Prolog zur Schillerfeier in Bern

1859


Nachdem wir nun begraben, was das letzte
Jahrhundert, das wir lebten, groß gemacht
Und reich, an Schicksal wie an Taten,
An hochgespanntem Denken und Empfinden,
Daß hier in einer Nacht die Haare bleichten
Und dort ein Tag ein Leben in sich trug
Erhöhten Seins, voll Geisterseligkeit –
So übrigt uns, gleich armen Ährenlesern,
Die Gräber überspringend, rückzugreifen
Und den erwählten Tagen nachzugehn,
Die all dies Leben uns ans Licht geboren.
Denn nach dem einzeln messen wir die Menschheit,
Bis uns das Maß der matten Hand entsinkt
Und wir dahingehn, ungewiß, ob einst
Das Ganze größer als der Teil wird werden.
Heut ist der Ehrentag der schwäb'schen Mutter,
Die ihre Freude an die Brust gelegt,
Nicht ahnend, was der Welt sie weihvoll brachte.
Ein weis Gesetz verhüllt, wie aller Liebe,
So auch der unschuldvollen Mütter Auge;
Denn wüßten sie, was sie auf Händen tragen,
So schlüge hochverwirrt ihr weiches Herz
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Vor Stolz und Wonne oder auch vor Grauen
Und stürmisch flöß dem Kind die weiße Nahrung,
Das erste süße Mittel wider 'n Tod.
Doch heute, wo der Tag sich hundertmal
Ruhmvoll erneut und hundertfältig leuchtet,
Heut schaun wir sehnsuchtsvoll den lichten Mann,
Den jene Sonne uns heraufgebracht,
Und sehen seine morgenrote Bahn
Mit hellem Vorwurf uns herüberglänzen
Auf dieses Brachfeld einer Zwischenzeit.
Und wo im weiten Reich des deutschen Wortes,
Und wo es wanderlustig hingezogen,
Sich überm Meer Kraft und Gestalt zu suchen,
Drei Männer sind, die nicht am Staube kleben,
Da denken sie bewegt an Friedrich Schiller
Und mit ihm an das Beste, was sie kennen!
Er aber ruft aus seinem ew'gen Morgen:
»Ich steh euch fest und steh euch unbezwinglich!
Und hilft's euch nicht, so steh ich euern Kindern,
Und auch den Kindern steh ich eurer Kinder,
Bis sie gelernt, mit reiner, starker Hand
Das alte Sehnen frei sich zu erfüllen
Und meisterlich zu leben, wie sie denken!«
Wir aber an der Grenzmark seiner Sprache,
Wir hier im alten ehrenreichen Bern,
Der neuen Bundesstadt der Eidgenossen,
Wir rufen seinen Schatten, wohlbewußt
Des, was wir tun, laut her in unsre Mitte!
Wir richten auf sein Bild in unsern Herzen
Und wissen zwiefach wohl, warum wir's tun!
Zwar lehret nicht die Not des Tages uns
Zu solchen Sternen aus Verzweiflung beten;
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Denn treulich fest bestehn wir unser Dasein
Und hoffen Daseinsrecht auch zu erhärten,
Sobald die Stunde nicht mehr säumt, die drohend
Uns einen Frager vor die Schwelle führt.
Ob wir in unserm Land gelassen hausen,
Ob regen Sinnes in die Ferne schweifen,
Wir schaffen allwärts recht und schlecht das Unsre;
Nie rühret uns, was unerreichbar ist.
Auch kitzelt uns nicht müßige Verehrung,
Ein Bild zu schaffen und es anzubeten,
Weil stolz bescheiden wir uns rühmen dürfen:
So manchen guten Mann wir unser nennen,
Die Quelle seines Wertes springt im Volke,
Und was er ist, dankt jeder dieser Quelle.
Und dennoch preisen wir des Tages Helden
Im wohlerwognen Sinn für künft'ge Tage.
Uns hat das Schwert das Vaterland gegründet,
Wie's uns behagt, ein warm gebautes Haus.
