Zweiunddreißigste Erzählung.

Wie ein Mann seine ehebrecherische Frau härter als mir dem Tode bestraft.


Der König Karl VIII. schickte einmal nach Deutschland einen Edelmann, namens Bernage von Civrai, aus der Nähe von Amboise, welcher, um in möglichster Geschwindigkeit seine Reise zu vollenden, Tag und Nacht ununterbrochen fuhr, so daß er eines Abends zu [248] schon vorgerückter Stunde auf das Schloß eines Edelmanns kam, bei dem er um Nachtquartier bat, welches ihm, allerdings nur nach langem Hin-und Herreden, eingeräumt wurde. Als aber der Edelmann hörte, daß der Fremde in Diensten eines so mächtigen Königs stehe, ging er ihm entgegen und bat ihn wegen der abweisenden Haltung seiner Dienerschaft um Entschuldigung; wegen einiger ihm übelwollender Verwandten seiner Frau sei er nämlich genöthigt, sein Haus vor allem Besuch verschlossen zu halten. Abends erzählte der fremde Edelmann den Zweck seiner Mission, worauf der Edelmann sich erbot, dem König, so weit es in seinen Kräften stehe, ebenfalls behülflich zu sein, und seinen Gast in sein Schloß führte, wo er ihn gut unterbrachte und standesgemäß bewirthete. Als nun die Stunde des Abendessens herankam, führte ihn der Edelmann in ein sehr schön ausgestattetes Zimmer. Als die Speisen aufgetragen waren, sah er hinter einem Vorhang eine Frau von ganz besonderer Schönheit heraustreten, deren Kopfhaar jedoch bis auf die Wurzel abgeschnitten und die im übrigen nach deutscher Sitte ganz in Schwarz gekleidet war. Nachdem sich der Edelmann und Bernage die Hände gewaschen hatten, brachte man die Schüssel zu jener Dame, die sich ebenfalls die Hände bespülte und dann am unteren Ende der Tafel Platz nahm, ohne zu jemandem zu sprechen, und ohne daß ein anderer mit ihr sprach. Der Ritter von Bernage sah sie oft an, und sie schien ihm eine der schönsten Frauen zu sein, die er je gesehen hatte, nur daß sie sehr blaß und sehr traurig aussah. Nachdem sie etwas gegessen hatte, begehrte sie zu trinken; ein Diener brachte ihr Wasser in einem Todtenkopf, dessen Oeffnungen mit Silber verlöthet waren, und aus dem sie zwei- bis dreimal trank. Nachdem sie zu Ende gespeist und sich die Hände gewaschen hatte, verbeugte sie sich vor dem Hausherrn und ging wieder hinter den Vorhang zurück, ohne ein Wort zu sprechen. Bernage war sehr verwundert über dieses seltsame Gebahren und wurde ganz nachdenklich und traurig. Sein Wirth sah es und sagte: »Ich sehe wohl, daß Ihr über das, was Ihr hier an diesem Tische gesehen habt, sehr erstaunt seid; da ich Euch aber für sehr ehrbar halte, will ich Euch den Zusammenhang mit theilen, damit Ihr nicht denkt, ich sei ohne Veranlassung so grausam. Die [249] Dame, die Ihr gesehen habt, ist meine Frau, die ich mehr geliebt habe, als je ein Mann die seine lieben konnte. So ließ ich, um sie zu heirathen, alle Rücksichten außer Berechnung und führte sie gegen den Willen ihrer Eltern hierher. Auch sie zeigte mir so große Zuneigung, daß ich tausendmal mein Leben hingegeben hätte, um das ihre zu einem glücklichen zu machen. So lebten wir lange in Ruhe und Zufriedenheit, und ich hielt mich für den glücklichsten Edelmann der Christenheit. Während einer Reise aber, die ich nothwendig aus Ehrengründen machen mußte, vergaß sie ganz ihre Ehre, ihr Gewissen und ihre Liebe zu mir und ging ein Verhältniß mit einem jungen Mann ein, den ich hier großgezogen hatte. Schon bei meiner Rückkehr hätte ich es bemerken können; aber meine Liebe zu ihr war so groß, daß ich an ihr nicht zweifeln wollte, bis die Erfahrung mir die Augen öffnete und ich das sah, was ich mehr als den Tod fürchtete. Meine Liebe wandelte sich nun in Verzweiflung und Zorn; ich lauerte ihr also auf und eines Tages that ich, als ginge ich aus, versteckte mich aber in ihrem Zimmer, in welchem sie heute noch wohnt, und sah, wie sie bald nach meinem vermeintlichen Weggehen sich dorthin zurückzog und den jungen Ritter zu sich kommen ließ; dieser kam mit der Ungezwungenheit herein, wie nur ich sie mir ihr gegenüber erlauben darf. Als ich aber sah, daß er sich zu ihr in ihr Bett