[1] Ein Oelbrand
Erzählung aus dem fernen Westen von Karl May

1. Teil. Tötendes Feuer

1. Teil

Tötendes Feuer

Einer nicht ganz leichten Verwundung wegen hatte ich in Fort Caß am Zusammenfluß des Bighorn mit dem Yellowstrome einige Wochen lang das Lager gehütet, und das war eine recht trübselige Zeit gewesen. Nicht daß es mir an Mitteln gefehlt hätte, die Zeit meines gezwungenen Verweilens mir so angenehm wie möglich zu machen; ich hatte vier volle Maultierladungen Felle mitgebracht und ein schönes Sümmchen dafür gelöst; aber die hier gebotenen Genüsse gipfelten in Tabakrauchen und Brandytrinken. Der Tabak bestand zur Hälfte aus Surrogat, und der Brandy schien verdünnte Schwefelsäure zu sein. Außerdem gab es drei oder vier Spiele Karten, deren Bilder kaum mehr zu erkennen waren, und eine Bibliothek von drei Bänden, nämlich Shakespeares Heinrich VIII., bestehend aus Einband und Titelblatt; die andern Blätter waren bereits zu Pfropfen verwendet worden! – Voltaires Karl. XII. – einmal in den Feldkessel gefallen und die Blätter infolgedessen fest zusammengeklebt; – und der vierte Band der Chronik des Oeil de Boeuf – hatte im Zuckerkasten des Majors gelegen und war von den Ameisen halb aufgefressen worden. Ausflüge konnte ich der Wunde wegen nicht mitmachen, und Besuche erhielt ich fast gar nicht, da ich überhaupt kein besonderes gesellschaftliches Talent besitze und übrigens an den Herren Militärs kein großes Wohlgefallen fand. Die Soldaten waren aus allen möglichen problematischen Elementen zusammengeworfen, und die Herren Offiziere konnten mir nicht sympathischer sein, da ich über die Erfüllung ihrer Pflichten ganz anders dachte als sie. So hatte ich mich während der Zeit meines Krankenlagers recht einsam gefühlt, und als der Arzt mir endlich den ersten Ausflug gestattete, beschloß ich, von dieser Erlaubnis gleich einen etwas umfänglicheren [1] Gebrauch zu machen, als er es wohl beabsichtigt hatte.

Ich nahm mir daher ein gutes, indianisches Rindenkanot, legte meine Waffen zu mir und ruderte mich den Bighorn hinauf: ich wollte mir eine rechte Güte thun und wieder einmal eine ganze Nacht im Urwalde verbringen.

Proviant hatte ich nicht mitgenommen; zum Trinken gab es Wasser genug, und den Braten sollte mir meine Büchse liefern. So hatte ich mich seit frühmorgens mit einigen kurzen Unterbrechungen den Fluß hinauf gearbeitet und machte am Abend an einer Stelle Halt, welche vielleicht fünfzehn englische Weilen vom Fort entfernt sein konnte.

Das war ein stiller, einsamer Ort, so ganz nach meinem Geschmack. Der Fluß bildete hier eine seeartige Erweiterung mit mehreren tiefen, schmalen Buchten, an deren einer ich landete und das Kanot befestigte. Es wollte bereits dunkel werden; ich brannte mir ein Feuer an und briet mir einige Fische, welche ich während der Fahrt geangelt hatte. Als ich diese einfache Mahlzeit beendet hatte, legte ich noch mehr Holz in die Flamme, wickelte mich in meine Decke und legte mich nieder.

Aber von Einschlafen war noch keine Rede. Ich hatte so lange Zeit auf meinen alten, treuen Freund, den Urwald, verzichten müssen, und heute, da ich zum erstenmale wieder in seinen Armen lag, durfte ich ihm das Herzeleid nicht anthun, einzuschlafen, ohne seinen ernsten, tiefen, schwermütigen Stimmen zu lauschen.

Diese Stimmen sind von dem großen Meister der Schöpfung alle in Moll gesetzt, sind ja auch die einfachen Gesänge der Naturvölker stets in Moll komponiert. Ich lauschte der Abendhymne des Waldes, jenem leisen aber sonoren Sausen, welches von tief gestimmten Aeolsharfensaiten zu kommen scheint. Es umgibt und umklingt einen von allen Seiten; es kommt aus allen Richtungen, und doch kann man nicht sagen, wo es beginnt und wo seine Noten geschrieben stehen. Dazu erklang in leichtem Rhythmus das kosende Plätschern und Glucksen der Wellen. Ein Eichkätzchen kam am Stamme einer Rüster herab, betrachtete mich mit seinen kleinen, neugierigen Aeuglein und kehrte dann beruhigt in seinen Kober zurück. Zuweilen sprang in dem Scheine, den das Feuer über das Wasser warf, ein Fisch empor und fiel mit lautem Klatschen wieder in sein Element zurück. Die brennenden Zweige prasselten in der Glut; eine Kopperhead, zu den Kreuzottern gehörend, raschelte davon; sie hatte vielleicht ihr Sommerlogis grade in der Nähe des Feuers gehabt und machte sich jetzt aus dem Staube. Ein aus dem ersten Schlafe geweckter Käfer arbeitete sich mit mikrophonem Rascheln durch das abgefallene Laub; eine kleine Mosquitenschar tanzte um den aufsteigenden Rauch einen sehr bewegten Reigen und ließ dabei ein feines, silbernes Klingen hören, welches plötzlich durch das unstäte, heftige Summen eines großen, dicken Nachtfalters unterbrochen wurde, der mit tölpelhafter Rücksichtslosigkeit mitten unter sie hineinschoß, aber auch sofort seine Strafe erlitt: er versengte sich die Flügel und fiel in die Flamme. Vis-à-vis von mir, auf der andern Seite der schmalen Bucht, erhob ein Frosch seine Stimme; er mußte ein riesenhafter Kerl sein, denn sein Quaken war ein förmliches Brüllen zu nennen. Er schien sich über meine Gegenwart höchst beleidigt zu fühlen, denn er ließ nicht jenes kurze, tief befriedigte »Quak!« [2] oder jenes lang gezogene, glückselige, »Qu – aaaak!« hören, mit dem ein normal gestimmter Froschbariton sein breites Maul aus dem Wasser schiebt, sondern es war ein höchst ärgerliches Belfern, ein beleidigendes, aller Rücksicht und Hochachtung bares Räsonieren, was er hören ließ, die reinste, ausgesprochenste Verbalinjurie, und – – – doch halt, was war das?

Der Frosch brach plötzlich ab, und ich hörte, daß er in das Wasser zurückfuhr. Er war gestört worden; aber wodurch? von wem?

Wer jahrelang und unter tausend Gefahren sich im »wilden Westen« aufgehalten hat, der weiß jeden, auch den kleinsten Laut der Natur zu beurteilen. Ein Zweig knickte drüben, ein dürrer, dünner Zweig, der auf dem Boden gelegen hatte; ich hörte es deutlich, und so leise dieser Ton gewesen war, sagte er mir doch, daß er von dem Fuße eines Menschen verursacht worden sei. Zerbricht ein Aestchen, ein Zweig in der Höhe, so hat dies wenig zu bedeuten, denn es ist vom Winde oder von einem Tiere geschehen, knickt das Holz aber am Boden, so ist die Möglichkeit vorhanden, daß ein Mensch in der Nähe ist. Und ein alter Waldläufer weiß an dem Geräusch sehr genau zu entscheiden, ob der Zweig von dem elastischen Fuße eines schleichenden Tieres oder dem weniger biegsamen eines Menschen zerbrochen wurde. Er weiß sogar durch langjährige Uebung zu bestimmen, ob das Geräusch durch den hartsohligen Stiefel eines Weißen oder den weichen, nachgiebigen Mokassin eines Indianers hervorgebracht ist.

Ich wäre in diesem Augenblicke eine jede Wette eingegangen, daß sich ein Indianer da drüben jenseits der Bucht befinde, und dies konnte nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge keineswegs ein beruhigender Gedanke für mich sein.

Ich gestehe nämlich freimütig, selbst auf die Gefahr hin, vielerorts anzustoßen, daß ich das bisherige Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billige. Auch der Indianer ist Mensch und steht im Besitze seiner Menschenrechte; es ist eine schwere Sünde, ihm das Recht, zu existieren, abzusprechen und die Mittel der Existenz nach und nach zu entziehen. Man halte im Vereinigten Staaten-Kongreß noch so schöne Reden; man sende dem sogenannten »Wilden« Missionäre, Agenten und alle möglichen anderen Sorten von »Zivilisatoren«, der Unparteiische aber wird die Rede von der That zu unterscheiden wissen.

Der Indianer befand sich im vollständigen Besitze des Landes; er war Herr des Bodens und seiner Erzeugnisse; er lebte auf diesem Boden nach seiner individuellen Art und Weise und befand sich wohl dabei. Keine einzige indianische Ueberlieferung spricht von einem solchen Blutvergießen, wie es kurz nach der Einwanderung der Weißen begann und noch heute fortgesetzt wird. Die ersten Weißen wurden fast wie Götter aufgenommen und geehrt, aber diese Götter zeigten bald sehr menschliche oder vielmehr unmenschliche Eigenschaften. Man denke nur an die spanischen Konquistadores, welche das heilige Kreuz auf ihren Fahnen trugen, aber Fluren und Felder vernichteten, Städte und Dörfer zerstörten und dadurch, daß sie die Wasserleitungen in Ruinen legten, das Land in eine große Oede verwandelten. Finsterer Zelotismus, fieberhafte Goldgier, Verrat und maßlose Selbstsucht haben das Leben von Millionen friedlicher Menschen vernichtet und [3] unsre Geschichte um die Fortentwicklung einer eigenartigen, wohlberechtigten Kulturform gebracht. So in Peru und in Mexiko. Und in den Vereinigten Staaten? Der Indianer soll sterben, und er wird also sterben, es ist daher unnütz, zu philosophieren; aber man beurteile ihn nicht nach Berichten aus zehnter und zwölfter Hand, auch nicht nach seinem jeweiligen Feindseligkeiten, zu denen er immer wieder getrieben wird; man suche ihn auf, vertraue sich ihm an und lerne ihn kennen! Er ist enthaltsam, gerecht, wahr, treu und tapfer. Hat man ihn betrogen und getäuscht, so verurteile man ihn nicht, wenn er Gleiches mit Gleichem vergilt. Treibt man ihn, ohne ihm Wort zu halten, aus einer Reservation in die andere, so wundere man sich nicht, daß er sich nicht zum heimatslosen »Ewigen Juden« geboren fühlt, sondern das kleine, ihm zugesagte Stückchen desjenigen Landes verteidigt, welches einst ihm ganz gehörte. Der Indianer liegt im Sterben, tausendfach verwundet und verletzt; sein Scheiden ist kein friedliches; sein Todeskampf ist vielmehr ein fürchterlicher. Das Feuerwasser, die Pocken und andre ähnliche Geschenke der Weißen haben seine Kräfte noch nicht zur Neige gebracht; er, der einstige Riese, ist noch stark genug, manchen Angreifenden im gewaltigen Todeskampfe zu erdrücken. Sein hartes Sterbebette ist das Felsengebirge, in dessen Schluchten und Kañons die letzten Kämpfe stattfinden werden. Er weiß, daß die Pueblos, Zuni, Queres und alle, welche sich ergeben haben, den langsamen, ehrlosen Tod des Verschmachtens, der Entartung gestorben sind oder noch sterben werden; er will sterben wie Held Roland, das Schwert in der Faust. Alle die sogenannten friedlichen Indianer verschwinden nach und nach, ohne ihren Namen und das Gedächtnis einer männlichen That zu hinterlassen; aber die Komanchen und Apachen im Süden und die Sioux im Norden werden, vertrieben aus ihren Savannen, sich in die Rocky Mountains zurückziehen und Schritt um Schritt im Blute ihrer Feinde waten, bis man den letzten von ihnen niederschlägt. Diese Kämpfe werden jahrhundertelang im Munde ferner Generationen fortleben, und um jeden Schädel, den der Pflug oder der Spaten des Landmanns aus der Erde stößt, wird die Sage ihr Gewebe spinnen, und die Urenkel der Sieger, gerechter als ihre Ahnen, werden dem erschlagenen Indsman ihre Teilnahme widmen und vielleicht auch – – die Konsequenzen dieses Totschlages zu tragen haben.

Das ist meine Ansicht als Mensch und als – Deutscher. Was dieses letztere Wort sagen soll, braucht man nicht erst zu erklären, obgleich es nicht im mindesten eine ethische Ueberschätzung, eine gedankenlose Selbstgerechtigkeit ausdrücken soll.

Während meines gezwungenen Aufenthaltes in Fort Cast war eine Soldatenabteilung nach Westen detachiert worden, um »Fleisch zu machen«. Sie hatte eine Schar Sioux vom Stamme der Tetongs angetroffen, welche bereits mit der Büffeljagd beschäftigt war. Nun gilt es als Savannengesetz, daß die Jagd dem gehört, der sie zuerst unternommen hat; anstatt aber weiter zu ziehen, hatten die Dragoner sofort Anspruch auf die Beute erhoben; es war zu einem Kampfe gekommen, und die Indianer hatten unter Zurücklassung zahlreicher Gefallenen den überlegenen Waffen der Feinde weichen müssen. Die Offiziere hatten sich gegen mich dieses Sieges mitten im Frieden und auf einem [4] vollständig freien, neutralen Geriete höchlichst gerühmt, und es war mir nicht gelungen, ihnen eine andre, gerechtere Anschauung beizubringen. Es stand mit Gewißheit zu erwarten, daß die Sioux diesen Friedensbruch rächen würden, und darum hatte ich jetzt, als ich in meiner Nähe das Knicken eines Zweiges vernahm, alle Veranlassung, auf meiner Hut zu sein.

Ich hielt die Augen scheinbar geschlossen, blickte aber unter den gesenkten Lidern scharf hinüber, wo das Geräusch sich hatte hören lassen. Die Bucht war hier höchstens zwanzig Fuß breit, und der jenseitige Rand des Gesträuches wurde von meinem Feuer hell erleuchtet. Man muß sehr scharfe, geübte Sinne besitzen, um in einer solchen Lage das Richtige zu treffen; oft aber thut der einfache Instinkt mehr als alle Schärfe der Wahrnehmungsorgane. Ich bemerkte, daß einige Zweige langsam beiseite geschoben wurden; zwei dunkelglühende Augen erschienen, schlossen sich aber sofort wieder. Der Mann da drüben war ein alter, erfahrener Krieger; er wußte, daß man des Abends das Leuchten zweier Indianeraugen recht gut bemerken kann, und ließ die seinigen also nur auf einen Moment aufblitzen. Ich sah ihren Glanz fünf- oder sechsmal erscheinen, dann erhielten die zur Seite geschobenen Zweige ihre ursprüngliche Lage wieder: der Mann hatte sich überzeugt, daß ich allein sei.

Ich hatte nur die Augen, nicht aber das Gesicht gesehen, ich wußte also nicht, ob er sich mit den Kriegsfarben bemalt hatte, ob er sich in friedlicher oder feindlicher Absicht hier befand. Jedenfalls war es geraten, das Schlimmere anzunehmen. War er allein? Befand er sich als Spion hier am Flusse? Oder befand sich eine Indianerschar in der Nähe, die mein Feuer bemerkt und ihn abgeschickt hatte, um zu sehen, wer an demselben lagere? Ich hatte allen Grund, abzunehmen, daß er allein sei. Zu Rekognoszieren schicken die Indsmen gewöhnlich junge Leute aus, die sich üben sollen; dieser Mann aber war alt und erfahren. Ich war überzeugt, daß er sich um die Bucht herumschleichen werde, um unbemerkt an mich zu kommen. Dann trat einer von zwei Fällen ein: Kam er im Frieden, so trat er plötzlich zwischen den Bäumen hervor, um mit stolzem Gruße an meiner Seite Platz zu nehmen und mir zu sagen, daß ich doch vorsichtiger sein möge; kam er aber als Feind, so wurde ich eine Leiche, ohne ihn vorher nur einen Augenblick lang bemerkt zu haben. In beiden Fällen galt es, ihm zu beweisen, daß ich wenigstens ein ebenso guter Westmann sei wie er.

