Zweyundachtzigster Brief
Barthold an Eduard
Als ich heute früh in tiefen Gedanken über die Ausführung meines Vorhabens auf dem Felde spazieren gieng, begegnete mir der Lumpensammler, und bey seinem Anblick fiel mir eine Idee ein.
»Höre, Freund – sagte ich ihm, könntest du mir wohl nicht einen Bettlerhabit verschaffen? Ich wollte einen Spaß damit machen. Wenn du ihn mir binnen einer Viertelstunde bringst, so sollst du diesen Louisd'or zur Belohnung haben, und wenn du schweigen kannst, noch einen Dukaten dazu.«
Der arme Kerl, der vielleicht in seinem ganzen Leben noch nicht so viel Geld beysammen gesehen hatte, war vor Freuden außer sich, und versprach alles Mögliche. Er hielt auch Wort, und brachte mir in kurzer Zeit einen recht vollständigen Bettlerhabit. Nun wanderte ich ins [158] Holz, in der Hoffnung einen von der erhabnen Gesellschaft zu entdecken. Aber bis jetzt habe ich noch niemand gesehen. Ich trage einen Brief an Ferdinand in der Tasche, der ihm von meinem Vorhaben Nachricht giebt, und nun will ich mich hier schlafen legen, und das Holz nicht eher verlassen, bis ich eine Spur von ihnen entdeckt habe. Gute Nacht, Eduard.
Barthold.
Fortsetzung. Barthold an Eduard.
Ich hatte noch nicht lange gelegen, als ich menschliche Stimmen hörte. Ich fieng an, so laut zu schnarchen, daß man es nothwendig weit weg hören mußte.
»Was Teufel giebt es denn da? sprach einer, vielleicht ein Reisender der den Weg verloren hat?«
Und nun kam man auf mich zu.
[159] »Wahrhaftig! eine artige Figur. Das war der Mühe werth, umzulenken!«
»Ich warf mich herum, rieb die Augen und sagte: Beym Teufel, ein hartes Lager! da wird einem das Schlafen wohl sauer.«
»Wie kömmst denn du Bestie hier in den Wald?«
»Je nun, ich hörte, daß hier oft vornehme Leute, so wie Ew. Gnaden, durchkämen, und da dacht' ich dann so eine kleine milde Gabe zu erhaschen.«
»Es ist eine Schande, daß ein so junger rüstiger Kerl sich schon aufs Betteln legt.«
»Ach! Ihro Gnaden wissen meine Umstände nicht. Ich bin wohl mit zehnerley Uebeln behaftet, habe Gicht und einen lahmen Fuß, und kriege oft das böse Wesen. Sehen Sie nur an, meine Herren.«
Nun ergriff ich meinen Stab und hinkte ihnen so natürlich vor, daß sie aus vollem Halse lachten.
[160] »Du scheinst ein lustiger Teufel zu seyn, und eben nicht zum Bettler geboren.«
»Nein, wahrhaftig nicht! Sie haben mich doch nun einmal überrascht, und es hat vielleicht eine bessere Wirkung auf Ihre Mildthätigkeit, wenn ich aufrichtig gegen Sie bin, als wenn ich noch versuchen wollte, Sie hinters Licht zu führen. Ich bin von vornehmen Eltern geboren, die mich mit äußerstem Zwange zum Studieren anhielten. Das war nun gar mein Flauß nicht, und ich beneidete oft das glückliche Leben der Bettelbuben, die für nichts zu sorgen brauchen, und allenthalben ihr Fortkommen finden. Als ich einsmals heftig gezüchtigt werden sollte, machte ich mich aus dem Staube, und seitdem habe ich diese Lebensart geführt. Des Abends sind meine Taschen reichlich angefüllt, und ich verstehe mich darauf, jedem, den ich um eine Gabe anspreche, das zu sagen, was er gern hört.«
[161] »Also gefällt dir deine Lebensart wohl sehr?«
»Nicht mehr so sehr als sonst. Meine Thätigkeit ist dabey auf zu kleine Gegenstände eingeschränkt, und es verdrießt mich immer, um ein paar Pfennige so viel Wesens machen zu müssen. Wären es Pistolen, so wollte ich meine Mühe für besser angewandt halten.«
