Der Journalist

Nichts leichter als dies, dachte ein brünetter, aber unsympathischer Jüngling und schickte ein Schreiben folgenden Inhaltes an die Chefredaktion des »Generalanzeigers«:

Gestern kam in den Mittagsstunden auf der wenig belebten Schwanthalerstraße infolge des Glatteises ein lahmer Greis zu Fall. Er ritzte sich seine Wange, so daß in Kürze der Schnee sich im Umfange von 1 cm blutrot färbte, konnte aber ohne ärztliche Hilfe, infolge Eingreifens eines Passanten, seinen Weg fortsetzen.

Diese Notiz erschien am nächsten Tage unter der Rubrik »Innerpolitisches« im »Generalanzeiger«, und der Jüngling, welcher sie entworfen hatte, empfing nach einem halben Jahr 60 Pfennig Honorar per Postanweisung. Dieser unerwartete Erfolg ließ seinen Stolz und seine magere Hühnerbrust beträchtlich schwellen. Er setzte sich in eine Gartenwirtschaft und bestellte sich ein paar Würstchen mit [54] Salat nebst einem halben Hellen. Darauf schrieb er:

Die Terrainspekulationen des Kommerzienrates Z. haben sich als im weitesten Umfang als unlauter und verfehlt herausgestellt. Die unsauberen Machenschaften sind enthüllt. Der Übeltäter sieht seiner Bestrafung entgegen. So soll es allen ergehen, welche am Mark des Volkes saugen.

Dieses Scriptum, ordentlich kuvertiert, sandte der strebsame junge Mann an das »Schreiende Unrecht«, ein Druckblatt zweifelhafter Observanz, in dem es am übernächsten Tage auf der ersten Seite in Fett- und Sperrdruck erschien unter der Marke: Enthüllungen aus der Finanzwelt. Großstadtkavaliere.

Nach knapp drei Monaten empfing unser junger Mann ein Honorar von 1,30 M. in Briefmarken. Er hatte wieder ein halbes Jahr zu leben. Nachdem diese Summe aufgebraucht war, beschloß er, an eine Aktion großen Stiles zu gehen. Er sandte ein Telegramm an die »Tägliche Berliner Kohlrübe«:

[55] Glänzend verlaufenes Gastspiel des Berliner Intimen Theaters in unserer Stadt. Applaus über Applaus. Kränze über Kränze. Direktor Gummiballon siebenunddreißigmal gerufen. Einige unverbesserliche Enthusiasten wurden am nächsten Morgen noch unter den Kleidern der Schauspielerinnen gefunden. Der Eindruck des Gastspiels ist ein unvergeßlicher.

Umgehend erhielt unser junger Mann eine telegraphische Postanweisung von 100 M. von der Direktion des Intimen Theaters. Er legte sie in Munitionsaktien an und setzte sich zur Ruhe. Aus seiner Hühnerbrust wurde ein Fettbauch. Er läßt sich nur noch Herr Doktor nennen. Seiner geschätzten Feder begegnet man nur noch selten in den Spalten unserer führenden Blätter. Er hat es nicht mehr nötig zu schreiben. Er hat sich auf indische Philosophie geworfen. An Stelle des Nabels betrachtet er seine dicke goldene Uhrkette.

[56]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek