Vor dem Absturz

Nur handbreit ist der Felsenpfad
Und senkrecht fällt der scharfe Grat
In sturzverheißende Felsenkluft,
Zu Füßen schlüpfrigloser Schnee,
Eiskalter Triebschnee in der Höh'
Und sturmdurchdonnerte Winterluft.
Verbunden sind mit zähem Strick
Die Klettrer zu gemeinem Glück,
Da, horch, ein schriller Rettungsschrei!
Der Nachbar, der ihm helfen soll,
Der reißt die Axt heraus wie toll
Und schlägt den Freundschaftsstrang entzwei.
Achtung! ein zweiter stürzte ab.
Der Freund, der ihm die Hilfhand gab,
Tat selber einen falschen Tritt;
Die andern zerren, stemmen, ziehn,
Vergeblich alles Angstbemühn –
Sein Absturz reißt sie alle mit.
Nur ich verschmähte stolz das Seil,
In eigner Hand das eigne Heil
Auf glattem, feuchtem Schieferstein;
Mich stürzt kein falscher Freundestritt –
Ich reiße keinen andern mit –
Ich stürz' und rette mich allein.

Münster, Juli 1890

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