[1] Erstes Buch
[1] [3]Es ist ein Vorzug alter, adeliger Geschlechter, daß sie vermöge ihrer Stammbäume zurückblicken können in die Vorzeit, die ihnen speciell zugehört, und daß sich dadurch in dem Bewußtsein der Nachkommen die Schicksalsfäden zu einem Ganzen verweben, die für den Niedriggeborenen nur einzelne zerstreute Thatsachen bleiben.
Ueberhaupt, wahre, großartige Schicksale hat nur die Aristokratie! Es gehört Muße dazu, ein Schicksal zu haben, es ist eine Vocation, eine Distinction ein Schicksal! Ein großes Schicksal adelt das Leben eines sonst ganz mäßigen, eiteln, frivolen Menschen, es fällt vom Himmel herab wie die edlen Prärogative der Geburt; aber es will nur von feinen Händen aufgefangen sein, es will nur in englische Parks und auf persische Teppiche herniederfallen; denn das Schicksal ist selbst ein Aristokrat des Himmels.
Oder denkt euch, ein großes, gigantisches, ein exclusiv tragisches Geschick fiele auf das Leben eines[3] Handwerkers herab! Wie könnte es sich da gestalten? Noth und Sorgen treten so sehr in den Vorgrund, der Hunger und die Arbeit ertödten alle Sentimentalität, die Phantasien, die vaguen Träumereien, die idealischen Erhebungen fliehen vor dem Klappern der Werkzeuge und das ignoble Verlangen hungernder Kinder läßt den Aeltern weder für die poetischen Alluren des Herzens noch des Geistes freien Raum.
Wie anders gestaltet sich unser Loos, die wir nie arbeiten, die wir nie hungern und die wir von dem Erdendasein Nichts kennen, als die Salons und die daran stoßenden Bowlinggreens, die Reisekalesche und die eleganten Hotels; die Armen, denen wir mit graziöser Nonchalence ein Almosen zuwerfen, die Dienerschaft, welche wir mit vornehmer Impertinenz ignoriren und die Frauen unsers Standes – Rivalinnen, mit denen wir eine Lanze brechen – und die ebenbürtigen Cavaliere, Sklaven unserer hochadeligen Capricen, Spielbälle unserer phantastischen Herzensunersättlichkeit.
O! das Leben ist schön auf diesen Höhen der Existenz! Wie die ewig lächelnden, leichtlebenden Götter des Olymps leben wir, und heißen Dank sollte das bürgerliche Gros der Menschheit Denjenigen zollen, die ihm in ihren Romanen ein Abbild [4] unsers Daseins gewährten, die ihm vergönnten die Portieren zu lüften, hinter denen sich unsere aristokratische Existenz, unsere nobeln Passionen verbergen.
Ich liebe die Großmuth in dem Charakter des Edelmannes, sie gehört zu ihm, wie der Helmstutz in seinen Blason; und ich schätze die Milde in dem Herzen einer Frau, denn sie kommt ihr zu, wie die blaßgelben Handschuhe ihren zierlichen Händchen. So will ich, obgleich es mein Herz zerreißt, untertauchen in die schmerzlichen Erinnerungen meines Lebens und mich sacrificiren zum Besten der Roture, die schon seit Jahren mit blödem, adorirendem Staunen den miraculösen Schicksalen unsers Hauses folgte.
Ich stamme von einem altgriechischen Hause ab, dessen Uranfänge sich in die Zeiten des Deukalion verlieren. Der erste Ahne, dessen Name in den Registern unsers Geschlechtes verzeichnet worden, ist Diogenes; seine Laterne, mit der er Menschen suchte, leuchtet in unserm Wappen. Er hinterließ keinen männlichen Erben, er selbst hatte in seiner schroffen, gewaltsamen Natur die Kraft ganzer Generationen verbraucht. Nur eine Tochter blieb von ihm zurück. Ihr vermachte er seine Laterne, sie segnete er in seiner Sterbestunde mit den Worten: [5] »Suche einen Menschen, bis Du den Rechten findest.«
Dies mysteriöse Wort ist der Segen und der Fluch unsers Geschlechtes geworden. An ihm sind die edelsten Herzen gebrochen. Die ganze wandernde Rastlosigkeit, der ganze cynische Idealismus, oder soll ich sagen, der ideale Cynismus und alle Abnormitäten in dem Behaviour unsers Stammvaters sind auf uns übergegangen, und machen heute noch die Grundzüge unsers Geschlechtes aus, das sich merkwürdiger Weise fast nur durch die Geburt von Töchtern fortpflanzt. Die Laterne ist ein Dunkellehn geworden.
Ich übergehe mit rücksichtsvoller Discretion das Leben der Frauen unsers Hauses im Mittelalter. Man ist es sich schuldig égards zu nehmen und nicht freiwillig dem blöden Auge der Masse die partie honteuse seiner Familie preiszugeben. Wie leicht könnten bürgerliche Frauen, in deren rothe, von schwerer Arbeit zerstörte Hände mein Buch fiele, das edle, unbefriedigte Dasein meiner Aeltermütter misverstehen. Wie könnte eine Frau, die sich begnügt mit der kühlen Liebe eines bürgerlichen Regierungsrathes und mit der waschenden und kochenden Pflichterfüllung in ihrer engen Sphäre, das große Leid einer Kaiserin Messalina, einer Lucrezia [6] Borgia, einer Königin Johanna von Neapel verstehen! Wie könnte sie die Schmerzen rastlos suchender, ewig unbefriedigter Liebe verstehen, die in jenen Frauen so gewaltig wurden, daß die glühende Liebe sich in Haß verkehrte und die Fackel des Hymen sich verwandeln mußte in den Dolch und in das Schwert! O, es gibt furchtbare Sensationen, es gibt tragische Emotionen in dem Dasein edler adeliger Weiber, von denen ihr Nichts wisset, die ihr in den Thälern und nicht auf den Höhen des Lebens geboren seid!
Aber die nivellirende Macht der Zeit hat auch unserm Geschlechte die Titanenkraft gelähmt. Wir sind nicht mehr, was wir waren. Wir sind nervos geworden in der engen Atmosphäre der Städte, seit wir herabgestiegen sind von den Zwingburgen des Mittelalters. Wir haben das heilige Himmelsfeuer in unserer Brust zu verbergen gelernt, wir müssen uns menagiren. Der Dolch ist unserer Hand entfallen vor Schreck über das plebejische Institut der bürgerlichen Assisen, unsere Empfindungen sind dieselben geblieben.
Wir suchen heute noch das Ideal des Mannes, wie es unserer Phantasie vorschwebt – und wir finden es nicht; wir dürfen die Laterne in unserm Wappen noch nicht verlöschen, der »Mann par [7] excellence« ist noch nicht in den Horizont unsers Hauses getreten. Wir suchen ihn durch alle Länder, durch alle Stände – vergebens! Wir finden den »Rechten« nicht, und doch muß er da sein, denn was bedeutete sonst die mysteriöse Laterne unsers Ahnen? Was bedeutete sein Segen, unsere mystische Devise? Wir, seine unglückseligen Töchter, sind die ewigen Juden des Herzens; dieses Suchen hat die Herzen meiner nächsten Verwandten usirt, die edle Toska Beiron, die geniale Faustine, die himmlische Gräfin Renate und meine göttliche Mutter Sibylle hatten ihre Herzen erschöpft in vergeblichen Liebesversuchen und ich – ich verzweifle an der Liebefähigkeit meines Herzens, und ich muß dennoch die Liebe suchen. Das ist ein großes, tragisches Geschick!
Das Leben meiner Mutter ist bekannt bis zu dem Zeitpunkte, wo ihr der schöne Engel, ihre Tochter Benevenuta, starb, dies Kind ihrer ersten Ehe. Benevenuta's Vater, Graf Paul, war gestorben. Meine Mutter hatte den brillanten Grafen Astrau geheirathet und sich von ihm getrennt, sie hatte gefunden, daß er nicht »der Rechte« sei. – Vergebens war es gewesen, daß der geniale Musiker, der edle Meister Fidelis, sie liebte, wie man Gott und die Sterne lieben würde, wenn[8] sie sich in ihrer Unerreichbarkeit plötzlich als reizende, gefallsüchtige, phantastische Weiber zeigten. Weder Astrau's: »Sibylle, wach auf!« mit welcher Zauberformel er das Herz meiner Mutter aus seiner unmenschlichen und wohl darum göttlichen Apathie zu reißen strebte; noch Fidelis' tragische, verzweifelnde Klage: »Eine immense Seele, aber leer!« hatten in dem Titanenwesen meiner unglücklichen Mutter einen Funken wahren Gefühls hervorgerufen. Da schien es, als ob des Jünglings, des Grafen Wilderich Liebe sie erwärmen wolle; aber war es die Kälte der Gletscher, in deren Nähe sie lebten, war es einer der Zaubersprüche, die über uns schweben, meine Schwester Benevenuta liebte den Jüngling, und meine Mutter fühlte eine edle Aprehension, die Rivalin ihrer Tochter zu werden. Sibylle resignirte und Benevenuta starb aus Gram, weil Wilderich Nichts für sie gefühlt hatte. Vielleicht waren aber auch die ewigen Reisen meiner Mutter, auf denen Benevenuta sie von Kindheit an begleiten mußte, und der daraus folgende Wechsel des Klimas und der Lebensweise Schuld an meiner Schwester Nervosität und ihrem frühen Tode.
Meine Mutter glaubte zu sterben vor Schmerz und Leere. Die Aerzte fürchteten eine Verknöcherung [9] des Herzens für sie, da alle ihre Anlagen sie zu diesem Uebel prädestinirten. Die Luft Roms lastete erdrückend auf ihr, sie mußte fort »in die Welt«, wie meine Tante Toska es bezeichnet hatte, als der edle Sigismund Forster um ihretwillen erschossen worden war. »In die Welt, gleichviel wohin!« rief meine Mutter ihrem Couriere zu, als sie im Hotel Meloni an der Piazza di Popolo zu Rom ihren Reisewagen bestieg; und da ihr Courier eine schöne Grisette im Quartier Latin zu Paris wiederzusehen wünschte, ließ er den Wagen nach Nordwesten fahren.
Mit geschlossenen Vorhängen, die Füßchen auf den Rücksitz gelegt und in kostbare Kaschmirs gewickelt, ganz allein, so fuhr meine Mutter durch die blühenden Fluren Italiens. Sie blickte nicht hinaus, denn ihre Seele war in ein apathisches Hindämmern versunken. Sie sprach kein Wort, weder mit dem Courier noch mit ihrem Mädchen, das seit zwanzig Jahren in ihren Diensten war. Wie konnte sie auch sprechen mit Menschen aus jenen Sphären, die von den Elans einer Seele, wie die immense Seele meiner Mutter, keine Ahnung haben.
Es war im Spätherbste, als meine Mutter plötzlich das Halten ihres Wagens bemerkte und, zum [10] ersten Male seit Rom die Augen emporschlagend, sich vor dem Hotel des Grafen Astrau zu Paris erblickte. Indignirt über dieses Ereigniß, fragte sie den Courier, wer ihr das gethan habe. Der Courier sah sie ganz verwundert an, er verstand nicht einmal ihren Zorn. In seiner bürgerlichen Einfalt hatte er gemeint, wenn die Gräfin Astrau es ihm überlasse, sie »in die Welt« zu fahren, so würde es wol das Natürlichste sein, daß er sie zum Grafen Astrau bringe, von dem sie nur getrennt, nie geschieden worden war.
Während meine Mutter noch in sich überlegte, was ihr zu thun belieben würde, öffnete ein Stallknecht das Portal des Hotels, eine elegante Gigue rollte daraus hervor. Otbert Astrau in tiefer Trauer, schöner und fascinirender als je, saß darin, an der Seite seines Grooms, der eine Trauerlivrée trug.
Sibylle sehen, herabspringen, ihren Wagen aufreißen und sie in seinen Armen die breiten Treppen des Hotels hinauftragen, war das Werk eines Momentes. Meine Mutter wußte nicht, wie ihr geschah. Willenlos lag sie in den Armen des Grafen. Seine Augen sprühten flammendes Leben in die erstarrten Glieder der wundervollen Frau. Er warf sich vor ihr nieder, er strömte alle [11] Glut seiner Phantasie, alle Poesie seiner Dichternatur vor ihr aus. Er sagte ihr, wie er sie ersehnt seit lange, er klagte ihr, daß auch ihm seine Tochter, Arabella's Kind, plötzlich gestorben sei. Sibylla's Thränen um Benevenuta, die zu Eis erstarrt, sich um ihr Herz gelegt, begannen zu schmelzen und zu fließen vor der Flamme seines Auges. Sie fühlte ihr grausenhaftes Isolirtsein, der Magnetismus seiner Natur, der Zauber seines ganzen Wesens begannen eine Reaction in ihr zu erwecken, und von widerstrebenden Gefühlen angezogen und abgestoßen sank sie, instinctiv seine Hände ergreifend, an seine Brust.
Ein kurzes, traumstilles Glück folgte dieser Stunde. Ihm verdanke ich mein Dasein. Aber kaum war ich geboren, als die Illusionen entschwanden, die sich verhüllend eine Weile, zwischen meine Mutter und die Wirklichkeit gestellt. Sie hatte an Astrau's Liebe glauben wollen, sie hatte gehofft, er werde dennoch »der Rechte« sein, nun das wilde Feuer seiner Jugend verraucht wäre. Aber was konnte für Sibylle ein Otbert sein, der wie alle Roués, und ein Roué war er immer gewesen, zu einem entschiedenen Materialisten geworden war. Der Tod seiner Tochter, das Wiedersehen Sibylla's hatten ihm für Momente einen Reflex seiner Jugend [12] gegeben, und blitzschnell hatte er combinirt, welche finanziellen Resourcen eine Wiedervereinigung mit seiner immens reichen Frau ihm, dem armen Weltmanne, gewähre. Meine unglückliche Mutter war dupirt, trotz der vielfachen Erfahrungen, die ihr Leben ihr bereits gegeben hatte.
Wenig Tage nach meiner Geburt starb mein Vater in einem Duelle, das er wegen einer hübschen Tänzerin mit dem Redacteur eines oppositionellen Journales hatte. Meine Mutter war in Verzweiflung, nicht über den Tod ihres Gatten, denn dieser erlöste sie von einer freiwilligen Abhängigkeit, die sie gerade deshalb wie eine doppelte Schmach empfand; aber der edle Stolz ihrer Seele war verwundet dadurch, daß der Mann, dessen Namen sie und ihr Kind tragen mußten, sich mit einem Bürgerlichen geschlagen hatte. Sie blieb sich gleich in schöner Marmorkälte in jedem Moment ihrer Existenz.
Dieses Evenement rief ihren alten Herzkrampf hervor und in der Alteration jener Tage verschlimmerte sich das Uebel der Art, daß sie starb, noch ehe ich getauft war. Friede ihrer Asche und Ruhe ihrer Rastlosigkeit!
