger Plagen,
Seit Jahren schon nach Jenes Blut zu dürsten,
Um seiner Königsehre Mantelkragen
Von jenen Fasern allen reinzubürsten,
[157] Die aus Zelindens Bett, so wähnt betrogen
Der Fürst Corinths, ihm waren angeflogen.
In seine Zimmer läßt er Jenen winken,
Zu fragen ihn nach seinen Abenteuern:
Er sucht mit Freundlichkeit den Haß zu schminken,
Durch Höflichkeit der innern Wuth zu steuern,
Reicht ihm Confekt und giebt ihm Wein zu trinken,
Und pflegt bei jedem Schluck ihn anzufeuern;
Allein im Weine war ein Gift verborgen,
Das Jenen tödten soll am andern Morgen.
Es hat verlassen kaum den Tisch der Rache
Diagoras, so schrecklich hintergangen,
Als auf der Treppe bei dem Schlafgemache
Zelindens ihn Zelindens Frauen fangen:
Gebunden wird an Hand und Fuß der Schwache,
Aufs Lager hingestreckt mit bleichen Wangen,
Und aus dem Busen ihm das Herz geschnitten:
O wie verderbt sind heut zu Tag die Sitten!
Versprochen hatte dem Gemahl Zelinde,
Wie sehr sie schuldlos wäre, zu beweisen,
Wann ihren Freund Diagoras die Winde
Zurückgeführt von seinen weiten Reisen;
Drum will sie schenken ihm als Angebinde
Das Herz des Liebsten, und er soll es speisen;
Er soll die Probe, die sie denkt zu liefern,
Höchsteigen kau'n mit seinen beiden Kiefern!
Sie ließ das Herz auf eine Weise kochen,
Wodurch das Zähste selbst sich läßt verdauen:
Der König aß es ohne Herzenspochen,
Und ohne Vorgefühl und ohne Grauen;
Da rief Zelinde: Was sie dir versprochen,
Es hat's gethan die keuscheste der Frauen!
Gegeben hab' ich dir die höchste Probe,
Nun liebe mich und meinen Muth belobe!
[158] Was war Lukretia gegen mich, die rasche,
Die doch dem Gatten blos zum Schmerz gestorben?
Was Artemisia, welche mit der Asche
Des Ehgemahls sich ihren Wein verdorben?
Doch ist's vergebens, daß ich Namen hasche,
Da gleichen Ruhm sich Keine hat erworben:
Des Liebsten hat noch Keine sich entledigt,
Wie sehr die Nachwelt ihre Namen predigt!
Auf daß du könnest mein Verdienst ermessen,
Und meine ganze Tugend ganz erfassest,
So wisse denn, und woll' es nie vergessen,
So wahr du jetzt aus Neubegier erblassest:
Das kleine Ding, das eben du gegessen,
Es war das Herz des Mannes, den du hassest,
Das Herz des liebenden Diagoras war's!
Was, fragte wüthend sie der König, was war's?
Schon springt er auf mit rasender Geberde,
Und reißt das Vorlegmesser aus der Scheide:
So sei'n verflucht der Himmel und die Erde,
Denn keinen Anspruch hab' ich mehr an beide!
Der Himmel werde schwarz wie Pech, es werde
Die Erde weiß und farbenlos wie Kreide!
Das Herz, vernimm, das ich gespeis't so eben,
Es war mit Gift, es war mit Gift vergeben!
Er spricht's, indem er seine Messerspitze
Der treuen Gattin durch den Busen rennet,
Die sterbend sinkt von ihrem goldnen Sitze;
Ihm selbst bereits im Eingeweide brennet,
Des Giftes Wirkung, ungewohnte Hitze.
Von dir jedoch, mein Oedipus, bekennet
Zelinde noch in ihren letzten Stunden,
Man hätte dich als Findelkind gefunden.
OEDIPUS.
Das ist ein Vorfall, wahrlich, ohne Gleichen!
[159]BALTHASAR.
Im Erdenschooße liegt er nun begraben.
OEDIPUS.
So wurden schon bestattet jene Leichen?
BALTHASAR.
Sie sind ein Raub der Motten und der Schaben.
OEDIPUS.
Du geh' und laß dir Trank und Speise reichen!
BALTHASAR.
Ich denke nicht, mich lange hier zu laben!
OEDIPUS.
