Gürdenhall und Mis Elma.

Gürdenhall der Wohnsitz einer alten Familie, liegt auf einer Anhöhe in England, von welcher man die See und die Insel Anglesey vor sich, und dann rükwärts schöne Waldungen und Gebürge sehen kann. Das in einem sehr edlen Geschmak erbaute Haus steht in dem schönsten Park, der sich gegen das Meer in einer Wildbahn öfnet. Dort ist eine Halle auf Säulen gestüzt, worinn man in schönen Tagen speißt, oder die Nachmittage hinbringt, die See, die Insel und hin und wieder seglende Schiffe übersieht. An einem End der Halle liegt ein grosser Teich, mit Enten und Schwanen besezt, auf dem sie, da er durch das Haus und die hohe Bäume vor den Stürmen geschüzt ist, freudig hin und her schwimmen und flattern, wenn unten am Berg die Quellen des Meers schaumend brausen, und die Schiffe herum schleudern. An dem andern Ende sind Blumenbeeten auf einer Art Halbinsel angelegt, welche durch den in zwey Arme getheilten Abfluß des Teichs hervorgebracht wird. Hollunder- und Rosengesträuche neigen sich über die zwey Bäche, die am[155] Ende sich wieder vereinigen, dann in manchen Krümmungen den Lustwald durchlaufen, und sich endlich in ein stärkeres Wasser ergiessen, mit dem sie gemeinschaftlich über Felsenstücke hin der See zufliessen, und auf ihrem Weg kleine angenehme Wasserfälle bilden, die auch einen Theil von Gürdenpark verschönern. Auf der Fläche gegen dem Gebürge liegen Pachterhöfe zerstreut, deren Bewohner durch die vortrefliche Herrschaft sehr glüklich sind.

Diese ist die 64 jährige Lady, Mutter von Sir John, und lezte Erbin der Güter und des Namens von Gürden, aus deren Gesichte sanfte weibliche Weisheit und wahre Güte hervorstralen, die sich freut, daß Gott ihr bey den hohen Jahren noch den Genuß ihres Gesichts und Gehörs so gnädig läßt, um auf dem nemlichen Schauplatz, wo die Scenen ihrer Jugend vorüber gleiteten, wo sie ihre geliebte Eltern sah und hörte, nun unter dem friedlichen Dach des von ihrem Vater für sie so schön erbauten Hauses, und unter dem Schatten so mancher von ihm gepflanzten Bäume, den süssen Umgang ihres geliebten Sohns und Tochter geniesse, holde Kinder von ihnen sehe, und noch den Segen der Enkel von den Pächtern ihres Vaters, und den Gesang der Vögel höre, [156] weil sie diese und jene ungestört in ihren Besizzungen gelassen habe. Sir John, ein großer edelgebildeter Mann, voll gedämpften Feuers, das ehemals sehr sprühend war, aber jetzo allein wie reine etherische Funken, in Ausströmung seiner Liebe für seine Mutter, seine Gemalin und Kinder, oder für die Wissenschaften bemerkt wird.

Lady Elma, o! wer wird diese Frau malen! Angelika oder Reynolds können den Umriß ihrer Engelsgestalt für unsere Nachkommen bewahren. Die Züge ihrer schönen Seele sind in den Thaten ihres Lebens, in den Herzen der glücklichen, die sie umgeben, und in der durch sie zurückgerufenen Tugend ihres Gemals; sie keimen in ihren Kindern, und werden gewiß von ihrem Schutzgeist gezält. Sie ist keine geborne Engelländerin, aber wie eine in besseres Land verpflanzte Blume, wuchs sie da zu jeder Vollkommenheit des Geists und des Körpers empor. Auch ich danke dem Himmel, daß er mich hieher kommen, und diese Menschen sehen ließ.

Gürdenhall – wo ich Vorbilder und Beweise von edler Größe und edler Glückseligkeit sah – o möge jeder Blick auf dein Bild, jede, auch die leiseste Erinnerung deiner Bewohner allezeit erneute Liebe und Eifer für das Schöne und Güte [157] hervorbringen! Ich will meinem Gedächtnis zu Hülfe kommen, und die Geschichte von Lady Elma aufschreiben, so wie sie mir von dem ehrwürdigen Doktor Williams erzählt wurde.

Ich war früh mit ihm ausgegangen, und wir hatten bey einem Pächter zu Mittag gegessen, weil ich die ganze Einrichtung und Lebensart dieser Englischen Landleute kennen wollte. Gegen Abend giengen wir durch den Park zurücke. Es war ein herrlicher Tag für mich gewesen, durch den heitern Himmel, und durch die Gesellschaft eines weisen, die Menschenseele kennenden Pfarrers, durch unsere Beobachtungen über die Pächter, ihre Familien, Knechte und Mägde, die alle mit Bearbeitung unserer guten Erde beschäftigt waren, sicher, daß sie Abends den Schweiß ihres Angesichts in der ruhigen Hütte abtroknen, und dann schlafen können – der Anblick der durch die Wellen hineilenden Schiffe, worinn auch Menschen ihre Kräfte und ihren Muth verwendeten, um Nahrung und Wohlstand zu erwerben, aber nicht mit Versicherung des Schlafs, zu ihrer Ruhstätte kommen, wie der Hirt, und der Ackersmann zu der ihrigen.

Der Jäger von Sir John begegnete uns im Triumph mit der Beute seines geschossenen Wilds; der Gärtner und sein Junge trugen mit [158] gelassenem Schritt Körbe mit Gemüß und Blumen dem Hause zu, welches wir unter diesen Betrachtungen bey der niedergehenden Sonne erreichten, und wo wir Menschen einer höhern Klasse und sorgfältigerer Erziehung mit allen Gütern des Geistes und feinem Vergnügen begabt antrafen. Es war ergötzend für mich, in einem Tag so verschiedene Gewerbe und Gebräuche physischer und moralischer Kräfte und Vermögens zu sehen.