»Höre einmal, Kerl, schickst du dich wohl zum Spion?«
»O vortrefflich! Ich dringe mich unter allerley Vor wand in Küche und Keller und in die Wohnzimmer, und unterdessen, daß mir die Leute andächtig zuhören, laufen meine Augen allenthalben herum, und es gelingt mir in vornehmen Häusern sehr häufig durch die Bedienten allerley nützliche Nachrichten von den Herrschaften einzuziehen.«
»Ich glaube wahrhaftig, Kerl, du machst dir auch gar kein Gewissen daraus, zuweilen zu mausen?«
[162] »O! was das Gewissen betrifft, das ist bey mir so delikat eben nicht. Ich darf es aber nur selten wagen; denn wenn man mich ertappte, wo sollte ich Hülfe hernehmen?«
Ich führte das Gespräch immer weiter, bis ich endlich glücklich zum Ziel gelangte. Der HauptmannBrand – so hieß der Eine – nahm mich auf. Freylich wurde mir ein fürchterlicher Schwur vorgelegt, bey dem mir die Haare aufstiegen, aber ich war durch eine List so glücklich, die Sache so zu drehen, daß sich dieser Schwur mit meinem Gewissen vereinigen ließ; auch beruhigte ich mich dießmal mit dem Jesuitergrundsatz: daß man wohl einmal zu einer guten Handlung durch böse Wege gehen könne. Ich muß aufhören, die Augen fallen mir zu.
[163] Fortsetzung. Barthold an Eduard.
Der Hauptmann nahm mich mit nach der Diebeshöhle. Die ganze Gesellschaft saß um einen langen Tisch. Ferdinand war unter ihnen. Sein Anblick erschütterte mich sehr. Die wilde Verzweiflung war auf seinem Gesichte; seine Augen hatten einen fürchterlichen Ausdruck bekommen. Auch den junge Menschen erkannte ich gleich, von dem Ferdinand schrieb. Er zeichnete sich durch sein einnehmendes Gesicht, und durch den zarten Bau seines Körpers, der von einer vornehmen Geburt und weichlichen Erziehung zeigte, auffallend genug von den übrigen aus. Brand stellte ihnen in mir seinen neuen Fund vor.
»Das ist der Mühe werth. Wahrhaftig, eine schöne Figur! –« schrien alle mit Hohngelächter.
»O ho, sachte, Kinder! Dieser Kerl ist vielleicht mehr werth als ihr alle. Du Jakob, [164] Moritz, Raufbold, Jäger, und du Schwarzer da – er zeigte auf fünf Kerle, welche die fürchterlichste Gesichtsbildung hatten – ihr, alle seyd zwar treffliche Fechter, aber dieser ist mir noch brauchbarer. Unter euch allen ist keiner, den ich zum Kundschafter in Häusern brauchen könnte, und ein solcher ist uns doch so nothwendig. Ueberhaupt ist dieser neue Bruder von so guter Familie, als irgend einer unter euch.«
Es kam mir höchst lächerlich vor, diese Lotterbuben von vornehmer Familie reden zu hören. Ich verbarg aber meine Betrachtungen, und sah Ferdinand an, der bisher in tiefen Gedanken gesessen hatte, nun aber aufsah, und bey meinem Anblick frappirt zu seyn schien. Er hatte mich aber nicht erkannt. Bloß die Aehnlichkeit meiner Gesichtszüge mit andern, welche er schon einmal gesehen zu haben glaubte, hatte ihn in Erstaunen gesetzt, und er schien, von diesem Augenblick an, über etwas nachzudenken. Ich fand [165] Gelegenheit, ihm unvermerkt mein Brieschen zuzustecken. Es war des Inhalts: »Lieber Ferdinand! Die Begierde Dich zu retten, treibt mich zu dieser sonderbaren Verkleidung. Wenn Du daran denkst, was Du Deinem Vater, der um Dich jammert, und Deinen Freunden schuldig bist, und also in meinen Plan einstimmst: so hoffe ich Dich und mich zu befreyen. Dein Vater weiß nichts von diesem Schritt, und es steht Dir ganz frey, zu gehen, wohin Du willst; wenn Du nur aus den Händen dieser Elenden bist, so bin ich zufrieden.«
