Erster Akt
Der Meeresstrand einer kleinen Hafenstadt. Rechts Fischerhütten. Zwischen ihnen Netze zum Trocknen ausgespannt. Zur Linken eine ärmliche Matrosenschenke, davor Tische und Bänke. Hie und da spärliches Buschwerk. Im Hintergrund ist ein Fischerboot halb an den Strand gezogen. Jenseits der Meeresbucht in der Ferne blaue Bergketten.
Der alte Fischer, nachher seine Frau, treten aus der vordersten Hütte.
DER FISCHER
tut ein paar Schritte gegen das Wirtshaus hin, murmelt.
's ist niemand da.
Kehrt wieder um.
DIE FRAU
in der Tür ihrer Hütte stehend.
Nu, hast du ihrs gesagt?
Hast du sie angeredet um den Dienst?
FISCHER.
Sie hat ja doch kein Mannsbild in der Wirtschaft.
Wir lassen ihn. Ist alles eins.
FRAU.
FISCHER.
Kein Mensch!
FRAU.
Drei junge starke Mädel,
Ich weiß doch! Jesus, geh doch, red sie an!
FISCHER
geht gegen die Schenke, kehrt wieder um.
Von woher sollten denn drei Mädel da sein,
Wer sollten denn die sein?
FRAU.
Zwei städtische,
Und eine ist die Ilsebill vom Schneider.
FISCHER.
Für was sind die daher?
FRAU.
Na, Vater.
FISCHER.
So.
Nu ja. Ei so. Mit Branntwein und mit Bier
Macht sie nicht viel Geschäft, die Jensen.
[85]FRAU.
Nein,
's ist gar zu abgelegen. Aber so,
Das bringt schon dann und wann Matrosen her.
Die trinken dann halt besser in Gesellschaft.
So bitt sie doch, jetzt ist die Luft so schön.
Er möchte besser atmen.
FISCHER.
Das ist so
Das Ganze, was er hat: wenn das nicht wär,
So möcht man ihn grad in die Grube legen,
Und wär kein Mord. Denn wo kein Leben ist,
Ist auch kein Mord.
FRAU.
Na, geh jetzt, Vater, geh,
Und red dich nicht hinein.
FISCHER
kehrt wieder um.
Sie hat uns erst
Den Branntwein geben. Ich mag nicht schon wieder ...
FRAU.
So geh doch. Soll er ganz verkümmern drin
In der stinkigen Kammer? Und du bringst ihn
Doch nicht heraus mit deinem Arm.
FISCHER.
Du, Alte,
Was Glück ist so, das haben wir schon nicht:
Bei mir ein Tau, der halbe Arm ... schön, schön!
Bei ihm die Rah ... der Kopf. Da liegt er so,
Lebt nicht und stirbt nicht.
FRAU JENSEN
tritt aus der Schenke.
Nun, was macht der Sohn?
FISCHER.
Der Sohn, der macht nicht viel. Er liegt halt so.
Wir möchten Sie schön bitten, wegen ... weil
Ich ihn nicht tragen kann.
FRAU.
Wir möchten ihn
Ins Schiff hinlegen, daß er doch die Luft
Einatmet.
FISCHER.
's ist das einzige, was er hat.
FRAU JENSEN.
Wir tragen ihn heraus. Geh, Ilsebill,
Und eine von den Fischermädeln; welche
Ist denn die stärkere? ...
EINE STIMME
aus dem Hause links.
[86] Geh du!
ANDERE STIMME.
Ich mag nicht!
ERSTE.
Ich hab nicht Zeit!
ZWEITE.
Ich kämme mir mein Haar!
ERSTE.
Sie lügt, sie liegt im Bett!
ILSEBILL
tritt aus der Schenke.
Sie ist blond und voll, noch jung, doch mit Spuren des Verblühens. Sie geht hinüber gegen die Fischerhütte. Ruft nach rückwärts.
So kommt ihr doch!
DAS EINE MÄDCHEN
aus dem Fenster.
Hast du uns zu befehlen?
ILSEBILL
stampft zornig auf.
Komm, du Hex!
Vor Mitleid aufgeregt.
Er schaut aus wie ein Totes!
STIMME DER ZWEITEN
aus dem Haus.
Du, ich geh,
Ich möcht ihn sehn.
ERSTE
tritt vom Fenster zurück.
Nein, ich!
ZWEITE
drinnen.
Jetzt will ich gehen!
ERSTE
drinnen, schreit.
Sie riegelt mir die Tür!
ZWEITE.
Sie will mich schlagen!
ILSEBILL
an der Tür der Fischerhütte.
Kommt ihr einmal! Wär ich ein Bursch, ich schlüg euch!
Die beiden Mädchen, ziemlich hübsch, verwahrlost, treten aus der Schenke, gehen hinüber.
Ilsebill und das größere Mädchen tragen den Fischerssohn aus der Hütte in das rückwärts liegende Boot. Das kleine Mädchen geht neugierig hinterher. Der alte Fischer hilft mit dem linken Arm tragen.
DES FISCHERS FRAU
zu Frau Jensen; rechts vorne.
Zehn Tag liegt er nun so: seit in der Früh
Am letzten Mittwoch.
FRAU JENSEN.
Er steht schon noch auf.
FISCHERSFRAU.
Zehn Tag, zehn Nächte liegt er so: kein Bissen
[87] Im Mund, kein Tropfen Wasser durch die Kehle.
Sein Puls geht schwach, ein ungebornes Kalb
Im Mutterleibe drin hat stärkern Herzschlag.
FRAU JENSEN.
Nu, schlägt doch fort.
FISCHERSFRAU.
Am Mittwoch in der Früh
Seh ich ihn stehn und reden: da genau,
Wo Ihr nun steht, mit einem fremden Herrn.
Mutter, sagt er, ich fahr den Herrn hinüber,
Und zeigt über die Bucht, dann geht der Fremde
Ein bißl weg, und er tritt her an 'n Zaun
Und sagt: muß ein Engländer sein, drei Taler
Krieg ich, sagt er und lacht, und geht zum Schiff
Und richtet dem ein Kissen her zum Sitzen.
's geht Landwind. Nun, was denn? vor Sonnenaufgang
Was soll da gehn? Er bückt sich: da auf einmal
Schlägt der Wind um und packt von draußen her
Das Segel wie mit Fäusten, schlägt die Rah
Ihm dröhnend auf den Schädel; ohne Taumeln,
Eh ich aufschreien kann, fällt er ins Schiff ...
DER ALTE FISCHER
ist dazugetreten.
Und seitdem geht der Wind vom Meer herein,
Nicht eine Mütze voll geht umgekehrt,
Bald stark, bald schwach. Ich sitz an dreißig Jahr
Hier an dem Ufer, in den dreißig Jahren
Hab ich das nicht erlebt, Ihr merkt das nicht,
Ich merks, und was es ist ... 's ist nicht natürlich!