In dem Vorzimmer der alten Lady hörten wir singen. Ich stuzte. Doktor Williams winkte mir stille zu stehn. Eine höchst reitzende Stimme sang zu dem Spiel einer Harfe ein englisches Abendlied. Es war Lady Elma, die auf der Altane vor dem Zimmer ihrer Schwiegermutter saß, und in sanften melodischen Tönen die nemliche süsse Ruhe in die Seele des Sohns und der Mutter ergoß, die sich mit dem erblassenden Schimmer der Abendröthe über die Natur verbreitete. Sir John lehnte sich mit diesem Wonnegefühl seiner Elma gegen über an das Geländer der Altane. Die drey holde Kinder sassen auf Küssen um ihre Grosmutter herum; die kleine Mis Jenny mit ihrer Puppe auf der Schoos, welcher sie Mienen machte, und mit dem Finger auf Lady Elma deutete. Der zweyte Sohn Eduard hatte seinen [159] Hund zwischen den Knien, hielt ihm mit einer Hand das Maul zu, und mit der andern hatte er ganz muthwillig die beyde Lappen der langen Ohren gepakt, und oben über dem Kopf zusammen gefaßt, um ihn auch der Musik zuhören zu machen. – O! wie angenehm war diese Gruppe der edel erwachsenen und blühenden Welt! – Lady Elma ganz weiß gekleidet, ihren schlanken Leib mit einer Binde umgürtet, ohne Hut, ihren feinen Kopf und Nacken gegen die Abendseite hingebogen. Ich konnte mich nicht enthalten zu sagen:


O mein Freund! Gürdenhall ist unter dem Schutz seeliger Geister, sehen Sie? fühlen Sie es nicht wie ich?

Er drükte meine Hand, und sagte leise:


Noch besser als Sie. Aber diese Stimme brachte einst Lady Elma an den Rand des Verderbens und der Verzweiflung – ihr Gebet rettete sie, und! – Gott sey Dank – durch mich –

Ich fragte hastig: wie das wäre? da nahm er mich mit in seine Stube, wo wir zu Nacht assen, (denn Abends speißte die Familie allein bey der alten Lady,) und er erzählte mir bis ein Uhr nach Mitternacht die Geschichte von Lady Elma – und fieng an:

[160] Ich war Hofmeister bey Sir John von seinem fünften Jahr an bis in das zwanzigste. Er wurde nach Anlage der Natur und den Bemühungen seiner Mutter, neben dem Anbau, den ich ihm geben konnte, der liebenswürdigste Jüngling. Seine Mutter betete ihn an. Er war ihr einziges Kind, denn Mylord sein Vater starb bald, und sie wollte sich nicht wieder vermälen, um allein für ihren Sohn zu leben. Zum Unglück unsers Sir John kam ein alter Vatersbruder mit großen Reichthümern aus Ostindien zurück, suchte seine Verwandte auf, fand Sir John in der schönsten Blüthe von Geist und Gestalt. Das freute ihn, aber er war sehr unzufrieden, daß sein Neffe noch niemals in London gewesen, und noch nicht gereißt sey. Er versicherte ihm sein ganzes Vermögen, und zog den jungen Mann so an sich, daß dieser äusserst bey seiner Mutter anhielt, mit seinem Oheim reisen zu dürfen. Milady mußte es bewilligen; sie dachte ich käme mit. Aber der Ostindienfahrer sagte: Er könne die Pfaffen nicht leiden; weil sie, wie er behauptete, aus den jungen Leuten lauter Sklaven bildeten, und jede Triebfeder des Großen und Edlen zerknickten.

Da nahm sich unsere theure Lady gleich vor, selbst nach London zu gehen, um ihren Liebling [161] doch von ferne zu bewachen. Aber der Abschied hatte sie so stark bewegt, daß sie sehr krank wurde, und lange Zeit zu ihrer Erholung nöthig hatte. Als wir nach dem ersten Brief in zwey Monaten keine Nachricht von Sir John erhielten, mußte ich nach London, um ihn selbst zu sehen. Aber sein Oheim hatte ihn nach Frankreich geschleppt, und er durfte seiner Frau Mutter nur alle drey Monate schreiben. Die Briefe waren bald von diesem, bald von jenem Ort datirt; so, daß obschon Milady vieles Geld aufwandte, um durch andere Leute Nachricht von ihrem Sohn zu erhalten, es doch immer vereitelt wurde. Endlich gieng sie selbst nach Frankreich über und ich kann sagen, daß wir dieses Land und beynah ganz Italien durchstreiften, je nachdem wir Spuren fanden, auf denen wir die Reisende zu haschen glaubten. Stellen Sie sich, nach einigen Monaten vergeblicher Mühe den Jammer der Mutter vor, als wir Briefe aus Konstantinopel erhielten, mit der Anzeige, daß sie nun nach Athen wollten. Die mütterliche Liebe und Hoffnungen erhielten sie bey Leben, denn ihr Kummer war unaussprechlich. Und so mußte sie vier Jahre leben. Denn erst zu Anfang des fünften starb der rauhe eigensinnige Mann, der sich eine Freude gemacht hatte, sie zu quälen, weil er [162] ihre mütterliche Zärtlichkeit als Schwäche eines Weibes verachtete, und seine Reichthümer als Gegengewicht jedes Verdiensts und jeder Freude des Lebens ansah. So wie er in seinem Gold die Bekräftigung der Rechte eines Oheims fand, die ihm die väterliche Gewalt beylegten. Seefahrer und Geldsammler sind immer stählernen Herzens und Sinnes.

Sir John hatte seiner Frau Mutter den Tod des Oheims gemeldet, und hinzugesetzt: Er würde sich noch einige Zeit in Neapel aufhalten, und dann nach Engeland zurückkommen. Die Begierde ihren Sohn wieder zu sehen, und wieder zu haben, führte Milady in großer Eile nach Italien, wo er aber nicht hingekommen, sondern schon lange in Paris war. Nun flogen wir auch hin, und hatten freilich die Freude unsern Sir John lebend, aber nicht gesund, weder am Leib noch an der Seele, anzutreffen. Seine so edle Gesichtszüge waren verzerrt, erniedrigt, seine Gesichtsfarbe blaß und gelb. Ach! Er war wie eine von giftigen Insekten angefressene Knospe, der man noch ansah, welch eine herrliche Frucht daraus geworden wäre, hätte nicht ein unseliger Zufall Verderben über sie gebracht. O! glauben Sie, es ist für einen Mann, der den Genius seiner Nation kennt und liebt, und der[163] einen freyen edlen Engeländer für diesen Genius erzog, ein unausstehlicher Anblick, einen solchen jungen Mann in einen mißrathenen Franzosen verwandelt zu sehen, dessen Geberden, Ton und Kleidung die Hände anzeigen, durch die er umgebildet wurde. Spieler und Buhlerinnen hatten den sanften, schönen Jüngling, dessen Gestalt, und die mit ihr so sehr harmonirende Seele ihn zunächst an das Bild eines Apolls stellten, zu einem Faun herabgewürdigt. Der ursprüngliche Zug seiner Muskeln und Nerven, die von der Natur bestimmt waren, jede edle, erhabene Bewegung der Seele auszudrücken, wurden nun durch schlechte Gesinnungen widrig und heftig gespannt. Er konnte nicht mehr geistvoll lächeln. Sein Blick war nicht mehr offen; sein Aug sagte nicht mehr: Ließ in meiner Seele. Er verzog den Mund, und blinzte mit halber Scham und halber Frechheit unter seinen langen Augenwimpern hervor. Sein Oheim hatte, wie gewisse Bäche die Eigenschaft haben, eine steinerne Hülse um sein sonst so gefühlvolles Herz gelegt. – Die Freudenthränen, das Entzücken und die Umarmungen der mütterlichen Zärtlichkeit trafen auf diese Steinschale, und der erkünstelte Petitmaitre antwortete elendes Zeug. Ich sprach gar nichts, und hatte ihm nur eine seiner Kleidung und Betragen [164] gemässe Verbeugung gemacht; aber mit Aufmerksamkeit ihn betrachtet, wie das verstümmelte Bild einer Gottheit. Er vermied meine Blicke, und suchte Verachtung anzudeuten, als sein Aug im Weggehen flüchtig über mein ihn scharf fassendes Aug hinwegeilte. Er wußte nicht, daß ich diesen Versuch zu einem Beweiß machte, daß er noch nicht unwiederbringlich verlohren sey, und daß ich den Trost darauf baute, dessen seine Frau Mutter damals mehr bedurfte, als wenn sie die Nachricht von seinem Tod erhalten hätte.