Er schien zu stutzen, als er das Papier in seiner Hand fühlte, steckte es aber unvermerkt in die Tasche, und nun hieß Brand uns schlafen gehen. Den andern Morgen gaben sich alle beym Aufstehen die Hand. Ferdinand kam zuletzt zu mir, und drückte ein Papier in die meinige. Ich entfernte mich unter einem Vorwande, und las folgendes: »O Gott! Barthold! bin ich es [166] noch werth, daß meine Freunde sich meiner annehmen? Edelster! Bester unter den Menschen! O warum erkannte ich Deine Freundschaft nicht immer so wie jetzt? Ich bin von Deiner Großmuth durchdrungen, und werde ewig dankbar gegen Dich seyn; aber wenn Du mich retten willst, so rette auch meinen Feldheim, der diese unselige Verbindung eben so verabscheut wie ich.«
Voller Freuden eilte ich wieder zu den andern, und gab mir alle mögliche Mühe, Brands Liebe und Vertrauen zu gewinnen. Es gelang mir auch so gut, daß er mir bald einen Plan mittheilte, in dessen Ausführung er meine Fähigkeiten prüfen wollte:
»Es wohnt hier in der Nähe ein reicher Alter auf einem einsam gelegnen Gute, bey dem wir eine treffliche Beute finden werden. Aber weil wir hier gar nicht mehr sicher sind, so müssen wir diesen Ausfall so bald möglich, ich wünschte [167] schon zukünftige Nacht, unternehmen, und uns dann sogleich aus dem Staube machen. Kennst du das **sche Gut?«
– Gott, wie erschrack ich hier! Es ist eben das Gut, auf dem Du, mein Eduard, sonst wohntest, und dessen gefährliche einsame Lage Du kennst. Ich faßte mich inzwischen so gut, daß er meine Bestürzung nicht merkte, und antwortete:
»Dem Namen nach kenne ich es wohl. Ich habe es auch liegen sehen, wurde aber verhindert, meinen Weg dahin zu nehmen.«
»Nun! es ist genug, wenn du nur die Lage weißt. Wenn ich wüßte, daß du recht gescheidt wärest, so solltest du dahin gehen und Kundschaft von allen den Dingen einziehen, die wir nothwendig zu unsrer Sicherheit wissen müssen. Aber sollte ich mich auch wohl auf dich verlassen können, da du noch so neu bist? Ich wage wirklich zu viel.«
[168] »Gewiß nicht, Herr Hauptmann! Ich habe in meinem Leben keine größere Freude empfunden, als diejenige war, wie Sie mich in Ihre Gesellschaft aufnahmen, und Ihr Auftrag erfüllt alle meine Wünsche.«
»Wie so? sagte er etwas befremdet.«
»Je nun, weil er mir ein Zeichen Ihres Vertrauens ist. Ich bin zu solchen Geschäften geboren. Es wird mir einen rechten Spaß machen, wenn die Bedienten mir in aller Unschuld das entdecken, was uns zu wissen gut ist. O ich will sie so zahm und treuherzig machen, daß es eine Freude seyn soll. Aber, Herr Hauptmann, wäre es nicht besser, wenn ich in einer andern Kleidung da erschiene? Etwan als ein Korn- oder Viehhändler? Auf die Art könnte ich wohl leichter Zutritt zu dem Herrn selbst bekommen?«
Bravo, du bist ein tüchtiger Kerl. Aber mach fort, damit du bald wieder hier bist. Du siehst, was ich dir anvertraue. Billig –
[169] »Billig sollte ich den ganzen Plan fahren lassen; denn Ihr Mistrauen beleidigt mich sehr.«