Ich wartete eine Weile, dann schlug ich meine Decke auseinander, die ich ja um mich gelegt gehabt hatte, und drapierte sie, aber ohne mich zu erheben oder das geringste Geräusch zu verursachen, so am Boden hin, daß es von weitem den Anschein hatte, als ob ich noch darunter liege; dann nahm ich meine Büchse und kroch in das Dunkel der Bäume hinein.

Er mußte von links herbeikommen; ich fand unter einigen eng beisammenstehenden wilden Kirschensträuchern ein ausgezeichnetes Versteck. Vorhin hatte ich beim Scheine der kurzen Dämmerung gesehen, daß man die kleine Bucht recht gut in fünf Minuten umgehen könne; bei dem jetzt herrschenden Dunkel aber und bei der Vorsicht, welche er beobachten mußte, konnte er vor einer Viertelstunde nicht bei meinem Feuer sein.

Diese Zeit verging. Ich hielt die Augen geschlossen; er hätte ja den phosphoreszierenden [5] Glanz derselben bemerken können, und verließ mich allein auf mein gutes Gehör. Es hatte mich noch nie im Stiche gelassen und blieb mir auch jetzt treu: Ein ganz, ganz leises, fast unbemerkbares Wehen sagte mir, daß er komme. Es war kein Geräusch, es war nur der Luftdruck, den seine Bewegung hervorbrachte. Und da, da trat auch mein Geruch in Thätigkeit: Es näherte sich mir ein eigentümlicher, unangenehmer Geruch, den ich kannte; der Mann hatte ein Opossum erlegt, ausgeweidet und gegessen. Dieses Beuteltier hat einen schlechten Geruch und wird von den Indianern nur dann gegessen, wenn es nichts anderes gibt. Dieser Geruch haftete ihm noch an, und daß er einen solchen Braten nicht verschmäht hatte, war mir der sicherste Beweis, daß er ein Kundschafter sei. Er hatte, um Zeit, Mühe und Umwege zu ersparen und das Geräusch verräterischer Schüsse zu vermeiden, das erste beste Opossum aus seinem Baumloche hervorgeholt und an diesem Fleische seinen Hunger gestillt.

Jetzt war er da, so nahe bei mir, daß ich ihn fast mit der Hand erreichen konnte. Er kroch an mir vorüber, langsam und lautlos, mit dem Leibe am Boden wie eine Schlange. Wer dieses Anschleichen nicht selbst versucht hat, glaubt gar nicht, welch eiserne Muskeln und stählerne Nerven dazu gehören, sich mit lang gestrecktem Körper nur auf den Spitzen der Füße und Finger über die Erde hinzuschieben. Benutzte man dabei die Sohlen der Füße, die Teller der Hände oder gar das Knie, so würde wiederholtes Geräusch ganz unvermeidlich sein. Als vorher der Zweig knickte, waren jedenfalls die Muskeln des Indianers ermüdet gewesen und er hatte infolge dessen den Boden für einen Augenblick mit dem Knie berührt. Die Stelle, auf welche man die Finger setzen will, wird vorher mit den Spitzen derselben sorgfältig untersucht, ob da nichts Zerbrechliches etc. vorhanden ist. Genau auf dieselbe Stelle kommen dann im Weiterschleichen die Fußspitzen zu ruhen. Mancher ganz gute Schütze und ganz brave Westmann bleibt während seines Lebens doch ein schlechter Anschleicher. »La-ya- tishi, mit den Fingern sehen« nennen die Navajoes sehr bezeichnend diese für den Feind so gefährliche Fertigkeit.

Jetzt war er an mir vorüber, und nun mußte ich handeln. Ich ließ die mir hinderliche Büchse unter den Büschen liegen und kroch ihm nach; ich erreichte ihn und schnellte mich auf seinen lang gestreckten Körper. Mit der Linken sein Genick umspannend, schlug ich ihm die geballte Hand auf den Hinterkopf – er brach besinnungslos zusammen. Nun nahm ich mein Lasso vom Gürtel und schlang es ihm dergestalt um die Arme und Beine, daß er sich nicht bewegen konnte, dann trug ich ihn, nachdem ich zuvor meine Büchse geholt hatte, nach dem Feuer. Hier legte ich ihn nieder und fachte die Glut von neuem an, um sein Erwachen genau beobachten zu können.

Es dauerte lang, ehe er die Augen aufschlug, aber trotz der scheinbar gefährlichen Situation, in welcher er sich befand, verriet kein einziger Zug seines ehernen Gesichtes eine Spur von Ueberraschung oder Schreck. Es schloß die Augen wieder und blieb wie leblos liegen, aber ich bemerkte doch, wie sich leise und heimlich seine Muskeln spannten, um die Festigung der Fesseln zu prüfen. Er trug den bloßen Haarschopf eines gewöhnlichen Indianers und war nur mit Hemde, Hose und Mokassins bekleidet, alles aus[6] Leder gearbeitet. In seinem Gürtel sah ich ein Messer und einen Tomahawk, den Medizinsack und einen Kugelbeutel. Der letztere bewies mir, daß er sein Gewehr, vielleicht auch sein Pferd in der Nähe versteckt habe, um sich ungehindert anschleichen zu können. Ich wußte, daß er auf keinen Fall das Gespräch beginnen werde, und fragte daher in jenem Gemisch von Englisch und Indianisch, welches längs der Indianergrenze im Gebrauche ist:

»Was wollte der rote Mann bei meinem Feuer?«

»Tcha-tlo!« antwortete er knirschend.

Dieses Wort stammt aus dem Navajoes-Dialekte und bedeutet Frosch, Großmaul, Quaker, unnützer Redner, Feigling, der sofort sich verbirgt; es enthielt also eine Beleidigung, die ich aber überhörte. Warum sprach dieser Mann im Navajoes? Er sah mir mehr wie ein Siou aus.

»Du hast recht, dich über diesen Frosch zu ärgern,« antwortete ich; »er hat dich verraten. Hättest du ihn nicht gestört, so wärst du nicht mein Gefangener. Was denkst du wohl, was ich nun mit dir thue?«

»Ni niskhi tsetsetsokhiskhan shi – töte und skalpiere mich!« antwortete er.

»Nein, das thue ich nicht,« sagte ich. »Ich bin nicht dein Feind; ich bin ein Freund aller roten Männer. Ich nahm dich nur gefangen, um mich vor Schaden zu bewahren. Zu welchem Volke gehörst du?«

»Shi tenuai!«

Das Wort tenuai heißt »Männer«; so nennen sich die Navajoes; er meinte also »ich bin ein Navajo«; ich aber antwortete:

»Warum sagst du mir die Unwahrheit? Ich kenne die Sprache der Tenuai; du sprichst sie nicht gut. Ich höre an deiner Aussprache, daß du ein Mann der Tetongs ist. Rede deine eigene Sprache oder die Sprache der Weißen. Ich liebe die Wahrheit und werde dir auch die Wahrheit sagen!«

Da richtete er zum erstenmale das Auge voll und forschend auf mich und sagte:

»Die Bleichgesichter sind über das große Wasser herübergekommen. Dort gibt es lichthaarige, die Engländer, und dunkelhaarige, die Spanier. Zu welchen gehörest du?«

»Zu diesen nicht und zu jenen auch nicht!« antwortete ich.

»Das ist gut! Sie sind Lügner mit lichtem Skalp und Lügner mit dunklem Skalp. Aber zu welchem Stamme gehörst du sonst?«

»Ich gehöre zu dem großen Volke der Germany, welche Freunde der roten Männer sind und noch niemals ihre Wigwams angegriffen haben.«

»Uff!« sagte er überrascht. »Die Germany sind gut. Sie haben nur einen Gott, nur eine Zunge und nur ein Herz.«

»Kennst du sie?« fragte ich, nun meinerseits überrascht.

»Nein,« antwortete er. »Aber ich habe von einem großen weißen Jäger gehört, der ein Krieger der Germany ist. Er tötet den Grizzly mit dem Messer; er wirft jeden Feind mit einem Schlage seiner Faust zu Boden; seine Kugel geht nie fehl, und er redet die Sprachen aller roten Männer. Er ist ihr Freund und darf mitten unter allen weilen, denn keiner wird ihm ein Leid thun.«

»Wie heißt er?«

»Die roten Männer nennen ihn Vauva-shala, tödliche Hand, die weißen Jäger aber rufen ihn Old Shatterhand. Er [7] kennt alle Tiere der Ebene und des Gebirges, denn Winnetou, der große Häuptling der Apachen, ist sein Lehrer gewesen.«

»Würdest du das Kalummet mit ihm rauchen?«

»Er ist ein großer Häuptling; ich müßte warten, bis er selbst mir die Pfeife des Friedens anböte.«

»Er wird sie mit dir rauchen. Sage mir deinen Namen!«

»Man nennt mich Pokai-po, das tötende Feuer.«

»Uff! So bist du der zweite Häuptling der Sioux vom Stamme der Tetongs!«

»Ich bin es,« antwortete er mit stolzer Einfachheit.

»Ich habe von dir gehört. Ein Häuptling der Sioux soll nicht gefesselt vor mir liegen. Du bist frei!«

Ich nahm ihm das Lasso von den Gliedern. Er richtete sich empor, blickte mich ganz erstaunt an und sagte:

»Warum gibst du mich frei? Warum tötest du nicht den größten Feind der Bleichgesichter?«

»Weil du ein tapferer und gerechter Krieger bist. Du bist der Feind der Bleichgesichter nur deshalb geworden, weil sie selbst ihre Freundschaft mit euch gebrochen haben. Aber es gibt sehr viele große und mächtige Völker der Bleichgesichter, und darunter sind viele, welche Freunde der roten Männer sind. Du darfst nicht alle weißen Männer hassen, weil einige falsch und untreu waren. Du wolltest mich überfallen, ich aber nahm dich gefangen; dein Skalp gehörte mir, ich aber gab dich frei. Laß uns die Pfeife des Friedens rauchen und dann als Brüder von einander scheiden!«

Ich griff zur Pfeife, welche ich nach Trapperart am Halse hängen hatte, und stopfte sie. Er war sicher froh, mit heiler Haut zu entkommen, aber dennoch fragte er sich im stillen, ob es sich mit seiner Häuptlingsehre vertrage, von einem unbekannten Weißen die Pfeife angeboten zu erhalten. Darum fragte er:

»Bist du denn ein Häuptling der Weißen, und wie lautet dein Name?«

»Das tötende Feuer braucht sich nicht zu schämen, das Kallummet mit mir zu rauchen,« antwortete ich. »Ich bin Old Shatterhand, der Bruder aller roten Männer.«

Die Indianer sind gewohnt, selbst die überraschendste Nachricht mit der größten äußerlichen Ruhe aufzunehmen, aber kaum hatte ich den Namen genannt, welcher mir von irgend einem müßigen Trapper gegeben worden war und sich dann von Mund zu Mund fortgesprochen hatte, so sprang der Häuptling in die Höhe und rief:

»Old Shatterhand! Redest du die Wahrheit?«

»Kann das tödliche Feuer von einem gewöhnlichen Jäger überlistet und besiegt werden? Habe ich dich nicht vorhin mit einem einzigen Schlage meiner Hand niedergestreckt?«

»Aber wo ist da Winnetou, der große Häuptling der Apachen?«

Winnetou und ich waren als unzertrennlich bekannt; daher diese Frage.

»Er ist an den Quellen des Tonqueflusses, wo er mich erwartet. Ich mußte nach dem Fort Caß, um eine Wunde zu heilen. Das tötende Feuer mag Platz nehmen neben mir; oder soll Feindschaft zwischen uns beiden sein?«

»Wir wollen Brüder sein,« sagte er im feierlichen Tone. »Deine Feinde sind meine Feinde, und meine Brüder sind deine Brüder. Du sollst willkommen sein in allen Zelten der Sioux, und unser [8] Leben ist wie ein einziges; einer soll für den andern sterben!«

Von diesem Augenblicke an konnte ich sicher sein, einen neuen Freund gewonnen zu haben, der jederzeit bereit war, sein Leben für mich hinzugeben. Ich rauchte die Pfeife an, blies den Rauch nach den vorgeschriebenen Richtungen und reichte sie ihm dann hin. Er wiederholte die Zeremonie und rauchte den Inhalt des Kopfes schweigend zu Ende. Die Pfeife war ein Geschenk Winnetous. Der Thon zu dem Kopfe stammte aus den heiligen Brüchen des Nordens, und jede ausgestoßene Rauchwolke galt als ein unverbrüchlicher Schwur zum großen Geiste, die geschlossene Freundschaft bis zum Tode treu zu halten. Die Freundschaft der »Bleichgesichter« wird oft auch bei Tabaksqualm und Spiritusduft geschlossen, aber was ist sie wert? Sie hört auf, sobald der Qualm sich verzogen und der Spiritus sich verflogen hat!

Jetzt gab es keine Geheimnisse mehr zwischen uns, und ich erfuhr nun, was ihn an den Bighorn geführt hatte: Er war als Kundschafter da, und ohne mein Zusammentreffen mit ihm wäre die Besatzung des Forts und die übrige Bewohnerschaft desselben höchst wahrscheinlich verloren gewesen.

»Die Krieger der Tetongs kamen an die Pässe des Gebirges, um den Büffel zu jagen, der dort vorüber kommt,« sagte der Häuptling. »Sie hatten eine gute Jagd, denn der Büffel kam mit seinen Frauen und Kindern in einer großen Herde, wie man sie seit vielen Sommern nicht gesehen hatte. Die Söhne der Tetongs sind stark und tapfer, darum lagen die Büffel und die Kühe zu großen Scharen tot am Boden. Da aber kamen die Bleichgesichter, welche bunte Kleider tragen, und verlangten, daß man die Büffel ihnen überlasse. Sie hatten mehr Feuergewehre als die roten Männer. Diese wehrten sich, mußten aber weichen und ließen dreimal fünf und noch drei Tote zurück. Waren die Bleichgesichter in ihrem Rechte?«

»Nein,« mußte ich leider antworten.

»Das denken die roten Männer auch. Darum haben sie den Medizinmann gefragt und einen großen Rat gehalten. Der große Geist hat ihnen einen Sieg verheißen, wenn sie die verräterischen Bleichgesichter angreifen. Nun sind sie ausgezogen, um den Feind zu bestrafen. Sie liegen im Walde und haben das tödliche Feuer ausgesandt, nach Fort Caß zu gehen, um zu sehen, wie viele Feinde sich dort befinden und was man thun muß, um die festen Wohnungen der Bleichgesichter zu erobern.«

Das hatte ich kommen sehen! Dieser Siou sah mich heut zum erstenmale; er wußte, daß ich jetzt zu den Bewohnern des Forts gehörte, und dennoch vertraute er mir das alles an. Ist es zu verwundern, daß ich ihn für meiner Freundschaft würdiger hielt als diejenigen, welche seine Rache so – gelind gesagt – unbesonnen herausgefordert hatten? Aber durfte ich ruhig zusehen, daß das Fort überfallen wurde? Nein! Und grade aus diesem Grunde befand ich mich gegenwärtig in einer gar nicht beneidenswerten Lage.

»Wird mein Bruder Old Shatterhand mit mir zu den Kriegern der Tetongs kommen, um das Fort zu überfallen?« fragte er, als ich längere Zeit sinnend schwieg.

»Nein,« antwortete ich aufrichtig.

»Warum nicht? Du hast mit mir ja das Kalummet geraucht!«

[9] »Ich bin dein Freund, aber auch alle Bleichgesichter sind meine Brüder.«

Ich gestehe offen, daß es mir nicht leicht wurde, diese Worte auszusprechen, und ich bekam die Folgen denn auch sofort zu hören:

»Du sagtest selbst, daß sie unrecht gehandelt haben, und dennoch willst du der Bruder dieser Verräter und Lügner sein! Ich freute mich, als ich vernahm, daß du Old Shatterhand seist, aber ich sehe doch, daß es schwer ist, der Freund eines Bleichgesichtes zu werden!«

Was sollte ich antworten? Ich konnte leichter mit einer ganzen Herde wilder Büffel anbinden, als diesem einfachen Wilden beweisen, daß es jetzt meine Pflicht sei, sein Vorhaben an seine Feinde zu verraten.

