[144] Das Kreuz des Erschlagenen

1.

Wieder seh' ein Kreuz ich ragen,
– Ach, ich sah schon ihrer viel! –
Wo ein Wandersmann, erschlagen,
Unterm Dolch des Meuchlers fiel!
Nacktes Kreuz, er sah dich sprossen
Noch als grünen schlanken Baum,
Und von deinem Duft umflossen
Schritt er hin im Frühlingstraum.
Du allein sahst ihn verbluten,
Einsam, fremd und unbekannt
Und auf deinen Blüthen ruhten
Seine Blick' im Tod gebannt.
Und du selbst, gefällt, erschlagen,
Hütest jetzt den Schreckensort;
Als ein Denkmal mußt du ragen
Für so grausen Doppelmord.
[145]
Nur der Vogel, der im Wipfel
Deines Laubs dich preisend sang,
Auf des Kreuzes nacktem Gipfel
Klagt dein Todtenlied er bang.
Und ein Rosenstrauch, als solle
Schmücken er dieß kahle Holz,
Klimmt hinan und pflanzt die volle
Ros' am Kreuzesgiebel stolz.
Ein Orangenbaum, als wolle
Bergen er dieß Kreuz der Schmach,
Hüllt es in das goldfruchtvolle,
Silberblüthenreiche Dach.
Doch es denken fern die Lieben
Noch des Manns, der sie verließ,
Als es ihn nach Süd getrieben
In dieß Blüthenparadies.
Und den Längstverschollnen sehen
Sie in blühender Gestalt
Fern noch durch die Rosen gehen,
Schlummernd ruhn im Lorberwald.

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