[152] [155]Funfzehnter Gesang

Komm, die meine Seele mir oft mit sanfterer Wehmuth
Und mit ihrer großen Erwartungen Schauer erfüllte,
Komm, Betrachtung der künftigen Welt! Die künftige Welt war
Auf der Erde, da das geschah, was jetzt mein Gesang ist.
Denn es erschienen Todte der Christen ersten, zum Himmel
Sie zu berufen, zu weihn die Brüder zum ewigen Leben.
Klein war nur die selige Schaar; doch aus dieser Wurzel
Wuchs, ein Schatten, verbreitet in allen Himmeln, ein Baum auf,
Voll nie welkender Zweige: Die hundertundvierzig Tausend,
Alle Versöhnte! das Heer ohne Zahl am krystallenen Meere,
Alle Versöhnte! Die Schaar der hundertundvierzig Tausend
Sangen, als sie der Himmlische sah, der bis ans Gericht blieb
Ueber das Schauthal, sangen das neue Lied vor dem Throne,
Welches Keiner zu lernen vermag. Sie waren Erkaufte
Von der Erde, nicht befleckt von der Liebe des Eiteln,
Folger des Lamms, wohin es auch ging, die Erstlinge Gottes
Und des Lamms, unsträflich vor Gott in Worten und Thaten.
Siehe, das Heer ohne Zahl, da der Zeuge des Herrn es erblickte,
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Rief, wie aus allen Geschlechten es war und Sprachen und Völkern
An dem Throne versammelt, in weißem Gewand, in den Händen
Palmen, es rief mit der Stimme des lauten Jubels: »Dem Herrscher
Auf dem Throne sei Heil! Heil unserem Gott und dem Lamme!«
Und da fielen aufs Antlitz die Engel und Aeltesten nieder,
Und da rauschte das Meer, da wehten der Siegenden Palmen.
Denn gen Himmel hinauf, aus großer Trübsal gen Himmel
Sind sie gekommen, sie haben gewaschen ihr Gewande,
Hell sie gemacht in dem Blute des Lamms, die seligen Dulder.
Aber itzt war die kleinere Schaar, die Wurzel des Baumes,
Noch nicht einmal berufen. Sie schliefen noch unter den Hüllen
Ihres Gesetzes. Es sollten zum ersten Mal sie Erstandne
Wecken; Kephas dann in der Rede der Salbung von Christus,
Und zu Deren Gemeine, die selig wurden, hinzuthun
Sie Dreitausend auf einmal. Noch schlummerten selbst, die von ihnen
Sollten Erstlinge werden, verstanden noch nichts von dem neuen
Ewigen Liede der Wonne. Noch schliefen die anderen Sieger
Ohne Palmen und helles Gewand durch Golgatha's Blutquell.
Siehe das Werk des Erstandnen begann. Die verklärten Gerechten
Schwebeten Tabor hinab, zu erscheinen den künftigen Christen.
Aber eh noch der Erscheinungen Schaar nach Salem hinabstieg,
Sammelte sie um sich der Auferstandnen, der Todten
Und der Sterblichen Vater und sprach: »Nun sind sie gekommen,
Freuet Euch, Kinder, nun sind des Heiles Stunden gekommen,
Da wir gewürdiget werden, die ersten Winke zu winken
Nach dem schmalen Wege, den ersten Durst zu entzünden
Nach des Lebens Quell! Der Stifter der himmlischen Kindschaft
Hat es Eurem Gefühl und Erforschungen überlassen,
Auszuwählen, wie es Euch dünkt. Ihr wählet, die Kinder
Werden und Erben; Ihr wählt der Vorbereitungen Weise.
Aber nicht nur, die Ihr der hohen Erscheinungen würdigt,
Sind zu dem Heile berufen. Und wenn Ihr beriefet, die Gott nicht
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Auch beruft, so würden die hohen Thronen Euch warnen.
Eilt denn, genießt den Wonnegedanken, Euch Brüder zu wählen
Zu dem Erbe des Lichts! Ich seh', Die werdet Ihr wählen,
Welche in ihrer Finsterniß schon die Gnaden empfingen,
Daß sie, wiewol mit Straucheln, den himmlischen Wandel begannen;
Und Ihr werdet sie kennen, die diese Gnaden empfingen.«
Tiefsinn war in des Knaben Seele geblieben, den Jesus
Unter die Hörer gestellt und gesegnet hatte. Nephthoa,
Nach der Quelle genannt an Ephron's Grenzengebirge,
Liebete minder seitdem die Gespielen, und Einsamkeit war ihm
Süßer als alle Freuden der frohen Jahre geworden.
Blüthe trug er und Frucht, im beginnenden Lenze des Lebens
Reif wie Jünglinge, voll Verstandes und göttlicher Gnade.
Sieben Jahr' entflohen ihm erst, und er hatte das letzte
Betend verlängt, ein Jahr voll reicher Saaten, unkennbar
Denen, die kleine Dinge, verwebt in das Eitle, nur dachten,
Aber mit Segen von Gott zu der Ewigkeit Ernte gesegnet.
Auch in dem achten säte Nephthoa der Ernte. Das hatt' er
Mit dem strahlenden Tage der Auferstehung begonnen.
Und er betete jetzt in der Abenddämmrung, gesunken
Auf sein Knie in den Staub, in einem Winkel des Hauses,
Wo er froh der Verborgenheit war. So flehte der Knabe:
»Herr, Du hörst mich gewiß, ob ich es gleich nicht erfahre,
Daß Du mich hörst. Stets komm' ich von Neuem, flehe von Neuem,
Daß Du mich hören mögest, o aller Kinder im Himmel
Vater und aller auf Erden! Vor Deinem leuchtenden Throne
Knien wir Alle; wir Armen auf Erden, denen ihr Erbe
Thränen sind, wir knien in dem Staube; die ausgeweinet
Haben, auf schimmernden Wolken, und Jene, die niemals weinten,
In den Strahlen der Sterne, die ungefallenen Engel.
Alle flehen von Dir mehr Seligkeit; aber mit Ruhe
Flehen sie Jene dort oben. Denn sie labt Fülle der Freuden.
Wir, wir flehen weinend Dich an um Erlösung vom Bösen,
Ach, Erlösung vom Elend und Segen zum ewigen Leben.
Unvollendet kann der nicht bleiben, den über mich aussprach
Dein erhabner Prophet in jener seligsten Stunde
Meines Lebens, als er in die große Versammlung mich stellte.
Würd' er vollendet, wenn er vergängliche Dinge nur gäbe,
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Nur des Lebens Freuden, das schnell wie die Blume verblühet?
Nein, Du steigest hinauf in die Ewigkeit, himmlischer Segen
Dessen, den Gott nicht nur, die Kranken zu heilen, gesandt hat;
Auch zu heilen die Sünder, hat ihn der Erbarmer gesendet.
Ach, ich kenne noch nicht den Segen zum ewigen Leben,
Weiß es noch nicht, wie mich, der einst mich segnete, leiten,
Welchen Weg er zu gehn mir gebieten wird. Aber ich will mich
Doch auf Gott verlassen. Dein Wille gescheh' und nicht meiner!
Ach, noch ist mir kein Tag in meiner Seele geworden
Jener großen Erkenntniß des Ewigen! Aber ich will mich
Dennoch verlassen auf Dich. Herr, Herr, Dein Wille geschehe!
Ließest Du leuchten auf mich, Gott, Deines Antlitzes Freuden,
O, so trüg' ich leichter die Last des Irrens im Dunkeln.
Aber ich will mich dennoch auf Dich, auf Dich verlassen.
Ach, das kurze, das fliehende Leben, die Knospe, die aufblüht,
Wegzuwelken! Wenn welkt, mit wenig Erde beworfen
Und verborgen zu werden, auch meins? Was treibt mich vor Unruh,
Immer Erkenntniß und Freude durch Gott zu suchen? Ich sollte
Still erwarten, bis ich mich niedersenkte, zu welken
Und verpflanzt ins Gefilde des Lichts und der Ruhe zu werden.
Hier ist doch kein Erkenntniß und keine Rettung ins Helle
Aus der deckenden Nacht, die unsre Seelen umhüllet.
Sind sie nicht zahllos, die Dinge, die ich nicht kenne? Sie werden
Noch unzählbarer sein, wenn erst mein Geist sich erweitert
Und ins Höhere schwingt, von reiferem Alter erhoben.
Doch sei ruhig, mein Herz! Den Durst nach seiner Erkenntniß
Stillet gewiß, der Dich hat mit diesem Durste geschaffen.
Wenn ich – vergönnst Du es mir, der mich zu dem Ernste geweckt hat
Und dem Blicke des Knaben nur sanftes Lächeln gelassen? –
Wenn ich zurück zu meinen Gespielen kehrte, mit ihnen
Blühte wie Rosen, mit ihnen von leichten Dingen nur spräche,
Nicht von der künftigen Welt und jener großen Erkenntniß,
Und so wartete, bis mit Weisheit von oben der Vater
Alles Lichts mich erleuchtete? Jesus fand mich ja also,
Da er mich in die Versammlungen rief und segnend mich aufnahm.«
Also betet Nephthoa. Sein Engel, der neben ihm schwebte,
Höret' ihn beten und schrieb mit unauslöschlichen Zügen
Flammenschrift in sein Buch, ein Buch des Lebens, das Alles,
Was mit Gnade vernahm der große Hörer des Himmels
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In des Knaben Gebet. Indem die schimmernde Schrift flog
Mit der Hand des Unsterblichen, kam Benoni und nahte
Sich dem Beter und ihm. E. »Willst Du ihm erscheinen, Benoni?«
Rief mit Entzückung der Engel und reicht' ihm das wehende Buch hin.
Und der Erstandene las. Der Immerunsterbliche hält sich
In der Freude nicht mehr und umarmt den himmlischen Jüngling.
E. »Ach, Erhörung, Erhörung, von Gottes Throne gesendet,«
Rief der freudige Seraph, »Du bist schon heute gekommen!«
Und Benoni nahete mehr. Noch kniete Nephthoa
Und begann von Neuem zu beten: »Mit herzlicher Freude,
Innigem ewigen Dank seist Du, o Vater, gepriesen,
Welcher der Gnaden so viele mir gab. Wie hast Du mit Huld mich
Ueberschüttet! Du warest es, hast mir des großen Propheten
Segen, Du Vater der Ewigkeit, zugesendet, Du Vater
Aller Kinder im Himmel und aller Kinder auf Erden!
Wer beginnet, und wer vollendet, genug Dich zu preisen,
Herr der Herrlichkeit, dem ich dies Auge voll Thränen erhebe?
In der Säuglinge Munde sogar hast Du Dir bereitet,
Hocherhabner, Dein göttliches Lob. Auch ich will es stammeln;
Denn Du hast Dir auch Lob in der Kinder Munde bereitet.«
Erst wollt' ihm Benoni wie einer der Pilgerknaben,
Die zu dem Feste wallten, erscheinen. Doch als er des Preises
Freudenthränen sah, vermocht' er sich so nicht zu halten,
Und er erschien Nephthoa in seiner Herrlichkeit. Strahlend
Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Frühlings.
Aber Nephthoa erschrak nicht. So war die Seele des Knaben
An die Bilder gewöhnet, die von dem Himmel ihm kamen,
Oft in Träumen und oft in fast erwachendem Schlummer.
Und er locket das Haar des himmlischen Jünglings und redet
Mit schnellfliegenden Worten. »Dich hat der Prophet mir gesendet!
Salem's Jüngling, wo schwebest Du her? Dich hat mir gesendet
Jesus! Du bist ein Bote de Heils, des Friedens, der Wonne!
Rede, sing's in die schimmernde Harfe, worauf Du Dich lehnest,
Sage, wo schwebest Du her? Erzähl, erzähle von Gott mir,
Sohn des Lichts! erzähle von meinen Todten mir, Erbe
Ihrer Freuden, von meiner entschlummerten Schwester voll Unschuld,
Die mir bei Rosen entschlief in der Morgendämmerung Duften,
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Eine Blüthe sie selbst, da sie nun lange schon todt war!
Bringst Du mir keinen himmlischen Gruß von Dimna Kedemoth,
Oder wie sonst in dem Himmel ihr neuer Name genannt wird?
Und was sagte sie Dir? Vielleicht: Der Herr sei gepriesen,
Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird sterben?
Nimm mich mit Dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, Du Bewohner
Jener Hütten, daß ich es wagte, so lange zu reden.
Ach, Du schweigest mir, Bote von Gott!« Itzt redte Benoni.
»Daß ich, Nephthoa, Dich seh' und Deiner Freuden Entzückung,
Hat mich schweigen gemacht. Der Herr hat Dir mich gesendet.
Jesus war todt, das wußtest Du nicht, und ist schon erstanden
Aus dem Grabe. Bald wird er hinauf zu der Herrlichkeit gehen.
Seine Geliebten werden alsdann in Jerusalem zeugen
Von dem Tod und der Auferstehung und von der Erhebung
Jesus' Christus'. Die höre! Sie werden von Gott Dir erzählen,
Was, als einem Sterblichen, Dir zu wissen vergönnt ist.
Deine Schwester empfängt Dich dereinst in der Lebensbäume
Duftendem Schatten! Doch jetzo muß ich Nephthoa verlassen.«
N. »Ach, noch nicht, Du Himmlischer! bleib noch, Du Fremdling aus Salem!
Wende noch nicht von dem Sterblichen weg Dein schimmerndes Auge,
Diese morgenröthliche Wange, dies Lächeln der Wonne!«
Aber Benoni verschwand. Nephthoa blieb in Entzückung
Stehn und mit ausgebreiteten Armen, das Bild zu umfassen
Seines himmlischen Freundes, das zwar von dem Schimmer entkleidet,
Aber vor ihm, so dacht' er, noch stand. Auch dieses verschwand ihm,
Und ihm sanken die Arme nieder. Da faltet' er betend
Seine Händ' und blickte gen Himmel und lächelte weinend,
Nicht so einsam, wie es ihm dauchte. Noch hatt' ihn sein Engel
Nicht verlassen, noch nicht der unsichtbare Benoni.
Und sie hörten den Knaben den Namen des Gnädigen preisen,
Ihn aus inniger Seele dem Allbarmherzigen danken,
Der die Erscheinung ihm gab und die Hoffnung der großen Erkenntniß.