Der Fischer und seine Frau gehen in ihre Hütte, Frau Jensen in die Schenke. Die Mädchen stehen im Hintergrund und betrachten flüsternd den Regungslosen.
Von rechts her treten auf: der kurze Peter, der faule Klaus, der Portugieser, einer hinter dem andern, dann Elis Fröbom. Peter umschauend. Klaus tabakkauend, Elis den Blick starr zu Boden gerichtet.
PETER.
Hier sind wir.
PORTUGIESER.
Hier?
PETER.
Zur Stelle.
[88]Frau Jensen tritt aus der Schenke. Peter geht auf sie zu, schüttelt ihr die Hand. Die andern stehen hintereinander: Klaus phlegmatisch, der Portugieser neugierig, Elis den Blick zu Boden.
FRAU JENSEN
knicksend.
Vielleicht, die Herren treten hier herein,
Wenns so gefällig sein wird...
Die drei stehen verlegen.
PETER.
Geht! Die hol ich!
Springt nach rückwärts zu den Mädchen. Er bringt die Kathrine und Regine nach vorne. Indessen stehen Klaus und der Portugieser unbeweglich.
Elis hat sich auf eine der Bänke vor dem Wirtshaus gesetzt, ohne sonst auf jemand zu achten.
Peter bringt die beiden Mädchen zu den Matrosen.
Klaus nimmt Kathrine am Kinn.
KATHRINE
schlägt nach seiner Hand.
Pfui, Tran!
FRAU JENSEN
weist auf Elis.
Was ist mit dem? Gehört der nicht zu euch?
PETER
halblaut.
Das ist ein Neriker, laßt den in Ruh.
Wo der her ist, da scheint die Sonne nicht,
Da füllt ein blasses Licht, dem Mond vergleichbar,
Höhlichte Täler, dran das Elchwild äst,
Da sitzt der Nöck am Wassersturz und singt.
Schau sein Gesicht nur an, ists nicht so schleirig
Wie Eulen ihrs? Sein Vater war grad so,
War Steuermann und hatt ein zweit Gesicht
Und wanderte in Moor und Bergesklüften,
Indes sein Leib bei uns an Bord umherging.
Nun kommt er heim und findt die Mutter tot:
Das hat ihm ganz den schweren Mund verschlagen.
Sie wenden sich alle, ins Haus zu gehen.
PETER
im Abgehen zu Frau Jensen, die inzwischen Elis einen Becher auf den Tisch gesetzt hat.
Ach! neunzehn Wochen kein vernünftiger Hafen!
Alle treten in die Schenke. Elis bleibt auf seinem Platz. Nach einer Weile tritt Ilsebill geräuschlos aus dem Hause und stellt sich vor Elis hin.
[89]ILSEBILL.
Kennst mich noch, Elis?
ELIS
nickt.
Bist die Ilsebill.
Da, trink.
ILSEBILL.
Ich dank dir schön.
Setzt sich neben ihn, trinkt.
Pause.
ELIS
gleichgültig.
Wie lebst?
ILSEBILL
schiebt den Becher zurück.
Ich dank dir, gut.
Steht auf.
Ich stehl dir deine Zeit.
ELIS.
Ich brauch sie nicht.
Ich wart auf einen, der ja so nicht kommt.
Auf Niels, den Sohn vom frühern Kirchspielschreiber.
ILSEBILL.
Sagst du mit Fleiß den Namen da vor mir,
Damit du mir was tust? Dann geh ich fort.
ELIS.
Was ist mit dir und dem?
ILSEBILL.
Es ist gar nichts.
Es war nur was.
Mit abgewandtem Gesicht.
Ein Kind hab ich gehabt
Von ihm. Der arme Wurm ist tot.
Ich leb. Und jetzt geht mich der Niels nichts an.
ELIS.
So, so.
ILSEBILL.
Es ist gar lang her, daß du fort warst.
ELIS
mit künstlicher Gelassenheit.
Ja, ja. Die Mutter muß jetzt so was sein,
Wie da an meinem Stiefel hängt. Und ist
Nicht etwa schnell gestorben...
ILSEBILL
nickt.
Deine Mutter.
ELIS.
Und da wir gingen, war sie aus dem Zeug
Wie du und ich, nur besser. Ihre Augen
So rein, ihr Mund viel frischer wie der deine.
Drei Jahr sind freilich eine lange Zeit.
[90]ILSEBILL.
Und du hasts nicht gewußt?
ELIS
anscheinend gleichmütig, mit der Ironie tiefsten Schmerzes.
Nein, nein, o nein.
Erst beim Anklopfen. Erst hab ich gemeint,
Es ist ein falsches Haus. Es steht ein Ofen,
Wo sonst ihr Bette stand; und wo ihr Leib
Erkaltete im Tod, da wärmt ein Hund
Den seinen. Und dem Kirchspielschreiber Niels
Hab ich geschrieben, daß er mir das Amt
Ansagt, wo ich die Sachen holen kann,
Wenn was geblieben ist, wie man so schreibt:
Nach Abzug der Begräbniskosten.
Starrt vor sich hin.
ILSEBILL
wischt sich die Augen.
Elis!
Laß deine Hand anschauen, nein, die andre.
Weißt du noch, was das ist?
ELIS.
Die Narbe da?
Das ist ja alles nicht mehr wahr. Wann war das?
ILSEBILL.
Elis, wir gingen aus der Sonntagsschule,
Da tratest du mir in den Weg.
ELIS.
Ach ja ...
Und fragte dich...
ILSEBILL.
Du fragtest nicht, du sprachst:
Was ich jetzt tu, das tu ich zum Beweis,
Daß ich dich liebhab und damit dus glaubst:
Sonst will ich nichts.
ELIS.
Und schnitt mich da hinein?
ILSEBILL.
Du bücktest dich, da lag ein roter Scherben
Von hartem Ton, und damit fuhrst du dir
Wild über deine Hand, daß schweres Blut
Aufquoll.
ELIS.
Ich schnitt beinah die Sehnen durch.
Lacht trocken.
Ilsebill bückt sich auf den Tisch und drückt die Lippen auf seine Hand.
[91] Elis zieht die Hand weg, rückt mit dem Stuhl fort.
ILSEBILL.
Zudringlich bin ich.
Pause.
Elis!
Elis sieht sie an.
ILSEBILL
mit ängstlich flehendem Blick.
Gar nichts mehr?
Elis zuckt die Achseln, klopft seine Pfeife aus.
ILSEBILL
zögernd.
Wenn du nicht wüßtest, wo du wohnen solltest ...
Weil ja die Mutter tot ist, hätt ich nur
Gemeint, du könntest ja bei mir...
ELIS.
Schön Dank.
Ich schlaf an Bord.
Ilsebill sieht vor sich hin.
ELIS
sucht in seinen Rocktaschen, nimmt ein buntes Tuch, zieht aus der Geldkatze zwei Goldstücke, wickelt sie ins Tuch, schiebt es hin, wo es ihre Hand berührt.
