I.
Die Prairie schob sich busenähnlich in den zurücktretenden Urwald hinein, und am äußersten Rande dieser »Bucht,« wie die Jäger dergleichen Orte nennen, hatte die Gesellschaft, zu welcher ich gehörte, ihr Lager aufgeschlagen, um für einige Tage von den gehabten Anstrengungen auszuruhen und bei dieser Gelegenheit einiges »Fleisch zu machen.« Es war uns auch gelungen, an eine Büffelheerde heranzukommen, und während die Andern sich eifrig mit den beiden Kälbern, die wir geschossen und zum Lager geschleift hatten, beschäftigten, hatte ich einen Ausflug hinaus in die Savanne unternommen, da »Swallow,« mein braver Mustang, nicht in dem Grade der Ruhe bedurfte wie die andern Pferde.
Ich war am Morgen ausgeritten; die Sonne hatte jetzt schon seit einigen Stunden den Kulminationspunkt hinter sich, und ich beschloß eben umzukehren, als ich mehrere Hufspuren bemerkte, auf welche mein Weg im spitzen Winkel stieß. Ich stieg ab um sie zu untersuchen.
Es war eine eigenthümliche Fährte. In der Mitte derselben ließen sich die Hufeindrücke zweier Pferde deutlich erkennen; zu beiden Seiten waren je drei und drei, zusammen also sechs Andere geritten, und ein Siebenter hatte, bald zu Fuße und bald zu Pferde, bald hüben und bald drüben, seine Eindrücke hinterlassen. Den Fußspuren nach war es ein Indianer gewesen. Ich verglich das niedergetretene Gras der einzelnen Fährten und fand, daß die mittleren zwei Spuren vielleicht um eine Stunde älter waren als die andern, denn bei ihnen hatten sich die Halme bereits um ein Beträchtliches mehr erhoben, als bei den übrigen. Es war mir sofort klar, daß die Zwei von den Sieben verfolgt wurden, deren Spuren so frisch waren, daß sie kaum vor einer halben Stunde erst vorübergekommen sein konnten.
Da die Fährte ungefähr die Richtung verfolgte, in welcher unser Lager sich befand, so beschloß ich ihr zu folgen; die Sorge für die Meinigen erforderte dies. Wir befanden uns in der Nähe des Yellow-Stone-River, also im Gebiete der den Weißen feindlich gesinnten Sioux, und wenn wir auch so einige Dutzend tüchtiger Arme besaßen, so konnte ein Zusammentreffen mit den Indsmen doch nicht in unserem Wunsche liegen. Ich bestieg also »Swallow« wieder und versetzte ihn in jene ausgiebige Gangart, welche im Südwesten Sobre-passo genannt wird und darin besteht, daß das Pferd je die beiden rechten oder linken Füße zugleich, den Vorderlauf jedoch immer höher als den Hinterlauf erhebt, was eine weit schnellere und doch sanftere Bewegung ergibt als das Traben.
So legte ich in kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich den Verfolgern schon ziemlich nahe sein konnte, als ich plötzlich zwei Fußspuren bemerkte, welche von seitwärts herkamen und sich mit der Fährte, die ich nicht aus dem Auge gelassen hatte, vermischten. Wieder stieg ich ab um sie zu prüfen.
Sie rührten von zwei Weißen her; das stand fest, denn die Zehen waren nach auswärts gekehrt, und zugleich sah ich, daß die beiden Männer von sehr verschiedener Gestalt sein mußten, denn die Fußeindrücke des Einen waren bedeutend länger als die des Andern. Der Lage der Halme nach waren die Zwei erst vor wenigen Minuten hier gegangen. Ich stieg auf und folgte ihnen im Galopp, die Augen bald auf die Fährte und bald in die Ferne gerichtet, wo ich auch bald zwei schnell vorwärtseilende Punkte bemerkte, die, als ich näher kam, sich als menschliche Gestalten erwiesen.