Er besänftigte meinen anscheinenden Zorn, und ich wurde nun aufs beste mit einem Rocke aus Karls des zwölften Zeiten, und mit einer Perücke ausstaffiert, bekam das beste Pferd aus dem Stalle, und so eilte ich fort. Ich kam bald auf dem Hofe an. Ein junges Mädchen war beschäftigt, eine Menge Federvieh zu füttern, welches ganz zahm um sie herum lief. Ihre Gestalt war die schönste, die ich je sah. Ein gewisser Zug des Trauerns verbreitete ein sanftes Schmachten über ihr ganzes Wesen, das jedes Herz zu ihr zu neigen schien. Die lebhaften Rosen ihrer Wangen schienen vom Kummer in eine gewisse Blässe verwandelt zu seyn, die das Gesicht noch sanfter und anziehender machte. Sie trug ein weißes Kleid, das ihren Wuchs sehr vortheilhaft zeigte. Eine blaßblaue Schleife befestigte eine Rose an ihrer Brust, deren welkende [170] Blätter ein Sinnbild von ihr zu seyn schienen. Auf dem Kopf hatte sie einen weißen Hut mit einem Blumenkranz umwunden; ihr schönes blondes Haar wallte in ungekünstelten Locken auf ihren Busen herunter – daß ichs kurz mache, das ganze Mädchen stellte dem Auge eine so hinreissend schöne Figur dar, daß sie sogar auf das kalte Herz deines Bartholds die stärkste Wirkung machte.
Sie fragte mich mit einer Stimme, die so süß und lieblich in meinen Ohren hallte, ob ich etwan zu ihrem Onkel wollte? Und auf meine bejahende Antwort führte sie mich zu ihm ins Zimmer. Er saß eben vor seinem Schreibtische, stand aber bey meiner An kunft auf, und nöthigte mich – obgleich meine Figur nicht vortheilhaft war – sehr freundlich zum Sitzen. Ich verbat dieses:
»Ich habe Ihnen bloß einen Brief zu überreichen, dessen Inhalt von Wichtigkeit für [171] Sie ist, und für dessen Wahrhaftigkeit ich Ihnen Bürge bin. Verzeihen Sie mir aber, daß es meine Umstände nicht erlauben, Ihnen jetzt nähere Erläuterungen zu geben. Morgen werden Sie mehr erfahren. Befolgen Sie nur aufs pünktlichste die darinn angezeigten Maaßregeln, und entschuldigen Sie, daß ich schleunigst wieder von hier eilen muß.«
Mit diesen Worten verließ ich das Zimmer, schwang mich aufs Pferd und jagte eilig davon. Der Alte konnte vor Erstaunen kein Wort hervorbringen. Ich schrieb ihm – doch lies auch lieber selbst den Brief:
»Wohlgeborner Herr,
Ein Mensch, der Ihnen zwar unbekannt ist, der aber schon lange Ew. Wohlgeb. von der vortrefflichsten Seite kennt, hält es für seine Pflicht, Sie wegen eines Anschlags zu warnen, der von den schädlichsten Folgen für Sie und Ihr Haus seyn könnte.
[172] Eine Bande Räuber hält sich jetzt hier in der Nähe auf, und hat den Vorsatz gefaßt, Sie künftige Nacht zu plündern. Weil der Anführer Nachricht eingezogen hat, daß Ew. Wohlgeb. außer Ihren eignen Baarschaften noch eine öffentliche Kasse in Verwahrung haben, so verspricht er sich eine reiche Beute. – Es befinden sich außer mir noch zwey junge Leute unter dieser Bande, die durch sonderbare Unglücksfälle hineingerathen sind und wider ihren Willen einige Wochen in dieser schändlichen Verbindung haben leben müssen. Noch sind ihre Hände rein von Blut, und sie wünschen aufs lebhafteste aus den Händen dieser Bösewichte gerettet zu werden. Es scheint, als wenn der Himmel diese Gelegenheit veranstaltet habe, um Ew. Wohlgeb. zum Werkzeug der Rettung dieser Unschuldigen zu machen, und eine schändliche Bande zu zerstören, die hier schon so viel Unheil angerichtet hat.
