[170] [173]Fünfter Gesang

Aber Jehovah saß voll Ernst auf dem ewigen Throne.
Neben ihm stand Eloa und sprach: »Wie ist jetzo Dein Antlitz,
Ewiger, furchtbar! Wie strahlet herab von Deinem Auge
Lauter Gericht! Wie reden so laut die Donner herunter!
Dies Zehntausend sprach; schon spricht das andre; nun hör' ich
Schon das Rauschen des dritten von fern! Dort wandelten Sterne;
Gott, kaum sahst Du herab, und die Sterne waren geflohen!
Warum hör' ich nicht um mich herum die Gesänge der Welten?
Wo Du hinblickst, weit um Dich her, da schweigen die Welten!
Alle Seraphim schweigen, es schweigen die Cherubim alle!
Keine von allen unüberzählbaren Myriaden
Singet ein Lied von dem ewigen Sohne! keine von allen!
Sollt' ich Euch überzählen, ich müßte Jahrhunderte zählen;
Ihr schweigt Alle! Nicht Einer singt von dem ewigen Sohne!
Alle verhüllen vor Gott, ihn anzubeten, ihr Antlitz!
Willst Du Dich, Gott, aufmachen, zu halten über der Erden
Eine Gericht? Denn dies ist das Angesicht des Verderbers!
Dieses des Richters Schaun! Gott, oder hast Du beschlossen,
Satan's Reich zu zerstören? den Lästerer Gottes zu schlagen?
Ziehest Du aus im Dunkeln daher, daß den ewigen Sünder
Du vernichtest und um ihn her die Tiefen der Hölle?
Soll sein Name nicht mehr in dem Buche der Lebenden stehen,
Die Du erschufst? er unter den Ewigen ganz vertilgt sein?
Liegen will ich ihn dann, dann will ich, Rächer, vor Dir ihn
Liegen sehn, wie ihn lasten Dein Zorn und unnennbare Qualen,
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Daß das Heulen seiner Verzweiflung die Höll' und der Himmel
Und die Welten vernehmen, und ein Gestirne dem andern
Ruf' im Vorübergange: ›Da liegt er gestürzt, der Empörer!‹
Bis Du wirbelwehend mit ihm und flammend es endigst.
Willst Du das, o Richter, so waffne mich, laß mich mit ausziehn,
Gegen des Schrecklichen Angesicht! Gieb mir aus diesen Gewittern
Tausend Donner und Nacht um mich her und göttliche Stärke,
Daß ich, vor Deinem Antlitz vorbei, in dem Thore des Todes,
Jene wilden Verflucher der Reu' zu Tausenden schlage.
Ach, wie schrecklich bist Du! Wie sendet Dein tödtendes Auge
Lauter Zorn und Gericht, Zorn ohn' Erbarmen, Jehovah!
Lange war ich, ich schaue zurück in Ewigkeiten!
Als Du wurdest, o Welt, da waren schon viel' der Aeonen
Vor Eloa vorübergeflossen, und meine Tage
Sind nicht eines Sterblichen, der aufblühet und Staub wird.
Ewigkeiten sind es, daß ich, Jehovah, Dich schaute;
Doch so hab' ich noch nie Dein furchtbares Antlitz gesehen!
Ach, Dein ganzes Gericht und alle Deine Verderben
Wecktest Du, Ewiger, auf, und diese Herrlichkeit Gottes,
Die sonst Liebe nur war, ist ganz zu Zorne geworden!
Und ich habe mich unterwunden, mit Gott zu reden,
Der ich eine Wolke nur bin, woraus Du mich aufschufst,
Und von Deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph!
Zürne nicht, Vater, und schaue mich nicht mit dem schreckenden Blick an,
Den Du hinab zu der Erde gesenkt hast, daß ich nicht sterbe,
Dann mein Name nicht mehr in dem Buche der Ewigen stehe,
Und nicht länger mein Sitz sei am Allerheiligsten Gottes!«
»Seraph, ich steig' hinunter, Gott den Messias zu richten,
Welcher zwischen mich und das Menschengeschlecht sich gestellt hat,
Dasteht, Gottmensch ist und mein ganzes Gericht erwartet.
Folge mir, mein Erwählter, in Deiner Schöne von fern nach!«
Gott sprach so und stand auf vom ewigen Throne. Der Thron klang
Unter ihm hin, da er aufstand. Des Allerheiligsten Berge
Zitterten und mit ihnen der Altar des göttlichen Mittlers,
Mit des Versöhnenden Altar die Wolken des heiligen Dunkels.
Dreimal fliehn sie zurück. Zum vierten Mal bebt des Gerichtstuhls
Letzte Höh', es beben an ihm die furchtbaren Stufen
Sichtbar hervor, und der Ewige steigt von dem himmlischen Throne.
So, wenn ein festlicher Tag durch die Himmel alle gefeirt wird,
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Und mit allgegenwärtigem Wink der Ewige winket,
Stehen dann auf einmal auf allen Sonnen und Erden
Glänzender von den goldenen Stühlen, bei tausenden tausend,
Alle Seraphim auf; dann klingen die goldenen Stühle
Und der Harfen Gebet und die niedergeworfenen Kronen.
Also ertönte der himmlische Thron, da Gott von ihm aufstand.
Gott ging nun und wandelt' einher in dem Wege der Sonnen,
Der hinab zu der Erde sich senkt. Ihm kommt bei der letzten
Aus der Tief' ein Seraph entgegen; der führt sechs Seelen,
Die seit Kurzem der Erd' und ihren Leibern entflogen,
Sechs Gerechte. Die Hölle nahm mehr in die ewige Nacht ein.
Diese verklärte der Seraph und goß unsterbliche Strahlen
Um den neuen, schwebenden Leib. Sie waren die Seelen
Jener Weisen der Morgenlande, die kamen und Jesus,
Von dem eilenden Sterne geführt, Anbetungen brachten,
Jesus, dem himmlischen Kinde, mit seinen Engeln die Ersten!
Hadad, so war der Name des ersten, ließ die Geliebte
Seiner Seele, die schönste der Töchter im Hain zu Bethurim.
Er entschläft; sie weint nicht um ihn. Dies hatte sie Hadad
Einst in einer heiligen Stunde der Liebe geschworen.
Ihrer und seiner Unsterblichkeit sicher, vergaß sie der Thränen;
Aber sie liebten sich mehr, als sonst sich Sterbliche lieben.
Selima hatte sein Leiden ertragen. Er starb und war glücklich.
Simri lehrte das Volk. Das Volk entehrt' ihn und lebte
Sündigend fort. Doch bewegt' in dem Tode Simri noch Einen,
Daß er gleich ihm ein göttliches Leben führte. Da starb er.
Mirja erzog fünf Söhne, die macht' er tugendhaft. Reichthum
Ließ er den Tugendhaften nicht da. Sie sahen ihn sterben.
Beled drückte die lächelndbrechenden Augen sein Todfeind
Weinend zu. Es hatte sich Beled gerochen durch Großmuth,
Und die Hälfte des Reichs ihm gegeben. Der lebte wie Beled.
Sunith sang in dem Hain zu Parphar Bethlehem's Knaben,
Und drei heilige Töchter mit ihm. Dich haben die Cedern
Und am einsamen Ufer geweint die Bäche Jedidoth,
Ach, Dich haben, in Schleier gehüllt, jungfräuliche Thränen
Deiner Töchter die Harfen herab, o Sunith, geweinet.
Diese Seelen verklärte der Seraph. Ihr helleres Auge
Sahe weit um sich her, einst Schauer der Herrlichkeit Gottes.
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Leichter und freier erhuben sie sich, von zärteren Sinnen,
Nichts Geringerem als dem ewigen Leben gebildet.