Einmal rückwärts schauend erblickten sie mich und blieben halten, um mich mit zum Schusse erhobenen Büchsen zu erwarten. [837] Als ich so nahe war, daß ich sie genau zu betrachten vermochte, konnte ich mich eines Lächelns kaum erwehren.
Es waren zwei Männer, welche die Natur als schroffe Gegensätze neben einander gestellt zu haben schien.
Der Eine war klein, aber von einem ganz ungemeinen Körperumfange. Ein dichter struppiger Bart bedeckte sein Gesicht so, daß von dem letzteren nur eine fürchterliche, in allen Farben spielende Nase und zwei kleine, listig blinzelnde Aeuglein zu erkennen waren. Die verschobene Perrücke, welche auf seinem breiten Schädel lag, hatte jedenfalls seit langen Jahren weder Kamm noch Bürste gefühlt und glich einem umgekehrten und zerzausten Vogelneste. Auf ihr saß ein Ding, welches früher einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber alle Haare verloren und ganz das Aussehen eines umgestülpten faltenreichen Bärenmagens hatte. Der Jagdrock, in dem das Männlein stak, war jedenfalls für eine bedeutend längere Persönlichkeit angefertigt worden, denn er hing ihm fast bis an die Knöchel herab und ließ von der unteren Partie des possierlichen Trappers nur zwei vielfach zerrissene und zerfetzte Mokkassins erblicken.
Der Andere war fast um die Hälfte höher als sein Gefährte. Seine Glieder waren so dünn und lang gezogen, daß man befürchten mußte, sie könnten beim ersten Windstoße wie Fäden auseinandergetrieben werden. Alles an ihm war lang und dünn oder schmal: die Stirn, die Nase, die Lippen, das bartlose Kinn, der Hals, der Leib, die Arme und Beine; auf seinem Hinterkopfe balancirte ein eigenthümlicher Gegenstand, dessen hundertster Urenkel nach der Darwin'schen Lehre wahrscheinlich Hut zu nennen sein würde; das lederne Jagdwamms reichte ihm nur wenige Zoll über die dürren Hüften herab, und die unendlichen Beine staken in zwei weit heraufgezogenen Futteralen, von denen sich kaum entscheiden ließ, ob sie Strümpfe, Gamaschen oder Stiefel zu nennen seien.
Ihre Ausrüstung war ganz die bei einem Prairiejäger gewöhnliche und bot, außer der Büchse des Dicken, keinen Stoff für eine besondere Betrachtung. Diese aber sah einem im Walde abgebrochenen Prügel ähnlicher als einer Feuerwaffe. Das Holzzeug an ihr hatte durch Kerben, Sprünge und abgeschlagene Splitter seine ursprüngliche Gestalt verloren; Lauf, Schloß und Beschlag waren vom Roste zerfressen, und ein europäischer Schütze hätte wohl nur mit der größten Vorsicht einen Schuß aus ihr gewagt. Doch sah ich hier nicht das erste derartige Schießinstrument, mit dem ein Fremder absolut nichts anzufangen weiß, während der Besitzer aus dem alten verlaufenen Rohre sicher keinen andern als einen Meisterschuß thut.
»Stop, Sir,« rief mich der Dicke an; »in welcher Absicht reitet Ihr hier in der alten Wiese spazieren?«
»Spazieren?« wiederholte bekräftigend der Lange, indem er den Lauf seines Gewehres gerade auf meine Nase richtete.