Das Tuch da nimm und trags,
Ist indisch Fabrikat. Wers kennt, erkennts.
ILSEBILL
wickelt die Goldstücke aus und schiebt sie ihm wieder hin.
Sei schön bedankt fürs schöne Tuch. Dein Geld
Behalt. Das will ich nicht. Das wär mir nichts,
Von dir Geld nehmen. Dein Geld brauch ich nicht.
Ich schwimm im Gelde, wie man spricht. Ich habs
Nicht nötig.
Lacht, näher dem Weinen.
DER PORTUGIESER
sieht aus dem Fenster der Schenke.
Blas doch nicht immer Trübsal, Elis, trink
Und laß das Mädel trinken.
ELIS
hält Ilsebill den Becher hin, sie schüttelt den Kopf; er trinkt den Branntweinbecher aus, atmet tief auf und lehnt sich zurück.
Schön warst du freilich. Nun ich trunken hab,
Kommt mirs zurück. Die Züge scharfgezackt
Wie die Korallen, die tief drunten wachsen,
Blaß das Gesicht, allein so rot die Lippen ...
So schön warst du, wo hast dus hingetan?
[92]Hör auf mit Weinen. Kann auch sein, du bist
Nicht gar so anders. Ich hab andre Augen.
Den Star hat mirs gestochen, und mir kehrt
Das Leben wie ein Wrack sein Eingeweide zu.
Wenn ich dich anschau, fest, so seh ich deutlich
Zwei Augen, glasig Zeug, gefüllt mit Wasser,
Zwei Lippen, rund wie Egel, auch geformt,
Sich festzusaugen. Was steckt da dahinter,
Was denn für große Lust? Und dann nachher
Was für ein Schmerz? was weiter für ein Schmerz?
Was ist daran so viel?
Schlägt sich an den Kopf.
Wie konnt ich träumen
Und danach hungern, immerfort danach!
Es ist doch über alle Maßen schal!
Er streift seine Ärmel auf.
Da trag ich auch so was. Die küßte mich
Und bohrte ihre kleinen Zähne ein:
Ein javanesisches Geschöpf: ihr Reden
Verstand ich so, wie ich ein Tier versteh;
In ihren Augen war was Bittendes,
Wie Hunde bitten, und sie wollte immer,
Daß ihrer Zähne Spur mir nicht verginge –
Denn ihre Lippen freilich waren weich
Wie Blumenblätter – da brannt ich mir das
Als Zeichen ein, damit mirs immer bliebe.
Da lachte sie vor Freude ... vor dem Spiegel
Hab ichs gemacht, mit Nadeln macht man das
Und reibts mit Pulver ein.
ILSEBILL.
Das bleibt dir nun.
ELIS.
Die Haut ist freilich zäh.
Nach einer Pause.
Der arme Hund, das Mädchen, wollt ich sagen,
Von Java ... einmal stieß ich so nach ihr,
Wie man nach Hunden stößt ... denselben Abend
Dacht ich an dich: mir war, der Unterschied
Wär riesengroß: ich seh, es ist gar keiner:
[93] So schal bist du mir nun wie damals die.
ILSEBILL
dumpf.
Elis!
ELIS.
Den Namen wußte die dort auch.
Denselben Abend ...
Starrt vor sich.
ILSEBILL.
Elis!
ELIS.
... ist mein Vater
Verbrannt. Allein der Hund blieb ganz gesund,
Der Schiffshund, ja. Er schlief mit ihm in einer
Kabine. Die Kabine brannte aus,
Mein Vater mit. Der Hund lief heil heraus,
Mein Vater schlief. Er hatte ein Gesicht
Drei Tage früher.
Starrt vor sich.
ILSEBILL
ängstlich.
Elis!
ELIS
in sehr hartem Ton, abweisend.
Liebes Mädchen,
Verstehst du,
Er steht auf, geht auf und ab.
meines Vaters Sohn zu sein,
Das war kein Kinderspiel. Er war nicht hart,
Allein sein Wandeln war stille Verzweiflung.
Tief war sein Sinn. Er lebte in der Furcht.
Er hatte ein Gesicht, ehdem er starb,
Und wußte seinen Tod drei Tage vorher,
und ging so hin, der alte Mann, und schwieg.
...
Gleich nachher kam die Sehnsucht über mich,
Nach ihm nicht, nach der Mutter!
Setzt sich wieder, flüstert.
's war ein Auftrag
Von ihm, drum kams so plötzlich über mich:
Sie geben solchen Auftrag, die dort unten.
Mir fuhr das Schiff zu langsam: in den Adern
Quoll mir das Blut wie schweres glühndes Erz
Und drückte mich zur Nacht: da ward aus mir
Jedwede andre Sehnsucht ausgeglüht:
Dies einzige Verlangen fraß die andern
[94] Im Finstern auf; wär ich im Krampf erstarrt
Und so gestorben, auf den Lippen hätte,
Den starren, jedes Aug den Laut gelesen,
Mit dem du anhebst, wenn du Mutter sagst.
Er steht auf.
Die war schon unten, als ich kam. Die Reden,
Die mir im voraus von den Lippen trieften,
Wie Wasser aus des gierigen Hundes Lefze,
Die schlugen sich nach innen. Mir ist übel,
Die Landluft widert mir, mir widert Seeluft.
Setzt sich wieder.
Mir ist das Bett verleidet und der Becher;
Wenn ich allein bin, bin ich nicht allein,
Und bei den andern bin ich doppelt einsam.
ILSEBILL.
Dein Blut ist schwer. Dich hat der große Kummer
Tiefsinnig werden lassen. Geh mit mir.
ELIS.
Ich könnte stundenlang auf meine Hände
Hinunterstarren und den fremden Mann
Mir träumen, dem die zwei gehören können.
Ilsebill legt ihr Gesicht auf seine Hände.
ELIS
seine Hände wegziehend, rauh.
Hab ichs nicht schon gesagt, ich schlaf an Bord.
Ilsebill nickt unterwürfig, schleicht sich lautlos fort.
Elis sitzt allein.
Die andern drinnen lärmen und singen. Der faule Klaus und der Portugieser kommen ans Fenster.
PORTUGIESER
beugt sich aus dem Fenster zu Elis.
Wo bist du wieder?
ELIS
spricht über die Schulter, ohne sich umzusehen.
Ich, ja, Portugieser,
Ich bin hinüber.
PORTUGIESER.
Was?
ELIS.
Ei ja. Herum
Ums letzte Kap und schwimm mit nackten Masten
Und ohne Steuer in der großen Drift,
Der großen Drift, dort drunten, von woher
Kein Schoner wiederkommt und keine Brigg.
[95]PORTUGIESER.
Er redet wie ein Pfarrer!
KLAUS.
Sauf und schweig!
Gehen vom Fenster weg.
