Sechster Auftritt.
Die Nebentür nach rechts wird geöffnet. Die Mitglieder der Tabaksgesellschaft, Grumbkow und Seckendorf an der Spitze, treten ein. Ihre Zahl beträgt außer den handelnden Personen etwa noch zehn. Aue treten feierlich ein, den Hut auf dem Kopfe, die Pfeife im Munde. Beim König vorübergehend fassen sie an den Hut und nehmen einen Augenblick die Pfeife aus dem Munde. Zuletzt Hotham und der Erbprinz. Der König steht links und läßt den Zug an sich vorüber nach rechts passieren. Eversmann.
GRUMBKOW
macht die vorgeschriebene Begrüßung.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Grumbkow!
SECKENDORF.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Seckendorf!
GRAF SCHWERIN.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Schwerin! Schmeckt's?
GRAF SCHWERIN.
Danke, Majestät! Geht vorüber.
GRAF WARTENSLEBEN.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Wartensleben! Hat sie Luft?
GRAF WARTENSLEBEN.
Danke, Majestät! Geht vorüber. Die andern gehen alle nach und nach oder mehrere auf einmal mit Begrüßungen vor über.
KÖNIG.
Nun, meine Herren, nehmen Sie Platz. Ohne Unterschied, nach Belieben! Pulverdampf macht alles gleich.
GRUMBKOW.
Aber das Ziel, Majestät, das uns für heute versprochen?
KÖNIG.
Ha, ha! die Scheibe. Da ist sie.
Hotham und der Erbprinz treten ein.
ALLE.
Der Erbprinz?
[138]ERBPRINZ.
Guten Abend!
KÖNIG.
Recht so, Erbprinz, daß Sie gekommen sind. Nun können Sie doch in Rheinsberg etwas Ordentliches von meiner Familie wiedererzählen. Beiseite. Spion! Laut. Ich glaube gar, Sie rauchen kalt.
ERBPRINZ
mit verhaltenem Zorn.
Das Feuer denk' ich mir hier zu holen.
Man setzt sich und zwar so, daß an der einen Spitze des Tisches der König mit Grumbkow, an der andern Hotham mit dem Erbprinzen sitzen.
KÖNIG.
Langen Sie zu, meine Herren. Da stehen die Sorgenbrecher!
SECKENDORF.
Aus das Wohl Sr. Majestät!
KÖNIG.
Nein, nach einem heißen Tag voll Ärger und Kummer, auf Heiterkeit, Frohsinn und gute Einfälle!
Alle stoßen an.
EVERSMANN
der ab- und zugeht, die Gäste bedient und die Kohlen zum Anzünden reicht, beiseite.
Auf Einfälle stoß' ich nicht an. Ich baue mir jetzt schon mein viertes Haus.
KÖNIG
beiseite.
Grumbkow, ich glaube, heute wird's hübsch werden.
GRUMBKOW
beiseite.
Den Erbprinzen wollen wir gleich anbohren.
KÖNIG
beiseite.
Machen Sie's gnädig. Der Angstschweiß steht ihm schon auf der Stirne. Laut. Sagen Sie mal, Erbprinz, da Sie doch so viel in der Welt herumgewindbeutelt sind, rauchen sie denn auch schon in Versailles Tabak?
ERBPRINZ.
Nein, Majestät, aber in London hab' ich Matrosen gesehen, die kauen ihn.
KÖNIG.
Brr! Grumbkow, das führen wir nicht ein – ich will nicht sagen von wegen dem Geschmack, aber solche Mahlzeiten müssen sehr kostspielig werden.
HOTHAM.
Unsere Matrosen brauchen den Tabak auch nur als Mittel gegen den Skorbut –
SECKENDORF.
Was ist Skorbut?
ERBPRINZ.
Ein Übel, Herr von Seckendorf, das mit einem bösen Munde anfängt.
KÖNIG
lachend beiseite.
Ah, Grumbkow, merken Sie was? Er kitzelt. Jetzt mal heraus mit der Plempe!