Sie hatte verordnet, daß ich, zum Andenken an unsern Ahnherrn und als Bezeichnung unsers [13] tragischen Geschickes, das uns »zu suchen und nicht zu finden« verdammt, Diogena heißen sollte. O! wie ist der Name mir eine ominöse Vorbedeutung geworden.
Meine Mutter hatte kurz vor ihrem Tode ein Testament gemacht, in dem sie bestimmte, daß ich, fern von dem Treiben und den Erregungen der großen Welt, auf unsern Stammgütern im Norden Deutschlands erzogen werden sollte. Einer Freundin, einem Fräulein von Dornefeld, ward meine Erziehung übergeben. Diese würdige und treue Pflegerin war der entschiedenste Gegensatz von meiner Mutter. Sie hatte in ihrer Jugend einen adeligen Referendarius geliebt, der früh gestorben war, noch ehe er sie zum Altar führen konnte. In treuer Liebe hatte sie den Witwenschleier über ihr Dasein geworfen und war still und einsam durch das Leben gegangen, Hilfe spendend den Hilfsbedürftigen und überall sich einfindend, wo es irgend eine Lücke auszufüllen gab. Meine Mutter hatte ihre Bekanntschaft im Hause unsers verehrten Verwandten des Bischofs von Bamberg gemacht, dem sie eine treue Pflegerin gewesen war bis an sein Lebensende.
Mit stummer Irritation hatte die gute Dornefeld die Exaltationen, das Meteorartige in dem [14] Wesen meiner Mutter angestaunt, das ihr bald miraculös, bald monströs erschienen war. Aber ihr ängstliches Staunen wich dem Gefühl des Mitleids, als sie sah, wie unglücklich die Frau war, welche kometenartig die Bahn an dem Horizont des Lebens durchstürmte. »O! meine Gräfin!« hatte sie oft gesagt, »wie anders wäre Ihr Loos geworden, hätte man Sie früh an eine treue, weibliche Brust gelegt; hätte eine linde Frauenhand die wilden Stürme dieser Natur durch milde Liebe magnetisch calmirt.« Und mit solcher Conviction hatte sie diese Worte gesprochen, daß meine Mutter sich derselben noch auf ihrem Todtenbette erinnerte und mich der treuen Seele zu übergeben beschloß.
Meine ersten Erinnerungen knüpfen sich an unser Stammgut und an die Dornefeld. Meine Mutter hatte gewünscht, mich von Allem fern zu halten, was meine jugendliche Seele exitiren konnte. Sie hatte es der Dornefeld zur Pflicht gemacht, für eine kräftige Entwickelung meines Körpers zu sorgen, und meinem Geiste Zeit zu gönnen, sich innerlich zu developpiren, ehe man ihn nach außen durch Wissenschaft und Kunst zu beschäftigen suchen würde. Nur Frauen sollten mich unterrichten und in meiner nächsten Umgebung leben, denn [15] meine Mutter erinnerte sich, wie früh sich ihr Verhältniß zu dem Meister Fidelis eigentlich entfaltet hatte und wünschte mich davor zu bewahren.
So führte ich ein wunderbares Doppelleben. Auf einer Seite klösterliche Zucht und Einsamkeit, auf der andern ein wahrhaftes Elfenleben in Wald und Feld. Da mein Körper durch Uebung entwickelt und dennoch männlicher Unterricht vermieden werden sollte, wählte die gute Dornefeld eine Mademoiselle Rosalinde, die früher Mitglied einer Kunstreitergesellschaft gewesen war, zu meiner Lehrerin im Reiten, und ließ eine Hallorin, Margarethe Feller, kommen, welche mich im Schwimmen, Turnen und Schlittschuhlaufen unterweisen sollte.
Rosalinde war eine ganz aparte Erscheinung. Sie war schön gewesen, war adorirt worden von den brillantesten Cavalieren, bis ein unglücklicher Sturz vom Pferde ihre ganze Existenz bouleversirte. Sie mußte auf ihre Carriere renonciren und, da in der Zeit, welche sie an das Krankenlager gefesselt verlebte, ihr Geist sich mit Intensität nach innen wendete, war der Wunsch nach einem reinen, moralischen Wandel in ihr rege geworden. Sie hatte einen Geistlichen verlangt, dieser hatte sie mit seiner Freundin, der guten Dornefeld, in [16] Rapport gebracht und so war sie von dieser in unser Haus aufgenommen worden, um sich zu erheben durch ein ruhiges Leben und mich zu bewahren vor einem unruhigen, durch männliche Leidenschaften getrübten.
An Rosalinde hing ich mit tiefster Inclination. Wenn die gute Dornefeld mich mit dem Nähzeug beschäftigen wollte, so scheiterte ihr Bestreben an meinem ganzen Naturell. Nicht als ob ich es nicht hätte lernen können oder wollen; im Gegentheil, ich begriff Alles spielend, aber die ganze Leidenschaftlichkeit meiner Natur warf sich bald auf das Stricken, bald auf das Tapisserienähen, und während ich Unerhörtes in Beidem leistete, während ich in einem Tage die Arbeit von drei geübten Frauenzimmern verrichtete, rieb ich meine Kräfte auf und versank am Abend in eine Abspannung, die fast an Somnambulismus grenzte. Es ist wahr, die Strümpfe, welche ich damals in der bewußtlosen Geschäftigkeit eines Kindes strickte, hatten einen unwiderstehlichen Charme, eine Weiche, eine Wärme und Leichtigkeit, die nie ein Anderer erreichen würde. Die Blumen meiner Tapisserie waren von einem Farbenschmelz, ich möchte sagen, einem Dufte, die für Naturen, welche mir sympathisch verbunden sein mochten, geradezu berauschend waren. Meiner [17] Umgebung blieb diese Erscheinung ein Räthsel! Ich begriff es später nur zu gut. Es ist gleichviel, auf welche Gegenstände sich eine immense Seele, wie die Frauen unsers Hauses sie besitzen, richtet; das Fluidum, das sie ausströmt, wirkt überall bezaubernd und dies ist der unglückselige Magnetismus, der uns die Herzen der Männer entgegenführt, der sie uns unterjocht, ohne unser Zuthun, zu unserer furchtbaren Pönitenz; wir müssen die fremden Herzen zertrümmern, weil wir selbst keine haben.
Hatte ich meinen Tapisserie-Paroxismus ausgetobt, so sank ich müde nieder und trostlos stand die gute Dornefeld an meiner Seite, denn sie wußte in ihrer Engelsmilde mit solcher impetuosen Natur, wie die meine, Nichts zu beginnen. Dann kam Rosalinde wie mein guter Engel herbei. Sie hatte Erzählungen, die mich ganz anders ablenkten von mir selbst, als die stillen Vergißmeinnichtkränze, welche die gute Dornefeld zu meiner Zerstreuung für mich flocht. Sie erzählte mir von Paris, vom Cirque Olympique, von Franconi. Sie beschrieb mir ihr Costume und ihre Triumphe; sie erzählte mir von den Männern, die ihr gehuldigt hatten, von tollkühnen Kunstreitern und sentimentalen Dichtern, von verschwenderisch großmüthigen [18] Marquis, von knauserigen Bankiers, zärtlichen Offizieren, galanten Diplomaten und von ganz bezaubernden Grafen. Ach! die Grafen waren von jeher ihre und meine Passion. Ich wurde ebenso wenig müde zu hören, als sie zu erzählen. Ihre weichen, parfumirten Locken, ihre feuchtglänzenden Augen, der Schmelz ihrer Zähne und das ganz eigenthümliche je ne sais quoi gräflichen Liebreizes schwebte vor meiner Seele und tauchte als festes Bild aus dem Purpurgewölk der untergehenden Sonne für mich hervor, wo andere, unbedeutende Kinder den lieben Gott mit seinen Seraphim und Cherubim erblicken.
Dann schwand die Abspannung, dann fiel ich meiner Rosalinde um den Hals, befahl mein Pferd zu satteln und stürmte, in dem Sattel stehend, an Rosalindens Seite hinaus in das Freie, in die Welt, in die schöne Welt hinein, wo die bezaubernden, brillanten, irresistiblen Grafen waren. Mein Herz schlug dann hörbar, die ganze Glut unsers Familiennaturells klopfte wie Frühlingsahnung in meinen jungen Adern. Mir war, als müsse ich fliegen, weit, weit über die alten Eichen hinweg, hinweg über die Grenzen unsers Gutes, die Grafen zu suchen. So mag einem jungen Wandervogel zu Muthe sein, den man im Frühling[19] mit gestutzten Flügeln zurückhält, in der abominabeln Enge eines Käfigs. Hinter jedem Busche, hinter jeder Hecke erwartete ich einen jungen Grafen hervortauchen zu sehen, und wenn es dann ein Bauerbursche oder einer unserer Domestiken war, so vermehrte dies Desapointement den instinctiven Degout, den ich gegen diese ganze Kaste schon mit dem Leben von meiner Mutter geerbt hatte.
Langte ich dann enttäuscht und fatiguirt auf unserm Hofe wieder an, so mußte die gute Margarethe kommen, um mit mir zu schwimmen und durch das frische, kühle Element meine erschöpften Kräfte zu restauriren. Stundenlang hatte ich mich gewöhnt, im Wasser zu leben. Es war mir homogen geworden und ich bewegte mich darin ganz mit demselben Behagen, mit welchem andere Kinder sich auf der Erde ergötzen. Oft kehrte ich erst spät nach Mitternacht zu der geängsteten Dornefeld zurück, die bleich, mit gefalteten Händen da saß vor den Folianten, welche über die Erziehung des weiblichen Geschlechtes geschrieben worden sind, und Gott um die Weisheit bat, das rechte Buch zu finden, die Zauberformel, einen Charakter wie den meinen zu domptiren.
Wenn ich sie dann so vor mir erblickte, mit [20] den Spuren von Thränen und liebevoller Sorge um mich, in ihren guten, tristen Augen, dann schwand das wilde Element in mir dahin. Aufgelöst in Thränen, voll von den besten Resolutionen, kniete ich vor ihr nieder. Ich gelobte, sie nie wieder durch mein Außenbleiben zu ängstigen, ich schwor, mich nie wieder dem Tapisserie-Paroxismus zu überlassen, ich wollte das wilde Reiten, das vehemente Schwimmen und all meine heftigen Alluren abandonniren. Ich bat sie, mit mir zu beten, damit ich von Gott die Kraft erhalten möchte, meine Vorsätze zu erfüllen, und schlief zuletzt in ihren Armen ein, um von den jungen Grafen zu träumen, die mir von den höchsten Zweigen unserer uralten Eichen und aus dem Wellengrün unserer stillen Seen mit feinen aristokratischen Händchen ihre Liebesgrüße zuwinkten.
So schwanden in unserer ländlichen Einsamkeit Tage, Monate und Jahre dahin. Ein ganzes Corps weiblicher Lehrerinnen war allmälig auf unserm Gute installirt worden und die Vorträge in den Wissenschaften hatten ihren Anfang, meine Kenntnisse die rapidesten Fortschritte gemacht. Ich sprach alle lebenden und todten Sprachen, ich kannte die Geschichte und Geographie wie ein Professor, machte entzückende Verse und sang, zeichnete und [21] tanzte wie ein Engel. Aber dies Alles reichte nicht hin, mich auszufüllen; in früher Jugend war ich geistig blasirt, ich verlangte, weil mir das Lernen keine Mühe, sondern nur ein Zeitvertreib, ein Lückenbüßer war, immer nach mehr und immer nach Neuem. Endlich fiel ich, als ich eben eingesegnet war und mein funfzehntes Jahr vollendet hatte, darauf, Heraldik zu studiren. Die gute Dornefeld übernahm es, selbst sehr bewandert in dieser Branche der Geschichtskunde, mich darin zu unterrichten. Bald kannte ich alle Wappen aller adeligen Geschlechter der Welt, bis hin zu den Braminen und Mandarinen Asiens. Ueberall wußte meine Lehrerin mir freundlich Aufschluß und sinnige Deutung zu geben; nur wenn ich sie fragte, was die frappirende Laterne und die mysteriöse Devise meines Wappens bedeuteten, so schloß sie mich mit schwermüthigem Air an ihr Herz und sagte: »O, meine Diogena, forsche nicht! Es gibt Geheimnisse, welche Gott mit hoher Clemenz dem Auge des Menschen cachiren will. Denke, dies sei ein solches und Gott wird Dich davor bewahren, meine Diogena, daß es sich Dir nicht zu Deinem Schaden von selbst enthülle.«
Dies Mysterium aber ward mir zu einer wahren Tortur. Meine Seele fand keine Ruhe mehr. [22] Es war mein sechzehnter Geburtstag, als ich aufs neue in die Dornefeld drang, mir das Geheimniß unsers Wappens mitzutheilen. Sei es, daß ich es mit zu vehementer Art gefordert hatte oder auch, daß sie durch eine Entschiedenheit, die außerhalb ihres Naturells lag, mir ein für allemal imponiren wollte, sie refusirte es mir mit einer Härte, die mich tödtlich reizte. Ich stürmte hinaus, warf mich aufs Pferd und jagte, als gälte es ein Fox-hunting, hinaus durch Feld und Wald. Ich hatte der Margarethe Feller, die in meinem Dienste das Reiten erlernt hatte, befohlen, mich zu begleiten und meinen Schwimmanzug mit sich zu nehmen.
Es war bereits Abend, als ich, glühend von der gehabten Scene und dem starken Ritt, an dem See anlangte. Ich warf mein Reitkleid ab, ließ mir den Schwimmanzug anlegen und stürzte mich in die limpide Flut, die mich liebend umschloß, wie eine Mutter ihr Kind an sich drückt, weich und doch fest und verhüllend. Ein zauberisches Abendroth war über die frühlingsgrüne Erde ausgebreitet. Wohin man blickte, fielen rosige Streiflichter durch das Eichengrün und glitzerten goldene Sonnenfunken durch die Luft. Ich schwelgte in idealischem Naturgenusse, meine Seele hatte ein [23] wunderbares Epanchement gegen den Schöpfer, wahre Jubelhymnen lebenskräftigen Vollgefühls stiegen aus meiner Brust empor, die bereit war, sich neuen, längst geahnten ekstatischen Entzückungen zu eröffnen.
Da plötzlich drang ein unbekannter Ton an mein Ohr. Ich horchte auf! »Ein Posthorn!« rief die Feller, welche von Halle her diesen Ton nur zu gut kannte. Ich hatte in unserm von der Landstraße entfernten Schlosse nie ein Posthorn erklingen hören. Noch einmal erschallte der Ton und ehe ich es erwartet hatte, hielt ein eleganter Reisewagen an dem Ufer des Sees.
