[36] Eine Fensterscheibe

[37][39]

1.

Ihr fragt mich lächelnd, ob ich Glaser worden,
Die Zunft ertauscht um freien Dichterorden,
Daß ich mit so gebrechlich zarter Waare
In das Gedräng' des Dichtermarktes fahre?
Erlaubt, daß ich das blanke Glas euch deute,
Ihr war't mir milde stets, o seid's auch heute;
Wie schad', wenn Einer aus der Hand mir's stieße,
Und euch's in Scherben fiele vor die Füße!
Seht dort des Klosters morsche Mauerzinken
Verschämt und halb versteckt aus Föhren blinken.
Ha, welch lebend'ges Leben rings sich regte,
Als einst der erste Abt den Grundstein legte!
Aus Kronen brachen Kön'ge da Juwele,
Daß es an Steinen für den Bau nicht fehle;
Es lösten Frau'n die güldnen Kettlein wieder,
Um fest zu binden des Kolosses Glieder.
[39]
Alltäglich stand mit früh'ster Morgenhelle
Der Abt, den Bau befeuernd, schon zur Stelle
Mit strengem Worte und mit mildem Weine,
Daß man mit Fug aus Wein den Mörtel meine.
Da schlich einst still ein Bettler um die Wände
Und brachte scheu ein Pfennigstück als Spende:
»Herr, laßt dieß Sandkorn eurem Bau gesellen,
Nur karger Trank quillt aus versiegten Quellen.«
Es sprach der Abt: »Schön Dank und Christi Gnade!
Das gibt für's Fenster dort die Scheibe grade!«
Da ging der Schalk und wünscht' in seiner Seele,
Daß es dem Hause nie an Lichte fehle.
Doch, von des Abtes Demantring geschrieben,
Ist in der Scheibe noch der Spruch geblieben:
»Aus eines Bettelsackes Finsternissen
Seht hier das Licht und Gold der Sonne fließen!«
Und rüstig aus dem blanken Mauerwalle
Stieg Kuppel, Kreuzgang, Thurm und Säulenhalle;
Hoch ragt der Bau und dehnt sich weit und weiter
Als feste Schanze für die Glaubensstreiter.
Zum Bannerträger sie den Thurm erkiesen,
Hoch flammt das Goldkreuz in der Hand des Riesen;
Gleich tausend goldnen Schilden glühn vom Hügel
Weithin ins Land der Fenster lichte Spiegel.
Als eine Wache, stolz und auserkoren,
Stehn hohe Marmorbilder vor den Thoren;
Nie lüstet's sie, in Schlummer sich zu neigen,
Denn Wächterpflicht ist Wachen ja und Schweigen.
[40]
Es braus't aus hundert Kehlen um die Wette
Empor als Schlachtgesang Choral und Mette;
Als Trommeln laut zum Sturm die Kanzeln klingen,
Drauf rüst'ge Schlägel ihre Wirbel springen.
Und horch, sie lösen dröhnend ihr Geschütze:
Die Glocken sind's auf luft'gem Wolkensitze!
Wenn ihre Donner durch den Aether zittern,
Scheint's selbst bei heit'rem Himmel zu gewittern.
So war es einst! – Jetzt sehn die grauen Reste
Scheu auf des sonn'gen Thales Blüthenfeste,
Wie wenn ein Greis gerieth in Kinderspiele,
Ein düstrer Eremit ins Tanzgewühle.
Durch jenen Riß der Kuppel, halbzerfallen,
Drängt Mond und Stern sich in des Domes Hallen,
Als sei'n zu stiller Andacht sie gekommen,
Zu mehren dort die kleine Schaar der Frommen.
Ich seh' den Thurm, gesenkten Haupts mit Schweigen,
Den stolzen Leib gekrümmt in Demut neigen;
Hat ihm des Alters Last gebeugt den Rücken?
Will neuer Zeit er seinen Bückling nicken?
Warf Sturm die ries'gen Quadern auch zu Trümmern,
Seh' ich des Bettlers schwaches Glas doch schimmern,
Als ob, was fromm des Herzens Andacht weihte,
Selbst die Zerstörung zu berühren scheute!
Am Sternenkranz, Madonnas Bild umschwebend,
Seht eines Taubenpärchens Nest jetzt klebend,
Als rief es girrend zu dem Erdensohne,
Daß Liebe gerne bei den Sternen wohne!
[41]
Sankt Peters Bild ließ seine Schlüssel fallen,
Als stünde Edens Thor nun offen Allen;
Sie sanken in die scharfen Nesseln nieder:
Nur Handschuh oder Eisen hebt sie wieder!
Auf schmalen Raum im weiten Bau beschieden
Sich jetzt des Glaubensstreites Invaliden,
Als flöhen sie vor der Zerstörung Tritten;
Rasch aber folgt die Sieg'rin ihren Schritten!
Und wie der Arm der Zeit die Pfeiler schüttelt
Und an den Kuppeln und Gewölben rüttelt,
Dröhnt dumpf der Fall der Steine durch die Hallen,
Wie des Verfolgers ferne Schüsse fallen.
Der Zellen und des Kreuzgangs öde Massen
Sind längst dem Feind als Beute überlassen,
Drin Eul' und Fledermaus ihr Lager breiten,
Vorposten des Vertilgungsheers der Zeiten.
Manch Marmorbild in Gras und Rosensträuchen
Versenkt, gleich unbegrab'nen Kriegerleichen!
Wie vom erklomm'nen Wall, weht vom Altane
Das grüne Moos als Siegs- und Friedensfahne!
So liegt ein kranker Greis im Todesbeben,
Durchs Herz allein noch zuckt ein Fünkchen Leben;
Die Seele ahnt's, es spricht's sein brechend Auge,
Daß er der Welt, und sie ihm nimmer tauge.
Tritt hin, mein Lied, – wir kämpfen nicht mit Leichen! –
An seines Mundes Hauch dein Licht zu reichen!
Verwandl' in Epheu dich und fröhlich treibe
Zur Wand empor bis an des Bettlers Scheibe!
[42]
Wirf einen Blick hinein, dann lustig weiter!
Und schleud're deine Festguirlanden heiter,
Daß ihr Gewind' von Säul' an Säule reiche,
Ein weicher Kranz den Schläfen dieser Leiche.
Ich aber singe durch die deutschen Gauen,
Wo rüst'ge Meister stolze Dome bauen;
Nehmt hin mein Lied, und laßt es euch gefallen
Als eine Scheib' in deutschen Dichterhallen!

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