GRUMBKOW.
Eversmann! Sind die neuesten holländischen Zeitungen angekommen?
EVERSMANN.
O wohl, aber wieder lauter Lügen drin, Exzellenz.
[139]KÖNIG.
Lügen? Drum, glaub' ich, nach dem Sprichwort, ist auch unser Bier so sauer.
GRUMBKOW.
Sagen Sie, Eversmann, steht nichts von Ansbach drin?
HOTHAM
beiseite zum Erbprinzen.
Rüsten Sie sich!
EVERSMANN
frech.
Ach, über so ein kleines Ländchen –
KÖNIG.
Stille! Preußen war auch einmal klein! Sagen Sie lieber, was schreiben denn jetzt die Holländer über Preußen?
EVERSMANN.
Schändlich! Es wären aus Potsdam wieder soviel Deserteure durchgegangen –
KÖNIG.
Das ist nicht gelogen. Leider!
ERBPRINZ.
Aber sie drücken sich darüber zarter aus.
KÖNIG.
Wie denn, Erbprinz?
ERBPRINZ.
Die Garden Ew. Majestät bestünden aus Menschen, die größtenteils an einem krankhaften Wachstum litten. Diese Riesen bekämen zuweilen Perioden, wo sie so ausschlügen, daß sie über alle Fichten gingen und ganz aus dem menschlichen Gesichtskreise. verschwänden –
KÖNIG.
Ha, ha! Lustig ausgedrückt. Trinken Sie doch, Erbprinz!
GRUMBKOW.
Ich denke, Ew. Hoheit lesen nur französische Blätter?
ERBPRINZ.
Ich würde am liebsten preußische lesen, aber, dank der Politik des Herrn von Grumbkow, zurzeit dürfen in Preußen noch keine Blätter erscheinen.
KÖNIG.
Ha, ha, da haben Sie's. Beiseite. Sieh, sieh, der nimmt kein Blatt vor den Mund. Es wird hübsch heute.
HOTHAM
beiseite zum Erbprinzen.
Werden Sie nicht zu scharf! Mäßigung!
GRUMBKOW
beiseite.
Seckendorf, strengen Sie mal Ihren Witz an.
SECKENDORF
beiseite.
Stille, ich kombiniere schon lange etwas. Lassen Sie mich nur die günstige Zeit abwarten.
KÖNIG.
Aber Sie trinken nicht, Erbprinz! Hier muß man trinken können. Beiseite. Eversmann, schenk' Er ihm tüchtig ein.
HOTHAM
beiseite.
Man will Sie berauschen! Rücken Sie nur immer Ihren Krug zu mir herüber.
KÖNIG.
Kennen Sie den alten Dessauer, Erbprinz?
ERBPRINZ
befremdet.
Majestät –
KÖNIG.
Wissen Sie aber auch, welche große Erfindung die Menschheit dem alten Dessauer zu verdanken hat?
ERBPRINZ
beiseite.
Hotham, wissen Sie's nicht?
HOTHAM
beiseite.
Verdammte Querfrage – sagen Sie die Gamaschen!
[140]ERBPRINZ.
Was – der alte Dessauer – erfunden hat, wünschen Ew. Majestät zu wissen?
SECKENDORF
beiseite.
Sehen Sie, nun fangen wir ihn.
KÖNIG.
Ja! Was hat der alte Dessauer erfunden?
ERBPRINZ.
Das Pulver kann's nicht sein, denn das hat schon Herr von Seckendorf erfunden. Alle lachen.
SECKENDORF
beiseite.
Lassen Sie nur, Grumbkow, ich warte nur den günstigen Augenblick ab.
KÖNIG.
Die eisernen Ladestöcke hat er erfunden! Sehen Sie, so was wird mein Sohn in Rheinsberg mit all seinem Homer und Voltaire und wie sie heißen, die verdammten Heiden, in seinem Leben nicht zustande bringen. Beiseite. Trinkt er denn, Eversmann?