Unser Aufenthalt in Paris ward ihm zuwider, und er gieng so weit, es seiner Mutter zu schreiben. – Sie können denken, was dieses für eine Würkung auf sie machte, ob er schon dazu setzte:


»Daß sie mit dem Vermögen seines Vaters und dem ihrigen thun möge, was ihr gefiele, indem er von seinem Oheim so viel geerbt habe, daß ihm nichts als Freyheit und Leben zum angenehmen Genuß fehle. Und dieses würde sie ihm als eine so gute Mutter wohl gönnen.«

Wir reiseten ab, machten aber unsern Weg über Rohan, gewiß durch einen Antrieb der göttlichen Vorsehung. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum wir in einem kleinen abliegenden Dorf an [165] der Seine blieben, als weil wir dort unser von der Vorsicht bestimmtes Geschäft ausführen sollten; denn unsere Abreise war auf morgens drey Uhr festgesetzt. Ich war nicht ganz wohl, und legte mich, ohne zu Nacht zu essen, in mein Bette, das in einem engen Kämmerchen gerade an der Lady ihrem Zimmer stund. Die Fenster giengen auf die nahe am Haus fliessende Seine. Ich konnte lange nicht schlafen, weil noch immer so viel Getöse in dem Hause war. Endlich schlummerte ich ein, aber kurze Zeit darauf däuchte mich, daß man ganz nahe an meinem Bette spreche, und ich endlich eine Thüre öfnen, und deutlich eine weibliche Stimme sehr innig um Verschonung und Zurückführen in ihre Heimat bitten hörte. Man antwortete:

»Sie wäre ein Kind, und all ihr Verstand nütze ihr zu nichts, so wenig als ihre übertriebene Moral. Denn wenn ihr diese, und ihr Beten etwas hülfe, so würde sie nicht in seine Hände gekommen seyn. Der Himmel bekümmere sich weniger um sie als er, da er ihr zu der Vollkommenheit ihrer Talente geholfen, und sie nun in einen glänzenden und angenehmen Zustand bringen wolle; – sie möchte sich bis morgen neun Uhr mit diesem Portrait und den Zeichnungen des schönen Hauses und Gartens unterhalten; denn früher würde er sie nicht sehen, weil [166] er zu thun habe. – Die weibliche Stimme sagte dann unter vielem Schluchzen: Gott vergebe Ihnen, und schütze mich!

Nun wurde die Thüre zugemacht und verriegelt. Ich hatte mich mit Staunen und Neugierde in meinem Bett aufgerichtet, und meinen Vorhang gefaßt. Dieser deckte die Thüre des Zimmers, woher die Stimmen kamen. Ich hörte das Frauenzimmer seufzen, und eilend ein Fenster aufmachen, indem sie sagte:


»Nein, das Bild eines Verführers und seines Hauses soll nicht mit mir in einem Zimmer seyn.«

Es klatschte im Wasser, weil sie beyde zum Fenster hinauswarf. Ich hörte sie auf ihre Kniee fallen, und Gott um Beystand anrufen. O wie ängstig war ihre Stimme? – wie durchdringend, als sie bat:


»Ewiger Vater! gabest du mir Schönheit und Gesang zu meinem Verderben? – warum Tugend in mein Herz, – warum Glauben an dich, wenn du mich verläßt? Du hast mir meine Eltern, meine natürliche Beschützer genommen, und giebst mein Leben und meine Unschuld in die Gewalt eines Bösewichts? O meine Mutter! siehst du dein Kind nicht? fühlst du mein Elend nicht? betest du nicht [167] für mich? – Ich kann nicht mehr beten – der Gott, bey dem du bist, sieht meinen Jammer, und hilft mir nicht! –«

Ich wurde äusserst gerührt und erschüttert, stund auf, zog mich an. Ich hörte sie auf- und abgehen, seufzen, die Hände ringen und zusammenschlagen. Ich weckte Milady, und bat sie, dieses arme Geschöpf zu retten, weil der Bösewicht erst den andern Morgen wiederkäme. Ihre Klagen gegen Gott näherten sie der Verzweiflung. Es grämte meine Seele. Ich hätte ihr nicht zurufen mögen, weil ich fürchtete, eine Männerstimme verhindere ihr Vertrauen; aber wenn Milady spräche, so würde der Gedanke einer Mutter, einer Beschützerin in ihr erwachen. Milady kam gleich, und horchte mit mir. Sie sprach aber nur noch abgebrochene Worte der Verzweiflung, und auf einmal sagte sie heftig:


»Nein! Gott kann es nicht verargen, wenn ich ehender mich in den Fluß stürze, als den morgenden Tag erwarte. –«

Sie fiel auf ihre Kniee, wo sie unverständlich fortwinselte. Milady rief an der Thüre mit dem zärtlichsten Ton:


»Kind! gutes armes Kind! vertraue dich mir, Gott sieht meine redliche Seele! –«

[168] Ein Schrey des Schreckens war alles, was wir darauf hörten. Ich hob mit einemmal mein Bette von der Stelle, riß die Thür auf, Milady stieg mit mir über das Bett des Frauenzimmers, dessen Vorhänge wie bey mir die Thüre deckten; sonst würde sie der Elende nicht da gelassen haben. – Wir fanden Mis Elma, denn sie war es, in einem Reißkleid, mit auseinandergerissenen Haaren, Rock und Weste aufgeknöpft, an dem offenen Fenster vor einem Stuhl auf der Erde, ihre Arme an dem Gesims hinaufgestreckt, Mund und Augen starr offen, und ihr mit der Todesblässe bedecktes Gesicht gegen die Wand gedreht, wo die Stimme von Milady hergetönt hatte. Meine edle Lady brach in Thränen aus, und drückte den Kopf dieses Bilds der Verzweiflung an ihre Brust. Ich machte ihre Hände loß, die das Gesims mit einem krampfigen Zug der Nerven festhielten, und bat nur um Stille. – Ich holte aus der Cassette von Milady stärkenden Geist, womit wir sie rieben, und ihr etwas in den Mund träufelten. Sie kam zu sich, sah sich um, erhob ihre Hände, und rief mit einem durchbohrenden Ton:


»O retten – retten« – und sank wieder lebloß hin.