Aber des Ewigen Herrlichkeit ging vor den Seelen vorüber,
Und anbetend rufte der freudenhelle Geleiter:
»Das ist Gott!« Und Selima wagte die neue Stimme.
Da er sprach, erstaunt' er vor dieser tönenden Stimme,
Die mit silbernem Laute wie in Gesänge dahinfloß:
»O Du, den ich erblicke, mit welchem Namen, o Erster,
Ach, mit welchem würdigen Namen, mit welcher Entzückung
Nenn' ich Dich, den mein Auge nun, ach, zum ersten Mal anschaut?
Gott! Jehovah! Richter der Welt! mein Schöpfer! mein Vater!
Oder hörst Du Dich lieber den Unaussprechlichen nennen?
Oder Vater des ewigen Sohns, der zu Bethlehem Mensch ward,
Den wir sahn und mit uns der Seraphim feirende Schaaren?
Sei gegrüßt, des ewigen Sohnes ewiger Vater!
Halleluja, mein Schöpfer! Dir jauchzt die unsterbliche Seele,
Deines Odems ein Hauch, die Erbin des ewigen Lebens.
Seliger, unaussprechlicher Schöpfer, Dich hört' ich die Liebe
Unter den Sterblichen nennen; wie bist Du aber so schrecklich!
Und Dein Auge, wie ist's zu dem Tode gerüstet! Dein Seraph
Tröstete mich, da ich todt war, er führe mich nicht ins Gericht hin,
Nicht ins ernste Gericht, vor dem kein Endlicher stehn kann;
Aber furchtbar bist Du, sehr furchtbar, Gott, mein Erbarmer!
Doch Du richtest mich nicht! Das fühlt sie, die betende Seele,
Die Du Dir schufest, ihr Ewigkeit gabst und Deinen Erlöser!
Kamest Du, Richter der Welt, das Geschlecht der Feinde zu tödten?
Soll die Stätte der Sünder nicht mehr vor Deinem Antlitz,
Ewiger, sein? und tilgst Du sie weg, die den Sohn noch verkennen?
Ach, so wirst Du nicht richten! Auch ihnen hast Du den Gottmensch,
Deinen erhabnen Messias, gesandt! So wirst Du nicht richten!
Sei gegrüßt, des ewigen Sohnes ewiger Vater!
Laß, Gott, Deiner Herrlichkeit Spur von Weitem uns anschaun!«
Selima sprach's und fiel mit den Seelen aufs Angesicht nieder.
Auf der anderen Seite des Sonnenweges erhub sich
Auf den glänzenden Wagen Eloa, worauf er Elias
Einst in den Himmel brachte, worauf er, Führer der Engel,
Dothan, auf Deinen Bergen entwölkt von Elisa gesehn ward.
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Seraph Eloa stand hoch auf dem Wagen. Ihm kam in das Antlitz
Durch die Himmel entgegen ein tausendstimmiger Sturmwind.
Da erklang's um die goldenen Achsen, da flog ihm das Haupthaar
Und das Gewand wie Wolken zurück. Mit der Ruhe der Stärke
Stand der Unsterbliche da. In der hochgehobenen Rechte
Hielt er ein Wetter empor. Bei jedem erhabnen Gedanken
Donnert' er aus dem Wetter hervor. So folgt' er Jehovah.
Tausend Sonnenmeilen – der Raum von Sonne zu Sonne
Ist von jeder das Maaß – die Ferne folgte der Seraph.
Gott ging jetzt durch die Sterne, die Milchstraße wir nennen,
Aber bei den Unsterblichen heißt sie die Ruhstatt Gottes.
Denn da der erste himmlische Sabbath vollendet die Welt sah,
Stand der Ewige dort und schaute den werdenden Sabbath.
Gott ging nah an einem Gestirne, wo Menschen waren,
Menschen wie wir von Gestalt, doch voll Unschuld, nicht sterbliche Menschen.
Und ihr Vater stand in freudiger, männlicher Jugend,
Ob in dem Rücken des Jünglinges gleich Jahrhunderte waren,
Unter seinen unausgearteten Kindern. Das Auge
War ihm nicht dunkel geworden, die seligen Enkel zu schauen,
Noch zu der Freudenthräne versiegt. Sein hörendes Ohr war
Nicht verschlossen, die Stimme des Schöpfers, der Seraphim Stimme
Und aus der Enkel Munde Dich, Vaternamen, zu hören.
An der Rechte des Liebenden stand die Mutter der Menschen,
Seiner Kinder, so schön, als ob der bildende Schöpfer
Ihres Mannes Umarmungen jetzt die Unsterbliche brächte,
Unter ihren blühenden Töchtern der Männinnen Schönste.
An der linken Seite stand ihm sein erstgeborner,
Würdiger Sohn, nach dem Bilde des Vaters voll himmlischer Unschuld.
Ausgebreitet zu seinen Füßen, auf lachenden Hügeln,
Leichtumkränzet mit Blumen ihr Haar, das lockichter wurde,
Und mit klopfendem Herzen, des Vaters Tugend zu folgen,
Saßen die jüngsten Enkel. Die Mütter brachten sie,eines
Frühlinges alt, der ersten Umarmung des segnenden Vaters.
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Und er hub von dem seligen Anblick sein Auge gen Himmel,
Sah Gott wandeln und neigte sich tief und ruft' und sagte:
»Das ist Gott, versammelte Kinder, der mich und Euch Alle
Zu Lebendigen schuf, der jene Thäler mit Blumen,
Diese Berge mit Wolken umkränzte! Doch gab er dem Thal nicht,
Nicht dem Berg unsterbliche Seelen; die gab er Euch, Kinder!
Auch gab er dem Gebirg und dem Thale die schöne Gestalt nicht,
Die Ihr habt, nicht die menschliche Bildung, so mächtig, der Seele
Tiefstes Denken herunter zu sagen vom redenden Antlitz,
Keinen freudigen Blick, so gen Himmel dankbar hinaufschaut,
Stimmen nicht, mitanbetend der Seraphim Lieder zu singen.
Der erschien in dem wehenden Hain mir des Paradieses,
Als er aus Erde zum Menschen mich schuf, Der führte mich segnend
Eurer Mutter Umarmungen zu. Sprich, Ceder, und rausche!
Sprich! denn unter Dir sah ich ihn wandeln. Reißender Strom, steh!
Steh dort! denn da ging er hinüber. Du sanfteres Athmen
Stiller Winde, lisple von ihm, wie Du lispeltest, als Er,
Ach, der Unendliche, lächelnd von jenen Hügeln herabkam!
Steh vor ihm, Erd', und wandle nicht fort, wie ehmals Du standest,
Als er über Dir ging, als sein erhabneres Antlitz
Wandelnde Himmel umflossen, als seine göttliche Rechte
Sonnen hielt und wog, und Morgensterne die Linke!
Darf ich mich unterwinden, von Neuem Dich anzublicken,
Ewiger? Aber gebeut, daß jene Mitternacht flieh',
Welche Dich, Vater, umgiebt! Ach, laß Dein Auge nicht füllen
Diesen schreckenden Ernst, den kein Unsterblicher schaun kann!
Ach, wer müssen sie sein, auf die dies Antlitz sich rüstet
Und dies Auge voll Zorn? Wahrhaftig, keine Geschöpfe,
Die Du liebst; ein unseliges Volk von Geistern, die fielen
Und es wagten – ich kann den Gedanken nicht denken – es wagten,
Gott zu erzürnen! Vernehmt es denn, Kinder! lange verschwieg ich's,
Eure selige Ruh durch keine Wehmuth zu stören.