HOTHAM
beiseite.
Verlieren Sie Ihren Vorteil nicht.
ERBPRINZ
beiseite.
Wer, Teufel, kann auch an die eisernen Ladestöcke denken?
GRUMBKOW
aufstehend.
Auf die glückliche Reise Sr. Hoheit des Erbprinzen von Baireuth!
ALLE
außer dem König stehen auf.
Glückliche Reise!
HOTHAM
beiseite.
Sie erliegen, Sie verlieren alles!
ERBPRINZ
beiseite.
Schändliche Perfidie!
HOTHAM
beiseite.
Imponieren Sie ihm! Grob wie er selbst! Stellen Sie sich berauscht. Alle setzen sich wieder, nachdem sie lachend angestoßen haben.
ERBPRINZ
steht mit dem Krug in der Hand auf und spricht mit der Andeutung einer leichten Trunkenheit.
Meine Herrschaften –
KÖNIG
beiseite.
Ich glaube, er hat 'nen Spitz!
ERBPRINZ.
Und – und – und – ich danke Ihnen.Setzt sich. Alle lachen.
KÖNIG.
Bravo, Erbprinz! Vortrefflicher Redner sind Sie!
GRUMBKOW.
Majestät, er ist fertig. Er soll jetzt eine Rede halten –
KÖNIG.
Ja, Erbprinz, halten Sie 'ne Rede!
ALLE.
Eine Rede, eine Rede!
ERBPRINZ
stützt den Kopf in die Hände und sieht nicht auf.
HOTHAM.
Es früge sich nur, über was?
KÖNIG.
Über alles, – was er will!
HOTHAM.
Ich wüßte einen interessanten Gegenstand.
KÖNIG.
Heraus damit!
HOTHAM.
Über irgendein Mitglied dieser lustigen Gesellschaft.
KÖNIG.
Topp! Und daß wir nicht lange zu wählen brauchen – über mich!
[141]ALLE
betroffen.
Über Ew. Majestät?
KÖNIG.
Es ist schrecklich heiß hier! Knöpft sich den Rock auf. Machen wir's uns bequem, Eversmann! – Erbprinz! Jetzt mal los! Halten Sie eine Rede über mich!
HOTHAM.
Bitte –
KÖNIG.
Nicht gezögert, gerade als wenn ich gestorben wäre.
HOTHAM.
Majestät –
KÖNIG.
Ruhig, alles still! Der Erbprinz hält über mich eine Rede. Beiseite. In vino veritas! Ich will doch hören, ob in so einem französischen Windbeutel alles Lüge ist.
HOTHAM
beiseite.
Das wird ein entscheidender Moment.
ERBPRINZ
tritt vor.
Er schwankt etwa, sammelt sich aber wieder. Fröhliche Versammlung!
KÖNIG.
Fröhliche? Ich bin ja gestorben.
ERBPRINZ.
Tut nichts. Sind doch fröhlich.
KÖNIG.
Sapperment, ist das wahr?
ERBPRINZ.
Fröhliche Versammlung, vergnügte Leidtragende! Erlauben Sie, daß ich die heutige Festfreude durch einige schmerzliche Betrachtungen unterbreche über die Eigenschaften des Dahingeschiedenen.
KÖNIG.
Schmerzliche Betrachtungen? Das ist ja ein schöner Anfang!
ERBPRINZ.
Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, war – ein großer Charakter, in dem sich – die sonderbarsten Widersprüche – vereinigten.
KÖNIG.
Widersprüche?
ERBPRINZ.
Wie bei allen Menschen, die ihre Erziehung sich selbst verdanken, stand sein an sich edles Gemüt unter dem Einfluß trüber Regungen, von denen die trübste sein Mißtrauen war.
KÖNIG.
Das sind mir ja schöne Sachen!
ERBPRINZ.
Seine Staaten hat er zu einem glänzenden Aufschwung gebracht. Er hat die Regierung vereinfacht, er hat die Gerechtigkeitspflege verbessert. Den ruhigen Genuß aller dieser Segnungen verdarb er sich aber durch eigene Schuld.
