Zweiundvierzigste Erzählung.

Von der Zurückhaltung eines jungen Mädchens gegenüber den hartnäckigen Nachstellungen eines in sie verliebten Prinzen, und von dem glücklichen Erfolg des Mädchens.


In einer der größeren Städte der Touraine lebte ein junger Prinz aus großem, angesehenen Hause, welcher dort von seiner frühesten Jugend auf erzogen worden war. Von seinen Vollkommenheiten, seiner Anmuth und Schönheit und seinen großen Tugenden will ich nichts weiter sagen, als daß er zu seiner Zeit seinesgleichen nicht fand. Als er fünfzehn Jahre alt geworden war, fand er größeres Vergnügen daran, auf Jagden zu gehen, als sich die schönen Damen anzusehen. Als er nun eines Tages in der Kirche war, erblickte er ein junges Mädchen, welches ehemals in ihrer Kindheit auf dem Schlosse, wo er wohnte, erzogen worden war. Nach dem Tode ihrer Mutter hatte sich ihr Vater zurückgezogen, und sie war mit ihrem Bruder nach Poiton gegangen. Dieses Mädchen, namens Françoise, hatte eine Halbschwester, welche ihr Vater sehr liebte und an den Vorsteher der Hofkellerei des junger Prinzen verheirathet hatte, auf den sie größere Stücke hielt, als auf irgend einen sonst aus diesem Hause. Der Vater starb und hinterließ als Erbtheil der Françoise, was er an Liegenschaften in der Nähe dieser Stadt hatte; sie zog sich deshalb nach seinem Tode auf ihr Gut zurück, und da sie heirathsfähig und sechzehn Jahre alt war, wollte sie nicht allein in ihrem Hause bleiben und gab sich bei ihrer Schwester, der Schaffnerin, in Pension. Als der junge Prinz sah, daß die junge Brünette von einer Schönheit und [296] Anmuth war, wie sie in ihrem Stande sich für gewöhnlich nicht fand (sie schien nämlich eher ein Edelfräulein oder eine Prinzessin zu sein als ein Bürgermädchen), betrachtete er sie lange. Er, der noch niemals geliebt hatte, fühlte in seinem Herzen eine ungewohnte Freude, und als er in seine Wohnung zurückgekommen war, erkundigte er sich nach der, die er in der Kirche gesehen hatte, und erfuhr, daß sie früher in ihrer Kindheit oft nach dem Schloß gekommen war, um mit seiner Schwester zu spielen. Er rief sie dieser ins Gedächtniß zurück, worauf seine Schwester sie holen ließ, sie freundlich empfing und sie bat, öfters zu ihr zu kommen. Sie that es auch, wenn dort eine Hochzeit gefeiert oder Gesellschaft gegeben wurde; der junge Prinz betrachtete sie gern und nahm sich vor, sie recht zu lieben, und da er wußte, daß sie von niederer Abkunft war, glaubte er leicht zum Ziele zu kommen. Da er aber keine Möglichkeit fand, mit ihr allein zu sprechen, schickte er einen Edelmann aus seinem Gefolgt zu ihr, um für ihn zu sprechen. Sie aber, die verständig und gottesfürchtig war, antwortete ihm, daß sie nicht glauben könne, daß sein Herr, ein so schöner und edler Prinz, Vergnügen daran finde, ein so niedriggeborenes Mädchen, wie sie sei, zu betrachten, da ja auf dem Schlosse, wo er wohne, so viele schöne Frauen seien, daß er nicht nöthig habe, in der Stadt nach anderen zu suchen, und daß sie deshalb nur annehmen könne, er sage das von sich selbst aus, ohne einen Befehl seines Herrn. Als der junge Prinz diese Antwort gehört hatte, ließ die Liebe, welche, wo sie Widerstand findet, nur um so fester sich anklammert, ihn mit größerem Feuer als bisher sein Vorhaben verfolgen. Er schrieb ihr deshalb einen Brief und bat sie, alles, was der Edelmann ihr gesagt habe, für Wahrheit zu nehmen. Da sie sehr gut schreiben und lesen konnte, las sie seinen Brief durch, wollte aber, so