Dilean war der einzige Freund, den er hatte, gestorben,
Und die Geliebte dazu. Er kannte Gottes Propheten,
War mit brennendem Durste, gewiß zu werden, in Salem
Lang' geirrt und hatte geforscht, ob Jesus erwacht sei
Oder noch todt. Die Nacht hing über sein Haupt, die Ströme
Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung sucht' er, und fand sie
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Auch nicht auf den Gefilden voll Frühling. Er kehrte verspätet
Zwischen den Gräbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel
War sein Führer. Er ging in den tiefen Krümmen und suchte.
»Ist das Kidron's Geräusch? und jenes Wehen, der Palmen
In Gethsemane? Nein, das ist ein Brausen in Klüften.
Sind das Menschenstimmen?« Indem erblicket' er Schimmer,
Der beinahe verlosch, geweht von dem Winde. Dem folgt' er.
Und er kam an ein Todtengewölb, aus welchem sie Leichen
Trugen. Ein Reicher kaufte von einem Armen die Felskluft.
Und sie trugen ein ganzes Geschlecht, des Dürftigen Väter,
Aus dem Gewölbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmals.
Jene gingen mit ächzendem Schritt heraus, mit verdrossnem
Langsam wieder hinein, daß bewundnes Gebein sie brächten.
D. »Glückliche sind's, die Ihr tragt! Gebt mir von den Todtenfackeln
Eine, damit dort hinten ich sie bei den Leichen Euch halte.«
Und sie gaben ihm eine; da ging er ins tiefere Grabmal.
Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felsen, und dachte:
»Glückliche, glückliche Todte! Die seid Ihr auch, Ihr Geliebten,
Die mich verließen. Wenn nun auch Eure Leichengewande
Einst veralten, wie Dieser, so bin ich, wie Ihr, auch glücklich!
Aber jetzt ... Euch hab' ich Verlassner verloren, Ihr Lieben,
Meine Seligkeit hier! und meine Seligkeit künftig,
Gottes Propheten, verlor ich auch! Ist eine nun künftig,
Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, sie ewig zu machen,
Ach, für Die, bei denen erliegt der Beste dem Schlimmsten?
Bin ich ewig? oder verstäub' ich? Erstand er? verwest er?
Diese sind die bebenden Fragen, die Keiner mir auflöst,
Auch, Ihr Stummen da, nicht! Ihr müßt es können, wofern es
Irgend ein Endlicher kann. Nicht diese Gebeine vermöchten's,
Aber der Geist. Wo seid Ihr, Ihr abgeschiednen Genossen
Dieser Leichen? Ist Euch des Lichtes Wohnung der Freude
Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von Eurem Geschlechte
Sich mit diesen Zweifeln die Seele martert?« Er dacht' es;
Und nun war von Gebeinen das Grab und von Todtengräbern
Leer. Kaum merkt' er es. Endlich weckt' ihn die tiefe Stille.
»Siehe, nun bin ich allein! Ihr abgeschiednen Genossen
Eurer Leichen, wo seid Ihr? Elisa Gebein erweckte
Einen Todten. So war ja bei dem Gebeine die Seele;
Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch eine nur hier ist:
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Komm, Du eine, damit ich lerne, was künftig mein Loos sei!
Komm, ich will mich vor Dir nicht entsetzen, Seele des Todten!
Auf, ich beschwöre Dich, Seele, bei Deinem letzten Erseufzen,
Als mit dem Tode Du rangst, bei Deiner Hoffnung, unsterblich,
Oder bei Deiner erschütternden Angst, vernichtet zu werden,
Als mit dem Tode Du rangst!« So rief er und sah in das Grabmal.
Thirza war schon um ihn, der sieben Märtyrer Mutter,
Mit den Seelen des Freundes und der Geliebten gewesen.
Diese hatten ihn schon durch der Gräber Thale begleitet
Bis zu dem Felsen, in welchem er war. »Darf ich ihm erscheinen?«
Sprach die treue Geliebte. »Allein würd' er sich nicht entsetzen,
Wenn er mich säh'?« »Ich will ihm erscheinen!« erwiderte Thirza.
Ohne Hoffnung, zu sehn, wonach er verlangte, bemühet
Dilean sich, zu schlummern und also sich zu entlasten
Von den trüben Gedanken, die ihn wie Wolken umgaben.
Aber er sucht' umsonst die kurze Ruhe vom Elend.
Wehmuth füllete wieder sein Herz. »Euch hab' ich verloren,
Meine Freunde! Dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung!
Ach, Ihr ließt mich zurück. Nun bin ich allein auf der Erde,
Bin ... Wer tritt da herein? Wer bist Du, der sich mir nahet?«
Und er ging der dunkeln Gestalt entgegen. Auf einmal
Ward zur Unsterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd
Stand er. So schnell ist der Wink, so schnell ermannt' er sich wieder,
Ging und betrachtete schweigend die Strahlengestalt, und mit Eile
Redt' er sie an. »Wirst Du meinen Dank, Erscheinung, verstehen?
Oder bist Du ein Dunst der Nacht, den Flammen beseelen?
Oder ein Bild in meinem Gehirn?« Ihm lächelte Thirza
Sanft mit der Himmelsgeberde, mit so viel Seel' in dem Auge,
Daß er den flammenden Dunst vergaß und das Bild im Gehirne.
Laut, mit Schnelligkeit rief er: »Erscheinung, Erscheinung, wer bist Du?«
Und melodisch erscholl's in dem widerhallenden Felsen:
»Wer ich sei, vernimmst Du hernach; jetzt lerne, Beglückter!
Halt Dich nicht vollkommner als Andere, weil Du die Gnade
Dieser Erscheinung empfähst. Nicht unvollkommner als Andre
War der Blinde von seiner Geburt, dem Jesus den Tag gab.
Daß er ein Zeuge würde der Herrlichkeit Jesus', bedeckt' ihn
Blindheit lange. Daß Du, wie er, zu zeugen vermöchtest,
Sandte mich Jesus zu Dir, der Auferstandne vom Tode.
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Nicht, weil Du mir riefst; Dich zum Zeugen zu machen, erschein' ich,
Wäre Dir ohne den Ruf erschienen. Dein Zweifeln verdiente
Zwar Vergebung, allein Belohnungen nicht. Und Belohnung
Wär' ich Dir, Dilean, wärest Du nicht zum Zeugen erkoren.
Was geschehn soll, geschieht, Ihr zweifelt, oder Ihr leugnet.
Zweifelte gleich das ganze Geschlecht der sterblichen Sünder
An der künftigen Welt: sie würden dennoch erfahren,
Daß geschieht, was geschehn soll; erfahren, daß über den Gräbern
Leben wohnt, wie staunend sie auch die Erfahrung erführen.«
Jetzo scholl's in der Kluft der Gräber umher mit Posaunen-
Stimmen und Stimmen der Donner, nur daß der Leichenblasse,
Freudige, Selige nicht erblickte, wem der Posaunen
Hall und wem die Donner entströmeten; scholl's ihm herüber
Thronharmonie, hehr, furchtbar und Wonne und seelenverwandelnd:
»Was geschehn soll, geschieht, Ihr zweifelt, oder Ihr leugnet.
Zweifelte gleich das ganze Geschlecht der sterblichen Sünder
An der künftigen Welt: sie würden dennoch erfahren,
Daß geschieht, was geschehn soll; erfahren, daß über den Gräbern
Leben wohnt, wie staunend sie auch die Erfahrung erführen.«
Dilean wankte. Sie hatten geendet. Er stammelte: »Nein, ich
Unterwinde mich nicht, noch mehr zu fragen; ich beuge
Mich im Staube vor Dem, der Euch von dem Thron mir gesandt hat!«
Und er knieete nieder und wandte sich weg von Thirza;
Doch da war die verstummte Kluft, und er schloß sein Auge.
»Herr der Herrlichkeit, Du, der erstand, vergieb mir mein Zweifeln!
Meine Thränen dazu! Du würdest, Göttlicher, wissen,
Was ich bete, vernähmen's auch Die nicht, die Du mir sandtest.
Herr der Herrlichkeit, laß das große Ziel mich erreichen,
Das Du durch diese Sendung mir zeigst, so wall' ich in Frieden,
Wenn ich sterbe, zu Dir hinauf und den Meinen im Himmel!«
Weint so und richtet sich auf. Noch schwebte vor ihm die Erscheinung.
Also floß mit lieblichem Wehn der Unsterblichen Stimme:
»Siehe, Du unterwandest Dich nicht, daß Du fragtest, ich aber
Will antworten. Ich bin der sieben Märtyrer Mutter,
Thirza. Bei diesem Felsen schwebt die glückliche Seele
Deiner Geliebten, an dem des Freundes, die liebend Dein warten.
Aber vernimm der Seligkeit mehr. Der Messias erscheinet,
Eh er zum Thron sich erhebt, in Galiläa den Schaaren
Von fünfhundert Brüdern auf einmal. Da wirst Du ihn sehen!«
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Mit dem Worte verschwand die erhabne Thirza. Ihm daucht' es,
Als ob er dreier Unsterblicher Laut in der Ferne vernähme.
Und er kam der Sonne, die jetzt aufging, aus der Höhle
Freudeweinend entgegen. Noch blieb er dankend am Eingang,
Daß Du ihm Fülle der Herrlichkeit gabst und des Himmels Vorschmack,
Ewiger Quell des ewigen Lichts, da er durstet' im Elend,
Daß Du ihm halfest, da Menschen nicht mehr ihm zu helfen vermochten.
Mit nachahmender Hand ein Gemälde von Seide zu sticken,
Saß an einem Tyrischen Purpurteppich erfindend
Tabitha. Frühwegblühende Mutter Benoni's, Dein Grabmal
War ihr ernster Geschäft, als sonst vielfarbige Faden
Unter weiblicher Hand. Sie denkt bei dem Spiele der Nadel.
Auf dem Grabe ruht die bleiche Rahel. Benoni
Knieet bei ihr und stößt mit weggewendetem Auge
Einen Dolch ihr ins Herz. Itzt eben rannen am Dolche
Blutige Tropfen herab, da vom Purpur Tabitha aufsprang,
Eilete und die Ermattete lief zu empfangen, die ankam.
In dem Gewande des Leichengefolgs, mit blässerer Wange,
Trat die Unbekannte zu ihr. Doch die Leiden der Freundschaft
Hatten nicht jede Schönheit der jugendlichen Debora
Auszulöschen vermocht. Gleich einem trüberen Morgen
War sie, doch einem Morgen des Frühlings. »Ich komme,« so sagte
Sie zu Tabitha, »hier von dem schweren Gange zu ruhen;
Denn ich vermochte nicht weiter zu gehn. Ach, meine Geliebte
Ruht nun besser als ich, die Geliebteste meiner Geliebten.
Bleib Du bei Deinem Geschäft; laß mich nur ruhen und weinen!«
Und sie saß und lehnte sich sanft auf eine Harfe,
Der ein weinender Laut entklang, indem sich Debora
Auf sie lehnte. Umsonst ward Tabitha dieser Betrübten
Trösterin. »Laß mich allein, und jene Wunde da bluten;
Meine blute für sich!« Und Tabitha ging zu dem Schmerze,
Der sie nun weniger rührte, zurück und versuchte zu sticken.
Aber jetzo ergriff die Unbekannte die Harfe,
Und wie ein fernherweinender Bach, wenn vor dem Gewitter
Todesstille den Wald beherrscht, erklang's in den Saiten
Um die sinkende Hand der grabverlangenden Freundin.
Tabitha hörete nur und vergaß der Leidenden Thränen,
Als ihr Gesang, der Saiten Seele, mit ihnen ertönte.
»Gott der Götter, belohne Du nun die vollendete Todte!
Doch sind Leiden der Zeit der Herrlichkeit würdig, zu der Du,
Gott Belohner, erhebst? Sie starb in der Blüthe des Lebens.
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Aber was ist die Blume, die sank, von dem Sturme gebrochen,
Gegen die Ceder Gottes, die oben auf Golgatha stürzte,
Die von dem Himmel herab des Allmächtigen Wetter zermalmte,
Daß die Felsen umher und die Gräber der Todten erbebten!«
Wie von dem Bilde geschreckt, verstummte Debora. Nur einzle
Starke Schüttrungen rauscheten noch durch die Nerven der Harfe
Weit herunter, bis endlich die hohe Seele der Saiten,
Bis der Gesang von Neuem begann: »Das Leichengefolge
Deß, der auf Golgatha starb, war ein kleiner weinender Haufen
Sterblicher, waren, verloschen an Schimmer, Himmelsbewohner,
Und der Todtengesang der unsichtbaren Begleiter
Scholl wie der Sterbenden Weinen am siebenarmigen Strome,
Als von der niedrigsten Hütte der Würger hinauf zu dem Thron stieg!
Ach, ein Schlag des Verderbers, dann ein Seufzer, der Tod dann!
Hörerin ihres Gesangs war nicht die Erde; die Sterne
Waren Hörer! Orion und Du, des Richtenden Wage,
Die vernahmen sie nur. Da ward ein Felsen gewälzt, schloß
Dumpferschütternd sein Grab; da stieg mit des sinkenden Felsen
Dumpfem Schall zu dem Himmel Staub; da ruhte der Todte.
Schneller eiltet Ihr fort, Ihr Sterne Gottes. Der Todte
Schlief nicht lang'. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht' er!
Halleluja, mit Herrlichkeit! Ihr waret nur Schritte,
Du, Orion, und Du, des Richtenden Wage, gestiegen,
Als er erstand! O, feiert's in allen Himmeln, Ihr Zeugen,
Daß er erstand! Die hier auf dem einsamen Grabe blutet,
War auch Zeugin, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz stößt.
Wähnest Du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verwesenden ewig,
Daß auf immer daure der Schlummer im Schooß der Erde?«
Tabitha sah zur Prophetin hinauf und verstummte, zu fragen.
Irr' und wundernd hielt sie sich an den Rahmen des Teppichs.
Aufstehn wollte sie, wollt' hingehn zur Prophetin, vermocht's nicht.
Und Debora stützete sich auf die Harfe. So sprach sie:
»Lerne! Denn viel mußt Du von der Auferstehung der Todten
Lernen. Du brauchst viel Trost des Todes; denn, Tabitha, zweimal
Ist Dir zu sterben gesetzt. Der Erstgeborne der Todten
War und ist dereinst der Entschlafnen allmächtiger Wecker.
