[490] Vierter Aufzug
Saal mit einem Thronsitze rechts im Vorgrunde. Daneben in gleicher Reihe nach links laufend mehrere Stühle, auf denen acht oder zehn kastilische Standesherren sitzen. Dem Throne zunächst Manrique de Lara, der aufgestanden ist.
MANRIQUE.
So sind wir denn in Trauer hier versammelt;
Nur wenige, sofern die kurze Frist,
Verbunden mit der Nähe seines Sitzes,
Die Möglichkeit zur Ankunft jedem bot.
Es finden mehrere sich später ein.
Doch jetzt schon heißt für voll uns zu erachten
Die dringende, die allgemeine Not,
Die keinen Aufschub gönnt. Vor allem fehlt
In unserm ernsten Kreis derjenige,
In dessen hohem Recht nicht nur der Vorsitz,
Selbst die Berufung steht zu solchem Rat,
So daß halb rechtlos schon wir im Beginn.
Deshalb nun war ich, edle Herrn, bedacht,
Zu laden unsrer Köngin Majestät,
So schwer sie trifft der Inhalt der Besprechung,
Zu nehmen ihren Sitz dort unter uns;
Damit wir wissen, daß nicht herrenlos,
Daß nicht aus eigner Willkür wir versammelt.
Der Gegenstand nun unsers heutgen Rats
Ist, hoff und fürcht ich, allen schon bekannt.
Es hat der König, unser hoher Herr,
Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur,
Nein, auch an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts
In unsrer Vorzeit aufgeschlagnes Buch,
Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden,
Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten,
Hat sie einmal vom Wege sich verirrt,
Den Fehler auch mit gleicher Stärke will
Es hat der König sich von Hof entfernt,
Verlockt von eines Weibes üppgem Sinn,
Was uns zu richten keineswegs geziemt. –
– Die Königin!
[491] Die Königin, von einigen Damen begleitet, tritt von der rechten Seite auf, und nachdem sie den Standesherrn, die sich erhoben haben, durch eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre Plätze zu nehmen, setzt sie sich auf den Thronsessel.
MANRIQUE.
Erlaubt ihr, hohe Frau?
KÖNIGIN
leise.
Fahrt fort!
MANRIQUE.
Ich wiederhole denn mein Frühres:
»Was uns zu richten keineswegs geziemt«.
Doch rüstet sich der Maure an den Grenzen
Und droht mit Krieg dem schwerbedrängten Land.
Da ist des Königs Recht zugleich und Pflicht,
Mit selbst berufnem und geworbnem Heer
Entgegen sich zu stemmen der Gefahr,
Allein der König fehlt. Zwar wird er kommen,
Ich weiß. Wär es auch nur, dieweil erzürnt
Ob unserer Versammlung Eigenmacht.
Doch bleibt der Grund, der ihn von uns entfernt,
So kehrt er wieder in die alten Bande,
Und wir sind eben, nach wie vor, verwaist.
Beliebt?
Die Königin bedeutet ihn fortzufahren.
Da muß vor allem denn die Dirne fort.
Da liegt denn manch ein Vorschlag etwa vor.
Die einen wollen sie mit Gold erkaufen,
Die andern sie gefangen aus dem Land
In weitentlegene Gewahrsam senden.
Doch Gold hat auch der König, und ob fern,
Die Macht weiß wohl zu finden, was sie sucht.
Ein dritter Vorschlag –
Da die Königin aufgestanden ist.
Edle Frau, mit Gunst,
Ihr seid zu mild für unser hart Geschäft,
Und eure Güte, durch kein festes Wollen
Von Zeit zu Zeit gekräftigt und erneut,
Hat unsern Herrn vielleicht zumeist entfremdet.
Ich tadle nicht, ich sage nur, was ist.
Deshalb begebt euch nur der eignen Meinung.
Zwar, wenn ihr reden wollt, wohlan, so sprecht.
[492] Welch Blumenschicksal, welche Schmeichelstrafe
Glaubt ihr dem Fehl der Buhlerin gemäß?
KÖNIGIN
leise.
Den Tod.
MANRIQUE.
Fürwahr?
KÖNIGIN
bestimmter.
Den Tod.
MANRIQUE.
Ihr hörts, ihr Herren.
Das war der dritte Antrag, den ich früher,
Obgleich ein Mann, nicht auszusprechen wagte.