»Thut Eure Gun's (Flinten) beiseite, Mesch'schurs,« antwortete ich. »Ich habe nicht die Absicht Euch aufzufressen!«
»Wollts Euch auch nicht gerathen haben, die two Sams anzubeißen, Sir! Würdet Nichts zu schmecken bekommen als ein paar runde Stücke Blei! Ihr seid doch jedenfalls nicht allein in der Savanne, schätze ich. Zu wem gehört Ihr?«
»Meine Gesellschaft liegt da vorn in einer ›Bucht,‹ fünf Meilen ungefähr von hier. Wir machen Fleisch, und ich bin ein wenig fortgeritten, um im richtigen Gang zu bleiben.«
»Das ist einen ganzen Kürbis (Trapperausdruck für viel oder sehr) unvorsichtig von Euch, Sir, schätze ich. Wißt Ihr nicht, daß es hier auf der alten Wiese Rothhäute gibt?«
»Rothhäute gibt?« nickte bekräftigend der Lange.
»Haben seit mehreren Wochen keine Spur von irgend einem red-man zu sehen bekommen.«
»So könnt Ihr heut genug sehen, Sir. Die two Sams sind von Sieben verfolgt worden von den Big Horns herab, und ist wohl noch eine ganze Heerde Yankatous hinter ihnen her, schätze ich.«
»Ihr seid die beiden Reiter, deren Spur ich gesehen und verfolgt habe?« frug ich erstaunt und besorgt zugleich, denn die Yankatous bilden den unversöhnlichsten und kriegerischsten Stamm der Sioux. »Wo habt Ihr denn Eure Thiere, und wie kommt Ihr zu Fuß auf Eure eigene Fährte zurück?«
Die Aeuglein des Kleinen blinzelten mit halb pfiffig, halb mitleidig entgegen.
»Sam Thick schätzt, Ihr seid ein Greenhorn (Neuling), Sir, da Ihr noch nicht wißt, was ein ächter rechter Westmann thut, wenn er sehen will, ob seine Spur verfolgt wird oder nicht! Er schlägt einen Bogen auf sie retour; ist sie frei geblieben, so liegts gut, findet er aber den Feind auf ihr, so weiß er nun doch, woran er ist und hat die Verfolger vor sich statt hinter sich. Seht Ihr das ein?«
»Danke für die Belehrung, Master; war nicht gerade nothwendig! Konnte mir nur nicht sagen, warum Ihr abgestiegen seid und Eure Thiere nun den Rothen schenkt.«
»Schenken? Zounds, seid Ihr verrückt, Sir?«
»Verrückt, Sir?« schnarrte auch der Andere.
»Nun, Mesch'schurs?«
»Wären die ›two Sams‹ den Bogen geritten, so hätten sie die Yankatou sicher hinter sich behalten; sie haben aber ihre Pferde angehobbelt (an den Vorderbeinen gefesselt) stehen lassen, damit die dummen Indsmen denken, sie machen Lager und sind nur in den Wald gegangen, um Aeste für das Feuer zu holen.«
»Feuer zu holen,« bestätigte das lange Echo.
»Ah!« dehnte ich überrascht. »Ists weit von hier?«
»Blos einige Stecken (Trapperausdruck für nicht weit), schätze ich. Wie viel Mann zählt Eure Gesellschaft, Sir?«
»Zwölf.«
»Nur Weiße?«
»Ja. Könnt Ihr unsere Büchsen brauchen, Master?«
»Jetzt nicht, bei den Sieben; es ist zu spät. Aber Euch können wir gebrauchen. Wollt Ihr mit, oder fürchtet Ihr Euch?«
»Sehe ich so furchtsam aus?«
»Hm, Euer Pferd ist gut, sehr gut,« meinte er mit bewunderndem Blicke auf Swallow, »aber der Mann, der Mann könnte besser sein, schätze ich. Ihr sitzt mir zu parademäßig im Sattel, Euer Rock hat weder Flick noch Flock, Euer Gürtel und was daran hängt, glänzt von Metall und Lack, und Eure Fowling-piece (Vogelflinte) ist so blank geputzt, als käme sie soeben erst aus dem Store. Seid doch wohl ein Greenhorn, Sir?«
»Greenhorn, Sir?« ließ sich auch der Andere vernehmen.
Ich wußte, welches Vorurtheil der richtige Woodsmann gegen eine gut gehaltene Ausrüstung hat, und lächelte.