Wir wurden voll Angst. Ich sagte aber, da sey[169] nichts zu thun, als sie aus dieser Stube wegzubringen, weil man in Milady ihrer ehender ein Geräusch wagen dörfe. Ich dachte alle Augenblicke, ihr satanischer Verführer möchte uns überraschen. Wir hoben sie auf, und brachten sie endlich auf das Bett von Milady, wo wir sie nach einer Viertelstunde völlig ermunterten, und Miß allein bey Milady blieb, die sie ihres mütterlichen Schutzes versicherte, und daß sie gleich mit ihr abreisen sollte. Die schöne Elma warf sich mit einem Strom von Thränen zu Milady Füssen, konnte nicht reden, sondern deutete auf den Himmel, auf ihr Herz, und küßte die Hände ihrer Erretterin.

Ich hatte indessen das Zimmer der Elma wieder zugemacht, und ließ ihren Hut neben dem Stuhl am Fenster auf der Erde liegen, damit der Bösewicht denken möge, sie habe sich in den Fluß gestürzt. Mein Bette brachte ich auch wieder an seinen Platz, und Miß Elma kam, in einen Kaputrock von Milady gewickelt, unerkannt und glücklich zu ihr in die Gutsche, wo zwey wehrhafte Bediente vornen aufsassen. Doch waren wir mit unserer Beute nicht eher ruhig, als da wir im Paquetboth in unsern Betten lagen. Eine Freundin von Milady schrieb in einiger Zeit, daß sich in dem Wirthshaus, wo wir über Nacht gewesen, ein schönes Mädchen [170] ersäuft habe, und daß sich darüber zwey Mannspersonen hätten ermorden wollen. Das war uns genug, und unsere Miß Elma verlangte nichts anders, als bey Milady zu bleiben. Jeder Tag und jede Stunde zeigten uns neue Vollkommenheiten des Geistes und der Schönheit an ihr. Es sind eilf Jahre seit diesem Vorgang verflossen.

Stellen Sie sich Lady Elma mit achtzehen Jahren vor. Sie ist eines teutschen Offiziers Tochter; ihr Vater starb als sie siebzehn Jahre hatte. Er war mit seinem Regiment in Italien gelegen, hatte sich dort verheurathet, und dieses einzige Kind seiner Liebe vortreflich erzogen. Denn sie hat richtige und ausgebreitete Kenntnisse, wie sie ein Frauenzimmer, ohne als eine Gelehrte berühmt zu seyn, haben kann. Ihre herrliche Stimme wurde in dem Vaterland der Musik leicht zu der Vollkommenheit gebracht; sie zeichnet und malt, spricht Französisch und Teutsch; Italienisch ist ihre Muttersprache, und unser Englisch lernte sie in kurzer Zeit. Ein heilloser Kerl, der sie als Harfenist und Sänger unterrichtet hatte, entführte sie nach dem Tod ihrer Mutter, um sie einem reichen Wollüstling in Frankreich zuzubringen, der eine schöne und noch reine Sängerin dieser Nation haben wollte; und in dem Haus, wo wir sie fanden, sollte sie übergeben werden.

[171] Ich bemerkte, daß die gute That, welche Milady an Miß Elma bewiesen, ihre Seele wieder zu freudigen Gefühlen geöfnet hatte. Sir John war auch nach Engeland zurückgekommen, und beschäftigte mein Herz. Denn ich ließ ihn genau beobachten. Die Rettung von Miß Elma machte mich auch die seinige wünschen. Ich dachte auf Mittel, und sagte mir endlich:


Ein durch sinnliche Vergnügen verdorbener Mensch kann nur durch Reize neuer Vergnügen zurückgezogen werden. Schöne Buhlerinnen bestricken Sir John, und halten ihn von seiner Mutter und seinen Pflichten zurück. Sollte nicht die schöne Miß Elma, ihre Stimme, ihr Harfenspiel ihn reizen, zu seiner Mutter zu kehren, um sie zu seyn, und also Miß Elma die körperliche Erscheinung der Tugend für ihn werden? Man nimmt so gern den Ton und Sitten des geliebten Gegenstandes an. – Sir John beweißt es; er ist wie seine Gesellschafterinnen –

Ich sagte Milady meine Wünsche und meine Hofnungen. Sie faßte sie auf, und wir giengen ohne unserer Elma ein Wort zu sagen, nach einem wohl überlegten Plan zum Werk.

Sir John hatte seiner Frau Mutter geschrieben, [172] daß er auf ihr Vermögen Verzicht thue: sie könne thun, was ihr beliebe. Alle Welt wußte, wie er der besten Mutter so kalt und schlecht begegnete. Wir bauten auf diesen Brief, giengen nach London, und ich fragte Rechtsgelehrte um Rath, auf den Fall, daß Milady nach diesem Brief handeln, und eine junge Miß an Kindesstatt aufnehmen wollte. Die Sache wurde richtig, und Miß Elma mit aller Feyerlichkeit von Milady Gürden zur Tochter und Erbin angenommen. Sir John war zu Tunbridge, als es geschah; aber alle Zeitungen und Pamphlets waren voll von diesem Vorgang, besonders aber von der Schönheit der Miß. Milady führte sie in Schauspiele und auf Spaziergänge. Ueberall wurde sie gelobt und bewundert. Aber sie erschien nur einmal: dann war immer Miß Elma kränklend und verschlossen. Sir John hörte diese Geschichte, lachte und spottete anfangs. Doch da er so viel von der Schönheit der Miß reden hörte, wurde er neugierig, suchte Milady auf, und kam mit ziemlicher Artigkeit, sein langes Ausbleiben zu entschuldigen. Milady empfieng ihn heiter, aber kalt, wie einen ganz fremden Menschen, antwortete ihm ganz gleichgültig, und arbeitete fort. Er war verlegen, sah um sich, so oft sich nur das mindeste hören ließ, aber Miß [173] Elma erschien nicht. Ihre Harfe war in dem Kabinet von Milady; er sah dem Lehnsessel seiner Mutter gegenüber einen Stuhl, nahe an der Stelle, wo die Harfe hieng. Da, dachte er, sitzt Miß bey meiner Mutter. Die schöne Auflage der Werke von Lord Litleton lagen aufgeschlagen da; ein Miniaturstück nicht ganz ausgemalt daneben. »Dieß ist Arbeit von Miß.« Er sah alles an, doch fragte er nicht; und da Besuche kamen, und Miß nicht erscheinen wollte, so gieng er, fragte aber Milady, ob sie noch einige Zeit in London bliebe? – kalt sagte sie, sie wisse es nicht. Ihre Kälte und Ruhe war ihm sehr aufgefallen, und er war abends selbst in seiner lustigen Gesellschaft nicht so munter als sonst.

