[68] Das Vaterland

Wir schwebten mit vollen Segeln
Durch grüne Meeresfluth,
Ein buntes Wandervölklein,
Mit leichtem frohem Muth!
Ein Völklein, wie es heute
Der Wind zusammensät,
Und wie er's morgen wieder
Flink auseinander weht.
Da war ein Mann aus Frankreich,
Vom grünen Rhonestrand;
Goldsaaten, Rebenhügel
Nannt' er sein Vaterland.
Ein Andrer pries als Heimat
Des Nordens Felsenwall,
Die Gletscher Skandinaviens,
Die Seen von Kristall.
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Dort wo als ew'ger Leuchtthurm
Vesuv, der hohe, glüht,
Stand eines Dritten Wiege,
Von Lorbern überblüht.
In deutsche Eichenforste,
Auf grünen Alpenhang,
Zu frischen Au'n der Donau
Zog mich des Heimwehs Drang.
»Laßt hoch die Heimat leben!
Nehmt All' ein Glas zur Hand!
Nicht Jeder hat ein Liebchen!
Doch Jeder ein Vaterland!«
Und Jeder trank den Becher
Mit flammendem Antlitz aus;
Nur Einer starrte schweigend
Weit in die See hinaus.
Ein Mann war's aus Venedig,
Der sprach in sich hinein:
»Mein Vaterland, o Heimat,
Du bist nur Wasser und Stein!
Einst glomm der Freiheit Sonne,
Da lebt' und sprach der Stein,
Und tönte, wie Memnon's Säule,
Ins Morgenroth hinein!
Da wogte glühend das Wasser,
Mit Purpur gürtend die Welt,
Und Regenbogen schleudernd
Hinauf ins Himmelszelt!
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Warum bist du erloschen,
Du schöner Sonnenschein?
Warum bist du, o Heimat,
Jetzt Wasser nur und Stein?«
Er schwieg und starrte lange
Aufs Meer hin unverwandt,
Und, unberührt noch, glänzte
Das Glas in seiner Hand.
Jetzt, wie zum Todtenopfer,
Goß er's hinab ins Meer!
Wie funkelnde Thränen stoben
Die goldenen Tropfen umher.

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