[31] »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich«
So sagt eines der bekanntesten und gebräuchlichsten aus dem reichhaltigsten Schatze unserer Sprüchwörter, und wie oft möchte man mit ernstem Grunde hinzufügen: »aber auch seine Hölle!«
Wollen ist Macht, das ist wahr, und einem ernsten, consequenten Willen ist die Erreichung so manchen Zieles erlaubt, nach welchem ein schwacher und wankelmüthiger Charakter vergebens strebt.
Wodurch sind die großen Männer unserer Nation, die hervorragenden Geister aller Zeiten, Länder und Völker Das geworden, was sie waren und sind – wodurch hat sich auch so mancher einfache und biedere Bürgersmann aus armen Verhältnissen emporgearbeitet in eine bessere, befriedigendere und Anerkennung erheischende Lage? Es ist nicht immer die geistige Begabung, die günstige Conjunctur oder das, was man gewöhnlich mit dem Worte »Glück« bezeichnet, gewesen, was ihm den Weg geebnet hat, sondern bei einem tieferen und vorurtheilsfreien Blicke müssen wir sagen: »Sein eiserner, unerschütterlicher Wille hat ihn emporgeleitet.«
Warum kleben Tausende und Abertausende im Staube, in welchem sie geboren sind, und kriechen klagend oder murrend am Boden des reichen und bewegungsvollen Meeres hin, welches wir Leben nennen? Nicht die niedere Geburt, nicht der Mangel an innerer und äußerer Ausstattung, nicht die Ungunst ihrer Stellung, sondern in den meisten Fällen die Kraftlosigkeit ihres Willens ist es, welche sie festhält unten auf dem tiefen Grunde.
Freilich wollen wir diese Behauptung nicht für alle, sondern können sie nur für viele, vielleicht für die meisten Fälle aufstellen, und wir wissen recht wohl, daß sie gerade von Denen immer und stets angefochten wird, welche sich von ihr getroffen fühlen. Es ist ja so sehr bedauerlich, daß sich gerade der Willenlose für einen willensstarken und energischen Mann hält und aus dem einfachen Grunde, weil er keine Selbsterkenntniß besitzt, auch nicht geheilt werden kann. Wie mancher Ehemann, wie mancher »Herr« glaubt die Herrschaft über die Seinen zu besitzen und wird, ohne daß er es weiß und merkt, von einer klugen Frau oder einem schlauen Diener geleitet und regiert.
Leider kann der Wille ebenso auf das Schlimme als auf das Gute gerichtet sein; aber der consequente Sünder, und wär's der schwärzeste Bösewicht, ist weniger gefährlich als der Leichtsinnige, welcher wie ein Rohr zwischen dem Guten und dem Bösen hin und her bewegt wird. Der Erstere läßt sich für jeden einzelnen Fall berechnen und beurtheilen, während der Wankelmüthige völlig unberechenbar ist. Der Bösewicht kann sich bessern, und sein fester Wille wird ihn am Guten festhalten; der Leichtsinnige aber wird stets zurückfallen in die alte Bahn, mag er sich auch aufraffen so viele Male es nur immer sei.
O, möchte doch Jedem ein Wille gegeben sein, der treu und fest am Guten hält und mit Kraft und Lust nach dem immer Besseren, immer Edleren, immer Höheren strebt; möchte doch Keiner vergessen, daß des Menschen Wille sein Himmelreich ist, aber auch seine Hölle sein kann!
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