Milady ließ nun unsern Reynolds kommen, und begehrte von ihm den Entwurf eines allegorischen Gemäldes, auf welchem sie und Miß Elma so abgebildet wären, daß es als ein Denkmal der Aufnahme an Kindesstatt angesehen werden könnte.

Nun sprach erst der Kenner jeder Grazie von den Annehmlichkeiten der Miß Elma, und man wollte sie schon ohne Entgeld malen, und in Kupfer stechen. Durch alles dieses wurde die Neugierde von Sir John so stark, daß er einen alten Bedienten von Milady, der ihn ehmals besorgt hatte, zu [174] sich kommen ließ, und ihm so viel Guineen bot, als er wollte, er solle ihm doch sagen, woher Miß Elma sey, und was alles mit ihr vorgienge. – Der Bediente war unterrichtet, sprach nicht anders als von einem Engel, und mischte mit einer Thräne im Aug einen Gottesdank unter das Lob, weil Miß Elma die gute Lady über das lange Ausbleiben von Sir John getröstet, und bey Leben erhalten habe. – Nun wollte er in dem Hause versteckt werden, um Miß zu sehen. Richard fand, es sey beynahe unmöglich; denn Miß schliefe in Milady Zimmer, und sey den ganzen Tag bey ihr: er wolle aber mit seiner Betti sprechen, die Kammermädchen bey Miß sey; denn er möchte Sir John wohl gönnen, daß er seine schöne Schwester einmal sähe! Richard bekam eine handvoll Guineen, und Reynolds einen Besuch, als das Bild in sein Haus kam, um ausgemalt zu werden.

Beyde Ladies stehen in Lebensgröße in einem auf Säulen ruhenden Tempel. Auf dessen Vorderseite steht, »der Sympathie geweyht.« Milady Gürden in einem violetten Wittwengewand, eine weisse Binde mit langgeknüpften Schleifen um ihren Leib; ein halbzurückgeworfener Schleyer wallt in edlen Falten an ihrem ehrwürdigen Gesichte herunter; sie steht auf der obersten Stufe eines antiken [175] Altars, auf welchem Blumenkränze und Blumenketten liegen, von denen sie eine an einem Ende hält; das andere, so etwas über den Altar hinunterhängt, wird von Miß Elma gefaßt, die erst mit einem Fuß auf der Stufe ist. Milady zieht die Kette gegen ihre Brust, und sieht mit einem Gemische von Würde, Liebe und Vergnügen gegen Miß Elma hin. – Diese in einem weissen Kleid mit Falten, welche allein in dem Gewand einer eilenden Huldgöttin entstehen können, hat den rechten Arm ausgestreckt, mit dem sie die Blumenkette hält, ihr Oberleib ist in der edelsten Stellung etwas vorwärts gebogen, und in ihrem holden Gesichte liegt bescheidenes Entzücken, Dank und Zärtlichkeit ausgedrückt. Die herunterhängende Ende des rosenfarbenen Gürtels, der um ihre feine Gestalt liegt, sind auch nach den Falten des Kleids etwas fliegend gemalt; ihre linke Hand hält Blumen, wovon sie schon etliche zu den Füßen von Milady gestreut hat. Auf dem Altar steht: –


Lady Gürden nimmt Miß Elma zu ihrer Tochter an.

Das Gemälde wurde täglich mehr besucht. Milady selbst erhielte Ehrenbezeugungen und Briefe von Lords aus großen Familien, welche um die Erlaubniß baten, Miß Elma aufzuwarten, und ihr [176] Hand und Rang anzubieten. Unsere Leute wurden bald von diesem, bald von jenem gereitzt, um Versprechungen und Gold, Briefe an Miß zu bestellen, oder eine Unterredung zu verschaffen.

Sir John wurde unruhig über dieses Geräusch, und war auch einige Tage nicht wohl; und was noch mehr war, er versagte seinen Bekannten ihre Besuche; Richard mußte wieder zu ihm, und wurde eifriger als je nach Miß Elma gefragt, wer sie sehe? wem sie Milady wohl zudächte? – Richard wußte nichts: er vermuthete aber, daß Milady etwas vorhätte, denn sie habe seiner Betti gesagt, gleich nach der Rückreiße von Gürdenhall, wohin sie in zwey Tagen giengen, würde Miß Elma vermählt.

Nun foderte Sir John von dem alten Richard eine Probe seiner ehmaligen Liebe für ihn, daß er ihm Gelegenheit schaffe, Miß zu sehen oder zu hören, ehe sie wegreißten: er wolle sich verkleiden; man denke in seiner Mutter Hause so nicht mehr an ihn, besonders da er nicht ausgehe.

Richard ließ sich bewegen, brachte ihm den andern Tag seinen Livreerock, und führte ihn ganz sorglich in die Stube von Betti, wo er versteckt seine Mutter und Miß Elma auf den großen Saal gehen, und wiederkommen sah. Bey dem Zurückkommen [177] hielt sich Milady bey Betti auf, und fragte, ob alle Kleider von Miß fertig und gut gepackt seyen? Betti versicherte es, und Miß Elma dankte, für die nur zu reichliche Sorge, welche Milady für sie trage. Diese antwortete ihr mit einem Kuß: Bald, meine Elma! hoffe ich dich als meine geliebte Tochter ganz auszustatten, ob dich schon der glückliche Mann, auch ohne nichts, als den köstlichsten Schatz betrachten wird.

Damit giengen sie vorüber, aber der Stachel war tief durch Liebe und Furcht in die Seele unsers Sir John gedrungen, Miß Elma, und alle ihre Reize waren immer vor ihm, mit dem Gedanken, daß seine Mutter sie nun einem andern geben müßte, da doch ehmals ihre Liebe alles für ihn gethan haben würde. Er ließ einen Beutel mit Guineen in des alten Richards Rock, und folgte uns auf dem Fuße nach Gürdenhall. Denn kaum waren wir zwey Tage da, als mich der Sohn des Pächters, bey welchem wir heute zu Mittag assen, zu seinem Vater rief, der mich an die Thüre des obern Zimmers führte, und allein hineingehen hieß. Sir John, der am Fenster saß, sprang auf, und gieng einige Schritte hastig gegen mich, blieb aber auf einmal mit erröthetem Gesicht, und einem gegen mich ausgestrecktem Arm stehen. Ich stockte [178] freylich auch einige Augenblicke, aber es war staunende Freude über seinen Anblick, und über die Gewißheit, daß er nun Gürdenhall und der Tugend wieder gegeben sey. Ich warf meinen Hut und Stock hin; Thränen stürzten aus meinen Augen, und mit beyden Armen schloß ich den moralischen Findling an mein Herz. Nun hieng er an meinem Hals, weinte auch, und küßte mich, drückte dann meine Hand, sah mich an:


Doktor! Sie lieben mich also noch?