KÖNIGIN.
Ich schäme mich, daß ich vor Männern spreche,
Und was kaum schicklich auch, doch zwinge die Not.
Ist denn die Ehe nicht das Heiligste,
Da sie zu Recht erhebt, was sonst verboten,
Und, was ein Greuel jedem Wohlgeschaffnen,
Aufnimmt ins Reich der gottgefällgen Pflicht?
Die andern Satzungen des höchsten Gottes
Verstärken nur den Antrieb eines Guten,
Doch, was so stark, daß es die Sünde adelt,
Muß mächtger sein als jegliches Gebot.
Dagegen hat nun dieses Weib gefrevelt.
Währt aber meines Gatten Fehltritt fort,
So war ich selbst in all der frühern Zeit
Nur eine Sünderin und nicht sein Weib,
Und unser Sohn ein mißgeborner Auswurf,
Sich selber Schande und der Eltern Schmach.
Seht Schuld ihr in mir selbst, so tötet mich,
Ich will nicht leben, wenn mit Schuld befleckt.
Dann mag er aus den Königstöchtern rings
Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür,
Nicht das Erlaubte wohltut seinem Sinn.
Doch ist dies Weib der Schandfleck dieser Erde,
So reinigt euern König und sein Land.
MANRIQUE.
Doch wird der König es, und wie, ertragene?
KÖNIGIN.
Er wird wohl, weil er soll und darum muß.
Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mördern.
Vor allen treff er mich und diese Brust.
Sie setzt sich.
MANRIQUE.
Es ist kein andrer Ausweg, muß ich sagen.
[493] Es sterben in der Schlacht die Edelsten,
Und eines bittrern, grauenhaftern Tods,
Vor Durst verschmachtend, unter Pferdeshufen,
In jedes Schmerzes schärferer Verdopplung,
Als je ein Sünder auf dem Hochgericht;
Die Krankheit rafft die Besten täglich fort.
Gott geizt mit seiner Menschen Leben nicht,
Und soll man ängstlich sein da, wo sein Wort,
Die heilge Ordnung, die er selbst gesetzt,
Den Tod des einen fordert, der gefrevelt.
Wir wollen insgesamt den König angehn,
Ihn bitten, zu entfernen jenen Anstoß,
Der ihn von uns und uns von ihm entfernt.
Und weigert ers, dann walte blutges Recht,
Bis wieder eins der Fürst und das Gesetz,
Und wir den beiden in dem einen dienen.
Ein Diener kommt.
DIENER.
Don Garceran.
MANRIQUE.
Und wagt es der Verräter?
Sagt ihm –
DIENER.
Im Auftrag seiner Majestät.
MANRIQUE.
Das ist ein anderes. Und wärs mein Todfeind,
Er hat mein Ohr, spricht er des Königs Worte.
Garceran tritt ein.
MANRIQUE.
Sagt euern Auftrag und dann: Gott befohlen.
GARCERAN.
Erlauchte Königin und ihr, mein Vater,
Zugleich ihr andern, dieses Landes Beste.
Ich fühl am heutgen Tag, wie niemals sonst,
Daß das Vertraun der Güter köstlichstes,
Und Leichtsinn, wenn auch keiner Schuld bewußt,
Verderblicher und lähmender als Schuld,
Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht,
Der Leichtsinn aber alle stellt in Aussicht.
Und so, am heutgen Tag, ob rein mich fühlend,
Steh ich als ein Bemakelter vor euch,
Den Unbedacht abbüßend meiner Jugend.
MANRIQUE.
Davon ein andermal. Jetzt euern Auftrag.
GARCERAN.
Der König löst durch mich den Landtag auf.
[494]MANRIQUE.
Und gab er denn, da er den Leichtsinn sandte,
Nichts Festes ihm als Bürgschaft auf die Reise,
Kein schriftlich Wort zumeist von seiner Hand?
GARCERAN.
Er folgt mir auf dem Fuß.
MANRIQUE.
So viel genügt.
Und also lös ich in des Königs Namen
Die Reichsversammlung auf. Ihr seid entlassen.
Doch hört ihr meinen Wunsch und meinen Rat,
So kehrt noch nicht zurück in eure Häuser,
Vielmehr harrt in der Nähe rings verteilt,
Bis klar, ob Don Alfonso unser Amt,
Ob uns es obliegt, seines zu vertreten.