Ferne von uns, auf der Erden einer, sind Menschen, wie wir sind,
Nach der Bildung, allein der anerschaffenen Unschuld
Und des göttlichen Bildes beraubt, ach, sterbliche Menschen!
Ihr erstaunt darüber, wie der kann ein Sterblicher werden,
Welchen Gott gewürdiget hat, ihn ewig zu schaffen.
Nicht ihr Geist ist sterblich, der ewige Geist nicht; der Leib nur
Wird zur Erde, woraus er gemacht war. Das nennen sie Sterben.
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Ihrer Schöne beraubt, der anerschaffenen Unschuld,
Tritt alsdann vor Gottes Gericht die entflohene Seele
Und vernimmt ein erschreckliches Urtheil. Ernster Gedanke,
Fleuch! Dich denke nur Gott, der Wesen Schöpfer und Richter!
Das schon ist schrecklich genug für einen Unsterblichen, Sterben!
Das zu denken. Dem Sterbenden bricht das Auge und starret,
Sieht nicht mehr. Ihm schwindet das Antlitz der Erd' und des Himmels
Tief in die Nacht. Er höret nicht mehr die Stimme des Menschen,
Noch die zärtliche Klage der Freundschaft. Er selbst kann nicht reden,
Kaum noch mit bebender Zunge den bangen Abschied stammeln,
Athmet tiefer herauf, und kalter, ängstlicher Schweiß läuft
Ueber sein Antlitz; das Herz schlägt langsam, dann steht's, dann stirbt er!
In der liebenden Mutter Arm, die gern mit ihr stürbe
Und nicht sterben kann, stirbt die Tochter. Umfaßt von dem Vater
Und an das Herz gedrückt, stirbt, ach, der Jüngling im Aufblühn,
Seines Vaters einziger Sohn. Vor jammernden Kindern
Sterben Eltern, ihr Trost und die Stütze der wankenden Jahre.
In ihr Elend vertieft, stirbt eine theure Geliebte
An des zärtlichen Jünglings Brust. Die himmlische Liebe,
Und was sie von sanften und edlen Empfindungen eingiebt,
Ist, doch nur wie ein Schattengebilde, wenigen Bessern
Von der Unschuld übrig geblieben; aber nicht lange,
Ach, nicht lang', und sie sterben, und Gott erbarmt sich nicht ihrer,
Nicht des abschiednehmenden Lächelns der frommen Geliebten,
Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Angst nicht,
Die sie betet und Gott nur um eine Stunde noch anfleht,
Nicht der Verzweiflung des bebenden Jünglings, der stumm sie umarmt hält,
Deiner auch nicht, bekümmerte Tugend, welcher die Liebe
Und ihr zartes Gefühl die beiden Sterblichen weihte.«
Also sagt' er. Ihn unterbrach wehmüthiges Weinen
Seiner Kinder um ihn. Die Väter drückten die Söhne,
Und die Mütter die Töchter, geschreckt, an die schlagenden Herzen.
Knaben faßten das Knie sich niederbiegender Väter
Und entküßten dem Auge der Väter die männliche Thräne.
Hand in Hand saß Schwester und Bruder und sahen sich bang an.
Und an der theuren Geliebten Brust herunter gesunken,
Lagen, bebten unsterbliche Jünglinge, fühlten das Leben
Von den Herzen der himmlischen Mädchen gewaltiger schlagen.
Doch es ermannte sich wieder der Vater der heiligen Menschen.
Liebend an ihn gelehnt stand ihre Mutter. Er sagte:
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»Wenn es nur diese nicht sind, zu denen in Zorn Gott hingeht,
Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt!
Ach, sie haben vielleicht zu sehr den Richter entrüstet,
Und er ist herab gestiegen, sie Alle zu tödten!
Unser Brudergeschlecht, einst auch unsterbliche Menschen,
Wenn Ihr es wüßtet, wie sehr wir Euch lieben, und unsere Wehmuth
Ueber Euch, so hättet Ihr nicht den Richter gezwungen,
Von dem Himmel herabzusteigen, Euch Alle zu tödten.
Unser Brudergeschlecht! wenn ja die Erde Dein Grab wird,
Und auf einmal Dich Gott in ihre Tiefen hinabstürzt,
O, so wollen wir hier die Todten Gottes beweinen,
Oft hinab zu der Erde, der Ruhstatt ihres Gebeins, sehn!
Aber Du hast ja diesem Geschlecht, o Vater, den Gottmensch,
Deinen erhabnen Messias, gesandt: ach, willst Du sie richten?
Davon reden sie Alle, die Seraphim, wenn sie hier wandeln,
Und die feirenden Himmel umher. Der soll sie erlösen!
Deine Todten sollen dereinst zu dem Leben erwachen,
Und wir sollen sie sehn! ach, willst Du, Vater, sie richten?
Seht, er wendet sein Antlitz von mir und steiget, noch furchtbar,
Immer noch furchtbar und ernst, gerade zur Erd' hinunter.
Wunderbar sind, Gott, Deine Gerichte, Dein ewiger Weg ist
Dunkel vor uns; Du aber bist heilig und ewig Dir selbst gleich!
Halleluja, mein Schöpfer! Dir beten unsterbliche Menschen
Von der heiligen Erde! Dir beten sterbliche Menschen,
Die Du tödtest, im Staube gebückt! Der weisere Seraph
Betet Dir, Gott, das Antlitz umhüllt, am ewigen Throne!«
Also sagt' er und sah der Herrlichkeit Gottes von fern nach.
Jetzo nahete Gott der Erde sich. Seraph Eloa
Sah Gott und den Messias von einem Wolkengebirge.
Und er hielt in den Wolken, stand da und donnert' und sagte:
»Sohn des Vaters, wie groß mußt Du sein, dies Gericht zu ertragen!
Ach, wenn doch in der Endlichkeit Raum die Erkenntnisse strahlten,
Dies Geheimniß zu fassen und diese Tiefen zu schauen,
Gottheit! Schweig, Eloa! verhülle Dich, anzubeten!
Heil Dir, Menschengeschlecht! Bald wirst Du selig wie ich sein!«
Also sprach Eloa und stand mit verbreiteten Armen,
Gegen die Erde gekehrt, und segnete bei sich die Erde.
Gott ging nach dem Tabor hinab und schaute die Erd' an
Aus der Mitternacht, in die er einsam gehüllt war.
[180]
Und er sahe der Erd' Antlitz mit Götzenaltären,
Sah es mit Sündern bedeckt; auf ihren weiten Gefilden
Ausgebreitet den Tod, des Richters ewigen Zeugen!
Alle Sünden, vom Anbeginn der Schöpfung herunter
Bis zum Gericht, der Götzensklaven, der Diener Jehovah's,
Und die schrecklicheren der Christen erhuben sich bebend
In die Wolken empor, zu dem schauenden Antlitz des Richters.
Hingerissen vor Gott, aus ihren Nächten gehoben,
Aus den Tiefen, in die sie begräbt das Herz, der Empörer
Wider Den, der es schuf, mit daurender Schande gebrandmarkt,
Kamen sie Alle, Die auch, so der fliegende, schnelle Gedanke
Oder zartes Gefühl in dem dünnen Gewebe verdeckten.
Und es führten das nächtliche Heer die Sünden der hohen
Und weitgrenzenden Seelen, die Dich in der himmlischen Schönheit,
Fromme Tugend, sahn, doch Deinem Lächeln nicht folgten!
Zwar voll leises Gefühls, Dich doch entweihten! Sie gingen,
Aufgethürmt in Riesengestalten und näher dem Donner.
Alle rief mit allmächtiger Stimme das ernste Gewissen
Hin vor Gott, nannt' Alle mit Namen, die namenlos waren
Unter dem Menschengeschlecht, das sich täuscht und die Zeugin verkennet
Zwischen ihnen und Gott, des Todes nahende Stunde.
