[302] 347. Der Meerwaizen.
Mündlich von einem Schiffer aus Brake und einer Bäuerin aus Ankeloh.
Wenn die Bremer Schiffer nach Amsterdam fahren, kommen sie an einer Stelle vorbei, – es soll bei Harlingen sein – wo Waizen im Meer wächst; die Ähren kommen ganz goldgelb aus dem Waßer hervor, aber es sind keine Körner drin. War nämlich mal in dieser Gegend eine reiche Frau, die war so reich, daß sie gar nicht dachte, sie könne je arm werden. Da kam nun einmal einer ihrer Schiffer aus der Ostsee, der hatte Waizen geladen und sie fragte ihn, auf welcher Seite er ihn eingeladen habe, und als er ihr antwortete: »Auf dem Backbord,« sagte sie, so solle er ihn auf dem Steuerbord wieder ausschütten. Da warnte er sie denn, sie solle sich nicht versündigen, es könne ihr noch schlecht ergehen, sie aber zog einen Ring vom Finger und sagte, indem sie ihn in's Meer warf: »So wenig, als ich diesen Ring wiederbekommen kann, so wenig kann ich auch je arm werden!« und ließ den Waizen in's Meer schütten. Andern Tages schickt sie ihre Magd auf den Markt, einen Schellfisch zu kaufen, und als diese ihn zu Hause aufschneidet, so liegt der Ring drin; und da hat's denn nicht lange gewährt, so ist die Frau ganz arm geworden, so arm, daß sie zu letzt nicht mehr soviel hatte um ihre Scham zu bedecken. An der Stelle aber wo sie den Waizen in's Meer schütten laßen, wächst er noch fort bis auf den heutigen Tag.