»Habt keine Sorge, Master Sam! Habt Ihr von einem gewissen Jake Hawkins in St. Louis gehört?«
»Sollte meinen! Er ist ja der beste Büchsenmacher in den Staaten!«
»Nun, von ihm ist diese Büchse, dieser Henrystutzen, der fünfundzwanzig Kugeln bei nur einmal Laden schießt, und diese beiden Revolver hat er auch gemacht. Und der Mann, der sie trägt, ist zwar kein Kentucky-Shooter, aber ein Deutscher, der heut nicht seinen ersten Schuß thun würde.«
»Behold, Sir, das läßt sich hören, schätze ich! Die Waffen sind gut, und Sam Thick hat schon gar manchen Mann aus Germany da drüben kennen gelernt, der den Grizzly in das Auge zu treffen wußte. Kommt mit; aber steigt vom Pferde, denn die Indsmen haben verteufelt gute Augen, und ein Mann hoch zu Roß ist leichter zu sehen als einer, der nur auf den Sohlen reitet!«
Ich stieg ab, nahm Swallow am Zügel und frug im Vorwärtsschreiten:
»Nun sagt auch Ihr wer Ihr seid, Master! Ich habe auch Auskunft über mich gegeben und muß natürlich wissen, wem ich meine Kugel leihen werde.«
»Wer wir sind, Sir? Hm, das wäre eine verteufelt lange Geschichte; aber ich heiße Sam, und Der hier heißt Sam, und darum werden wir von den Unsrigen nur die ›two Sams‹ genannt. Wir gehören zur Gesellschaft der ›Both Shatters‹ und haben da oben am Wasser unser Hide-spot (Versteck.)«
Ich blieb überrascht stehen und sah die beiden Männer staunend an. Die »Both Shatters,« Vater und Sohn, waren die berühmtesten Jäger zwischen den Seen und dem mexikanischen Busen, Niemand kannte ihren eigentlichen Namen, Niemand wußte woher sie stammten, aber Jeder wußte irgend ein außerordentliches Abenteuer von ihnen zu erzählen. Sie waren die furchtbarsten Feinde der Indianer, und obgleich kein Fremder ihren Lagerplatz betreten hatte, sagte man sich doch, daß dort mehr Nuggets (größere Waschgoldstücke) und Indianerskalps zu finden seien, als man auf einen Ochsenkarren laden könne.
»Zu den ›Both Shatters‹? Ists wahr, Master?«
»Natürlich, Sir! Und wenn Ihr einmal mit ihnen zusammenkommt, so werden sie Euch gern von Sam Thick und Sam Thin erzählen, die immer beisammen sind und schon manchem rothen Schuft das Fell vom Kopf gezogen haben. Nicht wahr, Sam Thin, altes Coon?«
Coon ist Abkürzung von Raccoon, der Waschbär, und wird von den Jägern unter den verschiedensten Bedeutungen als Anrede gebraucht.
Sam Thin grunste zustimmend; Sam Thick aber hatte den Weg wieder aufgenommen, und so schritten wir, die Spur verfolgend, rüstig vorwärts.
Nach einiger Zeit sahen wir eine Waldzunge sich lang und [838] schmal in die Prairie hinausschieben. Die beiden Trapper wurden vorsichtiger. Sie verließen die Fährte, welche sich um die Zunge herumzog und eilten, zwischen den Vorbüschen so viel wie möglich Deckung suchend, rasch und in gerader Richtung auf die hochstämmigen Robinien und Weymouthskiefern zu. Als wir sie erreicht hatten, blieb Sam Thick halten.