Zu Garceran.
Ihr aber, so gewandt im Fürstendienst,
Seid etwa ihr zum Späher auch berufen,
So meldet nur dem König, was ich riet,
Und daß die Stände in der Tat gelöst,
Doch auch bereit, zur Tat sich zu vereinen.
GARCERAN.
Noch einmal denn im Angesicht von allen
Lehn ich die Schuld ab dieses wirren Vorgangs.
Wie Zufall nur mich aus dem Lager brachte,
Wars Zufall, daß der König mich ersah,
Dies Mädchen vor des Volkes Wut zu schützen.
Und was durch Warnung, Gegenred und Gründe
Ein Mann vermag, um Unrecht zu verhüten,
Hab ich versucht, ob fruchtlos freilich wohl.
Verachtet mich, wenns anders, als ich sage.
Und Doña Klara, ihr, die mir bestimmt
Durch unsrer Väter Wunsch, der auch der meine,
Zu bergen braucht ihr nicht eur edles Haupt,
Zwar eurer würdig nicht – ich wars wohl nie –
Doch minder würdig nicht als sonst und jemals,
Steh ich vor euch und schwöre: also ists.
MANRIQUE.
Ists also denn und seid ihr noch ein Mann,
Seid ein Kastilier, tretet unter uns
Und führt mit uns des Vaterlandes Sache.
Ihr seid bekannt im Schlosse zu Retiro,
Der Hauptmann öffnet euch, wenn ihrs begehrt.
[495] Vielleicht ist solch ein Einlaß uns vonnöten,
Wenn taub der König, unser hoher Herr.
GARCERAN.
Nichts gegen meinen König, meinen Herrn.
MANRIQUE.
Ihr habt die Wahl! Folgt jetzt nur diesen andern,
Vielleicht kommt alles besser, als man glaubt.
Diener von links eintretend.
DIENER.
Des Königs Majestät.
MANRIQUE
zu den Ständen auf die Mitteltüre zeigend.
Nur hier hinaus!
Zu den Dienern.
Und ihr setzt diese Stühle an die Wand.
Nichts soll ihn mahnen, daß man hier getagt.
KÖNIGIN
die vom Throne gestiegen.
Es wankt mein Knie, und mir steht niemand bei!
MANRIQUE.
Die Kraft war mit der Sitte sonst vereint,
Doch wurden sie in jüngster Zeit sich feind.
Die Kraft blieb bei der Jugend, wo sie war,
Die Sitte floh zum altergrauen Haar.
Nehmt meinen Arm. Wie schwankend auch die Schritte:
Die Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte.
Er führt die Königin nach rechts ab. Die Stände mit Garceran haben sich durch die Mitteltüre entfernt.
Der König kommt von der linken Seite. Hinter ihm sein Knappe.
KÖNIG.
Der Braune, sagst du, hinkt? Nun, es ging scharf.
Doch hab ich seiner fürder nicht vonnöten.
Laß ihn am Zügel führen nach Toledo,
Dort stellt ihn Ruh als beste Heilung her.
Ich selber will an meiner Gattin Seite
In ihrer Kutsche mich dem Volke zeigen,
Auf daß es glaubt, was es mit Augen sieht,
Daß abgetan der Zwist und die Zerwürfnis.
Der Knappe geht.
KÖNIG.
Ich bin allein. Kommt niemand mir entgegen?
Nur kahle Wand und schweigendes Gerät.
Hier haben sie vor kurzem, scheints, getagt.
O, diese leeren Stühle sprechen lauter,
Als jene, die drauf saßen, es getan.
Allein was soll das Grübeln und Betrachten,
[496] Gutmachen heißts; damit denn fang ich an.
Hier gehts hinein zu meiner Fraun Gemächern,
Betret ich denn den unwillkommnen Weg.
Er nähert sich der Seitentüre rechts.
Allein die Tür versperrt? – Holla, da drinnen,
Der König ists, der Herr in diesem Haus,
Für mich gibts hier kein Schloß und keine Tür.
Eine Kammerfrau tritt aus der Türe.
KÖNIG.
Versperrt ihr euch?
KAMMERFRAU.
Die Köngin, Majestät –
Da der König mit starkem Schritte hineingehen will.
KAMMERFRAU.
Die innre Tür auch hat sie selbst verschlossen.
