1.
Assad Bei, der Heerdenwürger
Zwischen dem Gebiete des Mittelmeeres und der eigentlichen Sahara, also zwischen dem Sinnbilde der Fruchtbarkeit, der Civilisation und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, liegt die nordafrikanische Steppe, welche vom atlantischen Oceane bis zum indischen Meere reicht. Eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen bildend, deren kahle Berge aus den unbelebten Gewässern salziger Seen emporsteigen, ist sie im Sommer von den Zelten und Heerden wandernder Araberstämme bedeckt, während sie im Winter öde und verlassen unter der Decke des auch hier fallenden Schnee's liegt.
Die Cultur hat es nicht vermocht, hier eine bleibende Ruhestätte aufzuschlagen; auf diesen Höhen bringt höchstens die Gerste ihre Körner zu einer nothdürstigen Reife, und die hungernden Heerden nagen jede Erscheinung aus dem Pflanzenreiche mit gierigem Zahne bis an die Wurzel ab. Kein Haus, kein Baum bietet dem umherschweifenden Auge einen wohlthätigen Ruhepunkt; Kieselbruch und Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Dünen schleichen sich, von dem fliegenden Sande genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und wo sich irgend ein Wasser zeigt, da liegt es in seinem Becken wie eine todte Masse, aus der jeder lebendige, blaue Ton verschwunden ist, um einem unbelebten schmutzigen Grau zu weichen.
Ich hatte die Küstengegend verlassen, um einen Ausflug in die trübe Einsamkeit dieser Strecke zu machen und dann über Augila und Siwah Egypten zu erreichen. Nur mein Diener Mahmud begleitete mich. Er war weit im Oriente herumgekommen, sprach ein wunderliches Mischmasch aller arabischen und türkischen Dialecte, hatte zuletzt als Fremdenführer in Algier fungirt und war in seine gegenwärtige Stellung getreten, um endlich einmal zu wissen, wem er angehöre. Er hatte eine wahrhaft riesige Goliathgestalt, wie sie bei den meist schlank gebauten Arabern höchst selten ist, und besaß eine dem entsprechende Muskelkraft, die mich eigentlich veranlaßt hatte, ihn zu engagiren. Seine Stärke konnte mir bei den gefahrvollen Wanderungen durch die Wüstenländer von Nutzen sein. Leider machte ich aber bald die Erfahrung, daß seine Muthlosigkeit ebenso groß war, [190] wie seine ungewöhnliche Körperstärke; er war trotz seiner Enacksfigur ein Hasenfuß und wurde von mir nur deshalb beibehalten, weil er die Verhältnisse des Landes genau kannte und ein munterer, lebhafter Gesellschafter war, mit dem man sich die Zeit verkürzen konnte.
Er ritt ein zwar sehr ausdauerndes aber kleines, dürftiges beduinisches Pferdchen, so daß seine lang herabhängenden Füße fast die Erde schleiften, halle seine respectgebietende Gestalt mit allen möglichen Waffensorten behangen und besteckt und verstand es trefflich, seinem Gesichte einen so martialischen Ausdruck zu geben, daß er mir bei geeigneter Gelegenheit recht gut als Abschreckungsmittel zu dienen vermochte.
Wir waren den ganzen Tag geritten. Jetzt neigte sich die Sonne dem Horizonte näher, und einige durch die dünne Luft schießende Schwalben, welche der poetische Araber »Thiuhr el Djinne, Vögel des Paradieses« nennt, bestätigten uns das Nahen der abendlichen Ruhezeit.