»Heigh-day, Sir, das Schlimmste ist vorüber, schätze ich! Die Rothen konnten uns durchschaut und hier erwartet haben, wo sie vor unsern Kugeln sicher waren und uns ebenso sicher ausgelöscht (Trapperausdruck für getödtet) hätten. Aber die Hallunken sind wahrhaftig dümmer als ein Dickkopf von Coloured Gentleman (Neger) und werden nun untergehen (sterben) und ihre Felle geben müssen!«
»Geben müssen!« bestätigte Sam Thin, indem er seinem Gefährten folgte, der sich vorsichtig bis an den gegenseitigen Rand der Zunge schlich. Draußen lag eine der schon erwähnten Buchten. Sie wurde ihrer Länge nach von einem Bache in zwei Hälften getheilt, dessen beide Ufer mit dichtem Weichholz bestanden waren; er kam aus der obersten Ecke der Bucht und verschwand, einen Winkel beschreibend, hinter der gegenüberliegenden Waldesecke. Ein Blick genügte mir, um zu sehen, daß die List der beiden schlauen Trapper vollständig gelungen sei.
Sie waren vorhin über den Bach gegangen, hatten hinter demselben ihre Thiere angehobbelt und dann den jenseitigen Theil des Waldes aufgesucht, um von da aus nach rückwärts ihren Bogen auf die Fährte zu schlagen. Unterdessen waren die Yankatous angekommen, hatten die beiden Pferde bemerkt und sich sofort wieder hinter das Wasser zurückgezogen, um die Rückkehr der Weißen zu erwarten, die dann verloren gewesen wären. Zuvor hatten sie, um sich von ihrer Sicherheit zu überzeugen, unsern jetzigen Standort untersucht, wie die deutlichen Spuren, welche wir bemerkten, bezeugten, und lagen jetzt keine zweihundert Schritte weit und ohne alle Deckung vor uns hinter den Büschen am Bache. Ihre Pferde hielten angepflockt in ihrer Nähe. Es war ein Glück, daß die Luft uns entgegenkam, sonst hätten uns die Thiere längst gewittert und verrathen gehabt.
»Sam Thin, altes Coon, siehst Du die Kupfermänner? Schau dort durch die Lücke, wenn Du Sehnsucht nach unseren Pferden hast! Sie haben sie nicht angerührt. Jetzt, Sir, die Büchse auf. Ihr nehmt den Ersten dort, ich den Zweiten und Sam Thin den Dritten, dann das Beil heraus und drauf! Ihr habt doch einen Tomahawk da unter dem Rocke?«
»Habe einen und zwei Schüsse in der Büchse; ich nehme also den Ersten und Vierten!«
»Gut, Sir! Ich schätze, daß sie verteufelt überrascht sein werden, wenn wir aus einer ganz anderen Richtung blasen als sie denken!«
Vier Schüsse krachten, und vier Indianer überschlugen sich, die drei Anderen fuhren empor, erblickten uns und sprangen zu den Pferden. Dem Ersten gelang es, das seinige zu erreichen; er riß den Pflock aus der Erde, schwang sich auf und sprengte davon. Ich warf mich auf den Nächsten, der auch schon im Begriffe stand, auf eines der Thiere zu springen. Er riß den Tomahawk vom Gürtel und holte zum Schlage aus, sank aber augenblicklich zur Erde nieder. Mein Messer war ihm bis an den Griff in die Brust gedrungen. Mich umblickend, bemerkte ich die beiden Jäger, welche auf dem Letzten lagen, der sich verzweifelt gegen sie wehrte. Hier war meine Hilfe jedenfalls nicht nöthig; aber der Entflohene durfte nicht entkommen.
»Swallow!«
Das brave Thier war unter den Bäumen halten geblieben. Auf meinen Ruf kam es augenblicklich herbeigetrabt. Ich saß auf und ritt um die Waldeszunge herum, wo ich den Indianer schon in ziemlicher Entfernung dahingaloppiren sah. Er legte denselben Weg zurück, den er gekommen war.