sehr der Edelmann sie auch bat, keine Antwort darauf geben, indem sie sagte, daß es einer Person von so niederem Stande nicht zukomme, an einen so hochstehenden Prinzen zu schreiben. Sie bäte ihn aber, sie nicht für so thöricht zu halten, daß sie etwa sich einbilde, er stelle sie so hoch, daß er wirklich eine Neigung für sie hege, und daß er, wenn er vermeine, er könne wegen ihrer niederen Abkunft sie leicht gewinnen, sich täusche, denn sie halte sich für [297] eben so anständig, wie die angesehenste Prinzessin der Christenheit, und sie kenne keinen größeren Schatz als Ehre und Gewissen. Sie bäte ihn auch, sie nicht zu verhindern, diesen Schah ihr Leben lang zu behalten, denn, müßte sie auch sterben, so würde sie doch ihre Meinung nicht ändern. Dem jungen Prinzen gefiel diese Antwort nicht sonderlich; er liebte sie deshalb nicht minder und er verfehlte nicht, wenn sie zur Messe kam, seinen Stuhl in ihre Nähe zu rücken, und während des Gottesdienstes betrachtete er sie immer. Als sie das merkte, wechselte sie ihren Platz und ging in eine andere Kapelle, nicht, um ihn nicht zu sehen, (denn sie wäre unvernünftig gewesen, wenn sie nicht ein Vergnügen daran empfunden hätte, ihn zu betrachten,) sondern weil sie befürchtete, von ihn gesehen zu werden. Da sie sich nun nicht für würdig hielt, von ihm auf ehrenhafte Weise geliebt und geheirathet zu werden, wollte sie ihm andererseits auch nicht zu seinem Vergnügen angehören. Als sie weiter bemerkte, daß, wohin sie sich auch in der Kirche begeben mochte, der Prinz immer in ihrer Nähe sich die Beichte abnehmen ließ, wollte sie nicht mehr in diese Kirche kommen, suchte vielmehr alle Tage die entlegenste auf. Und wenn auf dem Schlosse Feste gefeiert wurden, wollte sie sich, so sehr sie auch von der Schwester des Prinzen dazu gedrängt wurde, nicht mehr dort einfinden, sondern entschuldigte sich mit Unwohlsein. Als nun der Prinz sah, daß er nicht mit ihr sprechen konnte, nahm er seinen Kellermeister zu Hülfe und versprach ihm, wenn er ihn in dieser Angelegenheit unterstütze, Reichthum und Belohnungen.

Dieser ging bereitwillig auf den Vorschlag ein, sowohl um seinem Herrn zu gefallen, als auch wegen der Belohnungen, die er erhoffte, und berichtete dem Prinzen genau, was sie Tag für Tag sagte und that, daß sie aber, soweit sie könne, der Gelegenheit, ihn zu sehen, aus dem Wege gehe. Das große Verlangen, sie einmal allein zu sehen, ließ ihn nun auf folgende List kommen. Eines Tages begab er sich mit seinen Pferden, mit denen er schon recht gut umzugehen verstand, auf einen großen Platz der Stadt vor das Haus des Schaffners, wo auch Françoise wohnte, und nachdem er hin und her galoppirt war und seine Pferde Sprünge hatte machen lassen, was sie Alles mit ansah, ließ er sich an einer Stelle, [298] wo Koth und Schlamm war, vom Pferde zu Boden werfen, und obgleich er weich gefallen war und sich nicht beschädigt hatte, klagte er doch sehr und fragte, ob nicht in der Nähe ein Haus sei, in welchem er seine Kleider wechseln könne. Jeder beeilte sich, ihm sein Haus anzubieten, einer sagte ihm aber, das seines Schaffners sei das nächste und auch angesehenste, er wählte also dieses vor allen andern. Er fand ein wohlausgestattetes Zimmer, zog sich dort bis aufs Hemde aus, denn alle seine Kleider waren mit Koth bedeckt, und legte sich in ein Bett. Als er nun sah, daß Alle, der Edelmann ausgenommen, fortgeeilt waren, um ihm frische Kleider zu bringen, ließ er seinen Wirth und dessen Frau rufen und fragte nach Françoise. Sie hatten Mühe, sie zu finden; denn sobald sie gesehen hatte, daß der junge Prinz das Haus betrat, hatte sie sich in dem verborgensten Winkel versteckt. Ihre Schwester fand sie jedoch und bat sie, doch keine Furcht zu haben, mit einem so ehrbaren und tugendhaften Prinzen zu sprechen. Sie antwortete: »Wie, meine Schwester, Ihr, die ich wie eine Mutter achte, rathet mir, mit einem Prinzen zu sprechen, dessen geheimes Verlangen, wie Ihr wißt, mir nicht unbekannt ist?