legen wollte, trat ich aus meinem Versteck hervor, packte ihn in ihren Armen und tödtete ihn. Doch das Verbrechen meiner Frau schien mir zu groß, als daß ihr Tod Strafe genug für sie gewesen wäre, ich legte ihr deshalb eine Buße auf, die mir schwerer als den Tod zu erleiden schien. Ich schloß sie in das Zimmer ein, in das sie sich immer, um ihrem Vergnügen nachzugehen, mit dem, den sie mehr als mich selbst liebte, zurückgezogen hatte. In einem Schrank dieses Zimmers hing ich das Skelett ihres Geliebten auf, wie man etwas besonders Kostbares in einem Kabinet aufbewahrt. Damit sie auch immer an ihr Vergehen erinnert wird, lasse ich ihr bei Tische in meiner Gegenwart die Getränke, anstatt in einem Glase, im Schädel dieses Treulosen darreichen; damit sie den, den sie durch ihren Fehler sich zum Todfeind gemacht hat, nämlich mich, lebend und ihren Vielgeliebten, dessen Freundschaft sie der meinen vorzog, todt immer vor Augen [250] habe. So sieht sie bei ihren Mahlzeiten die beiden Sachen, die ihr am unangenehmsten sein müssen, ihren Feind am Leben und ihren Freund todt, und alles durch ihre Schuld. Im übrigen wird sie wie ich selbst behandelt, nur geht sie mit geschorenem Kopf, denn der Haarschmuck geziemt sich nicht für eine Ehebrecherin, wie der Schleier nicht für eine Unzüchtige. Deshalb habe ich ihr die Haare abschneiden lassen, um damit anzuzeigen, daß sie ihre Ehre, Scham und Keuschheit verloren hat. Wenn Ihr Euch die Mühe nehmen wollt, will ich Euch zu ihr führen.« Bernage war damit einverstanden. Sie gingen hinunter und fanden sie in einem sehr schönen Zimmer vor dem Kamin sitzend. Der Edelmann zog einen Vorhang fort, der vor einem Schrank hing, und dahinter sah man ein Menschenskelett. Bernage wollte gern mit der Dame sprechen, aber aus Rücksicht für den Edelmann unterließ er es. Dieser aber bemerkte es und sagte ihm: »Wenn Ihr zu ihr reden wollt, werdet Ihr sehen, wie gut und gewandt sie spricht.« Bernage sagte ihr nun: »Madame, wenn Eure Geduld Eurer Marter gleicht, so schätze ich Euch für die glücklichste Frau der Welt.« Sie antwortete mit thränendem Auge und einer demuthsvollen Anmuth: »Ich weiß, meine Sünde ist so groß, daß alle Qualen, die mein Herr und Gebieter (den ich nicht werth bin, meinen Gatten zu nennen) mir auferlegen kann, nichts im Vergleich zu dem Bedauern darüber sind, daß ich ihn verletzt habe.« Während sie das sagte, begann sie heftig zu schluchzen. Der Edelmann zog Bernage am Arm mit sich fort. Am anderen Morgen reiste dieser frühzeitig fort, um den Auftrag seines Königs auszuführen. Als er sich aber von dem Edelmann verabschiedete, sagte er zu diesem: »Die Liebe, die ich für Euch hege, und die ehrenvolle und freundschaftliche Aufnahme, die ich in Eurem Hause gefunden habe, mögen es entschuldigen, wenn ich Euch sage, daß Ihr, in Anbetracht der aufrichtigen Reue Eurer Frau, Mitleid mit ihr haben solltet und auch berücksichtigen, daß Ihr noch jung seid und keine Kinder habt. Es wäre schade, wenn ein so angesehener Name mit Euch ausstürbe, und daß vielleicht Leute, die Euch nicht wohlgesinnt sind, Eure Erben würden.« Der Edelmann, der entschlossen war, kein Wort mehr mit seiner Frau zu sprechen, dachte lange über den Rath seines Gastes nach und sah schließlich ein, [251] daß dieser Recht habe, versprach ihm auch, wenn sie in dieser demüthigen Reue verharre, mit ihr Mitleid zu haben. Bernage reiste dann wegen seines Auftrages ab, als er aber wieder an den Hof seines Herrn, des Königs, gekommen war, erzählte er ihm diese ganze Geschichte, die den Fürsten lebhaft interessirte, und da jener auch viel von der Schönheit der Dame gesprochen hatte, schickte er seinen Maler, Johann von Paris, aus, um von dieser Dame ein Portrait nach dem Leben zu nehmen. Dieser that es mit Bewilligung des Edelmanns. Nach langer Zeit der Reue, sowohl dem Verlangen, Nachkommen zu haben, wie auch aus Mitleid mit seiner Frau, die in großer Demuth die schwere Buße getragen hatte, söhnte sich derselbe auch mit seiner Frau aus und erhielt von ihr eine ganze Reihe schöner Kinder.