Ja, Sir John! von ganzem Herzen liebe ich Sie, und danke Gott, daß er mich den Tag erleben ließ, wo Sie diesen Boden wieder betreten, wieder ganz Sir John sind. Ach! was göttliche Freude für Ihre Mutter!

Er sagte mit einer Art Schmerz:


O meine Mutter ist so kalt gegen mich geworden.


Daran, lieber Sir John! war Ihre eigene Erkältung Ursache; aber glauben Sie mir, das mütterliche Herz wird bey der Rückkehr ihres Sohnes schmelzen.

Wir setzten uns nach dem schweigend auf eine Bank, Hand in Hand, zusammen. Sir John sah nachdenkend vor sich hin, und ich mit Wonne auf ihn. Es däuchte mich, als ob unter seinen Thränen der Reue jeder moralische Zug seines Gesichts [179] sich neu entfaltete, wie Thau die welkende Blätter einer durch Sonnenhitze versengten Pflanze erquickt, und ihr neues Grün und neuen Wachstum giebt. Ich bat Gott in meiner Seele, die gute Bewegungen, die ich in der Seele meines Zöglings sah, zu segnen, und sie reifen zu lassen. Während diesem innerlichen Gebet drückte ich sanft eine seiner Hände, die ich hielt. Er blikte mich fest und untersuchend an.


Doktor! ist Ihnen alle diese Liebe ernst? machen Sie mir keine Vorwürfe da innen? –

Er legte hier eine Hand auf meine Brust.

Nein, bey Gott! – sagte ich,

da ich zugleich seine Hand fest an meine Brust drückte –


Ich fühle nichts als Freude, und wahre Liebe; ich wünschte, Sie in meiner Seele lesen lassen zu können.


Sie müssen doch sehr unzufrieden mit mir gewesen seyn?


Ja, lieber Sir John! das war ich. Aber immer war Liebe dabey; denn wie konnte ich das Bild Ihrer schönen Jugendjahre, alle die herrliche Anlagen Ihres Geistes und Herzens vergessen? – ich weinte nur, daß der wilde Strom der Leidenschaften Sie mit fortgerissen[180] hatte, und hofte immer auch, die Vorsicht würde ein so edles Geschöpf nicht zu Grunde gehen lassen. – Sie sind gerettet! ich fühle es – Sie sind gerettet!

rief ich mit einer Umarmung aus. Eine ruhige schöne Thräne glänzte in seinem Aug. Er küßte mich dankbar, und sagte:


Guter Mann! Sie sollen, wie ich zu Gott hoffe, Ihre Erwartung erfüllt sehen, und ich will Ihnen gleich einen Beweiß von der völligen Rückkehr meines Herzens geben. – Ich bekenne, daß mich nicht die schuldige Liebe für meine gute Mutter, nicht das Gefühl von Reue über meine Ausschweifungen, sondern die Liebe für Miß Elma hieher brachte. Aber das ist auch wahr; ich konnte Gürdenhall nicht sehen, diese Luft nicht einathmen, ohne daß tausend Bilder und Gefühle in mir erwacht wären, welche das süsse Andenken jeder reinen Jugendfreude zurückruften. Das Händeschütteln des guten Pächters, als ich gestern Abend ganz allein hiehergeritten kam, seine staunende Freude mich zu sehen, sein Jammern, als ich nach seiner Frau fragte, die meine Kinderjahre gepflegt hatte, – daß sie nicht mehr lebe, und den Trost nicht habe, mich wieder gefunden zu sehen, – o das bewegte mich! [181] noch mehr aber, als er zusetzte: – Ach! sie war nur Ihre Magd. Ihre Mutter! – die wird Trost geniessen – die verdient's. Theurer Sir! bleiben Sie jetzo bey Ihrer Mutter! –

Doktor! fuhr Sir John fort: –


mein Herz war bestrickt, meine Seele verblendet, aber nicht so ausgeartet, daß ich mich gegen die treuherzige Neigung dieses Mannes verhärten konnte. Ich war unendlich gerührt, und bat ihn, Sie morgens in aller früh holen zu lassen. Ich wollte bey ihm über Nacht bleiben, um meine Frau Mutter nicht so spät zu beunruhigen. Es gefiel ihm, daß ich meine Mutter schonte, und der redliche Greiß freute sich, den Sohn seiner Lady zu beherbergen. Er sah meinen Wunsch nach Ihnen als ein gutes Kennzeichen an, und erlaubte dann seiner Tochter Sally, das Essen zu bringen, und in der Stube zu seyn. Dieß erschütterte mich. Mein böser Ruf hatte die ehrliebende Seele meines Pachters mißtrauisch gemacht, und die Tugend meines Lehrmeisters war so tief in dem Mann gewurzelt, daß er vermuthete, ich müsse auch gut seyn, nur weil ich so eifrig nach Ihnen gefragt hatte. Ich lag die halbe Nacht am Fenster; die hohe weisse Stirnwand von Gürdenhall, und die Vasen [182] von einer Seite des Dachs glänzten sanft im Mondlicht zu mir herüber. Die Bäume des Parks säusselten, und schienen mich willkommen zu heissen. Mein Herz wurde erweicht, und innig wünschte ich meiner Mutter einen süssen Schlaf. Ich fürchtete mich vor Ihnen, sagte mir aber, daß ich Vorwürfe verdiente, und sie gerne tragen wolle, wenn sie nur nicht zu bitter seyen. Denn, mein Freund! o glauben Sie mir, wer einst die Tugend liebte, und sie verläßt, macht sich beym Wiederkehren selbst Vorwürfe genug. Aber Sie haben mich als Vater aufgenommen, und bewießen mir, daß wahre Tugend nie ohne vollkommene Güte ist.

Ich war versunken in unaussprechliches Wonnegefühl. Ich knieete zur Erde, und prieß Gott für die Seeligkeit, welche die Rede des jungen Manns über mich ausgegossen hatte. Ich bat ihn, den Jüngling zu lohnen, und ihm Beharrlichkeit des Wandels auf diesem schönen Weg zu geben. Sir John umfaßte mich, und lehnte seinen Kopf auf meinen. Meine Thränen benetzten ihn, ich wollte sie abwischen, aber er litte es nicht.