Da erhub in dem Himmel sich allgemeines Verklagen.
Auf den zitternden Flügeln der Winde Gottes erklangen
Stille Seufzer der leidenden Tugend, ein einsames Jammern.
Gleich dem kommenden Meer, ertönte der Sterbenden Winseln
Von dem Schlachtfeld her und zeugete gegen Erobrer.
Siehe, dem Blute der Märtyrer ward die Stimme des Donners
Und der Gewitter Gottes gegeben; es rief durch die Himmel:
»Du, der ruht auf dem Thron und des Weltgerichts Wagschal' hält
In der furchtbaren Hand, ich bin unschuldig vergossen!
Ich bin heiliges Blut, um Deinetwillen vergossen!«
Jetzt denkt Gott sich selbst und das Geisterheer, das ihm treu blieb,
Und den Sünder, das Menschengeschlecht. Da zürnet er. Ruhend
Hoch auf Tabor, hält er den tieferzitternden Erdkreis,
Daß der Staub nicht vor ihm in das Unermeßliche stäube,
Wendet gegen Eloa darauf sein schauendes Antlitz,
Und der Seraph versteht die Red' in dem Antlitz Jehovah's,
Steigt von dem Tabor gen Himmel. So hub von der Hütte des Bundes
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Sich die Führerin weg, die himmelstützende Wolke,
Wenn das Volk, der sichtbare Zeuge von Bethlehem's Sohne,
Seine Gezelte von Oede zu Oed' auf Moses' Gebot trug.
Und der Gesendete stand auf einer Mitternacht still,
Schaute zum Oelberg nieder, erhub die Donnerposaune,
Tönte des Weltgerichts Entsetzen aus der Posaune,
Rufte gegen die Erd' und sprach: »Bei dem furchtbaren Namen
Dessen, der ewig ist und seiner Gerechtigkeit Dauer
Mit Unendlichkeit maß, der hält die Schlüssel des Abgrunds,
Der mit rügender Flamme die Hölle, den Tod mit Allmacht
Und mit Gericht bewaffnet! Ist Einer unter den Himmeln,
Welcher statt des Menschengeschlechts im Gericht will erscheinen,
Dieser komme vor Gott!« So ruft' Eloa vom Himmel.
Und der Gottmensch schaute dem hohen Seraph ins Antlitz,
Hörte den Klang der Posaune. Da ging er mit schnellerem Schritte
In Gethsemane fort. Noch folgten ihm drei von den Jüngern
In die schreckende Nacht. Er entriß sich ihnen und eilte
Ganz in das Einsame hin. Jehovah hub das Gericht an.
In das Heilige hast Du mich zwar, Sionitin, geführet,
Aber nicht in das Allerheiligste. Hätt' ich die Hoheit
Eines Propheten, zu fassen die ewige Seele des Menschen
Und mit gewaltigem Arm sie fortzureißen; und hätt' ich
Eines Seraphs erhabene Stimme, mit welcher er Gott singt;
Tönete mir von dem Munde die schreckenvolle Posaune,
Die auf Sina erklang, daß unter ihr bebte des Bergs Fuß;
Sprächen der Cherubim Donner aus mir, Gedanken zu sagen,
Deren Hoheit selbst der Posaune Ton nicht erreichte:
Dennoch ersänk' ich, Du Gottversöhner, Dein Leiden zu singen,
Als mit dem Tode Du rangst, als unerbittlich Dein Gott war.
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Der Du des ersten Bundes Propheten, den kühnsten der Beter,
Als er bat, von Antlitz zu sehn zu Antlitz Jehovah,
In der Höhle verbargst, bis vor ihm die Herrlichkeit Gottes
War vorübergegangen, und er in der Ferne die Schönheit
Dessen, der ewig ist, sah, und ihm Gottes Stimme von Gott sprach,
Geist des Vaters und Sohns, ich bin dem Tode bestimmter,
Mehr von Staub als Moses: o, laß in meiner Entfernung
Mich, von Deinem umschattenden Flügel ins Dunkle gesichert,
Gott, den leidenden Sohn, in seiner Todesangst sehn!
Ueber den Staub der Erde gebückt, die, im Graun vor dem Richter,
Gegen sein Antlitz herauf mit stillem Schauer erbebte
Und im Beben den Staub zahlloser Kinder von Adam,
Alle verdorrten Gebeine der todten Sünder, bewegte,
Lag der Messias, mit Augen, die, starr auf Tabor gerichtet,
Nichts Erschaffenes sahn, des Nichtenden Antlitz nur schauten,
Bang, mit Todesschweiße bedeckt, mit gerungenen Händen,
Sprachlos, aber gedrängt von Empfindungen! Stark, wie der Tod trifft,
Schnell wie Gottes Gedanken, erschütterten Schauer auf Schauer,
Auf Empfindung Empfindung, des ewigen Todes Empfindung
Den, der Gott war und Mensch. Er lag und fühlt' und verstummte.
Aber da immer bänger die Bangigkeit, heißer die Angst ward,
Dunkler die Nacht, gewaltiger klang die Donnerposaune;
Da stets tiefer bebte der Tabor unter Jehovah;
Statt des Todesschweißes vom Antlitz des Leidenden Blut rann:
Hub er vom Staube sich auf und streckte gen Himmel die Arm' aus;
Thränen flossen ins Blut; er betete laut zu dem Richter:
»Vater, die Welt war noch nicht ... Bald starb der erste der Menschen;
Bald ward jede der Stunden mit sterbenden Sündern bezeichnet!
Ganze Jahrhunderte sind, von Deinem Fluche belastet,
Also vorübergegangen. Nun ist sie, Vater, gekommen;
[183]
Da die Welt noch nicht war, da noch kein Todter verwes'te,
Wurde sie schon, die selige Stunde des Leidens, erkoren,
Und nun ist sie gekommen! O, seid mir, Schlafende Gottes,
Seid mir in Euren Grüften gesegnet! Ihr werdet erwachen!
Ach, wie fühl' ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren,
Daß ich sterbe. Der Du den Arm des Richters emporhältst
Und mein Gebein von Erde mit Deinen Schrecken erschütterst,
Laß die Stunde der Angst mit schnellerem Fluge vorbeigehn!
Vater, es ist Dir Alles möglich, ach, laß sie vorbeigehn!
Ganz von Deinem Zorn, von Deinen Schrecken gefüllet,
Hast Du mit ausgebreitetem Arm den Kelch der Leiden
Ueber mich ausgegossen. Ich bin ganz einsam, von Allen,
Die ich liebe, den Engeln, den Mehrgeliebten, den Menschen,
Meinen Brüdern, von Dir, von Dir, mein Vater, verlassen!
Schau', wo Du richtest, ins Elend herab! Jehovah, wer sind wir,
Adam's Kinder und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes
Ueber mich auszugießen! Doch nicht mein Wille geschehe!
Vater, Dein Wille gescheh'! Mein hingeheftetes Auge
Schauet aus in die Nacht und kann nicht weinen; mein Arm bebt,
Starrt nach Hilfe gen Himmel empor; ich sink' auf die Erde;
Sie ist Grab! Es ruft durch alle Tiefen der Seele
Laut ein Gedanke dem andern, ich sei von dem Vater verworfen!
Ach, da der Tod noch nicht war! da noch die Stille des Vaters
Ruht' auf dem Sohne! da Adam ward, daß er ewig lebte ...
Aber mein Erdegebein trägt auch die Gottheit! Ich leide!
Ich bin ewig wie Du! Es gescheh', o Vater, Dein Wille!«
Also sprach er und richtete sich von seinem Gebet auf,
Stützt' auf die wankende Rechte sich nieder und schaut' in die Nacht hin.