« Die Schwester machte ihr aber so viele Vorstellungen und versprach ihr, sie nicht allein zu lassen, daß sie schließlich mitging, aber sie sah so blaß und niedergeschlagen aus, daß sie eher Mitleid als Begierde erregte. Als der junge Prinz sie neben seinem Bett sah, nahm er ihre kalte und zitternde Hand in die seine und sagte: »Haltet Ihr mich für einen so schlechten und grausamen Menschen, daß ich die Frauen esse, wenn ich sie nur ansehe? Weshalb fürchtet Ihr Euch so sehr vor demjenigen, der nur auf Eure Ehre und Euren Vortheil bedacht ist? Ihr wißt, wo es mir nur möglich war, habe ich versucht, Euch zu sehen und mit Euch zu sprechen; es ist mir aber nicht gelungen, und um mir noch besonderen Verdruß zu machen, habt Ihr den Ort geflohen, wo ich gewohnt war, Euch bei der Messe zu sehen, so daß ich, der ich schon nicht mit Euch sprechen konnte, auch das Vergnügen, Euch zu sehen, verlor. Alles das hat Euch aber nichts genutzt. Ich habe nicht geruht, bis ich auf die Art und Weise, die Ihr ja selbst mit angesehen habt, hierher gekommen bin, und ich habe mich der Gefahr ausgebt, mir das Genick zu [299] brechen, indem ich mich absichtlich vom Pferde fallen ließ, nur um die Befriedigung zu haben, mit Euch ungestört sprechen zu können. Deshalb bitte ich Euch, Françoise, da ich diese Gelegenheit mit so viel Mühe erstritten habe, laßt mich nicht umsonst gekommen sein und mich mit meiner großen Liebe die Eure gewinnen.« Nachdem er lange auf eine Antwort gewartet hatte und die Thränen in ihren Augen und ihren gesenkten Blick sah, zog er sie so nah als möglich zu sich heran und wollte sie umarmen und küssen. Sie sagte ihm aber: »Nein, mein Prinz, nein; was Ihr verlangt, kann nicht geschehen. Denn wenn ich auch neben Euch nur ein unbedeutendes Mädchen bin, halte ich doch meine Ehre so hoch, daß ich lieber sterben möchte, als sie verringert sehen, welche Freude ich auch damit eintauschen möchte. Der Gedanke, daß die Menschen, die Euch hierherkommen sahen, andere Vermuthungen aufstellen möchten, flößt mir schon Furcht und Zittern ein, und da Ihr mir die Ehre erweist, frei mit mir zu reden, werdet Ihr mir auch verzeihen, daß ich Euch eine Antwort, wie meine Ehre sie gebietet, gebe. Ich bin nicht so einfältig und so blind, mein Prinz, daß ich nicht die Schönheit und Anmuth sehen sollte, die Gott Euch verliehen hat, und daß ich nicht die für die glücklichste Frau schätzen sollte, der Ihr mit Leib und Seele angehören werdet. Aber was hilft mir das, da ich oder eine Frau meines Standes es nicht sein wird, und da für mich schon der Gedanke daran reine Thorheit wäre? Welchen andern Grund soll ich dafür suchen, daß Ihr Euch an mich wendet, als daß die Damen Eures Hofes (die Ihr lieben müßt, wenn anders Ihr Schönheit und Anmuth überhaupt liebt) so tugendhaft sind, daß Ihr nicht wagt und auch nicht hofft, von ihnen etwas zu erlangen, was Ihr bei der Niedrigkeit meines Standes bei mir zu erreichen hofft? Auch bin ich gewiß, wenn Ihr bei Personen meines Standes