Zwei Männer saßen darin. Der Eine, schon über die Lebenshöhe hinaus, trug den Adel jener indestructibeln Schönheit, welcher der Vorzug aristokratischer Geschlechter ist. Der Jüngere – ach! noch jetzt schlägt mein Herz in schneller Vibration, wenn ich mir die selige Emotion jenes Momentes vergegenwärtige.
Beide Cavaliere, denn dies waren sie unwiderleglich, bogen sich weit zum Wagen heraus, als sie mich erblickten, und der Jüngere besonders schien ganz bewildert durch meinen Anblick zu sein. Auch mochte er etwas sehr Ungewöhnliches bieten. Ich war damals in jener reizenden Periode des weiblichen [24] Daseins, in dem das Kind urplötzlich zum Weibe geworden, alle Grazie der Kindheit und allen Zauber des Weibes in sich vereinigt. Der Rosa-Tricot, der mich umhüllte, verrieth, so weit das Wasser mich preisgab, die makellose Schönheit meiner adeligen Gestalt. Meine goldblonden Locken hingen, wie mit brillantenen Reflexen übersäet, auf meine Schultern herab. Die feinen schwarzen Franzen meiner breiten, mächtigen Augenlider verschleierten die schwarze Iris meines Auges, die weich wie Sammet, doch so brennende Glut in sich verbarg. Mädchenhafte Scham trieb mich, mich vom Ufer zu entfernen, und doch hielt der flammende Blick aus dem Auge des Jünglings mich magisch gebannt in seinem Zauberkreise. Nur mit langsamen Stößen schwamm ich der Mitte des Sees zu, und den Kopf zurückwendend, sah ich, wie das Auge des jungen Mannes mir folgte, und hörte die Frage des Aeltern, ob dies der Weg nach dem Schlosse sei?
Kaum war der Wagen an uns vorüber, als ich aus dem Wasser sprang, in fiebernder Hast mich in die Kleider warf, das Pferd bestieg und in gestrecktem Galop dem Schlosse zueilte. Als ich dort anlangte, saßen die Fremden auf der Terrasse vor dem Gartensaale. Ich wollte zu ihnen gehen, [25] sie in meinem Hause willkommen zu heißen, als die Dornefeld mir entgegen kam.
»O, meine Diogena!« sagte sie, »wie glüht Dein liebes Antlitz, wie funkelt Dein Auge! In Dir bebt noch die ganze Erregung unsers heutigen Streites fort und doch wollte ich, Du wärest jetzt ruhig und mild, denn ein werther, unerwarteter Besuch ist uns geworden. Graf Mario und sein Sohn Bonaventura sind angelangt und begierig, Dich zu sehen, mein Engel!«
»So laß uns zu ihnen gehen,« rief ich, und flog mit der Leichtigkeit eines Vogels die Treppe zur Terrasse empor. Vergebens erinnerte mich die Dornefeld an die Unordnung meiner Toilette, ich beachtete es nicht. Ich hatte gehört, daß Graf Mario sich, müde des Reiselebens, in unserer Gegend angekauft hatte, nachdem seine Gemahlin, die geniale Gräfin Faustine in das Kloster der vive sepolte eingetreten war »um anzubeten, immerfort anzubeten«, und so dem Drange ihrer innern Sehnsucht zu genügen. Sie war eine ältere Cousine meiner Mutter gewesen und der junge Graf Bonaventura also mein Cousin à la mode de Bretagne.
Ich hatte nie Jemanden von meinen Verwandten gesehen, ich war ohne jugendliche Gespielen aufgewachsen, [26] welch ein Wunder also, daß es mich mit warmer Sehnsucht den ersten Blutsfreunden entgegenzog, die ich erblickte. Mit allem graziösen Elan meines Wesens trat ich ihnen entgegen und bot erst Mario dann Bonaventura die Hand.
Graf Mario schien bewegt von meinem Anblick. Er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen und schloß mich dann, wie von unwiderstehlichem Impulse dazu getrieben, an seine Brust.
»Verzeihen Sie einem Freunde Ihrer Mutter, theure Gräfin!« sagte er, »wenn die Aehnlichkeit mit dieser und die Aehnlichkeit mit meiner unvergeßlichen Faustine mich übermannten. O! Sie haben die magischen Augen dieser Frauen, Sie haben das unnachahmliche fascinirende je ne sait quoi, das Jenen eine so zauberische Macht verlieh.«
»So lieben Sie mich, Graf Mario!« entgegnete ich, »wie Sie jene Frauen liebten. Denken Sie, ich wäre Ihre Tochter! Ich habe meine Aeltern nicht gekannt, ich habe einsam gelebt und ohne Liebe bis auf diesen Tag und ich sehne mich nach Liebe.«
Ein tiefer Seufzer der armen Dornefeld unterbrach mich und erinnerte mich daran, daß diese Worte ihr wehe gethan haben konnten. Zerknirscht [27] von Reue warf ich mich an ihr Herz. »Meine Dornefeld,« rief ich aus, »o! Du hast mich geliebt; Du hast mich geliebt mit jener reinen, unirdischen Engelsliebe, wie die Seraphim sie für die Kinder haben, die ihrem Schutze anvertraut sind! Du hast meiner nie bedurft und mir doch Alles gewährt, Dich verehre ich, Dich bete ich an, Du bist zu hoch für meine Liebe.«
»Wunderbares Kind!« sagte Graf Mario, indem er mich befremdet betrachtete. »Und was denken Sie sich unter der Liebe, die Sie bis jetzt vermißt und ersehnt haben? Was verlangen Sie von ihr?«
»Was ich verlange?« wiederholte ich träumerisch und versank in ein momentanes Nachdenken. Das hatte ich mir selbst niemals klar gemacht, mich niemals gefragt. Mein ganzes Herz hatte das Wort »Liebe« wie ein Zauber erfüllt; wie die Gottheit dem Pantheisten das All ist, so war es mir die Liebe gewesen. Jetzt, da die positive Frage an mich gerichtet wurde, da Bonaventura's Augen mit sehnsüchtigem Ausdruck auf mir ruhten, da war es mir plötzlich, als erschlössen sich die verborgenen Tiefen meiner Seele, als sähe ich in den aufgethanen Schachten meines Herzens das funkelnde flammende Gold, die strahlen den Brillanten und die blutrothen Rubine der Liebespoesie [28] mir entgegenstrahlen, und das ganze profunde Mysterium der Liebe enthüllte sich mir wie durch eine instantane Revelation.
Ich schlug die mächtigen Augenlider empor und sagte, indem ich mit prächtigem Stolze die Grafen abwechselnd anblickte: »Was die Liebe sei, das weiß ich durch den Glauben meines Herzens so sicher, wie der Christ vermöge des Glaubens weiß, daß und was die ewige Seligkeit ist. Die Liebe ist das Einssein von Zweien; ich höre auf zu sein, um in einem Andern erst wieder zu werden. Es ist eine Regeneration, es ist ein Aufgehen in dem Geliebten, dessen ganzes Wesen dafür mein eigen wird, mein eigen ganz und gar. Ein Mensch allein durchdringt das Geheimniß des Daseins nicht; aber Zwei vereint zu einer Liebe, die durchdringen es. Die wirbeln sich empor mit der Lerche im Frühlicht der Sonne entgegen, die lauschen dem schweigenden Pulsschlag der Erde in träumerischer Nacht, die beherrschen mit mächtigem Zauberstab die ganze Skala der Gefühle, daß alle Accorde des menschlichen Daseins sich vor ihrem Willen zusammenfügen zu der wahren Sphärenharmonie, deren ewiger Text das eine Wort ist »Liebe!« – »O! die Liebe!« rief ich aus und sank todtenbleich auf den Fauteuil, der mir zunächst stand.
[29] Der Graf, die Dornefeld eilten mir beizustehen, aber schneller als sie Beide war Bonaventura zu meinen Füßen niedergesunken, und meine Hände in die seinen pressend, rief er exstatisch: »O, Diogena! Stirb nicht! Stirb nicht! Mein Ideal! Ehe Du mich mit Dir emporziehst in Deinen Himmel der Liebesseligkeit, wo ich fortan wohnen muß mit Dir, wenn ich nicht versinken soll in den Tartarus der Verzweiflung!«
Ich sprang empor, ich warf meine Arme mit Enthusiasmus zum Himmel empor und sagte: »O! das ist der Klang der Stimme, auf den mein Ohr gelauscht, seit Töne ihm vernehmlich wurden! Das ist sie, das ist seine Stimme, die Stimme par excellence!« –
Wir lagen uns in den Armen, wir mischten unsere Thränen miteinander, wir erbebten unter den süßen Schauern des ersten flammenden Kusses. Ein Augenblick hatte zwei Existenzen indissolible verbunden.
Graf Mario, die Dornefeld standen wie sprachlos dabei. Eine solche Precipitation überstieg Alles, was sie je erlebt hatten, was man voraussehen konnte. Wir knieten vor dem Grafen nieder, wir baten um seinen Segen, er schloß uns gerührt an sein Herz. »Das ist Naturgewalt!« [30] sagte er, »möge die Stunde eine gesegnete sein, die Euch zusammenführte.«
Er sprach mit der Dornefeld von bienséances, von meinem Vormunde, von der Nothwendigkeit, ihn zu Rathe zu ziehen, wir hörten es kaum, oder hörten es doch nur so, wie die seligen Bewohner des Jenseits das unheilige Geräusch des Erdengetreibes vernehmen mögen.
Bonaventura hatte mich hinabgeführt in den Garten zu einer Bank unter dem Schutze einer mächtigen Linde. Hier warf er sich abermals stumm vor mir nieder. Hier betrachtete ich zuerst die ganze magnifique Schönheit seiner Erscheinung. Er zählte damals etwa zweiundzwanzig Jahre. Hoch und schlank aufgeschossen, hatte er die ganze Flexibilität und die wundervolle Eleganz der Jünglinge aus altadeligen Geschlechtern. Dunkle Locken, schwarz wie die Flügel der Rauchschwalbe, legten sich weich um seine geniale Stirn, und wie Sonnenstrahlen aus dem spiegelhellen Blau eines Schweizersees, mit so limpidem Lustre tauchten seine goldbraunen Augen aus dem verschwimmenden Weißblau der Netzhaut hervor. Ich legte meine Händchen auf sein Haupt und wollte den Mund öffnen, um in Worten die ganze heiße Fülle meiner Seele auszuhauchen, da preßte Bonaventura meine Hände urplötzlich [31] fast gewaltsam an sich und sagte leise und mit vor innerer Emotion fibrirender Stimme:
»O schweig, schweig! meine Diogena! Fühlst Du denn nicht, daß die Seele des Erdgebornen nur gradatim die Wonne des Himmels erträgt? Fühlst Du denn nicht, Diogena, daß mich heute Dein bloßes Anschauen außer mir wirft? Und willst Du mich vernichten durch Ekstase, indem Du noch den Zauber Deiner Rede gegen mich benutzest? Sei barmherzig, Himmlische, und schweige!«
Ich bebte vor Wonne, wie er selbst. Die ganze gefährliche Macht solchen Schweigens wuchtete sich über uns und bedrohte mich mit seiner Gewalt. Wie ich nun so dasaß, eingewiegt in die berauschende Wonne seiner Nähe, so fühlte ich dies Gefühl zu einer so excessiven Höhe erwachsen, daß meine junge Natur in ganz oppositionnelle Empfindung übersprang, und von einem Extrem in das andere vaguirte. Ich brach in das inertinguibelste Lachen aus, sodaß Bonaventura mich erschrocken fragte, was mir begegnet sei?
»O mein Bonaventura!« rief ich aus, »ist es denn nicht zum Lachen, daß zwei Sprossen altadeliger Geschlechter eine Verlobung feiern, wie die unsere? Wo ist da eine Spur von Etikette, von Convenienz? Wo sind da alle Präliminarien solcher Verbindungen?[32] Aber das gerade entzückt mich. Das gerade ist absolut vornehm, denn es ist über alle Berechnung erhaben. So, ohne Frage um alle irdischen Interessen, kann sich nur die Creme der Aristokratie verbinden, die wie die Lilien auf dem Felde leben, ohne zu denken, daß man arbeiten und sich kleiden müsse; dies ist nur der Elite der Menschheit möglich, bei der diese Rücksichten fortfallen, bei der Reichthum und Adelsgleichheit und Sorgenfreiheit ein cela va sans dire sind. O mein Bonaventura! Laß uns Gott danken, daß wir zur Creme der Aristokratie gehören und diese Wonnestunde unsers Lebens ohne arrière-pensée feiern und genießen können.«
Bonaventura stimmte mir aus voller Seele bei, als der Graf und die Dornefeld uns zu suchen kamen und nun selbst lachen mußten, da sie uns erblickten; denn ein wunderlicher ajustirtes Paar hat wol nie in den Regionen, in denen wir uns bewegten, seine Verlobung gefeiert. Bonaventura, der nach beendigten Universitätsstudien mehre Jahre auf Reisen gewesen war, kehrte jetzt von diesen zurück. Sein Vater war ihm bis Berlin entgegengefahren, ihn auf seine Güter zu holen. Bonaventura trug den bequemen sandfarbenen Paletot moderner Touristen, die ungebleichte Leinwandweste, [33] den grauen breitkrämpigen Filzhut und die leichten Kamaschen, welche die Engländer, diese Meister des Comforts en vogue gebracht haben. Ich hatte ein dunkelbraunes Reitkleid, das an einer Seite in die Höhe geknöpft war. Da ich alle Kleinlichkeit und alle Gêne in meiner Toilette haßte, so mochte ich von Chemisetts und Cravatten und Manschetten und all den tausend aimables riens, in denen andere Frauen ihre Freude suchen, Nichts wissen. Ein breiter weißer Kragen, der Hals und Brust frei ließ, fiel über meine Schultern herab und war halb verdeckt von den Locken, die, durch das Wasser beim Schwimmen geglättet und durch den Ritt noch nicht ganz getrocknet, in einer prachtvollen Grazie, wie verdichtete Sonnenstrahlen um mich her funkelten.
Der Haushofmeister erschien, uns zu melden, daß der Thee servirt sei. Ich hatte in der Wonne meines Herzens nicht gedacht, daß es noch eine Theestunde auf der Welt gäbe und daß jetzt, da ich so glückselig sei, noch Jemand auf Erden essen werde. Wie erschrak ich also, als Bonaventura, mir seinen Arm bietend, um mich in das Haus zu führen, mit großer Zufriedenheit in die Worte ausbrach: »O vortrefflich, meine Diogena! Du sollst es sehen, wie ich Deine Gastfreiheit benutzen [34] will. Die lange Fahrt und all die heftigen Emotionen meiner Seele machen ihr Recht geltend, und ich bringe Dir einen wahren Homerischen Appetit für unsere erste gemeinsame Mahlzeit mit.«
»Das freut mich für Dich!« sagte ich, aber eine Wolke des Nichtverstehens legte sich um meine Seele.
