Fünfte Szene
Die Dramenschreiber
Weiße und Küsters Frau vor der Kirchentür.
WEISSE.
Liebe Frau, ich bin eben aus Welschland zurückgekommen, mach Sie mir nur auf, Ihr Mann wird nichts dawider haben. Ich hab die Taschen voll, ich muß hinein. Ich werd dort gewiß keinen Unfug anrichten, das sei Sie versichert. Sie macht auf. Er tritt herein in einem französischen Sammetkleide mit einer kurzen englischen Perücke, macht im Zirkel herum viel Scharrfüße und fängt folgendergestalten an. Meine werte Gesellschaft, ist es Ihnen gefälliger zu lachen oder zu weinen.[271] Beides sollen Sie in kurzer Zeit auf eine wunderbare Art an sich erfahren. Kehrt sich weg, zieht einige Papiere heraus und murmelt die Expressionen, als ob er sie repetierte. Hell! destruction! damnation!
Darauf tritt er hervor und deklamiert in einem unleidlich hohlen Ton mit erstaunenden Kontorsionen.
HERR SCHMIDT
ein Kunstrichter, steht vor ihm beide Finger auf den Mund gelegt.
Es ist mir als ob ich die Engländer selber hörte.
MICHAELIS.
Es ist unser deutsche Shakespear.
SCHMIDT.
Sehen Sie nur was für eine wunderbare Vereinigung aller Vollkommenheiten, die das englische sowohl als das französische Theater auszeichnen. Das griechische mit eingeschlossen. Ich wünschte Garricken hier.
WEISSE
mit vielen Kratzfüßen sehr freundlich.
So sehr es meiner Bescheidenheit kostet, mich mit in diesen Streit zu mengen, so muß ich doch gestehn daß ich glaube, Herr Schmidt habe mich am richtigsten beurteilt.
MICHAELIS.
Herr Schmidt ist unser deutsche Aristarch, er hört nicht auf das was andere sagen sondern fällt sein Urteil mit einer Festigkeit und Gründlichkeit die eines Scaliger würdig ist.
SCHMIDT.
O ich bitte um Vergebung, ich richte mich mit meinem Urteil immer nach der allgemeinen Stimme von Deutschland. Zu dem Ende korrespondiere ich mit den Pedellen von fast allen deutschen Akademien und bleibt mir nicht viel Zeit übrig im Scaliger zu lesen und seine Manier anzunehmen. Ich bin ein Original.
WEISSE.
Belieben Sie, nun noch ein Pröbchen von einer andern Art zu sehen. Nimmt den Hut untern Arm und trippt auf den Zehen herum. Mais mon Dieu! hi, hi, hi! Im Soubrettenton. Vous êtes un sot animal. Trillert und singt. Monseigneur voyez mes larmes.
EINE STIMME AUS DEM WINKEL.
Das sollen Deutsche sein?
SCHMIDT.
Sehen Sie doch, es ist mir als ob ich in Paris [272] wäre. Es ist wahr, alle die Züge sind nachgeahmt, aber mit solcher Delikatesse als man die blaue Haut einer Pflaume anfaßt, ohne sie abzustreifen.
MICHAELIS.
O wunderbarer Ausspruch eines wahren kritischen Genies. – – Ich habe solche Kopfschmerzen. Herr Schmidt, wollen Sie mich denn nicht auch kritisieren vor meinem Tode.
SCHMIDT.
Mir sind die letzten Briefe ausgeblieben.
MICHAELIS.
Ei Sie sind ja wohl Manns genug selber ein Urteil zu fällen. Sehen Sie hier hab ich auch eine Operette.
SCHMIDT.