»Wenn nun, meine Damen«, fuhr Oisille fort, »alle die, denen Gleiches begegnet ist, ebenfalls aus solchen Trinkbehältern trinken sollten, so fürchte ich, viele goldene Becher würden in Totenköpfe umzuwandeln sein. Gott behüte uns davor; denn wenn seine Güte uns nicht hält, ist keiner unter uns, der nicht noch Schlimmeres thun könnte. Aber wenn man Vertrauen zu ihm hat, wird er diejenigen schützen, welche frei bekennen, daß sie sich nicht selbst schützen können. Diejenigen hingegen, welche sich auf ihre Kraft und Tugend verlassen, sind in großer Gefahr, in der Versuchung doch ihre Unzulänglichkeit eingestehen zu müssen. Ich versichere Euch, ich habe manche Leute mit großem Selbstvertrauen und Stolz bei Gelegenheiten straucheln sehen, wo andere, die man für viel weniger tugendhaft hielt, gerade durch ihre Demuth gerettet wurden. So sagt auch das alte Sprüchwort, was Gott beschützt, ist wohl geschützt.« Parlamente sagte: »Ich finde diese Bestrafung ganz richtig, denn wie die Beleidigung schlimmer als der Tod ist, so auch die Bestrafung.« »Ich mache einen anderen Schluß«, sagte Emarsuitte, »ich will z.B. lieber mein Leben lang die Skelette aller meiner ergebenen Freunde in meinem Zimmer haben, als für sie sterben, denn es giebt kein Verbrechen, das sich nicht sühnen ließe, nach dem Tode aber kann man nichts mehr sühnen.« »Wie«, wandte Longarine in, »kann man solche Schandthat sühnen? Ihr wißt doch, wie es eine Frau auch anstellen möge, nach einem Fehltritt kann sie ihre Ehre nicht wiederherstellen.« »Ich bitte Euch«, sagte Emarsuitte, [252] »genießt jetzt die heilige Magdalena nicht ebensoviel Ehre unter den Menschen, wie ihre jungfräuliche Schwester?« »Es ist richtig«, gab Longarine zu, »daß sie bei uns wegen ihrer großen Liebe zu Jesus Christus in hohem Ansehen steht; immerhin behält sie aber den Namen einer Sünderin.« »Mir ist es gleich«, sagte Emarsuitte, »welchen Namen die Menschen mir geben; aber wenn Gott mir und meinem Mann unsere Sünden verzeiht, so wüßte ich nicht, weshalb ich mir den Tod wünschen sollte.« Dagoucin sagte: »Wenn jene Frau ihren Mann wirklich liebte, wie es ihre Pflicht war, so wundere ich mich, daß sie nicht vor Kummer starb, als sie zuerst das Skelett desjenigen sah, der durch ihre Schuld umkam.« »Wie, Dagoucin«, rief Simontault, »muß man Euch noch sagen, daß die Frauen weder Liebe noch Bedauern haben?« Jener antwortete: »Freilich weiß ich nichts davon, denn ich habe nie ihre Liebe zu prüfen gewagt, aus Furcht, weniger, als ich begehre, zu finden.« »Ihr lebt also von Glauben und Hoffnung«, sagte Nomerfide, »wie der Regenpfeifer vom Winde? Ihr seid leicht zu erhalten.« »Ich begnüge mich mit der Liebe, die ich in mir fühle, und mit der Hoffnung, die ich auf das Herz der Damen setze; aber wenn ich es verstände, mir Liebe zu erwerben, wie ich sie erhoffe, würde ich eine so grenzenlose Befriedigung fühlen, daß ich daran sterben würde.« »Hütet Euch vor dieser Krankheit, wie vor der Pest, sie ist nicht anders, versichere ich Euch«, sagte Guebron; »nun möchte ich aber gern wissen, wem Frau Oisille das Wort geben wird.« »Ich gebe es Simontault, der, wie ich wohl weiß, niemanden schonen wird.« Dieser erwiderte: »Dann könntet Ihr auch gleich sagen, daß ich schmähsüchtig bin. Immerhin will ich Euch sagen, daß auch Schmähsüchtige die Wahrheit sagen können. Ihr wäret doch auch nicht einfältig genug, meine Damen, an alle hier erzählten Geschichten zu glauben, welchen Anschein von Wahrhaftigkeit sie auch haben möchten, wenn dieselben nicht so unter Beweis gestellt würden, daß man Zweifel daran nicht mehr haben kann. Ebenso wird aber auch unter dem Deckmantel eines Wunders großer Mißbrauch getrieben; deshalb will ich Euch eine Geschichte erzählen, welche ebensowohl zum Lobe des gottesfürchtigen Prinzen, der darin vorkommt, wie zur Unehre eines Geistlichen gereicht.«

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