Erfüllung Eures Wunsches fändet, so wäre das für Euch nur ein Stoff, Eure Geliebte zwei Stunden länger zu unterhalten, indem Ihr von Euren Liebesabenteuern auf Unkosten der Schwächeren erzählt. Ihr mögt aber einsehen, mein Prinz, daß ich nicht von dieser Art bin. Ich bin in einem Hause auferzogen worden, wo ich gelernt habe, was wahrhaft lieben heißt; mein Vater und meine Mutter [300] gehörten zu Euren ergebensten Dienern. Da mich Gott nun nicht zu einer Prinzessin gemacht hat, die Ihr heirathen könntet, noch ich von so hoher Geburt bin, um die Dame Eures Herzens und Eure Freundin zu sein, so bitte ich Euch, mich nicht zu einem jener unglücklichen, mißachteten Geschöpfe zu machen; ich meinerseits kann nur wünschen, daß Ihr einer der glücklichsten und geachtetsten Prinzen der Christenheit werden möget. Wenn Ihr zu Eurem Zeitvertreib Mädchen meines Standes sucht, so werdet Ihr in dieser Stadt um vieles schönere als mich finden, welche sich nicht so lange bitten lassen werden. Haltet Euch also an diejenigen, denen Ihr nur ein Vergnügen bereitet, wenn Ihr ihnen ihre Ehre abkauft, und bedrängt nicht mehr diejenige, welche Euch mehr als sich selbst liebt. Denn wenn es sich heute darum handelte, daß mein oder Euer Leben Gott geopfert würde, so würde ich mich glücklich schätzen, das meine hinzugeben, um das Eure zu retten. Es ist nicht Mangel an Liebe, daß ich Eure Person fliehe, sondern nur, weil ich mein und Euer Gewissen mehr liebe; denn meine Ehre steht mir höher als mein Leben. Wenn es Euch beliebt, mein Prinz, bewahrt mir Eure Gunst, und ich will mein Leben lang zu Gott für Euer Heil und Euer Wohlergehen beten. Es ist wohl wahr, daß die Ehre, die Ihr mir erweist, mich über die Leute meines Standes emporheben wird; denn welchen mir gleichstehenden Mann möchte ich noch betrachten, nachdem ich Euch gesehen habe? So wird mein Herz immer fern bleiben und nur die Verpflichtung in ihm wohnen, für Euch zu Gott zu beten, und das will ich immer thun; einen anderen Dienst kann ich aber auch Euch niemals leisten.« Als der junge Prinz diese tugendhafte Antwort hörte, konnte er, obwohl sie nicht nach seinem Wunsche ausfiel, sie deshalb doch nicht geringer achten. Er that sein Möglichstes, um sie zu überzeugen, daß er niemals eine andere Frau als sie lieben könnte; sie war aber vernünftig genug, auf eine so unbedingte Versicherung nichts zu geben. Während dieses Hin- und Herredens empfand er so viel innere Befriedigung und fühlte sich dabei so wohl, daß er, obgleich ihm gemeldet wurde, seine Kleider seien vom Schloß gekommen, sagen ließ, er schlafe, und blieb, bis die Stunde des Abendessens gekommen war, bei dem er, seiner Mutter wegen, welche eine der ehrbarsten Frauen der [301] Welt war, nicht fehlen wollte. So verließ also der junge Prinz das Haus seines Kellermeisters, mehr als je von Achtung für die Sittsamkeit des Mädchens erfüllt. Er sprach nun oft mit dem Edelmann, der sein Stubengenosse war, darüber, und da dieser meinte, daß vielleicht Geld mehr vermochte als Liebe, rieth er ihm, ihr eine ansehnliche Summe anzubieten, um sie ihm geneigt zu machen. Der junge Prinz, dessen Mutter noch sein Vermögen verwaltete, hatte nur eine geringe Geldsumme für seine kleinen Ausgaben; diese nahm er und borgte noch dazu, so viel er konnte. So kam die Summe von fünfhundert Thalern zusammen, wel che er dem jungen Mädchen durch den Edelmann mit der Bitte zusandte, eine günstigere Meinung für ihn zu fassen; als sie aber das Geschenk sah, sagte sie zu dem Edelmann: »Ich bitte, sagt Eurem Herrn, daß ich ein so gutes und ehrenhaftes Herz habe, daß, wenn ich seinem Willen folgen sollte, mich schon seine Schönheit und Liebenswürdigkeit besiegt hätten; da sie aber keine Macht über meine Ehre hatten, kann auch alles Geld der Welt keine solche erlangen; jagt ihm das, denn ich ziehe eine ehrbare Armuth allen wünschenswerthen Gütern vor.