Die eigne Treu, dazu die Gunst des Himmels,
Ein freundlich Glück im Sturmgewog der Zeiten
Erhielten uns das Haus mit seinem Wappen.
Doch was der Väter Schwert nachhaltig schuf,
Was der Geschlechter treue Denkart wahrte
Und was des Himmels Sonne hell besiegelt:
Nicht ist es uns ein Bett der trägen Ruhe,
Der Buhlerin des grauen Unterganges!
Nein, rüstig leben wir und tun es kund
Im rastlos wachen Fleiß, der sich ergeht
In Talesgründen und auf luft'gen Höhen,
Und unsre hurt'gen Wasser treiben lachend,
Das Land durcheilend, tausend schnelle Räder.
Auf allen Meeren schwimmen unsre Güter,
Und wo die großen Völker ihre Märkte
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Wetteifernd halten, breitet auch der Schweizer
Rühmlich die reichgehäuften Waren aus.
Zugleich wird fort und fort das alte Schwert
Mit neuem Eifer vorbedacht geschliffen,
Dem ärmsten Mann im Land zu Trost und Freude.
In hellen Sälen wird Vertrag und Recht,
Gesetz und Ordnung forschend ausgebildet,
Wie es das wechselvolle Leben heischt;
Und selbst der Gegensätze zorn'ge Flammen
Besiegt die stärkre Hand des guten Willens,
Der nicht vergeblich in die Schule ging.
Doch ist der Augenblick uns nicht das Höchste!
Drum führt der kinderfrohe Schweizermann
Der Jugend Scharen auf die freien Fluren,
Da läßt er kühn sie in der Sonne spielen,
An Tage sinnend, wo er nicht mehr lebt;
Und denkt er ehrend der Vergangenheit:
Des Landes Hoffnung liebt er wie sich selbst.
Der Enkel Wohlfahrt wägt er als die eigne;
Das ist die schönste Krone, die ihn ziert.
Das ist das Wort! und mutig sag ich es:
Vorüber sind die halbbewußten Tage
Unsichern Werdens und dämon'schen Ringens!
Und freudig sag ich: Unserer Geschichten
Sei nur das erste Halbteil nun getan!
So gilt es auch, die andre schuld'ge Hälfte
Mit unerschlaffter Hand heranzuführen,
Daß hell das Ende, das uns einst beschieden,
Sich in des Anfangs fernem Glanze spiegle
Und daß es heißt: was diese werden konnten,
Das haben sie voll Lebensmut erfüllt!
Auf! schirrt die Wagen! bewimpelt eure Schiffe,
Ins Reich der dunklen Zukunft auszufahren,
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Ein einig, durchgebildet Volk von Männern,
Das redlich selbst sich prüft und kennt und dennoch
In ungetrübter Frische lebt und wirkt,
Daß seine Arbeit festlich schön gelingt
Und ihm das Fest zur schönsten Arbeit wird!
Zur höchsten Freiheit führt allein die Schönheit;
Die echte Schönheit nur erhält die Freiheit,
Daß diese nicht vor ihren Jahren stirbt.
Vollkraft und Ebenmaß gibt sie dem Denken,
Schon eh es sinnlich sich zur Tat verkörpert,
Und knechtisch ist das unschön Mißgestalte
Im Keim verborgener Gedanken schon.
Drum gelt es uns, ein hohes Ziel zu stellen:
Da nun die niedern Mächte überwunden,
Die gröbern Elemente sich gefüget,
Laßt uns der Schönheit einen Ort bereiten,
Daß sie das Eigenart'ge und Besondre,
Was uns beschränkt, frei mit der Welt verbinde
Und auch bei uns zugleich Gestalt erwerbe,
Sie, die oft heimatlos im Äther wohnt!