Du willst zurück schon nach Corinth dich wenden?
BALTHASAR.
Wo meine Herrschaft modert, will ich enden.
Ab.
OEDIPUS.
So ist die Herkunft mir in tiefe Schleier
Aufs neu verhüllt, ich bin beraubt der Lieben,
Und dieses Volk, dem einst ich als Befreier
Erschienen bin, ich seh' es aufgerieben:
Warum erfreu'n wir uns am Klang der Leier,
Am Spiel des Glücks, an tausend süßen Trieben,
Wenn stets im Hintergrund die Furie lauert,
Und unser Leben zwo Sekunden dauert?
Die Vorigen. Jokaste.
JOKASTE.
Gemahl! Von etwas Tragischem Bericht erstatten muß ich dir.
OEDIPUS.
O wehe mir! Wie bin ich satt vom Hören schon! O wehe mir!
JOKASTE.
In wenig Worten blos besteht's: Es hat Tiresias gefragt
Den Gott, woher dieß Uebel stammt, und dieser dann ihm ausgesagt,
So lange wüthe hier die Pest, bis daß du strafst die Mörderhand,
[160] Die unsern König einst erschlug, den Lajus, der geherrscht im Land.
OEDIPUS.
Und wer erschlug ihn?
JOKASTE.
Keiner kennt den Mörder; doch der Seher mag
Hinuntersteigen in die Gruft, da schon gesunken ist der Tag,
Und meines vor'gen Mannes Geist citiren, und der Schatten soll
Verkünden, der's am besten weiß, wer ihn erschlug so schaudervoll,
Daß noch nach zehen Jahren uns Verderben bringt die schnöde That;
Denn Lajus war ein braver Mann, und gar ein strenger Potentat!
OEDIPUS.
So sei's! Ihr Alle folget mir hinab zum Kirchhof, um sogleich
Wahrheit zu holen uns und Licht, und wär' es aus dem Todtenreich!
Ab mit den Uebrigen.
JOKASTE.
Mir ist so bang und schauerlich, als kam' ich just aus einem Stück
Von Müllner oder sonst wovon, wo man beträchtlich weint, zurück;
Denn eben hau' ich ein Gespräch mit unserm Knechte Melchior,
Zu forschen nach des Lajus Tod; doch bracht' er nichts Gescheutes vor:
Verlegen schien er und verblüfft, und dann gestand er noch zuletzt,
Daß unsern kleinen Sohn er einst den Thieren gar nicht vorgesetzt,
Daß jenes Kind noch lebt vielleicht, was mich erschreckt hat und bestürzt,
Da stets das Schicksal tückisch ist, sobald es seine Knoten schürzt.
Ab.
[161] Kirchhof mit Cypressen und Denkmälern. Tiresias,
den Zug führend, Oedipus mit dem ganzen Gefolge.
TIRESIAS.
Kommt heran, wir sind zur Stelle, diesen Hügel steigt herauf;
Aber tretet leise leise, wecket nicht die Todten auf!
OEDIPUS.
Männer, kommt mit euren Fackeln, bildet einen Kreis umher!
TIRESIAS.
Leise mit den Fackeln, leise; denn erwachen soll nur Er!
OEDIPUS.
Welch ein Vorgefühl befällt mich! Mir im Herzen starrt wie Eis
Jeder Tropfe Blutes!
TIRESIAS.
Wandelt leise!
OEDIPUS.
Bildet einen Kreis!
TIRESIAS.
Wecket nicht die Todten!
OEDIPUS.
Wehe! Düster mit Gewölk' umhing
Sich der ganze Himmel.
TIRESIAS.
Leise!
OEDIPUS.
Bildet einen großen Ring!
TIRESIAS.
Steig' empor, o Geist des Lajus! Wenn dem Tode was entschlüpft,
Wenn's ein Band giebt, das die Schatten an des Tags Gebilde knüpft,
Wenn die Seele nicht vergebens nach dem Wahrheitsfunken forscht,
Wenn ein Theilchen deines Wesens, nur ein Theilchen unvermorscht:
Bei den Wolken, über denen ewig jauchzt der Götter Chor,
Bei der Erde, voll von Moder, steige, steige, steig' empor!
Die Gewölke senken sich, die Fackeln verlöschen, der Geist des Lajus erscheint.
OEDIPUS.
