[66] Hochsommer im Walde

»Kein Mittagessen fünf Tage schon.
Die Heimat so weit, kein Geld und kein Lohn,
Statt Arbeit zu finden, nur Hunger und Not,
Nur wandern und betteln und kaum ein Stück Brot.«
Was biegt der Handwerksbursch in den Wald?
Was läuft ihm übers Gesicht so kalt?
Was sieht er trostlos in den Raum?
Was irrt sein Auge von Baum zu Baum?
Die Sonne sinkt und Stille ringsum,
Die Drossel nur lärmt noch, sonst Alles stumm.
Was schaukelt der Erlbaum am Waldesrand?
In seinen Ästen ein Mensch verschwand.
Von seinem ärmlichen Bündel den Strick,
Er legt um den Hals ihn, um Wirbel, Genick,
Dann läßt er sich fallen – nur kurz ist die Qual,
Er sah die Sonne zum letzten Mal.
Der Tau fällt auf ihn, der Tag erwacht,
Der Pirol flötet, der Tauber lacht.
Es lebt und webt, als wär' nichts geschehn,
Gleichgültig wispern die Winde und wehn.
Ein Jäger kommt den Hügel herab,
Und sieht den Erhängten und schneidet ihn ab.
Und macht der Behörde die Anzeige schnell,
Gendarmen und Träger sind bald zur Stell'.
In hellen Glacés ein Herr vom Gericht,
Der prüft, ob kein Raubmord, wie das seine Pflicht.
Sie tragen den Leichnam ins Siechenhaus,
Und dann, wo kein Kreuz steht, ins Feld hinaus.
[67]
Da Niemand zuvor den Toten gesehn,
Erhält er die Nummer dreihundert und zehn.
Drei Hundert und neun schon liegen im Sand,
Wer hat sie geliebt, wer hat sie gekannt?

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