KÖNIG.
Eindringen will ich nicht. Sagt ihr denn an,
Ich sei zurück und lasse sie entbieten –
Vielmehr sagt: bitten, wie ichs jetzt gesagt.
Die Kammerfrau geht.
KÖNIG
dem Throne gegenüberstehend.
Du hoher Sitz, die andern überragend,
Gib, daß wir niedriger nicht sei'n als du,
Auch ohne jene Stufen, die du leihst,
Das Maß einhalten des, was groß und gut.
Die Königin kommt.
KÖNIG
ihr mit ausgestreckter Hand entgegengehend.
Lenore, sei gegrüßt.
KÖNIGIN.
Seid uns willkommen.
KÖNIG.
Und nicht die Hand.
KÖNIGIN.
Ich freu mich, euch zu sehn.
KÖNIG.
Und nicht die Hand?
KÖNIGIN
in Tränen ausbrechend.
O Gott und Vater!
KÖNIG.
Lenore, diese Hand ist nicht verpestet.
Zieh ich in Krieg, wie ich denn soll und muß,
So wird sie Feindesblut vollauf bedecken,
Doch klares Wasser tilgt die Makel aus,
Und rein werd ich sie bringen zum Willkomm.
Das Wasser nun der körperlichen Dinge
Hat für die Seelen geistigen Ersatz.
Du bist als Christin glaubensstark genug,
Der Reue zuzutrauen solche Macht.
[497] Wir andern, die auf Tätigkeit gestellt,
Sind so bescheidnem Mittel nicht geneigt,
Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden,
Ja, halb nur Furcht ist eines neuen Fehls.
Wenn aber beßres Wollen, freudiger Entschluß
Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt,
So nimms, wie ich es gebe, wahr und ganz.
KÖNIGIN
beide Hände hinhaltend.
O Gott, wie gern!
KÖNIG.
Nicht beide Hände!
Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner,
Gibt man zum Pfand von Bündnis und Vertrag.
Vielleicht um anzudeuten, nicht nur das Gefühl,
Das seinen Sitz im Herzen aufgeschlagen,
Auch der Verstand, des Menschen ganzes Wollen
Muß Dauer geben dem, was man versprach.
Denn wechselnd wie die Zeit ist das Gefühl.
Was man erwogen, bleibt in seiner Kraft.
KÖNIGIN
die Rechte bietend.
Auch das! Mein ganzes Selbst.
KÖNIG.
Die Hand, sie zittert.
Sie loslassend.
Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib.
Und glaube nicht, weil minder weich ich spreche,
Ich minder darum weiß, wie groß mein Fehl,
Und minder ich verehre deine Güte.
KÖNIGIN.
Verzeihn ist leicht, begreifen ist viel schwerer.
Wie es nur möglich war. Ich faß es nicht.
KÖNIG.
Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder.
Als solche hat man einstens uns vermählt,
Und wir, wir lebten fort als fromme Kinder.
Doch Kinder wachsen, nehmen zu an Jahren,
Und jedes Stufenalter der Entwicklung,
Es kündet an sich durch ein Unbehagen,
Wohl öfters eine Krankheit, die uns mahnt,
Wir sei'n dieselben und zugleich auch andre,
Und andres zieme sich im Nämlichen.
So ists mit unserm Innern auch bestellt,
[498] Es dehnt sich aus, und einen weitern Umkreis
Beschreibt es um den alten Mittelpunkt.
Solch eine Krankheit haben wir bestanden;
Und sag ich: wir, so mein ich, daß du selbst
Nicht unzugänglich seist dem innern Wachstum.
Laß uns die Mahnung stumpf nicht überhören!
Wir wollen künftighin als Könge leben,
Denn, Weib, wir sinds. Uns nicht der Welt verschließen,
Noch allem, das da groß in ihr und gut,
Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung
Des Abends heim in ihre Zellen kehren,
Bereichert durch des Tages Vollgewinn,
Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit,
Nun doppelt süß durch zeitliches Entbehren.
KÖNIGIN.
Wenn dus begehrst, ich selbst vermiß es nicht.
KÖNIG.
Du wirsts vermissen dann in der Erinnrung,
Wenn du erst hast, woran man Werte mißt.
Nun aber laß Vergangnes uns vergessen!
Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn
Den Weg versperre sich durch dies und das,
Durch das Gerümpel eines frühern Zustands.
