M. an Tr.
Dieses Vergnügen scheinet mir gleichfals durch ihr angenehmes Schreiben zuwiederfahren/ nachdem ich sie eine Zeitlang nicht ohne geringes Leidwesen auf der wilden See der unordentlichen Liebe in gröster Gefahr erblicket; Sie aber nunmehro berichten/ daß sie die eusserste Noht die Tugend habe ergreifen lernen/ wodurch sie glückich entkommen. Ich umarme sie mit vieler Zärtlichkeit; wenn sie anderst den wahren Port ihrer Glückseeligkeit [212] erreichet haben/ und es ihnen nicht wie den Seefahrenden ergehet/ die nach einem harten Sturm frolocken/ indem sie von ferne Land sehen/ und zwar mit den Augen voraus segein/Leib und Seele aber diesem ungetreuen Element annoch anvertrauen müßen.
Sie vergeben mir/ geliebter Freund/ daß ich ihnen meine Gedancken allhier aufrichtig schreibe. Vieleicht sind sie dem Vergnügen/ so ihnen Syrene erwecket/ noch nicht so feind/ daß sie selbibiges nicht von neuen von ihr/ oder auch von einer andern schönen annehmen solten/ wenn sie darzu [213] gewünschte Gelegenheit bekämen? Lieget nun in der Tiefe ihres Hertzens eine solche Begierde annoch verborgen: so werde ich zwar anitzo ihre eingebildete Gemühts-Ruhe umreißen/ aber ihre wahre desto mehr zu befestigen suchen. Die meisten Menschen reden von der Tugend/ wenn es ihnen in der Ausführung ihrer Begierden übel gehet/ und meinen/ sie bekommen da durch die Zufriedenheit alsobald/ welche die Tugend in dem Hertzen zeuget/ üm den Schmertzen zu lindern/ den sie wegen des ersten empfinden. Allein es ist vergebens: in solchem Fall verwandelt sich die Tugend in dem Munde/ wie die bittern Pillen in Galle/ wenn sie nicht bald hinein geschlungen werden. Gleichwohl kan diese Beschaffenheit ihres Gemühts der Anfang seyn/ die rechte Glückseeligkeit zu erlangen. Ein Bündnüß zu trennen/ geht nicht leichter an/ als wenn einer von den confœderinten schwürig ist. Divide & impera. Ist eine Maxime der klügsten Könige/ den Erden-Kreiß zubezwingen; und so muß die kleine Welt von der Weißheit bestegt werden/wenn wir in dem Laufe unserer Begierden an manchen Felsen der Wiederwärtigkeit stoßen/ und empfinden/ daß die Lüste niemahls ohne innerliche Qvaal sind/ und ein Hertz/ das sich denselben ergiebet/ in unaufhörlicher Unruhe schwebet.
Sie wolten nun gern/ im Lieben glücklich- und unglücklicher Freund/ die wahre Glückseeligkeit erreichen/ dadurch das Gemüht in einer stillen und süßen Ruhe/ unaufhörlich lebet. Sie verdammen die Wollust/ sie rühmen die Tugend? allein ich fürchte/ sie glauben entweder nicht recht/ das höchste Gut in der Ausübung der Tugend zu finden/ oder sie haben nicht Muht genug/ daßelbe zuerjagen. Sie haben zwar einen Mund voll saltzigen See-Waßers der Wollust/aber vieleicht noch wenig von der Anmuht geschmecket/ die aus der Tugend fließet; nach einer unbekandten Sache ist aber unsere Begierde nicht starck. Doch vieleicht ist meine Furcht umsonst/ und sie sind durch die Weißheit so weit erleuchtet/ zu erkennen/daß alle andere Güter voller Eitelkeit und Marter/ die Gemühts-Ruhe aber allein am vortrefflichsten sey. Dieses ist herrlich/ und ein Haupt-Stück der grösten Schätzbarkeit der Welt; gleichwohl aber noch nicht genug/ solches mit dem Verstande zu begreifen/ sondern wie ein Jäger das allerbeste Wild so lange verfolget/ biß er solches erjaget: so jaget man durch die Ausübung der Tugend dem jenigen nach/ was die Weißheit vor das gröste unter allen Gütern erkandt.