ELIS
vor sich.
Ich bin heruntergekommen. Ich war jung,
Da war mir nur ums Fahren. Einen Fußtritt
Gab meinem Kahn der Vater, und die Mutter
Blies ihren letzten Atem in die Leinwand,
Da kam ich gleich hinüber. Und da ist
Die Drift, die große, totenhafte Drift.
PORTUGIESER
wieder am Fenster.
Komm doch herein und iß jetzt einen Bissen!
Geht wieder weg.
ELIS
vor sich hin.
Sagt einer ›guten Bissen‹, so sag ich:
Den besten essen doch die Würmer, freilich ...
Sagt einer: ›Schau, das Mädel, schöne Brüste‹,
Sag ich: ein Stein wär besser. Diese Steine,
Er stößt mit dem Fuß gegen den Erdboden.
Die sind doch auch herum ums große Kap,
Die haben ausgespielt, die spüren nichts.
Er versinkt in ein finsteres Hinträumen. Die drinnen singen. Der alte Fischer schleicht aus seiner Hütte zu dem Ohnmächtigen hin, betrachtet ihn traurig, geht mit gesenktem Kopf wieder nach Hause.
Frau Jensen, die beiden Mädchen und der Peter kommen aus der Tür herausgetanzt, einander umschlungen haltend.
KATHRINE.
Wo ist dein Mann?
REGINE.
Wo ist dein Mann?
ALLE DREI.
So sind wir halt drei Witwen dann!
KATHRINE.
Der meine wollte mich verkaufen
Und's Geld versaufen,
Da bin ich fortgelaufen!
[96]REGINE.
Mir lief der meine selber fort!
FRAU JENSEN.
Der meine sitzt an einem Ort,
Da möcht er gern und kann nicht fort.
ALLE DREI.
Ach Gott, mir ist das Herz so schwer!
Wo nehm ich schnell einen andern her?
REGINE
setzt sich dicht zu Elis.
Ich möcht einen Mann!
PETER.
Eine Maultrommel nimm und marschier voran!
PORTUGIESER
ist mit Klaus auch herausgetreten; sie stehen auf den Türstufen.
Wo solls denn hin?
PETER.
Meint ihr, wir verhocken den Abend hier?
Ich möcht ein bißl noch was andres haben
Als fades Bier und die paar Mädel da.
Ich weiß euch ein Lokal: ein Keller ists,
Hui, wenn du da hinabkommst, weißt du nicht,
Ob du nicht gar im Meer bist: nichts als Licht
Und Spiegel vorn und hinten, daß dich schwindelt.
Du schiebst dich weiter, und in eine Höhle
Trittst du, da ist kein Licht, kein Öl, nicht Kerzen;
Die ganzen Wände leuchten wie Karfunkel,
Und Bänke stehen drin von rotem Samt,
Da sitzen dir zwei, drei, die können singen!
Du meinst, es wäre künstlich, nicht natürlich!
Und wenn sie dann gesungen haben, wenn sie
Sich zu dir setzen, weißt du gar nicht erst,
Was du mit einer solchen reden sollst:
Dir nimmts den Atem, wie sie nach Vanille
Und Rosenwasser riecht. Und willst du trinken,
Greifst in die Wand der Höhle, wo du willst,
So faul du kannst, das Mädel auf den Knien,
Drehst einen Hahn, hältst unter, rot und grün
Kommt ein Getränke, stark und süß zugleich,
[97] Wie Feuersirup, und die Mädel, du ...
Geht auf Elis zu, schüttelt ihn an den Schultern.
Du willst nicht mit? Du bist ja gar kein Seemann,
Hätt ich ein Schiff, mir tät es grausen, grausen,
Dich mitzunehmen, dich.
ELIS
sieht einen Augenblick ihm ins Gesicht, dann zu Boden.
Das kann wohl sein,
Daß ich kein Seemann mehr bin, kurzer Peter!
PETER
zornig, daß ihm Elis nicht widerspricht.
Ein Maulwurf bist du, weiter nichts!
Links vorne ist unscheinbar der alte Torbern aufgetreten. – Er ist ein kräftiger, etwas gebeugter Mann, dem Ansehen nach kaum siebzig. Trägt altertümliche Bergmannstracht, völlig abgetragen und verschossen. Hat blutumränderte merkwürdige Augen. Steht dort in der linken Ecke, an den Zaun gelehnt, von niemandem beachtet, und läßt seine Augen auf Elis ruhen.
ELIS
sieht Peter groß an.
Ja, Peter,
Das kann schon sein. Mir ist, du hast ganz recht.
Das ist nicht dumm, was du da sagst. Mir wär
Sehr wohl, könnt ich mich in die dunkle Erde
Einwühlen. Ging es nur, mir sollt es schmecken,
Als kröch ich in den Mutterleib zurück.
Er steht auf, fährt mit den Händen wie staunend an seinem Leib herab.
Mir löst sichs jetzt, daß dieser hier mein Leib
Nur ein Geköch ist aus lebendigen Erden,
Verwandt den Sternen auch. Wär das nicht so,
Wär nicht gewaltsam nur die Nabelschnur
Zerrissen zwischen mir und den Geschöpfen,
Den andern, dumpfen, erdgebundenen:
Wie dränge mir ans Herz des Hirschen Schrei?
Wie möchte dann der Linde Duft mein Blut
Bewegen? wie verschlänge mich die Nacht
In schwere Träume? wie gelüstete
Mein Leib, die Gleichgeschaffnen zu berühren?
Tut ein paar schwere, gleichsam gebundene Schritte nach vorwärts; spricht gegen den Boden.
Du tiefes Haus, was streben wir von dir,
[98] Wir sinnentblößt Wahnwitzigen aufs Meer,
Dem Lügensinn, dem Aug allein gehorchend,
Der uns vorspiegelt, was für ewig uns
Verborgen sollte sein, die bunte Welt,
Die wir doch nie besitzen!
Seht, die Unke,
Das tagblinde verborgene Geschöpf,
Ist strahlend gegen unsre Finsternis
Und winkt mir mit bediademtem Haupt:
Denn ihr ist noch Gemeinschaft mit der Erde!
REGINE
schreiend.
Nimm dich in acht, es hört dir einer zu!
Springt weg, schlägt ein Kreuz über ihn.
Torbern ist einen Schritt näher getreten.
Die anderen stehen rechts rückwärts beisammen, im Begriff, wegzugehen.
KLAUS.
So war sein Vater, wenns ihn überfiel!
PETER.
Laßt ihn allein. Nachher wird er wie immer.
Sie wenden sich zum Gehen.
ELIS
an dem Busch, der vorne steht; immer gegen den Erdboden sprechend.
Haus, tu dich auf! gib deine Schwelle her:
Ein Sohn pocht an! auf tu dich, tiefe Kammer,
Wo Hand in Hand und Haar versträhnt in Haar
Der Vater mit der Mutter schläft, ich komme!