Während wir an der Tafel saßen, während Bonaventura mit großem Eifer der Mahlzeit zusprach, und, alle leichten Confituren vermeidend, sich die festen, nahrhaften, kalten Fleischspeisen aussuchte und dazwischen heiter mit seinem Vater und mit mir von seinem Glücke sprach, weinte mein Herz im stillen Innern die ersten bittern Thränen herben Desappointements.
O, er liebte mich nicht! Wie konnte er hungern und dürsten gleich einem gemeinen Menschen, der Mann, der eben erst von meinen Lippen den Nektar des ersten Kusses getrunken, der begehrt hatte, ich solle schweigen, damit er nicht der Wonne, dem Glücke erliege! Und jetzt sprach er selbst ganz heiter von den gleichgültigsten Evenements, lobte den Thee und erzählte von seinen Reisen comme si de rien n'était, und ich, ich, Diogena, saß an seiner Seite! und ich liebte ihn! ich glaubte es wenigstens damals. O, was glaubt nicht ein candides Herz mit sechzehn Jahren; was glaubt [35] nicht eine Diogena, deren Wappen die Laterne ist, und die den Rechten zu suchen prädestinirt ist von dem unerbittlichen Fatum.
Thränen traten mir in die Augen, ich vermochte nicht zu sprechen, ich konnte Nichts entgegnen auf Alles, was mir Graf Mario Gütiges und Bonaventura Zärtliches sagten. Was sie von meinem Vormunde, von seiner zu fordernden Einwilligung zu unserer Verbindung, von meinen Gütern, von meinem Besitz und der Verwaltung desselben sprachen, das verstand ich nicht. Das war ja auch Alles ganz unaussprechlich indifferent gegen das große Eine, unsere Liebe. Aber je länger wir beisammen waren, je mehr Graf Mario mit der Dornefeld über den Zustand meiner Unterthanen zu sprechen anfing, je eifriger hörte auch Bonaventura auf diese Unterhaltung. Er sagte, die Leute seien bis jetzt mit beispiellosem Mangel an Philanthropie, mit Hintausetzung all ihrer Interessen behandelt; er sehe, daß es ihnen an dem Nöthigsten fehlen müsse; er sprach von Schulenanlegen, von Hospitälern und Gott weiß, wovon noch – und ich saß an seiner Seite, und all dies wüste Gespräch fiel in meinen ersten seligen Liebestraum hinein, um mich furchtbar schmerzlich zu erwecken. Was kümmerten mich meine Unterthanen [36] und ihr Elend oder ihr Glück? Was hatte mein prächtiger aristokratischer Egoismus zu schaffen mit den Thränen jener uneleganten, rothhändigen Horden? Wie durften sie es wagen, ihre bleichen Jammergestalten zu drängen bis in die Seele eines jungen Grafen, eines Bonaventura, der eine Diogena liebte, dem eine Diogena sich gelobt seit wenig Stunden.
Ich hätte aufschreien müssen, bei dem ersten Versuche zu sprechen, und um dies zu evitiren, fing ich zu essen an mit einer krampfhaften Vehemenz. Bonaventura sollte nicht sehen, wie tödtlich ich litt; ich wollte ihm meine furchtbare Alteration nicht zeigen; ich gönnte ihm nicht, die Regrets zu sehen, die es mir erregte, daß er mich nicht liebte. Aber ich stand noch nicht am Ziele meiner Deceptionen. Mit Entsetzen ward ich gewahr, daß das Essen mir deliciös schmeckte. Ich fühlte, daß ich also Bonaventura nicht liebte, daß ich ihn nicht lieben könnte, nie lieben würde; denn die Liebe, die ich ersehnte, die erhob den Menschen über solch niedriges Bedürfniß, die emancipirte ihn von allem Irdischen, so weit es sich nicht auf das geliebte Object bezog – und wir soupirten Beide, und wir sollten uns heirathen, und ich hatte geglaubt, diesen Menschen zu lieben.
[37] Graf Mario und Bonaventura bemerkten das Changement, das sich in mir apparirt hatte, und mit jenen zärtlichen Soins, deren Naturen wie Bonaventura capabel sind, drang er in mich, ihm den Grund meiner Verstimmung zu enthüllen. Ich schwieg standhaft. Da ich nicht glücklich sein konnte durch ihn, wollte ich wenigstens so elend als möglich werden, denn meine immense Seele strebte instinctiv nach dem Immensen und begehrte alle Radien der Seelenzustände zu durchlaufen. So nahm ich meine Resolution, heroisch mit dem Schmerze, statt mit dem Glücke, den Anfang zu machen.
Bonaventura war untröstlich über mein Schweigen, was kümmerte mich das in meiner Abgeschlossenheit? Ich fühlte, er war nicht der Mann, den ich ersehnt, er war nicht der Rechte, nicht mein anderes Ich selbst. Er war ein Wesen, von dem Fatum in meinen Lebensweg lancirt, um mich leiden zu machen. Ich nahm dies fatalistisch auf mit stolzer Resignation, unbekümmert darum, ob auch Bonaventura litt. Er war nur Nebenperson in diesen Schicksalswirren, deren Mittelpunkt immer eine Frau ist, von der Trempe der Frauen unsers Hauses. Sie sind die Axe, um die sich in stupender Willen- und Anspruchslosigkeit die ganze übrige Welt zu drehen hat.
[38] Graf Mario von seiner himmlischen Gräfin Faustine und von meiner Mutter, der wunderbaren Sibylle, an diese capricieusen Alluren der Frauen aus unserer Familie gewöhnt, sagte zu Bonaventura: »Laß sie, mein Sohn, und störe sie nicht. Ihr Geist hat nun einmal seine miraculösen Alluren, und wer eine Diogena zum Weibe begehrt, muß sich bei Zeiten daran gewöhnen. Man muß sie lieben, denn dompliren kann man sie nicht.«
»Oder man muß liebenswerth sein und von ihnen geliebt zu werden verdienen,« rief ich mit prächtiger Impertinenz, und eilte auf mein Schlafzimmer, wo ich in bittere Thränen ausbrach.
Verwundert hatten mir die Grafen nachgeblickt.
Am Morgen war ich müde und abgespannt von der durchweinten Nacht, das machte mich anscheinend milder. Ich ging mit Bonaventura spazieren, ich hörte all seinen Liebesworten, seinen philanthropischen Ideen, die sein ganzes Wesen warm durchglühten, mit der Ruhe zu, mit der ein hoffnungslos Kranker, der seinen Zustand kennt und resignirt hat, auf die Trostesworte seiner Freunde hört. Seine Liebesworte fand ich kalt, seine Menschlichkeitsprincipien, seine Ideen von der Gleichheit menschlicher Berechtigung kamen mir wahnsinnig [39] vor. Ich schwieg und lächelte; der arme Bonaventura glaubte, ich sei glücklich.
Man hatte einen Erpressen geschickt, um meinem Vormunde das Evenement zu annonciren und seine Zustimmung zu erhalten. Sie langte am Abende des nächsten Tages an. Unsere Verbindung war so wohl assortirt, daß sie das Entzücken aller Angehörigen machte. Die Hochzeit sollte in der Mitte des Sommers gefeiert werden und dann sollten wir reisen, weil doch ein aristokratisches Ehepaar unmöglich ruhig an Ort und Stelle bleiben konnte. Mein Schwiegervater wollte während unserer Abwesenheit die Verwaltung meiner Güter übernehmen.
Ich übergehe die ersten Tage meines Brautstandes, den Abschied von meinem Bräutigam. Ein Gefühl apathischer Stumpfheit war über mich gekommen. Manchmal meinte ich, ich müsse Bonaventura schreiben, daß ich ihn nicht liebe. Dann nahm ich die Feder zur Hand; aber kaum war es geschehen, so blickte von dem Papiere mich sein goldglänzendes Auge an. Mir war, als dränge der Strahl bis tief in meine Seele, ich fühlte seinen flammenden Athem meine Stirn berühren, seine Arme mich an sich ziehen und seine Stimme hörte ich die Worte sprechen: »Und Du willst nicht [40] mein Weib werden?« Dann schien es mir, als müsse ich zu ihm fliegen, ihn um Verzeihung flehen, daß ich ihn nicht anbete. Ich wollte ihn heirathen, die Seine werden, aber – ich liebte ihn nicht. Ich fühlte mein Herz klopfen in gesunden, kräftigen Schlägen, ich hatte also ein Herz und doch liebte ich den schönsten Mann nicht, den vielleicht die Erde je getragen hatte. Und Bonaventura war geistreich, edel, großmüthig! Ich war mir selbst ein Räthsel.
Je näher mein Hochzeitstag kam, je mehr stieg meine Beängstigung. Da fiel ich in meiner Angoisse darauf, mich an Rosalinde zu adressiren, die mir die ersten Details über die Liebe in den höhern Sphären gegeben hatte. Die gute Dornefeld konnte mir nicht helfen, das fühlte ich klar. Ihre blöde, bornirte Weiblichkeit lag ganz außer den Grenzen einer Diogena; aber Rosalinden klagte ich meine Noth. Sie hörte mir schweigend zu und sagte: »Meine Comtesse! Wie Sie ein adorabler, schuldloser Engel sind! Aber wer denkt denn daran in der vornehmen Welt, seinen Mann zu lieben? Darauf konnte nur ein so candides Geschöpf kommen, wie meine holde Comtesse! Man heirathet seinen Mann, man wird die Mutter seiner Kinder, aber man liebt ihn nicht; im Gegentheil, [41] man findet ihn unerträglich annuyant und er ist es auch; denn er denkt an materielle Interessen, er will sich ein Sort machen, das Sort seiner Kinder sichern, den Namen seines Hauses erheben und dergleichen. Er will ein Staatsbürger, ein Landstand, oder gar ein Kosmopolit sein – Solch ein Wesen kann man ja nicht lieben. Solch ein Wesen hat einen Schlafrock.«
»Auch in der Aristokratie?« fragte ich mit Entsetzen.
»Auch in der Aristokratie!« bekräftigte Rosalinde unerbittlich, und fügte hinzu: »Einen Schlafrock und oft sogar Pantoffeln, und es raucht Cigarren am Morgen und gähnt bisweilen am Abend, und liest Journale und ist in unserer Zeit, da er gewöhnlich Landbesitzer und Landstand ist, der öffentlichen Meinung des bürgerlichen Pöbels unterworfen.«
»Aber das ist ein Horreur!« rief ich und schlug schaudernd die Händchen zusammen; »aber ein solches Wesen kann man ja nicht lieben, das hat ja kaum Zeit an die Liebe zu denken.«
»Nein! es denkt auch gar nicht daran.«
»Aber was soll ich denn anfangen! rief ich in Verzweiflung. »Du siehst es, Rosalinde, ich liebe meinen Bräutigam schon jetzt nicht, weil der ganze künftige Ehemann schon aus seinem Wesen hervorblüht. [42] Ich muß ihn ja hassen und verabscheuen, wenn er wirklich ein veritabler Ehemann geworden sein wird. Was soll ich dann beginnen? Sieh, meine Verzweiflung, Rosalinde, ist so übermächtig, daß sie meine Natur bouleversirt, daß sie mich zwingt, sogar vor dir, die du mir nicht ebenbürtig bist, mein Herz auszuschütten; fühle die Ehre, die ich dir thue, hilf mir, rathe mir, wen soll ich lieben? Denn lieben muß ich!«
Ich schwamm in Thränen. Ich hatte mich auf die braune Sammetcouchette meines hellblauen Salons geworfen. In dunkelblaue Shawls gehüllt, die mir von Schultern und Armen herabgeglitten waren, sah ich mit meinen goldblonden Locken, wie ich so auf der braunen Couchette dalag, wie Correggio's büßende Magdalene aus, die sich in bereuendem Schmerze auf den dunkelbraunen Steinen der Felshöhle niedergeworfen hat.
Rosalinde kniete neben mir nieder, halb zu meinen Füßen hingezogen von dem Dankgefühl über die Gnade meiner Confidenz, halb überwältigt von dem Zauber meiner fascinirenden Schönheit. Sie küßte meine fabelhaft kleinen Füßchen und sagte: »O, Comtesse, menagiren Sie ihren gerechten Schmerz. Das Leben hat Compensationen. Es ist wahr, es ist ein Horreur, daß man einen Ehemann nicht [43] lieben kann auf jenen aristokratischen Höhen, aber es gibt Liebhaber, bezaubernde, müßige, magnifique Liebhaber, die Nichts thun, Nichts, absolut Nichts, als lieben und diese Liebhaber liebt man.«
Man hat von Leuten erzählt, die plötzlich von einem furchtbaren Schmerze befreit, nach vielen langen, schlaflosen Nächten, mit einer fabelhaften Spontaneität in Schlaf versinken, und miraculös geheilt erwachen. So ging es mir. Jener Revelation Rosalindens folgte seit meinem ganzen Brautstande der erste ruhige Schlaf. Ich sah einen Hoffnungsstern leuchten durch die Nacht meines Ehelebens und mit dem Blick auf diesen Stern kam Friede und Freudigkeit in mein Herz.
Ich hatte mit Zuversicht mein Jawort am Altare gesprochen, wir waren in die Reisekalesche gestiegen und in Baden-Baden angelangt, bald der Mittelpunkt der beau monde geworden, um den sich die Elite dieser Saison bewegte.
Mein Mann fand viele seiner Reisebekanntschaften in Baden schon anwesend und sehr begierig, mich kennen zu lernen. Schon am ersten Abend präsentirte er mir drei junge Männer, den Fürsten Callenberg, einen Vicomte Servillier und einen Lord Ermanby, mit denen die Ausflüge für die nächsten Tage verabredet wurden.
[44] Diese drei Männer waren von sehr divergirenden Charakteren. Fürst Callenberg, der Sohn des Fürsten Gotthard von Callenberg und der edeln Cornelie, Witwe des Grafen Sambach, hatte ganz das wunderbar impassible Temperament seines Vaters geerbt. Jahre lang hatte Fürst Gotthard mit einer instinctiven, nie encouragirten Treue an Gräfin Cornelie gehangen, war ihr instinctiv gefolgt und hatte constant geschwiegen oder im Halbschlummer vor ihr in den Fauteuils gelegen, so lange Eustach Graf Sambach lebte. Da er in seinem Leben Nichts wahrhaft empfunden, Nichts entschieden gewollt hatte, und doch von der magnetischen Attraction der Gräfin jahrelang wie ihr Schatten an sie gebannt blieb, so präsumirte er, das werde wol Liebe sein. Er heirathete die Gräfin nach dem Tode ihres Mannes und nach der Verstoßung ihres Liebhabers, des bürgerlichen Lenor Brand.
Ich kannte zufällig diese Geschichten und Verwickelungen, und war durch die superbe Herzenskälte seiner beiden Aeltern zu Gunsten des jungen Fürsten prävenirt. Auch entsprach er vollkommen dem edeln Bilde, das ich mir von ihm gemacht hatte. Stundenlang konnte er mit seiner Gigantentaille mir gegenüberstehen und mich regungslos [45] anstarren, ohne eine Sylbe zu sagen, ohne durch ein Zeichen zu verrathen, daß er mir nur zuhöre, wenn ich sprach. Aber so wie ich mich erhob, stand auch er auf. Er trug meine Echarpe und meine Ombrelle, er machte meinen Stallmeister, wenn ich reiten wollte, holte mir den Mantel aus dem Wagen, sobald es kühl wurde, und that all die Dienste, die bei ordinairen Frauen ein indifferenter Lakei verrichtet, mit einer Devotion, mit einem Eifer, daß man sah, er werde durch den Impuls eines tiefen, sich selbst nicht bewußten Gefühls getrieben.
Ich kann nicht sagen, daß diese Art der stummen Huldigung, so sehr sie bon genre war, mich wesentlich interessirt hätte. Ich gewöhnte mich bald daran, den Fürsten mir folgen zu sehen, wie ein Planet seiner Sonne folgt, aber es ließ mich kalt. Nur wenn ich mit andern Männern sprach, wenn ich andern, brillantern Männern einen Vorzug vor ihm gab, und eine Wolke schweren Depits sich über das impassible Gesicht des Fürsten lagerte, dann machte es mir eine Art von Freude, ihn anzublicken und zu denken, daß ich selbst diesem Marmorherzen ein, wenn auch nur momentanes und factices Leben einzuhauchen verstände.
Und brillanter war der Vicomte Servillier allerdings. [46] Feurig, phantasiereich, petillant und vacillirend, wie alle Kinder der Provence, glich er auch in seinem Aeußern den sinnigen, glühenden Troubadours der cours d'amour. Er machte entzückende Verse und sang sie vortrefflich nach selbst erfundenen Melodien. Gleich, als mein Mann mir ihn vorstellte, sagte er mit einem Blicke, in dem sich die ganze heiße Innerlichkeit seiner Natur enthüllte: »Um Gotteswillen, Bonaventura, wie kannst Du in dem Strahlenglanze dieser Göttererscheinung leben, ohne zu fürchten, daß sie dich emporwirbelt von der Erde hinweg in die flammende Sonnenregion, der sie entsprossen ist!«
Es lag allerdings etwas provencalische Jactance in dieser Interjection, aber der Graf war diese von Servillier gewohnt und mich söhnte die Wunderlichkeit der Begrüßung mit dem Auffallenden derselben aus. Lord Ermanby sagte gar Nichts, setzte sich schweigend nieder, den röthlich blonden Lockenkopf gegen einen Baumstamm, die Füße auf einen Stuhl gelegt, den er hin und her balancirte, während er den Knopf seiner Badine im Munde hielt. Er war ein Typus vongood breeding.
Mein Leben ging nun seinen ruhigen Gang, wie das Leben aller Neuvermählten. Ich hatte Rosalinde mit mir genommen, da sie durch ihre [47] frühere Liaisons mit Männern der beau monde sich eine gewisse elegante Ausdrucksweise angewöhnt hatte, die sie mir erträglicher machte, als andere gewöhnliche Kammerjungfern. Zudem besaß sie aus der Zeit ihrer Seiltänzercarriere eine große Toilettengeschicklichkeit, war klug und mir mit vollkommener Treue attachirt und hatte wirklich alle Qualitäten einer ausgezeichneten Kammerfrau.
Am Morgen ging mein Mann und ich an den Brunnen, wo wir unsere Freunde trafen, dann pflegte Bonaventura in das Lesecabinet zu gehen und die Tagespapiere zu durchblättern, auch Lord Ermanby und der Vicomte schlossen sich ihm an. Nur der Fürst besaß den Vorzug eines echten, deutschen Cavalieres, sich nicht im Geringsten um die Vorgänge in der Welt zu bekümmern. Die Welt, die Tagesereignisse, Politik und Literatur interessirten ihn nicht; seine Güter verwaltete ein Intendant, seine Revenuen wurden ihm zugeschickt, er fragte nicht um Politik, nicht um Literatur, er lebte ein durchaus müßiges und vornehmes Dasein.
Diese phänomenal aristokratische Natur fing an, mich allmälig zu beschäftigen. Eines Abends kehrten wir um zwölf Uhr von einem Spaziergange in unsere Wohnung zurück. Unsere Freunde hatten [48] uns verlassen, wir waren seit langer Zeit zum erstenmale allein, mein Mann und ich, und ich ließ den Thee in meinem kleinen Boudoir serviren.
Es war ein comfortables, lauschiges Plätzchen. Grüne Weinranken zogen sich zu den geöffneten Fenstern hinein und fielen bis auf den grünen Sammetdivan, auf dem ich lag. Ich hatte ein weißes Negligee übergeworfen, kleine blaßblaue Atlaspantöffelchen angezogen und lag nun so da, wie eine Nachtviole, die in holder Schönheit bewußtlos blüht, unter dem sanften Strahl des Mondes. Eine Astrallampe mit leichtem Ueberwurf verbreitete ein mildes Licht und unter der silberhellen Theevase sprühte die kleine röthliche Flamme, in die ich träumerisch blickte, als Bonaventura hereintrat.
Er sah mich ganz bezaubert an und knieete zu mir nieder. »Wie Du schön bist, meine Diogena!« sagte er, »wie Du schön bist!« wiederholte er und ergriff meine Hände, die er küßte.
Ich ließ es schweigend geschehen. Bonaventura setzte sich auf den Divan nieder und sprach: »Nimm nur Deine Füßchen in Acht, daß ich sie Dir nicht drücke, denn sie müssen müde sein, meine Diogena! Du bist heute miraculos umhergewandert und ich selbst fühle mich fatiguirt.«
[49] Ich legte mich schweigend mehr gegen die Wand zurück, um ihm Platz zum Sitzen zu lassen, da rief er: »Aber Diogena! warum antwortest Du mir nicht, mein Engel! Warum soll ich den süßen Ton Deiner Stimme nicht hören?«
»Es gab eine Zeit, in der es Dir genügte, mich anzuschauen; eine Zeit, in der Du zu erliegen fürchtetest, wenn ich dies Glück noch durch den Zauber meiner Stimme erhöht hätte.«
»O, das war damals!« sagte er scherzend, »nun bin ich aber schon an Deinen Schönheitszauber gewöhnt, er ist mein eigen geworden und Du kannst mir die süßen Worte Deiner Lippen gönnen, ohne Furcht, daß ich vor Seligkeit Dir sterbe, so selig Du mich machst. Darin besteht ja die Wonne der Gewohnheit, meine Diogena!«
»Ich bitte Dich, Bonaventura! verschone mein Ohr mit solchen Worten, erniedrige mich nicht durch solche Reden. Als ob das Schöne uns nicht ewig neu, nicht ewig entzückend bliebe; als ob Sonne und Mond und Sterne, und die Natur uns nicht ewig die gleiche Sensation einhauchten!«
»Sonne, Mond und Sterne wohl, aber vielleicht grade darum, weil sie uns unerreichbar sind, weil sie trotz unserer Sehnsucht, trotz unsers Verlangens, nie zu uns herabsteigen. Thäten sie dies [50] und würden sie unser eigen, wie ein geliebtes Weib, auch der Besitz der himmlischen Gestirne würde uns zu einer süßen, wenn auch unentbehrlichen Gewohnheit werden,« meinte Bonaventura, und wollte mich zärtlich in seine Arme ziehen.
Ich machte mich aber mit einer prächtigen Indignation von ihm los und sagte: »Nun, so will ich wenigstens nicht dazu thun, Dir zur süßen Gewohnheit zu werden; ich will Dir lieber entbehrlich sein und ich bin es Dir schon, denn wir Beide verstehen und verstanden uns nie.«
»Diogena! um der Liebe willen, welche Anwandlung!« rief Bonaventura, ganz foudroyirt von meinem wundervollen Zorn.
»Nein, nein, Bonaventura!« sagte ich, und schüttelte schmerzlich lächelnd mein Haupt, indem ich die rosigen Händchen abwehrend gegen ihn bewegte, »täusche Dich nicht, Du liebst mich nicht, ich weiß es. Du ermüdest an meiner Seite.« –
»Aber Diogena! wer kann wie Du Strapazen ertragen, die den stärksten Körper vernichten müßten. Du hast heute zwei Stunden am Morgen promenirt mit dem Vicomte, dann bist Du in brennender Sonnenhitze nach Karlsruhe gefahren, die Museen in Augenschein zu nehmen, hast das Schloß, die Bibliothek, die indifferentesten Kirchen [51] durchwandert. Heimgekehrt bist Du auf die Iburg zu einem Dejeuner geritten, dann zu Fuß hinabgegangen. Wir haben in dem wüsten Menschengewühle des Hôtel d'Angleterre dinirt, haben einen langen Ritt über Lichtenthal hinaus in die Berge gemacht, zwei Stunden im Salon der Fürstin Orzelska getanzt, und schon, als wir nach Hause fuhren und ich vor Ermüdung zusammenbrach, hat Deine üble Laune ihren Anfang' genommen. Wohl Dir, daß Du trotz Deiner Irritabilität und Nervosität dergleichen Fatiguen täglich erdulden kannst, ich kann es nicht und will es nicht, und Niemand kann das.«
»Der Fürst Callenberg kann es dennoch,« warf ich hin.
»Weil er nur ein Körperleben führt, nicht denkt, nicht fühlt und durch dies wahnsinnig leere Treiben nicht zu Tode gelangweilt wird, wie ich.«
»Und was denkst Du?« fragte ich.
»Ich denke, daß ich Dich davon erlösen, Dich einer edlen Weltanschauung entgegenführen muß, weil ich Dich, liebe Diogena! weil ich nicht leben kann ohne Dein mildes, sonniges Lächeln; weil ich die Ekstase Deines Kusses nicht entbehren kann! O, Diogena! wende Dich nicht von mir. Denke an den ersten Abend unsers Begegnens, denke an –
[52] »Spare Deine Worte, ich glaube Dir nicht mehr!« sagte ich kalt. »Du hängst an der Erde, an der Zeit und ihren Interessen – die Liebe aber stammt vom Himmel und ist unendlich. Sie kennt keine Zeit, die Menschheit kümmert sie nicht und sie hat keinen Zweck als sich selbst. Solch eine Liebe muß ich finden, oder untergehen; Du hast sie nicht, Du kennst sie nicht und kannst sie nicht bieten, darum habe ich Nichts mit Dir gemein.«
Mein Busen hob sich in convulsivischem Weinen, meine Augen sprühten in unerhörtem Lustre, ich glich einer zürnenden Gottheit und war irresistible. Mein Mann warf sich vor mir nieder, er küßte meine Füßchen, er versprach, sich von allen vernünftigen Interessen loszusagen, er wollte seine ganze ernste Vergangenheit desavouiren und nur ein Leben der Liebe leben für mich. Seine Worte ließen mich kalt, seine flammenden Küsse machten mich fast schaudern, ich war in Desespoir, mir selbst ein Gegenstand des Horreurs. Meine Kraft drohte zu erliegen, da nahm Bonaventura mich in seine Arme, und leise weinend wie ein müdes Kind, faltete ich trostlos meine Händchen zum Gebete und schlief von seinen Küssen überdeckt, in seinen Armen ein.
Am Morgen erwachte ich in Zorn gegen mich[53] selbst. Ich hatte keinen Glauben in die Versprechungen meines Mannes und dennoch sah ich gleich an dem Tage, daß er Ernst mache, sie zu erfüllen. Er besuchte das Lesecabinet nicht mehr, er vermied alle Männer von geistiger Distinction, mit denen er sonst zu conversiren pflegte, er wich, wie Fürst Callenberg, nicht von meiner Seite.
Servillier, eitel wie alle Franzosen, hielt dies für ein Zeichen von Jalousie, fühlte sich dadurch geschmeichelt und vermehrte seine Attentionen für mich. Mich brachte dieses Benehmen meines Mannes in eine wunderbare Position. Wollte ich nicht das Ridicule über mich nehmen, von der Laune eines eifersüchtigen Gatten tyrannisirt zu werden, so blieb mir keine Wahl, als zu zeigen, daß ich frei sei, die Huldigung der Männer anzunehmen. Ich schwankte, welchen von meinen Adorateuren ich bevorzugen wolle, denn alle Drei waren mir unaussprechlich indifferent. Da entschied ein Moment, ein Zufall meine Wahl.
Bonaventura hatte nach wenig Tagen, da ihm seine sogenannten ernsthaften Occupationen fehlten und ich unmöglich in der Laune sein konnte, ihn in seinem Attachement an meine Person zu encouragiren, angefangen sich furchtbar zu langweilen. So oft ich nach ihm hinblickte, saß er mismuthig [54] da und schon mehrmals hatte ich ihn gähnen sehen, das machte ihn mir vollends insupportable. Ich nahm gar keine Rücksicht auf ihn und es war mir ein Soulagement, als ich bemerkte, daß ein ganz unbedeutendes, schlichtes Fräulein von Elsleben, eine Cousine des Fürsten, die mit ihrem Vater, einem preußischen Gutsbesitzer, eben angekommen war, ihn zu beschäftigen anfing. Sie war eine ganz gewöhnliche, weibliche Erscheinung, ein unschuldiges Kind, das für mich dadurch ein Ridicule bekam, weil der Vater sie immer »meine Mieze« nannte. Eigentlich hieß sie Aurora, nach ihrer verstorbenen Mutter; aber auch diese war von dem Vater »Mieze« genannt worden und so führte er aus Pietät den Namen auch in der Tochter fort.
Aurora zu Ehren war ein Dejeuner auf dem alten Schlosse veranstaltet worden. Man ritt theils auf Eseln, theils zu Pferde hinauf. Mein Mann machte den Cavalier Aurora's und that ängstlich um sie besorgt, während ihr Vater ihm unablässig zurief: »Geben Sie Acht, bester Graf! daß meine Mieze nicht vom Esel fällt; halte Dich fest Miezchen! Du bist noch nie geritten, so ein Esel ist eine eigensinnige Bestie und keine bequeme Familienkutsche, in der man so sicher sitzt wie in Abrahams [55] Schoos; biege Dich weiter nach hinten, Miezchen!« und wie dergleichen Ermahnungen denn weiter hießen.