»Come on, Swallow!«
Das Wort genügte, um den Mustang in schnellsten Lauf zu versetzen; ventre à terre flog er vorwärts, so daß sich schon in den ersten Augenblicken zeigte, daß er dem Pferde des Wilden weit überlegen war. Von Sekunde zu Sekunde wurde die Entfernung zwischen uns Beiden geringer, bis ich ihm auf kaum zwanzig Pferdelängen nahe gekommen war. Er hatte mich erblickt und trieb sein Thier zur äußersten Eile an.
»Stop, Swallow!«
Der Mustang stand und vermied auch die leiseste Bewegung, denn ich zog den Stutzen aus der Sattelschleife und er wußte nun, daß ich schießen wolle. Der Schuß krachte, und der Indianer fiel vom Pferde. Während das Letztere reiterlos davonjagte, ritt ich zu dem Getroffenen heran. Die Kugel war ihm in den Hinterkopf gedrungen; er war todt. Ich stieg ab und nahm ihm Messer, Beil und Munitionsbeutel als Siegeszeichen. Sein Gewehr hatte er in der »Bucht« vor Schreck liegen lassen.
Als ich wieder im Sattel Platz nahm und unwillkürlich nach dem entkommenen Pferde ausschaute, erblickte ich in der Richtung der Fährte, aber noch in weiter Ferne, einen dunklen Haufen sich auf mich zu bewegender Gestalten. Ich nahm das Rohr vom Gürtel, schob es auf und beobachtete die verdächtige Erscheinung. Es waren Indianer, die unsern Spuren folgten, jedenfalls wohl die Yankatou, von denen Sam Thick gesprochen hatte. Ich wandte um und sprengte im Karriere zur Bucht zurück. Dort fand ich die »two Sams« beschäftigt, den sechs Todten die Skalpe zu nehmen.
»Habt Ihr ihn, Sir?« frug Sam der Dicke.
»Ja, hier sind seine Waffen.«
Die Antwort kam mir nur stockend zwischen den Lippen hervor, so war ich über das Aussehen des Mannes erschrocken. Während des Ringens mit dem Wilden hatte er nämlich Mütze und Perrücke verloren, und ich sah nun einen haarlosen Schädel, dessen nachgewachsene Haut in den fürchterlichsten Farben spielte. Sam Thick war skalpirt worden.
»Bihold, Sir, seht Euch wohl meinen Schädel an, schätze ich? Bin einmal den Yankatous in die Hände gerathen und um meinen Pelz gekommen, ließen mich dann für todt liegen, die Schufte. Sam Thin, das alte Coon, aber hat mich gefunden und mitgenommen. Mußte verteufelt viel ausstehen, ehe ich wieder zu Verstande kam, und bin dann hinuntergeritten nach Cheyenne zum Hairdresser, um mir dies Rattenfell zu kaufen, das Sie Perrücke nennen. Kostet mich damals vier volle Bündel Dickschwanzpelze (Biberhäute), ist aber bezahlt worden, hundertfach bezahlt, denn ich habe geschworen, daß die rothen Scoundrels für jedes zehnte Haar einen Skalp geben sollen. Habe auch schon einen ganzen Haufen beisammen, da droben im Hide-spot, und wird wohl noch größer werden, schätze ich. Hier nehmt Eure drei Skalps, Sir!«
»Danke, Mann! Bin noch nicht skalpirt worden und mag also das Zeug nicht haben, denn – –«
»Nicht?« unterbrach er mich erstaunt. »Ihr habt be wiesen, daß Ihr kein Greenhorn seid – –«
»Kein Greenhorn seid,« schalt auch der Dünne mit anerkennendem Kopfnicken ein.
»Und wollt die rothen Felle nicht?«
»Bin darüber anderer Meinung als Ihr! Uebrigens macht, daß wir von hier fortkommen! Es ist eine ganze Truppe Indianer hinter uns, die in zehn Minuten in der ›Bucht‹ sein kann.«
»Indsmen?«
[839][850] Der kleine Mann sprang mit einer Behendigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte, bis an die Spitze der Waldeszunge vor und blickte in die Prairie hinaus. Im Nu war er wieder zurück, schob drei der erbeuteten Skalpe unter den Gürtel, riß seine Waffen von der Erde empor und sprang über den Bach.