Entblößt euch, ihr geheimnisvollen Adern,
Ausbluten lautlos sich die meinen schon!
Mein Haar sträubt sich vor Lust, bei euch zu sein,
Ihr Wurzeln, die ihr an dem Finstern saugt,
Euch funkelnd nährt aus jungfräulicher Erde!
Mein Herz will glühn in einem Saal mit euch,
Blutrote Funkelsteine, hocherlauchte,
Schlaflose Lampen, täuscht mich nicht, ich seh euch,
Ich seh euch glühen wie durch fahles Horn,
Versinkt mir nicht, ich halt euch mit der Seele!
Tiefer gebückt, wild atmend.
[99] Die anderen sind fort.
Torbern steht vor ihm, hüllt ihn in seinen Blick.
ELIS
auffahrend, in völlig verändertem Ton.
Wer bist du, der mir zuhört? Was hab ich
Geredet? Wer bist du? Die Worte brachen
Aus mir hervor ...
Stark.
Das hast du mir getan!
TORBERN.
Und wie?
ELIS
ohne ihn anzusehen.
Das frag ich mich. So warst dus nicht?
Du warsts! Du sprachst ein Zauberwort.
TORBERN
sehr laut.
Sprach ich?
Kleine Pause.
Flüsternd.
Bedurft es dessen auch? Entquoll den Lippen
Von selber nicht das rechte Wort? Entglomm
Dem Aug von selber nicht der starke Strahl?
ELIS.
Mir war, ich sähe in den Grund. Mein Blut
Macht mir was vor.
TORBERN.
Du blöder Tor, gib acht.
ELIS.
Zuerst so leise, nun so überlaut!
Willst du betrügen?
TORBERN
sehr leise.
Meiner Stimme Klang
Bin ich entwöhnt.
ELIS.
Wo kamst du her?
TORBERN.
Von dort.
Wo du hin willst.
ELIS
zurücktretend.
Ich weiß nicht, was ich sprach.
TORBERN
leise.
Doch sinds der Seele tiefgeheimste Wünsche,
Die sich dem unbewußten Mund entringen.
ELIS.
Wer seid denn Ihr?
TORBERN.
Ein Bergmann. Hast du keinen noch gesehn?
[100]ELIS.
Der Mutter Vater war ein Bergmann auch.
Sein Kleid war ähnlich, doch auch wieder anders.
Was wollt Ihr von mir?
TORBERN.
Nur den Weg dir zeigen.
Ich kam, weil du mich brauchst.
ELIS.
Ich brauch dich nicht.
TORBERN.
Du brauchst mich, wie ich dich.
ELIS.
Ich bin ein Seemann ...
TORBERN
lacht.
ELIS
stutzt; fährt dann fort.
Zurück aus Indien und nehm nächstens Handgeld
Nach Grönland. Guten Abend.
Will gehen.
TORBERN
hält ihn sanft.
Elis Fröbom ...
ELIS.
Wir haben miteinander nichts zu schaffen,
Als ... etwa ... da ...
Will ihm Geld geben.
Was hältst du meine Augen
Mit deinem Blick?
Macht sich los.
Ei, geht und laßt mich gehn.
Er geht einige Schritte, wird langsamer, bleibt stehen.
TORBERN
sieht ihm nicht nach, bückt sich, betrachtet einen Kiesel.
Ich halt Euch nicht.
Elis geht, wie gezogen, wieder zu ihm zurück.
Torbern richtet sich jäh auf.
ELIS.
So ists ein Auftrag, den du hast an mich?
TORBERN.
Nenns immer so. Mir ist es aufgetragen,
Daß ich den Weg dir zeig, und dir ...
ELIS
fieberhaft.
Und mir?
TORBERN.
Daß du ihn gehst.
ELIS
wie verloren.
Ich wollte jetzt fortgehn.
TORBERN.
Doch kamst du wieder.
[101]ELIS.
Wußtest dus voraus?
Pause.
Womit bezwingst du mich?
TORBERN
rasch.
Mit deinem Willen.
ELIS.
Der war, zu gehn!
TORBERN.
Der ist: mit mir zu gehn
Nach Falun und ein Bergmann dort zu sein.
ELIS
tonlos.
Zu werden?
TORBERN.
Keiner wird, was er nicht ist.
Eine starke Pause.
ELIS.
Was hält mich hier?
Er spricht mehr zu sich als zu dem andern.
Was soll ich mir gewinnen
Und was der Preis, womit ichs zahlen soll?
Hier steh ich, Elis Fröbom, ein Matros
Und eine Waise: wenn dies hier die Falltür
Der Hölle ist, und der des Teufels Bote,
Und meine Seele das, worauf er ausgeht,
So gib mir du, an den mein Flehn sich klammert,
Ein Zeichen, dran ich mich ermannen kann!
Pause.
Wenn ich mich zwingen wollte und es lügen:
Die Zunge bäumt sich gegen meinen Willen,
Und sie bekennt: in mir geht etwas vor!
Er befühlt sich.
Was immer nun dies sei, ich kann nicht anders!
Die Knie werden schwer...
TORBERN.
Denn es verlangt sie
Hinabzusteigen.
ELIS.
Wolken droben, Bäume,
Sie werden fahl...
TORBERN.
Dein Aug will Schönres sehen!
ELIS.
Mich faßt aus Klüften ein gewaltiger Hauch ...
[102]TORBERN.
Dir widert Landluft, Seeluft widert dir.
ELIS.
Der Boden wankt!
Klammert sich an den Busch.
TORBERN.
Steh! Seemann, schwindelt dich?
ELIS
schon im Versinken.
Ich sinke ja! es nimmt mich ja! ich muß!
Er versinkt völlig.
Rasche Verwandlung
Im Innern des Berges. Ein nicht sehr großer Raum, rechteckig, dessen Wände aus dunklem, fast schwarzem Silber. Zwischen Pfeilern rechts ein Ausgang, von Finsternis völlig verhangen, zu dem drei runde Stufen aufsteigen. Die Decke flach gewölbt. Alles aus dem gleichen, prunkvoll finsteren Stoff gebildet.
ELIS
steht mit dem Rücken an die linke Seitenwand gelehnt, die Augen weit aufgerissen; das Weiß seiner Augen ist im Anfang das einzige Helle in dem finsteren Raum, auf dem die Schwere undurchdringlicher Wände lastet.
Ich hab geträumt! Jetzt lieg ich wach! Ich lieg
In meiner Koje. Nein, ich steh. Ich bin
Ganz angezogen. Hier ist Hartes: Stein.
So bin ich blind! Ich fiel: doch schmerzt mich nichts.
Ich fiel endlos durch rötlich schwarze Schlünde.
Ich bin nicht blind. Ich sehe meine Hände!
Ich bin allein in einem finstern Raum.
Nein, nicht allein! Da! da! da! da!