Mich packte ein solcher Degout vor diesen ganz ignobeln Menschen, und vor Bonaventura, den dies höchlich zu belustigen schien, daß ich zu Servillier sagte, der grade in meiner Nähe war: »Um Gottes Willen, Vicomte, lassen Sie uns absteigen und einen Fußpfad einschlagen, denn die Anwesenheit dieser Menschen macht mich nervos.«
Servillier bot mir die Hand, ich ließ mich von meinem Pferde herabheben, und wanderte mit ihm durch den Baumschatten den Berg in die Höhe; wie immer folgte der Fürst in gewisser Entfernung. Ganz gegen seine Gewohnheit schwieg Servillier eine Weile, dann sagte er: »Wenn ich Sie so ansehe, meine Gräfin, so frage ich mich immer, welch ein splendides Gestirn über dem Grafen geleuchtet hat, daß ihm eine Diogena zu Theil ward; ja welches Gestirn über diesem Jahrhundert leuchtet, daß Sie uns gegönnt sind.«
»Sie sind grandios in Ihren Exagerationen, Vicomte!« warf ich mit der Gleichgültigkeit hin, mit der man solche banale Phrasen beantwortet und selbst verschwendet.
»Meine Gräfin!« rief er aus, »o, hören Sie [56] mich an!« – Er führte mich zu einer der Bänke, die sich auf dem Wege fanden, nöthigte mich darauf niederzusitzen und legte sich mir zu Füßen hin, während er anmuthig meine Hände hielt und sie mit spielender Grazie an seine Lippen drückte. Dann erhob er sich etwas und sagte knieend: »Madonna! Du mußt ein Kind des Südens sein! Nur der Süden erzeugt solch glänzend poetische Erscheinungen wie Du! Im schönen Griechenland stand die Wiege Deiner Ahnen; dort hat der goldene Sonnengott Deine goldenen Locken angestrahlt, dorthin, nach dem Süden gehört Deine flammende Existenz! – O, Madonna! Du hättest im Mittelalter leben müssen bei uns in der schönen Provence, an den Ufern des blauen Meeres, die Königin der Herzen und der Cours d'amour!«
Ich hörte ihm schweigend zu und träumte mich zurück in die Tage, von denen er sprach, in ein Zeitalter, in dem Liebe ein Cultus war, und man die Frauen wie Göttinnen anbetete aus scheuer, blöder Ferne. Ich fragte mich, ob das die Liebe sei, die ich gesucht? – Servillier blickte mit seinen großen, brennenden Augen so fest in die meinen, daß es schien, als wolle er in den profundesten Tiefen meiner Seele lesen. Ich empfand Nichts für ihn, mein Herz war kalt und still, aber ich [57] erbebte vor seinem fascinirenden Blick, seine Glut dominirte mich. Ich wollte mich erheben, er ließ es nicht zu. Mit festen Armen umschlang er meine Taille: »Diogena! Madonna!« rief er aus, »nicht diesen kalten, herzlosen Blick, der in das Weite vaguirt; auf mich, Diogena! wende Deine Augen. Sieh mich zu Deinen Füßen, fühle meine Arme, die Dich enlaciren, die Dich halten, um Dich Deinem kalten, berechnenden Gatten zu entreißen, Dich dem Norden zu entführen, wo Schnee und Eis sich um Dich lagern! – Diogena! mein Engel! folge mir in meine schöne Provence, denn Du mußt folgen, Du mußt mein sein; denn ich lasse Dich nicht, auf mein Wort, ich lasse Dich nicht! Aber Diogena, Du hast kein Herz!«
Er hatte mich an sich gepreßt, mir schwindelte, meine Sinne drohten mich zu verlassen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust, ich wußte nicht, ob ich träume oder wache, glücklich oder miserabel sei. Ich empfand eigentlich gar Nichts und willenlos duldete ich die stürmischen Küsse und Schwüre des Vicomte.
Als ich mich erholte, fiel mein erster Blick auf den Fürsten Callenberg, der in einiger Entfernung stehen geblieben war. Mit der ihm eigenen Impassibilität und Discretion hielt er meinen Shawl [58] und meinen grünen Fächer, und that, als ob er sich mit diesem spielend gegen die Sonne schütze, nur um mir durch seine unvermeidliche Gegenwart nicht à charge zu sein.
In der Ferne erblickte ich meinen Mann und Aurora. So wenig liebte er mich, daß er mich ruhig den leidenschaftlichen Bewerbungen des Vicomte überließ, die ihm nicht entgangen sein konnten. Das ganze Gewicht des schmerzlichen Irrthums, der mich mit ihm verbunden hatte, die trostlose Leere meines Herzens an seiner Seite, das passionirte Verlangen nach Liebe und Liebesglück standen in frappirender Deutlichkeit vor meinem innern Auge. Alles, was Bonaventura mir zu bieten hatte, kannte ich nun à fond, hatte ich ungenügend gefunden. Ich wußte, daß solche ekstatische Momente, wie er sie in den Stunden unsers ersten Begegnens gehabt, eben nur Momente waren, die seinen modernen Ideen von der Pflicht gegen die Zeit und die Menschheit immer weichen mußten. Ich mußte mir gestehen, daß er in den Augen der Welt ein sehr achtbarer Charakter, das Muster eines jungen Edelmannes sei, aber er war nicht das Ideal eines Mannes, wie ich es mir geträumt hatte, wie ich es zu finden berechtigt war. Ich fühlte, es würde mir nicht Ruhe lassen, bis[59] ich den Rechten gefunden hätte, und in diesem Augenblicke ward mir, wie durch mysteriöse Revelation, der Sinn meines Wappens klar und zum Lebensgesetze.
Servillier hielt, wie vernichtet durch mein Schweigen, noch immer meine Hände in den seinen; eine tiefe Glut lag über seinem ganzen Wesen ausgebreitet. Eine dämonische Stimme in mir rief: Versuche, vielleicht ist er es. – Ich blickte ihn fest an, ich wollte es mit meinem Auge in dem seinen lesen; meine fascinirende Kraft magnetisirte ihn. »Diogena!« rief er mit einer solchen Gewalt und Intensität der Liebe, daß der Ton tief in meinem Innern wiederklang; eine Ahnung möglichen Erfolges durchzuckte mich, und überwältigt von einer namenlosen Sehnsucht nach Glück, lehnte ich mein Haupt an ihn und sagte ganz bewildert: »O, wenn Du lieben kannst, lehre mich lieben!«
»Und Du hast nie geliebt?« fragte er, beseligt von dem Gedanken, der erste Mann zu sein, der all die seligen Emotionen in mir hervorzurufen erwählt war, welche wir Liebe nennen. »Du hast nie geliebt? O! Aber das ist ja zu viel Wonne! zu viel! Madonna!«
»Nein! Anatole!« sagte ich, »nicht zu viel für das Gut, das ich von dir erwarte; nicht zu viel, [60] wenn Du ein Mann bist, wie ich ein Weib; wenn Du die Kraft besitzest, das Perpetuum mobile meines Herzens zu sein, es unablässig in der immer gleichen Vibration ekstatischen Vollgefühls zu erhalten.«
»Und was muß ich dazu thun? Madonna!«
»Wie kann ich's wissen, da ich's noch nicht fand?«
»O! rief er, nun sollst Du's kennen lernen! Komm! komm! mein Engel! laß uns hinauf zu den hellsten Höhen des Berges! Laß uns hinauf ins Freie, und wenn die Erde in ihrer zauberischen Schönheit sich vor dir ausbreitet, wenn die Sonne Alles goldig beleuchtet, dann denke, daß ich der Beherrscher der Welt sein möchte, um Dir sie zu Füßen zu legen, und daß ich wollte, meine Liebe wäre wie die Sonne, um Dein ganzes Wesen zu beleben und zu durchleuchten, wie jene die Welt.«
Mit einem Jubelrufe hob er mich in den Sattel und wir sprengten mit solcher Eile den Berg hinan, daß wir, trotz des Aufenthaltes, oben in den Ruinen vor allen Andern angelangt waren. Zum ersten Male fehlte der Fürst an meiner Seite. Er war in einen wunderlichen Conflict mit sich selbst gerathen. Als wir seinen Blicken entschwunden waren, fuhr er sich mit der Hand über die Stirne, wie Jemand, der einen wüsten Traum geträumt hat.
[61] »Diable!« sagte er zu sich selbst! »wie ist mir denn? Mir ist so warm, als hätte ich eine Wette gehalten beim Pferderennen, und hätte die Partie verloren. Aber was kümmert mich denn die Comtesse mit ihrer Miene à la sainte N'y touche; mag sie doch lieben wen sie will, das ist des Grafen Sache. Was kümmert's mich! Ich liebe sie nicht, aber dieser Servillier ist mir odios! Wo er nur mit ihr sein mag?«
Verdrießlich schlug er mit der Reitpeitsche gegen die zunächst stehenden Bäume und trabte meditirend und übler Laune den Berg in die Höhe.
Wie im Rausche vergingen mir die nächsten Tage und Wochen. Anatole war wie ein angezündetes Feuerrad, in rastlos brennender Bewegung. Er liebte mich wirklich; er begriff die tödtliche Leere meines armen unersättlichen Herzens, er begriff die Apathie, in die ich versank, wenn ich nicht ewig in immer neuen Emotionen erhalten wurde. Er war erfinderisch, wie nur die wahre Leidenschaft es macht. Unablässig hörte ich von ihm sprechen und immer in der Weise, welche für uns Frauen so viel Charmes hat. Bald sprach man davon, daß er Unsummen an der Bank pointirt und verloren oder gewonnen habe, bald hatte er, der magnifiqueste Reiter, ein Racepferd acquirirt,[62] das der Großherzog zu kaufen refusirt hatte, wegen des enormen Preises. Da ich erklärt hatte, daß die impassible Galanterie des Fürsten mir unerträglich sei, und daß mich nur eine Huldigung entzücken könne, die mich wie die Liebe meines Schutzgeistes unsichtbar umschwebe, wußte Anatole tausend Mittel ausfindig zu machen, um in meiner Nähe zu sein und unbemerkt für mich zu sorgen.
Machte man eine Partie auf Eseln, so trat oft der Führer desselben, den ich als einen bezahlten Menschen nicht beachtet hatte, leise an mich heran, als ob an dem Sattelzeuge Etwas verdorben sei, und aus dem gewaltigen blonden Barte, der ihn für Jedermann unkenntlich machte, fragten mich Anatole's blühende Lippen: »Madonna, schlägt Dein Herz?« – Aber Anatole's Anbetung fing an, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, nur mein Mann schien sie nicht zu bemerken. Fräulein Aurora dominirte als Sonne an seinem Horizonte und blendete ihn so, daß er für mich kein Auge mehr hatte. Mein Stolz war auf das Empfindlichste verletzt. Eines Tages fand mich Anatole in Thränen.
Der Glanz meiner Farben war wie erblichen, mein Antlitz sah wie ein klarer weißer indischer Mousselin aus, den man mit dem zartesten rosenrothen [63] Taffet gefüttert hätte; wie leichte blauseidene Plattschnürchen liefen die Adern darunter hin.
»Du weinst, Madonna?« fragte er. »Bist Du nicht glücklich durch meine Liebe?«
»Ich liebe Dich nicht, Anatole!« sagte ich. »Ich kann Dich nicht täuschen. Du bist brillant, Du bist sublime als Cavalier und Du liebst mich; aber fühle es, mein Herz klopft ruhig und still. Meine Nerven versinken in ihre frühere Apathie und in diesem Momente ist es allein der Depit über meines Mannes Vernachlässigung, der meinem Dasein noch einen Impuls, einen Anschein von Leben gibt. Ach, ich fühle es, ich werde sterben, denn mir fehlt die bewegende Kraft für meine Existenz. Ich schlafe ein vor Unmöglichkeit zu leben.«
»Aber Madonna!« rief Anatole in Verzweiflung, »Du empfindest Nichts, Nichts? Und ich verzehre mich in Gluten, die Deine Schönheit anfacht, Deine Blicke nähren! Du erwiederst den Druck meiner Hand, Du duldest meine flammenden Küsse – und Du liebst mich nicht! Du sagst, Du empfändest Nichts? Aber was soll ich denn thun, damit Du lebst, statt zu sterben?«
»Lehre mich lieben! Lehre mich fürchten und hoffen, aufjauchzen und verzweifeln, laß mich die ganze Scala der Sensationen durchlaufen in dem [64] Gedanken an Dich, und mache, daß dies nie, niemals ende und wie eine Sklavin ihrem Herren will ich Dein eigen sein.«
Anatole kreuzte die Arme über der Brust, sah mich mit einem langen desidirten Blicke an, sagte mit gepreßter Stimme: »Leb' wohl, Diogena!« und sprang vom Balkon, auf dem ich saß, hinunter in den Garten.
Ein furchtbares Zittern durchflog meine Nerven. Ich schickte, als ich mich erholt hatte, meinen Diener in die Wohnung des Vicomte, mich nach seinem Befinden zu erkundigen; man brachte mir die Antwort, er sei heimgekehrt, dann ausgegangen und seine Domestiken packten seine Sachen, da er in einer Stunde abreisen werde.
Ich blieb ruhig und kalt wie immer. Er war mir eine Zerstreuung gewesen, Nichts mehr, Nichts weniger. Dennoch fehlte er mir am Morgen und die Frage meines Mannes, wo mein Cavaliere servente geblieben sei? die Auskunft, welche die Gesellschaft von mir über sein Verschwinden verlangte, hatten in der That etwas Embarrassirendes.
Ich hielt mit aller Sicherheit einer Weltfrau Contenance und Fürst Callenberg und Lord Ermanby benutzten den Zeitpunkt, ihre nicht beachteten Prätensionen geltend zu machen. Ich war, [65] nicht in der Stimmung, sie zu encouragiren, dennoch nöthigte mich meine wunderbare Position dazu. Von meinem Manne gänzlich negligirt, von Servillier urplötzlich verlassen, mußte ich die sehr auffallende Lücke durch eine neue Wahl füllen und Servillier's Abreise dadurch motiviren.
Des Fürsten war ich gewiß. Er war eine jener seltenen Naturen, die niemals ihren Posten verlassen; ich war so gewiß ihn zu finden, wie den Reflex meiner Person in dem ungetrübten Glase eines Spiegels, und zudem lag in dem wunderlichen Wesen des Lords einje ne sais quoi, das mich agacirte.
Er selbst war dermaßen ennuyirt und blasirt, daß es fast das non plus ultra dieses Genres war; aber ich habe nie einen Mann besser gekleidet gesehen als ihn, nie einen Mann gekannt, der so vollkommen Gentleman war als er. Er hatte nie versucht sich an die Stelle meines Mannes zu drängen, so lange er mich in gutem Einverständniß mit diesem wähnte, nie daran gedacht, die Rechte streitig zu machen, welche ich Servillier später zugestand. Dazu war er zu delicat, aber dennoch glaubte ich, daß er sie beneide, daß er mich liebe und daß ein Blick, ein Wort von mir ihn glücklich und elend machen könne.