»Hamdulillah, Preis sei Gott. Sihdi,« seufzte Mahmud und warf die Kaputze seines Burnus, welche sein Gesicht vor dem Sonnenstrahl geschützt hatte, in den Nacken zurück. Dieser Burnus war früher ein Mal weiß gewesen, sah jetzt aber aus, als habe er ein halbes Jahrhundert in der Feueresse gehangen und sei darauf mit einer fetten Speckschwarte ganz tüchtig eingerieben worden. »Mahmud el kebihr, Mahmud der Große, wie Dein tapferer Diener von Allen, die ihn kennen, genannt wird, ist müde wie eine Wachtel, die über das Meer geflogen kommt. Wann werden wir vom Pferde steigen?«
Ich mußte lächeln, daß Mahmud der Große es nicht verschmähte, sich mit einer Wachtel zu vergleichen. Ich machte den Versuch, ihn zu trösten:
»Der Mueddihn ruft sein: ›Hai aal el sallah, ja rüste Dich zum Gebete,‹ erst wenn die Sonne in das Sandmeer taucht. Und auf das Gebet folgt die Ruhe!«
»Mahlesch, das ist Nichts, o Herr! Jetzt ist ja erst das ›Assr‹, die Zeit des Karawanenaufbruchs, zwei Stunden vor dem Abende. Dein Knecht Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar fällt vom Pferde, wenn er noch so lange reiten soll. Sein Serdj, der Sattel, brennt ihm zwischen den Beinen, als hätte er einen abgerissenen Zipfel von der Hölle unter sich! Hab Erbarmen mit ihm und laß ihn auf die Erde steigen!«
Statt aller Antwort setzte ich meine Berberstute in Galopp. Er mußte folgen und ich that, als ob ich die aus allen orientalischen Sprachen zusammengesuchten Kraftwörter, welche er in den Bart murmelte, nicht vernehme.
Ich hatte nämlich bemerkt, daß mein Pferd die Nüstern aufbließ; es mußte feuchte Luft schmecken, und vielleicht war eines jener oben erwähnten Wasser, welche »Birket el fehlate, todte See« genannt werden, in der Nähe. Wir ritten eine sanft abfallende, sandige Höhe hinab, welche sich unten zu einer ziemlich ausgestreckten Ebene ausbreitete, und als ich mein Glas hervornahm, um dieselbe abzusuchen, gewahrte ich eine Reihe von Zelten, in deren Nähe Schafe und Rinder weideten. Wir hatten ein arabisches Wanderdorf vor uns und konnten sicher sein, eine gastfreundliche Aufnahme zu finden.
In kurzer Zeit hatten wir den trüben See erreicht, in dessen Nähe es lag und hielten unsre Pferde gleich beim ersten Zelte an. Es wäre eine ganz unverzeihliche Beleidigung für den Besitzer desselben gewesen, wenn wir in einem der folgenden Aufnahme gesucht hätten. Der Bewohner der Wüste ist ein geborener Dieb und Räuber, aber das Gastrecht hält er so hoch, daß er es nie verletzt.
Das alte, vielfach zerfetzte Tuch, welches den Eingang bedeckte, wurde bei Seite geschoben, und es trat ein alter Mann hervor, der uns mit neugierigen und verwunderten Blicken musterte. Sein sonngebräuntes Gesicht war voller Falten und seine ausgedorrte Gestalt tief gebeugt; er mochte wohl an die neunzig Jahre zählen.
»Sallam aaleïkum!« grüßte ich, die Hand zur Brust erhebend. »Hast Du ein Wenig Raum für uns, wo wir das Haupt zur Ruhe legen können?«
»Marhaba ia Sihdi, Du sollst willkommen sein, o Herr!« antwortete er einfach, trat zu meinem Pferde heran und faßte es beim Zügel, damit ich absteigen möge.
Ich that es. Es ließ sich ringsum keine Menschenseele erblicken, und nur einige wißbegierige Frauenköpfe blickten durch die leise zurückgezogenen Thürvorhänge.
»Wo sind die Männer, denen diese Zelte gehören?« frug ich.
»Das will ich Dir sagen,« antwortete er und trat darauf mit plötzlich sehr ernst gewordener, geheimnißvoller Miene an mich heran. Er hielt die zwei hohl ausgebogenen Hände an mein Ohr, legte den Mund an sie und flüsterte so leise, daß ich es kaum verstehen konnte:
»Kennst Du Assad, den Aufruhrerregenden? Kennst Du Assad-Bei, den Heerdenwürger?«
Ich nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Er ist unserer Heerde gefolgt schon lange Zeit, raubt uns die besten Thiere und hat sich erst in der vergangenen Nacht wieder ein Rind geholt, aaïb aaleihu, Schande über ihn!«
Ich konnte den leisen Flüsterton begreifen. Der Araber hat einen außerordentlichen Respect vor dem Löwen; so lange das gewaltige Thier noch lebt, nennt er es mit den hochtrabendsten Namen, um es ja nicht zu beleidigen und so zur Rache herauszufordern; ist es aber getödtet worden, so bewirft er es mit den demüthigendsten Schimpfworten, deren die Sprache seines Landes eine überaus reiche Zahl besitzt. Er läßt sich lange Zeit die besten Stücke seiner Heerde rauben, ehe er sich zu einem Angriffe entschließen kann, denn dieser kostet stets wenigstens ein, meistens aber mehrere Menschenleben.