KÖNIG.
Sieh, sieh, durch eigene Schuld?
SECKENDORF
beiseite.
Der junge Mensch muß schrecklich viel getrunken haben.
ERBPRINZ.
Sein lebhafter Geist versetzte ihn in eine fortwährende Unruhe, die ebenso für andere wie für ihn selbst peinlich war. Ermüdet konnte er das Bedürfnis gemütlicher Erholung nicht unterdrücken, und seine Sitten waren einfach genug, dies Bedürfnis nirgends anders befriedigen zu wollen als im Schoße seiner Familie.
[142]EVERSMANN
beiseite.
Wenn das kein Unglück gibt!
ERBPRINZ.
Aber auch hier, statt sich auf Rosen zu legen, bettete sich der arme Fürst auf Dornen. Die unglückliche Geschichte seines Sohnes ist so bekannt, daß ich sie mit Stillschweigen übergehen darf –
KÖNIG.
Mit – Stillschweigen –
ERBPRINZ.
Die Freiheit des menschlichen Willens hat Friedrich Wilhelm nicht verstanden. Impfen wollt' er Stamm auf Stamm, Sohn auf Vater, Jugend auf Alter. Die Hand einer liebenswürdigen Tochter bald hier-, bald dorthin verschenkend, fiel ihm niemals ein, auch einmal der Wahl des Herzens Rechte einzuräumen, auch einmal zu fragen: Macht meine Wahl dich auch glücklich, Kind?
KÖNIG.
Eversmann, nehm' Er mal die Pfeife!
ERBPRINZ.
Nun ist er geschieden. Jene Kreatu ren, die während seines Lebens das Herz der Mutter vom Herzen des Vaters und Gatten entfernt gehalten hatten, zittern. Was der verkannte Sohn mit diesen Kreaturen beginnen wird, steht dahin. Des Vaters Schöpfungen werden die Grundlage dieses Staates bleiben. Über sie her aber wird ein milderer Geist wehen, Künste und Wissenschaften werden den Ruhm der Kugeln und Kanonen überflügeln, und der himmelanstrebende Adler Preußens wird seine Devise jetzt wahrhaft erfüllen: Nec soli cedis! Zu deutsch: Selbst der Sonne Blick darf dich nicht blenden! Selbst die Sonne muß dir aus dem Wege gehen! Besinnt sich und geht, sich wieder trunken stellend, nach einer Pause an den Tisch. Hotham, geben Sie mir zu trinken!
KÖNIG
nach einer Pause.
Was ist die Uhr?
EVERSMANN.
Elfe durch – Majestät – Beiseite. Treffen wir jetzt den Prinzen von Wales, dann wehe ihm!
KÖNIG
geht an den Tisch und nimmt einen Krug.
Erbprinz, wenn Sie morgen bei Verstand sind, dann lassen Sie sich erzählen, daß ich mit Ihnen angestoßen habe.
ERBPRINZ
stößt an.
Zu Befehl, Majestät.
KÖNIG.
Er versteht's nicht, Hotham! Übersetzen Sie's ihm ins Nüchterne! Gute Nacht, meine Herren! Wendet sich noch einmal um und betrachtet den Erbprinzen nachdenklich, indem er dessen Worte wiederholt. »Macht meine Wahl dich auch glücklich?« Auf den Erbprinzen blickend. Schade um ihn, es ist ein Büchermensch.
EVERSMANN
ergreift geschäftig einen Leuchter, streift im Zorn an dem triumphierenden Hotham vorbei und spricht mit einem ingrimmigen Blick auf den Erbprinzen.
Darf ich Ew. Majestät vorleuchten – zu dem Besuch – jetzt – bei –
[143]KÖNIG
unterbricht ihn mit des Erbprinzen Worten.
»Die Kreaturen zittern?« Nach einer Pause, während deren er alle übersieht. Ich will allein sein.Geht ab.
Der Vorhang fällt.