[66] Als Servillier abgereist war und ich am nächsten Morgen auf der Promenade des Lords Arm annahm, war er ganz bewildert von diesem Glücke und nahm es als ein Signal, mir von nun an ausschließlich seine Zeit zu weihen. Anfangs quälte mich sein Phlegma unbeschreiblich, seine grenzenlose Schweigsamkeit impatientirte mich, bald aber fand ich darin einen Reiz, den ich nie in der Impetuosität des Vicomte empfunden hatte. Was kann ein Mann uns sein, der uns unablässig die Gefühle seines Herzens enthüllt, der nichts Verborgenes in seiner Seele hat, den wir auswendig wissen?
Mit dem Lord war das ein Anderes. Er sprach halbe Tage lang gar nicht und da ich dennoch fest von seiner Liebe überzeugt war, so lag ein eigenthümlicher Zauber für mich darin, in seinem stillen, kalten Antlitz nach den Gedanken, nach den Gefühlen zu spähen, von denen er bewegt war. Oft saß er mir dann Stunden hindurch gegenüber und der schaukelnde Stuhl und ein leises Gähnen verriethen mir, daß er lebe. Ich respectirte dies Gähnen; es war nicht, wie bei meinem Manne, das Gähnen nach der Arbeit und Ermüdung des Tages, das Gähnen der Theilnahmlosigkeit, das mich so unsäglich in ihm beleidigt hatte; es war jenes erhabene [67] Gähnen der Blasirtheit, der Leere, der tödtlichsten Langeweile, das mir sympathisch war, das ich vollkommen begriff. O! und es ist auch ein Unterschied zwischen dem Gähnen des Liebhabers und dem Gähnen eines Ehemannes! Das Eine reizt unsere Eitelkeit, das Andere vernichtet sie; das Eine belebt uns, das Andere ist der Tod.
Lord Ermanby's Blasirtheit interessirte mich, denn sie war der Reflex meiner eigenen Leiden. Ich hatte Erbarmen mit ihm, ich beschloß, Alles daran zu setzen, diesen Unglücklichen zu galvanisiren durch die Macht meiner Gefühle, ich wollte ihn glücklich machen und darin vielleicht selbst eine Befriedigung finden.
Man sprach in jenen Tagen unablässig von Servillier's Verabschiedung und von meiner neuen Liaison mit dem Lord. Mein Mann mochte es für angemessen halten mich darüber zur Rede zu setzen und trat eines Abends mit aller Majestät eines beleidigten Gatten in mein Zimmer, als Rosalinde grade einem neu engagirten Kellner die Arrangements für meinen Theetisch zu machen zeigte.
Der Graf hieß die Dienerschaft sich zu entfernen, der Kellner zögerte und es frappirte mich, daß er mit einer Art von Angst abwechselnd den [68] Grafen und mich betrachtete; indessen währte das nur einen Moment, da Rosalinde ihn mit sich hinauswinkte. Kaum waren wir allein, als der Graf sich förmlich in Position setzte, um mir in aller Form zu imponiren.
»Diogena!« sagte er, »wir sind kaum zwei Monate verheirathet und schon ist jedes Band der Liebe zwischen uns zerrissen. Wie soll das werden für die Zukunft?«
»Handle nach Deinem Belieben, wie Du es ja auch jetzt thust! Oder hindere ich Dich etwa dem blonden Fräulein zu folgen von früh bis spät?« sagte ich stolz.
»Du bist prächtig in diesem Stolze, Diogena!« fuhr Bonaventura auf. »Du! Du wagst es mir Vorwürfe zu machen? Und war es nicht Deine caprizieuse Kälte, war es nicht Deine ganz wahnsinnige Exigence, die mich von Dir trieben und meine Neigung für Dich erkalten machten? Zwei Monate sind wir verheirathet und schon ist der Vicomte verabschiedet und der Lord an seine Stelle getreten, des immobilen Fürsten nicht zu gedenken!«
»Und wer will es mir verargen, wenn ich in der Immobilität des Fürsten mehr Reiz finde, als in Deiner Beweglichkeit, die sich durch den geringsten Schatten am Himmel meiner Liebe verscheuchen [69] läßt?« fragte ich spöttisch, denn es indignirte mich, daß Bonaventura, der mir kein Glück gewährt hatte, es wagte, mir Vorwürfe zu machen, weil ich es anderwärts suchte.
»So wirst auch Du es begreiflich finden, daß ich, wenn schon nicht Glück, so doch Zerstreuung suche, und Herrn von Elsleben und Aurora auf einem Ausflug in den Elsaß begleite, bei dem ich Deine Anwesenheit nicht fordere. Auch bist Du ja unter dem unwandelbaren Schutze des unwandelbaren Fürsten, und also besser geborgen, als durch die Liebe eines wankelmüthigen Mannes, wie ich! – Ich reise morgen früh!«
Mit den Worten verließ er mich und ich trat auf den Balkon hinaus, der in den Garten ging, da sah ich den Lord lang ausgestreckt auf einer Bank unter meinem Fenster liegen, das Lorgnon in das rechte Auge geklemmt, die Cigarre im Munde, sehnsüchtig nach meinem erleuchteten Fenster emporblicken. Er stand auf, grüßte mich und ging von dannen. Der Gruß that mir wohl, denn in jener Stunde bedurfte ich eines Liebeszeichens, weil ich traurig war.
In der Morgendämmerung hörte ich den Wagen des Grafen über den Hof rollen und seine Stimme verschiedene Befehle geben. Nun war [70] ich allein, ich fühlte mich frei, wie in den Tagen vor meiner Verheirathung und beschloß eine Morgenpromenade zu machen. Ich schellte nach Rosalinde, der neue Kellner kam mir zu melden, sie sei in der Nacht erkrankt und der Arzt geholt, der ihr befohlen habe im Bette zu bleiben. Das desappointirte mich, indessen machte ich selbst meine Toilette und ging aus, mit dem Befehle, den Lord zum Frühstück zu mir einzuladen.
Ich war noch nicht tausend Schritte von unserm Hotel entfernt, als der Fürst erschien, mir seinen Arm und seine Dienste anzubieten. So anerkennenswerth diese ewig wache, unermüdliche Fürsorge auch sein mochte, so war es mir in dieser Stunde fatal, daß ich keinen Moment ohne ihn sein konnte, sobald ich mein Zimmer verließ, und in ziemlich übler Laune, sagte ich: »Aber um Gottes Willen, lieber Fürst! sind Sie denn wirklich mein Schatten? Kann ich denn nie sich er vor Ihrer Begleitung sein? Nie einen Augenblick allein der Natur genießen?«
»O! meine Gräfin!« sagte er, »thun Sie als existirte ich nicht. Sie sind allein, wenn Sie es sein wollen und ich bin da, wenn Sie es begehren.«
»Aber werden Sie es denn nicht müde, mir [71] ohne Lohn, ohne Hoffnung zu folgen, Nichts zu thun, Nichts zu denken, als« – –
»O, meine Gräfin! ich that und dachte niemals Etwas, auch ehe ich Sie sah, und jetzt denke ich an Sie.«
»Und das befriedigt Sie?«
»Vollkommen!«
»Und Sie fragen sich nie, ob – –«
»Ich frage mich Nichts. Ich sehe Sie an, Sie sind schön, und ich folge Ihnen, um Sie anzusehen. Der Graf, der Vicomte berauben sich freiwillig dieses Glückes, so genieße ich es dreifach. Und nun gehen Sie allein spazieren, ich folge Ihnen in einiger Entfernung, aber nur so fern, daß mein Blick Sie erreichen kann, denn Sie sind schön, meine Gräfin!«
»Unbegreiflich!« sagte ich zu mir selbst. »Ich gehe aus, die Liebe zu suchen und finde die Treue – aber das ist bleiches Silber für strahlendes Gold!« Ich versank in schwermüthige Träumereien und wanderte fort weit über Lichtenthal hinaus, dem kleinen Wasserfalle zu, und wieder zurück nach Baden, ohne daß der Fürst sich mir genähert oder ein Wort mit mir gesprochen hätte. Als ich die Treppe vor meinem Hotel erreicht hatte, sah ich, wie er, eine starke, schwerfällige Gestalt, [72] sich mit dem Battisttuche die Stirn trocknete und erschöpft auf einer Bank Platz nahm, von der aus er meine Fenster und die Thüre des Hotels beobachten konnte.
Ich erkannte mein Zimmer nicht wieder, als ich es betrat. Es war auf das Eleganteste mit Blumen decorirt und ein superbes Album mit meinem Namen lag auf meinem Schreibtische. Ich schellte dem Kellner und fragte, wer die Sachen hierhergebracht hätte? Er behauptete, sie wären ihm von einem Gärtner gebracht worden, mit dem Bemerken, ich hätte sie gekauft.
Gleich darauf kam der Lord. Da er gar nicht frappirt schien durch die Blumenflora, die am Tage vorher nicht vorhanden gewesen war, drängte sich mir natürlich der Gedanke auf, daß es eine Galanterie von ihm sei und ich beeilte mich, ihm dafür zu danken.
Er hatte sich in eine Couchette geworfen und sah mich mit seinem gewohnten kalten Blicke an. »Wovon sprechen Sie, theure Gräfin!« fragte er, »ich verstehe Sie nicht.«
»Von der liebenswürdigen Attention, welche Sie für mich an diesem Morgen gehabt haben, von den Blumen, welche ich Ihrer Güte verdanke und von dem superben Album.«
[73] »Haben Sie Blumen erhalten?«
»Aber mein Gott, Mylord, sehen Sie denn nicht, daß mein Zimmer in ein kleines Indien verwandelt ist?«
»Ich habe mich nicht umgesehen und bin Indien sehr gewohnt!« antwortete er ruhig, während er sich sein Toast mit Butter bestrich, da man indessen das Dejeuner servirt hatte.
»So waren Sie es nicht, dem ich die angenehme Ueberraschung verdanke?«
»Unmöglich, theure Gräfin! Ich habe bis jetzt geschlafen.«
»Bis jetzt? in diesem wundervollen Wetter?«
»Wundervolles Wetter ist mir sehr indifferent, nur schlechtes Wetter ist mir horrid. Zudem sind die Tage so lang!«
»Aber die Welt ist auch groß und schön!« sagte ich.
»O, theure Gräfin! Ich kenne die Welt schon, ich habe sie schon zweimal umschifft, habe Alles gesehen, nun kann ich doch nicht immer von Neuem anfangen. Das ist langweilig für mich und darum verschlafe ich gern einen Theil des Tages! Das ist bequem!«
»Und Sie sehnen sich nach keiner andern Existenz?« fragte ich ihn, förmlich erschüttert durch seine Ruhe.
»Wie kann ich mich nach Etwas sehnen, das [74] ich für unmöglich halte? Aber lassen Sie den Thee nicht zu lange brühen, theure Gräfin! das macht ihn ungenießbar.«
»Ah!« rief ich, erfreut davon, daß dieser Mann doch wenigstens in dieser Kleinigkeit die Spur eines Wollens oder Nichtwollens verrieth, »so ist Ihnen doch nicht Alles gleichgültig, Mylord!«
»Alles bis auf den Comfort!« sagte er, behaglich den Thee schlürfend, den ich ihm präsentirt hatte.
Es entstand eine lange Pause, er trank mit großem Genusse und ich betrachtete ihn mit Staunen. Ich fand die Resignation adorable, mit der er ein so trostloses Dasein wie das seine ertrug. Ich fing an, ihn zu achten, ihn zu beklagen; plötzlich fiel mir ein Gedanke sternenhell in die Seele und schnell sagte ich: »Beantworten Sie mir eine Frage. Wenn Ihnen Alles indifferent ist, wenn Nichts Sie fesselt, welches Interesse haben Sie, mir zu folgen?
»Die Neugier, theuerste Gräfin!«
»Die Neugier?« wiederholte ich.
»Ja! die Neugier zu wissen, wie Sie ein gleiches Schicksal wie meines, dem Sie entgegengehen, ertragen werden. Es ist langweilig, blasirt zu sein und doch zu leben, es erfordert Kraft, Heroismus und ich möchte wissen, ob Sie die haben.«
»Und was werden Sie thun, Mylord?« fragte ich.
[75] »Leben!« antwortete er, und tranchirte ein Cotelett.
Mir schauderte und der Lord imponirte mir. Ich gestand ihm das freimüthig.
»Das wundert mich nicht,« entgegnete er, »das ist mir schon oft begegnet, aber es freut mich von Ihnen, dabei empfinden Sie doch Etwas und das gönne ich Ihnen.«
»Und Sie empfinden Nichts? gar Nichts, Mylord? Sie haben keinen Wunsch?«
»O doch! Ich möchte mit Ihnen zusammen sterben. Ich dachte mir es gestern, als ich Sie Abends so schön dastehen sah, in der Lampenbeleuchtung, welche aus Ihrem Zimmer auf den Balcon fiel. Sie sind die schönste Frau, die ich seit lange erblickte. Ich möchte wissen, wie dieses schöne Antlitz in der Agonie des Todes aussieht; ich möchte wissen, was ich empfände, hätte ich das schönste Weib umgebracht, um deren Besitz andere Männer alle Thorheiten der Welt begehen würden – und wüßte ich das, dann, glaube ich, möchte ich selbst sterben wollen, weil ich dann Nichts mehr finden möchte, was meine Neugier reizte.«
»O! Du bist entsetzlich, Mann!« rief ich zitternd vor nie gefühlter Emotion, »aber Du bist ein Mann! Warum fanden wir uns nicht früher? Warum lernte ich Dich nicht kennen, als Dein [76] Männerherz noch nicht alle seine Pulsschläge des Wollens, des Wünschens und Begehrens verlernt hatte, als noch die Liebe Dir das Leben zur Lust machen konnte? O, das Fatum ist unerbittlich in diesem entsetzlichen Zuspät! Eine Gigantenseele eristirte hienieden und ich fand sie zu spät! Aber warum kamst Du nicht früher, warum fanden wir uns nicht?«
Der Lord sah mich mit starrem, festem Blicke an, setzte die Theetasse nieder und sagte nach einer Pause innerlicher Meditation: »Man hat mir in Kairo von Saaten erzählt, die Jahrtausende hindurch in den Pyramiden gelegen hatten und zu blühen anfingen in Frühlingsfrische, als sie dem Lichte der Sonne wieder exponirt wurden. Bist Du die Sonne, Diogena, daß Du in meinem Herzen ein neues Blühen hervorrufst? Es wäre remarquabel wie jenes!«
Indolent wie immer, blieb er in seiner Couchette liegen, die er bis zu meinem Sopha heranrollte, dann ergriff er meine Händchen und zog mich empor, so daß ich vor ihm stand.
»Ich glaube, wir lieben uns!« sagte ich, ohne recht zu wissen, was ich sprach.
»So scheint es mir,« entgegnete der Lord, indem er meine Hände und Arme mit seinen Küssen bedeckte.