»Have care, Sam Thin, altes Coon, nimm die drei andern Felle und mach Dich davon. Die Yankatou's kommen Dir sonst zwischen die ewigen Beine.«
Auch ich nahm meine Büchse auf, die ich vorhin weggeworfen hatte, und folgte den Beiden. Als ich die Büsche jenseits des Baches durchbrach, saßen sie schon im Sattel. Wir waren zum Widerstande viel zu schwach, denn ich schätzte die Zahl der Feinde auf gegen hundert, und durften uns unmöglich auf der offenen Prairie sehen lassen. So schnell wie möglich ging es an dem vielfach ausgebuchteten Waldesrande dahin, indem wir bald quer über die offenen Stellen jagten und bald zwischen den Büschen, Sträuchern und Bäumen hindurch die schmalen Waldesspitzen durchschnitten. Die Pferde der »two Sams« erwiesen sich als vortrefflich, obgleich Swallow seine ganze Schnelligkeit nicht entwickeln durfte wenn ich ihnen nicht vorankommen wollte, und so ging der rasche Ritt eine ziemliche Weile lang, bis wir einen zweiten Wasserlauf erreichten, an welchem Sam Thick sein Thier parirte.
»Wollt Ihr noch zu den Euren, Sir?«
»Versteht sich, Master Sam! Ich habe nur wenig über zwei Meilen noch zu ihnen und darf sie nicht in Sorge über mich lassen. Ihr macht doch mit?«
»Nein. Wir sind hier auf dem Wege zu den ›both Shatters‹ und in einer Viertelstunde in Sicherheit. Reitet Ihr weiter, so bringt Ihr Euch und Eure Gesellschaft in Gefahr, schätze ich. Unsere Spuren verschwinden hier, die Eurigen aber bleiben und werden von den Indsmen entdeckt. Kommt mit! Es ist uns zwar verboten, Fremde nach dem Hide-spot zu bringen, Ihr aber habt eine Ausnahme verdient. Entscheidet rasch, Sir!«
»Rasch, Sir!« bat auch Sam der Dünne.
»So gehe ich mit Euch!«
Dieser Entschluß war etwas rasch gefaßt, doch ließ er sich entschuldigen. Sollte ich die prächtige Gelegenheit, die »both Shatters« kennen zu lernen, ungenützt vorübergehen lassen? Ich brachte wirklich die Meinen in Gefahr, wenn ich durch meine Spur die Wilden zu ihnen führte, und wenn, was mit Hilfe des Baches allerdings recht gut möglich war, unsere Spuren wirklich hier verschwanden, so ließ sich vom Hide-spot aus doch vielleicht ein Weg finden, auf welchem ich ohne Bedrohung ihrer Sicherheit zu ihnen gelangen konnte.
Wir lenkten unsere Pferde in das Wasser, um den Lauf desselben aufwärts zu verfolgen. Mich noch einmal umschauend, sah ich einige Zweige am Buschrande, durch den wir gekommen waren, sich bewegen und glaubte das dunkle Gesicht eines Wilden zwischen ihnen zu erblicken.
»Master Sam, schlagt einen andern Weg ein und verrathet Euern Hide-spot nicht, die Indsmen sind schon da!«
»Egad, Sir? Das ist nicht möglich, denn unser Vorsprung war zu groß. Folgt schnell, Ihr habt Euch getäuscht!«
Ich ritt hinter ihnen her, machte mich aber schußfertig und blickte fleißig zurück. Da sich jedoch nicht das geringste Verdächtige bemerken ließ, so beruhigte ich mich in dem Gedanken, daß mir nur meine aufgeregte Phantasie jenes Gesicht vorgemalt habe. –