»Ihr wollt die Bleichgesichter töten, weil Manitou es euch befohlen hat?« fragte ich.

»Ja.«

»Nun wohl! Auch ich muß meinem Manitou gehorchen, und er sagt, daß er allein der Rächer sei.«

»Warum hat denn dieser Manitou nicht bereits längst seine roten Kinder gerächt? Oder ist dein Manitou ein anderer als der meinige? Das tödliche Feuer ist in den Städten der Bleichgesichter gewesen und hat die Reden ihrer Priester vernommen. Kennt Old Shatterhand diese Reden? Wer Menschenblut vergießt, der soll auch sterben, sagt euer Buch; deshalb sollen auch die Bleichgesichter im Fort sterben! Einer soll den andern lieben, sagt euer Buch. Warum wurden dreimal fünf und noch drei Krieger der Tetongs getötet, die doch nichts Böses gethan hatten? Ihr sollt gehorchen euern Häuptlingen, sagt euer Buch. Wenn ein roter Mann zu euch kommt und einen tötet, so wird auch er getötet, denn eure Häuptlinge sagen, daß sie das Recht dazu haben. Wenn aber ihr zu uns kommt und tötet zehnmal zehnmal zehn Männer von uns, so dürfen wir euch nicht töten, denn unsre Häuptlinge haben kein Recht dazu, sagen die eurigen. Sind denn die roten Männer Hunde und Koyoten? Es mag Bleichgesichter geben, welche uns nicht für Koyoten halten, und du gehörst zu ihnen. Ich weiß, daß du mir recht gibst, daß dir aber dein Glaube gebietet, die bösen Bleichgesichter des Forts zu warnen. Gehe hin, und thue es!«

Er erhob sich und schaute halb trotzig und halb traurig in das Feuer. Auch ich stand auf und fragte:

»Wo stehen die Krieger der Tetongs?«

»Am Flusse aufwärts.«

»Wie groß ist ihre Zahl?«

»Zehnmal zehn, dreimal genommen, und noch fünfmal zehn dazu.«

Ein Weißer hätte mir diese beiden Fragen jetzt nicht noch beantwortet. Ich sagte:

»Ich werde die Bleichgesichter nicht warnen, sondern du selbst sollst es thun.«

»Das tötende Feuer soll seine Feinde warnen?« fragte er, ganz erstaunt.

»Ja,« antwortete ich. »Du setzest dich mit in mein Kanot und fährst mit mir nach dem Fort. Dort verlangst du Genugthuung für deine erschlagenen Krieger. Erhältst du sie nicht, so habe ich meine Schuldigkeit gethan, und du kannst den Ort überfallen, ohne daß ich ein. Wort sage.«

Er blickte sinnend vor sich nieder und sagte:

»Sie werden das tötende Feuer ergreifen und festhalten.«

»Du bist mein Bruder; ich verspreche dir, daß du gehen kannst, sobald du willst.«

[10] »Sie sind treulos; sie werden dir es versprechen, aber nicht Wort halten. Kannst du dann das tötende Feuer in Schutz nehmen?«

»Glaubst du, daß Old Shatterhand sich vor diesen Bleichgesichtern fürchtet? Wenn sie mir nicht Wort halten, so werde ich mit der Büchse und dem Tomahawk mit ihnen reden.«

»Ich glaube dir und werde kommen, ganz allein, aber nicht in deinem Kanot sondern auf dem Rosse, wie es einem Häuptling der Sioux geziemt. Enokh e-i anash, lebe wohl!«

Im nächsten Augenblicke war er im Dunkel des Waldes verschwunden. Dies lag ganz und gar in der indianischen Art und Weise, obwohl ein Europäer der Ansicht gewesen wäre, daß wir noch gar vieles mit einander zu besprechen gehabt hätten. Der Wilde redet weniger und handelt desto mehr.

An Schlaf durfe ich jetzt freilich nicht denken, denn es galt, zur rechten Zeit im Fort zu sein. Es war anzunehmen, daß der Häuptling sehr bald aufbrechen werde.

Ich verlöschte das Feuer, band das Kanot los und begann die Rückfahrt, den Fluß abwärts. Das ging bedeutend schneller als die Bergfahrt, und der Morgen war noch nicht zwei Stunden alt, so sah ich das Fort am Zusammenflusse der beiden Wasser vor mir liegen. Als ich das Kanot angebunden hatte und die Höhe langsam emporstieg, bemerkte ich eine Art von Lager, welches vor den Palissaden des Forts errichtet war. Es bestand aus einfachen Zweighütten und schien eine Schar von Trappern zu Bewohnern zu haben, denn es lag eine Menge von Fallen und anderen zur Pelztierjagd erforderlichen Instrumenten da herum. Diese Leute waren während meiner Abwesenheit hier angekommen und machten, so viele ich ihrer grade jetzt bemerkte, einen nicht eben günstigen Eindruck auf mich.

Acht bis zehn von ihnen standen beisammen und übten sich im Schießen. Sie hatten ein kleines Brett an den Stamm eines Nußbaumes genagelt und mit Kreide ein Zentrum gemalt, nach welchem sie zielten. Ich wollte vorübergehen, nachdem ich ihnen einen guten Morgen geboten hatte, doch schien ich mich da in ihnen verrechnet zu haben. Der eine stellte sich mir geradezu in den Weg. Er duftete trotz der frühen Morgenstunde bereits gewaltig nach Brandy und brüllte mich mit einer Stimme an, als ob ich eine englische Meile von ihm entfernt stehe:

»Hollah, Master, hier geht man nicht vorbei. Wir haben einen Schießstand errichtet, wo gewettet wird. Der schlechteste Schuß gibt einen Drink, jedem ein volles Glas, und ein jeder, der sich außerhalb der Palissaden befindet, muß mitmachen.«

Dieser Kerl war mir außerordentlich widerlich. Wo hatte ich seine Physiognomie nur bereits einmal gesehen? Getroffen hatte ich diesen Mann bereits irgendwo, aber wann und an welchem Orte? Er mußte sich einmal in einem schlimmen Kampfe befunden haben, denn er hatte einen Hieb erhalten, der ihm die rechte Seite des Gesichtes vollständig abrasiert hatte. Er war schauderhaft anzusehen mit seiner bebarteten linken und der rohfleischfarbenen rechten Hälfte des Gesichtes.

»Man muß mitmachen? Wer hat das bestimmt, Sir?« fragte ich.

»Ich, Master,« antwortete er. »Ihr müßt nämlich wissen, daß ich der Anführer [11] diesen ehrenwerten Gentlemen bin. Wir sind nach Fort Caß gekommen, um neue Munition zu kaufen und werden dann wieder ein wenig Biber fangen.«

»So wünsche ich Euch viel Glück im Geschäft, Sir. Good bye!«

Ich wollte gehen, er aber hielt mich am Arme fest.

»Zounds! Wollt Ihr wohl stehen bleiben und einen Drink mit uns schießen! Ich habe Euch gesagt, daß ein jeder muß!« meinte er.

»Pshaw! Und ich sage Euch, daß ich nicht will!«

Ich schüttelte seinen Arm ab und ging.

»Ah, ein Gentleman, der zwar ein Schießzeug trägt, aber nicht schießen kann!« lachte er höhnisch, und die andern stimmten in sein Gelächter ein. »Seht ihn an! Er hat gewichste Stiefel wie ein Dancingmaster und eine Haltung wie ein Noblingkutscher. Wir werden ihn schon noch zwingen, uns zu zeigen, was er mit seiner Sonntagsbüchse zu leisten vermag!«

Ich beachtete dieses Geschwätz natürlich gar nicht und trat durch das geöffnete Thor in das Fort, wo ich mich sofort zum Major begab. Dieser hatte sich soeben von seiner Nachtruhe erhoben und empfing mich entschieden mürrisch.

»Wo haben Sie gesteckt, Sir?« fragte er mich. »Man hat Sorge um Sie gehabt. Ein Bewohner des Forts soll nicht über Nacht fortbleiben. Sie wissen, daß ich für jedes Unglück verantwortlich gemacht werde!«

Das war ja geradezu ein Verweis, den ich erhielt! Ich hatte im Fort nur meinen dort ja bisher unbekannten Namen angegeben; daß ich der so oft genannte Old Shatterhand sei, wußte niemand, sonst hätte der Major sich wohl eines solchen Tones nicht bedient.

»O bitte, Sir,« sagte ich daher, »es ist mir nicht bekannt, daß ich mich bei meiner Ankunft auf Fort Caß meiner Selbständigkeit begeben hätte. Ich als Zivilist betrachte diesen Ort als gut geeignet, mir neue Kleider, Patronen u.s.w. zu kaufen und mir einige Ruhe zu gönnen, mich aber einer Disziplin zu unterwerfen, ist ganz und gar nicht meine Absicht gewesen. Uebrigens habe ich während meiner Abwesenheit für das Wohl der Ihrigen vielleicht nicht weniger gesorgt als Sie selbst.«

»Was soll das heißen?« fragte er kurz.

»Fort Caß sollte überfallen werden.«

»Ah!« rief er erbleichend. »Von wem?«

»Von dem Häuptling der Tetongs. Er steht mit dreihundertfünfzig Indianern hier in der Nähe. Zufälligerweise ist er mein Freund und hat mir versprochen, aus Rücksicht auf unsere Freundschaft vorläufig von jeder Feindseligkeit abzusehen. Er wird heut Fort Caß besuchen, um Genugthuung zu verlangen. Wird ihm diese verweigert, so stehe ich für nichts.«

»Oh, Sie haben ja übrigens auch sonst für gar nichts zu stehen,« antwortete er. Er hatte sich von der ersten Ueberraschung erholt und fügte hinzu: »Ihr Ton kommt mir recht eigentümlich vor!«

»Ich gehe auf denselben Ton ein, den Sie selbst anschlugen. Ich traf den Häuptling im Walde und habe mich beeilt, Sie zu benachrichtigen.«

»Sie trafen ihn im Walde, Sir, wie kommen Sie dazu, der Freund eines Häuptlings der Tetongs zu sein? Ich hielt Sie für einen verirrten Sommerfrischler, der sich zu weit vorgewagt hatte und für dieses Mal mit einer kleinen Schußwunde davongekommen war. Sie [12] hatten zwar erschrecklich viele Waffen an sich herumhängen, als sie kamen, aber einen Schuß hat Sie noch niemand thun sehen.«

»Jeder nach seinem Gusto; ich kaufe mir die Munition nicht, um sie zwecklos zu verpuffen.«

»Mag sein,« sagte er ungläubig. »Wo und wann trafen Sie den Häuptling?«

»Ich bin nicht in der Lage, Ihnen genaue Auskunft zu geben. Es ist den Indianern Unrecht geschehen, und ich bin der Freund ihres Häuptlings; ich habe für das Fort gethan, was ich thun konnte, aber einen Verrat an dem Freunde werde ich nicht begehen.«

»Ah, Sie wollen nicht sagen, wo die Rothäute stehen?« fragte er.

»Nein.«

»Ich werde Sie zwingen!«

»Pshaw! Es ist mir nicht angst! Ich kenne die Situation so genau, daß ich sogar dem Häuptling freies Geleit versprochen habe.«

Das war dem Offizier denn doch zu viel.

»Sind Sie bei Sinnen, Sir!« rief er. »Ich werde den Häuptling ganz im Gegenteile festhalten; er wird als Geisel hier bleiben!«

»So werde ich ihm entgegenreiten, um ihm zu sagen, daß er nicht kommen soll!«

»Ich werde Sie daran zu verhindern wissen!« drohte er.

»Versuchen Sie das!« antwortete ich ruhig. »Zunächst werde ich jeden niederschießen, der es wagt, seine Hand an mich zu legen, und sodann werde ich einen wahrheitstreuen Bericht der Tetongangelegenheit nach Washington senden. Man wird dort einsehen, daß man sich nicht stets zu wundern braucht, wenn die Indsmen zu den Waffen greifen.« – Er starrte mich ganz erschrocken an, und als ich Miene machte, zu gehen, rief er:

»Halt, Sir! Ich kann in dieser Sache erst dann etwas unternehmen, wenn ich mich mit dem Offizierskorps beraten habe.«

»Gut, thun Sie das, und geben Sie mir dann Nachricht, ob der Häuptling freies Geleit haben soll oder nicht!«

Ich verließ ihn und ging nach dem Store, wo ich mir einen kleinen Raum gemietet hatte. Im Stalle dort stand mein Mustang. Er hatte lange ausgeruht und wieherte freudig auf, als ich ihn in den Hof zog, um ihn zu satteln. Ich that dies, weil ich auf alles gefaßt sein wollte. Ich füllte die Satteltaschen mit meinen Habseligkeiten und that ganz so, als ob ich für immer abreisen wolle; dann begab ich mich in meine Kammer zurück, um das Kommende abzuwarten.

Nach einiger Zeit sandte man mir einen Unteroffizier mit der Botschaft, daß man beschlossen habe, dem Häuptlinge freies Geleit zu bewilligen, doch war dies nicht im stande, mich vollständig zu beruhigen.

Der Raum, in welchem ich mich befand, lag dicht an der Stube, in welcher die Gäste und Käufer verkehrten; es herrschte heute dort ein ganz ungewöhnlicher Lärm, und ich vernahm bald, daß er von den fremden Fallenstellern verursacht wurde. Einmal waren zwei von ihnen in den Hof herausgetreten und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Sie standen der einfachen Bretterwand meines Raumes nicht nahe, und so hörte ich nur einige abgebrochene Sätze von ihrer Unterredung.

»Prachtvoller Mustang ... mehr wert als alle unsere Klepper.«

[13] »Wem mag er sein?« fragte der andere.

»Jedenfalls einem der Offiziere.«

»Da dürften wir uns nicht daran wagen ... armseliges Leben nun ... Goldstaub und Nuggets alle ... verspielt ... wird es wohl glücken ... Oelprinz ... hat Millionen liegen.«

»Ist es wirklich der Schwager von ...?«

»Sicher! ... kennt ihn ganz genau ... seit zwei Jahren am Shayansee ... genau erkundigt ... bloß Flowing-wells, baut aber jetzt auch große Pumping-wells mit Dampfbetrieb.«

»Wird ein feines Geschäft ... nur keiner überleben, sonst ... daß die Sache an den Tag kommt.«

Jetzt erhob sich in der Schenk- und Ladenstube abermals ein greulicher Lärm, so daß ich kein weiteres Wort verstehen konnte, und dann verließen die beiden den Hof. Von wem und was hatten sie sich unterhalten? Je mehr ich über das Gehörte nachdachte, desto verdächtiger kam es mir vor. Es sollte etwas nicht an den Tag kommen, und darum sollte keiner leben bleiben. Hatte man es etwa auf einen Oelprinzen abgesehen? Wessen Schwager war dieser? Was hatte es für eine Bewandtnis mit dem Goldstaub und den Nuggets? Hatte ich es mit einer Bande Pferdediebe zu thun? Oder trieben diese als Fallensteller maskierten Leute etwa gar das Handwerk von Bushheaders, welche besonders gern einsame Farmen oder Reisende überfallen, welche mit Goldsand aus Kalifornien über die Berge herüberkommen. Indem ich mir Mühe gab, über das Belauschte ins Klare zu kommen, hörte ich draußen auf dem Platze ein lautes Rufen:

»Ein Roter, ein Roter, ein Häuptling kommt!«

Dieser Ruf wurde auch im Store vernommen, und alle dort Anwesenden eilten hinaus, um den Indianer zu sehen. Ich that dasselbe und sah wirklich das »tödliche Feuer« bereits die Anhöhe heraufkommen. Er war ganz allein, draußen aber, wohl eine englische Meile entfernt, hielten drei Reiter mitten auf einer lichten Stelle, von welcher aus man das Fort im Auge haben konnte.

Der Häuptling sah heut ganz anders aus. Sein prächtig aufgezäumter Rappe trug eine langwallende Mähne und schleifte den Schweif fast an der Erde hin. Der Reiter hatte sein Haar zu einem helmartigen Schopfe gewunden, in welchem drei Adlerfedern, die Zeichen der Häuptlingswürde, steckten. Die Nähte seiner Leggins und seines Jagdhemdes waren ganz mit dem Haar erlegter Feinde befranst; an seinem Gürtel hingen nicht weniger als dreizehn in Zöpfe geflochtene Skalpe schuppenartig neben einander, und sein Mantel bestand ganz aus dem köstlichen Felle der gelben Ratte, die jetzt fast ausgestorben ist. Bewaffnet war er mit Messer, Tomahawk, doppelläufiger Büchse nebst Bogen und Köcher.

Als er durch das Thor einritt, eilte ihm alles entgegen. Er trug zwar nicht die Kriegsfarben im Gesicht, aber das Kommen eines Tetong war jetzt unter allen Umständen bedeutungsvoll.

Ich trat an sein Pferd heran und streckte ihm die Hand entgegen.

»Hos takh-shon enokh – guten Morgen!« grüßte er einfach. »Ich komme allein. Erhält das tödliche Feuer freies Geleit?«

»Ja,« antwortete ich. »Man hat es mir versprochen.«

»Mein Bruder glaube nicht alles, was man sagt! Der Häuptling der Tetongs wird seine Waffen nicht ablegen.«

[14] Da trat derselbe Unteroffizier herbei, welcher mich benachrichtigt hatte, und sagte dem Tetong, daß er im Beratungssaale erwartet werde, vorher aber die Waffen abzulegen habe. Der Häuptling würdigte ihn keines Blickes, sondern wendete sich an mich:

»Wo ist dieser Ort?«

»Ich werde dich führen,« antwortete ich ihm.

»Halt!« gebot der Unteroffizier. »Der Zutritt ist außer dem Häuptling einem jeden andern verboten.«

Auch ich sagte kein Wort, sondern nahm den Rappen beim Zügel und führte ihn nach dem Beratungssaale. Dieser war nichts anders als die Turnhalle der Mannschaft, in die man jetzt einige Stühle gesetzt hatte. Der Häuptling sprang vom Pferde und trat ein; der Unteroffizier aber meinte zu mir:

»Ich habe Befehl, das Pferd des Roten fortzubringen!«

»Es gehört mir!« antwortete ich und führte das Tier nach dem Store, wo ich es an einen Haken band.

Nun holte ich meine Gewehre aus meiner bisherigen Wohnung und hing sie über. Jetzt war ich auf alles vorbereitet und wartete.

Eine Wache von vier Mann hielt am Eingange zur Halle Wacht, und an der andern Seite des Platzes hielten noch sechs Mann sich bereit, auf einen Wink zu Hilfe zu eilen. Man plante einen Verrat, aber ich war entschlossen, den Häuptling zu verteidigen. Ich hatte ein Messer, zwei sechsschüssige Revolver, eine geladene Doppelbüchse und einen fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen; wenn es mir gelang, den Saal abzusperren, so war ich meines Sieges gewiß.

So wartete ich wohl eine halbe Stunde, da erscholl im Saale ein Pfiff; die vier Mann Wache traten sofort ein, und die sechs andern setzten sich auch von fern her in Bewegung. Alle Neugierigen, welche sich bisher in einer ehrerbietigen Entfernung gehalten hatten, drängten sich herbei. Schnell stieg ich auf meinen Mustang, ergriff den Rappen des Tetong beim Zügel und ritt auf die Halle zu. Ich war eher dort als die sechs Dragoner.

»Get you gone – packt euch! Fort!« rief ich und drängte die Pferde zwischen die Menge hinein.

Sobald ich die Thür erreichte, sprang ich ab, trat ein und zog auch die Tiere nach, die nun mit dem hintern Teile ihrer Leiber den Eingang so ausfüllten, daß kein Mensch passieren konnte. Ein Blick in das Innere der Halle zeigte mir den Stand der Angelegenheit. Der Pfiff hatte die vier Dragoner gerufen, um den Häuptling zu entwaffnen und gefangen zu nehmen; die sechs andern sollten nachkommen, konnten aber nun nicht eintreten.

Der Tetong stand mit erhobenem Tomahawk in der Ecke, bereit, denjenigen zu töten, der die Hand an ihn legte, doch aller Augen waren jetzt auf mich gerichtet. Die Offiziere waren bewaffnet, die Dragoner ebenso, doch machte mir das nicht bange.

»Was ist das! Was wollen Sie, Sir?« rief mir der Major entgegen.

»Sie an Ihr Wort erinnern,« antwortete ich. »Sie versprachen mir freies Geleit für den Häuptling der Tetongs.«

»Das hat er erhalten; er hat frei hereingedurft.«

»Ah! Aber er darf nicht frei hinaus?«

»Nein, denn so viel habe ich nicht versprochen.«

»Gut, Sir! Pokai-po, bite ta-ata – tötendes Feuer, komme her zu mir!«

[15] Der Gerufene wollte sich in Bewegung setzen, da aber zog der Major den Revolver und richtete ihn auf mich.

»Hinaus, sonst schieße ich!« gebot er.

»Pshaw!« antwortete ich, indem ich nun direkt auf in zuschritt. »Tötendes Feuer, sage diesen Bleichgesichtern, wer ich bin!«

»Old Shatterhand!« antwortete der Indianer.

»Old Shatterhand!« wiederholten die Offiziere.

Die verblüfften Mienen waren ein wahres Gaudium für mich. Der bloße Name thut oft mehr, als der Träger desselben jemals fertig bringen kann.

»Ja, Old Shatterhand bin ich, Mesch'schurs,« sagte ich. »Wollen Sie es glauben, oder soll ich es Ihnen beweisen? Ich habe meinem roten Freunde freies Geleit versprochen, und ich werde es ihm geben. Vorher erlauben Sie mir, an ihrer Beratung mit teilzunehmen. Tötendes Feuer spricht nicht gut englisch, und sie verstehen die Dialekte der Sioux nicht genug; ein Dolmetscher ist notwendig. Beginnen wir also! Ob mit den Waffen oder mit der friedlichen Unterhandlung, das steht in Ihrem Belieben!«

Mancher wird in meinem Verhalten ein großes Wagnis erblicken, aber es war keins. Ich kannte meine Leute. Ein deutscher Major oder Obristwachtmeister hätte mich ganz einfach ad acta heften lassen, die guten Yankees aber hatten vor meinem Trappernamen einen solchen Respekt, daß die Unterhandlung von neuem begonnen wurde, und dank der Mühe, welche ich mir gab, verzichtete der Häuptling auf die Sühne, welche er vor meiner Ankunft verlangt hatte; er hatte das Leben von achtzehn Weißen beansprucht, ein Weißer für jeden gefallenen Tetong; ich brachte es dahin, daß er achtzehn Karabiner verlangte, und sie wurden ihm – ganz gegen das Gesetz – bewilligt.

Nun gab ich auch den Eingang wieder frei. Es hatte kein Mensch eintreten können, weil die beiden Pferde ihre Position mit den Hinterhufen verteidigten. Als wir die Halle verließen, ertönte aus der vordern Reihe der Neugierigen eine Stimme:

»Warum schlägt man diese Rothaut nicht tot? Was will sie hier unter Gentlemen? Teert und federt sie!«

Der Sprecher war kein andrer als der Fallensteller, welcher mich zum Schießen hatte zwingen wollen.

»Ja, teeren, federn!« brüllten seine Gesellen.

Handelten diese Leute in irgend einem Auftrage, oder wollten sie aus eigenem Antriebe einen Skandal anstiften, um dabei im Trüben fischen zu können, ich weiß es nicht, aber es streckten sich sofort zehn und zwanzig Arme nach dem Indianer aus. Wie auf Verabredung drängte sich ein breiter Keil von Menschen im Nu zwischen uns beide, so daß ich von ihm getrennt wurde. Ich sah sein Schlachtbeil blitzen ein vielstimmiger Schrei der Wut erscholl.

»Major, ich mache Sie verantwortlich!« rief ich dem Offiziere zu, welcher erschrocken in meiner Nähe stand.

Ich ließ den Rappen, den ich noch gefaßt hielt, los und sprang auf meinen Mustang. Es fielen bereits Revolverschüsse. Ich nahm das Pferd hoch und gab ihm beide Sporen; es schnellte mit einem weiten Satze mitten in den Menschenknäuel hinein, und nun gebrauchte ich den Kolben meiner Büchse ebenso [16] kräftig wie die Hufe meines braven Tieres.

Der Indianer hatte sich verteidigt, war aber von der Menge in seinen Bewegungen gehemmt, gedrückt und niedergerissen worden. Er wehrte sich noch am Boden mit aller Kaltblütigkeit eines Indsman. Meine Hiebe machten ihm Luft. Er schnellte empor, mit der Büchse wieder in der Hand, die ihm entfallen war; ihr Kolben krachte auf die Köpfe der Angreifer nieder. Alles schrie und brüllte durcheinander; Messerklingen blitzten, Revolverschüsse knatterten; ich blieb unversehrt und rief dem Häuptling zu:

»To-ok kava – spring aufs Pferd!«

Er verstand mich trotz des Geheules rund umher und flog zu seinem Rappen, welcher, scheu geworden, mit allen vieren um sich schlug. Mit einem Satze schwang er sich auf.

»Usta nai – komm, mir nach!«

Mit diesen Worten trieb ich mein Pferd zum Sprunge an; er that dasselbe durch den einfachen Schenkeldruck, da er die herabhängenden Zügel noch nicht hatte fassen können. Er stieß den gellenden Triumphschrei der Sioux aus und dann schossen wir davon, über den Platz hinweg und auf das Thor zu. Es war verschlossen, aber seitswärts waren die Planken niedriger.

»Hi – ho – hi!« rief er und flog hinüber, ich ihm nach.

Ein vielstimmiger Schrei des Erstaunens erscholl, dann rasten unsre Tiere die Anhöhe hinab und in die Ebene hinein. Niemand folgte uns, und so ließen wir die Pferde bald langsamer gehen, obgleich es keine Schande ist, unter solchen Umständen lieber die Flucht zu ergreifen als sich niederschießen zu lassen. – – –

[17]

2. Teil. Der rote Olbers

[161] 2. Teil

Der rote Olbers

Und wieder saß ich eines Abends beim Lagerfeuer, doch nicht allein, denn mein Pferd weidete ganz in meiner Nähe. Es ist immer eine Beruhigung, ein gutes Tier bei sich zu haben, da dasselbe oft schärfere Sinne hat als selbst der geübteste Jäger. Ein Mustang wittert die Annäherung eines jeden feindseligen Wesens und thut dies dem Besitzer durch ängstliches Schnauben kund.

Ich hatte die Gegend von Fort Cast verlassen und befand mich jetzt am östlichen Arme des Bighorn, um von da über die Dark-hills hinüber zu gehen nach den Wassern des Tonque, an denen mich Winnetou, der Häuptling der Apachen, erwartete.

Als ich mit dem »tötenden Feuer« aus dem Fort geritten war, hatten wir nicht die mindeste Verfolgung bemerkt und waren auf die drei Vorposten gestoßen, ohne weiter belästigt worden zu sein. Von da ritten wir am Flusse aufwärts und trafen bald auf die Schar der Tetongs, welche ihren Anführer mit Ungeduld erwartete.

Es wurde sofort eine Beratung gehalten. Der Häuptling erzählte, was ihm geschehen war, und alle waren ergrimmt und bereit, diese neue Treulosigkeit zu rächen.

»Ja, sie soll gerochen werden,« sagte das tötende Feuer, »aber meine Brüder werden erkennen, daß die Bleichgesichter, welche bunte Kleider tragen, jetzt gewarnt sind und uns erwarten. Wir werden daher eine Zeit vergehen lassen, bis sie vergessen haben, aufmerksam zu sein. Aber unsere Tomahawks müssen trotzdem aus dem Gürtel gezogen werden. Der Mann mit dem halben Gesichte hat gesagt, man solle den Häuptling der Tetongs mit Teer und Federn beschmieren; er hat mich ergriffen [161] und geschlagen; er und seine Männer, sie sollen die Hand der roten Krieger fühlen.«

Es wurde nun beschlossen, durch einige geschickte Kundschafter das Fort bewachen zu lassen, um zu sehen, wann die Fallensteller es verlassen würden; dann wollte man ihnen nach, um sie zu züchtigen.

Ich war bei dieser Beratung nicht anwesend, sondern der Häuptling teilte mir das Resultat derselben mit. Ich hatte nicht die Macht, den Beschluß der Indianer zu ändern, und da ich nicht Lust hatte, ihrem Angriffe auf die Weißen beizuwohnen, so blieb ich nur einen Tag bei ihnen und brach dann auf, um Winnetou aufzusuchen.

Ich ritt am Flusse aufwärts und folgte dann dem rechten Oberlauf desselben. Nach einem zweitägigen Ritte befand ich mich nun an meinem heutigen Lagerplatze und wollte morgen nach Osten biegen, um über die Dark-hills zu gehen.

Meine Abendmahlzeit hatte ich gehalten und ließ nun, da es nicht kühl war und ich hier von Mücken nicht belästigt wurde, mein Feuer ausgehen. Ich war ermüdet und stand eben in Begriff, einzuschlafen, als mein Pferd auf jene Weise schnaubte, welche die Anwesenheit von etwas Verdächtigem melden soll. Ich lauschte, konnte aber nichts bemerken, trotzdem der Mustang das Schnauben wiederholte.

Ich erhob mich also und trat zu ihm. Er rieb den schön gebauten Kopf an meiner Schulter, öffnete die Nüstern und sog die Luft ein, welche leise von Süd herunterstrich. Ich folgte dieser stillen Aufforderung – wirklich, die Luft roch brenzlich, sie führte Rauch mit sich. Stammte dieser Geruch noch von meinem bereits verlöschten Feuer, oder gab es da südwärts eine zweite Lagerstätte?

Ich mußte mich überzeugen und schlich in der angegebenen Richtung vorwärts. Meines Pferdes, welches ich zurückließ, war ich natürlich sicher. Es war angehobbelt 1 und hätte auch, ohne gefesselt zu sein, den Platz nicht eher verlassen, als bis ich zu ihm zurückkehrte.

Je weiter ich vorwärts kam, desto leichter bemerkbar, desto stärker wurde der Geruch; der Rauch wurde dichter, und endlich sah ich den hellen Schein des Feuers zwischen den Bäumen leuchten. Ich verdoppelte die Vorsicht und sah nun, hinter einer mächtigen Eiche stehend, vier Männer um das Feuer liegen. Sie waren Weiße und trugen die dauerhafte Kleidung der Fallensteller. Ein jeder hatte die Waffen bei der Hand liegen, doch zeigten sie sämtlich kein gefährliches Aussehen. Ich schob mich unhörbar noch weiter vor, stand dann auf und war nach drei raschen Schritten neben ihnen.

»Good evening, Mesch'schurs!« grüßte ich. »Habt ihr nicht noch einen Platz bei euch am Feuer?«

Sie hatten bei meinem Erscheinen sofort die Waffen ergriffen, waren aufgesprungen und umringten mich jetzt, die Büchsen schußfertig im Anschlage.

»Wer seid Ihr?« fragte der eine.