[191][204] Der sonst so tapfere Sohn der Wüste wagt es nämlich nie, wie es der kühne europäische Jäger zu thun stets vorzieht, den Löwen allein anzugreifen; es treten die sämmtlichen waffenfähigen Männer des Dorfes zusammen, suchen das Lager des Thierkönigs auf, locken ihn durch lärmendes Brüllen, Rufen, Pfeifen und Schießen aus demselben hervor, und jagen ihm, sobald er erscheint, aus ihren langen, unsicher treffenden Flinten so viel Kugeln wie möglich auf den Leib. Der Löwe stürzt nie sofort. Selbst wenn er zum Tode verwundet ist, besitzt er noch so viel Kraft, sich auf Einen oder auch Mehrere zu werfen und den an ihm verübten Mord blutig zu rächen.
Die Furcht, welche man vor ihm hegt, geht sogar so weit, daß man bei dem Entschlusse eines Angriffes nur leise spricht; man meint, er könne es hören. Darum theilte mir der Alte die Nachricht auch nur heimlich mit und warf dabei ganz besorgte Blicke nach der Gegend, in welcher das Abenteuer stattfinden sollte. Assad-Bei, der Löwe, hätte ja seine Worte vernehmen können!
Bei seiner Mittheilung war alle Müdigkeit in mir verschwunden. Im »wilden Westen« von Amerika hatte ich so mancher wilden Bestie gegenüber gestanden und dabei dem Tode in das Auge geschaut; jetzt war ich nach Nordafrika gekommen, um den Löwen zu sehen; aber dieser Wunsch war mir trotz aller Mühe bisher unerfüllt geblieben. Heut nun war ganz ohne alle Erwartung seine Erfüllung möglich; sollte ich furchtsam zaudern?
»Nimm unsre Thiere auf,« bat ich. »Ich werde gehen, um den ›Sihdi el salssali, den Herrn des Erdbebens‹ aufzusuchen!«
Ich wußte, daß der Löwe wegen der Macht seiner Stimme so genannt wird.
»Sprich leise!« bat der Alte ängstlich. »Wenn er es hört, so bist Du verloren. Er kommt herbei und reißt Dich in Stücke.«
»Allah akbar, Gott ist groß!« lamentirte Mahmud, der Goliath. »Bist Du toll, Herr, daß Du Dein Fleisch zerreißen und Deine Knochen zermalmen lassen willst von der fürchterlichen Katze, die mehr Kraft hat als zehn Scheidans, als hundert Teufel zusammen genommen?«
»Hat Mahmud el kebihr Angst und Furcht im Herzen?« frug ich ihn.
»Ich? Sihdi, wenn mich ein Anderer so fragte, so würde ich ihn auf der Stelle erwürgen. Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar hat niemals Angst und Furcht, das weißt Du ganz genau; aber er ist nicht jung und auch nicht fett genug; der Löwe mag ihn gar nicht fressen!«
»Er soll Dich auch nicht fressen: Du bleibst bei den Pferden!«
Niemand war froher über diesen Befehl, als er; um auch mich abzuhalten, erging er sich in der kräftigsten Schilderung der Gefahr, welche mich erwartete. Es half ihm Nichts; ich zog meine Doppelbüchse hervor. Es war ein »Bärentödter«, gekauft in Front-Street, St. Louis; sie hatte mich niemals im Stiche gelassen, und jede der aus ihr geschossenen konischen Kugeln war ihrer Schuldigkeit nachgekommen. Ich wußte, daß sie mir nicht versagen würde und das war die Hauptsache.