Die Bergkönigin ist zwischen den finstern Pfeilern rechts hervorgetreten und steht auf der obersten der drei dunklen Stufen. Vom Scheitel bis zur Sohle ist sie in ein schleierhaftes Gewebe gehüllt, dem ein sanfter Glanz, das gedämpfte Leuchten ihres Körpers, entströmt. Am stärksten leuchtet ihr Scheitel, wo ein fast glühender Reif in funkelndem Haar den Schleier zusammenhält. Die lautlose Gestalt, die unmerklich bebt wie eine hochstielige Blume, [103] strömt in den ganzen Raum eine mäßige Helle aus, und die finstern Silberwände blinken manchmal auf.
ELIS
auf die Gestalt hinstarrend.
Ich träum
Und träum nur, ich bin wach.
KÖNIGIN.
Nein, Elis Fröbom,
Nun träumst du nicht.
ELIS.
Es spricht zu mir.
KÖNIGIN
ohne sich zu regen.
Er meint,
Er liegt im Traum. Bring ihm zu trinken, Agmahd.
Der Knabe Agmahd kommt lautlos die Stufen herab. Er ist völlig schwarz gekleidet. Sein Kopf ist hell, mit weichem blondem Haar. Er hat meergrüne Augen, die seltsam ins Leere zu starren scheinen. Er trägt auf silberner Schüssel einen silbernen Becher, aus dem schwaches Leuchten steigt. Lautlos gleitet er auf Elis zu und bleibt vor ihm stehen, den Becher aufwartend.
ELIS.
Du liebliches Gesicht, wo kommst du her?
Laß mich dein Haar anrühren! Kennst du mich
Nicht mehr? Ich bins, der bei dir lag, so oft, so oft,
Dort bei den Palmen, dort am stillen Fluß.
Weißt dus nicht mehr? wie ich dich lehrte, dich
Zu spiegeln hier in meinen beiden Augen,
Und wie ich mir dein Zeichen in den Arm
Einschnitt? Sieh mich doch an, weißt du nichts mehr?
Wie? Trinken soll ich, weil die dort es will.
Er nimmt den Becher und trinkt.
Es glüht und schäumt und schüttert durch mein Innres hin.
Bieg mir dein Antlitz her! Verfärbst du dich?
Wie anders scheinst du nun! Du bist kein Mädchen ...
Du bist es, du Ertrunkener, lieber, lieber!
Nicht wahr, wir waren Freunde! Daß du starbest!
Wir zogen dich heraus, da lagest du:
Dein Leib war hell und kühl wie Elfenbein:
Ich kaufte ein geweihtes Licht und saß
Die ganze Nacht bei dir, es drückte mich,
Daß ich nicht weinen konnte, und ich sah dich an.
Kommst du jetzt, mir das danken? Bleib doch hier!
Was schwankst du fort? Laß mich nicht hier allein.
[104] Der Knabe Agmahd hat sich von ihm entfernt, ist plötzlich im Dunkel der Wände wie verloschen.
ELIS.
Und du! Du bebst! Bebst du vor Ungeduld?
Sinnst du auf meinen Tod? Du! du!
KÖNIGIN.
Ich acht auf dich.
ELIS.
Mir grauts vor dir.
KÖNIGIN.
Warum? Du kennst mich nicht!
Sie wirft mit einer ungeduldigen Bewegung die Arme nach rückwärts und faltet die Hände im Nacken, so daß die weiten Ärmel zurücksinken und die wundervollen Hände sichtbar werden.
ELIS.
Den Händen, die du hast, entblüht ein Glanz,
Mir ist, als trät mein Blut aus mir ins Freie,
Wenn ich hinseh.
KÖNIGIN
streckt die Rechte aus.
Tritt her und rühr sie an.
ELIS
unbeweglich an seinem Platz.
Ich kann nicht. Wir sind nicht aus einer Welt.
Ich kanns nicht fassen, daß ich hier steh, ich!
Warum denn ich? Droben sind Tausende!
Warum denn ich? Mich schauderts bis ins Mark.
KÖNIGIN.
Und ich hab mich so lang nach dir gesehnt.
Wohl hundert Jahr. Was zuckst du? Grauts dich so?
Sieh, ich kann doch für dich nicht fremder sein,
Nicht unbegreiflicher als du für mich.
Mich schauderts nicht. Und glaub mir, manches, was ich weiß
Von euch da droben, ist wohl schauerlich.
Ich weiß, ihr kennt das Angesicht des Wesens,
Das euch geboren hat. Ihr nennt es ›Mutter‹,
Wohnt unter einem Dach mit ihm, berührt es!
Das macht mich grauen, wenn ichs denken soll.
Ich weiß, ihr schlummert niemals lang, doch wenn
Ihr euch hinlegt zu einem langen Schlaf,
So seid ihrs schon nicht mehr: der Erdengrund,
[105] Der mich mit klingendem Gehäus umschließt,
Euch löst er eure Glieder auseinander,
Und Bäume wachsen auf aus eurer Brust,
Und Korn schlägt seine Wurzeln euch im Aug.
Und die dann droben leben, die ernährt,
Was also aufkeimt aus der Brüder Leib.
Mich dünkt, ich stürb vor Graun, müßt ich so leben
Hervor aus einem Leib, hinab zu Leibern.
Und wenn ich eurer einen atmen seh,
Werd ichs nicht los, mir ist, als müßt an ihm
Noch hängen Ungewordnes und Verwestes,
Als wär er nie allein, wo er auch geht und steht.
Und dennoch lieb ich dich und will dich halten!
Ringt ungeduldig die Hände.
Graut dir, daß ich schon war, bevor du warst?
Macht dich das zornig, daß ich schlafen kann,
So lang und rein und tief? Daß ich allein bin,
Nur spielend mit Geschöpfen, die mir dienen?
Gib mir doch Antwort, steh nicht stumm und hart!
Sieh: euch da droben flutet ohne Halt
Die Zeit vorüber, doch mir ists gegeben,
In ihren lautlosen kristallnen Strom
Hinabzutauchen, ihrem Lauf entgegen
Und ihren heiligen Quellen zuzugleiten!
Heft nicht so dumpf den starren Blick auf mich!
Begreifst du nicht: das uralt heilige Gestern,
Ruf ich es auf, umgibts mich und wird Heut:
Und Dunkelndes und Funkelndes vergeht,
Und Längstversunknes blüht und glüht herein.
Indem die Wand des Hintergrundes durchsichtig wird, tut sich eine tiefe Landschaft auf. Über hellgelb leuchtende Gewässer neigen sich ungeheure Bäume, bald von glühenden, bald von zarten Farben. Im fernen Hintergrunde werfen mächtige dunkle Abgründe und Felsenwände einander geheimnisvollen metallischen Schein zu.
Und wieder tauch ich auf und laß dies alles
Hinunterrollen in die ewigen Tiefen!