»Nichts, weiter nichts als ein einsamer Westläufer, der sich freut, Kameraden gefunden zu haben.«

»Oho! Ihr seht nicht aus wie ein Westläufer, mein Junge! An Euch ist ja alles so sauber und blitzeblank, daß Ihr von Westen gar noch nicht viel gesehen haben könnt. Woher kommt Ihr, he?«

[162] »Von Fort Cast.«

»Ah! Und wohin wollt Ihr?«

»Hinüber nach dem Tonque, um einen Freund zu treffen, der mich dort erwartet.«

»Wer ist dieser Freund?«

»Winnetou, der Apache.«

»Good lak! Ist's wahr?«

»Ich habe es ja deutlich genug gesagt!«

»Ihr kennt Winnetou? Wirklich? Ah, das müßt Ihr uns erklären! Setzt Euch zu uns; sagt uns aber vorher, in welcher Gesellschaft Ihr Euch befindet!«

»Ich bin allein.«

»Allein? Ich will gejagt sein, wenn das wahr ist! Ihr seht mir ganz und gar nicht aus wie ein Mann, der das Herz hat, sich so allein im alten Walde umherzutreiben!«

»Danke, Master! Ihr haltet mich also für ein Greenhorn?«

»So ähnlich. Also, was für Leute sind bei Euch?«

»Kein Mensch. Ich nehme es euch nicht übel, daß Ihr vorsichtig seid, aber dieses Mal seid ihr im Irrtume. Ich bin ein Deutscher, und es sollte mir leid thun, wenn ich das Aussehen eines Buschheaders hätte.«

»Na, das nun eben nicht! Also ein Deutscher seid Ihr? Ja, einem Deutschen ist es zuzutrauen, daß er im Festtagsstaate im Walde herumläuft, um von irgend einem Indsman gefälligst skalpiert zu werden. Wo habt Ihr Euer Pferd?«

»Ganz in der Nähe am Flusse.«

»So holt es! Ich gehe mit, und wehe Euch, wenn ich finde, daß Ihr uns belogen habt!«

Ich ging, und er schritt hinter mir her. Als wir meinen Lagerplatz erreichten, wo ich die zurückgelassene Büchse und meine Decke vom Boden aufhob, meinte er:

»Wahrhaftig, es ist so! Ihr seid allein. Aber Mensch, wer wagt sich denn so einzeln in diese Gegend, die jetzt von Sioux wimmelt?«

»Pshaw! Die Sioux thun mir nichts!«

»Nichts? Warum denn grad Euch nichts?«

»O, wir sind dicke Freunde,« lachte ich.

»Egad, Ihr seid ein sonderbares Menschenkind. Nehmt Euer Pferd, und kommt mit zum Feuer. Wir können uns einiges erzählen, ehe wir schlafen.«

Als wir zurückkehrten, sahen die andern drei ihn mit fragenden Augen an.

»Es ist so,« sagte er, mit dem Kopfe nickend. »Dieser Master ist ganz allein hier im Walde, und er behauptet sogar, daß die Sioux seine dicksten Freunde sind.«

Sie betrachteten mich mit sehr ungläubigen Blicken. Es war zu sehen, daß sie sich über mich nicht klar werden konnten. Der Westmann gibt nicht das mindeste auf sein Aeußeres; je herabgekommener er aussieht, desto mehr hat er durchgemacht; ich aber hielt meine Waffen stets blank und hatte auf Fort Cast ja auch Zeit gehabt, mein Habit in Ordnung zu bringen, so daß ich ihnen allerdings wie ein Neuling er scheinen konnte. Ich nannte ihnen meinen Namen.

»Habe ihn noch nicht gehört,« sagte der eine. »Ihr könnt noch nicht sehr lange in dieser Gegend sein. Aber wie kommt Ihr zur Freundschaft mit dem berühmten Winnetou und dann mit den Sioux, die doch seine Feinde sind?«

»Das werdet ihr erfahren, vorher aber sagt mir auch ein weniges von euch!«

Sie nannten mir ihre Namen, und dann fuhr derjenige, welcher bisher gesprochen hatte, fort:

[163] »Ihr dürft es uns nicht übel nehmen, Sir, daß wir sehr vorsichtig sind, denn wir haben infolge einer Unvorsichtigkeit ein großes Unglück gehabt. Wir sind Fallensteller. Wir hatten vom Frühjahre an gearbeitet und einen hübschen Vorrat von Pelzen zusammengebracht; es waren sechs ganze Gruben voll; da schloß sich uns ein Fünfter an, dem wir vertrauten, und während einer Nacht, da er die Wache hatte, kamen seine Spießgesellen; am Morgen war er verschwunden und mit ihm unsere sämtlichen Felle sogar nebst den Pferden.«

»O weh! Wo und wann ist dies geschehen?«

»Vor zwei Wochen droben am Huntsmanfork.«

»Habt ihr keine Ahnung, wer die Diebe gewesen sind?«

»Genug Ahnung, aber was hilft sie uns! Der Verlust wäre noch zu tragen, aber die Spitzbuben haben uns auch sämtliche Fallen mitgenommen. Wir haben kein Geld, um neue zu kaufen, und müssen uns nun mit armseligen Schlingen behelfen, bis wir etwas fangen und einige Dollar lösen. Wir haben die Spuren der Diebe verfolgt, aber es half uns nichts. Als sie den Yellow erreichten, haben sie sich ein Floß gebaut und sind mit diesem auf und davon. Wer kann dann folgen!«

»Waren es ihrer viele?«

»Eine ganze Bande, wenigstens dreißig Mann, wie die Spur zeigt.«

»Ah! Die Stelle, an der sie das Floß bauten, befindet sich oberhalb von Fort Cast?«

»Zwei Tageritte.«

»Warum seid ihr nicht nach dem Fort gegangen?« fragte ich, indem mir eine Ahnung kam.

»Was hätte es uns genutzt? Es ist kein anderer als der rote Olbers gewesen mit seiner Schar. Er hält sich bereits seit einiger Zeit am oberen Missouri auf, und was der einmal in den Händen hat, das kommt nie wieder an den rechten Herrn zurück.«

Ich hatte die Fallen, welche im Lager vor dem Fort gelegen hatten, nur flüchtig bemerkt, als ich von meiner Kanotfahrt zurückkehrte, aber der Westmann hat ein scharfes Auge für jede Kleinigkeit, und so hatte ich auch unwillkürlich die Zeichen noch im Gedächtnisse, welche sich auf zweien von ihnen befunden hatten. Jeder Trapper nämlich versieht seine Fallen mit einem bestimmten Zeichen. Daher fragte ich:

»Hattet ihr eure Fallen nicht gekennzeichnet?«

»O doch!«

»Ich habe Fallen gesehen mit einem W.B. und auch mit fünf Sternen, die ein stehendes Kreuz auf dem Bügel bildeten.«

»Behold, das sind unsere Fallen! Wo waren sie, Master?« fragte der Mann sehr schnell.

»Sagt mir erst, wer dieser rote Olbers ist!«

»Niemand weiß, woher er kommt, aber ein Yankee ist er jedenfalls, und zwar einer der unsaubersten. Man hat ihn drüben in Kalifornien gesehen, wo er in den Diggins sehr dunkle Geschäfte gemacht haben soll. Er mußte sich aus dem Staube machen und tauchte zuerst bei Fort Benton wieder auf, wo er den großen Mogul spielte und mit Nuggots nur so um sich warf; er soll viele Tausende von Dollar an Goldkörnern verspielt und verschleudert haben –«

[164] »Wann war dies?« unterbrach ich ihn, da eine Erinnerung in mir auftauchte.

»Das war vor vier Jahren um die jetzige Jahreszeit. Später sah man ihn unten in Santa Fé, dann in Bents Fort, und überall, wo er war, geschahen große Räubereien. Jetzt hat er eine ganze Bande beisammen, aber ich hoffe, daß er einmal ergriffen wird; dann ist der Strick sein sicheres Eigentum!«

»Habt Ihr ihn gesehen? Könnt Ihr ihn mir beschreiben?«

»Ich weiß nur, daß er ein halbes Gesicht hat; auf der rechten Seite fehlt die Haut mit fast dem ganzen Fleische. Er muß sich einmal unter einem sehr scharfen Messer befunden haben.«

»Er ist's! Eure Fallen sah ich in Fort Cast.«

»Hollah, in Fort Cast! Also doch! Die mit W.B. sind mein; ich heiße ja William Brandes. Wir müssen sie uns wieder holen!«

»Auf dem Fort befinden sie sich nicht mehr. Ich wohnte bei dem Besitzer eines Store, und als ich am letzten Tage die Miete bezahlte, erfuhr ich, daß er vom roten Olbers eine ganze Menge Felle gekauft habe; die Fallen aber waren ihnen nicht feil gewesen. Die Diebe befinden sich nicht mehr im Fort, wie ich vermutete. Uebrigens hatte dort niemand eine Ahnung, daß dieser Mensch der rote Olbers sei.«

»Wißt Ihr nicht, wohin er sich wenden wird?«

»Vielleicht,« antwortete ich. Es fiel mir das Gespräch ein, welches ich im Store belauscht hatte, und so fragte ich: »Seid ihr vielleicht in der Gegend des Shayansees bekannt?«

»O sehr. Wir haben den letzten Winter dort verbracht. Diese Gegend gehört dem reichen Wittler. Er hat vor zwei Jahren dort eine Oelquelle entdeckt und schickt jetzt Hunderte von Fässern den Missouri hinab. Ich glaube gar, daß er jetzt einen Bohrer angelegt hat, um das Geschäft zu vergrößern.«

»Kennen Sie seine Familie?«

»Warum sollte ich nicht, Sir? Er hat Frau und drei Kinder, nämlich zwei Söhne und ein Töchterchen, und außerdem wohnt eine Schwester bei ihm, deren Mann irgendwo elend umgekommen sein muß. Er befand sich in Kalifornien und schrieb den Seinen, daß er mit einer tüchtigen Ladung Gold nach Hause kommen werde, ist aber nie angekommen. Er muß Kalifornien vor vier Jahren verlassen haben.«

»Hieß er vielleicht John Helming?« fragte ich in höchster Spannung.

»Versteht sich, Sir, John Helming hat er geheißen. Habt Ihr ihn etwa gekannt?«

»Nein,« antwortete ich erregt, »aber gesehen habe ich ihn, gesehen als Leiche, ermordet und beraubt von diesem elenden roten Olbers – – –«

»Mein Gott!« riefen die vier Männer. »Erzählt, erzählt, Sir!«

»Nein, dazu ist keine Zeit jetzt; das können wir unterwegs thun. Nun ich klar sehe, müssen wir sofort aufbrechen. Dieser Olbers reitet jetzt nämlich mit seiner Bande nach dem Shayansee, um die Besitzung Wittlers zu überfallen und auszurauben, wie er bereits den Schwager beraubt und ermordet hat. Die Spitzbuben werden eure Fallen wohl noch bei sich führen, da sie hier in dieser Abgeschiedenheit großen Wert haben; ihr kommt also vielleicht wieder zu eurem Eigentume.«

»Aber, Sir, gebt uns doch wenigstens eine Andeutung!«

[165] »Nun, ich befand mich vor vier Jahren zum zweitenmale in Amerika und stieg mit Winnetou da oben am Hellgate-Paß herum. Dort fanden wir eines Nachmittags die Leichen mehrerer Männer; sie waren noch warm, und die Mordthat war vor kaum einigen Minuten geschehen. Es waren fünf Tote, die gänzlich ausgeraubt worden waren. Nur bei dem einen fand ich ein altes Notizbuch, auf welchem der Name John Helming stand. Wir bedeckten die Leichen einstweilen, so gut es ging, und verfolgten dann die Spuren der Mörder. Es waren ihrer viele. Sie hatten den Toten die beladenen Maultiere abgenommen und kamen also nur langsam vorwärts. Als wir sie einholten, zählte ich vierzehn Mann, aber doch machten wir uns über sie her. Sie waren uns überlegen, und ich war fast noch ein Neuling hier im Westen; kurz und gut, wir zogen den kürzeren. Sie verloren einige Männer, und der Anführer verlor einen Teil seiner Gesichtshaut. Er hatte bei einem Streiche Winnetous den Kopf noch zur rechten Zeit zur Seite gebogen, und darum wurde ihm nicht der Kopf gespalten, sondern die Schneide des Beiles glitt ihm längs der Wange herab und zeichnete ihn so für alle Zeit. Wir begruben die Toten, und das Notizbuch nahm ich zu mir. Ein Regen verwischte die Spuren der Mörder. Ich habe die Sache mit dem Notizbuche öfters annonciert, aber niemand hat sich gemeldet. Jetzt trage ich es hier im Gürtel. Als ich mich drüben aufmachte, um die Savanne abermals zu sehen, steckte ich es zu mir. Man kann nie wissen, was man erlebt und erfährt.«

Ich erzählte nun in Kürze weiter von meinem Aufenthalte in Fort Cast, und als ich geendet hatte, rief Brandes:

»Sir, das ist ganz außerordentlich! Ihr müßt sofort nach dem Shayansee und wir mit Euch!«

»Ja, auch ihr, doch nicht mit mir. Ich bin beritten, ihr aber müßt laufen. Ihr könnt direkt über die Berge, ich aber muß nach dem Tonque, um Winnetou zu treffen. Wir trennen uns hier, werden aber wohl zu gleicher Zeit am See eintreffen. Uebrigens dürft ihr nicht vergessen, daß das ›tötende Feuer‹ mit seinen Tetongs hinter den Dieben her ist; sie können also weder ihren Raub ausführen noch uns entkommen. Ich bleibe keine Viertelstunde länger und breche sofort auf.«

»Wir auch, wir auch, Sir. Aber was sollen wir dem Oelprinzen sagen, wenn wir eher kommen als Ihr?«

»Sagt ihm, daß er sich schleunigst gegen den Ueberfall dieses Olbers rüsten soll. Ueber seinen Schwager wird er das weitere erfahren, sobald ich bei ihm bin!«

Es ist nur unter ganz dringenden Umständen geraten, zu Pferde bei Nacht durch eine unbekannte Waldwildnis zu dringen, doch Uebung und Ortssinn lassen vieles überwinden. Als der Morgen anbrach, befand ich mich bereits am Fuße der Höhen, und nun konnte ich meine Schnelligkeit verfünffachen. Noch am Vormittage erreichte ich die Wasserscheide, und gegen Mittag hatte ich den oberen Lauf des Tonque vor mir.

Nun galt es, Winnetou zu finden. Das scheint schwerer zu sein, als es eigentlich war. Wir hatten uns schon öfters getrennt und doch selbst in der felsigsten Einöde, im tiefsten Urwalde wiedergefunden. Wir hatten unsere Zeichen, die kein anderer bemerken konnte.

Ich ritt das Wasser entlang und beobachtete [166] die in demselben liegenden Steine. Da, bereits nach einer Viertelstunde, bemerkte ich zwei neben einander im Wasser liegende Kiesel, zwischen denen drei dünne Zweige eingeklemmt waren; zwei waren kahl, und der dritte hatte seine Seitenästchen und Blätter noch. Die Spitze zeigte aufwärts. Das war eines unsrer Zeichen. Winnetou hatte es errichtet. Die Spitze des belaubten Zweiges sagte mir, wohin er geritten sei, und die beiden andern Zweige zeigten genau gegen den Punkt des Himmels, wo die Sonne zu der Zeit gestanden hatte, an welcher er das Zeichen errichtete. An der Frische der Blätter konnte ich den Tag, ob heute, gestern oder noch eher, erkennen.

Auf diese Weise erfuhr ich, daß der Apachenhäuptling heute vormittag um neun Uhr hier gewesen sei. Da er hier nicht nötig zu haben glaubte, seine Fährte zu verwischen, so fand ich sehr bald die Spur seines Pferdes und folgte derselben. Ich fand den Ort, an welchem er in der heißesten Tagesstunde geruht hatte, und da stak auch das sichere Zeichen, daß er hierher zurückkehren werde, um sein Nachtlager hier aufzuschlagen. Dieses Zeichen bestand einfach aus einem kleinen, dünnen Pulverholzästchen, welches mit dem einen Ende im Boden steckte. Es konnte dazu jede Holzart, Holunder etc. etc. benutzt werden, deren Mark sich leicht entfernen läßt. Das sah so zufällig aus, daß der erfahrenste Trapper, der scharfsinnigste Wilde nicht auf den Gedanken gekommen wäre, hier vor einer deutlich lesbaren Schrift zu stehen. Auf solche Weise beherrscht man die öde Llano, die weite Prärie, das wilde Gebirge und den dichten Urwald. Durch solche unscheinbare Mittel sind Männer wie Winnetou, Old Fireland, der lange Hilbers, Fred Walker, Sam Hawkens und andere zu ihrer Berühmtheit gekommen. Ich kannte sie alle und hatte von ihnen viel, ja alles gelernt. Es ist mit dem wilden Westen wie mit dem Wasser: man darf nicht zagen, man muß sich, um schwimmen zu lernen, mutig hineinstürzen; es trägt den Menschen von selber, und die Lehrlingszeit vergeht um so schneller, je größeren Eifer man der Uebung widmet.