Nur mit leiser Klage, daß Du zu der Erde zurückkehrst,
Und mit süßem Erwarten der zweiten Schöpfung aus Staube
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Mußt Du Dich niederlegen und sterben. Den schreckt nicht des Grabes
Offene Nacht, nicht Erd', auf den Leichnam mit dumpfem Getöse
Niedergeworfen, nicht Stille verlassener einsamer Gräber,
Noch der Verwesung Bild, wer, wenn dies Alles sein wartet,
Weiß, daß Gott ihn dereinst in seinen Himmel hinaufruft,
An dem Tage der großen Geburt in das Leben der Engel.«
Also sagte Debora und nahm die Harfe von Neuem,
Und sanftlispelnder Laut und unsterbliche Stimmen entflossen
Ihrer fliegenden Hand und ihrem lächelnden Antlitz:
»Was empfand ich, als nun das neue Leben mich aufhub
Aus der blumigen Gruft, mein Staub Unsterblichkeit wurde,
Aus der Cherubim Chören zu mir die Verklärung herabstieg!
Wie erbebt' ich! (Sie bebte von Neuem und ward zu Schimmer.)
Welcher Seligkeit Schauer durchströmte mein innerstes Leben!
Welcher Glanz war mein Glanz! In welcher Herrlichkeit Lichte
Wohnte mein ewiger Geist! Ich wandte mein Antlitz und suchte
Dessen Thron, der von Neuem mich schuf. Er war mir nicht sichtbar;
Leises Wehen nur, Säuseln der Gegenwart Gottes umgab mich.«
Ihre Himmelsstimme verlor stets sanfter dem Ohre
Sich, dem Auge der Schimmer. Da blieb voll Blässe der Freude
Tabitha stehen; und nun schwieg auch der Harfe Nachlaut.
Gedor, von sanftem Herzen und gleich empfindlich der Freude
Und der Traurigkeit, aber auch festes Entschlusses, dem Geber,
Ruhe gäb' er ihm oder Schmerz, sich zu unterwerfen,
Gedor lebte verborgen und glücklich mit der Gefährtin
Dieses Lebens nicht nur, auch jenes ewigen Lebens.
Wie sie sich liebten, wußten nur sie und wenige Freunde.
Weggewandt von dem Leben am Staube, besprachen sie oft sich
Von der künftigen Welt und von der näheren Trennung
Oder noch fernen auf der Reise zur Heimath im Himmel.
Liebend wünschten sie sich, doch wagten sie das nicht zu hoffen,
Was so Wenigen ward, mit einander hinüber zu wallen.
Herr, ihn hattst Du ersehn, zu des dunkelen Thales Eingang
Sie zu geleiten. Sie lag zu sterben. Das glaubt' er zu sehen;
Aber er wußte, daß Du aus großen Gefahren erretten,
Tödten könntest in kleinen. Itzt kam, der eilende Tod kam
Näher und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel
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Ernst ihr Auge, dann wieder auf ihn von dem Himmel herunter,
Wieder gen Himmel von ihm. So erhub sie zweimal ihr Auge.
Niemals sah er Blicke wie die, es wurden ihm Blicke,
Gleich den ihrigen, nie beschrieben, voll feirliches Ernstes
Und der innigsten Wehmuth und mächtiger Ueberzeugung
Jenes ewigen Lebens. »Ich sterbe, verlasse Dich, gehe
Zu der namlosen Ruh!« war's, was sie redeten, war's nicht;
Stärker war's, unaussprechlich! Hier mußt' er der Menschheit erliegen,
Oder ihn mußte mit mächtigem Arm der Helfer erheben.
Und der Erbarmende that's. Der schwache Sterbliche fühlte
Sich der Erde gewaltig entrissen und nahe dem Eingang
Zu der Herrlichkeit, welche sich seiner Cidli schon aufthat.
Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;
Legt' auf ihre Stirne die Hand und begann sie zu segnen:
»Wandl' hinüber im Namen des Herrn, der Abraham's Gott war,
Isak's und Jakob's, im Namen des angebeteten Helfers!
Ja, sein Wille gescheh', es gescheh' sein gnädiger Wille!«
Und sie sprach mit der Stimme der Zuversicht und der Freude:
»Ja, Er mach' es, wie Er es beschloß! Gut wird Er es machen!«
Gedor hielt ihr die Hand. »Wie ein Engel hast Du geduldet!
Gott ist mit Dir gewesen! Mit Dir wird Gott sein! Gewesen
Ist mit Dir der Allbarmherzige! Dank sei und Preis sei
Seinem herrlichen Namen! Er wird Dir helfen! Ach, wär' ich
Elend genug, ihm nicht zu dienen, so dient' ich ihm heute.
Sei mein Engel, läßt Gott es Dir zu!« – »Du warest der meine,«
Sagte Cidli. – »Sei nun, Du Himmelserbin, mein Engel,
Läßt der Herr Dir es zu!« – Und liebend erwiderte Cidli:
»Gedor, wer wollt' es nicht sein?« – Voll Mitleid, mit freudigem Tiefsinn,
Schwebete Rahel um sie, die Geliebte des Pilgers aus Kanan
Und die Mutter des Sohns der Schmerzen. Sie war Dir, Cidli,
Noch unsichtbar; allein da Dein Haupt zu dem Tode dahinsank,
Sah Dein lächelndbrechender Blick die Unsterbliche stehen,
Und Du machtest Dich auf, zu Deiner Gespielin zu kommen.
Doch mir sinket die Hand, die Geschichte der Wehmuth zu enden.
[167]
Späte Thräne, die heute noch floß, zerrinn mit den andern
Tausenden, welch' ich weinte. Du aber, Gesang von dem Mittler,
Bleib und ströme die Klüfte vorbei, wo sich viele verlieren,
Sieger der Zeiten, Gesang, unsterblich durch Deinen Inhalt,
Eile vorbei und zeuch in Deinem fliegenden Strome
Diesen Kranz, den ich dort an dem Grabmal von der Cypresse
Thränend wand, in die hellen Gefilde der künftigen Zeit fort!
Unter Moria's Schatten erhub ein schallendes Haus sich
Ueber die andern empor, einst fürchterlicher zu stürzen,
Jenen verkündeten Tag der großen Adlerversammlung.
Auf den stilleren Söller war der reichen Bewohner
Einziger Sohn gestiegen. Er war in der Blume des Lebens,
Aber ein Jüngling voll Ernst, die Freude seiner Gespielen
Und der Mutter Entzückung. Der Mond, enthüllt vom Gewölke,
Ging jetzt über der hohen Jerusalem und dem Moria
Ruhig einher und schimmerte sanfte Gedanken herunter
Denen, die noch in Schlafe, dem täglichen Tode, nicht lagen,
Dir vor Allen, o Stephanus, Jüngling voll Tiefsinn. Er wallte
Leis' in den Labyrinthen umher, die des Sehers Geschichte,
Welchen Bethlem gebar, um seine Seele, je mehr sie
Forschte, je größer und unausgänglicher herzog.
Lockicht lag sein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande,
Das ihn umfloß, und auf der gedankenstützenden Rechte.
Als er so nachsann, trat ein Fremdling herauf: »Sie haben
Mir die Quelle geschöpft, mich gesalbt« – Arabiens Stauden
Duftet' er – »haben mich schon durch leichte Speisen erfrischet.
Keiner Erquickungen mehr, nur dieses heiteren Abends,
Dieser Ruhe bedarf ich noch.« St. »Sei mir, o Pilger, gesegnet!
Unserer Hütte Friede sei Dein!« P. »Geliebterer Eltern
Einziger Sohn, ich bin von dem Meer herüber gekommen,
Habe Vieles erlitten.« St. »Eh Du mir, redlicher Fremdling,
Was Du littest, erzählest, muß ich Dich fragen: Vernahmst Du
Schon von Jerusalem's großem Propheten die ernste Geschichte?«
Ihm antwortet Jedidoth mit schneller, geflügelter Stimme:
»Ach, von dem heiligen Mann, der gestorben ist wegen der Wahrheit,
Wegen der höheren Wahrheit, die er, nicht Moses, uns lehrte?
Der – es verbreitet eilender stets in Salem der Ruf sich –
Der von den Todten erstand, noch mächtiger sie zu beweisen?«
[168]
St. »Fremdling, Staunen befällt mich bei Deiner Rede. Der Wahrheit
Märtyrer wär' er gestorben? Das sagst Du und kommst doch von fern her,
Kommst, ein Waller des Meers! Wurd' Euch denn, was er uns lehrte,
Auf den Inseln erzählt?« J. »Wo, was er lehrt', uns erzählt ward,
Sag' ich hernach. Jetzt laß mich Dich auch, o Stephanus, fragen:
Wenn Du nun wüßtest, daß er, nicht nur ein Zeuge der Wahrheit,
Daß er, ein Größerer noch, ein Versöhner der Menschen, gestorben
Und von dem Tod erweckt sei: o, würde Dein blühendes Leben
Dann zu theuer Dir sein, die große Wahrheit zu zeugen?
Würdest Du bis an den Tod, wenn unsere grauenden Häupter
Durch die leise Hand der Natur zu dem Grabe sich neigen,
Würdest Du dies Dein Leben so lang', o Stephanus, lieben
Oder es früher geben für Den, der das seine zuerst gab?«
St. »Was ich thäte, weiß Gott; was ich aus innigster Seele
Und mit jedem entflammten Verlangen wünsche, das weiß ich!«
J. »Und was wünschest Du denn, Du edler Jüngling?« St. »O, nenne
Mich nicht edel, den schwachen und sündigen Jüngling, Du Pilger,
Der so erhabene Dinge mich fragt: wie ich den Erretter
Lieben wolle? wie ich entschlossen sei, zu beginnen
Jenes ewige Leben? Ach, der mein Herz mir erschüttert,
Meine Seele beseelt, Du Wunsch voll süßer Entzückung,
Würdest Du mir gewährt, so strömte, von Jesus zu zeugen,
Dies mein jugendlich Blut aus allen Quellen des Lebens!«
J. »Nicht, Dich mehr zu entflammen, ach, Dich zu belohnen, Du lieber,
Künftiger Märtyrer, höre des siebenten Jünglings Geschichte.
Ihn, ihn lockt' Epiphan mit jedes Glückes Verheißung,
Mit den Größen der Welt, umsonst! Er sandte vergebens
Seine Mutter, die Heldin, zu ihm. Die sprach zu dem Sohne:
Ach, Du Lieber, Du Jüngster, Du einziger Uebriger, den ich
Unter meinem Herzen getragen, gesäugt drei Jahre,
Mütterlichmühsam erzogen, mein Sohn, erbarme Dich meiner!
Und, o, schau zu dem Himmel empor, herab auf die Erde,
Alles dies hat der Herr, er hat den Menschen geschaffen!
Darum erbarme Dich meiner und stirb! Entschlossen zum Tode,
Rief er, als seine Mutter noch sprach: Was harret Ihr, Wüther?
Und Epiphan, Du entsetzlicher Mann, wirst Du dem Gerichte,
Du dem Allmächtigen denn entkommen? Das ewige Leben
Haben meine Brüder nun schon, die nicht lang' und wenig
Litten! Er starb.« Dem Erzählenden waren sein Angesicht Schimmer,
[169]
Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert' und weinte.
J. »Werth sind Deine Thränen mir, Jüngling! Ich zählte sie alle.«
St. »Eines Sünders Thränen?« so rief der Jüngling und bebte.
J. »Eines Sünders, allein den Jesus' Opfer entsündigt
Und in das Allerheiligste führt.« Jetzt blickt' auf die Beiden
Jesus, der Auferstandne, vom hohen Tabor herunter,
Sah den Sterblichen stehn in des Mondes Schimmer, im eignen
Dich, Unsterblicher. Schnell, da zu sinken Stephanus anfing
Und der Erscheinung erlag, rief noch Jedidoth herüber:
»Ich war's, himmlischer Bruder, der sich der Mutter erbarmte.
Dort (schon schwebt' er empor), dort lernt' ich, was Jesus Euch lehrte.«
Und er stieg zu dem Himmel hinauf und verschwand in den Wolken.
Barnabas Joses, ein Levi von Cyprus' fernem Gestade,
Ging zu dem Jordan hinab, den Acker, den er dort hatte,
Anzusehen, wie weit den Keim der Frühling getrieben,
Welcher Fruchtbarkeit Hoffnung die schwellenden Saaten ihm gäben.
Und er wallet' allein. Nicht lang', so kamen Saphira
Und Ananias zu ihm und wurden seine Gefährten.
Auch sie rief die keimende Saat in des Jordan's Gefilde.
Und sie kamen zum Cedernbache. Die schöne Saphira
Setzet ihren versuchenden Stab mit wankenden Händen
Oft an die glatten Kiesel, eh sie hinüber zu gehn wagt.
Und schon ruhet sie aus auf einem Stein an dem Bache.
Neben ihr saß Ananias auf einem andern, und Joses
Stand vor ihnen. Sie saßen an ihren künftigen Gräbern.
Ach, Ihr wußtet es nicht, daß bald nun auf diesen Steinen
Eurer Leichname Träger, erschrockene Jünglinge, ruhen,
Weggehn würden, ohn' Euch zu der Auferstehung zu segnen.
Aber er wußt' es, der jetzt mit dem großen Täufer des Mittlers
[170]
Schwebend neben Euch trat, Elisa. Er stand ungesehen
Mit Johannes bei ihnen. O, wär' in dem Wehen des Kidron
Seine Stimme gekommen und hätte die Armen, auf Zukunft
Deutend, gewarnt durch das Donnerwort des hohen Apostels:
»Menschen würdet Ihr nicht, Gott würdet Ihr lügen!« so wäre
Hier vielleicht ihr Grab nicht gewesen. Doch, Hülle vor Gottes
Wegen, Du hängest herab, und Dich hebet einst das Gericht nur.
Ruhend brach Saphira von ihrem Grabe des Frühlings
Erste Blumen und gab sie dem erntesinnenden Manne.
Und sie kamen hinab zu ihrer Saat. Ananias
Sprach von der Fülle der Aehren und ihrer Fruchtbarkeit Werthe.
Joses freuete sich der Ernter Freuden, wenn ihnen
Endlich der Abend lächelt, und sie in der Kühlung sich letzen,
Wenn sie, mit blauen Kränzen, die unter dem wankenden Halme
Wachsen, bekränzt, in muthigem Reihn, beschattet vom Oelbaum,
Jauchzen, daß sie die Last und des Tages Hitze getragen.
