6.

Der Nordwind schnaubt durch das Gefild
Und bricht die Zweige im Gehege.
[121]
Des tiefsten Seelenjammers Bild
Sitzt eine bleiche Frau am Wege.
Die welken Hände in dem Schoß
Und aufgelöst die grauen Haare,
Versteinert, stumm und regungslos
Sitzt sie schon da seit manchem Jahre.
Nur wenn ihr müdes Aug' von fern
Des Wegs sieht einen Wandrer kommen,
Da scheint's, als sei ein Hoffnungsstern
In ihrer finstern Nacht erglommen.
Doch wenn er dann vorübergeht,
Verfällt auf's neu sie ihrem Leide
Und banger als zuvor durchspäht
Ihr Blick auf's neu die öde Haide.
Was grimm an ihrem Herzen nagt,
Was sie erlitt, vielleicht gesündigt,
Sie hat es keinem je geklagt,
Und selbst dem Priester nicht verkündigt.
Man weiß nur, daß ein schwerer Schlag
Sie in des Wahnsinns Nacht verstoßen:
Es haben ihr die Sassenagh
Zu Stirling ihren Sohn erschossen. – –
Wer durch die stille Haide geht
Und sieht sie kauern auf der Erde,
Der murmelt wohl ein fromm Gebet,
Daß ihrem Herzen Friede werde.
Doch dunkel loht's aus ihrem Blick:
Im Leben nicht und nicht im Sterben!
Er war mein Stolz, er war mein Glück,
Und ich – ich stieß ihn in's Verderben!

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