Das erste Klagelied
Wie steht die waise Statt, wie steht sie so verlassen,
Sieht einer Witwen gleich, ist leer auff allen Gassen?
Muß dann der Völcker Lust, der Stätte Zier und Schein,
Der Länder Königinn, muß die jetzt zinßbar sein?
Wie weint sie, wann die Nacht, die Amme der Gestirne,
Den stillen Weltkreiß deckt? wie macht sie ihr Gehirne
Vom Heulen wüst' und matt, wie fleust der Threnen Bach
Die bleichen Wangen ab, weil ja ihr Ungemach
Kein Mensch nit trösten wil? hat dann der Freundtschafft Orden
So gar den Meineid lieb? sind alle treuloß worden?
[244]Wie reiset Juda doch, wie reiset sie doch hin,
Bestrickt in Dienstbarkeit? Wie muß die Arme ziehn
Verachtet und betrübt von einem zu dem andern,
Bald diß bald jenes Land ohn alle Ruh durchwandern?
Es kriegt und haschet sie daselbst ein jederman,
Der sie verfolget hat, wo sie nicht fliehen kan.
Der Weg nach Zion hin liegt allerseits verwüstet,
Weil keinen auff ein Fest zu kommen mehr gelüstet;
Die Thore stehen leer, die Priester sind in Noth,
Die Jungfraun krencken sich, und sie ist selbst halb todt.
Der Widersacher Haupt muß sie empor sehn schweben,
Muß ihre Feinde sehn in Lust und Freuden leben;
Dann Gott hat sie gestrafft, hat ihrer Kinder Heer
Gefangen weg geschickt, weil sie sich hoch und schwer
An ihm versündigt hat. Man wird nun nicht mehr schauen
Der Tochter Zion Schmuck, wie Wieder nach den Auen
Gantz matt und hungrig sehn und schlägebäuchig ziehn
Ohn alle Weid' und Graß für ihrem Treiber hin,
Sind ihre Fürsten auch. Jerusalem die kräncket
Ihr Hertz' ohn Unterlaß, wann sie zurücke dencket,
Wer sie fürweilen war und wer sie nun muß sein,
Die edle werthe Statt; es frist ihr Marck und Bein,
Daß sie ihr Volck soll sehn zu ihres Feindes Füssen,
Und niemand hilfft ihr nicht, kein Mensch will von ihr wissen:
Sie ist der Feinde Lust, sie spotten sie darzu
Und lachen hönisch auß deß Sabbaths ware Ruh.
Es hat Jerusalem viel Aergerniß gegeben,
Und Gottes Rach' erweckt; drumb muß sie jetzund leben
Als ein beflecktes Weib. Dieweil man sehen kan,
Wie ihr Scham entblöst, so scheut sie jederman,
Der vormals sie geehrt; sie aber holt vom Hertzen
Viel Seufftzer tief herauß und hat für Schand und Schmertzen
Das Antlitz weggekehrt, das Antlitz, das ihr roth
Für Scham und Weinen ist, das ihre grosse Noth
Mit Stilleschweigen sagt. Es klebt ihr an dem Saume
Der Unflat jetzund noch, sie hett' ihr auch im Traume
Für diesem nie gedacht auff eine solche Zeit
Wie jetzt für Augen ist; sie ist ja gar zu weit
Und hoch herab gestürzt; und neben diesem allen
Thut niemand auff der Welt ihr so viel zu Gefallen,
Daß er sie trösten mag. Ach, Herr Gott, laß nicht mehr
Mein Elend über mir; der Feind prangt ja zu sehr.
[245]Er hat hinweg geraubt den Vorrath von Geschmeiden,
Und ihre gantze Zier. Sie hat gesehn die Heyden
Gehn in ihr Heiligthum, da dein Befehl doch ist,
Sie solten umb das Volck, das du dir außerkiest
In Ewigkeit nicht sein. All' ihre Leute stehen
Und seufftzen für und für, sie müssen betteln gehen,
Sie geben ihren Schmuck für Brod und Speise hin,
Zu laben ihren Geist. Sieh, Herr, wie schnöd' ich bin,
Sieh' und betrachte mich. Schaut, die ihr geht fürüber,
Schaut, sag' ich, mein Noth; ist auch ein Schmertze drüber
Auff dieser weiten Welt? Diß hat der Herr gemacht,
Als seines Zornes Krafft ist grimmig auffgewacht
Und sich ergossen hat; er hat hoch auß den Lüfften
Ein Feuer hergesandt in meiner Beine Klüfften,
Und ihm Gewalt ertheilt; er hat ein Garn gestellt
Zu fangen meinen Fuß, und mich zurück geprellt.