Und Johannes begann: »Auf, laß uns ihnen erscheinen!«
Ihm antwortet Elisa: »Wem willst Du erscheinen? der großen
Felder Besitzer? oder des schmalen steinigen Ackers?«
J. »Beiden.« E. »Und ich,« antwortet' Elisa, »erscheine nur Joses,
Dem im bergichten Acker die Saat der Kiesel erdrücket.«
J. »Wird Ananias ein Christ? Das frag' ich Dich, theurer Elisa.«
E. »Ja, das wird er.« J. »Wolan, laß uns dem Christen erscheinen!
Denkt er weniger gut, so bedarf er, geleitet zu werden,
Mehr als Joses.« E. »Ich sah: Er ward gewogen! und sahe
Seine Wagschal' fürchterlich steigen. Wir würden ihm häufen
Seine Gericht' und zu größerem Zorne Gottes ihm werden
An dem Tage der schreibenden Hand, wenn wir ihm erschienen.«
J. »Würden wir ihn nicht erretten?« erwiderte leise Johannes.
E. »Komm denn,« sprach Elisa, »und laß uns dem Christen erscheinen,
Aber nicht als Erstandne des Herrn.« Sie schwebten nach Salem.
Ananias und Joses und ihre Begleiterin gingen
Auch nach Salem zurück. Da sahen sie nah an dem Tempel
Einen Blinden und Lahmen in stiller Traurigkeit sitzen.
Und die Armen redten sie an, zwar voll von Wehmuth,
Aber nicht mit Ungestüm, mit Würd' in der Bitte.
Sanft gab Joses und ließ die Gabe die Linke nicht wissen;
[171]
Mehr Ananias und weniger doch. Das Mindere warf er
Noch dazu mit Verdruß vor den Fuß der leidenden Armen.
Und sie waren vorübergegangen. »Du siehest nun,« sagte
Zu dem Lahmen der Blinde, »daß er der Erscheinung nicht werth ist.«
Und der Größte Derer, die Weiber gebaren, der Größte,
Weil er der Menschlichste war, als er Elisa vernommen,
Schwieg. Jetzt hatt' er vollendet des furchtbaren Schweigens Urtheil,
Und er sprach zu Elisa: »Du sahest ihn wägen! was sahst Du?«
E. »Christen sah ich versammelt und Kephas unter den Christen.
Jeder der himmelnahen Versammlung verkaufte sein Erbe,
Gab es zu Aller Gebrauch. Und ihrer Einer war Joses;
Er verkaufte den Acker, den wir gesehen, und legte
Zu der Apostel Füßen das Silber. Auch kam Ananias,
Aber er brachte nicht Alles. Da sprach zu dem Täuschenden Kephas:
Warum erfüllete Satan Dein Herz, Ananias, dem Geiste
Gottes zu lügen und Dir von des Ackers Silber zu nehmen?
Dein war er, und Du konntest ihn behalten; gezahlt, war
Auch das Silber noch Dein. Warum erkühnte Dein Herz sich
Dieser That? Nicht Menschen hast Du, Gott hast Du gelogen!
Als Ananias von Petrus die Donnerworte vernommen,
Stürzet' er nieder und starb; und Schrecken befiel, die es sahen.
Jünglinge nahmen ihn auf und trugen ihn weg zum Begräbniß.
Wenige Stunden, da kam das Weib Ananias', Saphira,
Und sie hatte von dem nicht gehört, so vor Kurzem geschehn war.
Petrus fragte sie: Habt Ihr das Feld so theuer verkaufet?
Ja, so theuer! erwiderte sie. Da sprach zu ihr Kephas:
Warum verbandet Ihr Euch, den Geist des Herrn zu versuchen?
Siehe, schon sind die Jünglinge, die Ananias begruben,
Vor der Thür und bereit, auch Dich zu dem Grabe zu tragen.
Sterbend sank sie vor Kephas nieder. Die Jünglinge kamen,
Fanden sie todt und trugen sie weg, daß sie neben dem Manne
Sie begrüben. Entsetzen befiel die ganze Gemeine,
Und wem sonst die Geschichte der ernsten Gerechtigkeit kund ward.«
Joses hatte sich jetzo von den Gefährten gesondert.
Und er eilte zurück nach seinem Hause. Johannes
Kam im Gehen zu ihm. Ih. »Woher bringt, Joses, Dein Weg Dich?«
J. »Von den Saaten am Jordan. Ich habe dort Acker.« Sie traten
Mit den Worten ins Haus. Und an des kommenden Vaters
Hals und Armen hingen die Kinder. J. »Segne die Meinen!«
[172]
Sprach zu dem Fremdling der Vater und bracht' ihm die freudigen Knaben.
Dieser wendete sich zu den Knaben mit einer Hoheit,
Die mit Bewundrung das Herz des ernsten Vaters erfüllte.
Ih. »Seid auch Zeugen des Herrn, Ihr Kinder Joses'! Dein Acker
Wird von jetzt noch weniger Garben der Ernte Dir geben!«
J. »Wird mich der Herr denn verlassen? und diese Waisen verlassen?«
Ih. »Das ist ferne von Gott, der mehr wie das sterbliche Leben
Nur erhält. Er giebt und nimmt von dem Irdischen, nimmt nicht,
Ewiger Theil, von Dir.« Der Täufer sprach's, und sein Ansehn
Wurde stets erhabener. Joses hatte noch Blicke
Niemals wie diese gesehn, noch keine Stimme vernommen,
Die mit dieser Feierlichkeit von Gott sprach. Schweigend
Hört' er ihn reden. Und also begann von Neuem Johannes:
»Der – Du kanntest ihn doch? – zu dessen Füßen Maria,
Lazarus' Schwester, den besseren Theil, die Ewigkeit, wählte,
Der Jairus' Tochter, – im Tode schlief sie, – der Nain's
Todten Jüngling und dann der ewigkeitwählenden Schwester
Himmlischen Bruder erweckte, Der ist nun selbst von den Todten
Auferstanden. Sein Zeuge bin ich! Sein Zeuge sollst Du nun
Bald auch werden!« Er sprach's mit Hoheit, die zur Verklärung
Sich zu erheben begann. »Schon bin ich Zeug' ihm gewesen,
Als er hinab in den Strom, auf ihn vom Himmel der Geist stieg,
Als von ihm in der Wolke scholl die Stimme des Vaters!«
Und er sprach die Worte mit einem so himmlischen Anschaun,
Daß ihm ein kurzer Uebergang zur Verklärung nur fehlte.
Eilend wendet' er sich und ging, und von dem Gewandten
Kamen Schimmer, die wurden blässer, entfernten sich, schwammen
Wie in Dämmrung dahin. Jetzt war die Erscheinung verschwunden.
»Vater,« riefen die Knaben, »es blitzte!« Da sank an den Stufen
Dämmrung hinab! »Wo aber ist Der, mit dem Du hereinkamst?«
Und der fünfte nach Dir, Du Morgen der Auferstehung,
Stieg, des schönsten Tages Verkündiger, über die Hügel
Juda's röthlich empor, und Portia wachte mit ihm auf,
Mehr von Träumen als Schlafe. Sie ging hinab zu der Blumen
Frühen Gerüchen; allein sie dufteten ihr vergebens.
»Wieder ein Morgen erlebt, ein Tag der Erde! Doch trüb ist's
Immer mir in der Seele noch, immer noch Nacht, da erwachet,
Geber des Lebens, kein Tag! noch immer träum' ich im Dunkeln,
[173]
Lieg' und schmachte, Dich zu erkennen und Den zu erkennen,
Den wir in seinem Grabe nicht finden. Ach, wenn die letzte
Meiner Sonnen nun kommt, wird es Nacht auch dann noch in mir sein?
Tag erst, wenn sie hinab in die Oceane sich senket?
Oder gar noch trübere Nacht? Das Volk der Erwählung
Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch sie sich entsetzen,
Einen Weg durch ein finsteres Thal. So tragen denn Alle
Ihre Lasten, die Gott erleuchtet, und die er sich selbst läßt?
Aber laß mich nicht mir und erleuchte mich! Schrecken des Todes
Schrecken mich nicht, wenn Du mit Deinem Lichte mir leuchtest.
Nun, Du Fels in Meer, in dem tiefen Meere der Zweifel,
Du Gedanke: Der Wille gescheh' des ersten der Wesen!
Sei auch jetzo, wie oft Du schon warst, mir Geängsteten Zuflucht!
Werde denn sanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Düfte
Und Ihr Farben des Frühlings, mich auf! Doch neben dem Grabe
Dessen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr schlummert,
Lächelt der Frühling ja auch. Was säum' ich, mich dort zu erfrischen,
Wo mir ein Wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa
Einer, der dort um ihn weinete, zeigt.« So denkt sie und winket,
Ihr von Weitem zu folgen. Sie ging schon gegen das Grabmal
Aus der thürmenden Stadt. Sie sahn zu dem Felsen herüber
Rahel kommen und Jemina, Hiob's, des Ausgeprüften
Und des Wiedergesegneten, Tochter. Die Seligen sprachen
Unter einander: J. »Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel,
Die zu dem Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet.
Laß sie uns leiten!« Dein führender Engel, Portia, sah sie
Menschen werden wie wir, zwo Pilgerinnen des Festes.
Griechinnen schienen sie nun und waren herübergekommen
Von den Inseln, der Töchter des Archipelagos einer.
Und sie kamen einher mit leichten Stäben, und Purpur
Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Römerin, langsam
Und in Gedanken vertieft, vorüber. Doch Portia wandte
Sich nach ihnen herum und sprach: »Verweilt, wenn Ihr dürfet,
Pilgerinnen. Ihr irrtet an diesem Grabe mit Tiefsinn.
Kanntet Ihr, den es vor wenigen Tagen noch deckte?«
R. »Wer bist Du,
Die Du uns fragest? Du scheinst mir der Israelitinnen keine.
Bist Du vom Capitol, dem schrecklichsten Hügel der sieben,
Eine der Herrscherinnen, so laß uns und spotte nicht unser,
[174]
Römerin!« P. »Dessen spotte der Hocherhabne des Himmels,
Welcher sich unterwindet, zu spotten der redlichen Unschuld!
Kennet mich mehr! Zwar bin ich Pilatus' Gattin; doch würd' ich
Tief erniedrigt mich sehn, wenn ich Euer zu spotten vermöchte.
Seid Ihr nicht, anzubeten, vom fernen Meere gekommen?
Und ich sollte mit niedrigem Spott die Frömmigkeit lohnen?
Redet mit mir, damit Ihr mich kennet! Dies Grab des Todten,
Ueber Eure Vermuthungen ist es mir theuer und heilig.
Kam der Ruf auch zu Euch: er sei erstanden vom Tode,
Den es deckte?« J. »Du denkst don Jesus,« Jemina redte,
»Als wir Keine von Euch, die Götter glauben, noch fanden,
Und Du verdienest von uns, daß wir mit der offensten Einfalt
Zu Dir reden und ruhig erwarten, wie Du es urtheilst.
Mehr noch kam, wie nur Ruf, zu uns, und meine Gefährtin
Hier hat eine der Frommen gesehn, der war er erschienen.«
P. »Red, o Glückliche, welche die mehr noch glückliche Fromme,
Seine Begnadete, sah. Ist sie noch in dem Leben des Elends?
Hat er sie nicht hinüber ins bessere Leben genommen?«
R. »Magdalena Maria, so heißt der Begnadigten Name,
Lebet noch hier. Sie sucht' ihn im offenen Grabe vergebens,
Irrt' und weint' und erblickte, wie es ihr dauchte, den Gärtner;
Denn die werdende Morgendämmrung deckte die Bäume.
Aber wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beschreiben?
Sieh, er wendete sich und nannte mit himmlischer Stimme
Sie bei ihrem Namen, mit seiner Stimme: Maria!
Nieder sank sie zur Erde, Rabbuni! bebte sie ihm zu,
Lag und hielt mit Thränen und küßte des Göttlichen Füße;
Und er gab ihr Befehl.« P. »Hör auf, mir werden der Freuden
Sonst auf einmal zu viel', und ich unterliege!« J. »Du siehest,
Rahel, sie bebt, hör auf!« P. »Ist der Dein Name, Geliebte?
Rahel, so heißest Du? Rahel, wie hast Du mein Elend gelindert!
Ach, erschienen! genannt bei ihrem Namen Maria,
Und mit himmlischer Stimme, die Auserwählte der Wonne!
Wer empfindet ihr nach, wie selig er sie gemacht hat!
Bringt sie mir her, damit ich zu ihr aus meinem Schmerze
Mein ermüdetes Haupt erheb' und sie weinend bewundre,
Weinend; denn von der Quelle der Ruh, die über sie strömte,
Wird kein Tropfen mich kühlen! Zu Abraham's Volke gehör' ich
Heidnische Römerin nicht, viel minder zu jenen Geliebten
[175]
Unter den Töchtern Jerusalem's, denen der Sieger erscheinet,
Siehe, der große Sieger des Todes! Warum belohnt ihn
Kein Triumph, kein hoher Triumph, daß Jerusalem halle,
Daß der Sion davon und des Tempels Wölbungen beben?
Warum tragen sie nicht vor ihm her die Bilder der Väter?
Ganz Judäa, auf goldenen Stäben, Abraham's Bildniß,
Daniel's, Hiob's und Moses' und Deins, der Jünglinge kühnster,
Der zu der Erde den Riesen, von Israel's Nacken das Joch warf?
Warum weint ihm nicht nach, wer lahm war und gehet, wer taub war,
Höret, blind war und sieht, dem Wunderthäter, wer todt war
Und nun lebet, daß nie ein Triumph, wie der seine, gesehn sei,
Keiner, der stolz die siegenden Hügel umzog und den Lorber
Niederlegt' in dem Capitole, bei Jupiter's Donner?
Doch wo verlier' ich mich hin? Sein Reich, das hört' ich ja selber,
Ist nicht von dieser Welt.« Entsunken dem schwellenden Wunsche
Nach Triumphen, wie jene, die Blutvergießer belohnten,
Schwung sie sich auf in erhabnere Höhn und schwieg, voll Betrachtung
Eines Reichs der künftigen Welt. Da sie Jemina sahe,
Wie sie in diese Betrachtung versank mit des freudigen Ernstes
Hellen Geberde, vergaß sie beinah in ihrer Entzückung,
Daß sie, Sterbliche noch, bei einer Sterblichen stünde.