« Da der Edelmann diese Härte sah, dachte er mit Grausamkeit mehr auszurichten und bedrohte sie mit der Macht und dem Ansehen seines Herrn. Aber sie antwortete ihm lachend: »Macht denen Furcht mit ihm, die ihn nicht kennen; ich aber weiß, daß er so weise und tugendhaft ist, daß solche Drohungen nicht von ihm kommen können, und seid sicher, er wird Euch tadeln, wenn Ihr sie ihm mittheilt. Sollte es aber dennoch so sein, wie Ihr sagt, so giebt es keine Folter und keinen Tod, die meine Meinung ändern werden. Denn wie ich Euch sage, da die Liebe meinen Sinn nicht wenden konnte, wird kein Uebel und kein Gut der Welt mich von der Meinung abbringen, die ich gefaßt habe.« Der Edelmann, welcher seinem Herrn versprochen hatte, sie ihm zu gewinnen, brachte ihm diese Antwort mit außerordentlichem Aerger und redete ihm zu, sie mit allen möglichen Mitteln weiter zu verfolgen, da es eine Schande sei, wenn es ihm nicht gelänge, dieses Mädchen zu gewinnen. Der junge Prinz aber, welcher keine anderen Mittel anwenden wollte, als ehrbare, und der fürchtete, daß, wenn die Sache bekannt würde und seine Mutter davon erführe, sie jedenfalls [302] sehr zornig darüber werden würde, wagte nichts weiter zu unternehmen, bis ihm sein Edelmann ein so leichtes Mittel angab, daß er meinte, sie nun ganz sicher zu haben, und, um es auszuführen, darüber mit dem Kellermeister sprach. Da dieser entschlossen war, seinem Herrn in jeder Weise zu dienen, bat er eines Tages seine Frau und seine Schwägerin, seine Weinlesen auf einem Landgute zu besichtigen, das nahe am Walde lag, was sie ihm auch versprachen. Als der Tag herangekommen war, ließ er es den jungen Prinzen wissen, der sich entschloß, ganz allein mit seinem Edelmann ebenfalls dorthin zu gehen, und heimlich sein Maulthier bereit halten ließ, um zur richtigen Zeit aufzubrechen. Aber Gott wollte, daß gerade an diesem Tage seine Mutter ein Cabinet neu ausstaffirte und zur Hülfe alle ihre Kinder um sich hatte; dort vergnügte sich der junge Prinz, bis die bestimmte Stunde vorbei war. Sein Schaffner, der nichts davon wußte, hatte inzwischen feine Schwägerin hinter sich aufs Pferd genommen und führte sie nach dem Landhause; seine Frau stellte sich krank und sagte ihm, als sie schon zu Pferd waren, sie könne nicht mitkommen. Als er nun sah, daß der Prinz zur festgesetzten Stunde nicht kam, sagte er zu seiner Schwägerin: »Ich glaube, wir können in die Stadt zurückkehren.« »Warum nicht?« antwortete Françoise. »Ich erwartete den Prinzen«, sagte der Kellermeister, »der mir versprochen hatte, herzukommen.« Als sie diese Bosheit horte, sprach sie: »Erwarte ihn nicht mehr, mein Bruder, denn ich weiß, daß er heut nicht kommen wird.