Ich spreche mich von meinen Sünden los,
Du selbst bedarfst es nicht in deiner Reinheit.
KÖNIGIN.
Nicht so! nicht so! O, wüßtest du, mein Gatte,
Was für Gedanken, schwarz und unheilvoll,
Den Weg gefunden in mein banges Herz.
KÖNIG.
Wohl etwa Rachsucht gar? Nun, um so besser.
Du fühlst dann, daß Verzeihen Menschenpflicht
Und niemand sicher ist, auch nicht der Beste.
Wir wollen uns nicht rächen und nicht strafen,
Denn jene andre, glaub, ist ohne Schuld,
Wie's die Gemeinheit ist, die eitle Schwäche,
Die nur nicht widersteht und sich ergibt.
Ich selber trage, ich, die ganze Schuld.
KÖNIGIN.
O, laß mich glauben, was mich hält und tröstet.
Der Mauren Volk und all, was ihnen ähnlich,
Geheime Künste üben sie, verruchte,
Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, bösen Tränken,
[499] Die in der Brust des Menschen Herz verkehren
Und seinen Willen machen untertan.
KÖNIG.
Umgeben sind wir rings von Zaubereien,
Allein wir selber sind die Zauberer.
Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah,
Was wir verschmäht, scheint andrer Zeit uns hold,
Und in der Welt voll offenbarer Wunder
Sind wir das größte aller Wunder selbst.
KÖNIGIN.
Sie hat dein Bild.
KÖNIG.
Sie soll es wieder geben,
Und heften will ichs sichtlich an die Wand
Und drunter schreiben für die späten Enkel:
Ein König, der an sich nicht gar so schlimm,
Hat seines Amts und seiner Pflicht vergessen.
Gott sei gedankt, daß er sich wiederfand.
KÖNIGIN.
Allein du selber trägst an deinem Hals –
KÖNIG.
Ja so! ihr Bild? Ward dir das auch schon kund?
Er nimmt das Bild mit der Kette vom Halse und legt es auf den Tisch rechts im Vorgrunde.
So leg ich es denn hin und mög es liegen,
Ein Blitz, der nicht mehr schädlich nach dem Donner.
Das Mädchen aber selbst, sie sei entfernt!
Mag dann mit einem Mann sie ihres Volks –
Von vorn nach rückwärts auf und nieder gehend, in Absätzen stehenbleibend.
Ob das zwar nicht. – Die Weiber dieses Stamms
Sind leidlich, gut sogar. – Allein die Männer
Mit schmutzger Hand und engem Wuchersinn.
Ein solcher soll das Mädchen nicht berühren.
Am Ende hat sie Bessern angehört
Allein was kümmerts uns? – Ob so, ob so,
Wie nah, wie fern! – Sie mögen selber sorgen.
KÖNIGIN.
Doch wirst du stark auch bleiben, Don Alfonso?
KÖNIG
stehenbleibend.
Sieh nur, du hast das Mädchen nicht gekannt.
Nimm alle Fehler dieser weiten Erde,
Die Torheit und die Eitelkeit, die Schwäche,
Die List, den Trotz, Gefallsucht, ja, die Habsucht,
Vereine sie, so hast du dieses Weib.
[500] Und wenn, statt Zauber, rätselhaft dus nennst,
Daß jemals sie gefiel, so stimm ich ein
Und schämte mich, wärs nicht natürlich wieder.
Er geht auf und nieder.
KÖNIGIN.
O, nicht natürlich, glaube mir, mein Gatte.
KÖNIG
stehenbleibend.
Ein Zauber endlich ist. Er heißt Gewohnheit,
Der anfangs nicht bestimmt, doch später festhält,
Von dem, was störend, widrig im Beginn,
Abstreift den Eindruck, der uns unwillkommen,
Das Fortgesetzte steigert zum Bedürfnis.
Ists leiblich doch auch anders nicht bestellt.
Die Kette, die ich trug – und die nun liegt,
Auf immer abgetan – So Hals als Brust,
Sie haben an den Eindruck sich gewöhnt,
Sich schüttelnd.
Und fröstelnd gehts mir durch die leeren Räume.
Ich will mir eine andre Kette wählen,
Der Körper scherzt nicht, wenn er warnend mahnt.
Und damit nun genug!