Und da gingen ihm vor den Gedanken des ewigen Todes
Schreckengestalten vorüber. Er sah die verworfenen Seelen,
Welche der Schöpfung Tage, dem Rufer zur Ewigkeit, fluchten,
Hörte das dumpfe Geheul des widerhallenden Abgrunds,
Donnernde Ströme, von Felsen herab in die Tiefe sich stürzend,
Auf den donnernden Strömen der Angst geflügelte Stimme,
Sanftere Flüsse, die täuschend die Seelen zur Ruh einluden,
Zu dem Entschlummern ins Nichts. Dann stieg die Qual der Getäuschten;
[184]
Dann, in einen unendlichen Seufzer der alten Verzweiflung
Ausgegossen, empörte die Stimme des Menschengeschlechts sich,
Klagte der Schöpfung den Schöpfer an, verwünschte sein Dasein,
Und daß er ewig sei! Ihr Elend fühlte der Gottmensch.
Lange schon hatt' auf ihn hin von einem verödeten Felsen
Adramelech geschaut. Jetzt stieg er herab von dem Felsen,
Blickt' auf die Erde. Da sah er vor sich in rauchendem Blute
Einen Mörder, der sich erwürgte. Der Schrei der Verzweiflung,
Jammernde Seufzer der wiederkehrenden Menschlichkeit füllten
Jeden Hügel umher. Von dieser Stimme begleitet,
Nahte sich Adramelech und stand, des Messias zu spotten.
Mit vernichtendem Stolz in dem hohen Auge gerüstet
Und in Meere verruchter Gedanken, in sich, verloren
Stand er und feurte sich an, die Gedanken tönen zu lassen,
Wie ein Strom sich ergeußt, die Donnerwolke daherrauscht.
Aber es wandte der hohe Messias sein Angesicht, sah ihn
An mit der Miene des Weltgerichts. Der Wüthende fühlte,
Wer ihn ansah, bebt' ohnmächtig zurück in sein Elend.
Mitten in einem verruchten, emporgethürmten Gedanken
Blieb er gedankenlos stehn. Nur diese Leerheit empfand er,
Sahe den Fels, die Erde nicht mehr, nicht mehr den Messias,
Nur sich selber! Zuletzt vermocht' er kaum zu entfliehen.
Drauf verließ der Messias der Leiden traurige Stille,
Wandte sich zu den schlafenden Jüngern, nach diesem Leiden,
Dieser einsamen Qual, der Menschen Antlitz zu sehen.
Mit dem Anblick der Menschen, mit diesem Troste zufrieden,
Ging der Erlöser und nahte sich still den schlafenden Jüngern.
Aber ihm jauchzten die Himmel umher und feirten den Sabbath,
Seit der Schöpfung den zweiten, der heiliger ist als der erste.
Wenn der Gerichtstag untergegangen ist, gehet der dritt' auf;
Ewigkeit heißet sein Maaß, sein erster Feirer Messias!
Jetzo feirten die Himmel des Sabbaths heiligste Stunden.
Alle wußten, daß jetzt der ewige Hohepriester
In dem Allerheiligsten war, die Versöhnung zu stiften.
Denn Eloa hatte gesagt und also gesprochen:
»Wenn wird tönen um Euch der Pole Donnern, mit ihnen
[185]
Dann der Welten Gesang, in Stimmen der Meere verwandelt,
Brausend vorübergehn; wenn aus ihren Kreisen die Sterne,
Tausend Sonnenmeilen herauf und tausend hinunter,
Werden erzittern durch die Unendlichkeit; über Euch kommen
Schauer von Gott, und Eurem Haupt die goldenen Kronen
Schnell entsinken, und unter Euch beben die goldenen Stühle:
Dann, dann richtet das ernste Gericht! Dann leidet der Gottmensch!«
Jetzo sangen die Himmel: »Sie ist, der erhabensten Leiden
Erste Stunde, die ewige Ruh den Heiligen brachte,
Jetzo ist sie vorübergegangen!« So sangen die Himmel.
Aber es stand der Messias vor seinen Jüngern und sah sie
Tief in Schlafe. Noch füllte der Ernst des hohen Jakobus
Glühendes Antlitz. So schlummert ein Christ, wenn dem Tod er nahet,
Ruhig und ernst. An den sanften Johannes lehnte sich Petrus,
Nicht, wie Johannes, voll lächelnder Ruh; um den Jünger der Liebe
Schwebeten Salem's Erscheinungen noch. Jetzt rief der Messias:
»Simon Petrus, Du schläfst! vermagst Du mit mir, da ich leide,
Auch nicht eine Stunde zu wachen? Ach, bald wird die Ruhe,
Bald der Schlummer nicht mehr Dein weinendes Auge bedecken.
Wachet und betet, damit der Versucher nicht über Euch komme!
Zwar Ihr wolltet es gern; allein auch Ihr seid Erde,
Und den himmlischen Geist drückt noch der Sterblichkeit Bürde!«
Also sah er die Drei. In einer weiteren Aussicht
Sah er mit einem unendlichen Blick die Geschlechte der Menschen,
Aller Derer, die sündigten, starben und auferstehen,
Ging dann wieder in das Gericht, für Alle zu leiden.
Aber seitwärts an dem Gebirge kam Abbadona
In den Hüllen der schweigenden Nacht und sprach zu sich selber:
»Ach, wo werd' ich endlich ihn finden, den Mann, den Versöhner?
Zwar ich bin unwürdig, zu sehn den Besten der Menschen;
Aber ihn hat doch Satan gesehn. Wo soll ich Dich suchen,
Und wo find' ich endlich Dich auf, Mann Gottes, Versöhner?
Alle Wüsten hab' ich durchirrt. Ich bin zu den Quellen
Aller Flüsse gegangen. In aller dämmernden Haine
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Einsamkeit hat sich mein Fuß mit leisem Beben verloren.
Zu der Ceder hab' ich gesagt: Verbirgst Du ihn, Ceder,
O, so rausche mir zu! Ich sprach zu dem hangenden Berge:
Neige Dich, einsamer Berg, nach meinen Thränen herunter,
Daß ich sehe den göttlichen Mann, der etwa dort schlummert!
Ihn hat, dacht' ich, vielleicht mit stiller Sorge sein Schöpfer
Unter schattende Decken der Abendwolke geleitet.
Ihn hat die Weisheit vielleicht und menschenfliehender Tiefsinn
In die Höhlen der Erde geführt. Doch er war nicht am Himmel,
Nicht in der Erde Schooß! Ich bin unwürdig, Dein Antlitz,
Ach, unwürdig, die Blicke zu sehn, mit welchen Du lächelst,
Bild der Gottheit, unsterblicher Mensch! Du erlösest nur Menschen;
Mich erlösest Du nicht! Du hörst die jammernde Stimme
Meiner Ewigkeit nicht! ach, Du erlösest nur Menschen!«
Also sagt' er und sahe vor sich die schlafenden Jünger.
Und es lag der schöne Johannes in lächelndem Schlummer
Nahe vor ihm; er sah ihn und trat mit zitterndem Fuße
Fürchtend zurück. Kaum wagt' er zuletzt still also zu sagen:
»Wenn Du es bist, den ich suche, Du dieser göttliche Mensch bist,
Der, sein Geschlecht zu erlösen, erschien, so sei mir mit Thränen,
Sei mir in Deiner Schöne voll Huld mit ewigen Thränen
Und mit bangen unsterblichen Seufzern, Erlöser, gegrüßet!
Wahrlich, in Deinem Gesicht sind Züge der himmlischen Unschuld,
Laute Zeugen von einer bewundernswürdigen Seele!