Wehe! Welch Gespenst! Ich kenn' es! Mir vor Allen winkt es zu!
Mir, ich kenn' es!
[162]TIRESIAS.
Leise, Leise!
OEDIPUS.
Wer erschlug dich, Alter!
GEIST DES LAJUS.
Du!
Er verschwindet, die Fackeln entzünden sich.
OEDIPUS.
Wehe mir, wie früh vollendet seh' ich meiner Tage Lauf!
Ich erschlug ihn.
TIRESIAS.
Leise!
OEDIPUS.
Weh mir!
TIRESIAS.
Wecke nicht die Todten auf!
Die Vorigen. Jokaste.
OEDIPUS.
O Jokaste! Was geschehn ist, wurde klar, und was zu thun:
Deinen Gatten, ich erschlug ihn, übe selbst die Rache nun!
Nimm ein Schwert, und aus der Scheide zieh's mit eigner Hand heraus!
Meine nackte Brust, du siehst sie!
JOKASTE.
Wehe mir! Die Fledermaus!
OEDIPUS.
Welch ein neues Uebel?
JOKASTE.
Wahrgesprochen hat des Sehers Mund:
Daß ich dich, ich dich geboren, thut das Muttermal mir kund!
Unser Sohn, du bist es, den wir, als er kaum den Tag gesehn,
Ausgesetzt als Fraß den Thieren; doch es sollte nicht geschehn!
Man verschonte dich, dem Schicksal ließ man, uns zu strafen, Raum;
Doch ich eile fort und schleunig häng' ich mich an einen Baum.
Sie erhenkt sich im Hintergrunde.
TIRESIAS.
Jammer über Jammer!
JOKASTE.
Houwald!
[163]TIRESIAS.
Horch! Sie rief mit letzter Kraft
Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenschaft
Für den Sänger, die sie lebend stets in ihrer Brust verbarg.
OEDIPUS.
Männer Thebens, löscht die Fackeln, bringt herbei mir einen Sarg!
TIRESIAS.
Glücklich die hier unten schlummern, rings umher verscharrt im Sand:
Wenn die Erde dröhnt und zittert, halten sie dem Stoße
Stand; Doch auf ihrer Oberfläche bebt der Mensch auf seine Sitz,
Ueber'm Haupt ihm brüllt der Donner, ihm um's Auge zuckt der Blitz!
Oedipus! Dein Jammerschicksal nicht verschließ' es tief in's Herz,
Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz!
Bei den letzten Worten des Tiresias wird der Sarg gebracht und in die Mitte der Scene gestellt.
OEDIPUS.
Ich schaudre wechselnd vor mir selbst und staune,
Als ob wir Alle bloße Träume wären:
Da doch der Mensch nur ein Geschöpf der Laune,
So sollten Weiber lieber nicht gebären!
Wo ist des Ruhms allmächtige Posaune,
Die meinen Namen mitgetheilt den Sphären?
Wo sind die Harfen, welche siebentönig
Mich einst gepriesen als den größten König?
Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken
Und stürzen sah; doch ich bestand die Proben,
Und das, was Vielen ward zu Dornenranken,
Hab' ich zum Rosendiadem verwoben;
Und während tausend Nachen untersanken,
Ward ich vom leichten Element gehoben,
Durchschwamm die Fluthen mit behender Schnelle,
Und mich umtanzte voll Musik die Welle!
[164] Ich ging ein Jüngling, ungekannt von Allen
Wohin, so wähnt' ich, mich die Pythia schickte,
Und ließ die Herrscherworte kaum erschallen,
Als jedes Haupt sich beugte mir und nickte;
Doch war ich schon dem Untergang verfallen,
Eh' ich den Glanz der Sonne noch erblickte,
Und was ein Gott mir statt des Seins gegeben,
Ein Zweifel war es zwischen Tod und Leben.
Nun aber weiß ich, wem ich angehöre,
Als Kind zum Raube schon bestimmt den Thieren:
Es sagen mir's die stummen Trauerflore,
Die diesen Sarg zu meinen Füßen zieren,
Es rufen mir's der Sterne goldne Chöre,
Und was ich muß, das will ich auch verlieren,
Will ohne Schuld, doch solcher Thaten Thäter,
Lebendig steigen in die Gruft der Väter!
Er legt sich in den Sarg; während der Deckel geschlossen wird, fällt der Vorhang.