Bey dem Eheverbündniß meines jüngsten Bruders Ernst Daniel Hempel

Berlin, den 24. April 1765.


Du trauest, mein geliebter Bruder,
Dem Herrscher, der die Fluren tränkt
Aus seinem Himmel, und das große Steuerruder
Von aller Menschen Schicksal lenkt.
Du denkst in feierlicher Stunde
Zurück an Deiner Jugend Pfad;
Die Dornen machten Dir schon eine tiefe Wunde,
Als kaum Dein Fuß die Welt betrat.
[113]
Als sich Dein Arm um meinen Nacken
Noch kindisch wand, als Du den Sarg
Des Vaters nicht gekannt, wo ihre nasse Backen
Die Mutter unterm Flor verbarg.
Du wuchsest mancher Noth entgegen,
Zu früh verwaiset warst Du so
Zur Sklaverei bestimmt, wie Israel zu Schlägen
Im Frohndienst eines Pharao.
Dich armen lastbeladnen Knaben
Zog oftmals die Melancholie
Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,
Da seufzest Du: »ich kannt' ihn nie.«
Da sankst Du traurig auf den Hügel,
Der Deiner Mutter Staub bedeckt,
Bis ein Posaunenschall des Grabes Thor und Riegel
Zersprenget, und die Todten weckt.
Du weintest laut auf jenem Sande,
Der unsern Herzen heilig heißt,
Nahmst einen Stab und giengst in unbekannte Lande
Mühselig, wie ein Wandrer reist.
[114]
Der Mutter sterbendes Gebete,
Ihr letzter Seufzer ging mit Dir
Durch Labyrinthe fort, durch Wälder, Meer und Städte,
Ihr Engel brachte Dich zu mir,
Zu einer Schwester, die den Finger
Des höchsten Weltregierers kennt,
Und seine Führung preist, und täglich sich geringer
Als tausend andre Menschen nennt.
O Bruder, trüge meine Töne
Der Nachhall bis zur Sternenwelt,
Würd' unsrer Mutter jezt das Bildniß ihrer Söhne
Mit Blumenkränzen vorgestellt,
Und dieses Beispiel einer ächten
Getreuen Liebe; Deine Braut:
Dann fühlte sie noch mehr die Wonne des Gerechten,
Der Gottes Angesichte schaut.
Ich höre Flügel sich bewegen,
Mein Bruder, horche doch, es bringt
Vielleicht ein Engel von dem Himmel einen Seegen,
Den unsre Mutter jezt erringt.
[115]
Dein Herze fühlet stärkre Schläge
Von Hoffnung und von Zuversicht,
Und Du befiehlst getrost dem Herren Deine Wege,
Und sorgest für die Zukunft nicht.
Und siehst auf ihn, der alle Nester
Verlaßner Raben unterhält,
Und Deine tief in Staub herabgeworfne Schwester
Zum Wunder machte vor der Welt.
[116]

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