Sie klärt des Priesters Wort zur reinen Liebe,
Sie hellt dem Ratsmann trefflich den Verstand,
Sie macht des Kriegers Waffen scharf und glänzend;
Dem Werkmann adelt sie die harte Arbeit,
Erhebt den Kaufmann über die Gefahr,
Sein Herz in seinen Schätzen zu begraben,
Und schützt, wie vor dem Rost des rohen Geizes,
Vor weichlicher Entnervung seinen Sinn;
Und selbst der Leidenschaft, die nimmer stirbt,
Nimmt sie das Gift, das zum Verderben führt.
Um alle windet sie ein Zauberband,
Das gleich uns macht im edlem Sinn des Wortes,
Wertvoll und fähig zu der Freiheit Zwecken.
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Nicht ist's die Schönheit, die Despoten pflegen,
Der Unterworfnen blödes Aug zu blenden,
Mit trügerischem Reiz das Land betörend!
Und nicht die Schönheit, die verfallne Völker
Mit Tonnen Goldes auf dem Markte kaufen,
Zum Histrionendienste sie zu zwingen!
Nicht ist's die Schönheit, die voll Eitelkeit
Und Selbstsucht sich mit Pfauenfedern schmückt
Und wie der Pfau von allen Dächern kräht!
Und nicht die Schönheit, die, das Aug verdrehend,
Mit matter Salbung schale Heuchler pred'gen,
Die auf den Gassen mit der Halbheit buhlen,
Der Dinge Wesen schwächlich übertünchend,
Und mit dem unerschöpften Redeschwall
Die Kraft zur schönen Tat im Keim ersticken!
Die Schönheit ist's, die Friedrich Schiller lehrt,
Die süß und einfach da am liebsten wohnt,
Wo edle Sitte sich dem Reiz vermählt
Und der Gedanken strenge Zucht gedeiht!
Die Schönheit ist's, die nicht zum Ammenmärchen
Die Welt uns wandelt und das Menschenschicksal,
Zaghaft der Wahrheit heil'gem Ernst entfliehend –
Nein! die das Leben tief im Kern ergreift
Und in ein Feuer taucht, draus es geläutert
In unbeirrter Freude Glanz hervorgeht,
Befreit vom Zufall, einig in sich selbst
Und klar hinwandelnd wie des Himmels Sterne!
Die Schönheit ist's, die Friedrich Schiller lehrt
Und die mit eignen Tagen er gelebt,
Die jugendlich, ein schäumender Alpenstrom,
Die erste Kraft im jähen Felssprung übt,
Dann aber sich vertieft im klaren See
Und auferstehend aus der Purpurnacht
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Dem Meer der Ewigkeit und der Vollendung
Kraftvoll mit breiter Flut entgegenzieht!
Ist uns ein Stern und Führer nun vonnöten,
Des Schönen Schule stattlich aufzubaun:
Er ist der Mann! Ihn führen wir herein
In unsre Berge, deren reine Luft
Im Geist in vollen Zügen er geatmet
Und sterbend in ein Lied hat ausgeströmt,
Das uns allein schon eine hohe Schule
Der wahren Schönheit ist, wie wir sie brauchen!
Die das Gewordene als edles Spiel verklärt,
Das seelenstärkend neuem Werden ruft,
Daß Dichtung sich und kräft'ge Wirklichkeit
In reger Gegenspieglung so durchdringen,
Wie sich, wo eine wärmre Sonne scheint,
Am selben Baume Frucht und Blüten mengen,
Bis einst die Völker selbst die Meister sind,
Die dichtrisch handelnd ihr Geschick vollbringen.
Ein großer Torso ist's, den heut wir feiern,
Dem allzufrüh das große Leben brach;
Und unermeßlich ist, was ungeschaffen
Er mit hinab zur Nacht des Todes trug!
Doch jeder Teil von ihm, der uns geblieben,
Birgt in sich eine Welt urweiser Schönheit,
Vollendet ans Unendliche sich knüpfend,
Und lehrt uns so zu handeln, daß, wenn morgen
Ein Gott uns jählings aus dem Dasein triebe,
Ein fertig Geistesbild bestehenbliebe.
Was unerreichbar ist, das rührt uns nicht,
Doch was erreichbar, sei uns goldne Pflicht!

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