[173] Der eine von diesen jungen Leuten soll diese Nacht in Ihr Fenster steigen, und den andern die Thür öffnen. Diese wollen dann hereindringen, und, wo möglich, ganz leise alles Geld und Kostbarkeiten tauben. Finden sie aber Widerstand: so haben sie die Absicht, alles zu ermorden, was sich ihnen widersetzt. Sie sind auch stark genug, diesen abscheulichen Vorsatz auszuführen. Um aber denselben zu vernichten, wäre es meiner Meynung nach, das beste Mittel, daß Ew. Wohlgeb. ein Commando Soldaten in Ihrem Hause versteckten. So bald nun die Räuber hineingelassen wären, müßten sie hervorkommen, sich ihrer bemächtigen, und sie den Händen der Gerechtigkeit überliefern.
Wir drey werden uns gleich auf die Seite der Soldaten schlagen, und hoffen alsdann, unter Ihrem Dache eine Zuflucht zu finden, bis wir uns mit Sicherheit auf den Weg zu unsrer Heimath machen können. Ew. Wohlgeb. können [174] sicher auf die Wahrheit meiner Aussage fußen, und sollte ja ein besonderer Zufall das schändliche Vorhaben diese Nacht zerstören, so wird es doch ganz gewiß die zukünftige ausgeführt werden. Ich werde durch ein lautes Zuschließen der Thür, oder durch dergleichen zu erkennen geben, wann es Zeit für die Soldaten ist, hervorzukommen. Ich verhaare, unter der Bitte, doch ja alle Anstalten geheim zu treffen, mit der vollkommensten Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
gehorsamster Diener.
B.«
Freudig eilte ich nach unserm Aufenthalte zurück.Brand empfieng mich voller Freuden über meine baldige Wiederkunft. Ich dichtete ihm nun eine zu unserm Vorhaben so glücklich passende Geschichte vor, daß er weiter keinen Anstand nahm, den Anfall in der folgenden Nacht zu machen. Unter dem Vorwande, als wolle ich Feldheim [175] unterrichten, wie er seinen Weg vom Fenster bis zur Hausthüre zu nehmen habe, gelang es mir, mit ihm allein zu sprechen. Erst wußte er nicht, ob er mir trauen könnte, aber als ich mich ihm ganz entdeckte, war er vor Freuden außer sich; denn ohngeachtet seines Verständnisses mit Ferdinand würden sie beyde allein doch schwerlich ihr Vorhaben durchgesetzt haben.
Ein paar Worte waren hinreichend, diesen letzten von meiner Absicht zu benachrichtigen, und nun konnten sie ihre Freude nicht so unterdrücken, daß nicht, ihrer Bemühung ohngeachtet, doch noch genug davon aus ihrem Betragen hervorgeleuchtet hätte.Brand aber, weit entfernt, Argwohn zu schöpfen, glaubte, sie freuten sich der Ehre, heute zum ersten mal gebraucht zu werden, und lobte sie deswegen. Wir zählten alle Minuten bis zum Abend; aber nun machte ein heftiges Gewitter mit Platzregen verknüpft, die Gesellschaft wankend. Meine Freunde zitterten [176] nebst mir vor Angst, daß unser Vorhaben würde gestört werden; aber zum Glück wurde der Himmel still, und wir machten uns, mit dem nöthigen Handwerkszeuge versehen, auf den Weg. Wir kamen bald an Ort und Stelle, fanden das ganze Haus dunkel und still, setzten die Leiter an, und Feldheim stieg mit Zittern hinauf. Voller Todesangst eilt er durch viele Zimmer nach der Hausthür, öffnet sie, und wir alle – zwey ausgenommen, die zur Wache stehen blieben – dringen ins Haus. Ich bin der letzte und kann vor Zittern kaum abschließen. In dem Augenblick öffnen sich zwey Thüren. Es wird alles hell, und eine Menge Soldaten dringt von beyden Seiten auf uns zu.Brand schrie, vor Wuth schäumend: »Verrätherey! Nichtswürdiger Betrüger!« – und wollte mit dem Säbel auf mich einhauen. Ich schlug ihm denselben aus der Hand, hatte aber doch eine kleine Wunde bekommen, und nun wurde er mit allen seinen Genossen[177] – uns drey ausgenommen, denn wir warfen gleich unsre Säbel von uns – entwaffnet und eingesperrt. Er hatte aber doch noch einem Soldaten eine gefährliche Wunde beygebracht, und da seine Hände gebunden waren, noch einige mit den Füßen beschädigt.