Er hat mich so verwaist, daß ich nun alle Tage
Mit Angst und Traurigkeit mich übel schänd' und plage
Und keine Ruh nicht weiß; durch seiner Straffe Macht
Ist meine schwere Last der Sünden auffgewacht
Und gantz auff meinen Halß mit hellem Hauffen kommen,
Daß alle Stärck und Krafft mir wird hinweg genommen:
Er hat mich in die Hand derselben eingethan,
In derer Härtigkeit ich nichts mich regen kan.
Der Herr hat gantz zermalmt und zornig auffgerieben
Die Starcken, so ich hatt'; er hat weit außgeschrieben
Ein Freyfest über mich, daß was für Mannschafft noch
Mir übrig blieben ist ingleichen trag' ein Joch.
Der Tochter Juda hat der Herr auß grossem Hassen
Und Eyfer über sie den Kelter tretten lassen.
Drumb wein' ich fort für fort, drumb rinnt das Wasser mir
Auß beyder Augen Quell ohn Unterlaß herfür.
Mein Hort und Auffenthalt, der meinen Geist und Sinnen
Mit Trost' erquicken soll, ist ja zu weit von hinnen,
Die Kinder sind hinweg; dieweil deß Feindes Macht
Und Stärcke mich und sie hat unter sich gebracht.
Wie streckt doch Zion auß die vormals zarten Hände
Und ist auch niemand nicht, der ihren Kummer wende
Und sprech ihr freundlich zu. Der sehr erzürnte Gott
Gibt rings umb Jacob her den Feinden ein Gebott,
Daß sein Jerusalem, mit Schmach und Hohn umbgeben,
Als die nicht redlich ist, soll zwischen ihnen leben,
Und daß sie wie ein Weib nechst ihnen wohnen muß,
Die da besudelt ist durch ihrer Blume Fluß.
[246]Der Herr der ist gerecht, dann ich hab' ihn verletzet
Und seinem Munde mich auß Trutze widersetzet.
Hört, alle Völcker, hört, schaut meinen Schmertzen an,
Ach, meine Jungfraun sind gefänglich eingethan,
Und meine Jüngling' auch. Ich ruffte mit Verlangen
Auff meiner Freunde Schar, sie aber sind entgangen
Und haben mich beruckt. Die Eltesten der Statt
Und Priester haben auch zu essen nur nicht satt;
Ihr Magen ist verdorrt, sie müssen Stück zu Stücken
Das Brod erbitten gehn, die Seele zu erquicken.
Ach, Herr Gott, siehe doch, ich sterbe nunmehr schier
Für Angst und Bangigkeit, die Därm' erschüttern mir,
Das Hertz im Leibe wallt, dann ich bin hoch betrübet;
Von aussen ist das Schwerd, so mir viel Streiche giebet
Und nach der Seelen steht, im Hause hat der Todt
Zur Widwen mich gemacht, man höret meine Noth,
Man höret sie ja wol, ich seufftze stets und weine
Und habe keinen nicht, der mich mit Treuen meine;
Die Feinde freuen sich, daß ich so kläglich thu,
Sie hören mich mit Lust. Diß alles machest du.
Ach, daß die Sonne doch auff ihrem güldnen Wagen
Den Tag nicht jetzt bald bringt, den dir schon anzusagen
Zuvor beliebet hat, an dem es gleich so wol
Auch ihnen eben so wie mir ergehen soll!
Laß ihre böse That für dein Gesichte kommen
Und schlag sie, wie du mich hast jetzund fürgenommen
Von wegen meiner Schuld und eyfrig außgeübt,
Dann, Herr, ich seufftze viel, mein Hertz' ist hoch betrübt.