Ja, Du bist es! Dich hab' ich gesucht! Wie athmet die Ruhe,
Deiner Tugend Belohnung, aus Dir! ein Schauer befällt mich,
Da ich sehe die Ruh, die aus voller Seele Dir zuströmt.
Wende Dein Antlitz, oder ich muß wegsehen und weinen!«
Also sprach er. Indem er noch redete, wandte sich Petrus
Aengstlich gegen Johannes und rief, da er itzo erwacht war:
»Ach, Johannes, ich sah in Traum den Meister! Er sah mich
Ernst mit Blicken voll Drohungen an, mit Blicken des Mitleids!«
Dieses vernahm der Seraph und blieb voll Verwunderung stehen.
Ihn umgab die Stille der Nacht, und er hörte von fern her
Durch die schauernde Stille wie eines Sterbenden Stimme.
Und er neigte sein forschendes Ohr nach dem Orte der Stimme,
Wo sie herkam, neigte sich tiefer und hörte sie werden
Immer trauervoller und fürchterlicher. Da stand er
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Bang und erstaunt, da bebte sein Herz von diesen Gedanken:
»Soll ich gehn und schauen den Mann, der dort mit dem Tode
Und mit Gedanken von jenem Gericht in schreckender Angst ringt?
Soll ich sehen das Blut des Erschlagnen? Vielleicht, daß er ruhig
In den Schatten der Nacht forteilete, stammelnde Kinder
An dem Halse der Mutter mit Vaterfreuden zu grüßen;
Da erschlug ihn ein laurender Feind, ein Mörder im Dunkeln!
Und es war doch vielleicht gekrönt sein Wandel mit Unschuld
Und sein Thun mit Weisheit geschmückt! Ach, soll ich ihn sehen?
Soll ich sehen des Sterbenden Angst, die brechenden Augen
Und die Todesblässe der Wangen, die jetzo verblüht sind?
Soll ich hören der Seufzer Getön, den rufenden Donner
Seiner Stimme, mit welcher er stirbt? Ach, Blut des Erschlagnen!
Furchtbares Blut des unschuldigen Manns, auch Du bist ein Zeuge
Wider mich vor jenem Gericht, das Erbarmung nicht kennet!
Auch ich habe zum Tode die Kinder Adam's verleitet.
Blut, Du Blut unschuldiger Menschen, das jemals vergossen
Ward und lange Jahrhunderte noch vergossen wird werden,
Laß von mir ab! Ich höre die Stimme, mit der Du donnerst!
Ach, ich höre Dein furchtbares Seufzen, mit dem Du zu Gott schreist,
Rache forderst und mich der ewigen Rache dahingiebst!
Ich muß schauen dahin, wo Deine Verwesungen ruhen!
Kinder Adam's, auf Euer Gebein, dahin muß ich schauen!
Mein Gewissen ergreift mein weggewendetes Antlitz
Wie ein Krieger, und wendet es, kehrt es dahin, wo die Todten,
Die auch ich erschlug, im stillen Grabe verwesen.
Todesstille, mich schauert vor Dir! Er kommt nicht in Stillem,
Nicht in dieser ruhenden Nacht, der gegen mich wüthet!
Donnernd geht er in Wolken daher, sein Schritt ist ein Wetter,
Seines Mundes Gespräch ist Tod, ist Gericht ohn' Erbarmen!«
Also dacht' er und nahte sich säumend des Sterbenden Stimme.
Jetzo sah er von fern den Messias; doch sah er sein Antlitz
Und die blutende Stirne noch nicht. Es lag der Messias
Auf dem Antlitz und betete still mit ringenden Händen.
Abbadona schwebte von fern am ruhenden Boden
Um den Messias herum. Indem trat Gabriel langsam
Aus den dichten Schatten hervor, in die er gehüllt war.
Abbadona bebte zurück. Der himmlische Seraph
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Trat herzu und neigte sein Ohr zu dem Mittler herunter,
Hielt in dem ernsthinschauenden Auge, voll tiefer Ehrfurcht,
Eine menschliche Thräne zurück, stand denkend und hörte
Nach dem Messias herab, und mit dem Ohre, mit dem er,
Tausendmal tausend Meilen entfernt, den Ewigen wandeln
Hört und am Himmel herunter die Orionen in Jubel,
Hört' er das langsam wallende Blut des betenden Mittlers
Bang von Ader fließen zu Ader. Lauter vernahm er
In den Tiefen des göttlichen Herzens betende Seufzer,
Unaussprechliche, himmlische, sie, dem Ohre des Vaters
Mehr als aller Geschöpfe Gesang, die ewig ihn singen,
Herrlicher als die Stimme, die schuf, so erhaben ihm selber
Gott Jehovah erklingt, wenn er Jehovah sich nennet!
Also vernahm des Messias geheimes Leiden der Seraph.
Und er hub sich von ihm empor, trat schauernd seitwärts,
Faltete hoch die Hände zu Gott und schaute gen Himmel.
Abbadona blickte kaum auf, da er Gabriel sahe,
Ach, auf einmal über sich sah der Himmlischen Schaaren,
Ihrer Augen Gebet und ihres Schweigens Gedanken,
All' ein Antlitz, auf Dich, o Messias, herunter gerichtet.
Und der Verworfene schauert' und senkte Blicke der Ohnmacht
Auf den Messias, der jetzt aus dem noch blutigen Staube
Und dem Todesschweiße sein Antlitz langsam emporhub.
Mit dem Anblick umströmt des Todes Nacht den Geschreckten.
Da er wieder zu denken vermag, da denket er also;
Jetzt verschließt er die bangen Gedanken; itzt läßt er sie jammernd
Durch die Schauer der Nacht in vollen Seufzern ertönen:
»O Du, der Du vor mir mit dem Tode ringest, wer bist Du?
Einer, vom Staube gebildet, ein Sohn der niedrigen Erde,
Die verflucht ward und, reif dem Gericht, vor dem letzten der Tage
Und dem offenen Grabe der alten Vergänglichkeit zittert?
Einer, von diesem Staube gebildet? Ja! doch es decken
Deine Menschheit Schimmer von Gott, was Höhres als Gräber
Und Verwesung redet Dein Auge! So ist nicht das Antlitz
Eines Sünders, so schaut er nicht hin, der Verworfene Gottes!
Du bist mehr als ein Mensch. In Dir sind Tiefen verborgen,
Deren Abgrund mir unsichtbar ist, Labyrinthe
Gottes! Ich seh' stets mehr in Dir. Wer bist Du? O, wende,
Wende Dein Auge von ihm, Verworfner! Ein schneller Gedanke
Trifft, wie ein Donner, auf mich, ein schreckender großer Gedanke!
Eine furchtbare Gleichheit erblick' ich. Verlaßt mich, verlaßt mich,
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Ahndende Schrecken! umströmt mich nicht, Schauer des ewigen Todes!
Ach, er gleicht dem ewigen Sohn, der ehmals vom Thron her,
Hoch von dem Thron, auf Flügeln getragen des flammenden Wagens,
Donnernd über uns kam und dicht an unsere Fersen
Heftete seine Verderben und kein Erbarmen nicht kannte,
Da die Unsterblichkeit Fluch, das Leben ewiger Tod ward;
Da die Unschuld der Schöpfung mit allen Freuden des Himmels
Uns auf ewig entfloh, verloren ins Heer der Gerechten;
Da Jehovah nicht Vater mehr war. Ich wandte mein Antlitz
Einmal bebend herum und sah ihn hinter mir kommen,
Sah den furchtbaren Sohn, des Donnerers schauendes Auge.