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Wie nun die Seelen was Himmlisches sind: so müßen sie/ wenn sie sich von dem irdischen gerißen/in unaufhörlicher Würckung des guten dem Himmel gleich werden/ als welcher in steter Bewegung ist. Was hilf es einem/ der einen Felsen hinauf mit großer Mühe geklettert/ wenn er einschlaffen wolte? Man sitzet alda/ wie auf der Spitze der Tugend in großer Gefahr/ herunter zu stürtzen. Darum muß eine unermüdete Wachsamkeit uns vor dem Fall bewahren. Denn wieder hinauf zu steigen/ finden sich große Hinderniße. Und wenn wir die Höhe abermahl erlanget; müßen wir in gleichen Sorgen stehen/ und handeln also klug/ wenn wir unser Gemüht im Anfang in steter Muntrigkeit erhalten: weil wir die mühsamen Wege ungern so offt steigen/ und uns endlich/ wenn unsere Fehler uns etliche mahl herunter geworfen/eine höchst schädliche Unmöglichkeit vorstellen/oben zu bleiben/ wodurch ein [216] niedriges und an der Erden klebendes Leben erfolget.
Allein ist denn die Liebe Tugend gantz und gar zu wieder? Sie führen/ erfahrner Freund/ gar artig in ihrem Schreiben an/ wie sich ihre Liebe zu Syrenen unter der Masque eines edlen Triebes verstecket/ und daß es ihnen wie jenem blinden auf der Reise ergangen sey/ der eine erfrorne Schlange vor einen Geld-Beutel anfühlet/ und sie in den Busen steckt; ob ihn gleich sein sehender Gefehrte davor gewarnet; biß er endlich/ nachdem sie warm geworden/ die Schlange an ihren tödtlichen Stichen erkandt. Die Liebe macht es nicht anders. Im Anfange kommt sie uns als etwas schätzbares/ als eine reine Freundschafft vor/ die gleichsam so keusch/ als der Himmel selber zu nennen. Allein wenn wir dieser Betrügerin nicht alsobald wiederstehen: so nimt sie unsere Sinnen ein/ fäßelt die Vernunfft/ und feuret das Hertz an/ biß wir/ wenn wir in den verbothenen Apfel gebißen/ die Augen aufthun/ und erkennen/ daß wir die Schlange der verdamlichen Wollust in unsern Busen ernehret haben.
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Demnach bleibet das sicherste Erkenntniß Mittel dieses: daß keine Liebe/ keine Freundschafft den wahren Adel der Tugend besitzet/ die so beschaffen/daß wir nicht ohne das andere ruhen können. Diese Unruhe zeiget eine starcke Wollust des Leibes an/welche die stille Lust des Gemühts zu Grunde richtet. Sie bemercket eine Herrschaft/ die der edlen Freyheit schimpflich/ und uns zu den verächtlichsten Sclaven macht.
Wie sie nun vernünfftiger Hertzens-Freund/ dieses und was mehr von der Würckung so wohl [218] der unordentlichen/ als auch geruhigen Freundschaffts Liebe kan gesagt werden/ wohl erkennen; und dadurch bey mir so viele Hoffnung machen/ das Vergnügen zu erlangen/ sie als einen glückseeligen Freund hinführo zu lieben: so kan ich nicht vorbey/ die Ursache ihrer vorigen Liebe mit ihnen zu betrachten/ wenn sie schreiben:
Ich fand ein schönes Kind/ mit ihr ein neues Leben etc.
Das ist wohl das Irrlicht/ welches die meisten Leute bey der Nacht ihres verfinsterten Gemühts verführet. Auch die Tugendhafft seyn wollen/ grüßen das schöne Frauenzimmer lieber/ als das heßliche/ und machen hierdurch der Wollust manchen Reverenz. Die Schönheit ist an sich ein Lobens-Würdiges Gut; kan auch bey recht weisen gute Gedancken erwecken/wenn sie von der äußerlichen Schönheit/ auf die Schönheit des Gemühts/ und endlich auf den Ursprung aller Schönheit/ nemlich auf Gott gehen/ und denselben in seinen schönen Wercken verehren. Allein man muß seine Augen an dieser Sonne nicht zu lange und unbedachtsam weiden/ wo wir nicht verblenden wollen.