Nein nein erlauben Sie mir das wag ich nicht. Seit der selige Klotz vor mir die Hosen abgezogen hat bin ich ein wenig geschröckt worden. Herr Lessing hat mir auch einmal einen Faustschlag unter die Rippen gegeben, von dem ich zehn Tag lang engen Atem behielt. Ich habe hernach alles anwenden müssen, die beiden Herren zu besänftigen: besonders Herrn Lessing zu gefallen hab ich wohl zehn Nächte nach einander aufgesessen um nach seiner Idee zehn englische Stücke in eines zu bringen, und der fürchterliche Plan hat mir eine solche Migräne verursacht, daß ich fürchte, Herr Lessing hat sich auf die Art schlimmer an mir gerochen als auf die erstere.
MICHAELIS.
So muß ich denn wohl unbeurteilt sterben. Deinen Segen deutscher Shakespear.
WEISSE
mit feiner Stimme, wie unter der Maske.
Bon voyage mon cher Monsieur! je vous suis bien obligé de toutes vos politesses.
SCHMIDT
aus den deutschen Literaturbriefen.
Der Mann hat eine wunderbare Gabe sich in alle Formen zu passen.
Lessing, Klopstock, Herder treten herein umarmt, Klopstock in der Mitte, in sehr tiefsinnigen Gesprächen, ohne Weißen gewahr zu werden.
[273]LESSING.
Was ist das, was haben die Leute? Weiße macht seine Kunststücke fort. Soll das Nachahmung der Franzosen sein oder der Griechen?
WEISSE
scharrfüßelnd.
Beides.
LESSING.
Wißt ihr was die Franzosen für Leute sind? Laßt uns einmal ihre Bilderchen besehen.Tritt vor eine Galerie und examiniert. Da zu hoch, da zu breit, da zu schmal, nirgends Zusammenhang, nirgends Ordnung, nirgends Wahrheit. Und das sind eure Muster?
HERDER.
Ich hörte da was von Shakespear raunen. Kennt ihr den Mann? – Tritt unter uns Shakespear, seliger Geist! steig herab von deinen Himmelshöhen.
SHAKESPEAR
einen Arm um Herder geschlungen.
Da bin ich.
Weiße schleicht zum Tempel heraus. Sein ganzer Anhang folgt ihm. Jedermann drängt zu, Shakespearn zu sehen, einige fallen vor ihm nieder. Aus einer Reihe französischer Dramendichter, die auf einer langen Bank sitzen und alle kritzeln oder zeichnen, hebt sich einer nach dem andern wechselsweise hervor und guckt nach Shakespear, setzt sich aber gleich wieder mit einer verachtungsvollen Miene und zeichnet fort nach griechischen Mustern.
KLOPSTOCK
vor Shakespearn, sieht ihm lange ins Gesicht.
Ich kenne dies Gesicht.
SHAKESPEAR
schlägt den andern Arm um Klopstock.
Wir wollen Freunde sein.
KLOPSTOCK
umarmt ihn brünstig, zuckt auf einmal und sieht sich umher.
Wo sind meine Griechen? Verlaßt mich nicht.
Shakespear verschwindt wieder. Herder wischt sich die Augen.
HERDER
in sanfter Melancholei vorwärts gehend.
Was der Junge dort haben mag, der so im Winkel sitzt und Gesichter über Gesichter schneidt. Ich glaub es gilt den Franzosen. Bübchen was machst du da? Lenz steht auf und antwortet nicht. Was ist dir?
[274]LENZ.
Es macht mich zu lachen und zu ärgern, beides zusammen.
HERDER.
Was denn?
LENZ.
Die Primaner dort, die uns weismachen wollen sie wären was, und der große hagere Primus in ihrer Mitte, und sind Schulknaben wie ich und andere. Zeichnen da ängstlich und emsig nach Bildern die vor ihnen liegen, und sagen das soll unsern Leuten ähnlich sehen. Und die Leut sind solche Narren und glauben's ihnen.
HERDER.
Was verlangst du denn.
LENZ.
Ich will nicht hinterherzeichnen – oder gar nichts. Wenn Ihr wollt Herr, stell ich Euch gleich ein paar Menschen hin, wie Ihr sie da so vor Euch seht. Was den Alten galt mit ihren Leuten, soll uns doch auch gelten mit unseren.