Auf meine Anzeige setzte nun ein Theil der Soldaten den zwey andern, die draußen waren, nach. Einer war entwischt, den andern zwangen sie, sie nach der Höhle zu führen, in der noch drey Spitzbuben sich befanden, welche sie auch glücklich erhaschten. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in welchem sich der geheimde Rath nebst Karolinen befand. Er umarmte mich:
»Großmüthiger Mann, womit soll ich Ihnen danken?«
»Das Vergnügen, eine gute Handlung verrichtet zu haben, und ein Werkzeug zu Ihrer und Ihrer liebenswürdigen Nichte Rettung gewesen [178] zu seyn, ist mir die größte Belohnung. Ich danke Gott, der es uns so schön hat gelingen lassen, diese Unschuldigen aus den Händen der Räuber zu befreyen.«
Ich sah mich nach beyden um, und bemerkte, daß Feldheim die Augen niederschlug und erröthete. Endlich warf er sich mit den Zeichen der stärksten Bewegung zu des Alten Füßen und umfaßte seine Knie.
»Theuerster Oheim, können Sie mir vergeben? – Beste Karoline, kann ich nicht auf Dein Vorwort rechnen? Habe ich auch Deine Liebe verloren?«
»Gott, ists möglich, bist Du's?«
Sie umarmte ihn, und wir waren vor Erstaunen ganz außer uns. Feldheim aber wollte die Knie des Alten nicht eher verlassen, bis er seine Vergebung erlangt hätte.
»Du hast einen großen Fehler begangen, und uns allen vielen Kummer gemacht.«
[179] »Ach Gott! dieser Ihnen gemachte Kummer lag schwer auf meiner Seele. Aber ich kann nicht eher von Ihren Füßen aufstehen, bis Sie dem Mädchen werden vergeben haben, das Sie sonst so väterlich liebten.«
»Du kennst meine schwache Seite. Wohlan, erzähle mir deine Geschichte. Ich wollte, ich könnte darinn Entschuldigung für dich finden.«
»Sie wissen, daß mein Vater, seiner Güte und Zärtlichkeit ohngeachtet, doch zuweilen eine Härte besitzt, die unglaublich scheint. Herr D-, ein reicher, aber nichtswürdiger Mensch, der allen Abscheu eines tugendhaften Mädchens verdient, der schon die Unschuld mancher Unglücklichen zu Grunde richtete, zugleich aber doch durch die schändlichste Heucheley den Ruf eines rechtschaffnen Mannes zu behaupten weiß, verliebte sich in mich, und hielt bey meinem Vater um mich an. Dieser, durch seinen Reichthum geblendet, gab ihm sein Jawort, und [180] stellte ihn mir zum Bräutigam vor. Ich haßte den Niederträchtigen, wie er es verdiente, und flehte mit Thränen meinen Vater an, mich doch nicht einem solchen Bösewicht zu geben. Aber er war taub gegen meine Bitten, und würdigte die Beweise von D-s schlechtem Charakter, die er für erdichtet hielt, nicht einmal einer Untersuchung. Die Verzweiflung brachte mich dahin, selbst an D. zu schreiben. Ich bat ihn, wenn er nur noch etwas Edelmuth besäße, so möchte er nicht auf eine Verbindung dringen, in die es mir unmöglich wäre einzuwilligen. Seine Beharrlichkeit würde nur dazu dienen, mich Unannehmlichkeiten von meinem Vater auszusetzen; in meinem Entschluß würde sie nichts ändern. Dieses begleitete ich mit den höflichsten Bitten, aber ich erhielt bloß die Antwort: Er glaube, es gäbe im Ehestande allerley Mittel von sanfter und harter Art, die Abneigung, die ich gegen ihn zu haben schiene, zu [181] überwinden. Es solle ihm zwar leid seyn, wenn er die letzten bey mir anwenden müsse; indessen versichre er mich, eben so fest, als ich entschlossen schiene ihn auszuschlagen, eben so fest sey er entschlossen mich zu nehmen, und es stände bey mir, zu versuchen, welcher Theil durchdringen würde. Er hielte es aber für zuträglicher, wenn ich mich gleich in die Umstände schicken wollte.
