Viertes Buch
1.
Frankreich war nun freilich in diesem Augenblick so lachend nicht, als es später geworden ist, denn noch hatte die Gewohnheit, sich von Tyrannen beherrschen zu lassen, nicht so tief in ihrem Herzen Wurzel gefaßt, daß sie die Grausamkeiten ihrer Regenten und deren Vizirs wie ihre Torheiten in Gassenliedern besangen und dieses für gnügende Rache hielten. Als Faust und der Teufel den reichen Boden dieses Landes betraten, seufzte es unter dem Druck des feigsten und grausamsten Wüterichs, Ludwigs des Elften, der sich zum erstenmal den allerchristlichsten König nannte. Der Teufel hütete sich sehr, Fausten etwas von ihm vorher zu sagen, ihm war darum zu tun, sein Herz durch scheußliche Erfahrung Schlag auf Schlag zu zerknirschen und ihm den Himmel bei jedem Schritt im Leben immer verdächtiger zu machen, um ihm alsdann den fürchterlichsten Streich beizubringen, der je einen Menschen getroffen, der übermütig gegen die Grenzen seiner Natur angestoßen, die eine mächtige Hand vor seinen Horizont gestellt hat. Leider fand er in den Taten der Menschen Stoff genug dazu, und weisere Leute als Faust haben, ohne Gesellschaft des Teufels, an dieser gefährlichen Klippe gestrandet, wenn sie einmal vergaßen, daß Ergebung in sein Schicksal die erste Forderung der Natur an den Menschen sei, und wenn Güte und Nachsicht nicht den Grundstoff ihres Wesens ausmachten, deren milder Schimmer allein die schwarzen Gemälde der Welterfahrung aufheitern kann. Es gibt einen gewissen düstern, giftigen Atheismus des Gefühls, der beinahe unheilbar ist, weil es ihm nie an reell scheinenden Ursachen mangelt, weil er aus dem Herzen, und zwar aus einem Herzen entspringt, das sich durch seine Stimmung und Fühlart zu leicht von den widersprechenden Erscheinungen der moralischen und physischen Welt zerreißen läßt. Ein solches Herz zehrt durch seine Glut den Verstand ebenso auf wie das Fieber in einem durch eine starke Wunde Verletzten. Gegen diesen Atheismus ist der [131] der Vernunft eine Schimäre; denn der Mann, der denkt, sucht Ursachen zu Wirkungen auf, und diese Beschäftigung, da sie ihn endlich zu den Grenzen des menschlichen Geists leiten muß, legt dem Kühnsten eine Fessel an, die ihn wenigstens so weit bändiget, daß er nie gänzlich in das dunkle, große Nichts verschleudert werden kann. Vergebens ist die Warnung: die moralische Welt hat ihre Aufrührer wie die politische und muß sie haben. Wenn jene von der aus Schatten gebauten Brücke, die sie aus der Sinnenwelt in die intellektuelle zu ziehen streben, uns zur Lehre herunterstürzen, so ruft uns das Opfer dieser zu, unsern Menschenwert nicht in allzu träger Sicherheit zu verschlummern. Man verzeihe mir die Ausschweifung. – Faust wußte von Frankreichs König nichts, als daß er sich den Allerchristlichsten nennen ließ, der erste sei, der die Vasallen seines Reichs gedemütigt und die Rechte der Krone gegen sie behauptet hätte, übrigens von allen andern Höfen gefürchtet würde, weil ihm jedes Mittel zu seinem Zwecke gleich sei und man kein Beispiel habe, daß er sein Wort gehalten hätte, wenn nichts dabei zu gewinnen war. Er sollte nun Zeuge der Mittel werden, die er zu seinen Zwecken anwendete.
Der Teufel hatte durch seine ausgesandten Kundschafter erfahren, daß der allerchristlichste König soeben einen Staatsstreich auszuführen gedächte, sich seines Bruders, des Herzogs von Berry, zu entledigen, um die ihm abgetretne Provinz der Krone einzuverleiben. Er versäumte nicht, Fausten zum Zuschauer dieser Szene zu machen. Sie ritten an einem Lustwald vorüber, der an ein Schloß stieß, und sahen in demselben einen Benediktinermönch, der sein Brevier zu beten schien. Der Teufel freute sich innig des Anblicks, denn er las auf der Stirne des Mönchs, daß er soeben die Mutter Gottes anflehte, ihm bei dem großen Unternehmen, das ihm sein Abt aufgetragen, beizustehen und ihn nach glücklichem Erfolge aus der Gefahr zu erretten. Dieser Mönch war der Bruder Faver Vesois, Beichtvater des Bruders des Königs. Der Teufel überließ ihn seinen frommen Betrachtungen und ritt mit Fausten nach dem Schlosse, wo sie als Fremde von Stand, die gekommen waren, dem Prinzen ihre Achtung [132] zu bezeugen, gütig aufgenommen wurden. Der Prinz lebte auf diesem Schlosse mit seiner Geliebten Montserau in Ruhe und Vergnügen, dachte kein Arges und erwartete kein Arges. Faust wurde von seinem angenehmen Betragen sehr eingenommen und freute sich, einen königlichen Prinzen zu sehen, der als Mensch tat und redete, da er bei den teutschen Fürsten gewohnt war, nichts zu sehen als steifen Stolz und hölzernes Zeremoniell, das um so unerträglicher ist, da es jedem Verständigen ihre Kleinheit und Schwäche nur merklicher macht. Einige Tage verstrichen unter Jagd- und andern Ergötzlichkeiten, und der freundliche Prinz zog Fausten immer mehr an sich. Das einzige, was ihm mißfiel, war die Neigung des Prinzen zu seinem Beichtvater, dem Benediktiner. Er überhäufte diesen mit so vieler Zärtlichkeit und Freundschaft, ließ seinen Willen so gefällig von ihm lenken und der Mönch beantwortete alles mit so einer frömmelnden Miene, daß Faust nicht begreifen konnte, wie ein Mann von so offnem Betragen eine solche heuchlerische Maske liebkosen könnte. Der Teufel enthüllte ihm bald das Rätsel durch das Verhältnis des Prinzen mit der Dame Montserau. Der Prinz hatte ebenso viel Liebe für sie als Furcht vor der Hölle, und weil ihr Gemahl noch lebte, so machte es seine Lage mit ihr bedenklich. Da er ihr also nicht entsagen und doch der Hölle gern entgehen wollte, so bediente er sich des bekannten Seitenwegs, den die Mönche neben der Religion her gegraben haben, um ihre Macht auf das Gewissen der Menschen zu gründen, und ließ sich durch Absolution seiner Sünden die Zukunft sichern, wenn die Furcht vor der Hölle ihn zu stark überfiel. Mußte er sich nicht dankbar gegen einen Menschen bezeigen, der ihn des Gegenwärtigen genießen ließ und ihn über die Zukunft beruhigte. »Du siehst, Faust«, sagte der Teufel, »was die Menschen aus der Religion gemacht haben, und merke nur, daß sie bei jedem großen Verbrechen, bei jedem scheußlichen Greuel entweder die Hauptrolle spielt oder doch die Spielenden über ihre Taten tröstet und beruhigt.«
Dieser Umstand empfahl nun freilich den Verstand des Prinzen bei Fausten nicht, der mit seinem Gewissen so rasch geendigt [133] hatte, die letzte Bemerkung des Teufels fiel tiefer in seine Seele; indessen ließ er noch alles gehen und genoß, was er der flüchtigen Zeit nur entreißen konnte.
Man saß eines Abends sehr munter bei Tische, der Teufel ergötzte die Gesellschaft mit lustigen Schwänken, Faust warf sein Netz auf die künftige Nacht nach einer muntern Französin, sie beantwortete sein Spiel nach seinem Wunsche, alles war heiter, als auf einmal der fürchterliche Tod der Freude ein Ende machte. Der Benediktiner hatte eine Schüssel der schönsten und größten Pfirsichen zum Geschenk erhalten, die er zum Nachtisch auftragen ließ, und dem Prinzen die köstlichste mit einer lächelnden und frommen Miene hinreichte. Der Prinz teilte sie mit seiner Geliebten, und sie aßen beide die Pfirsiche ohne Verdacht. Man stund auf. Der Mönch sprach das gratias tibi mit Salbung und verschwand. Der Teufel wollte eben anfangen, eine neue Fratze zu erzählen, als die Dame Montserau einen Schrei des heftigsten Schmerzes ausstieß. Ihr schönes Gesicht verzerrte sich plötzlich. Ihre Lippen wurden blau, und die Blässe des Todes deckte ihre blühenden Wangen. Der Prinz wollte ihr zu Hülfe eilen, das fürchterliche Gift würkte in demselben Augenblick in seinen Eingeweiden, er sank bei ihr nieder und rief zum Himmel: »Höre es! es ist die Hand meines Bruders, die mich durch diesen Verfluchten tötet! Er, der unsern Vater zwang, den Hungertod zu sterben, um nicht von ihm vergiftet zu werden, er hat diesen Mönch erkauft!«
Faust stürzte hinaus, um sich des Beichtvaters zu bemächtigen, er war entflohen, ein Haufen Reiter hatte ihn am Lustwald empfangen und ihn auf seiner Flucht begleitet. Faust kehrte zurück. Schon hatte der Tod seine Opfer verschlungen und lag auf ihnen in schaudervoller Gestalt. Faust und der Teufel überließen ihm seine Beute und zogen weiter.
TEUFEL: Nun, Faust, braucht ihr des schwarzen Teufels, wie ihr ihn nennt, da er in Mönchskutten auf der Erde herumspukt? Wie gefällt dir der Streich dieses Benediktiners, den er im Namen des allerchristlichsten Königs hier ausgeführt hat?
FAUST: Ha, bald sollt ich glauben, unsre Leiber werden von [134] den gefallnen Geistern der Hölle beseelt, und wir sind nur ihre Werkzeuge.
TEUFEL: Pfui des ekelhaften Loses für einen unsterblichen Geist, ein so zweideutiges, mißgeschaffnes Ding zu beseelen! Glaube mir, ob ich gleich ein stolzer Teufel bin, so würde ich doch lieber in ein Schwein fahren, das sich im Kote besudelt, als in einen von euch, die sich in Lastern herumwälzen und stolz das Ebenbild des Höchsten nennen.
FAUST: Verfluchter! der du den Menschen herabwürdigest –
TEUFEL: He, werde nicht zornig, Mensch! sage, würden wir nicht an eurem moralischen Wert ersticken? Kann der Teufel das Licht eurer Tugend vertragen? Ist dieser Mönch nicht ein frommer Mann? Sein Abt nicht ein frommer Mann, der ihm diese Tat aufgetragen hat? Ist der König nicht der allerchristlichste Monarch und ein sehr guter Bruder, der dem Abt den Wink dazu gegeben hat? Wie sollte der Teufel in solchen frommen Leuten seine Herberge aufschlagen können?
FAUST: Was konnte den Elenden reizen, den Spruch der Verdammnis auf sich zu ziehen?
TEUFEL: Die Verdammnis ist weit entfernt, die Absolution nahe, und noch näher die großen Güter, der Lohn der Tat, die das Kloster des Abts zum mächtigsten und reichsten in der Provinz machen. Haben Mönche diesem Reiz je widerstanden, seitdem sie die uns furchtbare Religion so verpfuscht haben, daß die Hölle nun siegt, die einmal vor dem Ende ihrer Herrschaft bebte?
Dieser Gedanke fuhr gleich einer Viper in den Busen Fausts. Er schwieg und verlor sich immer tiefer in seinen finstern Betrachtungen über den Menschen, seine Bestimmung, den moralischen Gang der Welt, dessen Widersprüche er nicht ausgleichen konnte. Die ihm täglich aufstoßenden Begebenheiten reizten seine Galle, legten den Keim zu noch peinlichern Zweifeln, zu Menschenhaß und Menschenverachtung an sein Herz, die gleich dem Polypen nur langsam wachsen und dann nur töten, wenn sie das Herz so umsponnen haben, daß ihm der Raum sich auszudehnen fehlt. Sie zogen im Lande weit und breit herum, hatten der Abenteuer [135] viel, und Faust ließ sich noch nicht von seinen finstern Betrachtungen im Genuß des Lebens stören. Überall fanden sie Merkmale der Klaue des feigen Tyrannen, und Faust nutzte oft die Schätze des Teufels, die blutigen Wunden zu stillen.
2.
So kamen sie von Abenteuer zu Abenteuer nach Paris. Bei ihrem Eintritt war die ganze Stadt in Bewegung. Das Volk stürzte nur einen Weg, sie folgten dem Zug und kamen zu den Hallen, wo sie ein schwarzbedecktes Gerüste aufgeschlagen fanden, das durch eine Türe mit einem nahen Gebäude verbunden war. Faust fragte, was dieses bedeutete, und man antwortete ihm, daß soeben der reiche Herzog von Nemours hingerichtet würde. »Und die Ursache?« – »Der König hat es befohlen. Man sagt, er habe aus feindlichen Gesinnungen gegen das königliche Haus den Dauphin umbringen wollen. Da ihn aber vom Könige beorderte Richter geheim in seinem Keficht verhört haben, so weiß man nichts als das Gerücht.« Einer der Anwesenden rief:
»Sagt vielmehr, es seien seine Güter, die ihm den Hals kosten; denn um ein mächtiger König zu werden und uns zu einer großen und berühmten Nation zu machen, ermordet er unsre Großen, und uns obendrein, wenn wir es nicht für gut halten.«
Der Teufel ließ die Pferde nach einem nahen Wirtshaus führen und leitete Fausten durch den Haufen. Sie sahen den edlen Herzog, von seinen unmündigen Kindern begleitet, nach einem schwarz ausgeschlagnen Zimmer führen. Hier erwartete ihn ein Mönch, der seine letzte Beichte hören sollte. Der Blick des Vaters hing an seinen Söhnen und konnte sich nicht von ihnen zu dem Himmel wenden. Nach der Beichte drückte er sie wider seine Brust, sah dann gen Himmel, legte seine bebenden Hände auf die Häupter der Schluchzenden und sagte: »Laß den Segen eines unglücklichen Vaters, den Habsucht und Tyrannei ermorden, diesen Unschuldigen gedeihen! doch« – hier hielt er seufzend inne – »sie sind die Erben eines Unglücklichen, ihre Ansprüche verdammen sie zu langsamer Marter, sie sind dem Weh geboren, [136] und in diesem Gefühl muß ich sterben.« Er wollte weiterreden, man zwang ihn zu schweigen und führte ihn durch die Türe auf das Blutgerüste.
