Deutsche Sprüchwörter

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich«

(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 4. S. 31. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.

[31] »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich«

So sagt eines der bekanntesten und gebräuchlichsten aus dem reichhaltigsten Schatze unserer Sprüchwörter, und wie oft möchte man mit ernstem Grunde hinzufügen: »aber auch seine Hölle!«

Wollen ist Macht, das ist wahr, und einem ernsten, consequenten Willen ist die Erreichung so manchen Zieles erlaubt, nach welchem ein schwacher und wankelmüthiger Charakter vergebens strebt.

Wodurch sind die großen Männer unserer Nation, die hervorragenden Geister aller Zeiten, Länder und Völker Das geworden, was sie waren und sind – wodurch hat sich auch so mancher einfache und biedere Bürgersmann aus armen Verhältnissen emporgearbeitet in eine bessere, befriedigendere und Anerkennung erheischende Lage? Es ist nicht immer die geistige Begabung, die günstige Conjunctur oder das, was man gewöhnlich mit dem Worte »Glück« bezeichnet, gewesen, was ihm den Weg geebnet hat, sondern bei einem tieferen und vorurtheilsfreien Blicke müssen wir sagen: »Sein eiserner, unerschütterlicher Wille hat ihn emporgeleitet.«

Warum kleben Tausende und Abertausende im Staube, in welchem sie geboren sind, und kriechen klagend oder murrend am Boden des reichen und bewegungsvollen Meeres hin, welches wir Leben nennen? Nicht die niedere Geburt, nicht der Mangel an innerer und äußerer Ausstattung, nicht die Ungunst ihrer Stellung, sondern in den meisten Fällen die Kraftlosigkeit ihres Willens ist es, welche sie festhält unten auf dem tiefen Grunde.

Freilich wollen wir diese Behauptung nicht für alle, sondern können sie nur für viele, vielleicht für die meisten Fälle aufstellen, und wir wissen recht wohl, daß sie gerade von Denen immer und stets angefochten wird, welche sich von ihr getroffen fühlen. Es ist ja so sehr bedauerlich, daß sich gerade der Willenlose für einen willensstarken und energischen Mann hält und aus dem einfachen Grunde, weil er keine Selbsterkenntniß besitzt, auch nicht geheilt werden kann. Wie mancher Ehemann, wie mancher »Herr« glaubt die Herrschaft über die Seinen zu besitzen und wird, ohne daß er es weiß und merkt, von einer klugen Frau oder einem schlauen Diener geleitet und regiert.

Leider kann der Wille ebenso auf das Schlimme als auf das Gute gerichtet sein; aber der consequente Sünder, und wär's der schwärzeste Bösewicht, ist weniger gefährlich als der Leichtsinnige, welcher wie ein Rohr zwischen dem Guten und dem Bösen hin und her bewegt wird. Der Erstere läßt sich für jeden einzelnen Fall berechnen und beurtheilen, während der Wankelmüthige völlig unberechenbar ist. Der Bösewicht kann sich bessern, und sein fester Wille wird ihn am Guten festhalten; der Leichtsinnige aber wird stets zurückfallen in die alte Bahn, mag er sich auch aufraffen so viele Male es nur immer sei.

O, möchte doch Jedem ein Wille gegeben sein, der treu und fest am Guten hält und mit Kraft und Lust nach dem immer Besseren, immer Edleren, immer Höheren strebt; möchte doch Keiner vergessen, daß des Menschen Wille sein Himmelreich ist, aber auch seine Hölle sein kann!

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»Ehrlich währt am Längsten«

(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 6. S. 46. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.

[46] »Ehrlich währt am Längsten«

»Der Mensch ist ein politisches Thier« sagt der alte griechische Geschichtsschreiber Herodot. Damit will er sagen, daß der Einzelne nicht für sich allein bestehen könne, sondern nur durch die Verbindung mit Anderen die verschiedenen Zwecke seines Daseins erreichen und glücklich werden könne.