HERDER
gütig.
Probiert's einmal.
LENZ
kratzt sich in den Kopf.
Ja da müßt ich einen Augenblick allein sein.
HERDER.
So geh in deinen Winkel, und wenn du fertig bist, bring mir's.
Lenz kommt und bringt einen Menschen nach dem andern keichend und stellt sie vor sie hin.
HERDER.
Mensch, die sind viel zu groß für unsre Zeit.
LENZ.
So sind sie für die kommende. Sie sehn doch wenigstens ähnlich. Und Herr! die Welt sollte doch auch itzt anfangen, größere Leute zu haben als ehemals. Ist doch solang gelebt worden.
LESSING.
Eure Leute sind für ein Trauerspiel.
LENZ.
Herr was ehmals auf dem Kothurn ging sollte doch heutzutag mit unsern im Soccus reichen. Soviel Trauerspiele sind doch nicht umsonst gespielt worden, was ehmals grausen machte, das soll uns lächeln machen.
LESSING.
Und unser heutiges Trauerspiel?
LENZ.
O da darf ich mal nicht nach heraufsehn. Das hohe Tragische von heut, ahndet ihr's nicht? Geht in die Geschichte, seht einen emporsteigenden Halbgott auf der [275] letzten Staffel seiner Größe gleiten oder einen wohltätigen Gott schimpflich sterben. Die Leiden griechischer Helden sind für uns bürgerlich, die Leiden unserer sollten sich einer verkannten und duldenden Gottheit nähern. Oder führtet ihr Leiden der Alten auf, so wären es biblische, wie dieser tat Klopstock ansehend. Leiden wie der Götter, wenn eine höhere Macht ihnen entgegenwirkt. Gebt ihnen alle tiefe, voraussehende, Raum und Zeit durchdringende Weisheit der Bibel, gebt ihnen alle Wirksamkeit, Feuer und Leidenschaften von Homers Halbgöttern, und mit Geist und Leib stehn eure Helden da. Möcht ich die Zeiten erleben!
KLOPSTOCK.
Gott segne dich.
GOETHE
springt von hinten zu und umarmt ihn.
Mein Bruder.
LENZ.
Wär' ich alles dessen würdig! Laßt mich in meinen Winkel. Auf dem halben Wege steht er still und betet. Zeit! du große Vollenderin aller geheimen Ratschlüsse des Himmels, Zeit, ewig wie Gott, allmächtig wie er, immer fortwirkend immer verzehrend, immer umschaffend erhöhend vollendend – laß mich – laß mich's erleben. Ab.
KLOPSTOCK, HERDER UND LESSING. Der brave Junge. Leistet er nichts, so hat er doch groß geahndet.
GOETHE.
Ich will's leisten. – Eine Menge junger Leute stürmen herein mit verstörten Haaren. Wir wollen's auch leisten. Bringen mit Ungestüm Papier her, Farben her, schmieren Figuren zusammen, heben die Papiere hoch empor. Sind sie das nicht?
GOETHE.
Hört lieben Kinder! ich will euch eine Fabel erzählen. Als Gott der Herr Adam erschuf, macht' er ihn aus Erde und Wasser sehr sorgfältig, bildete all seine Gliedmaßen, seine Eingeweide, seine Adern, seine Nerven, blies ihm einen lebendigen Odem in die Nase, da ging der Mensch herum und wandelte und freute sich und alle Tiere hatten Respekt vor ihm. Kam der Teufel, [276] sagte: Ei was eine große Kunst ist denn das, solche Figuren zu machen, darf ich nur ein bissel Mörtel zusammenkneten und darauf blosen, wird's gleich herumgehn und leben und die Tiere in Respekt erhalten. Tät er dem auch also, pappte eine Menge Leim zusammen, rollt's in seinen Händen, behaucht' und begeiferte es, blies sich fast den Othem aus, fu fi fi fu – aber geskizzen wor nit gemolen.