Ich hobbelte mein Pferd an, ließ es grasen und legte mich nieder. Dies war noch nicht lange geschehen, so hörte ich in der Ferne den Knall einer Büchse. Das war der scharfe, sonore Ton, den nur Winnetous mit Silbernägeln beschlagenes Gewehr hervorbrachte. Für den Laien ist es fast unbegreiflich, daß zwei Jäger einander an dem Knalle ihres Gewehres erkennen sollen; aber wer jahrelang die Stimme einer Büchse gehört hat, der weiß dieselbe von dem Tone eines jeden andern Gewehres zu unterscheiden.

Ich zog sofort meine Büchse hervor und feuerte sie ab; ich war überzeugt, daß Winnetou ihren Knall auch sofort erkennen werde. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn bereits nach zehn Minuten hörte ich den nahenden Galopp eines Pferdes und dann hielt der berühmte Häuptling der Apachen vor mir.

»Ni ti, Schar-lih? Nsho-peniyil! Shi mazakan ni yaltile – Du hier, Schar-lih? Willkommen! Ich hörte deine Büchse sprechen.«

Schar-lih, so sprach er nämlich meinen englischen Vornamen Charles oder Charley aus. Er sagte seine Worte in einem Tone und mit einer Miene, als ob wir uns erst vor fünf Minuten getrennt hätten und uns an einem Orte befänden, wo gar keinerlei Nachdenken erforderlich ist, sich wieder zu treffen.

[167] Er sprang aus dem Sattel, ließ sein Pferd frei laufen und stand nun vor mir als das Prachtexemplar eines Indianers.

In den Augen eines Westmannes hatte er allerdings den Fehler, der auch an mir so oft getadelt worden war: er vernachlässigte sein Aeußeres nie. Die Wildnis war nie im stande, seinen Anzug so zu beschmutzen und seine Waffen so zu berosten, wie es bei andern geschieht. Seine breiten Schultern und seine starke, mit Narben bedeckte Brust waren ganz nackt. Um die Hüften trug er als Shawl eine Santillodecke, über welcher ein wasserdichter Ledergürtel lag, dessen Inneres gleich demjenigen des meinigen zur Aufbewahrung wertvoller Kleinigkeiten diente, in welchem aber auch das Skalpmesser, der glänzende Tomahawk und zwei Revolver steckten. Eine Wildlederhose, welche sich eng um seine muskulösen Schenkel legte, war an den Seiten mit den Skalplocken getöteter Feinde geschmückt. Das vorn offene Jagdhemd, aus dem feinsten Rehleder bereitet, trug denselben Schmuck. Gamaschen, deren Zeug aus den Haaren der von ihm Erlegten geflochten war, bedeckten seine Unterschenkel, und an den Füßen saßen ein Paar Mokassins, an welchem eine fleißige indianische Squaw sicherlich monatelang gearbeitet hatte. Von den Schultern hing der aus dem schweren Felle eines grauen Bären gefertigte Mantel herab. Um den Hals hing an einer aus Bärenzähnen bestehenden Kette das Kallummet. Sein Kopf war unbedeckt, und das Haar war zu einer helmartigen Frisur geordnet, in welcher die drei Häuptlingsfedern steckten. Um seine Hüften hing das unzerreißbare Lasso, und in der Faust hielt er seine kostbare, silberbeschlagene Büchse, aus welcher, von seiner Hand geschossen, noch niemals eine Kugel fehlgegangen war. Seine Stirn war hoch, seine Nase fast römisch zu nennen, und die fast unmerklich hervortretenden Backenknochen vermochten nicht, dem männlich schönen, ernsten und dabei doch wohlwollenden Ausdruck seines Gesichtes Eintrag zu thun.

Das war Winnetou, der berühmteste Häuptling der roten Männer, der aber dennoch niemals einen Stamm befehligte, sondern einsam oder nur mit einem Freunde die Savannen und Gebirge durchritt, um zu zeigen, daß auch ein Indianer ein Held und Mensch sein kann.

Er nahm an meiner Seite Platz, und ich bot ihm eine der Zigarren an, welche ich mir im Fort gekauft hatte. Kein Pariser Elegant hätte dieselbe mit größerer Zierlichkeit zum Munde führen und anrauchen können.

»Mein Bruder Schar-lih ist wieder gesund?« fragte er.

»Ja, gesund und reich. Ich habe für die Felle über zweihundert silberne Dollar erhalten; sie befinden sich in meinem Gürtel.«

»Sie sind dein! Winnetou braucht keine Dollar. Er weiß, wo das Gold und das Silber in der Erde wächst. In welcher Richtung will nun mein Bruder jagen?«

»Nach dem Shayan hin; ich will einen Dieb und Mörder jagen. Geht mein Bruder Winnetou mit?«

»Winnetou ist da, wo sein Bruder Schar-lih ist. Wer ist der Mörder?«

»Es ist der Mörder der fünf Männer, welche wir vor vier Wintern am Hellgate-Paß begruben.«

Das war sicher auch für ihn eine überraschende Kunde, aber seine Züge [168] blieben unbeweglich; er war ein Indianer durch und durch.

»Mein Bruder Schar-lih erzähle!« sagte er.

Auch ich war gewohnt, mit ihm einsilbig zu verfahren; vielleicht hatte grade dies mir seine so ungewöhnliche Zuneigung erworben. Ich berichtete also in kurzen Worten nur das, was nötig war. Er hörte wortlos und ohne eine Miene zu verziehen zu und rauchte dann höchst gemächlich seine Zigarre zu Ende. Dann erhob er sich.

»Hat mein Bruder Patronen mitgebracht?« fragte er endlich.

»Genug,« antwortete ich kurz.

Da erhob er sich, warf die Büchse am Riemen über die Schulter und bestieg sein Pferd. Ich that ganz dasselbe. Er lenkte direkt in das Wasser, und nun erst bemerkte ich, daß hier eine Furt vorhanden sei. Hinter seinem Sattel war ein runder, von abrasiertem Hirschleder umgebener Pack aufgeschnallt; er enthielt das Fleisch, welches der Apache vorhin geschossen hatte, und so waren wir mit allem Nötigen versorgt.

Wir verstanden einander, ohne ein Wort zu sprechen. Winnetou war eben jetzt nach dem Shayansee aufgebrochen, das war seine Antwort auf meine Erzählung. Auf ihn konnte ich mich verlassen; er kannte das ganze Gebirge, von Mexiko an bis hinauf zum Frazerflusse.

Wir ritten der Grenze zwischen Wyoming und Nebraska entgegen. Es war ein böser Weg, quer über die schwarzen Berge hinüber, besonders als es dunkel wurde und der Apache noch immer keine Neigung zeigte, zur Nachtruhe anzuhalten.

Mein Mustang war ermüdet, aber er hielt gut aus, bis endlich Winnetou spät am Abend vom Pferde stieg und selbst das Feuer anbrannte, um das Fleisch nach seiner indianischen Weise zu bereiten. Da er der Nachtwache mit keinem Worte erwähnte, so glaubte ich, daß er die Gegend für sicher halte, und legte mich, als er wortlos zur Ruhe ging, neben ihm zum Schlafe nieder.

Am andern Morgen wurde der Weg fortgesetzt, immer durch unwirtliche Gegenden. Ich merkte, daß der Apache die einsamsten Striche aufsuchte, damit ja kein Mensch von unsrer Wanderung nach dem See von Shayan etwas bemerke. Es mußte ihn doch gewaltig interessieren, den Menschen in die Hände zu bekommen, der uns damals entgangen war, weil uns seine Truppe an Zahl so unverhältnismäßig überlegen gewesen war.

Auch dieser Tag verging. Wir machten heute früher Halt zum Nachtlager als gestern, und die Vorsicht, welche der Apache dabei entwickelte, ließ mich vermuten, daß wir in der Nähe unseres Zieles angekommen seien, denn hier mußte wegen der mutmaßlichen Anwesenheit der Buschklepper in dieser Gegend jetzt sorgfältiger verfahren werden als bisher.

Bereits am nächsten Morgen erreichten wir einen ansehnlichen Wasserlauf, welcher tief und breit genug war, größere Boote zu tragen.

»Der Shayan!« sagte Winnetou.

Er ritt so zuversichtlich vorwärts, daß ich überzeugt wurde, die Gegend sei ihm von früher her sehr wohl bekannt. Der Fluß verbreiterte und vertiefte sich immer mehr, doch waren die Ufer von Urwald bestanden. Plötzlich bog Winnetou vom Ufer ab und in den Wald hinein, der so hochstämmig war, daß wir zwischen den Bäumen genugsam Raum um Reiten fanden. Das Terrain stieg an; wir hatten eine ganz ansehnliche Höhe zu [169] überwinden und gelangten schließlich auf eine Art von Hochebene, auf welcher der Urwald in niederes, von grasigen Stellen unterbrochenes Buschwerk überging.

Da trieb mir die Luft einen Geruch entgegen, den ich von früher her kannte – Petroleumduft. Wir näherten uns dem Shayansee. Dies bemerkte ich auch an der Aufmerksamkeit, mit welcher der Apache den Boden nach etwaigen Fußspuren untersuchte. Jetzt machte er eine plötzliche Schwenkung, galoppierte mir eine kurze Strecke voraus, streckte dann den Arm aus und sagte:

»Tu-indchule shayan – der Shayansee!«

Der Petroleumgeruch war bei jedem Schritte der Pferde jetzt stärker geworden, und ich hatte daher vermutet, sehr bald auf das Wasser des Sees zu stoßen, aber als ich nun neben dem Apachen hielt, sah ich, daß wir noch immer eine ziemliche Strecke zu reiten hatten, um an das wirkliche Ufer zu kommen. Wir hielten nämlich am Rande eines tiefen, eirunden Beckens, dessen Wände von steil aufsteigenden Felsen gebildet wurden. Es hatte ganz das Aussehen, als sei diese große Einsenkung der ausgebrannte Krater eines feuerspeienden Berges. Mehrere Hundert Fuß tief unter uns lag auf dem Boden dieses Kraters der See, welcher einen Durchmesser von sicherlich einer guten Wegstunde hatte. Zwischen seinem Ufer und den östlichen Felsenwänden des Beckens sah ich zwischen größeren und kleineren Gebäuden ein sehr reges, geschäftiges Treiben. Dort stand ein ganz aus rohen Steinen gebautes Haus, in dessen Nähe mehrere hölzerne Hütten errichtet waren. Ueberall lagen Fässer, Dauben, Reisen, Faßböden, die ersteren teils leer, teils mit Petroleum gefüllt. Eine Dampfsäge war in Thätigkeit, große Stämme zu Dauben zu zerschneiden; überall sah man Anlagen, wie sie zur Gewinnung des Petroleums erforderlich sind. Dort aus dem Felsen floß das leuchtende, aber so übel riechende Oel. Man sah, daß es früher in den See gelaufen war, jetzt aber wurde es in mehreren großen Reservoirs aufgefangen, so daß kein Tropfen verloren gehen konnte. Und weiter links arbeitete eine zweite Dampfmaschine, um einen Erdbohrer zu bewegen, welcher die Tiefen des Erdinnern erschließen sollte, wo noch größerer Vorrat des Bitumen vorhanden war.

Der See hatte keinen Zufluß, von der Oelquelle natürlich abgesehen; sicherlich aber befanden sich mehrere Quellen auf seinem Boden, denn er hatte einen ziemlich bedeutenden Abfluß, welcher an der Nordostseite des Beckens die Felsen durchbrach und sich, wie ich später sah, in den nahen Shayan ergoß. Dieser Abfluß geschah durch einen Felsenspalt, welcher eine Breite von höchstens zwölf Fuß hatte und die einzige Gelegenheit bot, ohne besondere Schwierigkeit von außen her an den See, also in das Innere des einstigen Kraters zu gelangen. Vom Rande der Felsen herabzuklettern, schien nur auf der westlichen Seite nicht ganz ungefährlich zu sein. Aus dem steilen Gesteine schossen einzelne Tannen schlank und hoch empor, und die gefährlichen Risse, Spalten, Löcher, Ecken und Kanten wurden von üppigen Ranken- und Dorngewächsen trügerisch ausgeglichen. An der östlichen Seite aber blickten die scharfen Kanten des Kessels fast senkrecht in die Tiefe nieder; es gab zwar hier und da einen Vorsprung, einen schmalen Absatz oder eine sonstige Unebenheit, [170] welche ein kühner Alpenjäger zum Auf-, vielleicht auch Abstieg hätte benutzen können, aber um dies zu unternehmen, mußte man geradezu Todesverachtung besitzen.

Wir ritten jetzt am Rande des Kraters hin und dann auf der Außenseite desselben wieder hinab, bis wir zu dem erwähnten Ausflusse gelangten. Hier in dieser Felsenspalte gab es Raum nur für einen einzelnen Reiter, da der übrige Teil der Sohle von dem Abflusse des Sees eingenommen wurde, der gleich einem Bache dahinfloß und ein dunkles, fettes, ölhaltiges Wasser besaß.

Als sich vor uns der Krater öffnete, erblickten wir einige schmale, lange und sehr seichte Kähne, welche jedenfalls dazu dienten, die gefüllten Petroleumfässer nach dem Shayan zu bringen, wo sie dann auf größere Boote verladen wurden, um nach dem Missouri hinabzugehen.

Uns links wendend, kamen wir zu den oben angegebenen Anlagen, wo wir von den da beschäftigen Arbeitern mit Staunen betrachtet wurden. Ein Indianerhäuptling war hier am See wohl noch nie gesehen worden, wenigstens so lange die Oelkolonie bestand. Ich fragte nach Mr. Wittler und erfuhr, daß das massive Steingebäude sein Wohnhaus und zugleich Kontor sei. Wir ritten darauf zu, längs des Ufers hin.

Der See schien sehr tief zu sein und in seinem öligen Wasser kein lebendes Wesen zu beherbergen. So ziemlich in seiner Mitte ragte eine Insel hervor, auf welcher sich, von allerlei Gebüsch umgeben, ein zwar nur aus rohen Balken erbauter aber hübscher Pavillon erhob. Daß dieses Häuschen fleißig besucht oder benutzt wurde, bewiesen drei Kähne, welche am Ufer lagen.

Die Zahl der Arbeiter, welche hier angestellt waren, schien nicht sehr beträchtlich zu sein, aber es waren lauter halb wilde, kräftige Gestalten, welche schon etwas vor sich bringen konnten. Man sah uns vom Hause aus kommen, und unter der Thür trat uns ein Mann entgegen, in dessen Gesicht mehr Gutmütigkeit und Offenheit lag, als es sonst bei den Yankees der Fall zu sein pflegt.

»Ist Mr. Wittler zu sprechen, Sir?« fragte ich.

»Ja, ich bin es selbst,« antwortete er. »Ihr seid Jäger und sucht ein Obdach? Tretet ein und seid mir willkommen!«

»Ihr irrt, Sir,« sagte ich, vom Pferde steigend. »Zwar sind wir Jäger, aber dem Westmann ist's in der Stube und Kammer zu eng; er braucht kein Obdach. Wir kommen vielmehr in einer für Euch wichtigen Angelegenheit.«

»Ah, eine Geschäftssache, Sir? Und dieser Indsman ist Euer Führer zu mir gewesen?«

»Nein, auch das nicht. Wir sind lediglich gekommen, um Euch vor einem großen Unglück zu warnen, welches Euch bedroht.«

»Heigh-ho! Ist's wahr? Ein Unglück? Bitte, tretet ein, Mesch'schurs; ich stehe Euch sogleich zu Diensten!«

Ich folgte seiner Einladung, Winnetou aber, der im Sattel geblieben war, hatte sich den Oelprinzen scheinbar gar nicht angesehen; er ritt jetzt weiter, immer am Ufer hin.