Denn die Schönheit der Abendröthe glänzt' auf der Wang' ihr.
Und ihr Lächeln im Blick. Allein da sich Portia wandte
Und sie zu sehen begann, verließ der Schimmer sie, wurde
Schnell sie zur Pilgerin wieder und lehnte sich ruhebedürftig
Auf den stützenden Stab. Doch ließ die Wonne, aus der sie
Hin in Müdigkeit sank, in der hohen Portia Seele
Ein Erstaunen zurück, daß sie zu fragen verstummte,
Sanftes Erstaunen und Zittern und schnelleres Athmen und Tiefsinn;
Und sie schwieg noch immer. J. »Wie freut' ich mich Deiner Betrachtung
Ueber das Reich der künftigen Welt, und daß Dir Triumphe
Dieser Erde zu klein für den Herrn der Herrlichkeit waren!
Du, die traurig nicht mehr, nicht mehr ein Spiel der Verirrung
Sein, die sich freuen sollte, daß wir Dir sagen, der Todte
Sei erstanden, und Dir vielleicht die Zeuginnen selber
[176]
Sagen werden, sie hätten den Herrn des Todes gesehen!«
Jemina sprach's und sah ihr mit glänzendem Lächeln ins Antlitz.
P. »Mir?« so athmete Portia sanft, mit leiserem Laute.
J. »Weichet, Zweifel, von ihr! Der Ewigkeiten Beherrscher,
Der von dem Anbeginne das Reich der Himmel beseligt,
Sei Dein Gott! er, der Dich geschaffen hat, sei Dein Erbarmer!
Denn Du brachst mir mein Herz, Jehovah sei Dein Erbarmer!«
Thränen stürzeten, daß ihr die Stimm' erstarb, von ihr nieder,
Als ihr auf die Stirne die Hand die Unsterbliche legte
Und sie segnete. Portia sprach, da die Stimm' ihr zurückkam:
»Leite mich, wer Du auch bist, der begnadeten Sterblichen eine
Oder eine der Himmlischen, die den Menschen erscheinen,
Leite, was soll ich thun? o, führe Du mich zu Gott hin!«
R. »Hörtest Du, Portia, schon, daß Todte mit Jesus erstanden?«
Fragte mit ruhiger Stimme sie Rahel, mit schneller die Heidin:
»Ach, was sagest Du mir? Erstanden Todte mit Jesus?«
R. »Ja, der Ruf beginnt zu erschallen, es hätten mit Jesus
Todte das Grab verlassen, und die erschienen den Frommen,
Die den Göttlichen liebten.« P. »O, lasset mich meinem Erstaunen
Mich entreißen und mich besinnen! Zu viel der Entzückung
Schwindelt um mich! Erstanden ist er? erstanden noch Todte?
Er erscheinet, und sie? O Tag des Lebens, an dem ich
Diese Wunder Gottes erfahre!« R. »Wir wollen Dich leiten,
Portia. Suche sie nicht, die Christus sehen! Du findest
Doch sie nicht auf. Er wird, wen er Dir senden will, senden,
Daß sie Dir zeugen von ihm. In Galiläa erscheint er
Außer der Zeugen ersten noch Andern, in Salem nur ihnen.
Diese geheiligten Erstlinge werden umher auf der Erde,
Was er that und lehrte, verkündigen, werden ihr Zeugniß
Freudig mit ihrem Blute bestätigen, dann der Treue
Ewigen Lohn empfahn an dem Throne des großen Belohners.
Eile nach Galiläa! Wenn Du ihn selber nicht siehest,
Wird er Dir doch von Denen, die er begnadete, senden!
Und nun müssen wir Dich (sie lächelten Liebe) verlassen.«
P. »Ich beschwör' Euch bei Gott, der auch mich begnadete, bleibt noch,
Ach, verlaßt mich noch nicht und sagt, o, saget: Wer seid Ihr?
Zwar ein Gefühl, wie keins mir noch ward, erfüllt mich mit Ahndung,
Hebt mich empor und umgiebt mich mit süßer Vermuthungen Schimmer,
Daß Ihr Unsterbliche seid; allein, ach, sagt es mir selber,
Daß Ihr es seid, damit auch nicht ein Wölkchen mir bleibe,
Welches den werdenden Tag in meiner Seele verdunkle.
[177]
Gott belohn' Euch dafür mit seines Himmels Gewißheit!«
Und sie blickten vor Freude sich an und blieben. »Wir wollen
Beten Dich lehren!« und knieten mit ihr an das Grab des Erstandnen.
»Vater unser im Himmel, Dein Name werde geheiligt!
Zu uns komme Dein Reich! In dem Himmel geschehe Dein Wille
Und auf der Erde! Verleih uns unsere tägliche Nahrung!
Wie dem Schuldiger wir vergeben, vergieb uns die Schulden!
Führ uns nicht in Versuchungen, sondern erlös' uns vom Bösen!
Denn das Reich ist Dein und die Macht und die Herrlichkeit! Amen.«
Als sie endeten und: Dein ist die Herrlichkeit! riefen
Und zu dem Himmel erhuben die ausgebreiteten Arme,
Hüllten sie schnell in Schimmer sich und entschwebten dem Grabmal
Leicht in den Schatten der Bäume dahin. Sie sahen mit Lächeln
Oft sich noch um nach Portia, wonnevoll über der Heidin
Sprachlosen Freude. Sie blieb in dem Staube knieen und streckte,
Unvermögend sich aufzurichten, nach ihnen die Arm' aus.
Jemina war, und zuletzt auch Rahel, verschwunden. Vom Auge
Portia's rann die Freude nun über die röthere Wange,
Und sie erhob sich leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt.
»Vater, das Reich ist Dein und die Macht und die Herrlichkeit! Amen.«
Also eilte sie betend hinab zu Jerusalem's Thoren.
Eine der schwermuthsvolleren und zu empfindlichen Seelen,
Die, des Guten, das sie empfingen, schnelle Vergesser
Und Vergrößerer oder auch gar Erschaffer des Elends,
Dies nur denken, in dies mit grübelndem Ernst sich vertiefen,
Beor hatte sich von den Menschen gesondert und lebte
In der Einsamkeit. Wie der Frohgeschäftige gerne
Mit dem kommenden Tag aufwacht, so scheucht' er den Schlummer
Gern um Mitternacht. An der Hütte fernem Eingang
Nährt' er ein Wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Gräbern.
Jetzo hatt' er gegessen sein Brod, sein Wasser getrunken,
Sich zu dem Grübeln gestärkt. »So sinke dahin denn wieder,
Wo Du so oft schon warest, hinab, zerrüttete Seele!
Muß nicht Elend sein? und müssen's nicht Einige tragen?
Ja, es muß, weil es ist! und müßten's die Himmel nicht tragen,
Läg's nicht auf uns? Denn da muß es sein, sonst wär's nicht geworden!
Aber warum? So oft ich frag', antwortet mir Keiner,
Nicht im Himmel und nicht auf der Erde, und so verschwindet
Mir der Trost, daß es sein muß! Allein bei dem wankenden Troste
[178]
Darf mein belastetes Herz doch ringen nach dieser Antwort:
Warum sondert es einige Menschen sich aus und faßt sie
Eisern an und hebet sie hoch aus dem Strome und trifft sie
Mit zermalmendem Arme? mich mit zermalmendem Arme?
Ward ich nicht blind geboren? und lebt', ein Blinder, so lange?
Zwar gab er dem Auge den Tag, auch meiner Seele
Einige Dämmrung von sich, doch Nacht ist diese geworden –
Denn er ist todt – entsetzliche Nacht! Was hilft mir des Auges
Kurzer Tag, da in Dunklerem wallt, als selber des Todes
Thal ist, meine Seele? Des Auges Blindheit, o, kehre
Du nur wieder! Ich kann mich nicht mehr des Anblicks der Schöpfung,
Nicht des Strahls mehr freuen, der Saron's Blume beseelet
Und die Ceder Gottes! Die Abenddämmrung versenkt mich
Nicht in Empfindungen mehr, die sanft, wie sie selber ist, waren.
Ach, der bin ich geworden, obwol aus dem nächtlichen Grabe
Meiner Blindheit erweckt? Ja, der, der bin ich geworden!
Denn umnachtet ist mir die noch viel blindere Seele,
Als mein Auge sonst war! Denn, ach, Ihr Engel (verdankt es
Unserm Geschlechte, daß wir die Unglückseligen wurden),
Denn, Ihr Engel, ist Er nicht todt?« Ein ermüdeter Greis trat
Zu dem Klager herein. G. »Gieb mir, o Beor, den Becher!
Ich bin älter als Du, und duldete größere Leiden.«
B. »Größere Leiden als ich? Nur älter bist Du. Da nimm Dir
Meinen Becher! Ich kann zu der Quelle leichter mich bücken.«
G. »Hast Du auch Speise für mich, den wankenden Alten zu laben?«
B. »Nimm den Brosam und iß!« G. »Du bist, deß freu' ich mich, Beor,
Gegen Andre nicht hart; nur gegen Dich selber verhärtest
Du Dein Herz und willst Dich nicht trösten! Dich ja nicht zu trösten,
Forscht Dein Verstand und strebet Dein Herz. Ich kenne Dich, Beor,
War zugegen, als Du die Schöpfung das erste Mal sahest.«
B. »Wenn Du mich kennest, so kennst Du den schwermuthsvollsten der Menschen!
Desto schwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir versagt ist,
Das in mir zu beherrschen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt.
Aber wähne nur nicht, daß es mir an des Traurens Ursach
Mangle. Den Heitersten stürzt' ein Elend wie meins zu der Erde!
War ich nicht blind seit meiner Geburt und lang' und des Lebens
Beste Zeit? Bin ich nicht an Einsicht blinder, den großen
Göttlichen Mann zu erkennen, der, Wunder zu thun, von Gott kam?
Und wird etwa sein Tod zu neuer Erkenntniß mir Licht sein?
Kennest Du nun ein Elend, wie meins ist? und müssen nicht fürchten,
[179]
Immer elend zu sein, Elende von ihrer Geburt an?
Ist nicht unablassender Gram des künftigen Bote?
Ach, und straft der Gerechte nicht mehr als Anderer Sünden
Meine Sünden? Ich fluche dem Tage meiner Geburt nicht;
Aber ich wünsche beinah, nicht zu sein!« Hier endete Beor.
G. »That er Dir nicht auf einmal, als Du es am Wenigsten hofftest,
Seines Allerheiligsten Vorhof, die herrliche Welt, auf?
Ihre Fülle der Segen, von seiner Sonne bestrahlet?
Freuden hattest Du da, wie der Immersehenden keiner
Jemals empfand! Und öffnet' er Dir in die künftige Welt nicht
Einen Blick, als er sich den Sohn des Ewigen nannte?
War dies, Beor, auch Elend, auch Sündenstrafe? Die Sünde
Rügt er an Dir nicht mehr wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes
Wollte strahlend an Dir, Du Elendbeseligter, Jesus
Offenbaren. Du warst, daß ihr Zeuge Du würdest, erkoren
Schon vor Deiner Geburt. So dachte der Ewige Deiner!«
Beor rief: »Du verführst mich in neue Tiefen des Grübelns!
Laß mich! tief genug ist es da, wo ich liege! mein Abgrund
Tief genug! Ha, wärst Du ein Engel Gottes und sprächest,
Wie Du sprichst; doch fragt' ich Dich: wie, was Gott im Geheimsten
Seiner Verborgenheit thut, Du, obwol ein Unsterblicher, wüßtest?
Denn ersinne mir etwas, das weiter aus dem Gesichtskreis
Aller Erforschungen liege, das mehr den Herrscher verberge,
Als: Elende zu machen, um herrlich durch sie zu werden!
Und wie weißt Du, Sterblicher, denn, des Ewigen Rath sei,
So zu handeln? Wenn ein Engel mir's sagte, so glaubt' ich's;
Aber, er schau' hinab in die ganze Tiefe, das würde
Selbst ein Engel umsonst mir sagen.« Der Greis antwortet:
»Ist denn kein ewiger Lohn, Du Zweifler? und sind denn nicht Stufen
Dieses ewigen Lohns, die hinauf in die Himmel der Himmel
Steigen? und kann, wen er um seinetwillen betrübte,
Den denn Gott nicht belohnen? der unerschöpfliche Geber
Aller Seligkeit nicht auch Den? Du stehst an dem Meere;
Sieh, ein Tropfen kann Dich, Du Staub, mit Fülle beströmen!«
[180]
B. »Du erquickest mein Herz, ehrwürdiger Alter. Doch, wenn auch
Gott so handelt, wie darf so hoch ich wähnen, ich sei
Der Glückseligen einer, die Gott mit Elend belastet,
Sich zu verherrlichen, sie mit ewigem Lohn zu belohnen!«
G. »Einer von Diesen bist Du! Das weiß ich. Mit Ueberzeugung
Wirst auch Du nun bald es erfahren. Denn Tag in der Seele
Wird es Dir, freue Dich, werden! Der Morgenröthe des schönen
Lichten Tages, ich sehe schon ihre Schimmer von ferne.
Laß, eh er kommt, uns beten, damit er betend Dich finde,
Gottes Tag.« Sie sanken hin und knieten in Staube,
Hiob vorwärts an Beor; und Beor stammelte weinend:
»Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig, bin ich der Erkorne,
Elend zu sein, damit Du noch mehr Dich meiner erbarmest,
So erheb' ich mit Danke mein Haupt, mit Danke gen Himmel,
Daß Du dem Auge Blindheit und Nacht der Seele voll Schwermuth,
Dieses, Erbarmender, gabst, mit ewigem Danke! Denn ewig
Soll mein Jubel erschallen, daß Gott, Gott so sich erbarmt hat!
Hüter des Menschen, ist sie nun bald vorüber, der Seele
Nacht? O Hoffnung, Du neue, Du himmelerhebende Hoffnung,
Dich empfang' ich vom Herrn! Gepriesen, Vater, gepriesen
Sei Dein herrlicher Name, des Gnadevollen Erbarmung,
Diese Mutter des hilflosen Kindes! Und wenn sich des Sohnes
Auch das Weib nicht erbarmte, so wird doch Gott sich erbarmen!
Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig, gepriesen auf ewig
Sei Dein herrlicher Name, daß Du mir von der Geburt an
Blind zu sein gebotest, daß Du mir Leiden die Fülle
Gabest und Thränen und Deinen göttlichen Boten, das Elend,
Mich zu lehren, mir sandtest, mir Zweifel und Schwermuth der Seele
Sandtest, damit ich, wie sehr ich Deiner Hilfe bedürfe,
Tief in das Leben hinein, in meinem Innersten fühlte!
Aber soll ich nicht Dir auch danken, Gesendeter Gottes,
Helfer in Juda? Allein (hier wurde die Stimm' ihm schwächer)
Er ist todt!« »Er lebt,« rief mit gewendetem Haupte
Und mit strahlendem Angesicht Hiob, »er lebt!« und mit Eile
Stand er auf und war ganz Herrlichkeit jenes Lebens.
»Sieh, er ist nicht todt mehr, er lebt, und einer der Zeugen,
Daß er lebe, bin ich, den er von dem Tode geweckt hat,
Hiob. Ich litt – das glaubst Du doch nun? – viel größere Leiden,
[181]
Als Du littest; allein wie hat er auch mein sich erbarmet!«
Beor wollte die Hände gen Himmel falten, vermocht's nicht.
Wie sie Moses am Tage der Schlacht die Hände gen Himmel
Hielten – gesunken brachten sie Tod, und Leben erhoben –
Als hielt sie ihm Hiob empor. Jetzt schied er mit Wonne
Von dem Erstaunenden, welcher ihn blaß und sprachlos ansah.
H. »Siehe, der Todte, der ewig lebt und bald nun hinaufsteigt
In die Höhe der Höhn« (er wies mit der glänzenden Rechte
Feirlich gen Himmel), »er selbst hat es über Dich ausgesprochen:
Nicht der Blinde, noch die ihn gebar, noch Der, so ihn zeugte,
Haben gesündigt! Er ist ein Zeuge der Herrlichkeit Gottes!«
Also verließ er Beor, der kaum den Abschied aushielt.
Abraham schweben und Moses am hohen Tempelgewölbe,
Schaun auf des Festes Feirer hinab und forschen betrachtend,
Einen darunter zu finden, der ihrer Erscheinungen werth sei;
Aber sie suchen lang' vergebens. Endlich erblicken
Sie an einem der palmenbewundenen Pfeiler voll Ernstes
Einen Jüngling und voll der tiefanbetenden Andacht.
Feuer strömt' ihm herab aus jedem Blicke, geheiligt
Dem, deß großen Namen die hohe Posaune jetzt hallte,
Sie der Schlacht, des Triumphs und der Halleluja Gefährtin.
Milder wurde sein Blick und von werdenden Thränen beschimmert,
Als ihr Donner schwieg, und nun mit sanftem Gelispel
Korah's Gidith erklang und die Harfe, David's Gespielin,
Und die Stimme des Menschen, vor allen Saiten und Erzten
Unerschöpflich, die mächtigste Herrscherin über die Herzen.
Also scholl es hinauf in den himmelsteigenden Tempel:
»Auf den heiligen Bergen ist sie, die Feste, gegründet!
Sion's Thore, viel mehr als alle Wohnungen Jakob
Liebt sie der Herr! In Dir, Du Stadt des Allmächtigen, werden
Herrliche Dinge verkündet, verkündet herrliche Dinge!«
Mit anhaltender Andacht Ernst erhoben zum Geber
Aller Gaben, zu Dem, der ewig lebet und herrschet,
Knieete Saulus. Und aus der großen gedrängten Versammlung
Koren ihn Moses sich aus und Abraham, ihm zu erscheinen.
Als der Jubel schwieg, und des Festes Feirer zerströmten,
Schwebten sie, ihn zu begleiten, ihm nach. Mit Eile, die strahlte,
Kam, da sie folgten, herab von des Tabor wolkigen Höhe
[182]
Gabriel ihnen entgegen, und schnell erflog er ihr Schweben.
G. »Väter, erscheinet ihm nicht; der Herr will ihm selber erscheinen!«
M. »Bote Gottes, wer ist der erhabne Sterbliche, dem wir
Nicht erscheinen dürfen, dem Jesus selber erscheinet?«
G. »Dort erblickt Ihr Damaskon. Er eilt in diesen Gefilden,
Dein entflammter Verfolger, Gemeine Gottes. Er wüthet,
Sammelt Schaaren um sich. Die wüthen, wie er, und morden.
Aber plötzlich umstrahlt ihn ein Licht von dem Himmel, zur Erde
Fällt er nieder und hört in der hohen Wolke die Stimme:
Saulus, was verfolgst Du mich, Saulus? Da ruft er gen Himmel:
Herr, wer bist Du? und ihm antwortet die schreckliche Stimme:
Ich bin Jesus, den Du verfolgst! Schwer wird Dir es werden,
Wider den Stachel zu lecken! Er ruft mit Zittern und Zagen:
Herr, was gebietest Du, was soll ich thun? Der Wecker vom Himmel,
Jesus, der Thronende zu der Rechte des ewigen Vaters,
Giebt ihm Befehl. Den thut er, obgleich geschlagen von Blindheit.
Sieh, es leiten ihn seine Gefährten, die neben ihm zagen,
Nach Damaskon zum Seher. Ein auserwähltes Rüstzeug
Ist er dem Herrn. Verkündigen soll er des Göttlichen Namen
Vor den Heiden und ihren Beherrschern und Israel's Söhnen.
Zeigen will ihm der Herr, wie viel er um seinetwillen
Leiden soll. Er empfäht den heiligen Geist, und die Blindheit
Läßt ihn. Er wird getauft und predigt des Göttlichen Namen:
Daß Der sei des Ewigen Sohn, der todte Messias,
Der erstandne, verherrlichte, himmelerhobne Messias!«
Gabriel schwieg, und Abraham rief mit gefalteten Händen:
»Daß Du bist der Vollender vom Anbeginne der Welten,
Daß sich beugen sollen in Deinem Namen die Kniee
Aller im Himmel und auf der Erd' und unter der Erde,
Aller Zunge bekennen, des Ersten am ewigen Throne
Und des Letzten am Grabe: Du seist zu der Ehre des Vaters
Herr, Du Eingeborner zur Herrlichkeit, Halleluja!«
Und sie schwiegen lang' vor inniger Wonne. Zuletzt sprach
Moses und weihete so den ernsten Jüngling: »Die Liebe
Christus' dringe Dich und der Brüder! Sei denn gerüstet,
Niederzustürzen die Höhn, die gegen den Herrn sich erheben!
Lehr ihn, Redner wie Menschen, und lehr ihn, Redner wie Engel;
[183]
Aber habe die Liebe zugleich, die Liebe zu Christus,
Die den Geliebten der engen, der dunkeln Wissenschaft vorzieht,
Und der Brüder Liebe, die freundliche, duldende, sanfte,
Die nicht eifert, nicht spottet, von keinem Stolze sich aufbläht,
Die kein Zorn entstellt, die nicht das Ihrige suchet!
Nie zu erbittern, trachtet sie nie, dem Bruder zu schaden;
Ungerechtigkeit freuet sie nicht, sie freuet die Wahrheit;
Alles glaubet sie, trägt sie und hoffet Alles und duldet
Alles, ist nie zu ermüden, sie dauert ins ewige Leben!
Diese Liebe sei Dein, Du Jüngstgeborner der Gnade
Unter den heiligen Boten, dem Jesus selber erscheinet;
Denn Die, welche Du liebst, sind Glieder der hohen Gemeine,
Und ohne Flecken und Tadel ist die hohe Gemeine,
Ist des Bräutigams Braut und in seinem Blute gewaschen,
Jenem, das lauter ruft als Abel's, und nicht um Rache,
Heil Euch! und lauter, als rief von dem Berge des Schreckengeheges,
Sina, der Donner, der Cherubim Schaar, die Posaun', und um Fluch nicht.«
Hinter Stephanus ging, von dieser Weihe begleitet,
Saulus hinab. Die Heiligen schwebten nach Tabor hinüber.
Simeon's Bruder, Elkanan, mit ihm sein kindlicher Leiter,
Waren zu Samma hinein den traurigen Abend gegangen,
Da sie das alternde Grab voll stilles Mooses verließen.
Samma hielt sie bei sich süßüberredend, ein heitrer
Freundlicher Wirth, obwol viel Schmerz die Seel' ihm bewölkte,
Jetzt der neue: todt sei Christus, und seines Erwachens
Ruf bezeuge noch Keiner! Das klagt' auch Elkanan und Boa,
Joel, mit Dir. Sie sandten umher, und sie konnten die Jünger
Dessen, der leben sollte, nicht finden. Sie saßen in Joel's
Duftenden Laube, die ihm in dem Garten sein Vater gegeben.
Nur der wandelnde Mond war, wie sie glaubten, der Hörer
Ihrer Klagen; allein auf einer silbernen Wolke,
[184]
Die ihn leise bedeckt, versammeln sich andere Hörer,
Andere Zeugen, wenn ihr Gespräch in Schmerze verstummet,
Simeon und Benoni und Du, vollendete Fromme,
Lazarus' Schwester, Maria. B. »Nun kann ich mich länger nicht halten,
Muß mich meinem Vater, mich meinem Bruder entdecken!
Sag es, Simeon, selbst: Sind, ach, nicht genug des Jammers
Thränen geweint, genug der bitteren Kelche getrunken
Ihrer Leiden? Ist nicht an der Laufbahn Ziele die Prüfung?
Wollen wir ihnen die Krone nicht bringen?« S. »Wir wollen, Benoni.
Folg unsichtbar uns nach und geneuß der Wonne, Maria,
Ihre Freuden zu sehn. Und Du, Benoni, enthülle
Dich in der Fern' mit milderem Glanze, daß sie der Erscheinung
Nicht erliegen.« Sie schwebten hinab. J. »Bei meines Benoni's
Grabe war ich, bei Simeon's Du; ach, wären wir Armen
Auch bei dem Grabe des Herrn gewesen, so hätten wir ihn dort
Auferstehn vielleicht, ist er auferstanden, gesehen,
Hätten ... O Gott der Götter, was schimmert dort in der Ferne?«
Samma sank, rief: »Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig!
Sieh, ein Bote des Himmels!« E. »Was sahest Du, Knabe? was sahst Du,
Samma? Führet mich hin, daß ich der Erscheinung begegne,
Mit ihr rede!« J. »Wir beben, Elkanan, können nicht führen!«
E. »Führet mich! Boa, was siehest Du? führe Du mich!« Der Knabe
Hielt sich erstarrt an die Laube. »So redet denn, saget: Was seht Ihr?«
J. »Eine leuchtende Jünglingsgestalt, die unter Benoni's
Bäumen wandelt und gegen uns lächelt.« E. »Erscheinung, Erscheinung,«
Rief Elkanan, »wer bist Du?« Melodisch erscholl's in der Laube:
B. »Einer Seligkeit Bote, die größer, als Ihr vermuthet,
Viel entzückender ist.« J. »Ach, wessen Stimm' ist die Stimme?«
Rufte Joel, »und weß Antlitz des Nahenden Antlitz?
Gott der Götter, Benoni!« Er sank. Schon hielt ihn Benoni's
Helfender Arm und richtet' ihn auf. B. »Mein Bruder!« Benoni
Rief's in der Wonne. J. »Mein himmlischer Bruder!« stammelte Joel.
B. »Samma, mein Vater!« und sank ihm ans Herz und erhielt ihm das Leben,
Daß der Greis in der stürmischen unnennbaren Empfindung
Nicht entschlummerte, nicht in der thränenlosen Entzückung
In die Nacht des Todes sein Aug' hinstarrte. Nun leitet
Er den verstummenden Alten zu einem moosigen Sitze.
»Bring Elkanan zu mir,« so sprach er zu Boa, »damit er
[185]
Näher mich höre.« E. »Nun wall' ich hinab mit Ruh zu dem Grabe,«
Sprach Elkanan; »denn ob Dich mein Auge gleich nicht gesehn hat,
Hat Dich mein Ohr doch gehört, Unsterblicher! Rede denn, lehr uns,
Bote von Gott!« B. »Euch wird ein Größerer lehren, sobald Ihr
Ruhiger seid und zu tragen vermögt des Erscheinenden Ankunft!«
Joel hatt', indeß da er redete, still sich genähert,
Blumen geküßt und sie in des Bruders Tritte gestreuet.
B. »Sagt, vermögt Ihr's« (er sah mit dankenden Blicken auf Joel),
»Haltet Ihr's aus, daß Simeon komme?« E. »Simeon's Seele,«
Rief Elkanan, »schwebet um mich? ach, laß sie erscheinen,
Bote der Wonne! Seid stark, Du Samma, Joel Du, Boa,
Hindert sie nicht! Schon hört Dir mein Ohr, mein Bruder, entgegen.
Simeon, Simeon, komm! Mein Auge wird Dich nicht sehen,
Theurer Bruder; allein nicht lang', und ich werde Dich sehen,
Wenn die Nacht des finsteren Thals zu dem Lichte mich aufweckt.«
Simeon kam in des Mondes Schimmer, mit himmlischem Glanze
Ueberkleidet, einhergegangen. Mit sanfterem Schrecken
Als Benoni's unangekündetes Schimmern erblickten
Sie die Strahlengestalt, allein mit größerem Staunen.
Also floß von der Lippe des hohen Engels die Stimme:
»Jesus Christus ist auferstanden! Viele der Frommen
Haben auf seiner Allmacht Wink die Gräber verlassen!
Er erscheint, und wir erscheinen. Ihn sehn nur die Zeugen,
Die er zu lehren beruft und Wunder zu thun und zu bluten.
Derer warten im Himmel der Erstlinge Kronen und Palmen
Und ein Thron im Gericht. Doch eh der Versöhner zu Gott geht,
Eh mit Jauchzen und heller Posaun' er gen Himmel emporsteigt,
Werden auf einmal ihn noch fünfhundert Glaubende sehen.
Jesus segn' Euch und nenne mit dieser Begnadeten Namen
Eure Namen! Ja, segne sie, Herr, mit dieser Erbarmung!«
E. »Simeon, auferstanden bist Du vor dem Tage der Tage?
Ach, wie dürstet mein Herz, Dich zu sehn! Doch ich würde ja Jesus
Selber nicht sehen! Nie hat mich schwerer die Blindheit belastet!
