Silvesterklänge

Eisnebel drängen vom grauen Meer
gespenstisch über die Dünen her
und hüllen in frühen Dämmerschein
die schneelichtleuchtenden Weiten ein
und ziehen die schimmernden Spinneweben
über des Waldes erstarrtes Leben.
[91]
– Einsam schreit ich im tiefen Hag –
ein Rabe mit lautlosem Flügelschlag
streift vom aufschnellenden Tannenast
die weiße, stäubende Winterlast;
und durch die Lüfte, verdämmernd weit,
schwimmen die Stimmen der Einsamkeit . . . . .
Sie flüstern heimlich wie Frühlingswind,
wenn rings der Saft in den Zweigen rinnt,
sie raunen zärtlich wie Liebesgruß,
wie ein wonneschauernder Brautnachtkuß,
sie weinen schmerzlich wie Klagesang
und sie schwellen zum hellen Glockenklang – –
von allen Türmen grüßen, locken –
läuten und stürmen Silvesterglocken!
Ein blutiges Rot im Westen blüht,
ein brausender Windstoß kommt aus Süd,
und der Schnee stäubt auf – und es will auf Erden
ein neues Jahr geboren werden.
Ein neues Jahr, eine neue Zeit . . . . . .
Aus der schweigenden Schneeeinsamkeit
kehre ich heim; da gleißt und bricht
aus breiten Fenstern ein Strom von Licht
[92]
und tönt ein Lachen und Gläserklingen:
sie feiern Silvester mit Scherz und Singen.
Vorüber an prunkender Villen Geheg
durch schmutzige Gassen führt mein Weg.
Hier tönt nur Fluchen; ein trübes Licht
träg durch befrorene Scheiben bricht.
Das Elend hütet des Hauses Schwelle, –
an der erkalteten Feuerstelle
hockt die Verzweiflung und stiert und lacht
gell auf in der eisigen Winternacht . . . . .
Da, horch: aus den Lüften ein Glockenchor!
Da, schau: aus des Gäßchens niedrigem Tor
tritt weißgewandet ein leuchtend Kind,
so zart und hold, wie die Engel sind.
Mit bloßen Füßchen im kalten Schnee
es lächelt sonnig: ihm tut's nicht weh –
kommt es die Straße heraufgeschritten
und steht vor dem Haus in des Gäßchens Mitten
und pocht so leise wie Nachtgespenster
mit der leuchtenden Hand ans Kammerfenster.
Und wie der Klang durch die Stube hallt,
erhebt sich am Herde die dunkle Gestalt,
[93]
und von der Schwelle der Hüter weicht:
auf nackten, rosigen Füßchen schleicht
ein scheues Hoffen, ein Neujahrstraum
sich in den unwirtbaren Raum
und küßt der Darbenden blasse Lippen
und läßt sie aus Schalen voll Manna nippen . . .
und träufelt Trost in der Schlafenden Ohren:
»Es wird eine neue Zeit geboren!«
[94]

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