Mendelssohn, Über die Empfindungen
[256] [259][Moses Mendelssohn:] Über die Empfindungen. Berlin bei Chr. Fried. Voß 1755. In 8vo. 14 Bogen. Der Verfasser dieser Schrift ist eben der, welchem wir die philosophischen Gespräche schuldig sind. Sie sind durchgängig mit Beifall aufgenommen worden. Wir wünschten aber sehr, daß man diesen Beifall mehr auf den Inhalt, als auf die Art des Vortrags hätte gründen wollen. Waren denn abstrakte Gedanken in einer schönen Einkleidung eine so gar neue Erscheinung unter uns, daß man bei der Anmut der letztern die Gründlichkeit der erstern übersehen durfte? Wären sie in den barbarischsten Ausdrücken einer lateinisch scheinenden Sprache vorgetragen worden, so würde man sie untersucht und bestritten haben. Warum unterblieb beides, da sie deutsch, da sie schön abgefaßt waren? Ist der Deutsche, wenn er ein gründlicher Kopf ist, so gar düster und allen Grazien so gar feind; oder ist der Deutsche, wenn er ein schöner Geist ist, so gar seicht, daß jener nicht will, und dieser nicht kann? Unglück alsdenn für den, der beides zugleich, ein gründlicher Kopf und schöner Geist, ist! Er wird sich teilen müssen, um immer von seinen kompetenten Richtern gelesen zu werden. Er wird es, wenn er denken will, vergessen müssen, daß er schön schreiben kann; und wenn er schön schreiben will, vergessen müssen, daß er denken kann. – – Diese Betrachtung sollte uns fast bewegen, von der Einkleidung des gegenwärtigen Werks gar nichts zu sagen. Kaum dieses; daß es aus Briefen bestehe, in welchen überall der einmal angenommene Charakter des Schreibenden behauptet und die ganze Materie so kunstreich verteilet worden, daß man sehr unaufmerksam sein müßte, wenn sich nicht am Ende, ohne das Trockne der Methode empfunden zu haben, ein ganzes System in dem Kopfe zusammen finden sollte. Ein System der Empfindungen aber, wird denjenigen gewiß eine sehr angenehme Neuigkeit sein, welchen es nicht ganz unbekannt ist, wie finster und leer es in diesem Felde der Psychologie, der Bemühungen einiger neuen Schriftsteller ohngeachtet, noch bisher gewesen. Man hat es ohngefähr gewußt, daß alle angenehme und unangenehme Empfindungen aus dunkeln Begriffen entstehen; aber warum sie nur aus diesen[259] entstehen, davon hat man nirgends den Grund angegeben. Wolf selbst weiß weiter nichts zu sagen, als dieses: weil sie keine deutliche Begriffe voraussetzen. Man hat es ohngefähr gewußt, daß sich alles Vergnügen auf die Vorstellung einer Vollkommenheit gründe; man hat es ohngefähr gewußt, daß Vollkommenheit die Übereinstimmung des Mannigfaltigen sei: allein man hat diese Übereinstimmung mit der Einheit im Mannigfaltigen verwechselt; man hat Schönheit und Vollkommenheit vermengt, und die Leichtigkeit, womit wir uns das Mannigfaltige in jenem vorstellen, auch bis auf die sinnlichen Lüste ausdehnen wollen. Alles dieses aber setzt unser Verfasser auf das deutlichste auseinander. Er zeigt, daß das Vergnügen, welches aus der Schönheit entspringet, auf der Einschränkung unsrer Seelenkräfte beruhe, und also Gott nicht beigelegt werden könne; daß ihm aber dasjenige, welches aus der Vollkommenheit entstehet, und sich bei uns auf die positive Kraft unsrer Seele gründet, im höchsten Grade zukomme. Von den sinnlichen Lüsten beweiset er, daß sie der Seele eine dunkle Vorstellung von der Vollkommenheit des Körpers gewähren; und da in der organischen Natur alle Begebenheiten, die mit einander verknüpft sind, wechselsweise eine aus der andern entstehen können, so erklärt er daher den Ursprung des angenehmen Affekts, und zeiget, wie der Körper durch die sinnliche Lust, den Abgang an Vergnügen ersetze, den er durch die Verdunklung der Begriffe anrichtet. – – Alles dieses ist nur ein kleiner Blick in die neue Theorie unsers Verfassers, welcher zugleich bei aller Gelegenheit seine philosophische Einsicht in diejenigen Künste und Wissenschaften zeigt, die unsre angenehme Empfindungen zum Gegenstande haben; in die Dichtkunst, in die Malrei, in die Musik, in die musikalische Malrei des Farbenklaviers, bis sogar in die noch unerfundenen Harmonien derjenigen Sinne, welchen noch keine besondern Künste vorgesetzet sind. Eines aber müssen wir hauptsächlich nicht vergessen; daß nämlich der Verfasser die Lehre vom Selbstmorde mit eingeflochten, und diese schwierige Materie auf eine Art abgehandelt habe, wie sie gewiß noch nie abgehandelt worden. Er beweiset nicht nur, daß den Gläubigen die [260] Religion, und den Ungläubigen sein eignes System der Zernichtung nach dem Tode von dem Selbstmorde abhalten müsse; sondern beweiset auch, und dieses war ohne Zweifel das wichtigste, daß ihn so gar der Weltweise sich untersagen müsse, welcher den Tod nicht als eine Zernichtung, sondern als einen Übergang in eine andere und vielleicht glücklichere Art von Fortdauer betrachtet. Kostet in den Vossischen Buchläden hier und in Potsdam 8 Gr.
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