»Warum reitet Euer Begleiter fort, Sir?« fragte Wittler. »Will er nicht mit hereinkommen?«

»Laßt ihn, Sir! Er will sich den See und seine Ufer ansehen und hat eine sehr dringende Veranlassung dazu, von [171] der Ihr sogleich hören werdet. Die Absicht, welche er hegt, ist Euch zum Nutzen.«

Er führte mich in diejenige Abteilung des Hauses, welche als Kontor diente, und lud mich ein, Platz zu nehmen. Ich that es; er setzte sich mir gegenüber und sagte:

»Verzeiht, daß ich mich nicht sofort gastlich zeige! Aber Ihr redet von einem Unglücke, und das muß ich erst hören, ehe ich Euch den Meinigen vorstelle.«

»Ihr thut ganz recht, Sir,« antwortete ich, indem ich den Gürtel öffnete und das weiter oben erwähnte Notizbuch hervorzog. »Sind nicht schon vier Fallensteller eingetroffen, welche vorigen Winter bei Euch blieben?«

»Ah, Brandes mit seinen Kameraden! Nein. Wollen sie zu nur? Was ist's mit ihnen?«

»Auch Sioux vom Stamme der Tetongs haben sich noch nicht sehen lassen?«

»Nein. Mein Gott! Sollen wir von den Sioux überfallen werden?«

»Nicht von ihnen, sondern von dem roten Olbers, Sir.«

Er erbleichte und sprang auf. Er schien ein braver Mann aber nicht ein Held zu sein.

»Ueberfallen! Vom roten Olbers!« rief er. »Was thue ich, was beginne ich?«

»Beruhigt Euch, Sir,« sagte ich mit möglichstem Phlegma; »es ist noch nicht so weit. Sagt mir zunächst, ob Ihr vielleicht dieses Notizbuch kennt!«

Er nahm es in die Hände und öffnete es. Ich sah, daß ein freudiger Schreck über sein Gesicht flog. Er holte tief Atem und rief:

»Gott sei Dank, endlich, endlich eine Nachricht! Das Buch gehört meinem Bruder. Warum schickt er es mir? Warum kommt er nicht selbst?«

»Weil er nicht kann; er ist tot.«

Ich hielt es für überflüssig, ihn auf diese Nachricht erst vorzubereiten, wie ich es bei einer Dame gethan hätte; er war ja ein Mann. Aber dennoch traten ihm sofort die Thränen in das Auge.

»Tot!« sagte er. »Also doch!«

»Ja. Setzt Euch wieder nieder, Sir, und hört mir zu! Ich und der Indianer, welcher jetzt mit mir gekommen ist, wir haben ihn begraben, ihn und seine unglücklichen Gefährten.«

Ich erzählte ihm jenes Ereignis am Hellgate-Paß und lenkte dann gleich, um alle Klagen abzuschneiden, seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart, indem ich ihm sagte, daß ich in Fort Cast mit dem Mörder zusammengetroffen sei, und ihm dann das Weitere auseinandersetzte. Er vergaß auch wirklich die Trauer über den Tod des Bruders und dachte nur an die Gefahr, welche ihm drohte.

»Also dieser Olbers kommt wirklich?« fragte er entsetzt.

»Ich bezweifle es gar nicht. Die geraubten Nuggets sind alle; seine späteren Schandthaten haben ihm nichts eingebracht, und nun will er Euch besuchen, da er Reichtümer bei Euch vermutet.«

»So muß ich sofort alles verstecken, alles, hinunter in den Keller; der ist sogar feuerfest!«

»Zunächst müßt Ihr wohl daran denken, Vorbereitungen zu treffen, den erwarteten Angriff abzuschlagen. Haben Eure Arbeiter Waffen?«

»Alle!«

»Nun, so ist ja gar nicht viel zu befürchten! Ihr seid gewarnt und könnt diese Buschheaders also gehörig heimschicken.«

»O, davon verstehe ich nichts. Nur [172] keinen Kampf! Können wir sie denn nicht mit List von uns abhalten, Sir?«

Ich zuckte die Achseln.

»Dazu reicht meine List nicht aus, Mr. Wittler. Ihr werdet kämpfen müssen, und ich bin bereit, Euch beizustehen. Mein Begleiter ist der berühmte Apachenhäuptling Winnetou. Er nimmt zehn solcher Buschklepper auf sich, zumal bei einem nächtlichen Kampfe, wie er ja zu erwarten ist; ich habe auch gelernt, mich meiner Haut zu wehren, wenn es not thut; rechnet Ihr dazu Eure Arbeiter, welche ja gar nicht wie Memmen aussehen, so bleibt für Euch nichts übrig als das bloße Zusehen oder Abwarten.«

»Ich bin Euch dankbar, Sir, sehr dankbar!« sagte er im Tone der Erleichterung. »Ich ersuche Euch, den Oberbefehl über meine Leute zu übernehmen. Sie werden Euch gern gehorchen.«

Das war ja für mich sehr ehrenvoll! Ich, der Unbekannte, sogleich General en chef!

»Es handelt sich hier wohl weniger um einen Oberbefehl als um ein energisches Zusammenwirken. Wir werden noch darüber sprechen; jetzt aber bitte ich Sie, mich den Gliedern Ihrer Familie vorzustellen, obgleich ich leider keinen Frack anlegen kann.«

Ich fand in Mrs. Wittler und Mrs. Helming zwei Damen, welche mehr Energie zu besitzen schienen als der Oelprinz, von dem es mich übrigens wunderte, daß er es bei seinem Abscheu vor einem Kampfe gewagt hatte, sich hier am Shayansee niederzulassen. Die Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, freuten sich königlich, einmal einen Fremden zu sehen, und ich hatte ihnen hundert Fragen zu beantworten, entzog mich aber dann ihrer Wißbegierde, um Winnetou aufzusuchen und zugleich Wittler Gelegenheit zu geben, den Damen mitzuteilen, was er von mir erfahren hatte.

Ich hatte mich doch weit über eine Stunde mit der Familie beschäftigt, und der Apache hatte Zeit gefunden, um den See zu galoppieren. Ich sah ihn eben über ein hohes Felsenstück, welches im Wege lag, voltigieren; er hielt es gar nicht für der Mühe wert, es zu umreiten. Als wir zusammentrafen, meinte er:

»Alle müssen sterben! Man besetzt den Ausgang, sobald die diebischen Bleichgesichter hereingekommen sind. Sie können in der Nacht nicht an den Felsen empor und werden von unsern Kugeln gefressen werden. Howgh!«

Dieses letztere Wort pflegte er dann auszusprechen, wenn er eine Meinung bekräftigen wollte. Ich stimmte ganz seiner Ansicht bei, wollte aber nicht verabsäumen und machte also dieselbe Tour um den See wie er. Ich wurde dadurch nur in der Ansicht bestärkt, daß die Buschklepper verloren seien, wenn sie den Angriff wagten.

Jetzt begab sich auch Winnetou mit in das Wohnhaus. Man hatte uns ein Mahl bereitet, wobei uns aber nur die Kinder Gesellschaft leisteten. Wittler und die Damen entschuldigten sich damit, daß sie zu beschäftigt seien. Sie schafften alles Wertvolle in den Keller. Jetzt lächelte ich über den Eifer, später aber sah ich ein, daß er von großem Nutzen gewesen war.

Während des Mahles saß Winnetou so, daß er durch das Fenster blicken konnte. Er sprang plötzlich auf.

»Uff!« rief er erstaunt und deutete mit der Hand hinaus.

Ich drehte mich um, warf einen Blick hinaus und erkannte – den roten Olbers, [173] welcher vom Abflusse des Sees her langsam auf das Haus zu geritten kam. Er schien sich jede Einzelheit des Terrains genau betrachten zu wollen. Ich eilte zur Thür, riß sie auf und rief nach Wittler. Er kam herbeigeeilt; er hatte meiner Stimme angehört, daß es etwas Ungewöhnliches gebe.

»Der rote Olbers kommt!« sagte ich.

»Mein Gott!« rief er, vor Schreck zurückfahrend.

»Keine Angst! Er kommt nur rekognoszieren. Wir könnten ihn fortlassen, um ihn dann mit den Seinen desto sicherer zu haben; aber wir halten ihn fest; die andern entgehen uns nicht. Schnell, schnell, empfangt ihn im Kontor, thut, als ob Ihr nichts ahntet, und laßt ihn ruhig sprechen. Ich bin neugierig, womit er seine Anwesenheit begründen wird. Ich warte mit Winnetou, bis er wieder heraustritt, und nehme ihn fest.«

»Aber, Sir, dieser Mörder – – –«

»Schnell!« unterbrach ich ihn. »Er steigt bereits vom Pferde!«

Ich mußte den Mann förmlich fortschieben, so voller Angst war er. Wir hörten Olbers in den Flur treten und nach Mr. Wittler fragen; dieser ging mit ihm in das Kontor. Nach einigen Minuten postierten wir uns leise vor die Thür desselben. Ich malte mir bereits aus, welch ein Gesicht er machen werde, wenn er heraustreten und mich da erblicken werde. Ich horchte. Ich vernahm einige laute Worte und einen darauf folgenden wilden Fluch. Es schlug etwas gegen die Thür. Ich ahnte, daß dies nichts Gutes bedeute, und öffnete. Da stand Wittler, schreckensbleich und mit offenem Munde. Olbers war nicht zu sehen.

»Wo ist er?« fragte ich dringend.

Der Mann deutete wortlos gegen das Fenster.

»Fort?«

»Ja,« antwortete er. »Ich hatte viel Mut; ich sagte ihm, daß er der Mörder meines Bruders sei und daß ich Gäste habe, die ihn fangen wollen. Da warf er mich gegen die Thür und sprang durch das Fenster.«

Ich hatte keine Zeit zu antworten und meinem Aerger Luft zu machen. Dieser feige Mann hatte doch nur vor lauter Angst Olbers einschüchtern wollen. Draußen erscholl der Hufschlag eines Pferdes. Ich sprang vor das Haus, Winnetou mit. Olbers galoppierte ventre-à-terre dem Ausgange des Sees zu. Selbst wenn ich den Arbeitern hätte zurufen wollen, ihn festzuhalten, wäre es vergeblich gewesen.

Winnetou überschaute die Situation mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit.

»Ich verfolge ihn,« sagte er. »Mein Bruder Schar-lih mag diesem Weibe sagen, was es zu thun hat, und mir dann nacheilen; er wird meine Fährte leicht finden.«

Sein Pferd weidete in ziemlicher Entfernung, kam aber auf seinen Pfiff sogleich herbei. Er sprang auf und jagte davon. Als vorsichtiger Mann hatte er, als wir vom Tische aufstanden, seine Büchse ergriffen und brauchte also gar nicht erst in das Haus zurückzukehren. Mit dem Worte »Weib« hatte er Wittler gemeint.

»Ihr glaubt nicht, was Ihr für einen unverzeihlichen Fehler begangen habt,« sagte ich zu diesem. »Nun werden uns diese Spitzbuben vielleicht gar entgehen.«

»Immerzu!« antwortete er. »Sie werden nun jedenfalls nicht mehr daran denken, uns zu überfallen.«

[174] »Das weiß man nicht. Ich folge jetzt dem Apachen. Stellt Posten aus, und laßt sie die Augen offen halten. Wir beabsichtigten erst, die Bande in das Thal zu lassen und dann unschädlich zu machen, nun wir aber fort sind, werdet Ihr klug thun, jeden niederzuschießen, der den Eingang erzwingen will. Ob wir wiederkommen, weiß ich nicht, zeitig, spät, heut, morgen oder auch gar nicht. Fare well, Sir!«

Während dieser Rede hatte ich meine Gewehre ergriffen, mein Pferd herbeigepfiffen, stieg auf und folgte Winnetou. Die Arbeiter blickten mich verwundert an, war ich doch nun der dritte Reiter, der in rasender Eile das Thal verließ. Seit der Flucht Olbers und jetzt waren höchstens zwei Minuten vergangen. Ich erreichte die Durchbruchsspalte, flog hindurch und am Wasser hinab. Ich sah deutlich die Tapfen von Winnetous Pferd. Dieser hatte, wie ich jetzt bemerkte, zum Ueberfluß den Tomahawk ergriffen, und längs des Verfolgungsweges jeden erreichbaren Ast abgehauen. So konnte ich ihm schneller folgen als er dem Fliehenden.

Es ging über Stock und Stein, zwischen Büschen und Felsen hindurch. Mein Mustang griff aus wie selten. Nach kurzer Zeit hatte ich Winnetou erreicht. Er saß nicht auf seinem Pferde, sondern er hing an demselben, das eine Bein über dem Sattel, das andere unter dem Bauche und den Arm im Halsriemen des Tieres. Sein Ohr horchte auf den Hufschlag vor uns, und sein Auge war scharf auf den Boden gerichtet. Auch ich ließ die Bügel fahren, schob den Arm in den Riemen und nahm also ganz dieselbe Stellung ein wie Winnetou, nur er auf der rechten und ich auf der linken Seite unserer Pferde. Auf diese Weise konnte uns keine Spur entgehen.

So jagten wir fort, bis mir plötzlich auf meiner Seite ein Abdruck im moosigen Boden auffiel. Ich riß mein Pferd zur Seite.

»Ni sisi – halt an!« rief ich, indem ich mein Pferd zum Stehen brachte.

Im Nu war auch Winnetou von dem seinigen herab und stand an meiner Seite.

»Ti teshi ni utsage – was siehst du hier?« fragte er.

Ich warf einen forschenden Blick zwischen die links von uns stehenden Sträucher und war mir sofort im klaren.

»Sieh hier die tiefen Eindrücke zweier Absätze!« sagte ich. »Er ist mitten im Galopp vom Pferde gesprungen. Er hat das Tier aufgegeben, um sich zu retten. Er hat geglaubt, daß wir diesem folgen werden und nicht ihm. Hier ist er in das Gesträuch hinein. Er wird sich nach dem Bache wenden, um im Wasser seine Spur unsichtbar zu machen und dann, sobald er sich sicher fühlt, das Ufer wieder zu betreten.«

Der Apache bückte sich nieder, untersuchte die Spur, sagte sein halblautes, zustimmendes »Howgh!«, bestieg dann sein Pferd wieder und ritt nach links hinüber und grad auf das Wasser zu. Ich folgte ihm, und wir ritten in die dunkle Flut hinein, welche uns noch nicht bis an die Steigbügel ging.

»Shi ti ni, akayia – ich hier, du dort!« sagte Winnetou.

Er wollte das rechte und ich sollte das linke Ufer im Auge behalten. So wateten wir den Bach hinab. Unserm Auge durfte kein Zweig, kein Grashalm, kein Sandkorn entgehen. Wie sich nach ungefähr zehn Minuten zeigte, ritt ich [175] auf der Seite, auf welcher unsere Aufmerksamkeit belohnt wurde: ungefähr zwei Schritte vom Ufer entfernt, hatte irgend ein Zufall einen Zweig geknickt, der noch am Aste hing; infolgedessen waren seine Blätter verdorrt, aber trotzdem waren sie naß.

»Halt, hier!« sagte ich, indem ich an das Ufer sprang, aus Vorsicht aber das Pferd noch im Wasser ließ.

Ich betrachtete den Boden und fand, daß das Gras niedergetreten, aber mit der Hand künstlich wieder aufgerichtet worden war.

»Hier ist er an das Ufer gegangen. Er hat das Wasser von der Lederhose geschüttelt, und dabei sind diese Blätter naß geworden. Seine Fußspur hat er auszuwischen versucht.«

Winnetou fand, daß ich recht hatte; er schritt wieder voran. Seinem scharfen, geübten Auge konnte die Fährte nicht entgehen, obgleich sie möglichst unkenntlich gemacht worden war. Aus dem letzteren Grunde mußten wir, um die Spur nicht zu verlieren, die Pferde führen. Das war höchst beschwerlich und zeitraubend. Olbers hatte sich immer die Stellen herausgesucht, an denen eine Spur nicht haftete. So kamen wir nur ganz und gar langsam vorwärts, während er wenigstens fünfmal so schnell gegangen war.