Nach dem Befehl des Königs, der diese Hinrichtung mit der kalten Bedachtsamkeit eingerichtet hatte, wie man ein Schauspiel zum Vergnügen anordnet, wurden die Söhne von ihm gerissen, unter das Gerüst geführt, daß das Blut ihres hingerichteten Vaters auf ihre weiße Gewänder träufle. Der Schrei, den der Vater in diesem Augenblick ausstieß, schauderte durch die Herzen aller Anwesenden, nur Tristan, der Henker und Busenfreund des Königs, der schon so viele Tausende seiner Wut geopfert, befühlte dabei lächelnd die Schärfe des Schwerts. Faust glaubte, dieser Ton müsse die Feste des Himmels durchdringen und ihn zum Rächer der verletzten Menschheit machen. Er sah grimmig aufwärts, und sein vermeßner Blick machte den Höchsten zum Mitschuldigen der schaudervollen Tat. Er war einen Augenblick in Versuchung, ihn mit seinen Kindern durch den Teufel den Händen des Henkers entführen zu lassen, aber sein nun finstres Herz höhnte des Entschlusses, er sah nochmals gen Himmel und sagte in seinem Inneren: »Ist mir doch die Sorge für ihn nicht anvertraut; vermutlich gehört es zu deiner Ordnung auf Erden, daß dieser blute, damit der König mutiger in Verbrechen werde!« Der Herzog kniete nieder, er hörte das Winseln und Klagen der Söhne unter dem Gerüste hervor, das ihn in das andre Leben begleiten sollte; sein eigner schmählicher Tod verschwand vor seinen Augen, er fühlte zum letztenmal und fühlte nur für die Unglücklichen – starre Tränen hingen an seinen Augen – seine Lippen zitterten. Der Henker führte den Streich, und das warme Blut des Vaters rann über die bebenden Söhne hin. So befleckt, führte man sie auf die Bühne zurück, zeigte ihnen den Leichnam, das davon getrennte Haupt des Vaters, trieb sie in das Gefängnis zurück, wo sie in Körbe gefesselt wurden, die oben weit und unten enge waren, um sie in dieser peinlichen Lage langsam hinsterben zu lassen. Ihre Marter zu vermehren, riß man ihnen zuzeiten die Zähne aus.
Faust wankte betäubt von dieser schrecklichen Szene nach dem [137] Wirtshaus und forderte den Teufel zur Rache an dem auf, den der Himmel unbestraft solche Greuel begehen ließ.
TEUFEL: Faust, ich erwürge ihn nicht, es ist gegen die Polizei der Hölle, und warum soll der Teufel Grausamkeiten ein Ende machen, da sie der geduldig ansieht, den die Menschen ihren Vater und Erhalter nennen? Vermutlich gehört dies zu der Ordnung der moralischen Welt, daß die Könige, die sich die Gesalbten des Himmels nennen und von ihm ihre Einsetzung erhalten zu haben vorgeben, so mit den Menschen, denen er sie vorgesetzt, umspringen müssen. Folgte ich deinem blinden Zorn, wer von denen, die wir noch sehen werden, würde deiner Rache entgehen?
FAUST: Und wäre es nicht ein verdienstliches Werk, wenn ich gleich einem zweiten Herkules herumzöge und Europas stolze Throne von diesen Ungeheuern reinigte?
TEUFEL: Kurzsichtiger, beweist nicht eure verdorbene Natur, daß ihr sie braucht, und würden nicht neue Ungeheuer aus ihrer Asche aufleben? des Mordens würde kein Ende werden, die Völker sich trennen und sich durch bürgerliche Kriege aufreiben. Du siehst Millionen hier, die diesen Wüterich, wie sie ihn nennen, in Geduld ertragen, sich schinden lassen, ohne von Rache entflammt zu werden. Sahen sie nicht diesen edlen Herzog hinrichten wie ein Schaf und genossen mit ängstlichem und peinvollem Vergnügen des tragischen Schauspiels? Beweist dieses nicht, daß sie ihr Schicksal verdienen und keines bessern wert sind, daß sie als Sklaven des Himmels und ihrer Natur das Joch ertragen müssen, wie man es ihnen auflegt? Wenn dein Sinn durch die Wollust noch nicht ganz verraucht ist, so reime dieses mit den Schulbegriffen deiner Moral zusammen, ich bin kein Lehrer des Lichts in der Finsternis, die euch umgibt. Ich kann meine Hand nicht an den Gesalbten legen, der so wacker für die Hölle arbeitet, kann den Faden nicht zerreißen, an welchem ein Mächtigerer wie ich durch ihn dieses Volk leitet.
FAUST: Wie gewissenhaft auf einmal mein Teufel geworden ist! Wie schnell warst du fertig, da ich dir auftrug, den teutschen Fürsten zu erwürgen, ist dir der Franzose mehr wert?
[138] TEUFEL: Er war zu Verbrechen nicht gesalbt wie dieser hier, und wenn ich deinen Wink erfüllte, so sah ich aus der Tat Nutzen für die Hölle; einst wird es dir klar werden! Warum willst du, daß ich gegen meine eigne Eingeweide wüten soll? Ist er es nicht, der den Grundstein zu dem Despotismus legt, der durch Jahrhunderte wachsen, bisher unerhörte Greuel veranlassen und unzählige Opfer der Verzweiflung zur Hölle schicken wird. Werden nicht alle die tyrannischen Könige, ihre Ministers und die übrigen Blutsauger des Volks in den Pfuhl der Verdammnis fahren? Und ich sollte den zerstören, der ein solches Werk gründet? Faust, wenn der mächtige Satan in Frankreich König wäre, so könnte er nicht mit fruchtbarerer Hand den Samen zu dem künftigen Bösen aussäen, wie dieser es tut. Gedulde dich, du sollst diesen König sehen, dich an seinen Martern ergötzen, und dann wirst du ihm langes Leben wünschen, sie zu verlängern.
3.
Faust machte einige Zeit hierauf mit einem sehr verständigen und rechtschaffnen Edelmann Bekanntschaft, und er nebst dem Teufel gefielen ihm so wohl, daß er sie auf sein Landgut, nahe bei der Stadt, einlud, wo er mit seiner Familie lebte, die aus seiner Gemahlin und seiner sehr schönen sechzehnjährigen Tochter bestund. Faust wurde von dem ersten Blick des reizenden, unschuldigen Mädchens bezaubert und fühlte zum erstenmal etwas von den süßen Qualen einer feinern Liebe. Er vertraute dem Teufel seine Pein, und dieser, der das Böse so gern beförderte als es Faust tat, bot ihm seine Hülfe an und spottete seiner Ziererei. Faust aber, der auf einmal edel zu fühlen glaubte, gestund ihm, es ginge ihm nah, dem Edelmann seine Gastfreundschaft so schlecht zu vergelten. Der Teufel spottete seiner Bedenklichkeit noch mehr und antwortete: »Nun, Faust, wenn du die Einwilligung des Edelmanns zu dem Spaße brauchst, so ist mir's um so lieber, denn ich fange auf einen Zug zwei Vögel und stehe dir für die Einwilligung. Für was hältst du ihn?«
FAUST: Für einen Biedermann.
[139] TEUFEL: Es ist doch schade, Faust, daß du bei dem teutschen fanatischen Mönch nicht ein wenig in die Schule gegangen bist. Du hältst also diesen Edelmann für einen biedern Gesellen, freilich, ganz Paris denkt so von ihm, und leider muß ich nun wieder in meiner ganzen Teufelei erscheinen – Was glaubst du, daß er vorzüglich liebt?
FAUST: Seine Tochter.
TEUFEL: Ich kenne etwas, was er noch mehr liebt.
FAUST: Das wäre?
TEUFEL: Gold, davon du freilich schon Beweise haben könntest, da dir aber die Schätze der Erde durch mich offen stehen, so gleichst du einem Strome, der sich ergießt, unbekümmert, woher die Gewässer ihm zufließen und wohin er sie ausstößt. Wie viel hast du schon an den Edelmann verspielt?
FAUST: Das berechne der, der den Quark für mehr hält als ich.
TEUFEL: Er, der dich betrogen hat, zählt es sorgfältiger als ich.
FAUST: Betrogen?
TEUFEL: Wie anders? Würde er, der nie gespielt hat, sonst mit dir spielen? Er sah, was dir das Geld ist, und machte seinen sichern Plan darauf. Glaubst du, die Tafel würde so gut bestellt sein, die Weine so wacker fließen und die Gäste, seine Gehülfen, dich zu rupfen, so zahlreich um den Tisch dieses Geizigen sitzen, wenn dein Gold nicht diese Wunder würkte? Faust, in diesem Hause aß man sich vor unserm Hiersein nie satt. – Ich sehe an deiner Verwunderung, daß du dein Lebelang ein Verschwender warst und von diesem Durst nach Gold, der alle Wünsche des Herzens, selbst die nötigen Bedürfnisse der Natur besiegt, keine Ahndung hast. Folge mir leise!
Sie gingen die Treppe hinunter, durchschlichen einige unterirdische Gänge und kamen endlich an eine eiserne Türe, wo der Teufel zu Fausten sagte: »Sieh durch das Schlüsselloch!« In diesem Gewölbe, das der schwache Schein einer Lampe erleuchtete, entdeckte Faust den Edelmann vor einem eisernen Kasten, in welchem viele Säcke mit Geld lagen, die dieser mit zärtlichen Augen ansah, und hierauf in einen leeren das Gold Stück für [140] Stück zählte, das er Fausten abgewonnen hatte. Vorher aber besah er jedes Stück, wog es in der Hand, küßte es, rechnete zusammen, überzählte mit vielem Genuß den ganzen Schatz, seufzte am Ende beklommen über das, was ihm noch mangelte, die Zahl rund zu machen. Der Teufel lispelte Fausten ins Ohr:
»Um das Fehlende verkauft er dir die Tochter.«
Faust wollte es nicht glauben, dieses verdroß den Teufel, und er sagte ungeduldig:
»Nun, wenn ich dir zeigte, daß das Gold eine so unwiderstehliche Macht über das Herz des Menschen hat, daß in diesem Augenblick einige Väter und Mütter aus der Stadt in dem ganz nahen Gehölze mit einigen Abgesandten des Königs in Unterhandlung sind, ihnen ihre Säuglinge zu verkaufen, ob sie gleich wissen, daß sie ermordet werden und der kränkelnde König ihr Blut trinkt, in dem Wahn, sein scharfes und veraltetes Geblüt durch ihr süßes und gesundes zu verjüngen.«
FAUST schaudernd: So ist die Welt die Hölle, und ich will ihr mit Freuden entfliehen. Und der König trinkt wissend diesen schaudervollen Trank?
TEUFEL: Der Arzt, der sein Tyrann ist und sich bereichert, hat ihn verordnet und der Beichtvater es unsträflich gefunden, wenn es dazu dienen kann, Seiner Majestät kostbaren Tage zu verlängern.
Sie eilten nach dem Gehölze, verbargen sich hinter dickes Gesträuch und sahen die Abgeordneten des Königs mit einigen Bürgern und dem Priester des Kirchspiels in Unterhandlung. Vier kleine Kinder lagen vor ihnen im Grase, eins derselben schrie erbärmlich, die Mutter koste es und legte es an die Brust, um es zu stillen. Die andern krochen auf den Bäuchen und spielten mit den Blumen. Die Abgeordneten zählten den Männern das Gold auf die Hand, der Pfarrer empfing seinen Teil, und man lieferte die Kinder aus. Noch lange hörte man die Kinder durch den Wald schreien, die Mütter heulten, aber die Männer sagten ihnen: »Hier ist Gold, laßt uns in die Schenke gehen und uns Mut trinken, andre zu machen. Man sagt, der König fresse die Kinder, besser er frißt sie jung, als daß er sie alt schindet [141] oder sie, in einen Sack genäht, in die Seine werfen läßt, wie er Tausenden getan hat. Laßt früh sterben, was zum Leiden geboren ist, wahrlich, es wäre besser für uns gewesen, wenn sein Vater uns jung gefressen hätte.«
Der Pfarrer tröstete sie und sagte:
Es sei ein verdienstliches Werk und der Mutter Gottes, welcher der König so sehr zugetan sei, gefällig. Auch seien die Untertanen für den König geboren, da er an Gottes Statt über sie auf Erden herrschte. Wer mag den Unsinn auszuführen? So gingen sie nach der Schenke, versoffen einen Teil des Blutgelds und ersparten den andern auf, dem König die Termine zu bezahlen.
Der Teufel sah Fausten höhnisch an: »Zweifelst du noch, ob dir der Edelmann die Tochter verkaufen wird, die du doch wenigstens nicht fressen wirst?«
FAUST: Bei der schwarzen Hölle, die mir in diesem Augenblick ein Paradies gegen die Erde zu sein scheint, ich will von nun an allen meinen Begierden den Zügel schießen lassen und bei Zerstörung und Verwüstung glauben, ich arbeitete in dem Sinn dessen, der die Menschen so ungeheuer geschaffen hat. Eile, kaufe ihm die Tochter ab, sie ist der Zerstörung geweiht wie alles, was Odem hat.
Dieses war die Laune, worin der Teufel Fausten längst zu sehen wünschte, um ihn zum Ziel zu fördern und der lästigen Bürde los zu werden, der Sklave eines so verächtlichen Dinges zu sein, als der Mensch ihm schien. Noch denselben Abend fing er an, den Edelmann zu stimmen, und sprach vorsätzlich von ihrer nahen Abreise; den folgenden Morgen warf er ihm bei einem Spaziergang die goldne Angel hin, der Gierige schnappte darnach, wollte sie aber noch nicht fassen und machte die gewöhnlichen Paraden der Tugend – der Teufel stieg bei jeder heuchlerischen Floskel in der Summe, stieg endlich so hoch, daß der Edelmann in seinem Herzen des Toren lachte, der sein Gold so unsinnig verschwendete. Der Vertrag ward gemacht, der Vater ließ Fausten in das Zimmer seiner Tochter ein und dachte ihr Heuratsgut auf eine Art erbeutet zu haben, wovon ihr künftiger [142] Mann nichts merken würde. Das Mädchen war in der ersten Blüte der Jugend, Faust hatte durch den Umgang mit den Weibern erlernt, sie zu betören, und da er ihr beweisen konnte, daß ihr Vater selbst zu ihrem Falle mitwürkte, so tat die Natur das übrige.