Indem sie so weiterspricht, ohne sich im geringsten zu wenden, [106] steht rückwärts wieder die finstere, dann und wann aufblinkende Wand von dunklem Silber.
Ahnst du denn nicht, wie mächtig Geister sind,
Und bist doch einer! Wirst du immer bleicher?
Vielleicht ist dies Musik vor deinem Ohr!
Schlägt in die Hände. Der alte Torbern steht plötzlich da, das Gesicht ihr zugewendet, in dem von ihr ausgehenden Lichte regungslos wie ein ehernes Standbild.
KÖNIGIN.
Sprich zu ihm, Torbern. Hilf mir du, ihn fassen!
Dich wird er hören, weil du auch ein Mensch.
TORBERN.
Mich ekelt seine Dumpfheit. Königin,
Ist dies das letztemal, daß ich dich sehe?
KÖNIGIN.
Ich weiß nicht.
TORBERN.
Wohl, ich weiß! Und er steht da,
Wo ich einst stand!
KÖNIGIN.
Sprich nicht davon!
Sag ihm, wie über aller Menschen Lose
Dein Los anschwoll. Wie du verlernen durftest,
Zu messen dich mit ihrer Zeiten Maß.
Wie dir zu Dienst das wogende Gewässer
Vor deinen Füßen starrte, dich zu tragen.
Wie dich die Kraft, die in dir wuchs und wuchs,
Hin über Klüfte riß, wie ihre Sterne
Herniederstürzten, deinem Pfad zu leuchten.
Sag ihm...
ELIS.
Nun, wie geschah dies, Torbern, wie?
TORBEBN.
Vom Anfang soll ich reden, nun das Ende
So nah? Entkräftend faßts mich an wie fahle Träume.
Es ist so lange her. Die nun im Sarge liegen,
Damals stand noch der Baum in jungem Saft,
Der später, später gab das Holz zu ihren Wiegen.
Verlernen durft ichs, mich mit ihrem Maß zu messen.
Verlernen durft ich alles, was sie meinen.
Die ganze Welt, die sie mit dumpfem Sinn
[107] Aufbaun, brach mir in Stücke. Ob ein Mensch,
Ich ward ein Geist und redete mit Geistern.
Von ewiger Luft umwittert, ward ich schnell
Dem dumpf umgebend Menschlichen entfremdet:
Mir galt nicht nah, nicht fern: ich sah nur Leben.
Er tut einen tiefen Atemzug.
Da droben waren welche, die mit Armen
Und Lippen klammernd als an einem Teil
Von ihrem Selbst an mir inbrünstig hingen:
Ich schüttelte sie weg von meiner Brust.
Mein Herz schwoll auf und redete bei Tag
Und Nacht mit den Abgründen und den Höhen,
Und meinem seligen Aug entblößte sich
Die Schwelle deines Reichs...
KÖNIGIN
schnell.
Nichts davon, Torbern,
Hier steht er ja und weiß nicht, wie ihm ist!
Nun geh.
TORBERN.
Muß ich?
KÖNIGIN.
Hast du noch nicht gelernt
Zu fühlen, was du mußt?
TORBERN.
So schwank ich denn im Kreis dem Anfang wieder zu,
Und so begegn ich dem, der nach mir kommt.
KÖNIGIN.
Er wird dich rufen.
TORBERN.
Mag er folgen,
Wo er mich schreiten sieht, doch stumm, mich ekelt
Gespräch der Menschen. Mag er sich von Zeichen
Zu Zeichen tasten, endlich trifft er her.
Und ich – er soll schnell kommen! – in mir flackerts
Und zuckts und will verlöschen! Jahre glitten
An meinen Wimpern ab wie leichter Duft
An Felsenwänden ... und nun zehrt der Hauch
Von einer einzigen Nacht mit Wut an mir;
Und wo ich ruhe, mein ich schon zu sinken.
Er verschwindet.
ELIS.
Ihn treibt ein ungeheurer Geist umher,
[108] Er kam zu dir und durfte bei dir wohnen,
Die Jahre hatten ihm nichts an, er hing
An deinem Aug, an deinem Leib ... Erbarm dich meiner:
Er trat heran, er durfte dich berühren,
Er! er! doch ich! wie ich?
KÖNIGIN.
Du bist wie er.
ELIS.
Die Stimme, die du hast, greift mir ins Innre.
Ich will mit dir sein können!
KÖNIGIN.
Bist dus nicht?
ELIS.
Dies Grauen ...
KÖNIGIN.
Wirfs von dir!
ELIS.
Wie konnt ich kommen?
KÖNIGIN.
Fragst du aufs neu? Weil du ein Geist wie ich.
Dein Mund sprach mächtige Worte aus.
ELIS.
Doch wann?
KÖNIGIN.
Du sehntest dich herab, den Boden schlug
Dein Fuß, unwillig trugst du, zornig atmend,
Den Druck der irdischen Luft, dein Blick durchdrang
Die Niedrigkeit, dein Mund verschmähte sie,
Ein ungeheurer Strahl entglomm dem Aug,
Und das Gewürme floh, die Finsternis
Trat hinter sich, so wie sies tut vor mir!
ELIS.
Wie kam es über mich!
KÖNIGIN.
Es schläft in euch.
Doch ahnt ihrs nicht. Du warst zu Tod erstarrt,
Dein Mund verhangen, deine Augen öd.
Da trats in dir empor, und wie im Traum
Griffst du mit Aug und Mund nach Strahlendem,
Gebunden wie ein Kind, und doch ein Zauberer!
Und halb noch dunkel, halb wie Geister leuchtend,
Ergriffs dich, unbewußt herabzusteigen!
War dir, du fielest? war dir nicht, du flogest?
Und fühltest nicht, wie ich im Dunkel stand
Und bebte?
[109]ELIS.
So darf ich hingehn und dein Antlitz sehn?
KÖNIGIN.
Tritt her!
Elis tritt zu ihr.
Königin steigt die Stufen herab, ihm entgegen, hebt mit der Linken den Schleier von ihrem Antlitz, so daß sein Gesicht, von unten ihr entgegengehoben, ganz von ihrem Abglanz überflutet wird.
ELIS
schreit auf.
Ah!
Duckt sich, geblendet, gegen den Boden.
KÖNIGIN
läßt den Schleier wieder zufallen, richtet sich auf, spricht sanft.
Sinn ich auf deinen Tod? Wirst dus ertragen,
Mit mir zu sein? Wirst du die ganze Welt
Bei mir vergessen können?
ELIS
vor ihren Füßen, seiner Stimme nicht mächtig.
Sprich langsamer. Dein Antlitz funkelt so
Vor meinen Sinnen!
KÖNIGIN.
Elis!
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Merk auf!
Du darfst nicht bleiben.
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Du mußt hinauf
Und wiederum herab. Komm bald! komm bald!
Du!
ELIS
schwach, völlig vor ihr liegend.
Ich muß sterben, wenn du mich verhöhnst.