In diesem Momente erscholl im Nebenzimmer [77] ein heftiges Geklapper, ich fuhr erschrocken empor und der Lord sagte mismuthig: »Aber, theure Gräfin! wie uncomfortable ist Ihr Arrangement, daß man durch Geräusch beleidigt wird in Stunden, in denen die Seele der Ruhe bedarf! Aendern Sie das für die Zukunft.«
Es war der neue Kellner gewesen, der eine Tablette mit verschiedenen Geräthschaften zur Erde geworfen hatte. Als ich ihm Vorwürfe deshalb machte, trat er dicht an mich heran und sagte so leise, daß es nur für mich vernehmbar war: »Madonna! noch ein Wort mehr und Ermanby und ich sind Beide verloren!«
Ich bebte zusammen! Es war der Vicomte, der in dieser mysteriösen Verkleidung sich wieder in meine Nähe introducirt hatte.
Ich war wie vernichtet, ich wußte mir nicht zu helfen, keinen Ausweg zu finden. Eine innere Stimme sagte mir, opfre den Mann, den Du nicht liebst, für den, den Du liebst! Aber das war eben die Verzweiflung, ich liebte sie Beide nicht, ich sah es mit erschreckender Deutlichkeit in diesem Momente. Und doch rührte mich die Devotion des Vicomte, doch interessirte mich Ermanby's Apathie, doch lag ein belebendes Element in der Gefahr meiner Position, das mich anregte wie der Schall [78] der Kriegsdrommete den jungen Krieger, der sich thatendurstig nach Schlachten und Kämpfen sehnt.
»Liebe ist Gehorsam! Liebe ist Glaube!« sagte ich leise zu Servillier. »Verlassen Sie mich, Anatole, wenn ich an Ihre Liebe glauben soll.«
Er that, wie ich es verlangte. Ich athmete auf, soulagirt von der Angst dieses Momentes, und entzückt über die schöne Hingebung des Vicomte. Der Lord hatte nicht einmal den Kopf gewendet, er sah ruhig auf seine Fußspitzen nieder, plötzlich fragte er mich:
»Wann wollen wir reisen, Diogena?«
»Reisen?« wiederholte ich verwundert, »und wohin?«
»Gleichviel!«
»Aber wozu denn?«
»Um mit einander zu sein, so lange es uns Freude macht, so lange wir uns lieben.«
»Und dann? Und wenn wir uns nicht mehr lieben?«
»Dann trennen wir uns oder versuchen, ob es uns tentirt zusammen zu sterben!« sagte er mit einem Gleichmuth, vor dem ich schauderte. Wie konnte ein so junger Mann bereits alle Quellen des Lebens erschöpft haben! Bot denn das Leben so wenig oder war er einer der Titanen, die den schäumenden Becher schnell bis auf seine Hefe leeren, [79] um ihn dann mit Degout von sich zu schlendern? Was für trostlose Erfahrungen, was für Deceptionen mußte er erlitten haben, um nicht mehr an Liebe, an Freude zu glauben, um nur im Tode einen neuen Reiz für seinen Geist zu finden! Ich dachte an mein eigenes unverstandenes Dasein, ich fragte mich, wie, wenn wir Beide berufen wären, die trostlose Leere zu füllen, die wir fühlen? Er fesselte doch wenigstens mein Interesse, er gab meinen Gedanken eine Richtung, er machte mir Furcht.
Ich setzte mich an seine Seite und sagte, indem ich zu lächeln versuchte: »Sie erwarten schwerlich, daß ich Ihren Reiseplanen beistimme, Mylord! Ich bin Graf Bonaventura's Frau –«
»Das eben reizt mich,« meinte Ermanby. »Ich möchte wissen, wie er sich dabei betragen würde, wenn sein Freund ihm seine Frau entführte; die Deutschen sind so troublesome in diesen Angelegenheiten.«
»Und wenn ich nun dennoch fest erklärte, nicht reisen zu wollen?«
»So würde ich nicht weiter darauf bestehen.«
»Und Sie behaupten, daß Sie mich lieben?«
»Ja, Diogena! ich liebe Dich! – O!« rief er plötzlich und ein Feuer, wie ich es nie in ihm gesehen hatte, flammte über sein ganzes Wesen empor, [80] »o, Diogena! laß den Funken unter der Asche schlummern, die sich über mein Herz gelegt hat.«
Er stand auf, seine Bewegungen waren ganz Nerv und voller Energie. Er ging heftig im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er vor mir stehen und sagte: »Es war eine Zeit, in der ich an das Leben glaubte, in der ich die Liebe erstrebte und die Treue erwartete, weil ich selbst treu war. Damals hatte ich eine Braut, so rein, so hold, wie das erste Weib, das hervorging aus den Händen des Schöpfers. Sie war mir verlobt und entfloh mit meinem Bruder, den ich geliebt hatte mit allen Fibern meines Herzens. Ich gab den Beiden einRendez vous auf der Insel Chios, mein Bruder – – doch wozu dies?« rief er und ging wieder mit großen Schritten auf und nieder. Eine dunkle Wolke hatte sich über seine Stirne gelagert, es war etwas Dämonisches in ihm, ich konnte meine Blicke nicht von ihm wenden.
Bebend vor angstvoller Erwartung fragte ich leise: »Und wo ist Ihr Bruder?«
»Er starb auf Chios« antwortete er kalt und tonlos.
»Und das Mädchen?«
»Ueberlebte ihn nicht lange!«
Eine dumpfe Pause trat ein, während welcher der Lord seine heftige Wanderung in meinem Zimmer[81] fortsetzte. Ich wagte nicht zu sprechen, ich war dominirt von der miraculösen Empfindung, welche die Vögel zwingt, der Anakonda in den Rachen zu fliegen, die ihnen todbringend ist. Nach einer Weile setzte sich der Lord so ruhig neben mich nieder, als wäre nie eine Emotion durch seine Seele gegangen. Er nahm meine Hand und sagte mit seiner gewohnten, glacialen Kälte: »Diogena! höre mich recht an; es ist Ernst, was ich Dir sage. Du bist so schön, daß Deine Schönheit wie die Sonne alle Nebel, alle Gewitterwolken zerstreut, die sich über mein Leben gelagert haben. Mir ist, als liebte ich Dich, als wäre mir Deine Liebe wirklich noch ein Besitz, welcher der Mühe, ihn zu empfinden, werth wäre. So will ich Dich denn besitzen. – Verstehst Du mich nicht, Diogena? Willst Du mein sein im Leben? Oder wollen wir sterben zusammen, noch heute, noch in dieser Stunde?«
Mir war, als öffne sich eine neue Welt meinen Augen. Aber dies war ja ein Mann, wie ich ihn gesucht hatte; ein Mann, der Nichts verlangte vom Leben, als Liebe. Ich fragte mein Herz, was es für ihn empfände. Es schwieg wie immer. Meine Phantasie war occupirt durch ihn; ich fühlte, daß ich die Seine werden könne, mit jener horribeln Indifferenz, mit der ich des Grafen [82] Frau geworden war; aber das war es nicht, was er verlangte, nicht, was ich erstrebte. Ich war außer mir über die Kälte meines Herzens, ich wollte ja lieben, dies war eine Natur, weit über die Grenzen des Gewöhnlichen erhaben, warum konnte ich ihn nicht lieben? Warum fühlte ich keinen Impuls für ihn zu leben, ihm den Glauben an Glück wiederzugeben, ohne Egard, ob ich selbst es fände oder nicht? Ich war innerlich deprimirt, ich verzweifelte an mir selbst, am Leben. Ich fühlte, es würde niemals anders werden und mir immer lästiger; und doch hatte ich die Apprehension vor dem Tode, die allem Leben den so tief inne wohnt. Ich war mir incomprehensible. Aber die innere Wahrheit meiner Natur trug den Sieg auch diesmal gloriös davon. Ich gestand dem Lord, daß er mir Staunen, aber keine Liebe abgewinne.
Er sah mich mit einem furchtbaren Blicke an. »Und wozu das elende Spiel in dieser Stunde, Diogena?« fragte er. »Wozu das Verbrechen, noch einmal Leben zu erwecken in einem Herzen, das aufgehört hat zu vibriren?« fragte er.
»O!« rief ich, »vergib, vergib! Ich wollte ja versuchen, ob ich Dich lieben könne?«
»Und Du glaubst, ein Mann sei der Spielball Deines thörichten Willens? Du glaubst, ein Mann [83] sei da, Deine müßigen eiteln Capricen zu befriedigen, weil Du schön bist? Denn schön bist Du!«
Ich schwieg. Er hielt mich am Handgelenk fest, das er mit einer Vehemenz preßte, welche mir Thränen in die Augen trieb.
»Liebst Du mich?« fragte er.
Mein Stolz war auf das Empfindlichste verwundet; Ermanby imponirte mir, aber er sollte es nicht wissen, weil ich ihn nicht liebte, und mit vollkommner Ruhe sagte ich, während ich zu lächeln versuchte, ein deutliches »Nein!«
Da schleuderte der Lord meine Hand von sich und sagte mit einem eisigen Hohne: »So soll doch der Moment, in dem ich das lästige Leben von mir werfe, wenigstens dazu dienen, das kälteste, hochmüthigste Weib zittern zu lehren, so soll doch das herzloseste Weib mich niemals vergessen.«
»Um Gottes Willen, Ermanby! was willst Du thun?« rief ich schaudernd. »Mann, um der Liebe willen, die ich suche, suche, ohne sie zu finden, was ersinnst Du?«
Ich hatte noch nicht die letzten Worte vollendet, als ein kleines Terzerol in des Lords Hand aufblitzte, ein Knall – und Ermanby sank lautlos in die Couchette zurück. Mit einem Schrei des furchtbarsten Entsetzens brach ich zusammen.
[84] Als ich erwachte, lag ich auf meinem Lager. Rosalinde saß an meiner Seite, durch die geöffnete Thüre entdeckte ich den Fürsten Callenberg, aufgestützt an einem mit Arzneigläsern besetzten Tische. Es war Nacht, eine Lampe erhellte das Zimmer, der Fürst schien zu schlummern. Ich hatte keine distincten Vorstellungen, nur die Ahnung eines terriblen Evenements schwebte mir vague vor der Seele. Ich mochte meinen Erinnerungen nicht durch meine Kammerfrau zu Hilfe kommen lassen, ich befahl ihr, den Fürsten zu rufen.
»Wo ist Ermanby?« fragte ich ihn, als er an meinem Lager stand.
»Beerdigt gestern Morgen.«
Eine eisige Hand legte sich über meine Stirn und mir war, als wolle mein Bewußtsein aufs Neue schwinden, aber ich raffte die ganze Energie meines Wollens zusammen und fragte, wie man von einem Gestern sprechen könne, da Ermanby ja noch am Morgen bei mir dejeunirt hätte.
»Pardon! meine Gräfin!« sagte der Fürst, »Sie haben mehr als zwei Tage in tiefem Todesschlummer gelegen. Sonst würden Sie ja die Vorgänge von gestern und heute wissen!«
»Die Vorgänge? Und was ist denn vorgegangen?«
»Sie meinen nach der Ankunft Ihres Mannes?«
[85] »Ist der Graf von seiner Excursion retournirt?«
»Mein Gott! auch das wissen Sie nicht einmal?« fragte der Fürst. »Sie wissen nicht, daß, als Sie aufschrieen im Moment von Ermanby's Tode, Servillier hineinstürzte, und Sie in seinen Armen hielt, in dem Moment, in dem Ihr Mann heimkehrte?« Er hatte Servillier gleich am ersten Abende in seiner Verkleidung erkannt, die Excursion mit den Elslebens war nur fingirt, er wollte Sie überraschen, weil er sicher wußte, den Vicomte in Ihrer Nähe zu finden.
»Und dann?« fragte ich indignirt über diese Perfidie meines Mannes.
»Nun! Dann hat er den Vicomte gefordert, sie haben sich geschossen und noch am Abende ist Ihr Mann nach England gegangen,« berichtete der Fürst phlegmatisch.
»Aber Servillier?«
»Ist vierzehn Stunden nachher gestorben; in meinen Armen gestorben. Ihr Name, meine Gräfin, war sein letztes Wort.«
Ich schwieg. Eine Welt von Emotionen drang auf mich ein; Geister der Verstorbenen, blutige Leichen hielten ihren wahnsinnigen Reigen vor meinem innern Auge. Mein Hirn schwindelte, meine Seele erbebte, mein Herz war kalt. Ich [86] sehnte mich nicht nach meinem Gatten, ich dachte ohne Liebe an die beiden Männer, welche für mich und durch mich gestorben waren. Ja, selbst ein Gefühl des Hasses mischte sich in die Erinnerung an sie. Sie waren mir durch ihren Tod Gegenstände des Entsetzens, und weshalb? – Hatte ich Einem von ihnen ein Glück zu danken? Warum hatten sie sich in die verzehrende Gluth meiner Nähe gewagt, diese erbärmlichen Eintagsfliegen? Warum hatten sie versucht, diese schwachen Naturen, in den Kreis einer Diogena zu treten, deren Kometenlauf sie fortreißen mußte aus der bescheidenen Bahn, welche solch kleinen Seelen prädestinirt ist.
Ich richtete mich empor, groß und frei, wie Marius auf den Ruinen von Karthago. »Rosalinde!« sagte ich, »legen Sie mir ein elegantes Reisenegligee zurecht und lassen Sie packen. Sobald es Tag wird, gehen wir nach Paris.«
»Darf ich Ihnen folgen?« fragte der Fürst.
»Fürchten Sie nicht das Schicksal der Andern?«
»O nein, meine Gräfin, wie sollte ich, da ich nicht die Prätensionen habe, wie Jene. Ich kann ja weder hier allein zurückbleiben, noch Sie allein reisen lassen, so folge ich Ihnen nach Paris.«
Ich reichte dem Fürsten die Hand. »O!« rief ich, »Sie sind sublime in Ihrer Treue. Das ist [87] die wahre instinctive Treue des Hundes, der liebt und folgt, ohne zu wissen weshalb, ohne Dank, ohne Anspruch, ohne Verlangen. O, die Thiere sind unegoistischer als wir und glücklicher obenein, denn sie kennen nicht das ewig wache, ewig ungestillte Sehnen in unserer Brust, das vom Himmel stammend, hier rastlos und vergebens nach Befriedigung sucht.«
»Schlafen Sie noch eine Stunde, meine Gräfin,« sagte der Fürst, »ich will es auch thun – und dann lassen Sie uns reisen, es freut mich, daß ich doch nun weiß, wohin ich von Baden gehen soll. Ich konnte zu keinem Entschlusse kommen bis jetzt. Gute Nacht, meine Gräfin!« Und innerlich sagte er sich: Welch ein Thor ist doch der Graf, sich von dieser Frau zu entfernen, deren prächtige Capricen alle Tage neu sind, so daß man vollauf beschäftigt ist und gar keine Langeweile hat, wenn man nur all das thut, was sie verlangt. Solch eine Frau, wenn sie jung und reich und schön ist wie diese Gräfin, ist ja ein veritabler Tresor.
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