Der Vater schlich indessen mit dem Goldsack und einer Lampe heimlich nach seinem jedermann unbekannten Gewölbe. Das Herz klopfte ihm vor Freude, einen Sack zu füllen und endlich die Summe seines Schatzes zu runden. Aus Furcht, belauscht zu werden, und im Taumel der Freude schlug er die Türe hinter sich hastig zu, ohne den Schlüssel abgezogen und zu sich gesteckt zu haben. Die Lampe verlosch durch den heftigen Schlag, und er sah sich auf einmal mit seinem Golde auf dem Arme in dicker Finsternis. Die Luft im Gewölbe war schwer und dumpfigt und drückte bald auf seine Brust. Nun ward er erst gewahr, daß er den Schlüssel außen gelassen hatte, und Todesangst schoß kalt durch sein Herz. Noch hatte er Kraft und Instinkt genug, seinen Kasten zu finden, er legte das Gold hinein, kroch tappend zu der Türe zurück und überlegte, ob er klopfen oder schreien sollte. Es entstund ein peinlicher Kampf in seiner Seele, er war in Gefahr, sein Geheimnis zu verraten oder aus dieser Gruft sein Grab zu machen. Lange hätte er rufen mögen, dieses Gewölbe war mit dem bewohnten Teil des Hauses außer aller Verbindung, und er wußte die Zeit so gut zu wählen, daß ihn bisher noch niemand bemerkt hatte, wenn er zu seinem Gott schlich. Nachdem er lange gekämpft hatte, ohne sich entschließen zu können, nahm das Bangen seines Herzens durch die schrecklichen Vorstellungen und die schwere verschloßne Luft so zu, daß es sein Gehirn verwirrte. Er sank nieder, kroch zu seinem Kasten zurück, umfaßte ihn und fing bald an zu wüten. Hier kämpfte er mit der Verzweiflung und dem scheußlichsten Tod, während seine Tochter, deren Unschuld er für das Gold, auf welchem er nun winselte, verkauft hatte, Faust den Lohn seiner Sünde abtrug. Nach einigen Tagen, da man schon alle Winkel vergebens durchsucht hatte, führte der Zufall einen Diener nach dem Gewölbe. Man öffnete es und fand den Verzweifelten [143] blau und schwarz in der scheußlichsten Verzerrung auf seinem Schatz. Er hatte in der Wut das Fleisch von seinen Armen gefressen, um den wilden Hunger zu stillen. Der Teufel erzählte Fausten auf ihrem Rückweg nach Paris den Ausgang der Geschichte, und dieser glaubte, daß sich doch einmal die Vorsehung gerechtfertigt hätte.
4.
Der Teufel hatte ausgespäht, daß das Parlament über einen Fall richten würde, der so unerhört war und die Menschheit so sehr beschämte, daß er es schicklich für seinen Plan hielt, Fausten zum Zuhörer davon zu machen. Die Sache war diese: Ein Wundarzt befand sich in der Nacht mit seinem treuen Diener unweit Paris auf der Landstraße. Er hörte in der Nähe das Winseln und Ächzen eines Menschen. Sein Herz zog ihn nach dem Ort hin, wo er einen lebendig geräderten Mörder antraf, der ihn um Gottes Willen bat, ihn zu töten. Der Wundarzt schauderte zurück, und als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, fuhr der Gedanke durch seinen Sinn, ob es nicht möglich sei, diesen Unglücklichen durch seine Kunst wiederherzustellen. Er sprach mit seinem Diener, nahm den Mörder von dem Rade herunter, legte ihn sanft auf seinen Wagen, führte ihn nach seiner Wohnung und unternahm seine Heilung, die glücklich vonstatten ging. Er hatte erfahren, daß das Parlament hundert Pfund dem zur Belohnung ausgesetzt hätte, der es anzeigen würde, wer diesen Mörder vom Rade genommen. Beim Abschied entdeckte er dem Mörder dieses, gab ihm Geld zur Reise und riet ihm, sich ja nicht in Paris aufzuhalten. Das erste, was dieser Elende tat, war hin zugehen, seinen Wohltäter bei dem Parlament anzugeben, um die hundert Pfund zu erhalten. Die Wangen der Richter, die so selten erblassen, wurden bleich bei dieser Anzeige, denn er gestund gerade zu, er selbst sei jener Mörder, den das Parlament auf der Stelle, wo er das Verbrechen begangen, hätte rädern lassen. Der Wundarzt wurde vorgefordert, und der Teufel führte Fausten in diesem Augenblick in die Galerie, da dieser erschien, ohne ihm vorher etwas von dem Vorfall zu sagen. Das Gericht [144] meldete dem Wundarzt die gegen ihn vorhandene Anklage. Er, der seines Dieners gewiß war, leugnete sie standhaft. Man bedeutete ihm, sich zu bedenken, weil man Zeugen vorführen könnte, die ihn überführen würden. Er forderte die Richter dazu auf. Man öffnete eine Seitentüre, der Mörder trat kalt und frech herein, stellte sich vor ihn und wiederholte seine Anzeige mit allen Umständen. Der Wundarzt schrie: »Was hat dich, Ungeheuer, zu diesem scheußlichen Undank gereizt?«
MÖRDER: Die hundert Pfund, wovon Ihr mir sagtet, da Ihr mich entließet. Glaubt Ihr, daß mir mit meinen gesunden Gliedern allein gedient sei? Ich ward für einen Mord gerädert, den ich um dreißig Pfund beging, soll ich nicht hundert durch eine Anzeige zu verdienen suchen, wobei ich selbst nichts wage?
WUNDARZT: Undankbarer! Dein Winseln und Ächzen rührte mein Herz. Ich nahm dich schaudernd vom Rade, besorgte, verband und heilte deine Wunden, nährte dich mit eigner Hand, solange du deine zerschlagne Glieder nicht brauchen konntest, gab dir Geld, das du noch nicht verzehrt haben kannst, um heimzureisen, offenbarte dir um deinetwillen die Bekanntmachung des Gerichts, und ich schwöre bei dem lebendigen Gott! hättest du mir dein teuflisches Vorhaben vertraut, ich wollte eher alles bis auf mein Hemde verkauft haben, dir die hundert Pfund auszuzahlen, damit der Menschheit dieses abscheuliche Beispiel von Undank ewig ein Geheimnis geblieben wäre. – Ihr Herren, richtet zwischen ihm und mir, ich erkenne mich der Anklage schuldig.
PRÄSIDENT: Ihr habt die Justiz gröblich beleidigt, da Ihr den zu erhalten suchtet, den das Gesetz um der Sicherheit der Bürger willen verdammt hat; doch diesmal soll die strenge Gerechtigkeit schweigen und die Menschheit allein zu Gerichte sitzen. Euch werden die hundert Pfund, und der Mörder werde noch einmal gerädert.
Faust, der während des Verhörs schnaubte und glühte, brach in ein schallendes Bravo aus, das die Galerie wiederholte. Der Teufel, welcher merkte, daß der letzte Eindruck den ersten verwischen wollte, führte ihn schnell zu einer andern Szene.
[145]5.
Einige Wundärzte, Doktoren der Medizin, Philosophen und Naturkündiger hatten eine geheime Gesellschaft geschlossen, Untersuchungen über den Nervensaft, den Mechanismus des Körpers und der Würkung der Seele auf die Materie anzustellen.
Um ihrer Neugierde und ihrem Forschungsgeist Gnüge zu leisten, lockten sie unter allerlei Vorwand arme, unbedeutende Leute nach einem von der Stadt abgelegnen Hause, dessen obern Teil sie so eingerichtet hatten, daß man weder von außen noch von innen wahrnehmen konnte, was darinnen vorging. Hier banden sie diese Unglücklichen mit Stricken auf einen langen Tisch, legten ihnen ein Querholz in den Mund, lösten ihnen eine Haut nach der andern ab, entblößten ihre Muskeln, Nerven, ihr Herz, Gehirn und zerlegten sie bei lebendigem Leibe mit eben der Kälte und Aufmerksamkeit, als man einen unempfindlichen Leichnam anatomiert. Um recht hinter das, was sie suchten, zu kommen, nährten sie diese Elenden gewaltsam mit stärkenden Brühen und ließen sie viele Tage lang unter Messerschnitten und langsamem Zerreißen der Bande des Lebens des peinlichsten Tods hinsterben. Der Teufel wußte, daß sie eben versammelt waren, und sagte zu Faust: »Du hast einen Wundarzt gesehen, der aus Menschenliebe oder Neigung für seine Wissenschaft den geräderten Mörder heilet; ich will dir nun Naturkündiger zeigen, die, um Geheimnisse zu erforschen, die ihr nie ergründen werdet, ihre Brüder lebendig schinden. Du scheinst zu zweifeln? Komm und überzeuge dich. Wir wollen zwei Doktoren vorstellen.«
Er führte ihn in das entlegne Haus, sie traten in das gewölbte Arbeitszimmer, das kein Tageslicht erleuchtete. Hier sahen sie die Naturkündiger einen dieser Unglücklichen, dessen Fleisch unter ihren Händen zitterte und dessen aufgerißne Brust unter dem peinlichsten Schmerz sich hub, zerschneiden und hörten sie über ihre Entdeckungen reden und streiten, als wenn sie eine Blume zergliederten. Sie waren mit ihrem Gegenstand so beschäftigt, daß sie den Teufel und Fausten nicht einmal wahrnahmen. Faust fühlte Zuckungen in all seinen Nerven, er stürzte [146] hinaus, schlug sich vor die Stirne und gebot dem Teufel, das Haus über die Köpfe dieser Ungeheuer zusammenzuwerfen, daß ihre Spur von der Erde vertilgt würde.
TEUFEL: Faust, warum rasest du? Fühlst du denn nicht, daß du eben auf die Weise in der moralischen Welt verfährst, wie diese in der physischen? Sie schneiden in das Fleisch der Lebenden, und du wütest durch meine zerstörende Hand in der ganzen Schöpfung –
FAUST: Verworfner! denkst du, mein Herz sei schon Stein geworden? Gefällt dir das Metzeln dieser Unglücklichen? Auf! ich kann die Raserei, die in meiner Brust und in meinem Gehirne glüht, nur durch Rache kühlen. Mein ganzes Wesen löset sich vor der Vorstellung des Leidens dieser Unglücklichen auf. Die Qualen des ganzen Menschengeschlechts überfallen mich in diesem Augenblick. O ich fühle, daß es Unsinn ist, da ich ihre Tränen nicht trocknen, ihre Wunden nicht heilen kann; aber rächen will ich sie an diesen Ungeheuern. Auf, zerstöre, und schnell! daß nicht einer überbleibe! Eile oder ich wüte meinen Zorn an dir aus.
Der Teufel, der ihm mit Vergnügen gehorchte, erschütterte den Grund des Gebäudes, es stürzte krachend zusammen und zerschmetterte die Ungeheuer. Der empörte Faust eilte nach Paris zurück, ohne auf den Wink zu merken, den ihm der Teufel gegeben hatte.
6.
Faust hatte so viel von den Kefichen gehört, die der allerchristlichste König hatte verfertigen lassen, die ihm verdächtigen und gefährlichen Personen einzusperren, daß er dem Teufel befahl, Anstalt zu machen, damit er sie in Augenschein nehmen könnte. Dieses war ein Schauspiel, das ihm der Teufel gern verschaffte, und ob es gleich bei Todesstrafe verboten war, keinen hinzuzulassen, so öffnete doch die Beredsamkeit des Teufels, die so mächtig von seinen Fingern floß, das Kastell. Sie fanden dort Kefiche von Eisen, die rundum mit gleichen Stangen versehen waren und worinnen ein Mensch grade aufrecht stehen konnte.
[147] An die Füße der Elenden, denen diese traurige Wohnung angewiesen war, hatte man schwere Ketten geschmiedet, an die eine große Kugel befestigt war. Der Aufseher vertraute ihnen, daß der König oft in gesunden Tagen in dieser Galerie herumspaziert sei, um sich an dem Gesang seiner Nachtigallen, wie er sie nannte, zu ergötzen. Faust fragte einige der Unglücklichen um die Ursache ihrer schmählichen Gefangenschaft und hörte Geschichten, die das Herz zerreißen. Unter andern tat er an einen ehrwürdigen Greis dieselbe Frage, und dieser antwortete in einem kläglichen Tone:
»Ach, wer Ihr auch seid, so laßt Euch mein grausames Schicksal zur Warnung dienen, nie Eure Hände einem Tyrannen zu Grausamkeiten zu leihen. Ihr seht in mir den Bischof von Verden, jenen Unglücklichen, welcher zuerst dem grausamen König den Gedanken von diesen scheußlichen Kefichen beigebracht hat und der den ersten verfertigen ließ, damit einer seiner Feinde hineingesperrt würde. Der König ließ sogleich nach dem von mir gegebenen Muster zwei machen und wies mir, dem Erfinder, den ersten zur Wohnung an. Hier büße ich nun schon vierzehen Jahre für meine Sünde und flehe täglich den Tod, meiner Marter ein Ende zu machen.«
FAUST: Ha! ha! Ew. Ehrwürden hat also als ein neuer Perillus auch seinen Phalaris gefunden. Ihr wißt doch die Geschichte? – Ihr schüttelt den Kopf – nun, zum Zeitvertreib will ich sie Euch erzählen.
Dieser Perillus, der nebenher weder ein Bischof noch ein Christ war, goß einen ehernen Ochsen, den er dem Tyrannen Phalaris als ein Meisterstück zeigte und ihn versicherte, er habe ihn so zugerichtet, daß, wenn Seine Majestät einen Menschen hineinstecken und ihn durch untergelegtes Feuer glühend machen ließen, das Geschrei des geplagten Menschen das Brüllen eines Ochsen ganz genau nachahmen würde, welches Seiner Majestät viel Vergnügen machen könnte. Phalaris antwortete: Wackrer Perillus, es ist billig, daß der Künstler sein Werk selber probe! Hierauf mußte der Künstler in den Ochsen kriechen, es ward Feuer darunter gelegt, er brüllte wie ein Ochs, und so spielte vor [148] tausend Jahren Phalaris die Geschichte, die der allerchristlichste König mit Euch, ehrwürdiger Bischof von Verden, nur wiederholt hat.
BISCHOF: O hätt ich doch dieses Beispiel früher gewußt, es sollte mir zur Warnung gedient haben.
FAUST: Da seht Ihr, Ehrwürden, daß zuzeiten die Geschichte auch einem Bischof nutzen kann. Laßt Euch die Zeit nicht lang werden; über das Schicksal dieser Unglücklichen weint man, und über das Eure lacht man.
7.
Faust wollte nun diesen König sehen, dessen scheußliche Taten seine Einbildungskraft so erhitzt hatten, daß er sich ihn kaum unter einer menschlichen Gestalt vorstellen konnte. Der Teufel stellte ihm die Unmöglichkeit vor, in das Schloß Plessis du Parc, worin Feigheit und Furcht den Tyrannen gefangen hielten, in ihrer wahren Gestalt zu dringen, und setzte hinzu, daß außer den nötigen Dienern, seinem Quäler, dem Arzt, seinem Beichtvater und seinem Freund, dem Henker, nebst einigen Astrologen kein Mensch ohne besondere Erlaubnis eingelassen würde.
FAUST: So laß uns andre Gestalten annehmen.
TEUFEL: Gut, ich will zwei seiner Trabanten entfernen, und wir wollen ihren Dienst unter ihrer Gestalt verrichten, um diesen König und sein Glück in der Nähe zu beobachten. Der Augenblick, den Elenden zu sehen, ist trefflich. Die Furcht vor dem Tode rächt schon vor der Hölle seine Taten an seinem feigen Herzen, und in dieser Marter sinnt er Tag und Nacht, wie er ihn entfernen möchte, zieht ihn dadurch immer näher, und sieht ihn jede Sekunde scheußlicher. Komm, ich will dich zum Zeugen seines Jammers machen.
