[224] Von der Friedrichstraße
Nachtfalter, frischgeschminkten Angesichts,
Schwirren im leichenfahlen Schein des Lichts.
Mit hagerer Gestalt vorüberwehn
Abgründler, die Schakalen ähnlich sehn.
Ihr Blick, der hinterrücks dich noch zerfleischt,
Durchschauert dich. In diesem Blicke kreischt
Ein Haß, der, wenn der Wunsch die Tat gewährt,
Dir rachedurstig an die Gurgel fährt.
Du fragst und suchst: Woher fiel je ein Strahl
In dieser Augenhöhlen Höllental? –
Vor Spiegelscheiben aufgeputzte Fraun,
Die schwatzend Ballkostüme sich beschaun.
Ihr Herzenswunsch – mit Wahrung nobler Sitten –
Durchbrochne Spitzen, Herzform ausgeschnitten.
»Wozu hat der Gemahl sein Portemonnaie?
Zwar manchmal sind die Männer schrecklich zäh.
Man lebt nur einmal. Die Saison ist kurz,
Miß Duncan tanzt ja freilich halb im Schurz,
Bloßbeinig à la grecque. Wir sind Barbaren
Und könnten meterweis am Stoffe sparen ...«
Ein Dienstmann hält mir einen Zettel zu.
»Hochelegant! Der Fremden Rendezvous.
[225]Gleich um die Ecke rechts. Zum Venusgarten.
Zehn fesche Weiber da, um aufzuwarten.
Man amüsiert sich köstlich bei Konzert.
Bumsvallera!« – Mein Beutel bleibt gesperrt
Für Aphroditens Taubenstraßenzwecke,
Verschmäht sind die Sirenen »um die Ecke«.
So weiterstreifend durch die Menschenmasse
Seh ich auf einmal aus der Nebengasse
Den ärmsten Krüppel mit 'nem kreidebleichen
Gesicht Streichhölzchen armausstreckend reichen ...
Halb noch ein Jüngling, stiert auf einen Punkt
So vor sich hin, die Beine abgestrunkt –
Es steckt der Rumpf in einem Kinderkarren,
Die Augen glanzlos, glücklos, trostlos starren,
Starren wie ein zerschossnes junges Wild,
Verendend auf des Jägers Weidgefild.
Starren auf einen Punkt in einem fort,
Das Pflaster schreit: »Verstümmelt und verdorrt!«
Ich geh vorbei. Was hält die Hand zurück?
Ich schäme mich mit dem Zehnpfennigstück ...
Und zwanzig Schritte weiter geb ich's aus
Für einen kleinen, duftigen Veilchenstrauß.