Die Eindrücke seiner Füße führten uns in einem weiten Halbkreise um den See herum, nach der östlichen Seite desselben. Wir kamen wieder auf die Höhe, wo das Buschwerk bedeutend lichter stand. Hier hatte er gemeint, weniger vorsichtig sein zu dürfen, und so stiegen wir wieder zu Pferde; seine Spur war deutlich zu sehen.

Dadurch konnten wir das Versäumte einigermaßen nachholen. Es mochten seit unserem Aufbruche aus dem Oelthale drei Stunden vergangen sein, als wir uns höchstens zwei englische Meilen von demselben entfernt befanden. Da lief die Fährte, der wir folgten, in einen ziemlich großen, freien Grasplatz aus, welcher ganz von Pferdehufen zertreten war. Hier hatten seine Leute auf ihn gewartet.

Eine kurze Untersuchung brachte uns in die Richtung, in welcher sie davongeritten waren; sie führte nach Osten. Sollten sie ihr Vorhaben aufgegeben haben und nicht mehr an den Ueberfall denken? Wir mußten uns überzeugen. In diesem Falle kehrten auch wir nicht nach dem See zurück, wenigstens nicht bevor wir Olbers ergriffen hatten; das verstand sich ganz von selbst.

So verging der Nachmittag, und der Abend dunkelte bereits herein. Da bog sich die Fährte plötzlich nach Nord und nach fünf Minuten gar wieder nach West zurück. Ich erschrak. Die tiefen Hufeindrücke bewiesen, daß die Buschheaders von jetzt an ein rascheres Tempo eingeschlagen hatten.

»Uff!« rief Winnetou. »Was denkt mein Bruder Schar-lih jetzt?«

»Sie haben sich anders besonnen und sind wieder umgekehrt. Sie werden das Thal doch noch überfallen!«

»Howgh!«

Er sprach nur dies eine Wort, aber er setzte sein Pferd in Galopp, der Spur nicht die mindeste Aufmerksamkeit mehr schenkend. Jetzt galt es ja nur, den See so schnell wie möglich zu erreichen.

Es wurde dunkel, und die Sterne gingen auf. Wir lag es auf der Seele wie ein bevorstehendes großes Unglück. Wir trieben die Pferde zur größten Eile [176] an, aber das Dunkel und die vielen Hindernisse hielten uns auf. Doch endlich nahten wir uns dem See wieder; schon drang uns der Petroleumgeruch entgegen. Da, da hörten wir tief unten Schüsse fallen, und ein Unglück verkündendes Geschrei scholl uns entgegen. Wir erreichten den Rand des Kraterkessels und blickten hinab.

Wir sahen unten schwarzglühende Flammen hoch emporlodern, und ein dicker Rauch wallte in die Höhe. Schüsse krachten, Schreie erschallten – – –

»Sie sind bereits unten,« rief ich; »sie haben die Reservoirs entzündet; das Petroleum brennt. Hinab, schnell, schnell!«

Wir jagten am Rande des Kessels hin und dann hinab, dem Eingange zu. Daß wir da lebendig hinabgekommen sind, kann ich heut noch nicht begreifen. Aber noch lag die schwierigste Partie vor uns, ein Trümmergewirr, welches wir heut am Tage passiert hatten. Aber jetzt bei Nacht – – –?

»Tkli ti sisi – die Pferde hier lassen!« rief Winnetou.

Wir sprangen ab, banden die Pferde an die Bäume und eilten dann weiter. Stolpernd, stürzend, uns immer wieder aufraffend erreichten wir endlich die Abflußspalte. Ich war voran und drang in die enge Spalte ein.

»Halt! Niemand darf hindurch!« rief uns eine Stimme entgegen.

Das konnte nur einer der Feinde sein, welchen der rote Olbers hier als Wache zurückgelassen hatte. Ich hielt seinetwegen keinen Augenblick im Laufe inne. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber ich hielt den Kolben meiner Büchse vor und rannte ihn damit nieder. Ich hörte ihn ins Wasser stürzen.

Jenseits des Einganges sahen wir eine Menge Pferde stehen; es waren diejenigen der Mordbrenner. Der Schein der hochlodernden Flammen erleuchtete das Terrain. Wir sahen die Angreifenden. Sie hatten jetzt bereits die hölzernen Hütten geplündert und angebrannt und bemühten sich jetzt, in das Wohngebäude einzudringen, aus dessen Fenstern Schüsse fielen. Eine andere Abteilung machte eben jetzt eines der Boote los, um nach der Insel zu rudern, auf welcher sie Schätze vermuten mochten.

Wir rannten vorwärts, dem Wohnhause zu, über Steine, Holzhaufen und hohe Fässer springend. Jetzt kamen wir an dem Erdbohrer vorüber. Ich hörte die Maschine gehen und dachte, trotzdem die Gegenwart uns in Anspruch nahm, an ein anderes Erlebnis in Couteau du Missouri, wo während meiner Anwesenheit der Bohrer das unterirdische Oel in dem Augen blicke erreicht hatte, in welchem in der Nähe eine Lampe gebrannt hatte; an ihr hatten sich die Gase entzündet, und der ganze Bluff war ausgebrannt.

Doch hatte ich jetzt natürlich nicht Zeit zu solchen Rückblicken; die Erinnerung war auch nur einen Moment lang mit der Schnelligkeit des Gedankens an mir vorübergeflogen. Wir eilten weiter, bis wir in Schußweite kamen. Da blieb der Apache halten, legte an, zielte und drückte ab – ein Feind fiel. Auch ich erhob das Gewehr, aber ich kam nicht dazu, einem dieser Menschen das Leben zu nehmen: hinter uns geschah nämlich ein Krach, als sei die Erde auseinandergeborsten; der Boden unter meinen Füßen wankte, so daß ich fast niedergestürzt wäre; es folgte ein Brausen, ein wahrhaft höllisches Zischen, Aechzen und Stöhnen, und dann – o Herrgott, hilf! Da [177] war's ja, ganz dasselbe wie dort im Couteau du Missouri!

Ein allgemeiner, fürchterlicher Schrei erscholl, und ich wandte mich um. Dort, wo der Erdbohrer in Thätigkeit gewesen war, stieg jetzt das Petroleum wenigstens fünfzig Fuß hoch empor und zwar in einem Strahle von der Dicke eines Menschen. Der Bohrer war auf das Oel gestoßen, und die leichteren, zuerst emporgetriebenen Gase hatten sich an den flammenden Feuern entzündet. Nun war die ganze Luft ein einziges, großes Feuermeer. Der Oelstrahl brannte auch bereits und bildete eine riesige Feuergarbe, wel che oben weit auseinanderstäubte und dann in glühenden Fäden niedersank.

Die Masse des herausquellenden Oeles floß über und bildete einen breiten, brennenden Strom, der sich mit ungeheurer Schnelligkeit weiter wälzte. Der Kampf stand still; kein Mensch dachte mehr an Angriff und Verteidigung. Ich erkannte, daß es Rettung nur durch die Boote geben konnte, denn zu Fuß konnten wir nicht an der Feuergarbe vorüber. Ich faßte Winnetou an und riß ihn mit mir fort.

Eben als wir in das Boot sprangen, rief vom Wohnhause her eine Stimme:

»O, meine Frau, meine Kinder!«

Es war der Oelprinz, den der Schreck vor die Thür getrieben hatte. Er stand im Begriff, uns nachzuspringen.

»Wo sind sie?« rief ich zurück.

»Im Pavillon auf der Insel!«

»Gut! Versteckt Euch im Keller, Sir, und laßt keinen Feind hinein!«

Er trat zurück und verschloß die Thür; aber sofort stürzten sich die Feinde auf das Haus; das Wort Keller hatte ihnen gesagt, wo sie Rettung vor der brennenden Luft finden könnten. Einige eilten an das Ufer, um sich des dritten Bootes zu bemächtigen.

»Sie dürfen es nicht haben, denn wir brauchen es auch für die Frauen und Kinder hinüber, Winnetou!« sagte ich.

Er sprang hinüber und stieß vom Ufer ab. Ein Schrei der Wut scholl hinter uns her.

»Die Munition und Gewehre ins Wasser!« warnte ich den Indianer.

Ich legte meinen Gürtel, die Patronentasche, die Revolver und die beiden Gewehre in das Brackwasser des Bootes, denn ich wußte, was kommen werde. Winnetou that ebenso, dann legten wir uns in die Ruder.

In solchen Augenblicken scheint der Mensch zehnfache Stärke zu besitzen. Unsere beiden Boote schossen wie Pfeile durch die Flut. Wir kamen an dem ersten Boote vorüber. Im Augenblicke der Detonation waren die Insassen desselben so erschrocken gewesen, daß sie die Ruder falsch gehandhabt hatten; das Fahrzeug war gekentert, und die Männer schwammen im Wasser.

Am Ufer krachte, zischte, schoß, donnerte und prasselte es; wir achteten nicht darauf. Je weiter wir kamen, desto reiner wurde die Luft, aber die Glut folgte uns nach. Der brennende Oelstrom erreichte die vollen Oelfässer. Sie zerborsten mit dem Krachen eines Armstronggeschützes und ergossen ihren sofort auch brennenden Inhalt in den kochenden Strom, der jetzt das Wasser erreicht hatte und nun mit rasender Geschwindigkeit sich auf demselben ausbreitete.

»Schnell, schnell, um Gotteswillen, Winnetou, sonst packt uns das Feuer!« rief ich.

Ich ruderte, daß ich glaubte, die [178] Muskeln würden springen. Das Bohrloch strömte immer neue Gase aus, welche uns einholten; aber wir hielten aus und erreichten die Insel. Dort lagen die beiden Frauen und die drei Kinder halb tot vor Angst am Ufer. Wir rissen sie zu uns herein, ich die Frauen und Winnetou die Kinder, dann stießen wir wieder ab, um am entgegengesetzten Ufer Rettung zu suchen.

Eben als wir die Insel verließen, sahen wir, daß die Buschheaders ihr Boot wieder aufgerichtet hatten und auf die Insel zu hielten. Es schien ihnen eins der Ruder abhanden gekommen zu sein, darum trieben sie nur langsam weiter.

Die nächstfolgende Viertelstunde kann ich nicht beschreiben. Drüben brannte jetzt das ganze Ufer; dort gab es ein einziges Petroleumfeuer, und dieses Feuer floß auf dem Wasser vorwärts, uns immer nach. Oft, wenn die Flamme sich teilte, sah man Menschen, welche am Felsen emporzuklettern versuchten. Ihr Entkommen war sehr zweifelhaft.

Die Luft wurde immer fürchterlicher; sie hatte das Feuer und die Schärfe wie der Reflex eines Spiegels, auf welchen der Sonnenstrahl fällt. Ganze Ballen feurigen Oeles flogen durch die Luft und stürzten um uns her in das Wasser, wo sie augenblicklich brennende Kreise bildeten. Es war mir, als ob ich glühendes Eisen atme; meine Pulse flogen, mein Kopf glühte, meine Zunge lag wie ein zentnerschweres Stück Fleisch im Munde. Die Sinne wollten mir vergehen; ich begann zu phantasieren: ich war eine Dampfmaschine und mußte mein Fahrzeug an das Ufer bringen. Das Boot flog vorwärts und das Ufer auf uns zu. Noch einige kräftige Schläge, dann erhob ich mich. Das Boot rannte an, und ich stürzte in das Wasser; das brachte mich wieder zu mir.

Ich faßte die Frauen und riß sie an das Land; auch Winnetou war da. Aber was und wohin nun? Auch wir waren verloren. Das brennende Oel kam immer näher. Damals auf dem Couteau du Missouri hatte mich die Schnelligkeit des Pferdes gerettet, jetzt aber – – –

»Hi-ho-hi!« erscholl es über uns am Felsen.

Wir blickten empor und sahen viele braune Gestalten, welche in einer Zickzacklinie herabgeklettert kamen. War das möglich? Gab es da einen Weg?

»Pokai-po pa-e – das tötende Feuer kommt!« erscholl es jetzt.

Ja, das tötende Feuer kam hinter uns, um uns zu verderben, aber das »tötende Feuer«, der Häuptling der Tetongs, kam von oben herab, um uns zu retten. Es war mehr als tageshell, und man konnte jeden Schritt sehen, den die Indianer thaten. Mein Auge hing nur an ihnen, was sonst vorging, das ging mich nichts an. Die beiden Frauen wimmerten, und die Kinder weinten; ich drückte die Kleinen an mich, aber ich wendete den Blick nicht von den Wilden.

Endlich hatte der erste von ihnen den Boden erreicht. Es war der Häuptling selbst.

»Das tötende Feuer kommt,« sagte er, »um Old Shatterhand und dem Häuptlinge der Apachen einen Weg zu zeigen, der auf diesem Felsen aufwärts geht. Der Häuptling der Tetongs kennt ihn seit langer Zeit, und seine Leute sind gekommen, um die Squaws und die Kinder emporzutragen.«

Es gab keine Zeit zu einer würdigen Vorstellung zwischen den beiden Häuptlingen, denn der Tod war hinter uns. [179] Die Insel stand schon längst in Flammen. Der letzte der Tetongs war herabgestiegen, und nun begann der Aufsteig.

Das tötende Feuer stieg voran; dann folgte ich und Winnetou; nach uns kamen die übrigen mit den Frauen und Kindern. Wie ich hinaufgekommen bin, das weiß ich heut nicht mehr; ich weiß nur, daß mich Flammen umzuckten, daß ich Feuer trank und daß mein Kopf größer war als der allergrößte Luftballon. Sicher weiß ich nur, daß ich lange und fest geschlafen habe.

Als ich erwachte, war es bereits Abend des nächsten Tages; ich lag im Zelte des Siouxhäuptlings, und neben mir lag Winnetou, der noch schlief. Meine Hände schmerzten mich; ich betrachtete sie beim Scheine des Zeltfeuers: ich hatte mir das Fleisch von den Händen gerudert. Aber dieser Schmerz verschwand sofort, als ich meine sämtlichen Waffen neben mir liegen sah. Die braven Tetongs hatten sie aus dem Boote genommen. Hätte ich sie nicht in das Brackwasser gelebt, so wären sämtliche Patronen explodiert.

Ich versuchte aufzustehen, und es ging, aber die giftigen Gase schienen alle meine Eingeweide zerfressen zu haben. Die Kleider hingen mir wie Zunder auf dem Leibe; Bart, Kopfhaar, Brauen und Wimpern, alles war verschwunden, und so war es auch bei Winnetou.

Draußen vor dem Zelte wurde ich mit Jubel von den dort lagernden »Wilden« empfangen. Nun sah ich, daß das Zelt ganz am Rande des Kraters stand. Unten stieg der Strahl des brennenden Petroleums noch hoch empor, aber fast zweihundert Tetongs waren beschäftigt, den verderblichen Strom nach und nach einzudämmen. Der Krater sah aus wie eine Hölle, und die Indianer erschienen wie Teufel, die um die riesige Flammenfontäne tanzten.

Es stand noch ein zweites Zelt da, welches die Frauen und Kinder enthielt, die zwar ebenso versengt waren wie ich, aber doch noch lebten. Die Stelle, auf welcher das Wohnhaus gestanden hatte, war jetzt ein rußiger Steinhaufen, unter welchem die Sioux den Besitzer mit einigen seiner Leute, die sich mit ihm in den Keller gerettet hatten, besinnungslos hervorgezogen und dann nach langer Mühe zum Bewußtsein gebracht hatten. Von der Truppe des roten Olbers war kein einziger entkommen, wie es schien; sogar der Posten, den ich mit dem Kolben in das Wasser gestoßen hatte, war außerhalb des Abflusses gefunden worden, ertrunken in den Wellen, von denen er, der Betäubte, fortgerissen worden war.

Daß die Sioux vom Stamme der Tetongs erschienen waren, und zwar grad noch zur rechten Zeit für uns, läßt sich sehr leicht erklären. Sie waren ja der Bande des roten Olbers gefolgt, um die Beleidigung, welche ihrem Häuptling widerfahren war, zu rächen. Ich fand an ihnen ernste, wahre Freunde, bei denen ich mich in Gesellschaft Winnetous erholte von den Folgen des Oelbrandes, welche doch schlimmer waren, als ich zuerst geglaubt hatte. – – –

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[Fußnoten]

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