Schmerz, verstumme Du! Die Stunde, da Simeon mich sieht,
Ich ihn reden höre, soll keine Klage bewölken,
Da er von Jesus mit mir und seiner Herrlichkeit redet.
Ach, Fünfhundert auf einmal! Wenn ich zu ihnen gehörte,
Würd' ich dennoch mich freun! sie würden Entzückungen reden!
Darfst Du von Eurem Himmel und seinen Geheimnissen sprechen,
[186]
Simeon?« S. »Nicht zu Bewohnern des Staubs! So hat es geordnet,
Der auf Stufen erhöht und nach der Prüfung belohnet,
Der die Welten gesondert von Welten und doch sie vereint hat,
Der in seinem unendlichen Plan der Seligkeit Aller,
Alle Grenzen und Arten der Seligkeiten vereint hat!
Gegen Dich, lichtheller Entwurf des Glückes der Geister,
Ist die sinnliche Schöpfung nur Schatten. Er bauet auf Elend
Freuden empor, die Keiner der Immerglücklichen kennet.
Lernet noch dies: Nichts Größeres haben die Ewigkeiten,
Nichts, das unerforschlicher und unempfindbarer wäre,
Als daß eine der Höhn der Erhebung des Gottversöhners
Auf der Erniedrigung steht! Der ernste Gedanke vertieft Euch.
Sinnt ihm zu eifrig nicht nach! Er ist selbst Engeln Erstaunen.
Kennet Eure Seligkeit ganz, die hier schon Euch Gott gab!
Nicht nur wir sind um Euch; die schöne Seele Maria's,
Lazarus' Schwester ist auch an dieser heiligen Hütte.
Siehe, sie freuet sich Eurer Freuden!« Da riefen sie Alle:
»Lazarus' Schwester ist todt?« »Und freuet sich unserer Freuden!«
Rief der glückliche Samma. »Wir freun der Deinen uns, Mirjam!
Ach, wie trocknest Du die Thräne mir, Vater des Schicksals!
Meinen Benoni sendest Du mir und Elkanan den Bruder!«
»Und auch Joel den Bruder!« so sprach der zärtliche Joel.
S. »Gott, wie endetest Du mein Schicksal! Wie konnt' ich es wagen,
Das zu hoffen, als meine verfinsternde Schwermuth, dies Elend
Ueber alles Elend, begann, ich mir mein noch bewußt war
Und nur Nächt' erblickt' um mich her, Labyrinth und Abgrund,
Nichts im Künftigen sah als schwarze Schrecken! Nun wich mir
Meine Vernunft. Ich zermalmte Dich, Sohn, an dem blutigen Felsen;
Ach, zu durchweinen, so dacht' ich bis heut, mein übriges Leben!
Und dies Alles endiget sich mit der Wonne der Himmel,
Mit dem süßesten Wiedersehn, das jemals erlebt ward!
Sohn, Benoni, mein Sohn, an dem blutigen Felsen zerschmettert,
Wie hat Der Dich begnadet, der mein durch Dich sich erbarmt hat!
Sieh, ich weiß es, Du gehest von mir; doch es soll mir kein Abschied
Sein, wenn Du gehest! Ich werde vor mir Dich immer erblicken,
Wie Du, ein Erbe des Himmels, in Deiner Herrlichkeit dastandst!
Kaum, daß es Wiedersehen genannt darf werden, wenn drüben
Ueber den Gräbern ich Dich in Deiner Herrlichkeit sehe.
Eins noch bitt' ich Dich: Gieb mir Deinen Segen, Benoni,
Eh Du Dich wendest!« B. »Ich Dich segnen? der Sohn den Vater?
Und Dein jüngster?« S. »Mein Erstling nun, und älter, als ich bin,
[187]
Alt an den Tagen der Ewigkeit! Sie ist wirkliches Leben!
Dieses Leben ist Schlaf, aus dem ein letzter uns aufweckt.«
Da erhub Benoni die festgefalteten Hände,
Ward, indem er redete, strahlenvoller und sagte:
»Bald denn komme Dein letzter, und sanft, wie Simeon's Tod kam,
Theurer Vater!« So segnet' er ihn. Jetzt redete Joel.
»Ach, ich bäte Dich auch um Deinen Segen; allein ich
Fürchte, Benoni, daß Du mit langem Leben mich segnest.«
B. »Jüngling, Du fürchtest größeren Lohn! Je tiefer des Guten
Leben hier wurzelt, je höher wächst sein Wipfel im Himmel,
Und je ausgebreiteter schatten die volleren Zweige.
Soll ich Dich nun, mein Bruder, mein Joel, segnen?« Da kniete
Joel nieder vor ihm. Benoni legte die Hand ihm
Auf die glühende Stirn. »Nimm hin den Segen der Segen
Und das ewige Leben: Der Gott, der Jesus erweckt hat,
Führe zu Jesus Dich!« Sie verschwanden der Betenden Auge.
Schnell rief Boa: »Sie sind verschwunden, Elkanan!« Und Joel
Richtet sich auf und sagt mit dem leisen Laute der Freude:
»Wenn Du hier noch verweilst, Du schöne Seele Maria's,
O, so bringe Du ihnen von uns den stärksten, den frohsten,
Feurigsten Dank, daß sie uns der Erscheinung gewürdiget haben,
Ihrer Gespräche von Gott und ihrer himmlischen Segen!«
Also sagte der Jüngling und sank in die Arme des Vaters.
Christus' Mutter saß auf dem hohen Söller. Die Sonne
War gesunken; der Abendstern entstrahlte dem Himmel.
Neben ihr ruhte die Tempelharfe. Sie sahe, das daucht' ihr,
Ueber den Bach der Pilgerinnen eine, nicht gehen,
Sahe sie schweben und werden, indem sie herüberschwebte,
Himmelsgestalt. Also wird That ein großer Gedanke.
Und schon stand die lichte Gestalt bei ihr auf dem Söller.
Christus' Mutter staunte nicht mehr. Es war ein Erstandner
Oder ein Engel. Sie hatte gesehn erstanden vom Tode
Ihren Sohn. E. »Ich verhülle vor Dir mich, Mutter des Herrn, nicht.
Warum sollt' ich? Du strahlest mit mir nun bald an dem Throne.
Mirjam, auch ich bin Mutter!« M. »Vielleicht des gehorsamen Opfrers
Oder Deß, der das Grab nicht kannte, des himmlischen Henoch's?«
E. »Abraham's auch und Henoch's! Ich bin, o die Du der Unschuld
Wiederbringer gebarst, ich bin die Mutter der Menschen!«
M. »Dich, Dich seh' ich, o Wonne des offenen Himmels! die Mutter
Abel's seh' ich!« E. »Auch Kain's. Ich bin herübergekommen,
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Daß ich mit Dir den Sohn, den Mann Jehovah, o Mirjam,
Preise mit Dir. Wolan, laß unsere Harfen beginnen!«
M. »Ich mit Dir, der Unsterblichen? ich mit der Mutter der Menschen,
Die ich sterblich noch bin? Allein wir singen dem Mittler!
Eva, beginn und lehre mich dem Erhabenen singen!«
E. »Zweimal ward ich geschaffen; er rufte mich zweimal ins Leben,
Den Du, Mirjam, gebarst! O Mutter, er wurde geboren,
Der Dich schuf und mich, der alle Himmel gemacht hat!«
M. »Der die Sonne, den Mond, der alle Sterne gemacht hat!
Der Dich schuf und mich, er wurd', o Eva, geboren!
Hast Du den hohen Gesang der Engel Gottes vernommen,
Die ihm sangen, als er geboren ward in der Hütte?«
E. »Da nach Sion zurück des Preisgesanges Triumph kam,
Bebten vor seinem Donner die Wipfel der Lebensbäume,
Sanken, wo er tönte, die Himmlischen vor dem Gebornen!«
M. »Und er weint' in Bethlehem's Krippe. Doch hatten schon Engel,
Eh er weinte, den Namen des Wiederbringers genennet!
Jesus! hatte die Ceder, die Palme Jesus! gehöret,
Jesus! Tabor, Jesus! gehört, ach, Golgatha Jesus!«
E. »Nennen hörte den Gottesgesalbten der Thron, von dem er
Niederstieg, der Unsterblichen Heer den Gottesgesalbten!«
M. »Hast Du ihn sterben gesehn?« E. »Ich hab' ihn sterben gesehen!«
M. »Hast Du die blutige Krone der Schmach um die Schläfe des Mittlers
Triefen, o Mutter Abel's, gesehn?« E. »Ich sahe die Krone
Um sein Haupt und sah wie in Dämmrung erlöschen der Engel
Antlitz, in trübere Derer Antlitz, die er versöhnte!«
M. »Hast Du die Todesstimme des Gottversöhners vernommen?
Jene, da Christus rief: Es ist vollendet! und jene:
Vater, in Deine Hände befehl' ich meine Seele!«
E. »Ach, ich habe vernommen die Worte des ewigen Lebens,
Habe wie Psalme gehört der Harfenspieler wie Chöre,
Als ob sie an dem Throne dem Hocherhabenen sängen,
Da er sein Haupt emporhub, rief: Es ist vollendet!
Da sein Auge schaute mit Gottesblicken gen Himmel:
Vater, in Deine Hände befehl' ich meine Seele!«
M. »Und doch litt ich, die Sterbliche, wie die Mutter Abel's
Niemals litt. Allein Preis sei dem Sohne, des Leidens
Geber; denn, ach, wie erhöhet mir nun die nächtliche Stunde,
Siehe, die Stunde der Angst, die Stunde des Schwerts in der Seele
[189]
Meine Wonne!« E. »Ich habe wie Du nicht gelitten, ob Abel
Gleich zu der Erde gestürzt ich liegen sahe, der Todten
Ersten und meinen Sohn! die Stirn' ihm zerschmettert, des Fluches
Frühes Opfer, in Blut, und meinen Sohn! Es vergingen
Erd' und Himmel um mich: so schreckte der Todte die Mutter.«
M. »Arm des Allmächtigen, Du, ja, Du nur hieltest mich, Gottes
Arm, da hinaus in die Nacht vom Gerichtsaltare der Sohn rief:
Mein Gott, mein Gott! warum hast Du mich verlassen?«
E. »Mutter Christus', ich hört's den Geopferten rufen. Ich sah Dich
Nun nicht mehr.« M. »Heil Dir, o der Menschen Mutter, Du warest
Da bei dem Kreuz, da das tiefe Geheimniß Christus zu Gott rief!
Selig bin ich! Ich habe den Mittler Gottes geboren.
Selig auch Du! Du bist die Mutter seiner Versöhnten.«
E. »Selig bin ich! Aus Adam's Gebein erschuf mich der Schöpfer
In dem Paradiese; mich schuf aus Verwesungsstaube
Tief im zertrümmerten Paradiese der Todtenerwecker.
Heil mir, die Mutter bin ich der Gottversöhnten, bin, Mirjam,
Deine Mutter.« M. »O Du, die Eden zweimal geboren,
Tochter der Schöpfung (ihr Leben verging) und der Auferstehung
Tochter zum ewigen Leben, ach, Eva, er stammet von Dir auch,
Der von Ewigkeit ist, und den die sterbliche Mirjam
In der Hütte gebar! O Du der Gebärerin Mutter,
Himmelsfreuden sind die Freuden, die über mich kommen,
Und die dennoch, wie tief sie auch oft in dieser Begeistrung
Strömen versinkt, zu empfinden vermag die sterbliche Mirjam.
Segne zum ewigen Leben, ich bin die Erlöste des Bundes,
Eva, segne die Himmelserbin zum ewigen Leben!«
E. »Zwar bist Du noch sterblich, und ich unsterblich; doch kann ich
Dich nicht segnen! Es hat Dich schon der Stifter des Bundes,
Siehe, das Todesopfer auf Golgatha's blutigem Altar,
Seine Mutter, zum ewigen Heil, der Vollender gesegnet!«
M. »Eh am Throne mein Lied von dem Segen des Liebenden ausströmt,
Werd' ich noch einmal ihn sehen hier in der Gräber Gefilden!
Gabriel stand und strahlt' und verhieß, wir sollten noch einmal
Christus sehn. O, singe mir, Abraham's Mutter und meine,
Von der Auferstehung des Sohns, da am hohen Kreuze
Nun nicht mehr in die Nacht sein Haupt sich senkte, die Augen
Ihm nicht mehr verloschen, nicht mehr die Krone von Blute
Ueber sein Antlitz troff, da den Donnergang der Entscheidung
Gott ging.« E. »Also erscholl's: Es werde Licht! und das Licht ward.
[190]
Also erstand er. Die Harfe sank, und die Palme sank uns,
Jubel ruften wir aus. So singen die Lieder am Thron nicht;
Meere rauschen, wie wir das Halleluja dem Mittler
Gottes ruften. Doch schnell ward Alles staunende Stille.
Himmel und Erde schwiegen, und wir, bis endlich Triumphe
Märtyrer sangen, bis endlich zum Mittler Adam herabkam,
Laut ausrief: Ich schwöre bei Dir, der ewig lebet,
Daß nun Tod nicht länger der Tod ist, und daß an dem Tage
Deiner großen Vollendung sie All' erwachen, die schlafen!«
M. »Ach, sein Wonnausruf durchdringet die Mitgenossin
Seines Erbes. Bestreuet mein Grab mit den Blumen der Ernte!
Saat, Dich säte der Herr! Ich hör', ich höre das Rauschen
Deiner Aehren, ich hör' in dem Himmel das Rufen der Ernter!«
E. »Lege bald zu des Todes Schlaf, o Mirjam, Dich nieder,
Daß ich die Mutter des Herrn in dem Thale des Friedens empfange.«
M. »Daß wir singen dort in dem Thale des Friedens dem Sohne,
Wenn er nun an dem Thron die Thränen trocknet der Christen
Und zu verstummen gebeut der sanften Klage der Wehmuth.