Der Teufel führte seinen Vorschlag aus, und sie stunden beide als Trabanten im Inneren des Schlosses, wo die Stille des Grabes wohnte und die schaudervollen Schrecken des Todes herumschwebten. Hierher hatte sich der verbannt, vor dem Millionen bebten, um der Rache der Verwandten der Ermordeten, der Furcht vor seinem Sohn, in dem er den Rächer seines Vaters zu [149] sehen glaubte, auszuweichen. Dem Auge seiner Untertanen konnte er in dieser peinlichen Gefangenschaft entfliehen, aber ihm folgte die Qual seines Herzens, das Leiden seines Körpers, umsonst ermüdete er den Himmel mit Flehen um Gesundheit und Ruhe, vergebens suchte er ihn mit Geschenken an Heilige, Priester und Kirchen zu bestechen, umsonst behing er seinen siechen, kraftlosen Körper mit Reliquien aus allen Teilen der Erde; der Gedanke: Du mußt sterben! nagte gleich einer giftigen Schlange in seinem geängsteten Busen. Kaum wagt er aus seinem Zimmer zu gehen, weil er fürchtet, in jedem, auf den er stößt, einen Mörder zu finden. Treibt ihn die Angst in die freie Luft, so bewaffnet er sich mit Dolch und Speer und hüllt sein zusammengeschrumpftes Gerippe in prächtige Kleider, um ihm einen gelognen Glanz zu geben, zeigt sich nur von weitem, damit das Auge der fern Stehenden nicht die Maskerade wahrnehme. Tag und Nacht blickt er angstvoll durch die Schießlöcher des Turms, ob keine Feinde nahen, seinem traurigen Leben ein Ende zu machen. Vierhundert Trabanten wachen unaufhörlich um die düstre Höhle des abgelebten Wüterichs, der sein Dasein nur noch durch Grausamkeiten zu erkennen gibt. Ihr dumpfer Zuruf erschallt jede Stunde dreimal von Posten zu Posten durch die einsame Stille, und jeder Schrei erinnert den Tyrannen an seine schreckliche Lage. Das Feld um das Schloß ist mit Fußangeln bestreut, damit keine Reuterei nahen kann, es zu überfallen. An den innern Mauern hängen Ketten, an welche große und schwere Kugeln geschmiedet sind, um seine gepeinigte Diener zu fesseln, wenn sie etwas verabsäumen. Rund um das Schloß sind Galgen aufgerichtet, und sein einziger wahrer Freund, der Henker Tristan, geht forschend umher, Opfer auszuspähen, um die Angst des Tyrannen durch ihre Hinrichtung zu mindern, denn in jedem Verurteilten sieht er einen Feind seines Lebens weniger. Zuzeiten schleicht er hinter die Scheidewand neben der Folterkammer, um die Bekenntnisse der Verdächtigen zu belauschen, ergötzt sich an ihren Qualen und findet Trost für die seinigen darinnen. Bedeckt mit Reliquien, an seinem Hut ein bleiernes Bild der Mutter Gottes, seiner vermeinten Beschützerin, [150] trinkt er das Blut der ermordeten Säuglinge, läßt sich von seinem Arzt martern, dem er monatlich zehntausend Taler bezahlt, bestürmt den Himmel mit unablässigem Gebet, stirbt jeden Seigerschlag und vermehrt bei jedem seiner Gedanken die Schrecken des Todes, dessen Namen auszusprechen bei Strafe des Hochverrats verboten ist.
So zeigte der Teufel Fausten den gefürchteten Ludwig, und Fausts Herz ergötzte sich an der Blässe seiner Wangen, an den Furchen, die die Angst auf seine Stirne gegraben. Er weidete sich an seinem Todesschweiß, an seinem beklommnen Atem und sättigte sich an seiner Qual. Schon wollte er dem ekelhaften Aufenthalt entfliehen, als ihm der Teufel ins Ohr raunte, den kommenden Tag abzuwarten, eine besondre Szene anzusehen. Der König hatte vernommen, daß in Kalabrien ein Eremit Martorillo lebte, den man in ganz Sizilien als einen Heiligen verehrte. Dieser Tor hatte von seinem vierzehenten bis zu seinem vierzigsten Jahr auf einem spitzen Felsen gelebt, seinen Körper durch Fasten gemartert und seinem Geiste alle Nahrung versagt; aber der Schein des Heiligen bedeckte den Dummkopf, und er sah bald die Fürsten wie den Pöbel zu seinen Füßen. Um diesen außerordentlichen Mann hatte Ludwig den König von Sizilien gebeten und hoffte seine Genesung von ihm. Er war nun eben auf dem Wege, und da er zugleich dem König die Erlaubnis von dem Papst mitbrachte, seinen ganzen Leib mit dem heiligen Öle von Reims schmieren zu dürfen, so glaubte er bald alle Schrecken des Todes zu besiegen. Der glückliche Tag erschien, der kalabrische Bauer nahte dem Schlosse, der König ging ihm bis an das Tor entgegen, fiel ihm zu Füßen, küßte seine Hände und bat ihn um Leben und Gesundheit. Der Kalabrer spielte seine Rolle so, daß Faust sich nicht enthalten konnte, bei der Farce in ein lautes Gelächter auszubrechen. Schon wollte ihn Tristan mit seinen Helfern ergreifen, es war um sein Leben geschehen, der Teufel entriß ihn ihren Klauen und flog mit ihm davon. Als sie in Paris angekommen waren, sagte Faust zu dem Teufel: »Dieses feige, niederträchtige, abergläubische, bebende Ding ist es also, vor dem die kraftvollen Söhne Frankreichs zittern und von dem sie [151] sich ohne Widerstand erwürgen lassen? Ein Totengerippe, in Purpur gehüllt, das kaum noch den Wunsch zu leben aus der Brust hervorkeichen kann? Und sie beben vor ihm, als ob ein gewaltiger Riese, dessen furchtbarer Arm von einem Ende des Reichs zu dem andern reichte, auf ihrem Nacken säße! Treten doch die feigsten Tiere vor die Höhle des Löwen, wenn kraftloses Alter den Räuber fesselt, und spotten des unvermögenden Würgers.«
TEUFEL: Dadurch eben unterscheidet sich der König der Menschen von dem Könige des Waldes. Dieser ist nur furchtbar, solange er Kräfte hat; aber da jener die Kräfte seiner Sklaven an seinen Willen bindet, so ist er gleich stark, er liege an der Gicht oder stehe in blühender Jugend an der Spitze der Heere. Fühlst du nun bald, daß es Wahn ist, der euch in allem leitet, euch zu Sklaven macht, eure Ketten zerbricht und euch wiederum neue schmiedet. So treibt ihr euch im ewigen Kreise herum, und ihr seid verdammt, immer den Schatten für das Wesen zu ergreifen. Damit nicht zufrieden, Unterworfne der Natur, eurer Leidenschaften und grenzlosen Begierden eines unsichtbaren, strengen Herrns zu sein, müßt ihr euch, um bestehen zu können und euch nicht in eurer Wut zu zerfleischen, einen euch nähern Tyrannen wählen, und damit euch dieser ohne Gefahr für ihn mißbrauchen möge, leitet ihr seine Rechte von dem ersteren ab. Dies war wohl das äußerste Maß eures Unsinns, ein Ding, das euch gleicht, zu vergöttern! Hadere mit dem, von dem sie diese Rechte erhalten haben wollen.
FAUST: Fasse es, wer da kann! Er schlug wider seine Stirne und seine Brust. Dieses hier und dieses da stehen im Widerspruch mit allem, was ich sehe, vernehme und fühle. Finstre Gedanken, wie plagende Dämonen der Nacht, ziehen in meinem Gehirne herum, und oft dünkt mich, die moralische Welt würde von eben einem solchen Dinge beherrscht, wie dieser Elende eines ist. Er mordet ohne Form und Recht, und so wird der Mensch gleich dem Stier gefällt, ohne es zu wissen, warum er bluten muß.
Faust fuhr in dieser Laune fort und spann seine dunkle Gedanken und Gefühle bis ins Abscheuliche aus. Der Teufel ergötzte [152] sich, da er ihn seinem Zwecke nahen sahe, stimmte ihn zu fernerm Herumstreifen, um ihn durch neue Szenen noch mehr zu verwirren. Als sie aus Paris ritten, sagte der Teufel:
»Schon wittre ich die künftigen, ungeheuren Taten, die diese blühende Stadt erschüttern werden.«
Auf dem Wege nach Calais sagte er oft:
»Bald werden diese Felder durch Bürger- und Religionskriege mit Leichen besäet werden. Jahrhunderte wird der Geist der Zwietracht wüten, und wenn der Despot des Mordens sollte müde werden, so wird ihn der Priester auf Befehl des Himmels zu noch schrecklichern Greueln reizen.«
8.
Faust und der Teufel flogen über den Kanal und kamen in dem Augenblick in London an, als sich der häßliche, mißgeschaffne Herzog Gloster zum Protektor des Reichs aufwarf und mit allen Kräften arbeitete, seines Bruders, des verstorbenen Königs, Sohn der Krone zu berauben. Den Vater hatte er mit Gift aus dem Wege geräumt und die Königin, die bei der Entdeckung seiner Absichten sich nach der Westmünsterabtei mit ihren Kindern flüchtete, schon dahin gebracht, ihm den Erben des Throns, der damals vierzehen Jahr alt war, mit seinem jüngern Bruder York auszuliefern. Sie übergab sie bebend und schien das Schicksal ihrer Söhne zu ahnden. Faust war Zuhörer, als der Doktor Shaw auf Befehl des Protektors dem erstaunten Volke von der Kanzel bewies, daß seine und des verstorbenen Königs noch lebende Mutter verschiedne Liebhaber in ihr Bette aufgenommen hätte, der verstorbene König im Ehebruch erzeugt sei und daß sich niemand vom königlichen Hause einer rechtmäßigen Geburt rühmen könnte, außer der Protektor. Er sah die Großen hinrichten, die diesem Plan nicht beitreten wollten, und der Teufel führte ihn in dem Augenblick in den Tower, da Tyronel den rechtmäßigen König von England nebst seinem Bruder York durch Meuchelmörder ermorden und an der Schwelle ihres Gefängnisses begraben ließ. Er war Zeuge der niederträchtigen Unterwerfung [153] des Parlaments und der Krönung des scheußlichen Tyrannen. Er war Zeuge davon, wie sich die Königin mit dem Mörder ihrer Söhne in Unterhandlung einließ, seine gewaltsame Thronbesteigung durch die Hand ihrer ältesten Tochter zu unterstützen, um im Glanz des Hofes und der Herrschaft erscheinen zu können, ob sie gleich durch die empörten Großen des Reichs mit ihrem künftigen Rächer, dem Grafen Reichmond, in gleiche Verbindung getreten war. Dieses brachte Fausten so auf, daß ihn selbst die Reize der schönen Engländerinnen nicht länger in dieser Insel fesseln konnten, er verließ sie im finstern Groll, denn so kalt und ohne allen Schleier hatte er noch nicht Verbrechen begehen sehen. Er war noch nicht in Rom gewesen. Als sie im Begriff waren, sich einzuschiffen, sagte der Teufel zu ihm:
»Dieses Volk, Faust, wird eine Zeitlang unter dem Joche des Despotismus seufzen, dann einen seiner Könige auf dem Blutgerüste der Freiheit opfern, um sie seinen Nachfolgern für Gold und Titel zu verkaufen. Übrigens ein wackres Volk im Laster und ein guter Rekrutierungsplatz für die Hölle.«
Hierauf führte er ihn nach Mailand, wo sie den Herzog Galeas Sforza am heiligen Stephanstage in der Domkirche ermorden sahen. Faust hörte die Meuchelmörder mit lauter Stimme den heiligen Stephan und heiligen Ambrosius anrufen, ihnen zu ihrem edlen Vorhaben den gehörigen Mut zu verleihen.
In Florenz, dem Sitz der Musen, sahen sie den Neffen des großen Kosmus, des Vaters des Vaterlands, in der Kirche Santa reparata in dem Augenblick an dem Altar ermorden, da der Priester den Leib des Herrn emporhub; dieses war das Zeichen zum Mord, welches den Mördern der Erzbischof von Florenz, Salviati, gegeben hatte. Der Papst hatte ihn zu dieser Tat durch seinen Neffen anwerben lassen, die Mediceer zu vertilgen, um in Italien zu herrschen; doch dieses gehört zur spätern Geschichte der Kirche.
Im Norden sahen sie wilde Barbaren und Trunkenbolde ebenso morden und verwüsten wie die übrigen aufgeklärteren Europäer. In Spanien fanden sie den Betrug und die Heuchelei unter der Maske der Religion auf dem Throne, sahen in einem Autodafé [154] dem milden Gott der Christen Menschen durch die Flamme opfern und hörten den Großinquisitor Torquemada gegen die heuchlerische Isabella und den trugvollen Fernando sich rühmen, daß das heilige Gericht bereits achtzigtausend verdächtigen Personen den Prozeß gemacht und sechstausend Ketzer wirklich lebendig verbrannt hätte. Als Faust das erstemal die Damen und Kavaliere auf dem großen Platz in all ihrem Glanz versammelt sah, schmeichelte er sich, einem Freudenfest beizuwohnen, da er aber die Elenden unter der Prozession der Gott lobenden Priester heulen und wehklagen hörte, überzeugte er sich bald, daß der Mißbrauch der Religion den Menschen zu dem abscheulichsten Ungeheuer der Erde macht. Er genoß indessen unter Verwünschung des ganzen menschlichen Geschlechts noch immer der Freuden des Lebens und der schönen Weiber in Engelland, Florenz und Spanien, fing endlich an zu glauben, alle diese Greuel gehörten notwendig zu der Natur des Menschen, der ein Tier sei, das entweder zerreißen oder zerrissen werden müßte.
9.
Der Teufel, der Fausten durch alle diese Szenen wund und durchglüht sah und bemerkte, daß sein moralischer Sinn durch das Beschauen dieser Schandtaten immer mehr in Rauch aufging, beschloß, ihn nun zum Nachtisch an den päpstlichen Hof zu führen. Diesen sah er als die reiche Quelle der Laster, als die größte Schule der Verbrechen an, woraus sie, von dem Oberhaupte der Religion und dem Statthalter Gottes gleichsam geheiligt, zu den andern Völkern Europas flössen. Er sagte zu Faust:
»Du hast nun gesehen, wie alle Höfe Europas sich gleichen und wie die Menschen regiert werden, laß uns jetzt nach Rom ziehen, um zu sehen, ob es mit der Kirche und der geistlichen Regierung besser steht.«
Der Listige schmeichelte sich, Alexander der Sechste, der damals die dreifache Krone trug und die Schlüssel zu dem Himmel und der Hölle in seiner Gewalt hatte, sollte seinem finstern Plan gegen Fausten den Schwung geben und seine eigne Rückkehr [155] in die Hölle befördern. Längst war er des Aufenthalts auf Erden müde, denn da er seit Jahrtausenden schon so vielmal dieselbe durchzogen hatte, so sah er doch, so sehr ihn auch die schwarzen Taten der Menschen ergötzten, nur immer das Alte. Das Einerlei ist so ermüdend, daß ein Teufel leicht das Dunkel dem Licht vorziehen kann, ihm zu entfliehen, da die Menschen aus dieser Ursache wenigstens die Hälfte ihrer Torheiten begehen, die sich nur zu oft mit Verbrechen enden.
