[142] Adjutantenritte

Herrn Oberst A.v. Schell zugeeignet.


(Erinnerungen aus einer Januarschlacht.)

Zu spät

Der Oberbefehlshaber hatte um Mitternacht den um ihn versammelten Generalstabsoffizieren und von allen Seiten zum Befehlsempfang herbeigeeilten Adjutanten die Dispositionen zur Schlacht für den folgenden Tag selbst diktiert. Klar und ruhig sprach er jedes Wort, den Rücken gegen den Kamin kehrend und sich die Hände wärmend. Ohne ein einziges Mal zu stocken, vollendete er den Armeebefehl.

Es war drei Uhr morgens, als wir Adjutanten, uns die Hände zum Abschiede reichend, zu unsern Truppenteilen zurückritten. Ich konnte erst in drei bis vier Stunden bei meinem General sein. Es war eine naßkalte, windige Winternacht mit spärlichem Monde. Meine beiden mich begleitenden Husaren und ich kamen ohne Abenteuer im Quartiere an. Ich traf den General »fix und fertig.« Er hatte sich unausgekleidet auf's Bett gelegt und nur von seinen Mänteln zudecken lassen.

Als ich den Befehl zum Vormarsch verlesen, erhielt ich von ihm die Weisung, ungesäumt nach dem rechten Flügel zu reiten, um dorthin eine wichtige Meldung zu bringen. Ich hätte gerne einen heißen Schluck gehabt, aber der Kaffee war noch nicht fertig; so nahm ich, was ich gerade fand. Es wurde rasch eine Flasche Sekt geleert, die der General so liebenswürdig war mit mir zu teilen. Wir tranken ihn aus Tassen. Roher Schinken schmeckte nicht übel dazu.

Dann ritt ich ab. Der Frühmorgen zeigte ein mürrisches Gesicht; nur der Wind hatte sich gelegt; dumpf und still [143] und grämlich lag's auf der Gegend. Die stark verregnete Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend, mir von Patrouillen Auskunft geben lassend, trabte ich meinem Ziele zu.

Noch war's nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts zu erblicken. Bei den Doppelposten fielen einzelne Schüsse. Als ich in ein Thälchen einlenkte, entschwanden auch unsere Truppen. Das Thal engte sich, und bald bemerkte ich ein Brückchen, das sich über ein träges, schmutzig gelbes Wasser bog. Halt – was ist das? Da lag ein Mensch und sperrte mir den schmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die Sporen und war im Nu an seiner Seite. Es war ein toter Garde mobile, platt auf dem Antlitz liegend. Die Beine und Arme lagen ausgespreitzt gleich Mühlenflügeln. Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob sich mit letzter Kraftanstrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer saß und den Schwerverwundeten mit schiefem Kopfe sehnsüchtiglich betrachtete, flog mürrisch in's Weite.

Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte fort. Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein südfranzösisch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen Augen gruben sich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott! Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausstreckend gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd, ein altes Mütterchen und rief: Halt! Halt. Gieb meinem Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf!

Schon lockerte ich im strohumwickelten Bügel den Fuß, um abzuspringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen. Rechts vom Geländer stand ein langes, schmales Weib, im weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig, doch auch nicht fröhlich sah sie mich an. Ihre Züge blieben gleichmäßig ernst und streng. Die Dame Pflicht rief mich, und ich gehorchte.

[144] Als ich auf dem Rückweg an dieselbe Brücke kam, lag noch immer der Garde mobile da. Ich sprang vom Pferde, und mir den Trensenzügel über die Schulter hängend, kniete ich nieder, um ihm aufzuhelfen. Doch zu spät; aus seinen Augen lachte mich der Tod an, und die Urmutter Erde sog gierig sein Blut. Der Tag ward heller, wenn er auch trübe blieb. Der Himmel zeigte dem Schlachttage ein widerwärtiges, heimatforderndes Graueinerlei. Schwach klang vom linken Flügel Gewehrfeuer her. Ich nahm den Krimstecher. Doch kaum hielt ich ihn vor den Augen, als mich ein heftiges Knattern schnell zum Umsehn zwang. Vor einem durchsichtigen, nahen Wäldchen lagen graue Wölkchen im Ringeltanze. Da knallte es wieder. Wetter! Das galt mir. Klipp, klapp, schlug's um mich ein in die nackten Zweige einer Eiche. Ich schoß wie die Schwalbe davon, nach rückwärts, zum Wäldchen, Abschiedshandkußgrüße sendend.

Dann, im ruhigen, englischen Trabe weiter reitend, stieß ich plötzlich auf einen Zug Husaren, der um die Ecke eines Häuschens bog. Voran mein Freund, ein junger Offizier mit schiefem Kolpak. Ihm gehörte schon seit Jahren mein Herz; wir hatten uns manchen Tag und manche Nacht zusammengefunden. Wie immer war er a quatre epingles. Im rechten Auge glitzerte die Scherbe, von der ich behauptete, daß er sie auch Nachts nicht ablege. »Wo willst du hin?« »Und du?« Er deutete auf das Wäldchen, das sich mir eben so freundschaftlich gezeigt, und berichtete, daß er auf Kundschaft ausgesandt sei: man habe das Schießen gehört. Zugleich solle er erforschen, ob sich Kolonnen hinter dem Walde gesammelt hätten.

Ich bot mich an, ihm den Weg zu zeigen. Wir schlichen, Indianern gleich, hinter Knick und Wall, jede Terrainfalte sorgsam benutzend. Voran wir zwei, nach allen Seiten spähend. Neben uns blieb der bärtige Trompeter, die unzertrennliche Begleitung des Lieutenants. Dann folgten zwanzig frische, blonde, blauäugige Bauerburschen.

[145] Wir hatten uns allmählig dem Ziele genähert. Halt! Drei Hundert Schritte kaum lag das Wäldchen vor uns, bestanden mit wenigen Bäumen, durch deren dünne Stämme der Lichtstreifen des Horizontes freigelegt ward. Die vorliegende ebene Wiese war wie zur Attacke gemacht.

Nun zogen wir die Husaren dicht heran. Ein Klingenblitz und Vorwärts, vorwärts!

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