« Der Schwager glaubte ihr und führte sie zurück. Als sie zu Hause waren, brach ihr Zorn aus; sie nannte ihren Schwager einen Knecht des Teufels und behauptete, er thäte mehr als ihm befohlen sei, denn sie sei überzeugt, das sei seine und des Edelmanns, nicht aber des Prinzen Erfindung; er wolle lieber Geld von ihm gewinnen, indem er seine Thorheiten unterstütze, als das Amt eines treuen Dieners erfüllen; da sie ihn aber jetzt erkannt habe, würde sie nicht länger in seinem Hause bleiben. Darauf schickte sie nach ihrem Bruder, der sie in seine Heimath geleiten sollte, und zog sogleich von ihrer Schwester fort. Da dem Kellermeister sein Streich mißlungen war, ging er ins Schloß, um zu hören, woran es lag, daß der Prinz nicht gekommen war: kaum [303] war er angelangt, da sah er ihn auf seinem Maulthier, ganz allein, mit seinem vertrauten Edelmann; er fragte ihn: »Ist sie noch dort?« Darauf erzählte er, wie es ihm gegangen war. Der junge Prinz war sehr traurig, seinem Versprechen nicht nachgekommen zu sein, da er damit das letzte und äußerste Mittel, dessen er sich bedienen wollte, versäumt hatte. Da er nun sah, daß es keinen Ausweg mehr gab, suchte er sie in einer Gesellschaft auf, aus der sie nicht entfliehen konnte, und machte ihr dort heftige Vorwürfe wegen ihrer Strenge gegen ihn, und weil sie ihre Schwester und ihren Schwager verlassen wolle. Sie antwortete, daß es ihr bei diesen allzu gefährlich sei und daß er einen ausgezeichneten Schaffner besäße, der ihm nicht nur mit Leib und Gütern, sondern auch mit Seele und Gewissen diene. Als der Prinz sah, daß er sein Spiel verloren hatte, entschloß er sich, sie nicht länger zu verfolgen, und erhielt ihr sein ganzes Leben hindurch seine volle Achtung. Einer seiner Diener, der die Ehrbarkeit des Mädchens erkannt hatte, wollte sie heirathen, sie wollte aber nichts davon hören, ohne die Erlaubniß des jungen Prinzen, den sie sehr lieb gewonnen hatte, dazu zu haben. Sie ließ ihn das wissen, und mit seiner Erlaubniß wurde die Ehe geschlossen, in der sie in Ehren bis an ihr Ende lebte, und während welcher ihr der Prinz viele Wohlthaten erwies.

»Was bleibt uns hier zu sagen, meine Damen?« fuhr Parlamente fort; »ist unsere Gesinnung so niedrig, daß wir uns von unseren Dienern übertreffen lassen sollen? Ich bitte Euch, laßt uns diesem Beispiel folgen und uns selbst besiegen, denn das ist der lobenswertheste Sieg, den wir erringen können.« »Ich sehe darin nur ein Uebel«, sagte Oisille, »daß nämlich diese tugendhaften Thaten nicht zu den Zeiten der großen Geschichtsschreiber geschehen sind; denn sie, die ihre Lucrezia so sehr gelobt haben, hätten das wohl bleiben lassen, um statt dessen die Tugenden dieses Mädchens zu beschreiben, welche ich so groß finde, daß ich sie nicht glauben würde, wenn wir nicht feierliche geschworen hätten, nur die Wahrheit zu erzählen.« »Ich finde ihre Tugend nicht so groß, wie Ihr meint«, sagte Hircan, »denn Ihr habt oft genug gesehen, daß Kranke widerwillig gute und heilsame Speisen zurückgewiesen haben, um schlechte und schädliche zu essen; so liebte vielleicht dieses Mädchen auch einen Anderen, um dessentwillen [304] sie allen Adel verschmähte.« Aber Parlamente antwortete darauf, daß das Leben und das Ende dieses Mädchens gezeigt hätten, daß sie niemals an einen anderen Mann gedacht hätte, als an den, den sie wohl mehr als ihr Leben, aber nicht mehr als ihre Ehre liebte. »Entschlagt Euch dieser Meinung«, sagte Saffredant, »und versteht recht, woher dieser Ausdruck der ›Ehre‹ der Frauen gekommen ist, denn am Ende verstehen die, welche so viel davon reden, garnicht den Sinn dieses Wortes. Wisset denn, daß im Anfang, als die Bosheit der Männer noch nicht so groß war, die Liebe so stark und unbefangen war, daß es keine Verstellung gab und der, welcher am vollkommensten liebte, am meisten gelobt wurde. Als aber dann Bosheit, Geiz und Sünde das Herz der