Zu diesem Briefe, dessen hämischer Spott mich äußerst aufbrachte, fügte er noch die Nieterträchtigkeit hinzu, den meinigen in meines Vaters Hände zu geben. Dieser begegnete mir darauf aufs härteste, sperrte mich ein, und befahl mir, mich ohne Widerrede zur Hochzeit anzuschicken, welche spätstens in acht Tagen vollzogen werden sollte.
In dieser traurigen Lage sah ich kein andres Hülfsmittel vor mir, als zu entfliehen. Ein Mädchen, das mir treu war, schaffte mir Mannskleider, um meine Flucht sichrer zu machen. [182] Ich entfloh des Nachts, entschlossen zu Ihnen zu gehen, und um Karolinens Vorsprache zu bitten. Diese sollte mich so lange verbergen, bis Sie auf meine Seite gebracht wären, und dann, hoffte ich, würden Sie meinen Vater zur Aenderung seines Entschlusses bewegen. Ich nahm einen Boten mit, denn ich getraute mir nicht, ein Fuhrwerk zu nehmen. Wir wurden im Walde von zwey Räubern angefallen, die meine gute Kleidung gelockt hatte. Mein Gefährte nahm die Flucht, und ich bat voller Angst um mein Leben, welches sie mir nur unter der Bedingung schenkten, wenn ich ihnen folgen wollte. Die Liebe zum Leben siegte über meinen Abscheu, ich gieng mit ihnen, und vier Tage waren mir höchst traurig verflossen, als Herr Ferdinand durch einen ähnlichen Zufall zu uns kam.
Wir merkten bald, daß unsre Gesinnungen des Abscheus gegen diese Bande einstimmig waren, und verabredeten unsre Flucht, die wir [183] aber doch schwerlich würden ausgesührt haben, wenn nicht dieser Herr uns behülflich gewesen wäre. Und nun, liebster, bester Oheim, was darf ich hoffen?«
»Meine Verzeihung. Aber ist die Unschuld meinerWilhelmine in keiner Gefahr gewesen? Blieb dein Geschlecht verborgen?«
»Ja. Ich schlief immer allein, und in Kleidern; und man hat nicht anders geglaubt, als daß ich ein Jüngling wäre.«
»Aber der zarte Bau deines Körpers?«
»Wurde für die Folge einer verzärtelten Erziehung gehalten, und oft verspottet.«
»Aber, Mädchen, gewiß hatte doch ein geheimer Liebhaber Antheil an deinem Entschluß und an deinem Widerstreben?«
»Nein, bester Onkel! Ich kann darauf schwören, daß noch nie ein Mann von Liebe mit mir gesprochen hat, und daß ich auch keinen in meiner [184] Vaterstadt kenne, der fähig wäre, auf mein Herz Eindruck zu machen.«
Ferdinand, der bey der Frage des Onkels ängstlich nach ihr hingeblickt hatte, erheiterte sich merklich bey dieser Antwort. Ihre Blicke begegneten einander, und beyde errötheten. Nun bat der Alte uns auch um die Erzählung der Unglücksfälle, die mich und Ferdinand den Räubern überliefert hätten. »Es ist doch beynahe Morgen, sprach er, ich denke, wir alle würden doch nicht viel schlafen können. Karoline wird uns Kaffee bestellen, und beym Trinken erzählen Sie mir Ihre Fata.«
»Die meinigen machen mir keine Ehre,« antwortete Ferdinand verlegen und stark erröthend, – im Grunde war ihm wohl das allerempfindlichste, daß er genöthigt war, die Geschichte mit Henrietten inWilhelminens Gegenwart zu erzählen – »aber ich hoffe, die Beschämung, die ich während der Erzählung meiner [185] Vergehungen empfinden werde, wird mich auf mein ganzes übriges Leben bessern.«
Er erzählte nun aufrichtig alle seine Begebenheiten, nebst dem Antheil, welchen ich daran hatte. Bey Erwähnung meines Namens erröthete Karoline. Wahrscheinlich hatte sie mich von Dir einmal nennen hören, und der Name Deines Freundes rief Dein Andenken bey ihr zurück. Am Ende der Erzählung sprach Ferdinand mit vieler Rührung von seinem Vater. Der geheimde Rath suchte ihn wegen seiner Gesinnung gegen denselben auszuforschen und schien zufrieden, daß Ferdinand seinen Fehler bereute, dessen Sträflichkeit und schlimme Folgen er ihm auf die sanfteste Art noch einleuchtender machte.