Eine der ersten Grundbedingungen dieses Zusammenlebens ist jedenfalls die gegenseitige Ehrlichkeit. Nur durch sie kann das Resultat des vereinten Wirkens ein günstiges sein und zwar ebenso wohl im Großen wie auch im Kleinen. Und doch wie sehr und viel wird in dieser Beziehung gefehlt!

Die grobe Sünde wird so in die Augen fallend bestraft und die Warnungen vor ihr ertönen so allerwärts, daß wir an diesem Orte wohl schweigen können; aber auch der beste Mensch steht so sehr unter dem Einflusse menschlicher Fehlerhaftigkeit, daß er öfterer als er denkt, Handlungen vornimmt, welche trotz ihrer anscheinenden Harmlosigkeit im Grunde doch nichts sind als Unehrlichkeiten.

Derjenige, welcher es ernst mit sich und seinem Handeln nimmt, wird bei der Beobachtung Dessen, was er denkt und thut, bald zur beschämenden Selbsterkenntniß gelangen; aber dem Oberflächlichen und Gedankenlosen entgehen die leichteren Ausflüsseseiner kränklichen Moralität, während er an Anderen gewöhnlich sehr bald das sittliche Ungeziefer bemerkt.

Der falsche Spieler, der Dieb, der Betrüger, sie erregen unsere Abscheu und wir gestatten ihnen keine Annäherung; aber wir freuen uns eines kleinen Vortheiles über den Anderen; wir benutzen die Gunst des Zufalles, den wir vielleicht selbst herbeigeführt haben; wir halten das Wort, das zweifelhafte Lächeln, das verneinende Achselzucken nicht zurück, welches die Ehre des Nächsten schädigt; wir zählen Sünden, unter welchen sein Glück leidet, zu den noblen Passionen und begehen eine Menge Fehler, welche wir nicht für solche halten, weil sie dem lieben eigenen Ich schmeicheln und von der Gewohnheit geheiligt sind. Und rechnen wir hierzu die tausenderlei großen und kleinen Unterlassungssünden, durch welche nicht nur Fremde, sondern auch Nahestehende von uns geschädigt werden, so werden wir bald zu der Einsicht gelangen, daß wir viel, viel auf uns zu achten haben.

Es gehört eben zur Ehrlichkeit mehr als das bloße sich Hüten vor dem groben Eigenthumsvergehen, und wer gegen Andere ehrlich sein will, muß es zuerstgegen sich selbst sein. Die meisten verfehlten Lebensbahnen sind mit Selbsttäuschung und Selbstbetrug begonnen worden, und wer sich selbst belügt, wie kann der treu sein gegen Andere?

Darum laßt uns merken auf all unser Thun und unausgesetzt arbeiten an unserer sittlichen Vervollkommnung. Es liegt eine tiefe Wahrheit in dem Worte


»Sei ehrlich gegen Dich,
So bist Du auch ehrlich gegen mich!«

»Freunde in der Noth - Gehn hundert auf ein Loth«

(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 8. S. 62–63. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.

[62] »Freunde in der Noth
Gehn hundert auf ein Loth«

»Ein treuer Freund liebet mehr und stehet fester, denn ein Bruder,« sagt Salomo in seinen Sprüchen und stellt mit diesen Worten die Freundschaft in das rechte, wahre Licht.

Sie ist die schöne, freundliche, ruhige und besonnene Schwester der Liebe. Während das Urtheil der Letzteren oft durch bestechende Aeußerlichkeiten, durch die Aufregung der Gefühle und den Rausch des Augenblickes beeinflußt und benachtheiligt wird, prüft die Freundschaft mit Selbstbewußtsein und unparteiischem Auge und bietet nur nach ernster und reiflicher Erwägung ihre Hand zum Bunde dar. »Liebe macht oft blind,« sagt der Volksmund, und die Verwandtschaft ist zufällig; warum wollen wir uns also wundern, daß wir dem Freunde mehr trauen und auf ihn mehr Verlaß haben können als auf das Weib oder den Bruder?

Man sagt, daß wahre Freundschaft jetzt so selten sei. Ist diese Klage begründet?