Hoch stand er auf dem flammenden Wagen, die Mitternacht stand
Unten, unten der Tod. Ihn hatte gewaffnet mit Allmacht
Gott, mit Verderben gerüstet den Allbarmherzigen! Weh mir,
Wehe! den Schwung der strafenden Rechte, des Donnernden Wurf rief,
Bebte die bange Natur in allen Tiefen der Schöpfung
Schauernd nach! Ich sah ihn nicht mehr, mein Auge verlor sich
Tief in die Nacht. So schlummert' ich hin, durch Sturm und durch Donner
Hin und das Weinen der bangen Natur, im Gefühl der Verzweiflung
Und unsterblich! Noch seh' ich ihn, noch! Ihm gleichet das Antlitz
Dieses Mannes, im Staube gebückt, der mehr als ein Mensch ist.
Ist er, ach, ist er des Ewigen Sohn? der gegebne Messias?
Jener Richter? Aber er leidet, er ringt mit dem Tode!
[190]
Er, der stand auf dem Flammenwagen, ringt mit dem Tode!
Ohne Maaß ist die Angst, die seine göttliche Seele
Rings erschüttert, er jammert in Staube, die steigenden Adern
Bluten Todesangst. Ich, dem kein Jammer verdeckt ist,
Der ich alle Stufen der Qual und Verzweiflung hinabstieg,
Weiß mit keinem Namen die Angst der Seele zu nennen,
Die er fühlt, ihm mit keiner Empfindung nachzuempfinden
Diesen daurenden Tod! In tiefer, nächtlicher Ferne
Seh' ich neue Gedanken, voll wunderbarer Entdeckung,
Aber in Labyrinthe verirrt, sich gegen mich nähern.
Jener König des Himmels, der Sohn Jehovah, des Vaters
Ewiges Bild, stieg nieder vom Thron in einen Menschen?
Leidet jetzt für die Menschen? für seine sterblichen Brüder
Gehet er hin ins Gericht? Kann ich mich himmlischer Dinge
Recht noch erinnern, so hab' ich, habe von diesem Geheimniß
Einst was Dunkles im Himmel gehört. Auch zeuget es Satan
Durch das Schlangengezisch von seinen Reden und Thaten.
Und wie nahn die Engel sich ihm, wie betet ihr Antlitz
Und die gefaltete Hand vor ihm an! Auch scheint die Natur hier
Ueberall still zu schauern, als wäre Gott wo zugegen.
Wenn Du gehst ins Gericht für Deine sterblichen Brüder,
Wenn Du bist des Ewigen Sohn: o Sohn, so entflieh' ich,
Daß Du nicht, wenn Du mich siehst vor Deinen Füßen hier zittern,
Gegen mich zornig erwachst und auf Deinen Thron Dich erhebest.
Aber Du blickst mich nicht an; doch kennst Du mein innerstes Denken!
Darf ich, diesen Gedanken hinauszudenken, es wagen,
Dessen ersten Zittern ich fühle? Du wardst der Messias
Für die Menschen und nicht der Messias der höheren Engel.
Ach, wenn Du uns gewürdiget hättest, ein Seraph zu werden,
Und so über des Himmels Gefild' hinübergebreitet
Lägest, wie hier im Staube Du liegst, so in das Gericht gingst,
Unsertwegen in das Gericht des ewigen Vaters,
Faltetest so die Hände zu Gott, zu dem Thron so aufsähst:
O, wie wollt' ich alsdann mit aufgehobenen Händen
Gehen um Dich herum und mit Hallelujagesängen
Dich, mit der Stimme der Harfenspieler, Du Göttlicher, segnen!
Aber, weil Ihr es denn seid, die süßen Lieblinge Gottes,
Kinder Adam's, so fasse der Fluch mit ewigem Feuer
Jedes Haupt, das den Sohn zu verkennen, niedrig genug denkt,
Jedes Herz, das, seiner nicht werth, die Tugend entheiligt!
Die Ihr kommen werdet, Geschlechte so vieler Erlöster,
[191]
Wenn Ihr entehret das Blut, so von diesem Angesicht rinnet,
Sei es Euch zu dem Tode vergossen, zum ewigen Tode!
Ja, Euch mein' ich und nenn' Euch zugleich bei dem furchtbaren Namen,
Den Euch der Unerschaffene gab, unsterbliche Seelen,
Wenn nun auch in Euch das Vorgefühl des Gedankens
Mit dem erschütternden Graun der ernsten Ewigkeit strömet,
Dann er selber: daß Ihr gleich uns verworfen von Gott seid,
Von dem ersten und besten der Wesen, ewig verworfen!
Dann will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen
Durch die Gefilde voll Elend und Nacht hinschauen und sagen:
Heil Dir, ewiger Tod, Dich segn' ich, Jammer ohn' Ende!
Zwar ihr Anschaun wird, die selige Ruh' der Erlösten,
Die mit weiserer Sorge durch Tugend der Ewigkeit lebten,
Wird von dem Himmel herab mich aus ihrer Herrlichkeit schrecken;
Doch will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen
Durch die Gefilde voll Elend und Nacht hinschauen und sagen:
Heil Dir, ewiger Tod, Dich segn' ich, Jammer ohn' Ende!
Aus dem eisernen Arm der Hölle will ich mich reißen,
Gehn zu dem Throne des Richters und rufen mit donnernder Stimme,
Daß es die Erden umher und die Himmel alle vernehmen:
Ich bin ewig wie er! was hab' ich gethan, daß Du ihn nur,
Nur den menschlichen Sünder und nicht den Engel versöhntest?
Zwar Dich hasset die Hölle; doch ein Verlaßner ist übrig,
Einer, der edler gesinnt ist und nicht Dein Hasser, Jehovah!
Einer, der blutende Thränen und Jammer, der nicht gesehn wird,
Ach, zu lange vergebens, zu lange, Gott, vor Dir ausgießt,
Satt, geschaffen zu sein, und der bangen Unsterblichkeit müde!«
Abbadona entfloh. Es stand der Messias vom Staube
Jetzt das zweite Mal auf, der Menschen Antlitz zu sehen.
Und da sangen die Himmel: »Sie ist, der erhabensten Leiden
Zweite Stunde, die ewige Ruh den Heiligen brachte,
Jetzo ist sie vorübergegangen!« So sangen die Himmel.
Aber der Mittler verließ von Neuem die schlummernden Jünger,
Ging das dritte Mal hin, sich Dem zum Opfer zu geben,
Der mit gefürchtetem Arme noch stets die Wag' emporhielt,
Todesworte noch stets und des Weltgerichts Fluch aussprach.
Ueber ihn hing, da er litt, die Nacht von dem Himmel herunter,
Eine schreckliche Nacht. So hängt, vor dem richtenden Tage,
Dunkel von allen Himmeln dereinst die letzte der Nächte.
Dicht an sie drängt eilend der Tag sich heran. Der Posaune
Donnerhall ruft bald, bald rufet der Schwung der Gebeine
[192]
Und das rauschende Feld voll Auferstehung, vom Thron her
Jesus, der auch ein Todter einst war, zu der großen Entscheidung.
Aber es schaut' auf den Sohn von dem Tabor der Vater herunter,
Sah des ewigen Todes Geberd' in dem Antlitz des Sohnes.
Unten am Fuß des Berges, in mitternächtlicher Stille
Stand Eloa. Er hatte sein Haupt in Wolken verhüllet
Und die denkenden Blicke starr auf die Erde gerichtet.
Gott rief aus den Wolken herab: »Eloa!« Da eilte
Schweigend ins Dunkle der Seraph hinauf und stand vor der Gottheit.