Auf dem Wege nach Rom stießen sie auf zwei gegeneinander gelagerte Heere. Das eine kommandierte Malatesta von Rimini, das andre ein päpstlicher General. Die tückische Politik Alexanders, die den jungen König aus Frankreich nach Italien gelockt und dann zurückgetrieben hatte, arbeitete nun durch heimlichen Gift, Meuchelmord und offne Fehde, alle die Großen zu berauben, um aus ihren Herrschaften und Kastellen Fürstentümer für seine Bastarde zusammenzusetzen. Er fing zuerst mit den Schwächsten an und hatte dies kleine Heer ausgeschickt, dem Malatesta Rimini zu entreißen. Als Faust und der Teufel die Landstraße hinaufritten, sahen sie auf einer Anhöhe, unweit des päpstlichen Lagers, zwei stattliche Männer in einen sehr hitzigen Zweikampf verwickelt. Die Neugierde trieb Fausten näher, der Teufel folgte ihm, und sie merkten bald, daß sich die zwei erhitzten Kämpfer nicht zu trennen gedächten, bis einer dem Schwerte des andern erläge. Das aber, was Fausten am sonderbarsten vorkam, war eine schneeweiße Ziege, mit bunten Bändern geschmückt, die ein Schildknappe als den Preis des Sieges zu halten schien und mit welcher er ganz kalt neben den zwei Wütenden stund. Viele Ritter hatten sich auf der Anhöhe versammelt, um Zeugen des Ausgangs zu sein, den sie mit vieler Gleichgültigkeit abwarteten. Faust nahte sich einem von ihnen und fragte mit teutscher Ehrlichkeit, ob sich die zwei Herren wohl um die schöngeschmückte Ziege schlügen. Er hatte bemerkt, daß die zwei Champions bei jeder Pause mit vieler Zärtlichkeit nach der Ziege blickten und sie nach Rittergebrauch um Beistand bei der Gefahr anzuflehen schienen. Der Italiener antwortete ihm kalt: »Allerdings, und ich hoffe, unser General wird [156] ihn dafür zur Hölle schicken, daß er, ein unter seinem Befehl stehender Ritter, es gewagt hat, die schönste Ziege der Welt aus seinem Zelte zu entführen, während er herumritt, das Lager des Feinds zu erkennen.« Faust trat zurück, schüttelte den Kopf und wußte nicht, ob er wachte oder träumte. Der Teufel ließ ihn einige Augenblicke in dieser Verwirrung, endlich sagte er ihm was ins Ohr, wobei Faust errötete und das das Papier besudeln würde. Der Zweikampf ging mittlerweile immer hitzig fort, bis das Schwert des päpstlichen Generals eine Öffnung in dem Panzer des Ritters fand und ihn in seinem Blut auf den Boden streckte. Er blies seine Seele unter Flüchen weg und nahm mit seinem letzten Blick zärtlich von der Ziege Abschied. Der General ward von den Anwesenden frohlockend empfangen, der Schildknappe führte ihm die Ziege zu, er nannte sie seine Kamilla und streichelte sie unter süßen Liebkosungen.
Faust entfernte sich von dem Kampfplatz und wankte zwischen dem Kitzel zu lachen und dem Gefühl des Unwillens, als der Teufel ihm folgendes hinwarf:
»Faust, dieser lustige Zweikampf hat dich mit dem päpstlichen General bekannt gemacht; aber der gegen ihm über stehende ist nicht weniger merkwürdig. Dieser schlug sich auf Gefahr seines Lebens um eine weiße Ziege, und der andre hat schon zwei seiner Weiber, aus den besten Häusern Italiens, vergiftet und mit eigner Hand erdrosselt, um schnell von ihnen zu erben. Er freit wirklich um die dritte, und wenn er auf den Füßen bleibt, so wird sie vermutlich ein gleiches Schicksal haben. Beide sind übrigens sehr religiöse Männer, halten Prozessionen, widmen dem Himmel Gelübde und flehen ihn um Sieg an; für welchen glaubst du, daß er sich erklären müßte?«
Faust machte dem Teufel ein wildes Gesicht und ließ die hämische Frage unbeantwortet; der Teufel aber, der sich an seiner Prahlerei über den moralischen Wert des Menschen rächen wollte, unterließ nicht, noch einige bittre Glossen über die Liebhaberei des päpstlichen Generals und über die Schlechtigkeit des Menschen überhaupt zu machen, worauf Faust, der ihn eben auf der äußersten ertappte, noch weniger zu antworten fand.
[157] 10.
Der Anblick Roms und seiner großen Ruinen, auf welchen noch der mächtige Geist der alten Römer zu schweben schien, überraschte Fausten, und da er mit ihrer Geschichte ziemlich bekannt war, so erhub sich seine Seele bei der lebhaften Erinnerung und Vorstellung dieses einzigen Volks der Erde; aber die neuen Bewohner der ehemaligen Königin der Welt füllten sie bald mit andern und niedrigern Gegenständen. Auf des Teufels Rat kündigten sie sich als teutsche Edelleute an, die die Herrlichkeit Roms nach Italien gezogen, ihr Staat, Gefolge und Aufwand aber ließ mehr hinter ihnen vermuten. Die Äbte, Mönche, Matronen, Kuppler, Kupplerinnen, Scharlatane und Pantalons drängten sich zu ihnen und trugen ihnen ihre Dienste in dem Augenblick an, als das Gerücht ihrer Ankunft durch alle die Zünfte derer erscholl, die das bequeme Handwerk ergriffen haben, von den Lastern und Torheiten der Menschen zu leben. Sie trugen ihnen ihre Schwestern, Töchter, ihre Weiber und Verwandten an, malten ihre Reize und Vorzüge mit so feuriger Beredsamkeit, daß der von allen Seiten bestürmte Faust nicht wußte, wo er angreifen sollte. Da diese Kuppelei auf die possierlichste Art mit dem Gewand der zügellosen Üppigkeit und der strengen Religion zugleich bekleidet war, so dünkte es Fausten, dieses Volk brauche die Religion zu nichts anderm, als durch sie den Zuruf der innern empörten menschlichen Natur bei ihren Schandtaten und Greueln zu stillen und zu beruhigen.
Den Tag nach ihrer Ankunft erhielten sie eine Einladung von dem Kardinal Cäsar Borgia, einem der vielen Bastarde des Papsts; er empfing sie auf das prächtigste und nahm es über sich, sie Seiner Heiligkeit dem Papst vorzustellen. Sie ritten mit ihrem Gefolge in dem größten Staat nach dem Vatikan, und der Teufel küßte mit Fausten den Pantoffel Seiner Heiligkeit. Faust verrichtete dieses in dem Glauben eines wahren katholischen Christen, der den Papst für das hält, wofür er sich ausgibt, und der Teufel dachte bei sich: wenn mich Alexander kennte, ich würde ihn vielleicht zu meinen Füßen sehen. Nachdem die äußere Zeremonie [158] vorüber war, ließ sie der Papst in seine innere Zimmer einladen, wo er sich freier mit ihnen besprach. Hier wurden sie mit seinen übrigen Bastarden, der berühmten Lucretia und Francisco Borgia, dem Herzog von Gandia, bekannt etc.
Der Papst fand die Gesellschaft des schönen und gewandten Teufels Leviathans so sehr nach seinem Geschmacke, daß er von dem ersten Augenblick eine besondre Gunst gegen ihn äußerte, die, wie wir sehen werden, bald bis zu der äußersten Vertraulichkeit stieg. Faust hielt sich an den Kardinal Borgia, der ihm von den Genüssen und Freuden Roms ein so lüsternes Gemälde entwarf, daß er nicht wußte, ob er sich im Vatikan oder in einem Tempel der irdischen Venus befände. Dieser machte ihn mit seiner Schwester Lucretia, der jetzigen Gemahlin Alfonsos von Arragonien, genauer bekannt. Sie stellte die sinnliche Wollust in den gefährlichsten Reizen verkörpert vor und nahm Fausten auf eine Art auf, daß er wie bezaubert vor ihr stund und sich bei dem ersten Blick von dem Wunsche durchglüht fühlte, den Becher der Freude aus der Hand derjenigen zu empfangen, die ihn so schäumend darreichte.
11.
Faust und der Teufel waren in wenigen Tagen mit der päpstlichen Familie auf dem Fuß der Vertraulichkeit. Eines Abends wurden sie zu einem Schauspiel ins Vatikan eingeladen, welches Fausten mehr in Erstaunen setzte als alles, was er bisher am päpstlichen Hofe gesehen hatte. Man spielte die Mandragola. Der edle Machiavell hatte dieses Schauspiel geschrieben, um durch die Zügellosigkeit desselben dem römischen Hofe ein auffallendes Gemälde von den schlechten Sitten der Klerisei vorzustellen und ihm zu beweisen, daß sie die Quelle der Verderbnis der Laien sei. Er betrog sich hier in seinem edlen Zwecke, wie er sich später betrog, da er in seinem Fürsten die Greuel der Tyrannei der Welt aufdeckte. Die Tyrannen und ihre Stützen, die Mönche, verschrien den als Lehrer der Tyrannei, der sie ärger als ein Sterblicher haßte, ihr durch sein Werk einen tötlichen [159] Streich beizubringen suchte, und das verblendete Volk ließ sich von ihren Betrügern so betäuben, daß sie ihren Arzt als einen Vergifter ansahen. So ging es auch hier; die Mandragola wurde beklatscht, ergötzte viele Abende den päpstlichen Hof, und keiner außer dem Teufel und Faust merkte, daß die Satire Machiavells durch den Beifall des Papsts und der ganzen Klerisei um so giftiger wurde. Faust hörte von dem Papst, den Kardinälen, Nonnen und Damen Dinge beklatschen und preisen, die nach seiner Meinung selbst die üppigen römischen Kaiser nicht auf der Bühne würden geduldet haben. Aber dieses Staunen wurde bald von lebhaftern Szenen verdrängt, und er merkte, daß die Taten Alexanders und seiner Bastarde alles übertrafen, was die Geschichte zur Schande der Menschheit aufgezeichnet hat. Lucretia, welcher ihn seine reiche Geschenke noch mehr als sein kraftvolles Ansehen empfahlen, weihte ihn kurz darauf in die Geheimnisse der Wollust ein, und er fühlte in ihren Armen, daß der päpstliche Hof im Besitz von Geheimnissen sei, wovon die übrige blödsinnige christliche Welt nichts ahndete. Durch diese innige Verbindung entdeckte er ihr blutschändrisches Verhältnis mit ihren beiden Brüdern, dem Kardinal und dem Herzog, und da er sie eines Tags mit dem Papst, ihrem Vater, überraschte, zu dem er und der Teufel geheimen Zutritt hatten, so fand er, daß er sie nicht allein mit den Brüdern, sondern auch mit Seiner Heiligkeit teilte. Der einzige Mißhandelte war Alfonso, der die Ehre hatte, sich ihren Gemahl zu nennen. Nun sah Faust die Ursache des bittern Hasses des Kardinals gegen seinen Bruder ein, dessen Grund Eifersucht über die Gunstbezeigungen der Schwester war. Er hatte ihn oft schwören hören, er würde sich noch an ihm auf die blutigste Art rächen.
Wenn sich Faust den Tag über am Hofe und in der Stadt in allen Lüsten herumgewälzt hatte, so pflegte er gewöhnlich dem Teufel abends die Ohren über die Laster der Menschen zu ermüden. Ihr Anblick empörte ihn, ob er gleich weder Kraft noch Willen hatte, einer seiner Neigungen zu widerstehen. Gewöhnlich endigte er mit dem Ausruf: »Wie ist es möglich, daß ein solches Ungeheuer Papst werden konnte.«
[160] Der Teufel, der genau wußte, wie es bei seiner Wahl zugegangen (denn einer der Fürsten der Hölle war damals im Konklave), erzählte ihm:
Wie Alexander als Vizekanzler des päpstlichen Stuhls die Stimmen der Kardinäle gekauft und wie er diese, nachdem er seinen Zweck erhalten und sie ihn an die Erfüllung seines Versprechens erinnert, teils verjagt, teils unter verschiednem Vorwand auf die grausamste Art habe hinrichten lassen.
FAUST: Daß sie schlecht genug waren, ihn zum Papst zu machen, begreife ich, aber wie sie ihn ertragen, dies geht über meine Fassung.
TEUFEL: Die Römer sind sehr wohl mit ihm zufrieden. Er sorgt für den Pöbel, mordet, plündert die Großen und wird durch seine Verbrechen den päpstlichen Stuhl mehr in die Höhe bringen als alle seine Vorgänger. Können sie wohl einen bessern Papst wünschen als einen, der ihre Laster durch sein eignes Beispiel heiligt? der ihnen noch über die Indulgenzen durch seine Taten beweist, daß der Mensch vor keiner Sünde erschrecken muß?
12.