»Hamdulillah, Preis sei Gott,« meinte der Alte mit frohem Gesichte. »Allah ist barmherzig und gnädig; er hat Dich zu uns gesendet und wird Deine Waffe segnen!«
Er hatte mich als einen Europäer erkannt. Der Morgenländer hält jeden Franken, der ein Gewehr trägt, für einen ausgezeichneten Schützen und hat Respect vor ihm, denn er weiß, daß der Franke den Muth besitzt, jedem wilden Thiere ganz allein entgegen zu treten.
Nachdem ich zu meiner Erquickung nach dem angestrengten Ritte einen Schluck Wasser aus dem dargereichten Schlauche genommen hatte, ließ ich mir den Ort bezeichnen, an welchem die Seinen zu finden seien. Vom See aus zog sich eine immer breiter werdende Vertiefung den Hügel hinan; es war eines jener Thäler, welche, Wadi genannt, sich bei den seltenen, dann aber desto stärkeren Regengüssen plötzlich mit Wasser füllen, sonst aber ausgetrocknet und nur an ihren Rändern mit einem dürftigen Pflanzenwuchse bestanden sind.
[204] »Ganz oben in diesem ›battn el hadjar in diesem Bauch der Steine‹ hat der ›Herr mit dem dicken Kopfe‹ sein Lager,« flüsterte der Alte, auf die mit Steingerölle besäete Schlucht deutend. »Er wird bald hervortreten, denn die Sonne geht zur Rüste, und dann soll er in die Tschehenna, in die Hölle gehen! Lauf schnell. Du bist berühmt unter den Söhnen der Jagd und wirst ihn tödten!«
Es war spaßhaft, mit welcher Schmeichelei er es zu bewerkstelligen suchte, daß der Löwe mich statt einen der in das Dorf Gehörigen verspeisen möchte. Ich gab Mahmud dem Großen noch einige kurze Verhaltungsmaßregeln und ging dann fort.
Hatte der Löwe sein Lager wirklich in der Schlucht, so befand es sich jedenfalls in dem oberen Theile derselben. Um diesen so bald wie möglich zu erreichen, vermied ich die Windungen, welche sie machte, und schritt von den Zelten aus gleich direct nach der Richtung, in welcher ich das Ziel vermuthete.
Ich hatte richtig gerechnet, denn kaum befand ich mich in der Nähe des oberen Wadi, so vernahm ich einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aus der Tiefe scholl. Rasch eilte ich dem vor mir liegenden Rande zu und konnte dann die Situation vollständig überblicken.
Grad mir gegenüber zog sich ein stacheliges Mimosengebüsch die steile Böschung hinan, welches von den schreienden Arabern vollständig umzingelt war. Es mußte den Löwen verbergen, denn die oberhalb des Gestrüppes Befindlichen rollten große Steine in dasselbe, um das Thier herauszutreiben. Ich empfing einen eigenthümlichen Eindruck von dieser untaktischen Art und Weise, ein Wild zu jagen, welches sich am Besten des Nachts, Auge in Auge und ohne allen Lärm erlegen läßt. Die Männer schwangen die Flinten und Messer, tanzten dabei vor Aufregung und suchten sich durch kreischende Zurufe zu ermuthigen.
Da bemerkte ich eine leise Bewegung inmitten des Gebüsches; sie wurde stärker, und in wenigen Augenblicken trat er hervor, nicht schnell, nicht nach Katzenart springend und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den starkbequasteten Schwanz zog er langgestreckt hinter sich her; es war ein wirklich prachtvoller Anblick, das edle Thier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen, und es wollte mir wirklich scheinen, als bemerke ich ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen.
Da blitzte es aus allen Läufen auf; die Schüsse, krachten. Mich packte die Jagdlust, und mehr gleitend als steigend fuhr ich in die Tiefe hinab. Man bemerkte mein Kommen gar nicht. Der Löwe war von mehreren Kugeln, aber nur leicht getroffen worden und mit zwei weiten Sätzen auf den nächststehenden seiner Feinde losgesprungen. Er hatte diesen niedergerissen, ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust gesetzt und hob nun den Kopf zu einem Brüllen, wie man es niemals in einer Menagerie, sondern nur aus der Kehle des wirklich freien Thieres zu hören vermag. Im nächsten Momente mußte der Mann zerrissen sein.
