An meinen Landsmann Johann Winckelmann

Juni 1768.


Wohin? Wohin
Reißest Du, blutklauige Mörderin,
Mit glühendem Aug', im Furienhaar,
Den Sohn der Schöne? Selige Schaar,
Die er besang! – besang
Die Blicke, die kühn,
Unfühlbarschön über Welt hin ziehn;
Den fliegenden Gang,
Der ist und war! Erhört Ihr nicht,
Ihr Götter! Ach! – Eu'r Morgenlicht,
Aurora raubt den Edlen nicht,
Kein Grazienfreund. Mit Adlersklaun
Kommt die Unhold, rafft im Graun
Ihn hinweg dort! – Wer? Was hör' ich? Klang
Des Himmels! Süßen Jubel, – Wer ist's? – Apoll,
Apollo! Schönster Jüngling, voll
Von Thaten! o, schön im Gang
Des Himmelsjugendköniges! Er schwang,
Auch er durch Trübsal sich hinüber, drang
Zum Himmel, und – wie allgenugsamselig! – Klang
[258]
Der Hymn' umtönt den Sieger! O Klang,
Höher, als ihn sein Freund dem Augenblicke
Des dunklen, dürft'gen Marmors stahl
Hienieden und schüchtern sang.
O Seliger! Wohin hinauf
Führst Du den Erdesohn? den Lauf
Der großen Sonne! – Himmel thut sich auf!
Ich seh' die Helden! – Aus Neid, aus Bosheit, Qual
Nun ewiger Jugendfreude Gemahl,
Gott Hercules! – Riesen hat er bezwungen,
Weltverwüster, Ungötter überrungen,
Mit sieben Kränzen hinaufgeschwungen,
Harter Flamme geläutert – ruht da, überdenkt,
Auf seinen Heldenstab gesenkt,
Den Traum des Erdelebens! nun einmal
Errettet! aus Neid, aus Bosheit, Qual
Ewiger Jugendfreude Gemahl!
Die Dulderin! Im schönsten Mutterschmerz
Brach ihr Auge, brach ihr Herz!
Trinkt Götterlabsal nun! Aus Neid, aus Thränenweh
Errettet, athmet Niobe,
Ariadne, Ino, Semele
Duft der Unsterblichkeit! Mit lichten Kränzen
Umschlungen prangt Laokoon,
Und alle sel'gen Götter glänzen
Um's Vaters aller Götter Thron!
Wo ist, wo ist die Furie?
O Erdenbruder, sieh nun Deine Lieblinge,
Die Götter! Staunest noch? Entrückt
Noch starrend!
Da, der Jungfraujüngling! Schweben
Um seine Jünglingsstirne Reben,
Als Keime, die zur ersten Blüthe streben,
Nicht Wollustträume noch und Duft und hundert Frühlingsleben
Der Phantasie? – Der Edlen Lohner drückt
[259]
Dem Fremdling Himmelstrank! Entrückt
Im ersten Trank der Erde Nebelhülle
Dem Sterblichen! – Entzückt,
Entzückt, was sieht Dein Aug', o Himmelsfremdling? blickt,
Erblickt (der Erde Schattenhülle
Entnebelt) Himmel! Götterfülle!
Huldreiz! Liebreiz! Schöne! Milde!
Und was der süßen Braut im schönsten Morgenbilde
Die Liebelehrerin, die Unschuldphantasie
(Mehr als Apelles lehrte sie!),
Was ihr kein Himmels-Raphael im Bilde
Des schönsten Farbenwahnes kann
Erschaffen! – O Du, nun Götterliebling! wann,
Wann Dich im hohen Schaun
Mein Anruf stören kann,
Und aus Elysium Dein Blick
Auf Deine Erdenfreund' im Schattenthal zurück,
Auf Oeser, Wille, Heyne, sinket,
Und Schönheit ihrem Auge winket –
Mein Geist, o Dämon, ruft Dich an,
Wenn er, in Stille,
Aus dunkler, schwerer Körperhülle,
Wo unter Nothdurft Schön' erliegt
Und Staub des Geistes Götterkraft und Ruh
Hienieden noch besiegt,
Wenn er, aus solcher Schattenhülle,
Traum der Vollkommenheit fernher zu tasten wagt.
O lisple mir alsdann in heil'ger Stille
Aus Deiner Götterruh
Den Laut herab, den Dir in Fülle
Der erste Blick gesagt!
Noch tast' ich schwere Träume! Du
Webst schon, ein Griechengott, in hoher Ruh
Der zweiten Himmelsjugend! War's im Thale,
Selbst Wälschlands, denn gelebt?
Nun lebest Du
Die lange Himmelsjugend!
[260]
Und hast Du sie, im ew'gen Geistesmahle
Die lange Jugend hinabgelebt!
Durch mehr als Erdenschön', in mehr als Erdentugend
Höher hinaufgestrebt,
O Sohn des Himmels! Sichtbarkeit,
Auch selbst der Götter, wird einmal
Dir Trug noch werden! Fließen
Die Farben alle nicht in einen Sonnenstrahl?
Ergießen
Die Strahlen alle nicht sich in ein Sonnenmeer?
Ein Urquell! Weit! allweit
Quell der Vollkommenheit!
Und wo? und was ist der?
Doch sinke, schwache Hand! Vermag
In Sonnengluth zu tauchen
Sich Dein Gesang, der schwer
Und ächzend ja gebrochnem Ton erlag?
Noch mattem Strahl erlag!
Ich seh' noch erst die Morgenröthe rauchen!
Du ihren Schein! und wer den Strahlentag?

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