[110] 169. Die hartherzige Aebtissin.
In Homberg, Nachts, wenn der Mond sich hinter dunkeln Wolken birgt und das vormalige Stiftsgebäude in schweigender Finsterniß da stehet, schleicht ein großer schwarzer Hund um die Mauern; mit leisem Gewinsel trabt er bald um diese, bald um jene Ecke, den Kopf zur Erde gesenkt, mit eingezogener Ruthe.
Einst, es war in den ersten Zeiten des Stifts, lebte eine Aebtissin, die an Hartherzigkeit ihres Gleichen nicht hatte. Ließ sich ein Armer auf dem Hofe sehen, um eine milde Gabe zu erflehn, so rief sie ihm schon aus dem Fenster zu: »Packe dich, wenn du nicht willst, daß dich die Hunde hinausjagen!« Ging der Bettler nicht sogleich, so machte sie ihre Drohung wahr und ließ den großen Hofhund von der Kette. Sie starb endlich; doch ward ihr das Grab keine Ruhestätte. Als großer schwarzer Hund wandelt sie allnächtlich um den Ort, wo sie dem Teufel des Geizes das ewige Heil ihrer Seele geopfert hat.
Mündlich.