KÖNIGIN.
Hör mich: es muß so sein.
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Hör mich, Lieber.
Ich darf dich noch nicht halten. Ich kann dir
Noch nicht gehören. Deine Sinne sind
Mit Sehnsucht vollgesogen noch nach denen
Da droben.
ELIS.
Wie?
[110]KÖNIGIN.
Dir ist es nicht bewußt.
Doch hab ichs wohl gesehn. Der Knabe Agmahd,
Ein schwankend wesenlos Gebilde ists:
Ein Spiegel. Jedem zeigts, was heimlich ihm
Am Herzen ruht. Du stießest sie von dir,
Die droben, aber etwas lebt von ihnen,
Noch etwas lebt in dir. Du mußt hinauf ...
ELIS
schwach.
Ja.
KÖNIGIN.
Und ein Bergmann sein. In Einsamkeit
Tief eingewühlt in Dunkel. Immer näher ...
ELIS.
Ja.
KÖNIGIN.
Geh dem Alten nach, er weiß den Weg,
Ob widerwillig auch, er zeigt ihn dir.
ELIS.
Ja.
KÖNIGIN
berührt ihm leise die Schulter.
Auf, mein Zauberer!
ELIS.
Weh, du wirst mir bleicher!
Die Gestalt der Königin wird undeutlicher, endlich unsichtbar.
Ich seh dich nicht! Erbarmen! Gib mir Antwort!
Sag noch ein einzig Wort zu mir!
STIMME DER KÖNIGIN.
Komm bald!
Verwandlung
Die Szene wie zu Anfang des Aufzuges.
Elis taucht aus dem Erdboden empor, liegend, mit geschlossenen Augen. Es dunkelt. Die Fenster der Schenke, die nun geschlossen sind, blinken noch einmal auf, erblinden dann.
ELIS
schlägt die Augen auf, richtet sich jäh auf.
Dorthin! dorthin! Nun zeig den Weg! Wo bist du?
Läuft ans Fenster der Schenke, schlägt daran, versucht hineinzusehen.
[111]FRAU JENSEN
aus der Schenke tretend.
So kommt Ihr wieder? Nun, mir war nicht bang.
ELIS
ohne Atem.
Der Alte, wo?
FRAU JENSEN.
Der da war, der? der Bettler?
ELIS.
Ein Bettler, er, der Könige machen kann!
Weib, wo er ist?
FRAU JENSEN.
Ja, was weiß ich?
ELIS.
Vernichtung!
Besinnt sich.
Hier, nehmt Euch selbst.
Wirft ein Geldstück hin.
Und nun ist Eins zu sorgen.
Ich muß nach Falun.
FRAU JENSEN.
Wos hinuntergeht
Ins Innere des Berges?
ELIS.
Recht! Und das
Sogleich, eh diese Nacht zu Ende geht.
FRAU JENSEN.
Wie wollt Ihr das?
ELIS
seine Geldkatze in der Hand.
Ich reit ein Pferd zu Tod
Und kauf ein neues, wo das erste fiel.
FRAU JENSEN.
Nicht in drei Tagen und dazu drei Nächten
Trägt Euch ein Saumtier durch die Pässe hin,
Zu Wasser aber...
ELIS.
Also denn zu Wasser.
Hier wohnen Fischer, schaukelt doch ein Boot,
Des Menschen ist es wohl, der drinnen schläft:
Ich weck ihn denn!
FRAU JENSEN
hält ihn.
Den rührt nicht an, der schläft nicht irdischen Schlaf:
Wo der liegt, ist die Schwelle schon zum Jenseits!
ELIS.
Die will mein Fuß betreten: Er soll aufstehn
Und mir den Weg nicht sperren!
Des Fischers Sohn richtet sich auf und tritt aus seinem Boot ans Land.
[112]FRAU JENSEN
aufschreiend.
Gott im Himmel!
Fliegt an des Fischers Haus.
Alt-Fischer, Fischer-Mutter, Euer Sohn!
Der alte Fischer läuft heraus, reißt die Mütze vom Kopf.
Seine Frau hinter ihm.
DER ALTE FISCHER.
Mutter, Mutter, still!
DES FISCHERS SOHN
ein großer, starker, blondbärtiger Mann, geht ruhig auf Elis zu, macht einen Kratzfuß, sagt.
Das Schiff wär fertig, wenn der Herr jetzt will.
Fischer und Frau kommen von der Seite, betrachten den Sohn mit scheuer Ehrfurcht.
DER ALTE FISCHER
nimmt mit gespreizten Fingern den Sohn bei der Hand, mit zitternder Stimme.
Mein Sohn, mit dir hat sich ein großes Wunder
Begeben!
DER SOHN
ruhig.
Mutter, führ den Vater weg:
Er hat schon trunken, eh die Sonne auf ist.
Ich hab nicht Zeit, ich muß den Fremden führen.
Nach Falun will der Herr!
DER ALTE FISCHER.
Mein Kind, erkennst
Denn nicht, die Sonn ist unter, Nacht bricht an!
DER SOHN.
Laß, Vater, wir sind eilig, und der Landwind
Ist stark und gut. Grad hat er mir die Rah
So hinters Ohr geschlagen, wie zum Zeichen,
Daß ich mich nicht versäumen soll.
DER ALTE FISCHER
feierlich.
Der Landwind,
Der ist verschwunden seit zehn Tagen, Sohn.
Ein starker Windstoß.
DER SOHN.
Und da sollt Abend sein!
DER ALTE FISCHER
erregt.
Mein Sohn, mein Sohn!
DER SOHN
zur Mutter.
So führ ihn weg! Er redet nicht Verstand.
Zu Elis, munter.
Das ist der rechte Wind auf Falun zu.
[113] Der Herr wird wohl zufrieden sein. Geh, Mutter, Bring
mir die Mütze noch. Gleich, Herr, sogleich!
Er geht zum Schiff, tut noch die letzten Handgriffe. –
Der Wind wird stärker, der Himmel immer dunkler. Das Folgende rufen die beiden einander zu, indem sie die Hände schallverstärkend an den Mund heben. –
In der Ferne, über den blauen Bergen, die nun nicht mehr sichtbar sind, fällt ein Stern.
ELIS.
Du! du! Fiel nicht ein Stern?
DER JUNGE FISCHER.
Ja, Herr, grad über Falun hin!
ELIS.
Der tote Mann stand auf zu meinem Dienst,
Die Sterne stürzen, meinem Pfad zu leuchten,
Und wenn dies Boot zerscheitert unter mir:
Die grüne Woge starrt und wird mich tragen.
Mein Innres schaudert auf, und fort und fort
Gebierts in mir ihr funkend Antlitz wieder ...
Und was mir widerführ, nun sterb ich nicht,
Denn dieser Welt Gesetz ist nicht auf mir.
Er springt ins Boot, das sogleich vor dem Wind liegt.
Der Vorhang fällt.
[114]