Ich bekümmerte mich nicht um die Andern, welche theils entflohen waren oder mit leeren Flinten und vor Schreck bewegungslos dastanden, sondern eilte grad auf den Löwen zu. Dieser bemerkte mich und trat, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt, von seinem Opfer zurück. Ich knieete nieder und legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich empfand; es gibt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches in diesem Augenblicke jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verrätherisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen; ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib. Ich drückte los, und der zweite Schuß traf das Thier, als es schon in der Luft schwebte.
Zurückspringend riß ich das Messer aus der Scheide. Der Löwe war mitten im Sprunge gestürzt, wälzte sich zuckend noch einige Male hin und her und hatte dann verendet.
»Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!« erscholl es aus allen Kehlen. »Hasa nessieb, das hat Gott geschickt, der kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist todt; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben ohne Ruhm und Ehre. El Thibb, der Schakal und el Tabäa, die Hyäne mag ihn fressen, el Büdj, der gewaltige Bartgeier mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle mag ihn und seine Väter verschimpfen, ihn, der ohne Blut und Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Holt die Hariri, die Musikanten herbei; sie werden ihm auf der Rababa seine Schmach vorpfeifen!«
So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den todten Körper mit Füßen, man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spieh ihm verächtlich in das Gesicht. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen oder aus einer langen, langen Gefangenschaft befreit, und tief athmend sah ich dem Treiben der sanguinischen Söhne einer gluthüberflutheten Länderstrecke zu.
»Ama die bacht, welch ein Glück, daß Du zur rechten Zeit gekommen bist!« klang es da neben mir.
Es war Derjenige, welcher unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches von der Sonne fast schwarz gebrannt war. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigenthümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen; das war ihnen leicht anzumerken.
»Nicht ich, sondern Allah hat es gethan,« antwortete ich. »Ihm allein die Ehre!«
»Ja, ihm die Ehre und Dir den Dank!« berichtigte er, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. »Du bist rhaschihm, fremd unter den Kindern der Wüste?«
[205] »Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Heerdenwürger zu tödten.«
»Du hast ihn getödtet; Allah gab Dir Heil und Gnade. Sei mein Gast. Ich bin der Bei el Urdi, der Herr des Lagers, welches da unten am Wasser steht; Du hast mir das Leben gerettet und sollst Gnade und Vergeltung finden.«
Ich sah ihm bei diesen räthselhaften Worten erstaunt in das Gesicht. Er bemerkte es.
»Die Haut des ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ ist Dein Eigenthum; Du wirst sie erhalten. Laß diese Männer hier; komm mit, ich will Dich leiten!«
Ohne sich nach den Andern umzusehen, schritt er davon. Ich folgte ihm in das Wadi hinab. Am Ausgange desselben, da, wo es sich gegen den See öffnete, war eine bedeutende Anzahl von Kameelen angepflockt. Es waren nicht die gewöhnlichen Lastthiere, wie man sie für 400 Piaster bekommt, sondern ohne Ausnahme Reitkameele, echte Hedjihn, wie man sie in solcher Anzahl selten findet und mit mehreren Tausend Piaster bezahlt. Er blieb stehen.
»Du willst in das ›Bahr billa ma,‹ in das ›Meer ohne Wasser,‹ welches Ihr Sahara nennt?«
»Ja.«
»Hast Du schon ein Djemmel, ein Kameel, wie Du es brauchst?«
»Nein!«
»So sieh dieses Thier hier an! Es ist ein Hedjihn, ein Bischarinhedjihn, wie es in der ganzen Sahel kein zweites gibt. Es ist Dein, ich schenke es Dir!«
Ich wollte widersprechen, denn ich hatte von dem Werthe eines Bischarin gehört, er aber winkte mit einem so gebieterischen Blicke zum Schweigen, daß ich meinen Einspruch für später aufhob, und setzte, mir voranschreitend, seinen Weg fort.
Warum waren diese Kameele hier in dem Bereiche des Löwen versteckt? Woher hatten diese augenscheinlich armen Hirten diese Menge so kostbarer Thiere? Aus welchem Grunde waren es lauter Reit-und keine Lastthiere? Weshalb hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, wo er mir doch nur Dank schuldig war? Der Mann hatte ein böses Auge: ich konnte mir diese Fragen nicht beantworten und beschloß, vorsichtig zu sein. –