[188] Der kranke Löwe
Es wird allenthalben tyrannisch und übel regiert. Gott schicks zum Besten.
Schärtlin's Leben, S. 173.
Mel. Gott grüß euch Alter, schmeckt das Pfeifchen?
Der Löwe lag in letzten Zügen,
Halb starr und ganz erblaßt,
Da ward ihm jedes Volksvergnügen
Bis in den Tod verhaßt.
[189]Still soll es sein in meinem Reiche,
Kein Sang und kein Geschrei!
Du, Storch, du üb' an jenem Teiche
Mir strenge Polizei! –
Da ist der Storch hinausgegangen
Ganz still in Schilf und Ried,
Und hat gleich einen Frosch gefangen,
Der eben sang sein Lied.
»Ich üb' hier offen und in Stillen
Des Königs Polizei;
Das Singen ist nach seinem Willen,
Sonst aber niemals frei.«
»Du hast bei Sonn- und Mondenscheine,
Sogar in finstrer Nacht
Das Volk der Frösche, Groß' und Kleine,
Zum Aufruhr angefacht.«
[190]Das wußt ich nicht, daß auch mein Singen
Steht unter Polizei;
Ich dachte mir, von allen Dingen
Sei noch das Singen frei.
»Ihr Frösche seid in euren Teichen
Wie jede Creatur,
Ihr alle, du und deines Gleichen
Seid Unterthanen nur.«
»Und was die Unterthanen treiben,
Steht unter der Censur:
Ihr dürft nicht singen, schrei'n und schreiben
Als mit Erlaubniß nur.«
Der Frosch der wollte widersprechen,
Doch half's ihm weiter nicht.
Der Storch bestrafte sein Verbrechen,
Und fraß den Bösewicht.
[191]Wo einer von den Froschgenossen
Noch je ein Liedlein sang,
Da kam der Storch daher geschossen,
Der ihn sofort verschlang.
Der König lag in letzten Zügen
Und starb in schwerer Noth.
Der Storch verdarb das Volksvergnügen,
Doch blieb der König todt.