Da sprach Gott zu Eloa: »Hast Du die Leiden gesehen,
Die der Ewige litt? Geh, singe dem Sohn ein Triumphlied
Von den Schaaren der Heiligen alle, durch Leiden des Todes
Und mit Blute versöhnt, von dem Halleluja der Himmel,
Wenn er König wird sein, zu der Rechte Gottes erhoben!«
Zitternd erwidert der Seraph: »Wie aber soll ich Dich nennen,
Wenn ich geh' zu dem Sohne, die göttliche Botschaft zu bringen?«
Gott sprach: »Nenne mich Vater!« Mit tiefanbetendem Blicke
Und mit heiliggefalteter Hand sprach Seraph Eloa:
»Aber wenn ich von Antlitz zu Antlitz, im blutigen Schweiße
Und in die Leiden des Todes gehüllt, den Gottmensch sehe;
Wenn ich seh' das Gericht in des Sohns erloschnen Geberde
Und in der müden Geberde nur dunkel der Göttlichkeit Spuren:
Werd' ich nicht sprachlos stehn? wird mir mein schlagendes Herz nicht
Auch den leisesten Laut der himmlischen Lieder versagen?
Werden mich selbst die Schrecknisse Gottes, die Bilder des Todes
Nicht umschatten? und werd' ich vor ihm in dem Staube nicht liegen?
Vater, sende mich nicht! Ich bin zu gering, dem Messias,
Viel zu endlich, dem leidenden Sohn Triumphe zu singen.«
Voller Huld sprach Gott: »Wer hub hoch über die Himmel
Deinen feurigen Muth, wer gab Dir da Dein Triumphlied,
Als an dem Tage des ersten Gerichts das Heer der Verworfnen
Meine Donner verfolgten, Du auf den Flügeln der Donner?
Wer ermannte Dein Herz, den Tod des Ersten der Menschen
Und mit ihm alle Tode der Kinder Adam's zu sehen?
Eil', ich führe Dich selbst! Und wenn Du mehr auch erzitterst
In der Nähe des Richters der Welt, so wird er Dich lehren,
Unter die zitternden Stimmen den Ton der Triumphe zu mischen!«
[193]
Gott sprach so. Der Seraph ging fort mit dem Rauschen des Jordan's
Und mit dem Wehen der Donner von Tabor. Er stieg an dem Oelberg
Langsam herab. Ein furchtbarer Schauer nächtlicher Winde
Trug ihm die betende Stimme des hohen Messias entgegen,
Und ein stilles Zittern befiel den staunenden Seraph.
Aber als er sah des Sterbenden Antlitz, den Blick sah
Voller Gefühl des Gerichts, den Sohn, von dem Vater verlassen,
Stand er, auf die Erde geheftet, des himmlischen Glanzes,
Seiner Schönheit beraubt, nicht mehr der unsterbliche Seraph,
Gleich dem Menschen von Erde gemacht. Der Gottversöhner
Richtete Blicke der Hoheit auf ihn und lächelte Gnade.
Mit dem Anblick ward des Himmels Schimmer dem Seraph
Und der Unsterblichen Schöne von Neuem. Er hub wie am Throne
Sich auf goldenen Wolken empor und sang aus den Wolken:
»Sohn des Vaters, von welchem Gedanken erweckte Dein Blick mich!
Heil mir! Ich bin gewürdiget worden, Dir nachzuempfinden,
Was Du empfindest, von ferne zu schaun des Versöhners Gedanken,
Die in der Stunde der bängsten Erniedrung der Göttliche denket.
Ueber Euch senkt sich die Decke der tiefsten Geheimnisse nieder,
Ganze Himmel voll Nacht, der Einsamkeit Gottes Umschattung,
Hüllen Euch ein, kein Endlicher sah Euch, Gedanken der Gottheit!
Und ich bin gewürdiget worden, von fern Euch zu schauen,
Aus der gemeßnen Endlichkeit Kreis hinüber zu blicken,
Ich, ein kurzer Gedanke des Unerschaffnen, ein Tropfen
In der Schöpfungen Meer, gleich einer Sonne, die aufgeht,
Einem Staube zu leuchten, der schwimmt und Erde genennt wird!
Heil mir, daß ich geschaffen bin! Heil, daß Ihr ewig seid! Heil Euch,
Vater und Sohn! Und Ihr, die meine Seele noch füllen,
Die mit der Stille der Gegenwart Gottes noch über mich kommen,
Heilige Schauer, fahrt fort, aus meiner Endlichkeit Grenzen
Mich hinüber zu tragen ans Dunkle der Herrlichkeit Gottes!
Ganz empfind' ich, was einst die Auferstehenden fühlen!
Wie aus diesem tiefen Erstaunen der Mittler mich weckte,
Adam's Geschlecht, so weckt er Dich einst! Dies freudige Zittern,
[194]
Diese Wonne des ewigen Lebens wird über Dich kommen!
Sitzen wird dann auf dem Throne, der hier in dem Staube gebückt liegt,
Einen langen furchtbaren Tag das Gericht der Gerichte
Halten, vollenden den Bund, durch diese Leiden gestiftet!
O, mit welchem Gefühl der neuen Schöpfung, wie selig
Werden, die Du versöhntest, Dich dann auf dem Thron des Gerichts sehn,
Deine schimmernden Wunden, der Liebe Zeugen, der Liebe
Bis zu dem Tod am Kreuze, mit betendem Auge betrachten
Und Dir feiren, Dir Halleluja der Ewigkeit singen!
Dann wird schweigen vor ihnen der Todesengel Posaune
Und der Donner am Thron. Es wird die Tiefe sich bücken,
Und gefaltete Hände die Höh' zu dem Richter erheben,
Wird der letzte der Tage den stillverlöschenden Schimmer
Vor dem Throne der Ewigkeit niedersenken, und Du wirst
Deine Gerechten um Dich versammeln zu Deinem Anschaun,
Daß sie Dich sehn, wie Du bist! Sie werden's fühlen und jauchzen,
Daß sie Unsterbliche sind und des ewigen Lebens Gedanken,
Weil Du sie liebest, erst ganz in seiner Hoheit empfinden.
Also saget Er, den des Himmels Heere Jehovah,
Rächer nennen, die er verwarf, der Vater sich Dir nennt.«
Also sang Eloa vom Himmel. Es schaute der Gottmensch
Sanft dem preisenden Seraph ins Angesicht, sanfter auf Tabor.
Aber noch daurte das ernste Gericht, die bängsten der Leiden
Ueber ihn auszugießen und kein Erbarmen zu kennen.
Und er neigte sich tief, rang seine Hände gen Himmel
Und verstummte. So windet ein Lamm, geschlachtet am Altar,
Sich in seinem Blut. So lag, umströmt von des Himmels
Ihm nun nächtlichen Wolken, umströmt von Blute, so neigte
Abel sich, als er entschlief und seinen Vater nicht sahe.
Alle Seraphim, welche bis jetzt den Versöhnenden hatten
Angeschaut mit halbgewendetem bebenden Antlitz,
Konnten den Gottmensch nicht, nicht diese Todesangst mehr
Sehen, fühlten die Endlichkeit, wandten sich ganz und entflohen.
Gabriel nur blieb stehn und verhüllte sich. Auch Eloa
[195]
Blieb, sank, neigte sein Haupt in eine trübere Wolke.
Und die Erde stand still. Der Richter richtete. Dreimal
Bebte die Erde, zu fliehn, und dreimal hielt sie Jehovah.
Jetzt erhub sich vom Staube der Erd' als Sieger der Gottmensch;
Jetzo sangen die Himmel: »Sie ist, der erhabensten Leiden
Dritte Stunde, die ewige Ruh den Heiligen brachte,
Jetzo ist sie vorübergegangen!« So sangen die Himmel.
Und Gott wandte sein Antlitz und stieg zu dem ewigen Thron auf.

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