372. Untergegangenes Schloß im Seeburger See.
Mündlich.
Da, wo jetzt der Seeburger See liegt, hat in alter Zeit ein schönes Schloß gestanden; es ist aber mit allem, was darin war, untergegangen, und nur der Herr und sein Diener sind glücklich davongekommen. Vor dem Untergange aber hat man schon mancherlei Vorzeichen [336] desselben wahrgenommen, denn zuerst hat der Hahn gekräht, daß heute noch das Schloß untergehen werde; bald danach hat der Bediente seinem Herrn einen Fisch gebracht, von dem prohezeit war, daß, wenn er gefangen wäre, das Schloß untergehen würde. Darum haben sich Herr und Diener schnell zu Pferde gesetzt und sind davongeritten, und zwar nach Gieboldehausen zu; als sie aber auf den Mühlberg gekommen sind, haben sie sich noch einmal umgeblickt und gesehen, wie an der Stelle, wo das Schloß gestanden, durch einen ungeheuern Wolkenbruch ein großer See entstand und wie eben die Thurmspitze des Schloßes hinabsank.
Ein Mann aus Bernshausen erzählte, es sei ein bunter Fisch gewesen, deßen Fang den Untergang des Schloßes angezeigt habe und ein anderer erzählte, der Herr habe Pisang geheißen und sei so gottlos gewesen, daß er seiner Schwester nachgetrachtet; darum werde in Seeburg alle vier Wochen seinethalben noch Koland (!) gehalten.
Vgl. oben Nr. 359, 360 und unten Nr. 412; Norddeutsche Sagen, Nr. 178-180 mit der Anm.; Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 131; Schambach u. Müller, Nr. 70 mit der Anm.; Harrys, I, 1; über den Koland erhält man auch durch das, was Schambach u. Müller haben, keine größere Klarheit; vielleicht waren ursprünglich Festlichkeiten damit verbunden; vgl. Grimm, Mythologie, S. 594, worauf auch die in den Gebräuchen unter Nr. 458 berichtete Sitte deutet, daß man sich am ersten Pfingsttage am Seeburger See zu versammeln pflegt. Der bei Schambach u. Müller angeführte Umstand, daß der Koland genannte Acker an Schulen und Geistlichkeit zinst, scheint auf uralte Heiligkeit desselben zu deuten; vgl. Panzer, I, 282 fg. Zum Beweise für den Untergang des Schloßes im See, erzählte man mir, daß vor einigen Jahren ein dreifüßiger Grapen beim Fischen aus dem See gezogen sei; vgl. auch Harrys.