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Die Schönheit in keuschen Frauenzimmer versehret so leicht nicht: indem aus ihren Augen zugleich ein Strahl der Tugend leuchtet/ der noch viele zur Ehrfurcht beweget. Doch können sich die Mücken auch an dem reinsten Lichte verbrennen; Und weil die wenigsten Schönheiten Tugendhafft: so ist es gefährlich/ ihnen lange in die Augen zu sehen/ und darinnen unserer größeren Reitzung ihre eigene Begierde zur Wollust/ als in einen unbetrüglichen Spiegel zuerblicken. Wer ihnen nur gut ist/ wer die Aepfel von Sodom, die von außen schön und inwendig voller Aschen sind/ nur ein wenig liebet/ der zeiget/ daß er in dem Augenblick sein innerstes selber verwandelt/und die Keuschheit zu Pulver brennet.
Wenn also in natürlich wollüstigen Personen die Tugend ehemahls zu arbeiten hat/ so ist es bey dem Anschauen einer reitzenden Schönheit. Die Augen/als zwey unachtsame Thürhüter/ dürften mancherley schädliche Neigungen und Meinungen in das Hertz laßen/ wenn sich die Tugend nicht alda fest gesetzet/und anfangs alle fremde Gewalt zurück treibet; den weitern Streit aber durch eine kluge Flucht zu meiden suchet. Was lieben wir aber an der eitlen Schönheit des Leibes so sehr? was ist es vor ein vortrefflich Gut? [220] es ist ein Glantz/ ein Schein/ der entfleucht; der ein köstliches Begräbniß/ in welchem Schlangen und Würmer stecken; ein Feind/ der alle unsere Ruhe bekrieget und besieget/ und wird hinwiederum von der Zeit oder Kranckheit überwunden. Der anmuhtiges Frauenzimmer aus Geilheit ümarmet/ umfaßet einen Rosen-Stock/ daran die Rosen in kurtzen ausfallen/und ihm die Dornen an dem Hertzen liegen bleiben. Schönheit und Tugend aber ergetzen/ und machen das vollkommenste Geschöpff.
Also liebet man eine schöne Seele in einem schönen Leibe um desto mehr/ wie die Kunst in einem Bilde von Marmor, die Frucht in der Pflantze/ und den Geruch in Rosen. Nicht aber umgekehrt/ und der muß nicht Delicat seyn/ der Blumen/ welche sticken/nur deßwegen vor die Rase hält/ weil sie hübsch von Farben.
Sie haben mein wehrter Tr. die irrige Meinung erkennet/ daß Schönheit nicht schön/ und daß bey schönen Frauen-Zimmer nichts erlaubet sey/ auch nicht ein Kuß/ weil es heißt:
[221] oder:
Wer das kleine will/ weil auch das große: weil es an einer Ketten hängt/ und man keine Laster zu begehen anheben muß/ in der Meinung/ sich darinnen Maaß und Ziel zusetzen. Dieses hat tausend betrogen; und endlich auch viele/ wie sie selber gestehen/zur wahren Klugheit gebracht. Sie vergeben mir aber/daß ich die Erfahrung/ die aus unedler Liebe kömt/und sie anitzo rühmen/ nicht an sich preise. Wer unwißend darinnen ist/ ist am weisesten. Unschuldige kennen auch die Laster; und sind wegen ihrer niemahls befleckten Schönheit vortrefflicher/ als Lilien/die man von ihrer Unreinigkeir abgewaschen. Ihnen bleibt eine süße Freude/ daß sie niemahls in Koht gefallen; uns aber ein Abscheu in dem Gemühte übrig. Doch/ wie einer/ der Schiffbruch gelitten/ hernach desto vorsichtiger wird: so können uns die begangenen Fehler in so weit einen Nutzen verschaffen/ daß wir sie desto heftiger fliehen.
Dieser Entschluß gefället mir endlich am aller besten.
Der Liebe schlauen Trieb nicht wieder einzulassen.
Allein die vorhergehenden kommen mir gefährlich vor/ gleichsam als wenn in dem Meer/ darauf [222] ihr Tugend-Schiff anitzo gehet/ annoch verborgene Klippen wären. Sie schreiben:
Wolten Sie denn solche wieder lieben/ wenn ihre Gunst ihnen eigenthümlich wäre? Sie haben ja vorhero gestanden/ daß Syrene ein Sammel-platz der Wollust/ und sie lauter Fehler mit ihr begangen? Sie fassen sich/ wehrter und zur Tugend geneigter Freund/sie reissen die vorigen Begierden gäntzlich aus sich. Sie lieben nichts/ als was tugendhafft. Mit den Lasterhafften tragen sie Mitleiden/ und wieder die Laster einen Abscheu.
Menantes.
Fußnoten
1 1. Corinth. 13. v. 13.