»Sie haben vieles wieder gut zu machen, junger Mann, damit Sie das Andenken Ihrer Vergehungen vertilgen. Bleiben Sie einige Tage bey mir. Wir wollen über die Mittel nachdenken, [186] durch welche Sie Ihren würdigen Vater zu versöhnen suchen müssen.«
Ferdinand war äußerst gerührt. Der Alte gab nun Karolinen den Auftrag, Wilhelminens Kleidung in die weibliche zu verwandeln, die ihr gebührte. Auch Ferdinand entfernte er unter einem Vorwande, und winkte mir, da zu bleiben. Ich glaubte, daß auch er vielleicht um unsre Freundschaft wisse, und von Dir reden wolle, aber der liebenswürdige Mann hatte eine andre Ursache. Er sagte mir: daß Ferdinands Vater sein genauer Freund wäre, daß er sich jetzt, Geschäfte halber, nicht weit von hier aufhielte, und daß er die Absicht hätte, diesen sowohl, als seinen Bruder, Wilhelminens Vater, holen zu lassen, und dann wolle er Vermittler der Aussöhnung mit ihren Kindern seyn. Er wünsche aber, daß die jungen Leute noch nichts erführen, damit die Ueberraschung von beyden Theilen größer wäre. Er bat mich, ihm hierinn behülflich zu seyn, ohne daß[187] Karoline etwas erführe, weil er fürchtete, daß diese gegen ihre Freundinn nicht verschwiegen genug seyn würde. Es wurden also sogleich Boten an beyde Väter abgeschickt. Als diese Veranstaltungen kaum getroffen waren, kam Karoline herein und führteWilhelminen ins Zimmer, die, als Mädchen gekleidet, reizend schön aussah. Ferdinand schien von ihrem Anblick bezaubert zu seyn, und betrachtete sie mit Entzücken. Die Zeit verstrich uns so angenehm, daß es mir äußerst schwer ward, mich loszureißen, um Dir zu schreiben. Ich muß Dir auch gestehen, daß ich schon oft in Versuchung gewesen bin, die Feder aus der Hand zu legen, und mich zu der Gesellschaft zu verfügen. Also nur noch ein paar Worte, welche die Freundschaft mir einflößt:
Marie ist für Dich verloren, liebster Eduard. Du siehst deutlich, daß sie Dir nicht bestimmt war.Karoline liebt Dich noch. Ihr stilles Trauern, ihre Bewegung, wenn etwas vorkömmt, [188] das sie an Dich erinnert, zeigt dieses deutlich. Sie ist das liebenswürdigste Mädchen, und übertrifft jedes Ideal, das die entzückende Phantasie des Dichters je zu entwerfen vermochte. Komm zu uns hieher, und bemühe Dich, bey ihr alle Erinnerungen an Marien, die ja doch nur äusserst schmerzhaft bey Dir seyn können, zu vergessen. Ich nehme es über mich, den Alten auf Deine Seite zu bringen. Er denkt zu schön, als daß der letzte Vorfall mit Dir seine Achtung für Dich sollte geschwächt haben. Höre auf meine Bitte, lieber Freund, und gieb Karolinen die Ruhe wieder, die sie um Dich verlor. Ihr Besitz wird Dich zum glücklichsten, beneidungswerthesten Manne machen! In der sichern Hoffnung, Dich bald zu umarmen, bleibe ich
Dein zärtlichster Freund Barthold. [189]