Menschen ergriffen, vertrieben sie Gott und die Liebe daraus und ersetzten sie durch Gegenliebe, Heuchelei und Verstellung. Da die Damen, in deren Herzen die Tugend der wahren Liebe nicht vorhanden war, nun sahen, wie verhaßt der Name der Heuchelei unter den Menschen war, erfanden sie dafür das Wort Ehre, so daß die, welche keine ehrliche Liebe fühlen konnten, sagten, die Ehre verböte sie ihnen; sie haben daraus ein so grausames Gesetz gemacht, daß selbst solche, welche wirklich lieben, es verbergen und aus der Tugend ein Laster machen. Die Frauen aber, welche klaren Verstand und gesundes Urtheil besitzen, verfallen nicht in solche Irrthümer, denn sie kennen den Unterschied zwischen Finsterniß und Licht und wissen, daß ihre wahre Liebe dahinsiecht, um die Schamhaftigkeit des Herzens zu zeigen, welche doch eher durch die Liebe selbst leben sollte und sich nicht mit dem Laster der Verstellung brüsten.« »Dennoch«, sagte Dagoucin, »meint man, daß die geheimste Liebe die lobenswerthefte sei.« »Ja«, sagte Simontault, »heimlich für die Augen derer, die schlecht darüber sprechen könnten, aber klar und offenbar wenigstens für die beiden Menschen, die es betrifft.« »Ich verstehe die Sache folgendermaßen,« sagte Dagoucin; »sie würde es lieber sehen, ihre Liebe einem Dritten bekannt zu wissen als dem Geliebten selbst; denn ich glaube, die Frau liebt um so stärker, wenn sie sich nicht erklärt.« »Wie dem auch sei,« sprach Longarine, »man muß die Tugenden achten, und die größte von ihnen ist, sein Herz zu besiegen; und wenn ich die Gelegenheiten und Mittel betrachte, welche diesem [305] Mädchen geboten waren, so meine ich, sie kann sich mit Recht die Starke nennen.« »Da Ihr«, sprach Saffredant, »die Größe der Tugend nach der Selbstbeherrschung abwägt, war dieser Herr noch mehr zu loben als sie, wenn man seine große Liebe und die mächtigen Mittel und Gelegenheiten betrachtet, die ihm zu Gebote standen; trotz alledem wollte er seine Grundsätze wahrer Freundschaft, welche Prinzen und Arme einander gleich macht, nicht verletzen und benutzte nur menschlich erlaubte Mittel.« »Es giebt genug«, sagte Hircan, »die anders gehandelt hätten.« »Desto achtbarer ist er«, meinte Longarine, »da er die allgemeine Bosheit der Männer bezwungen hat; denn wer Uebles thun kann und es doch nicht thut, der ist wahrlich tugendhaft und glücklich.« »Das erinnert mich an eine Dame«, sagte Guebron, »die mehr fürchtete, die Augen des Menschen als Gott, ihre Ehre und ihre Liebe zu beleidigen.« »So bitte ich Euch«, sprach Parlamente, »uns von ihr zu erzählen, und zu diesem Behufe gebe ich Euch das Wort.« »Es giebt Menschen«, sagte Guebron, »die keinen Gott haben, oder wenn sie an ihn glauben, ihn soweit entfernt vermeinen, daß er ihre bösen Thaten nicht hören und sehen kann, oder wenn er sie sieht, denken, er sei nachlässig und strafe sie nicht, als wenn er sich nicht um die Dinge auf Erden kümmere. Solcher Meinung war auch eine Dame, deren Namen ich ihrem Geschlecht zu Ehren ändern und Camilla nennen will; sie sagte oft, daß die Person, welche sich nur mit Gott beschäftige, glücklich sei, wenn es ihr auch gelänge, ihre Ehre vor den Menschen zu bewahren. Ihr werdet sehen, meine Damen, daß ihre Vorsicht und Heuchelei sie nicht vor dem Entdecken ihres Geheimnisses bewahrt haben, wie Ihr in dieser Geschichte vernehmen werdet, welche die ganze Wahrheit, mit Ausnahme der veränderte Namen und Orte, berichten wird.«

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