Das Alterthum zeichnet sich, je weiter zurück in desto höherem Grade, durch die Herrschaft der Gewalt, der physischen Kräfte aus. Jedermanns Hand war gegen Jedermann, und in gar vielen Fällen war es nur durch die Vereinigung mit Anderen möglich, sich zu behaupten und seine Rechte zu wahren. Eine solche Verbindung führte natürlich sehr leicht zu persönlicher Freundschaft, deren Werth mit ihrer Zuverlässigkeit wachsen und in die Augen springen mußte. Solche Freundschaftsbündnisse, welche sich in Sturm und Noth bewährten, wurden von dem Dichter besungen, von dem Geschichtsschreiber verzeichnet, und Beide tauchten dabei ihren Pinsel in die Farben der Poesie, welchen durch die mündliche Ueberlieferungen immer neue und hellere Töne hinzugefügt wurden.

Die Gegenwart erfreut sich einer geordneten Gesetzgebung und einer großen Anzahl von Institutionen (Einrichtungen), welche in Folge ihrer menschenfreundlichen Zwecke die Nothwendigkeit des engen und persönlichen Aneinanderrückens Einzelner aufheben. Es giebt keine Riesen, keine Drachen mehr zu bekämpfen; denn der Geist des Menschengeschlechts braußt nicht mehr durch Schlüfte und Klüfte, »eine Wildschur um die Lenden, eine Kiefer in der Faust.« Das Leben eines Jeden ist in geordnete Bahnen geleitet und kann in anspruchsloser Ruhe und Stille verfließen, ohne das Auge oder gar die Bewunderung Anderer auf sich zu ziehen.

Die Gefühle des Menschenherzens bleiben immer und ewig dieselben; aber die Verhältnisse der Außenwelt lassen sie in verschiedenem Lichte und in anderer Richtung und Thätigkeit erscheinen. So ewig ist auch die Freundschaft des Menschen, und wenn die Gegenwart mit Begeisterung von den zahlreichen Fällen echter und aufopfernder Freundschaft der vergangenen Zeit spricht, so wird sicher die Zukunft ganz[62] dasselbe von unseren jetzigen Tagen thun. Nur schreitet der Freund jetzt nicht mehr auf hohem Kothurn über die öffentliche Scene, sondern richtet sein stilles und segensvolles Wirken auf den Gang innerer und weniger anspruchsloser Verhältnisse.

»Freunde in der Noth gehn hundert auf ein Loth« will nicht sagen, daß die Freundschaft seltener als früher zu finden sei, sondern daß sie sich erst und allein in der Noth bewähre, und Derjenige, welcher in derselben seine Freunde fliehen sieht, mag sich aufrichtig fragen, ob die Schuld nicht vielleicht an ihm selbst liege.

Wer in der Trübsal von dem Nächsten verlassen wird, der hat sich selbst betrogen und gar keine Freunde besessen, sondern sein Vertrauen an Unwürdige verschenkt. Er kann nur sich selbst anklagen.

Und wer einen Freund, einen wahren, aufrichtigen und treuen, besitzen will, der muß, um mit Schiller zu sprechen, es auch selbst verstehen, »eines Freundes Freund zu sein,« und sich in Allem, was er denkt und thut, desselben würdig zeigen. –

Und ferner ist es mit der Freundschaft grad so wie mit dem Reichthum: es ist nicht leicht, reich zu werden, aber reich bleiben, das ist noch schwerer. Ebenso ist es schwierig, einen wahren Freund zu finden, noch schwieriger aber, sich denselben auch zu erhalten.

»Ein neuer Freund ist ein neuer Wein,« sagt Sirach. »Laß ihn alt werden, so wird er Dir schmecken. Uebergieb einen alten Freund nicht; denn Du weißt nicht, ob Du so viel am neuen kriegest!«

Also klage nicht über den Mangel an Freundschaft. Wer eines Freundes werth ist, der findet ihn auch, und wer sich denselben zu erhalten weiß, dem wird er sich in der Noth bewähren!

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