Der Papst hatte seinen ältesten Bastard Francisco in einem Konsistorium zum General des heiligen Stuhls gemacht, und der Kardinal faßte in demselben Augenblick den Entschluß, seinen Bruder auf die Seite zu schaffen, um seinem Ehrgeiz ein weiteres Feld zu eröffnen. Seine Mutter Vanosa hatte ihm vertraut, die Absicht des Papsts sei, dem Herzoge auf den Ruinen der Fürsten Italiens einen Thron zu errichten und durch ihn als den Erstgebornen alle die Anschläge zur Vergrößerung seiner Familie auszuführen. Der Kardinal, der die Meuchelmörder zu Hunderten in seinem Solde hatte, ließ seinen getreuen Dom Michellotto aufsuchen und hielt folgende Rede an ihn:
»Wackrer Michellotto, es sind nun schon fünf Jahre, daß mein Vater auf dem päpstlichen Stuhl sitzt, und noch bin ich das nicht, was ich sein könnte, wenn wir unsre Geschäfte etwas klüger betrieben hätten. Er hat mich zum Erzbischof, endlich zum Kardinal [161] gemacht; aber was ist dieses für einen nach Taten und Ruhm strebenden Geist? Kaum reichen meine Einkünfte zu dem Nötigen hin, und ich bin unvermögend, Freunde, die mir wesentliche Dienste tun, nach dem Wunsche meines Herzens zu belohnen. Bist du, Michellotto, nicht selbst ein Beweis davon? Sage, hab ich etwas von der großen Schuld abtragen können, die deine Dienste an mich einfordern können? Sollen wir denn immer nur stillesitzen und abwarten, bis Glück oder Zufall etwas für die tun wollen, die es nicht wagen, sich zu ihrem Herrn und Meister zu machen? denkst du, ein Leben, das ich im Konsistorium und der Kirche hinschmachte, sei für einen Geist wie der meine gemacht? Bin ich für diese Pfaffereien geboren? Hätte die Natur, ich weiß nicht warum, meinen Bruder Francisco nicht vor mir in die Welt gestoßen, würden nicht alle die Ehrenstellen, wodurch man allein große Aussichten befördern kann, auf mich gefallen sein? Würdest du, braver Michellotto, noch das sein, was du bist? Weiß mein Bruder die Vorteile zu nutzen, die ihm der Papst und das Glück darbieten? Laß mich an seine Stelle treten, und mein Name soll bald durch ganz Europa erschallen! Mich stempelte die Natur zum Helden und ihn, den Sanftern, zum Pfaffen. Wir müssen also den verhaßten Streich zu verbessern suchen, den uns der Zufall gespielt hat, wenn wir das erfüllen wollen, wozu wir geboren sind. Sieh uns beide an! wer kann sagen, wir seien von einem Vater? Und was liegt nun daran, daß er mein Bruder ist? Wer sich über andre erheben will, muß alle Hindernisse seines Emporsteigens mit Füßen treten und die weichlichen, schwachen Bande der Natur, Zärtlichkeit und Verwandtschaft vergessen; ja, wenn er ein Mann ist, auch wohl seine Hände in das Blut derer tauchen, die seinem unternehmenden Geist durch ihr Dasein Fesseln sind. So taten alle große Männer, so handelte der Stifter des unsterblichen Roms. Damit Rom werde, was er in ahndungsvollem Geiste sah, mußte sein Bruder fallen, damit Cäsar Borgia groß werde, muß sein Bruder bluten. Rom soll von neuem durch mich der Sitz eines mächtigen Königs werden, mein Vater soll mir die Leiter zu meinem Emporsteigen halten, und dann will ich unter ihm den Stuhl Petri zerschlagen, den Betrug [162] geheiligt hat, dieses Volk von dem schimpflichen Joche der Priester befreien und wiederum zu Männern und Helden machen. So sterbe der, der mir ein Hindernis ist, daß wir wachsen und der Welt zeigen können, was wir sind. Ob ich ihn nun gleich in der Dunkelheit der Nacht ohne allen Verdacht ermorden könnte, so will ich doch dir diese Tat überlassen, damit du ein noch stärkeres Recht erhaltest, meine künftige Größe und mein Glück mit mir zu teilen. Ich reise morgen nach Neapel, um als Legat der Krönung des Königs beizuwohnen. Meine Mutter Vanosa, die es, unter uns, müde ist, ihren unternehmenden Cäsar als Kardinal zu sehen, und früh den Helden in mir entdeckt und angefeuert hat, gibt mir, meinem Bruder und unsern Freunden heut ein Abendessen. – Mein Bruder wird spät in der Nacht zu einer uns gemeinschaftlichen Buhlerin schleichen, und ich müßte Michellotto schlecht kennen, wenn er den Weg zu seinem Palast zurück fände. Ich heiße Cäsar und will alles oder nichts sein.«
Michellotto faßte des Kardinals Hand, dankte ihm für sein Zutrauen, berief sich auf die Beweise seiner Treue und Ergebenheit und entfernte sich, um einige seiner Gesellen auf die Tat vorzubereiten.
Faust und der Teufel wurden zu dieser Abendmahlzeit gleichfalls eingeladen. Die Gäste waren sehr munter. Francisco überhäufte seinen Bruder mit Zärtlichkeit, ohne dessen Entschluß zu erschüttern. Nach dem Essen nahm Cäsar Abschied von seiner Mutter, um sich zu dem Papst zu begeben, seine letzten Befehle abzuholen; sein Bruder erbot sich, ihn eine Strecke Wegs zu begleiten, um das Vergnügen seiner Gesellschaft noch einige Augenblicke länger zu genießen. Faust und der Teufel folgten ihnen. Francisco trennte sich bald von dem Kardinal, nachdem er ihm vorher in das Ohr gelispelt, wohin er sich begäbe. Der Kardinal wünschte ihm lachend Glück, umarmte ihn und nahm Abschied von ihm. Er eilte nach dem Vatikan, endigte sein Geschäft, suchte die Meuchelmörder am bestimmten Orte auf und erteilte seine Befehle. Faust war bei der Schwester eines Principe abgestiegen, und der Teufel, der das schwarze Drama seiner Entwicklung nah sah, lenkte es so ein, daß er sich mit Fausten [163] in dem Augenblick an der Tiber befand, als Dom Michellotto den Leichnam des ermordeten Herzogs in den Fluß versenken ließ. Faust wollte auf die Mörder zusprengen, der Teufel hielt ihn zurück und sagte:
»Nahe nicht und halte dich still, daß dich keiner entdecke, ihrer sind Tausende in Rom, und du bist in dem Vatikan selbst an meiner Seite deines Lebens nicht sicher, wenn sie gewahr werden, daß du sie beobachtest. Der Ermordete, den sie nun versenken, ist Francisco Borgia, sein Mörder ist sein Bruder, und das, was du nun siehest, ist das Vorspiel von Taten, die einst der Hölle selbst Erstaunen abzwingen werden.«
Hierauf enthüllte er ihm das ganze finstre Gewebe und wiederholte ihm die Rede des Kardinals an Michellotto. Faust antwortete kälter, als der Teufel es erwartete:
»Ich fasse denn ihre Taten leichter als die Hölle, und was kann man wohl von einer Familie anders erwarten, wo der Vater und die Brüder blutschänderisch mit der Tochter und der Schwester leben? Der Papst nennt sich den Statthalter Gottes, die Menschen erkennen ihn dafür, und der, der ihn an seine Stelle gesetzt hat, scheint mit seinem Regimente zufrieden, was soll Faust dazu sagen, von dem die Kirche fordert, daß er ihn anbete; aber, Teufel, wer mir einer noch etwas Gutes von den Menschen sagt, den falle ich an wie ein wütendes Tier. Laß uns schlafen gehen, du hast recht, der Teufel ist nur ein Narr gegen unsereinen, besonders wenn wir im Priesterrocke stecken. O wäre ich in dem glücklichen Arabien geboren, ein Palmbaum meine Decke und die Natur mein Gott.«
13.
Das Gerücht von der Ermordung des Herzogs von Gandia erscholl bald durch Rom und ganz Italien. Der Papst ward davon so gerührt, daß er sich der wildesten Verzweiflung überließ und drei Tage ohne Speise und Trank blieb. Nachdem man endlich seinen Körper in der Tiber gefunden, gab er die strengsten Befehle, alle Mühe anzuwenden, die Mörder zu entdecken.
[164] Seine Tochter, die vermutete, woher der Streich käme, gab ihrer Mutter Vanosa Nachricht von dem strengen Entschluß des Papsts, und diese begab sich die folgende Nacht in das Vatikan. Der Teufel, der als Liebling des Papsts während seiner Trauer allein in seinem Zimmer bleiben durfte, entfernte sich bei der Ankunft der edlen Vanosa, suchte Fausten auf, der die Lucretia tröstete, und führte ihn an die Türe, folgen des Gespräch zu belauschen.
Als sie der Türe nahten, hörten sie diese Worte des Papsts:
»Ein Brudermörder und Kardinal! Und du, die Mutter von beiden, verkündigest mir dies mit einer Kälte, als hätte Cäsar einen der Kolonne oder Orsinis vergiftet! Er hat in seinem Bruder seinen guten Ruf ermordet, hat das Gebäude der Größe im Grund erschüttert, das ich durch meine Familie aufführen wollte; aber der Kühne soll der Strafe und meiner Rache nicht entgehen.«
VANOSA: Roderico Borgia, du hast bei meiner Mutter geschlafen, darauf bei mir, schläfst nun mit meiner und deiner Tochter, wer mag die zählen, die du heimlich ermorden und vergiften ließest? und doch bist du Papst, Rom zittert vor dir, und die ganze Christenheit betet dich an. Sieh, so viel kommt darauf an, in welcher Lage man sich befindet, wenn man Verbrechen begeht. Ich bin beider Mutter, Roderico, und wußte, daß Cäsar den Francisco ermorden würde.
PAPST: Ha der Abscheulichen!
VANOSA: Bin ich's, so bin ich es nur in deiner Schule geworden. Der kalte, bedächtliche, sanfte Francisco mußte dem feurigen, unternehmenden Cäsar Platz machen, damit dieser die glänzenden Hoffnungen erfülle, die du meinem Busen vertraut hast, als du den päpstlichen Stuhl bestiegst. Francisco war zum Mönch geboren, mein Cäsar zum Helden, und darum nannte ich ihn so im prophetischen Geiste. Nur er ist fähig, alle die kleinen und großen Tyrannen Italiens zu vernichten und sich eine Krone zu erkämpfen. Er muß Gonfalonier des päpstlichen Stuhls werden und die Borgias zu Herren von Italien machen. Ist dies nicht dein Wunsch? Hast du nur für Francisco gemordet und vergiftet? Würden diese Verbrechen uns nützen, wenn [165] Cäsar Kardinal bliebe und der ermordete Schwächling einst euren Raub verteidigen sollte? Nur von ihm kann ich Schutz erwarten, wenn du nicht mehr bist, er achtete seiner Mutter, während dieser Kalte mich vernachlässigte und dem Vater allein schmeichelte, von dem er seine Größe hoffte. Cäsar fühlt, daß ein Weib wie ich, die einen Helden gebären konnte, ihm auch den Weg zu unsterblichen Taten vorzuzeichnen weiß. Heitere dich auf, Roderico, und sei weise; denn wisse nur immer, die Hand des Mörders deines Lieblings wird von einem solchen kühnen Geist geleitet, die auch des Vaters nicht schonen würde, wenn er es wagen sollte, den Schleier aufzuheben, der diese nötige Tat verbirgt.
PAPST: Dein großer Sinn, Vanosa, erhebt mich, ob er gleich mein Herz durchschaudert. Francisco ist kalt, und Cäsar lebt, er lebe, sei der Erstgeborne, werde groß, weil es das Schicksal so haben will.
Er klingelte, ließ auftischen und war heitern Muts.
FAUST: Teufel, befreie die Welt von diesem Ungeheuer, oder du sollst die Wut empfinden, die mir sein Dasein einflößt.
TEUFEL: Sprichst du abermals Unsinn, die Sprache der Söhne des Staubs? Vergißt du, wer der Mann ist, wen er bildlich vorstellt? Wer ich bin? Was ich kann und darf?
FAUST: Du sollst!
TEUFEL: Geh und kühle deine Wut in den Armen seiner Tochter und Buhlerin; freue dich, so nah mit dem verwandt zu sein, der da bindet und löset, vielleicht, daß dir die Verwandtschaft am Tage der Rechnung nutzet.
14.
Francisco war vergessen, und der Papst sann nun, wie er dem verwegnen Geist Cäsars einen weitern Schauplatz zur Ausübung seiner gefährlichen Kräfte eröffnen möchte. Dieser krönte indessen den König von Neapel mit denen von seines Bruders Blut befleckten Händen, und Friedrich von Neapel zog daraus eine düstre Ahndung, in welcher er sich auch nicht betrog.
[166] Der Teufel sorgte dafür, daß Fausten von allem diesem nichts entging, und dieser sah mit hämischem Lachen alle die Kardinäle, die Gesandten von Spanien und Venedig dem Brudermörder, den sie alle dafür er kannten, bis an die Tore der Stadt entgegengehen, ihn darauf von einem großen Konsistorium empfangen und im Triumph zur Audienz des Papsts begleiten, der ihn mit vieler Zärtlichkeit empfing.
Vanosa legte die Trauer ab und feierte den Abend seiner Rückkunft mit einem Feste, wobei alle Großen Roms erschienen.
Bald hierauf zog Cäsar den lästigen Kardinalshut aus, vertauschte ihn mit dem Schwerte und ward mit allem Pracht zum Gonfalonier des päpstlichen Stuhls geweiht.
Der Teufel sah mit vielem Vergnügen, wie Faust den Wurm, der an seinem Herzen zu nagen anfing, durch die wildesten Genüsse zu betäuben suchte. Er sah, wie jeder schwarze Streich, den er erlebte, sein Herz mehr vergällte und sein verblendeter Geist sich immer mehr überzeugte, daß alles das, was er sah und hörte, in der Natur des Menschen gegründet sei und man sich ebenso wenig über diese Greuel zu verwundern habe als darüber, daß der Wolf ein Räuber sei, der alles ohne Schonung zerreiße, seinen Heißhunger zu stillen. Der Teufel unterstützte dies mit den Sophismen, die spätere Philosophen in Systeme gebracht haben, leerte die Schätze der Erde, schleppte Kleinodien zusammen, und Faust wütete unter den Jungfrauen und Matronen Roms, zerstörte tausend moralische und glückliche Verhältnisse der Familien und glaubte nicht genug an dem Menschengeschlecht verderben zu können, das, wie er meinte, der Verwüstung geweiht sei. Der Unterricht der Lucretia hatte längst seine Sinne vergiftet, und die Wollust seine dämmernde gute Gefühle so vernichtet, daß sich bald zu Menschenhaß Menschenverachtung gesellte, welche Empfindung, wie der Teufel ihn versicherte, die einzige ist, die den Mann von Verstand von dem Dummkopf unterscheidet. Die Bande der sanften Menschheit zogen sich in seinem Herzen zusammen, und er glaubte in der Leitung des Himmels die Hand eines Despoten zu entdecken, die, unbekümmert auf das einzelne, nur für den Gang und die [167] Erhaltung des Ganzen wache. Die Welt kam ihm nun wie ein stürmisches Meer vor, auf welches das Menschengeschlecht geworfen ist, von dem Winde hin und her getrieben, der diesen an einem Felsen zerschmettert, den andern in den Hafen bläst, und wo der Verunglückte noch dafür verantworten muß, daß er sein Steuer nicht besser geführt, ob man ihm gleich eines aus so schwachem Stoff gegeben, das sich an jeder daherrauschenden Welle zerbricht.
15.
Alexander hatte eine Lustjagd in Ostia veranstalten lassen. Es begleitete ihn daher ein großes Gefolge von Kardinälen, Bischöfen, Damen und Nonnen, welche letztere man wegen besondrer Verdienste aus den Klöstern gezogen, um die Gelagen reizender zu machen. Der Teufel war beständig auf der Seite des Papsts, und Faust war von der Lucretia unzertrennlich. Jeder überließ sich in Ostia dem Zug seiner tierischen Natur, und man beging in den wenigen Tagen Ausschweifungen, wobei ein Tiber und Nero noch etwas hätte lernen können. Faust hatte nun Gelegenheit, den Menschen, nach dem Ausdruck des Teufels, in seiner scheußlichen Nacktheit zu beobachten; aber was waren alle diese Szenen der Üppigkeit gegen die Anschläge, die der Papst, um sich von der Ermattung der Lust zu erholen, mit seinen Bastarden in Gegenwart Fausts und des Teufels faßte? Hier ward beschlossen, den Alfonso von Aragonien, den Gemahl der Lucretia, zu ermorden, um dem König von Frankreich einen Beweis zu geben, daß man willens sei, mit dem König von Neapel gänzlich zu brechen und ihm zur Eroberung der Krone Siziliens beizustehen. Ludwig der Zwölfte war schon durch Alexanders Vermittlung in Italien eingebrochen, und die Borgias sahen dadurch alle ihre Anschläge reifen. Lucretia übertrug diese blutige Tat ihrem Bruder und sah sich schon als Witwe an. Hierauf ward der Plan zu dem folgenden Feldzug entworfen, sich aller Städte, Kastelle und Herrschaften der Großen Italiens zu bemächtigen, jeden ihrer Besitzer mit seiner Nachkommenschaft zu ermorden, damit keiner am Leben bliebe, der einen Anspruch darauf zu machen [168] hätte und ihnen durch künftige Verschwörungen beschwerlich sein könnte. Um das Heer zu unterhalten, diktierten Alexander und Cäsar der Lucretia eine Liste der reichen Kardinäle und Prälaten, die man nach und nach vergiften wollte, um sie vermöge des Rechts des päpstlichen Stuhls zu beerben.