Nein, Doktor! ich bin nun wieder zu Ihrem Zögling geweyht, und ich will es bis in meine Grube bleiben. Leiten Sie mich wieder,

[183] (sagte er, als ich an seiner Hand aufgestanden war, und er mich noch hielt:) Aber, fuhr er fort,


Lohnen Sie mich auch! machen Sie, daß ich an der Hand von Miß Elma mein Leben fortführe, daß meine Mutter mir ihren Liebling giebt, nicht dem glücklichen Lord Sirham, (den er für ihren Bräutigam hielt.)

Ich versprach ihm, alles für ihn zu thun: er solle sich nur bey Miß Elma beliebt machen; von dem Herzen seiner Mutter könne er alles versichert seyn. Nun mußte ich auf hundert Fragen antworten. Der Mittag kam. Ich sagte, ich wollte nach Haus, weil Milady heut früher speise, um den Nachmittag in Johns Lauben zuzubringen, wo sie der Miß Elma sein Bildnis zeigen wolle. Er wurde von diesem Gedanken durchdrungen, schlug seine Hände zusammen, und rief aus: –


Ach! da wird meine Mutter über mich klagen, und Miß Elma mich verabscheuen!

Hierauf wurde er einige Augenblicke still, und fieng dann an:

Doktor! wollen Sie das Siegel auf Ihre Freundschaft drücken?

Ich sagte, ja, recht gern. –


Nun, so schreiben Sie meiner Mutter, daß Sie bey Pachter Edward zu Mittag essen, [184] und führen Sie mich dann in den Park, daß ich meine Mutter sehen und hören kann, ehe sie weiß, daß ich hier bin.

Ich schrieb; meine Hand zitterte vor Freude. Denn dieses Billet war das Losungswort für Milady, daß Sir John wieder gefunden, und ihrer ganz würdig sey. Sie ließ mir nur sagen, sie hoffe, daß ich abends nach Johns Lauben kommen, wo er sie und Miß finden würde, indem beyde den ganzen Nachmittag da zubringen wollten. Sir John war in dem größten Entzücken über allerley Hofnungen, die er sich machte. Aber der Gedanke, Miß Elma zu sehen, war die glänzendste davon.

Wir giengen bald vom Tisch, aber durch einen ziemlichen Umweg nach Johns Lauben, die man so nannte, weil alle Bäume dort auf den Geburtstag von Sir John angepflanzt worden, und auch ein sehr artiges Gartenhaus hingebaut ist, das in einem ovalen, in der Mitte durchschnittenen Saal besteht, der auf beyden Seiten der durchschneidenden Mauer kleine, auf Säulen gestützte Gänge hat. Alles ist mit einem Italienischen Dach und Vasen geziert, und zwischen den Säulen des halben Ovals und der Gänge sind Stufen, so daß man von allen Seiten in den Park gehen kann. Die Hälfte des Saals ist mit Mauern und Fenstern[185] gegen die See zu. Ueber dem Kamin ist das Gemälde von Sir John, als er sechszehn Jahr alt war, da er neben einem schönen Pferd steht, welches ihm sein Großvater geschenkt hatte. Man kann in Wahrheit nichts Angenehmers sehen, als diese Jünglingsgestalt, voll Muth und Fröhlichkeit über das schöne Pferd. – Dort war Lady Gürden mit Miß Elma hingegangen, um den entscheidenden Augenblick zu befördern, der das Glück ihres Sohns und das ihrige festsetzen sollte. Sir John gieng bald schnell, bald langsam ganz stillschweigend neben mir; sah oft auf mich, wenn wir bey Plätzen vorbeykamen, wo die Ruhbänke waren, auf denen ich mit ihm gesessen, und ihn unterrichtet hatte. Ich bemerkte wohl, daß alles einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Endlich winkte er mir, zurückzubleiben, und schlich sich zwischen der Galerie in die Ecke des Kabinets. Ein kleines verabredetes Zeichen sagte Milady, daß Sir John da wäre, wo er seyn sollte. Miß Elma mußte da ihre Harfe nehmen, und spielen, und ein kleines Lied dazu singen, damit auch diese Kette um sein Herz geschlungen würde. Aber bald sagte Milady:


Höre auf, meine Elma! ich werde durch dein Spiel und Singen zu wehmüthig, besonders da ich das Bild meines verlohrnen Sohnes [186] vor mir habe.


»Liebe Mutter! wie alt war Sir John, als er gemalt wurde?«

Sechszehn Jahre, meine Liebe!

»Er war sehr schön, und hat viele Aehnlichkeit mit Ihnen.«


Ach Elma! wenn diese Aehnlichkeit in den Zügen seiner Seele gewesen wäre, so würde ich noch eine glückliche Mutter seyn; aber diese äusserliche Gleichheit hat nicht einmal Liebe für mich gewürkt.


»Theure Lady! darf ich was fragen?«

Was du willst mein Kind!
»Haben Sie alles gethan, ihn zurückzurufen?«

Gewiß, meine Elma! habe ich nichts unversucht gelassen.


»Ich will es glauben, liebe Mutter! aber waren Sie es selbst, oder andere, die Sir John Vorstellungen machten?«


Warum fragst du dieses?


»Weil ich fürchte, daß andere nicht edelmüthig genug, nicht liebend genug mit dem jungen Mann umgiengen, oder zur Unzeit mit ihm sprachen, da gerade eine ergötzende Leidenschaft in ihm herrschte, und da konnte er ja niemand anhören.«


[187] Ach, liebe Elma! wenn du wüßtest, was ich und sein Lehrmeister alles thaten, und ihn immer kälter und verdorbener fanden – den so vortreflichen jungen Mann, in welchem alles Edle und Gute bis in sein zwanzigstes Jahr in voller Blüthe war.


»Theure Lady! das kann nicht ganz erstickt seyn – es ist unmöglich, jeder Zug seines Gesichts sagt es. Und, liebe Mutter! seine Aehnlichkeit mit Ihnen verspricht es meinem Herzen, er wird gewiß einst für Sie, und für jede Tugend leben.«


O Elma! du Fremdling! den das ohngefähre Schicksal in meine Arme brachte – du giessest Balsam in das Herz, das von meinem einzigen geliebten Sohn zerrissen wurde. – Holde, liebe Tochter! Gott segne dich für die Hofnung, welche dein das gute so gern glaubendes Herz mir giebt.

Hier, mein Freund! war Sir John seiner nicht mehr mächtig. Er stürzte in den Saal zu den Füssen seiner Mutter, die in diesem Augenblick ihren Kopf in der vollen Bewegung ihres Herzens auf Miß Elma gelehnt hatte, und Miß eine Hand der Lady küßte.

