[57] Die Stelle im Thukydides
Ist vielleicht der Herr Professor zu Haus?
»Nein, der Herr Professor ging vorhin aus.«
Ist vielleicht Frau Professor zu Haus?
»Nein, Frau Professor ging eben aus.«
Und Fräulein Töchter, sind sie zu Haus?
»Nein, Fräulein Töchter gingen auch eben aus.«
So bist du ganz allein, mein Kind?
Das paßt vortrefflich; zeig mir geschwind,
Wo der Herr Professor sitzt,
Wenn er bei der Arbeit schwitzt,
Wenn er in tiefer Gelehrsamkeit
Vergißt sogar die Essenszeit.
Das also ist sein Schreibtisch, sein Pult;
Von dort aus, in königlicher Huld,
Geruht er seine Kritiken zu krähen
Und auf die jungen Dichter zu schmähen,
Bald mit gerunzelter Stirn zu kritzeln,
Bald mit sardonischem Lachen zu witzeln.
Dann, zur Erholung, nimmt er Horaz
Oder den langweiligen Trimpetraz.
Und das ist des Göttlichen Kanapee;
Ei, sieh doch. Wie wärs, allerliebste Fee,
[58]Dort muß ich mal sitzen, das ist mir erlaubt,
Wo zu Mittag schläft sein klassisches Haupt.
Komm, setz dich neben mich; willst du dich zieren?
Die Herrschaften gingen alle spazieren.
Wahrhaftig, das ist nett von dir;
Wir sind ja auch nur zu zweien hier.
Und wo er liest im Chrysostomus,
Kleine, wie wär es, rasch einen Kuß.
»Aber, das geht nicht.« J, nur im Fluge;
Glaube mir, bald sind wir im Zuge.
»Es klingelt! die Tür! Nicht doch, bitte.«
Schnell noch den einen... »Ich höre Schritte.«
(In tiefem, würdevollem Baß:)
Ah, da sind Sie, mein Bester; Sie haben
Doch nicht gewartet? Nun wollen wir graben
Und tüchtig die faule Denkschaufel regen.
Sie kommen des Thukydides wegen.
Die Stelle ist schwierig. Nehmen Sie Platz;
Ich geh sogleich auf Such und Hatz,
Ich hoffe, wir werden den Racker kriegen
Und ihm den trotzigen Nacken biegen.
Keine Umstände, bitte aufs Kanapee! –
Und so geschahs. O Chrysostome!