Nach dieser geheimen Beratschlagung begab man sich zu dem Abendessen. Der Papst war mit seinen Entwürfen und ihrer nahen Erfüllung so zufrieden, daß er sich der ausschweifendsten Laune überließ und den Ton zu einem Bacchanal angab, wozu man die Züge im Petron und Sueton suchen mag; doch er vergaß dabei der Sorge für den Staat nicht ganz und fragte in der Glut des Weins die Anwesenden, wie er es anfangen müßte, die Einkünfte des päpstlichen Stuhls zu erhöhen, um das große Heer einige Feldzüge durch zu unterhalten. Nach vielen Projekten schlug Ferara von Modena, Bischof von Patria, der würdige Minister Alexanders, durch welchen er die Ämter der Kir che an den Meistbietenden verkaufen ließ, vor, Indulgenzen unter dem Vorwand eines bevorstehenden Türkenkriegs durch Europa zu predigen, und setzte als wahrer päpstlicher Finanzier hinzu, der törichte Wahn der Menschen, ihre Sünden durch Gold abzukaufen, sei die sicherste Quelle des Reichtums eines Papstes.
Lucretia, die in dem Schoß ihres Vaters lag und mit Fausts blonden Locken spielte, sagte lächelnd:
»Die Rolle der Indulgenzen enthält solche abgeschmackte, veraltete und alberne Sünden, daß damit nicht viel zu gewinnen ist. Man hat sie in dummen und barbarischen Zeiten entworfen, und es ist einmal Zeit, einen neuen Sündentarif zu machen, wozu Rom selbst die besten Artikel liefern kann.«
Die von Wein und Wollust begeisterte Gesellschaft freute sich des glücklichen Einfalls, und der Papst forderte einen jeden auf, neue Sünden vorzuschlagen, zu taxieren, die zu wählen, die am meisten im Gange wären und folglich am meisten eintrügen.
BORGIA: Heiliger Vater, überlaßt dies den Kardinälen und Prälaten, sie sind am besten damit bekannt.
Ferara von Modena, Bischof von Patria, setzte sich als Sekretär nieder.
[169] EIN KARDINAL: Nun dann, so will ich beginnen, die Quelle des Reichtums zu öffnen. Schreibe, Ferara, ich gebe den Ton an, die andern werden schon ein stimmen. Absolution für jede von einem Priester begangne H – i, er begehe sie, mit wem er wolle, mit einer Nonne außer oder in dem Bezirke des Klosters, mit seiner Blutsseitenverwandtin oder seiner geistlichen Tochter. Mit Dispensation, alle Ämter der Kirche zu verwalten und neue Benefizien erhalten zu können, so er an den päpstlichen Schatz neun Goldgulden bezahlt.
PAPST: Gut! gut! Schreibt flugs neun Goldgulden, Bischof, und trinkt den Priestern, die sie bezahlen, Absolution zu.
Jeder Gast füllte sein Glas, und man schrie Chorus: »Absolutio! Dispensatio!«
PAPST: Ich sehe wohl, ich muß den andern Mut machen. Sie sehen diesen Augenblick mehr nach den Nonnen als auf meinen Vorteil. Bischof Ferara schreibt! Für die feinre Sodomie zwölf Goldgulden, für die gröbere funfzehen, er sei Laie oder Priester. Mit diesem Artikel allein hoffe ich meine Kavallerie zu unterhalten, und ich sehe voraus, daß mir ein großer Teil ihres Soldes zurückkommen wird.
CHORUS: Absolutio! Dispensatio den feinern und gröbern Sodomiten!
NONNE: He, was ist denn das? will sich niemand unsrer annehmen? Heiliger Vater, haben wir allein kein Recht auf Eure väterliche Gnade? Ich bitte Euch, laßt uns taxieren, daß auch wir in Ruhe sündigen mögen.
ALEXANDER: Recht, meine Tochter, und ihr sollt nicht schlechter gehalten werden wie die Priester. Schreibt, Bischof! Absolution für jede Nonne, die H – i treibt, es sei, mit wem sie wolle, mit ihrem Bruder, Blutsverwandten oder Beichtvater außer oder in dem Bezirke ihres Klosters, mit Dispensationen, allen Würden des Klosters vorzustehen, neun Goldgulden. Bist du zufrieden?
Das Nönnchen küßte ihm die Hand.
CHORUS: Absolutio! Dispensatio!
EIN BISCHOF: Nun dann! Absolution und Dispensation jedem Priester, der eine Beischläferin öffentlich unterhält, fünf Goldgulden.
[170] LUCRETIA: O der gemeinen alltäglichen Menschen! Hört auf mich! Absolution jedem Christen, der seine Mutter, Schwester oder sonstige Verwandtin beschläft, funfzehen Goldgulden.
CHORUS: Absolutio! Dispensatio!
FAUST den die ganze Szene wegen des Teufels entsetzlich ärgerte, der aber doch dem Borgia eins versetzen wollte: Absolution jedem Vater-, Bruder-, Mutter- und Schwestermörder, für drei Goldgulden.
PAPST: Ho ho, Freund, wo wollt Ihr hinaus, daß Ihr den Mord geringer anschlagt als H – i, da doch der erste die Menschen aus der Welt treibt und die letzte sie hinein?
CÄSAR BORGIA: Heiliger Vater, er will durch einen hohen Preis nicht von der Sünde des Mords abschrecken.
PAPST: Laßt es durchgehen.
TEUFEL: Cautela, ihr Herren! Aller gemeldeten Absolutionen und Dispensationen sind die Armen unfähig, sie sind des süßen Trosts der Kirche unwürdig und ohne Rettung verdammt. Ist es so nach eurem Sinne?
CHORUS unter starkem Gelächter: Verdammt sei alles, was kein Geld hat! Die Armen fahren ohne Trost der Kirche zur Hölle!
CÄSAR BORGIA: Weiter, ich eröffne eine ergiebige Quelle! Wer stiehlt, und sei es auch Kirchenraub, dessen Seele kann gelöst werden, so er der päpstlichen Kammer drei Teile vom Diebstahl abgibt.
CHORUS: Absolution den Kirchenräubern und allen Dieben, die mit dem päpstlichen Stuhl das Geraubte teilen!
PAPST: Du öffnest eine reiche Mine, Cäsar! schreibt Bischof! Es geht vortrefflich!
FAUST: Wohlauf, ihr Herren! Absolution für jeden, der Zauberei treibt und mit dem Teufel ein Bündnis macht. Wie hoch taxiert ihr den Fall?
PAPST: Mein Sohn, hiermit wirst du den päpstlichen Stuhl nicht bereichern. Der Teufel versteht seinen Vorteil nicht, man ruft ihn umsonst.
FAUST: Heiliger Vater, malt ihn nicht an die Wand und schlagt nur immer an.
[171] PAPST: Um der Seltenheit willen hundert Goldgulden.
FAUST: Hier sind sie, im Fall es mir gelänge, fertigt mir die Absolution aus und singt Chorus.
CHORUS: Absolution dem, der mit dem Teufel ein Bündnis macht. Der Bischof Ferara schrieb.
EINE ANDRE NONNE: Herr Bischof, da Ihr doch eben am Schreiben der Absolution für den Teufelsbanner seid, so fertigt mir auch eine Schrift, Ihr wißt schon für was, aus; hier ist mein Rosenkranz, er ist funfzehn Goldgulden wert, und ich behalte noch etwas Absolution übrig.
Ferara schrieb, und der Papst unterzeichnete.
TEUFEL: Glaubt denn Ew. Heiligkeit, daß der Satan des Fetzen Papiers achten wird?
Der Großinquisitor zog seine Hand aus dem Busen einer Äbtissin und schrie mit lallender Zunge:
»Wa-was ist das? Ich rieche Ketzerei! Wer ist der Atheist, der diesen Frevel gesprochen hat?«
Der Papst drückte dem Teufel den Zeigefinger leise auf den Mund und sagte: »Kavalier, dieses sind Staatsgeheimnisse! berühre sie nicht, denn ich darf selbst dich nicht retten, wenn der päpstliche Stuhl bestehen soll.«
Um dem Papst den Hof zu machen und das Gewissen zu beruhigen, öffnete jeder der Anwesenden seinen Beutel. Ferara rief noch einige Schreiber, man fertigte ihnen die Absolution aus, und jeder griff nach einem Gegenstand, um den übrigen Teil der Nacht Gebrauch davon zu machen. Nie wurden Sünden mit ruhigerm Herzen begangen.
Ferara von Modena schrieb diesen Tarif den folgenden Morgen ins Reine, übergab ihn der Presse 8 und ließ ihn in der Stille in der Christenheit herumlaufen.
[172] 16.
Cäsar Borgia vergaß des Worts nicht, das er seiner Schwester gegeben hatte. Alphonso von Aragonien ward an der Schwelle des Palasts des Gonfaloniere ermordet, als er sich eben zu ihm begeben wollte, einer Maskerade beizuwohnen, wozu alle Großen Roms eingeladen waren, die Vorstellung der Siege Cäsars anzusehen, die Borgia als Vorbedeutung der seinigen aufführen ließ. Bald darauf setzte er sich mit seinem Heere in Marsch, und nach einigen Monaten stahl der Teufel dem Papst folgenden Brief aus der Tasche, den er Fausten zu lesen übergab:
Heiliger Vater!
Ich küsse Ew. Heiligkeit Füße. Sieg und Glück haben mich begleitet, und ich ziehe sie hinter mir her wie meine Sklaven. Ich hoffe, Cäsar ist nun seines Namens würdig, denn auch ich kann sagen: ich kam, sah und siegte. Der Herzog von Urbino ist in die Schlinge gefallen, die ich ihm gelegt habe. Vermöge des Breves Ew. Heiligkeit bat ich ihn um seine Artillerie unter dem Vorwand, Eure Feinde zu bekriegen. Von allen den Gunstbezeigungen, womit wir ihm geschmeichelt haben, verblendet, schickte er mir durch einen Edelmann seine Einwilligung schriftlich zu. Unter dieser Maske sandte ich einige Tausende nach Urbino, die sich auf meinen Befehl der Stadt und des ganzen Landes bemächtigten. Leider ist er auf das Gerücht hiervon selbst entflohen, aber die mächtige und gefährliche Familie Montefeltro hat bezahlen müssen, und ich habe die ganze Brut vernichten lassen. Hierauf stieß der betörte Vitellozzo mit seinen Völkern bei Camerino zu mir. Ich ließ den Cäsar von Varano im Wahn, ihn mit guten Bedingungen aus Camerino abziehen zu lassen, und überfiel die Stadt in dem Augenblick, da er beschäftigt war, die Artikel der Übergabe niederzuschreiben. Ich hoffte der ganzen Familie durch einen Streich ein Ende zu machen, aber leider ist mir der Vater entwischt, seine beiden Söhne ließ ich erdrosseln und schmeichle mir, der Gram soll ihnen den Alten nachsenden. Bald darauf zog ich von Camerino aus und beorderte Paul Orsino, [173] Vitellozzo und Oliverotto mit ihren Völkern nach Sinigaglia, das sie nach meiner Anweisung bestürmten, um ihr künftiges Grab mit eigner Hand zu bereiten. Nun sah ich alle unsre Feinde in dem fein gesponnenen Netze, schickte meinen treuen Michellotto mit seinen Gesellen voraus, mit dem Bedeuten, daß jeder auf meinen Wink einen von unsern Feinden ergreifen sollte. Ich setzte mich in Marsch, die Betörten kamen mir entgegen, mir ihre Achtung zu bezeigen, und ließen nach meinem Wunsche ihre Mannschaft zurück. Ich führte sie unter Liebkosungen in die Stadt, und in dem Augenblick, als meine Völker ihre verlaßnen Haufen überfielen, faßte Michellotto mit seinen Angehörigen jeder seinen Mann. So machte ich mich zum Herrn der Länder und Schlösser derer, die wir mit der Hoffnung von Eroberungen über ihre Feinde betört haben. Die folgende Nacht ließ ich sie im Kerker erwürgen. Michellotto, dem ich dieses Geschäft übertragen, hat mir mit vielem Lachen erzählt, Vitellozzo habe um weiter nichts gebeten, als daß man ihn doch nicht ermorden möchte, bis er die Absolution seiner Sünde von Ew. Heiligkeit erhalten könnte. Man sage mir noch einmal, es gehöre Kunst dazu, sich zum Herrn der Menschen zu machen! Sobald Ew. Heiligkeit die Orsinis und die übrigen wird eingezogen haben, will ich ihnen den Pagola, den Herzog von Gravina und die andern gleichfalls ohne Eure Absolution nachsenden. Ich hoffe, Ew. Heiligkeit wird sich aus meinem Bericht überzeugen, daß ich der Krone wert bin, die ich mit Mut und Verstand zu erwerben weiß. Vorher hatte ich Faenza mit seinem Herrn Astor, einem überaus schönen Knaben von zehen Jahren, genommen. Er soll leben, solange er zu meinem Vergnügen dient, denn wahrlich, nie hat ein Sieger einen reizendern Ganymed zur Beute erhalten, und herrschte der lüsterne Jupiter noch, so würde ich den gefährlichen und mächtigen Nebenbuhler fürchten. Sollte Carraccioli, der General der Venetianer, dessen schöne Frau ich auf ihrer Reise aufheben ließ und die mir nun mit Astor die Arbeit würzt, nach Rom kommen, so empfehlt ihn dem Bruder meines Michellottos. Ich höre, daß er viel Lärmens macht, und da er ein hitziger Kopf ist, so muß man seiner Rache zuvorkommen.[174] Die Venetianer verstehen ihren Vorteil zu gut, als daß sie sich um seinetwillen mit uns überwerfen sollten. Das Geräusch der Waffen hat mich der Angelegenheiten meiner Schwester nicht vergessen machen. Der Abgesandte des ältesten Sohns des Herzogs von Este ist auf dem Wege, die Vermählung in seinem Namen mit ihr zu vollziehen, und ich hoffe ihr noch beizuwohnen. Wir sind nun der Kolonne, der Orsinis, Salviatis, Vitellozzos und all unsrer gefährlichen Feinde los! Laßt uns noch das Haus Este und Medicis vertilgen, Ludwig den Zwölften sich wie sein Vorgänger in Italien aufreiben, wer wird es dann noch wagen, gegen die Borgias aufzustehen? Ich küsse Ew. Heiligkeit die Füße etc.