Sir John lag vor ihnen, beyde Arme ausgestreckt,[188] konnte nichts sagen – als –


O meine Mutter! O Engel Elma!

dann, von tausend Gefühlen überströmt, halb ausser sich, auf den mütterlichen Schoos sank, seine Mutter ihn umarmte, an sich drückte, und süsse, süsse Thränen der Freude über ihn hinweinte – O! was war dieser Anblick für mich – der so glückliche Erfolg meines Nachdenken und Anordnung.

Milady erhob sich, hatte aber noch einen Arm um den Hals von Sir John, und mit der andern Hand hielt sie seinen Kopf in die Höhe, um ihr mütterliches Auge an dem Anblick ihres Sohns zu erquicken. Miß Elma, über deren schöne Wangen große Thränen herunterträufelten – Sir John, der seine Hände bittend erhob:


Vergebung, o meine Mutter Vergebung!

Milady dann seine Hände in ihre schloß, und so feyerlich ihm sagte:

von ganzem Herzen, mein Sohn! – Bleibst du aber jetzt mein?
setzte sie zärtlich hinzu,

All mein übriges Leben, theure Mutter! Segnen Sie mich wieder.

Betend waren ihre Hände über dem bittenden Sohn gefaltet, und sie segnete ihn nach sechs kummervollen Jahren wieder das erstemal auf der nemlichen [189] Stelle, wo er ihren Abschiedskuß erhalten hatte. Ich war gegenüber an der Thüre angelehnt, und genoß die herrliche Frucht meiner Hofnungen. Sir John küßte die Hände seiner Mutter, die mit Wonne ihn ansah. Miß Elma stund auf; dann sie war erst ganz frey geworden. Sir John wand sich, noch da knieend, gegen sie:


Edle Fürsprecherin für den verblendeten Sohn! haben Sie Dank, – ewigen Dank für jede Sylbe, die Sie sagten, für jeden Blick auf mein Bild! – O Elma! wie tief ist das Ihrige in meiner Seele.

Miß machte eine anmuthsvolle, sittsame Verbeugung, und Milady lächelte auf ihre Kinder mit Entzücken hin, führte dann ihren Sohn, wie eine köstliche Beute, triumphirend nach Gürdenhall, stellte ihn dem ganzen Haus wieder vor. Alle hatten unaussprechliche Freude, Sir John zu sehen; sie wurden beschenkt, und im ganzen Kirchsprengel alle arme Jungen gekleidet, so wie von diesem Tag an, jedes Jahr vier versorgt werden.

Aber auch von diesem Tag an ist Sir John der beste der Menschen, und wir dadurch die glücklichsten. Schnell sproßten alle erstickt geschienene Verdienste des Geistes und Karakters wieder in ihm empor, und eben so schnell wuchs seine Liebe für [190] Miß Elma. Es war Anbetung in der Flamme seiner Zärtlichkeit. – O wie hiengen seine Blicke an ihr, wenn sie malte, arbeitete, oder etwas vorlaß! wie lauschte er ihrem Gesang, ihren Reden! wie leicht errieth er, was sie liebte! und wie mußte das alles geschehen. Lange versagte er sich die Freude, von seinen Gesinnungen zu reden, aber endlich ertrug er sein Schweigen nicht länger; doch sagte er seiner Mutter zuerst seine Wünsche nach Miß Elma, bat sie um Erlaubniß zu reden, und um ihre Fürsprache. Wie glücklich war er, als er sagen durfte: ich liebe – und wie viel glücklicher, als er hofte – geliebt zu seyn; und die Mutter, und wir alle, die nun dieses Bündnis voraussahen! – Sehnsucht fieng an, das Herz von Sir John zu nagen, da redete Milady mit Miß Elma, und diese versprach ihr, auf den Namenstag von Sir John ihre völlige Tochter zu werden. Miß entwarf eine Scene voll Liebe auf diesen schönen Tag in Johns Lauben. Zehen Pächtermädchen, und eben so viel Jungen wurden grün und weiß gekleidet, und bekamen weisse Strohhüte mit Blumenkränzen gezieret. Die Bäume in Johns Lauben wurden mit Blumengewinden behängt. Miß unterrichtete die junge Leute, was sie thun sollten. Ihre Eltern und der Pfarrer wurden auch geladen, festlich da zu seyn. Miß gieng, mit dem [191] Segen von Lady begabt, Morgens in den Park, wo die junge Leute und die Pächter schon waren. Sie hatte während der Brautzeit ein Kleid für Sir John gestickt, und gab es ihm zum Geschenk auf diesen Tag. Sie war ganz weiß gekleidet, aber die Einfassung war auch im nemlichen Rosengewinde gestickt, wie das Kleid ihres Sir Johns. Ein Kranz von Perlen, Rosenknospen und Myrthen lag reizend auf ihrem Kopf, ihre Haare hiengen in langen Loken um ihren schönen Hals, und eine Rosenkette war ihr Gurt. So saß sie auf einer Mooßbank unter Blumengesträuchen mit ihrer Harfe, an welcher ein Kranz hieng, so dem ähnlich war, den sie auf dem Kopf trug. Als man die Lady mit Sir John gegen den Platz kommen sah, spielte sie einen artigen Englischen Landtanz, nach welchem die Knaben und Mädchen zwischen den Bäumen mit Kränzen und Blumen in den Händen herausgehüpft uns entgegen kamen, Blumen vor uns herstreuten, und sich dann tanzend auf beyden Seiten theilten, als Miß Elma, mit der vollkommensten Grazie, ihre bekränzte Harfe haltend, gegen Sir John gieng, einige Verse sang, die ich gemacht hatte, den Kranz von der Harfe nahm, und ihn um Sir Johns Hut legte, der Liebe und Wonne trunken ihre Hände küßte. – Alsdann fieng eine von mir in dem Wäldgen versteckte Musik [192] an, und die Knaben und Mädchen schlossen tanzend mit ihren Kränzen einen Kreiß um Milady und das Brautpaar, und wir sangen in einem Chor:


Edles, schönes, würdigs Paar!
Welches auserlesen war,
Unsere Mutter zu entzücken,
Und uns alle zu beglücken,
Lebe, lebe viele Jahr!
Edles, schönes, würdigs Paar!

Und so giengen wir in den kleinen Saal von Johns Lauben, wo ich als Vater die liebenswürdige Miß Elma an meinen geliebten Zögling übergab, und alle nach der Trauung und den Glückwünschen der guten Pächter und Bedienten in der Halle zu Mittag speißten, und Lady Elma noch durch unnachahmliche Anmuth im Tanzen ihren Gemal auf das neue entzückte, und von diesem Tag an Edelmüthigkeit, Güte, Weisheit, und alle schöne Freuden des Lebens in ihre Handlungen und Tage verwebt sind.

[193]

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