Siehe, der trug die Sünde der Welt, ist die Liebe, der Adam's
Lasten nahm und hinauf nach Golgatha ging, ist die Liebe,
Der die Liebe, der, nicht gekennet, ach, ungeliebet,
Sich, da schwiegen die Himmel der Himmel, erkor, sich hingab
Diesem schrecklichen Tode zum Opfer!« E. »Zum Opfer, zum Opfer
Für die Sünde, da selbst Erzengel verstummten, die Hölle
Laut anklagt', und zu wandeln den eisernen Tritt das Gericht hub!«
Also sang sie und wendete sich. Ihr sahe Maria
Lange nach, da gen Tabor in Himmelsglanze sie schwebte.
Jetzt begannen zurückzukehren der Heiligen Schaaren
Nach der Verklärung Gebirge, dort mit einander der Freuden
Sich zu freun, die erscheinend den Auserkornen sie gaben.
Und sie strahlten herauf von Jerusalem, Viele der Wonne
Voll, die sie hatten gegeben, und Viele der künftigen Wonne,
Die, noch verborgen im bruderliebenden Herzen, itzt keimte,
Trieb, arbeitet' und wuchs, zu der Ruhe Schatten zu werden
Ueber der Wanderer Haupt in dem heißen Pfade des Elends.
Wie ein Stern und noch einer und wieder einer hervorgeht
Aus der grenzlosen Tiefe der schauererfüllenden Schöpfung,
Wenn der kommenden Nacht die Abenddämmerung weichet:
Also versammelten sich die Erscheinenden Gottes auf Tabor;
Wenige Spätere nur empfing noch der heilige Berg nicht.
Cidli, die Tochter Jairus', saß vor der Laube des Söllers
[191]
In dem Schimmer der Morgenröthe. Sie sah den Geliebten,
Seit er zu seinem Grabe von ihr in der Traurigkeit eilte,
Ihren Semida nicht. »O Liebe voll Unschuld, ich darf Dich,
Meine Liebe, so nennen, wenn wirst Du mich endlich verlassen,
Wenn wegrufen den Schmerz, der Alles in trübe Bilder,
Alles in Thränen um mich verwandelt? Gehör' ich der Erde
Viel zu wenig, ihr sterbliche Söhne zu geben; erstand ich,
Gott mich auf diese Weise zu widmen: was weilest Du, Liebe,
Zwar mir bitterer Schmerz, doch Liebe voll Unschuld, was weilst Du
Unnachlassend in mir? Doch wenn Dein Weilen mir zeigte,
Daß ich, also dem Herrn mich zu widmen, vom Tode nicht aufstand?
Ach, wer führt mich heraus aus dieser Tiefe des Schmerzes,
Dieser Irre des Grübelns heraus? Zwar bin ich erstanden;
Aber sterblich bin ich. Ich leb', und ich leide wie Andre,
Leide viel mehr wie Andre, die so voll Unschuld nicht lieben.
Wär' ich nur sterblicher auch! Du Klage, warest zu heftig.
Sterblicher will ich nicht sein!« Sie erhebt sich und trocknet mit Eile
Ihre Wange. Da stieg der Pilgerinnen des Festes
Eine den Söller herauf, von der Mutter Cidli's begleitet.
P. »Lange wallt' ich umher, Jairus' Tochter zu sehen;
Endlich find' ich Dich auf. Du hast von Deines Erweckers
Hohem Triumph doch gehört?« E. »Ich habe von meines Erweckers
Hohem Triumphe gehört; doch seiner Herrlichkeit Zeugen
Hab' ich noch nicht gesehn. Maria, Lazarus' Schwester, –
Denn ihn kennst Du wol auch, da Du mich zu suchen umherwallst –
Ist entschlafen, und ob die Mutter des Göttlichen lebe,
Weiß ich auch nicht.« P. »Sie lebt und hat den Erstandnen gesehen.«
C. »Hat ein Engel Dich mir, o Pilgerin, zugesendet,
Daß Du mir diese Botschaft von Jesus' Herrlichkeit brächtest
Und den Freuden der Mutter?« P. »Ich suchte der Auferstandnen
Eine, von Denen eine, die Jesus' Herrlichkeit zeugten,
Als er noch in der Niedrigkeit war. Vernahmest Du, Cidli,
Nichts von den neuen Zeugen und Zeuginnen nun, da er herrschet
Mächtiger über den Tod, als da er den Bruder Maria's
Und den Vaterlosen aus Nain und Dich erweckte?
Kam der Ruf nicht zu Dir: viel' Heilige wären erstanden,
Als er am Kreuz entschlief, und die erschienen den Frommen,
Die ihn liebten?« C. »Ich lieb' ihn, ich lieb' ihn, o Pilgerin, rede!
Ist der Ruf denn gewiß?« P. »Nicht lange, so wird es sich zeigen.
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Viel' erzählen, daß sich die auferstandnen Gerechten
Auf der Verklärung Gebirg versammeln. Auf Tabor zu steigen,
Ist daher mein Entschluß. Doch in einer Erstandnen Begleitung
Wallet' ich lieber dahin, als allein zu den neuen Erstandnen.«
C. »Pilgerin, zwar bin ich auferweckt von dem Tode, doch bin ich
Sterblich wie Du. Die Erstandenen sind vollendete Fromme,
Wenn sie erscheinen. Doch geh' ich mit Dir, wofern Du mich leitest
Und die Sinkende hältst, wenn wir Erscheinungen sehen.«
Und sie machten sich auf, nach Tabor zu gehen, die Mutter
Und mit Cidli die Pilgerin. Der Jüngling aus Nain,
Semida, hatte so viel von Deinem Erwachen, Versöhner,
Endlich erforscht, daß er sein Herz beruhigen konnte,
Glauben konnte, Du seist wahrhaftig vom Tod erstanden.
Nun erwachten von Neuem mit tiefverwundender Wehmuth
Seiner Liebe Schmerzen in ihm. Noch war für ihn immer
Cidli geschaffen. Das fühlt' er zu mächtig; unüberwindlich
War der Sieger, dies starke Gefühl, in dem innersten Herzen.
»Nacht vor mir, wer führt mich durch Dich, wer hindurch zur Gewißheit,
Ob, die ich mir erkor für die Ewigkeit, wieder mich liebe?
Oder auch nicht? Wer bringt mich hinauf zu den Höhen der Freude
Oder hinab in das sinkende Thal der bittersten Schmerzen?
Auferstanden bin ich, doch nicht unsterblich geworden.
Wären wir dies, so wären wir lang' hinüber gegangen
In der Ruh Gefilde, wo nichts die Liebenden trennet.
Und dort liebte mich Cidli gewiß! O Cidli, Gewählte,
Die ich liebe, wie Wenige nur zu lieben vermögen!
Doch verstumme Du, Schmerz! noch sterblicher machst Du mich, trüber,
Bitterer Schmerz. Wie sonderbar ist mein Schicksal! Ein Jüngling,
Munter und froh, der war ich und starb und kehrt' aus Gefilden
Dunkler Empfindungen wieder, allein die Freude mir waren,
Wurde – was wurd' ich? – mir daucht's bei dem Wiederkommen, ich wäre
Nun ein Unsterblicher; aber wie bald empfand ich, ich wäre
Wieder sterblich und, was ich nicht war, eh zum Tod ich hinsank,
Elend, elend dadurch vor Allem, daß ich die Wonne
Meines Lebens, die Weisheit Deß, der todt war und lebet,
Nicht, wie ich sollte, genug mir machte zu Saat für die Zukunft,
Dann zu ernten, wenn nun das erste Leben entflohn ist.
Herr, von dem Tod Erstandener, eh zu dem Vater Du hingehst,
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Rufe zu Dir mich, damit ich von Dir das Eine, das noth ist,
Mehr noch lerne!« So dacht' er und schwieg mit gefalteten Händen.
Und zu ihm trat ein Fremdling herein. F. »Du kannst mir, o Jüngling,
Helfen, wofern Du willst. An dem Fuße von Tabor's Gebirge
Liegt ein verwundeter Mann, den haben Mörder verwundet.
Auf dem Wege zu dem sitzt Einer, der blind ist und durstet.
Keine Quelle war da, er wußte mir keine zu nennen.
Sieh, er durstet und ruft nach Hilfe, die ihm versagt wird.
Auf dem Wege zu ihm wehklagt ein ermatteter Alter,
An die Felsen gesunken. Ich konnt' ihn nicht führen, und laben
Konnt' ich ihn auch nicht. Ich selber, ach, bin dürftig und kraftlos.«
Semida rief mit Schnelligkeit: »Nimm und stärke Dich; nimm dann
Dieses für sie und dies! Ich nehme das Andre.« Sie gingen,
Kamen zum Greise. S. »Geh Du voraus mit dem zu dem Blinden!
Nimm, mein Vater, und iß und trink dies Labsal der Traube!«
Sprach's und kam dem Pilger zuvor und früher zum Blinden.
»Den die Sonne nur wärmt, o nimm die Stärkung, ich komme
Wieder zurück; dann gehst Du mit mir nach Jerusalem.« Eilend
Ging er weiter. Die Sonne begann, seitdem sie die Thore
Salem's verließen, das erste Mal über die Berge zu steigen.
Und sie eilten dahin, leicht, wie der kühlenden Frühe
Athem. Da Tabor sie nahten, erblickte Semida Cidli
Zwischen der Pilgerin und der Mutter. Schrecken der Freude
Stürzten auf ihn; allein er blieb bei dem führenden Fremdling.
Und sie kamen zum Manne, der bleich, als stürb' er, in Blute
Lag. Sie verbanden ihm sorgsam die Wunden und legten ihn schonend
Auf sanftkühlendes Moos. Da wandte sich Semida endlich,
Sahe Cidli herum an dem Berge kommen, doch ferne.
Jetzo kam sie näher und sah es und stand erschrocken.
Aber als sie erkannte, daß jenem Verwundeten Hilfe
Durch die Männer geschäh', da wagte sie weiter zu gehen.
Semida säumte nicht lang', er lief mit zitternder Eile
Cidli entgegen; doch nah, verstummten sie Beide vor Freude
Und vor Wehmuth. Die Pilgerin bat, nicht lange zu weilen;
Denn sonst würden am Berge sie noch die Strahlen des Mittags
Treffen. S. »So nehm' ich von Dir schon wieder Abschied! Auf immer,
Meine Cidli?« Sie weint' und folgte der führenden Fremden.
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Semida blieb bei dem Blutenden mit dem Gefährten und stärkt' ihn.
Als sie sich unterredeten, wo sie ihn bärgen, erreichten
Sie zween Männer. Die waren des armen Leidenden Brüder.
Und nun schieden sie mit Dank und mit Ruh von einander.
»Wenn Du,« sagte der Fremdling, »mich über Tabor begleitest,
Gehet dort ein kürzerer Weg, als Jene sich wählten,
Und wir kommen zu ihnen, sobald sie den Gipfel erreichen.
Denn es fließt der kleinere Weg mit dem großen zusammen.«
S. »Ja, ich bin Dein Gefährt'; doch mußt Du zurück mit mir kehren.«
P. »Nicht zurück mit Dir!« S. »Welch' ist die Heimath, o Pilger,
Die Dein wartet?« P. »Mein warten in meiner glücklichen Heimath
Himmlische Freunde.« S. »So bist Du nicht arm, wenn redliche Freunde
Dir Dein Leben erheitern. O, nenne mir ihre Namen!«
P. »Ihre Namen? Du wirst erstaunen, daß ihrer so Viel' sind.«
S. »Viele Freunde! das macht mich erstaunen; doch nenne sie.« Freudig
Sah der Pilger ihn an und begann, die Namen zu nennen:
»David! Abraham! Noa! Melchisedek! Josua! Hiob!
Rahel! Joseph! Debora!« Und Semida sah ihn erstaunt an.
Doch bald staunt' er noch mehr. Denn des Pilgers Angesicht wurde
Röthlich und schimmernd! doch war's erst wenige Dämmrung von Schimmer.
Auch schien Jonathan schwebend zu gehn. Je heller er wurde,
Desto blässer vor Freud' und vor Furcht ward Semida's Antlitz.
Aber ihn stärkte sein Freund und führte den Bebenden weiter.
Auf dem anderen Wege stand auf einmal der Reise
Frohe Gefährtin, die Pilgerin, still und sprach zu der Mutter:
»Weiter folge Du nicht! Die Auferweckte des Mittlers
Sieht die höhren Erscheinungen nur.« Sie glänzte verwandelt.
»Nimm jetzt Abschied!« Sie sagt' es der sinkenden Mutter und hielt sie.
M. »Abschied von meiner Cidli, von der ich niemals mich trennte?
Komm bald wieder, o himmlische Tochter, und sage mir Armen,
Was Du sahst. Gott segne zu dieser Erscheinungen Heil Dich!«
»Geh nach Salem hinab,« so sprach zu der Mutter Megiddo,
»Denn Du siehest so bald die glückliche Cidli nicht wieder.«
C. »Meine Mutter! der Herr geleite Dich, meine Mutter!
Himmlische Freundin, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!«
Und sie verließen die Arme, die weinend den Scheidenden nachsah.
Als sie erstiegen die Höh', und vor Staunen Cidli kaum fragte,
Sahe sie fern in dem Cederschatten Semida kommen
Mit dem Pilger, der nun in seinem Schimmer auch glänzte.
Semida sah auch sie. Die beiden Sterblichen standen,
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Gingen, zitterten, ruhten. Auf jeder Seite begannen
Strahlengestalten um sie zu schweben und ihnen zu lächeln.
O, wie glänzten, noch Unerkannte, der Greis und der Blinde
Und der verwundete Mann und seine kommenden Brüder!
Immer wurden der Himmlischen mehr und leuchtender immer.
Wer vermag die Entzückungen alle mit Namen zu nennen,
Welche die Beiden ergriffen, wie sie mit gefalteten Händen
Staunend umhersahn, wieder den Blick zu der Erde senkten,
Fragen wollten und in der bebenden Frag verstummten!
Wie, von Strahlen umgeben der nahen Unsterblichen, wie sie,
Dann von Schimmer und sanftzulispelndem Segnen umgeben,
Freudig waren und bang! Sie kamen sich näher. Da schwanden
Ihre Gedanken, und sie, die beiden Glücklichen, wurden
Schnell verklärt. Sie schwebten daher und umarmten einander,
Ach, das erste Mal dort und nicht in den Hütten der Trennung!
Wiedersehen, o Du, der Liebenden Wiedersehen,
Wenn bei dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,
Selbst der Gedank' an Dich ist nur ein Traum von den Freuden
Cidli's (nun weinten sie andere Thränen) und Semida's Freuden!

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