Cäsar Borgia. Gonfalonier.
Faust sah nach Lesung dieses Briefs finster gen Himmel und rief: »Er ist dein Statthalter, nennt sich nach dir, dein Volk betet ihn an, und deine Gläubigen flehen ihn um Absolution ihrer Sünde in dem Augenblick, da er sie erwürgen läßt! Ein blutschändrischer Meuchelmörder vertritt deine Stelle auf Erden, Tyrannen geißeln und erwürgen deine Völker, du schläfst, und sie nennen dich ihren Vater! Ist alles Feuer in den Eingeweiden der Erde verloschen? hast du es ausgeblasen? vermag es nicht mehr durch die dicke Kruste der verfluchten Erde zu brechen, um die wahnsinnigen, die scheußlichen Verbrecher aufzuzehren? hast du alle Materie des Donners verbraucht? Sind alle die Funken verstoben, die du einst in glühendem Feuerregen über ganze Städte gossest? hast du ganz deinen Blick von dem Menschengeschlecht abgewandt, und sind sie deiner Rache so wenig mehr wert wie deiner väterlichen Fürsorge?«
Der Teufel lachte über diese Standrede und führte den Entflammten in das Vatikan, wo sie den Papst in großer Freude über das Glück seiner Waffen antrafen. Er hatte schon die Befehle gegeben, die übrigen der Orsinis, den Alviano, Santa Croce, die sonstigen Kardinäle und Erzbischöfe in die Falle zu locken, und wartete mit Ungeduld auf den Ausgang. Ganz Rom eilte zum Glückwunsch herbei. Die Bezeichneten wurden im Vatikan [175] festgenommen, nach verschiednen Gefängnissen gebracht und heimlich hingerichtet, während die Trabanten des Papsts ihre Paläste plünderten. Der Kardinal Orsini ward allein nach der Engelsburg gebracht und ihm die ersten Tage erlaubt, sich aus der Küche seiner Mutter besorgen zu lassen; da aber der Papst hörte, daß er seit seiner Gefangenschaft einen Weinberg für zweitausend Scudis verkauft hätte und eine wegen ihrer außerordentlichen Größe sehr kostbare Perle besäße, so entzog er ihm diese Gunst. Die Mutter der einst großen und blühenden Orsinis hüllte sich in Mannskleider, überbrachte dem Papst die zweitausend Scudis und die Perle, er nahm sie mit der Rechten und gab mit der Linken das Zeichen zur Hinrichtung des Kardinals. Dieser Zug machte Fausten so wahnsinnig, daß der Teufel allen seinen Witz brauchte, um ihn zu Verstand zu bringen. Er forderte nicht weniger von ihm, als das ganze Vatikan mit allen Borgias zu zertrümmern und die Menschheit an den Ungeheuern zu rächen.
Der Teufel anwortete: »Faust, ich wollte, aber es gelang mir nicht.«
FAUST: Ha, wie?
TEUFEL: Erinnerst du dich der Gefahr Alexanders vor kurzem?
FAUST: Ich tue es, denn ich wütete gegen den rettenden Zufall, der den rächenden Zufall fruchtlos machte.
TEUFEL: Zufall! rettender Zufall! rächender Zufall! Was denkst du unter diesem schallenden Geprassel von Worten? Und was für eine Art von Philosoph bist du, wenn du etwas darunter denken kannst? O der Menschen! o der Vernunft! Nein, Faust, ich war der rächende Zufall, um mich deiner hohen Gunst zu empfehlen, denn du wirst dich erinnern, daß du mir auftrugst, ihn zu verderben; aber der rettende Zufall kam von einer Hand, deren Macht ich in diesem Augenblick noch bebend fühle.
FAUST: Höllischer Gaukler! warte, ich will dich Beseßnen exorzieren. – Welche gefährliche Schlingen wirfst du nun wieder um mein törichtes Herz?
TEUFEL: Schlingen? Ich? Dir? Tor, spinnt sie nicht dein Herz aus seinen eignen Händen? Sei stolz darauf, daß deine Weisheit [176] und Torheit dein eignes Werk seien, ich bin nicht so vermessen, mich meines Einflusses da zu rühmen, wo man seiner so wenig bedarf. – Erinnerst du dich des sausenden Sturms in Hagel und Donner, der über Rom hinfuhr?
FAUST: Ich tue es.
TEUFEL: Ich hatte mich in den sausenden Sturm geschwungen, fuhr prasselnd in den Rauchfang des Vatikans, zersprengte ihn und das Dach, warf das Dach auf die goldne Decke des Zimmers, in welchem Alexander saß, auf neue Greuel sinnend, während er seine Horas betete. Über sein Haupt schossen die Balken – ich hoffte, sie sollten ihn zerschmettern. Plötzlich sah ich sie schweben über dem Haupte des Sünders, gefesselt von einer mächtigen Hand, gehalten von dünnen Fäden der Spinnen. Zur Warnung war er nur leicht verwundet – ich sah das ungeheure Gewicht schweben an den dünnen Fäden, Faust, Schauder überfiel mich, und schon wollt ich das Licht fliehen.
FAUST: Oh, daß ich dich Elenden für deinen halben Dienst, für deinen giftigen Bericht züchtigen könnte, wie es mein nun empörtes Herz heischt.
TEUFEL: Versuch es! Ich sage dir, es gehört zur Ordnung der Dinge, daß er noch mehr Verbrechen begehe. Die wachende Vorsicht beschützte ihn nur, daß er mutiger in Greueln werde; so befördert er vermutlich die verborgenen Absichten, die die Zukunft aufklärt.
FAUST: Und die, die durch ihn leiden?
TEUFEL: Ja, da ist deine hohe Weisheit in der Klemme. Dies ist die Angel, womit eure Philosophie die kühnen Forscher fängt und nach sich zieht, bis sie daran ersticken. Sei ruhig, Faust, dir soll bald Licht werden – und dieser Papst da, der soll mir nicht entgehen. Ich wittere den Augenblick seines Falls wie das leise Aufwallen der ersten Begierde zur Sünde – du wirst dich dran ergötzen, aber ob es die trösten kann, die durch ihn gelitten haben – He!
Der Teufel goß Öl in die glühende Flamme, und leicht konnte er nun Fausten beweisen, daß es nicht seine, sondern die Sache des Himmels sei, dem Bösen zu wehren, und er führte dieses [177] Thema so aus, daß Faust zwar von seinem Wahnsinn geheilt wurde, aber an einer noch gefährlichern Seuche erkrankte, denn er überzeugte sich nun völlig, der Mensch sei ein elender Sklave und sein Herr und Schöpfer ein grausamer Despot, der an seinem Unsinn und seinem Frevel einen Gefallen hätte, um ihn desto schärfer bestrafen zu können, ja der ihm geflissentlich alle diese seinem Glücke widersprechende Neigungen in das Herz gelegt hatte, um seiner Rache an ihm genugzutun. Die Tugendhaften und Gerechten hielt er für Toren, die den Bösen zum Raub und Fraße hingeworfen wären. Aber fürchterlich peinigte ihn Leviathans Vorspieglung der wunderbaren Rettung des Papsts, die ganz Rom bezeugte und ganz Rom nicht begriff.
Als Borgia erfuhr, daß der Papst seinen Anschlag ausgeführt hätte, ließ er seine übrigen Gefangnen nebst dem jungen Astor erdrosseln, zog in Rom triumphierend ein und teilte mit dem Papst und den übrigen Bastarden den Raub der Plünderung der Paläste.
17.
Die Hochzeit der Lucretia wurde bald hierauf mit allem asiatischen Pracht gefeiert, und jeder Römer strebte, dieses Fest durch allen möglichen Glanz zu verherrlichen. Den Tag der Vermählung läutete man alle Glocken, die Artillerie donnerte von der Engelsburg, man hielt Stiergefechte, spielte sittenlose Komödien, und das betäubte Volk schrie vor dem Vatikan: »Es lebe Papst Alexander! Es lebe Lucretia, die Herzogin von Este!« Faust brüllte mit und sagte zum Teufel: »Wenn nun dieses Geschrei mit dem Gewinsel der Ermordeten an das Gewölbe des Himmels anschlägt, wem soll der Ewige glauben?« Der Teufel beugte sich zur Erde und schwieg.
Um die Feierlichkeiten der Hochzeit zu krönen, hatte Alexander mit seiner Tochter auf den Abend eines Sonntags ein Schauspiel angeordnet, wovon bisher die Jahrbücher der Greuel der Menschheit noch kein Beispiel gegeben haben. Der Papst saß mit seiner Tochter auf einem Ruhebette in einem großen hellerleuchteten Saale, Faust, der Teufel und die übrigen zu diesem Fest [178] Erlesenen stunden um sie herum. Auf einmal öffneten sich die Türen, und es traten fünfzig reizende Kurtisanen in dem Stand der Natur herein, die nach dem wollüstigen Geflüster blasender Instrumente einen Tanz aufführten, den uns der Wohlstand verbietet zu beschreiben, ob gleich ein Papst die Stellungen dazu erfunden hat. Nach dem Tanz gab Seine Heiligkeit ein Zeichen zu einem Wettkampf, den wir noch weniger beschreiben können, und hielt den Preis des Sieges in den Händen, um die Kämpfenden mutiger zu machen. Die unparteiischen Römer riefen endlich Fausten als Sieger aus, Lucretia bekränzte ihn mit Rosen unter Küssen, und der Papst übergab dem wackern Teutschen als Preis des Sieges einen goldnen Becher, worauf Lucretia die Schule der Wollust hatte graben lassen. Faust schenkte ihn seinem feinsten Kuppler, einem venetianischen Mönch, bei dem ihn lange hernach der göttliche Aretino sah und seine berüchtigte Situationen darnach kopierte. Dieser Sieg kostete indessen Fausten soviel, daß er mit der letzten Kraft seines Körpers auch die letzte Kraft seines Geistes zerbrach. Der Teufel, der ihn nun zu seinem Zwecke völlig reif sah, frohlockte ihm lauten Beifall entgegen.
18.
Der Papst hatte bei der Vermählung seiner Tochter eine Kardinalsbeförderung vorgenommen, wozu er die reichsten Prälaten auslas, und da Cäsar Borgia zu dem künftigen Feldzug große Summen brauchte, so nahm er sich vor, einige davon bei einem Feste, das sein Vater auf der Villa gab, in die andre Welt zu schicken. Der Papst fuhr mit seiner Tochter, dem Teufel, Fausten, dem Borgia und der Gemahlin des Venetianers früh nach dieser Villa. Um der Lucretia ein neues Vergnügen zu machen, ließ er einige rosigte Stuten in den Hof führen, sie von feurigen neapolitanischen Hengsten bespringen, und dieses Schauspiel ergötzte Lucretia auf eine ganz besondre Art. Die Neuvermählte, von diesem Schauspiel gereizt, zog Fausten in ein Seitenzimmer, fand aber bald, daß seine Kleinodien einen dauerhafteren Wert hätten als er. Borgia begab sich mit der Venetianerin in ein andres [179] Seitenzimmer, und der Papst blieb mit dem Teufel allein. Die Gesichtsbildung Leviathans hatte schon lange besonders auf ihn gewürkt, und erhitzt von dem, was er gesehen, fing er an, dem Teufel gewisse Anträge zu machen, bei welchen sich dieser in ein wildes Lachen ausschüttete; da aber der Papst immer heftiger in ihn drang und er merkte, daß er in Gefahr sei, seine hohe unsterbliche Person von einem verächtlichen Menschen und gar von einem Papst besudelt zu sehen, so erwachte der schwarze Groll der Hölle in seinem Geist, und er stund in dem entscheidenden Augenblick in einer Gestalt vor ihm, die nie ein lebendes Auge gesehen, noch zu sehen wagen darf. Der Papst, der ihn gleich erkannte, erhub ein Freudengeschrei:
»Ah benevenuto, Signor diavolo! Wahrlich, du kannst mir zu keiner gelegnern Zeit erscheinen als jetzt, und schon lange habe ich deine Gegenwart gewünscht, denn ich weiß, wozu man einen so mächtigen Geist, wie du bist, brauchen kann. Ha! ha! ha! du gefällst mir weit besser so als vorher. Du Schäker du! Komm und sei mein Freund, nimm deine vorige Gestalt an, und ich will dich zum Kardinal machen, denn nur du allein kannst mich schnell auf die hohe Stufe heben, die ich zu ersteigen strebe. Ich bitte dich, hilf mir meine Feinde vertilgen, schaffe mir Geld und jage mir die Franzosen aus Italien, die ich nicht mehr brauche. Dies ist für einen Geist, wie du bist, das Werk eines Augenblicks, und du kannst zum Lohn von mir fordern, was dir gefällt. Nur offenbare dich nicht meinem Sohn Cäsar, er ist ein so großer Bösewicht, daß er mich selbst vergiften würde, um durch dich König von Italien und Papst zugleich zu werden.«
Der Teufel, den es anfangs ein wenig verdroß, daß sein furchtbares Äußere nicht mehr auf den Papst würkte, konnte sich doch endlich des Lachens nicht enthalten. Denn das, was er sah und hörte, übertraf alle Taten der Menschen, die die Hölle zu ihrer Ergötzung aufgezeichnet hat. Er sagte hierauf mit ernster Miene: »Papst Alexander, der Satan zeigte einst dem Sohn des Ewigen alle Herrlichkeit der Welt und bot sie ihm an, wenn er niederfiele und ihn anbetete –«
PAPST: Ich verstehe dich. Er war ein Gott und bedurfte nichts, [180] wäre er ein Mensch und Papst gewesen, er hätte es gemacht wie ich.
Er fiel nieder, betete den Teufel an und küßte seine Füße.
Der Teufel stampfte auf den Boden, daß die Villa erbebte. Faust und Lucretia, Cäsar und die Venetianerin sahen durch die losgefahrnen Türen den Papst vor der schrecklichen Gestalt des Teufels mit gefaltnen Händen knien, und dann rief dieser mit bittrem Hohne:
»Sodomie und dann Anbetung des Teufels! bei dem Satan, dem Herrscher des dunklen Reichs, ein Papst kann in keinem schönern Augenblick seines Lebens zur Hölle fahren.«
Er faßte den Bebenden, erwürgte ihn und übergab seinen Schatten einem Geist, ihn nach der Hölle zu fördern. Borgia sank vor Schrecken zusammen, und der furchtbare Anblick zog ihm eine Krankheit zu, die ihn außer alle Tätigkeit setzte, um alle Früchte seines Frevels brachte, und die schwarzen Taten der Borgias dienten nur zur Vergrößerung des päpstlichen Stuhls. Der erwürgte und scheußlich verstellte Papst wurde mit vielem Pomp begraben, und die Geschichtschreiber, die mit seinem tragischen Ende nicht so bekannt waren, wie ich es bin, erfanden die Fabel, die einesteils auf Wahrheit gegründet ist, er und sein Sohn hätten aus Versehen eines Dieners aus einer den Kardinälen bestimmten vergifteten Flasche getrunken und sich so in ihrem eignen Netze gefangen.
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