Doch daß ihr blutig
Euch rächen wolltet an der armen Törin,
Das war nicht gut.
Zum Tische tretend.
Denn sieh nur diese Augen –
Nun ja, die Augen! – Körper, Hals und Wuchs,
Das hat Gott wahrlich meisterhaft gefügt.
Sie selber machte später sich zum Zerrbild.
Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren
Und nicht zerstören, was er weise schuf
KÖNIGIN.
Berühr es nicht!
KÖNIG.
Schon wieder denn der Unsinn!
Und wenn ichs nehme wirklich in die Hand
Er hat das Bild auf die Hand gelegt.
Bin ich ein andrer drum? Schling ich die Kette
Aus Scherz, um dein zu spotten, um den Hals,
Er tuts.
Das Bild, das dich erschreckt, im Busen bergend,
[501]Bin minder ich Alfonso, der es einsieht,
Daß er gefehlt, und der den Fehl verdammt?
Drum seis des Unsinns endlich doch genug.
Er entfernt sich vom Tische.
KÖNIGIN.
Allein –
KÖNIG
wild nach ihr hinblickend.
Was ist?
KÖNIGIN.
O Gott im Himmel!
KÖNIG.
Erschrick nicht, gutes Weib. Doch sei vernünftig
Und wiederhole mir nicht stets dasselbe.
Es mahnt zuletzt mich an den Unterschied.
Auf den Tisch, dann auf seine Brust zeigend.
Dort jenes Mädchen – zwar jetzt ist sie hier
War töricht sie, so gab sie sich als solche
Und wollte klug nicht sein, noch fromm und sittig.
Das ist die Art der tugendhaften Weiber,
Daß ewig sie mit ihrer Tugend zahlen.
Bist du betrübt, so trösten sie mit Tugend,
Und bist du froh gestimmt, ists wieder Tugend,
Die dir zuletzt die Heiterkeit benimmt,
Wohl gar die Sünde zeigt als einzge Rettung.
Was man die Tugend nennt, sind Tugenden,
Verschieden, mannigfalt, nach Zeit und Lage,
Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl,
Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug.
Ich will die Kette nur vom Halse legen,
Denn sie erinnert mich –
Und dann, Lenore,
Daß du mit den Vasallen dich verbündet,
Das war nicht gut, war unklug, widrig.
Wenn du mir zürnst, bist du in deinem Recht.
Doch diese Männer, meine Untertanen,
Was wollen sie? Bin ich ein Kind, ein Knabe,
Der noch nicht kennt den Umkreis seiner Stellung?
Des Reiches Sorge teilen sie mit mir,
Und gleiche Sorge, weiß ich, ist mir Pflicht.
Doch ich, Alfonso, ich, der Mensch, der Mann
In meinem Haus, in meinem Sein und Wesen,
Schuld ich des Reiches Männern Rechenschaft?
[502] Nicht so! Und hört ich nichts als meinen Zorn,
Ich kehrte rasch zurück, woher ich kam,
Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urteil,
Nicht ihrer Billigung ich untertan.
Nach vorn tretend und mit dem Fuße auf den Boden stampfend.
Und endlich dieser Alte, Don Manrique,
Wenn er mir Vormund war, ist er es noch?
Don Manrique erscheint in der Mitteltüre. Die Königin zeigt mit gerungenen Händen nach ihrem Gatten. Manrique zieht sich mit einer beruhigenden Bewegung beider Hände zurück.
KÖNIG.
Erkühnt er sich, dem König vorzuschreiben
Die hausgebacknen Lehren seiner Weisheit?
Wohl gar zu heimlicher, verwegner Tat –?
In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.
Ich will das untersuchen, ich, als Richter,
Und zeigt sich eine Spur nur von Vergehn,
Von frevelhafter Absicht oder Tat,
Je näher mir der Schuldige, ja nächst,
Nur um so härter büß er sein Erkühnen.
Nicht du, Lenore, nein, du bist entschuldigt.
Die Königin hat sich während des letzten leise durch die Seitentüre rechts entfernt.
Wo ging sie hin? So läßt man mich allein?
Bin ich der Tor in meinem eignen Haus?
Er nähert sich der Seitentüre rechts.
Ich will zu ihr! – Die Tür verschlossen?
Die Türe mit einem Fußtritt sprengend.
Auf!
So nehm ich mir im Sturm mein häuslich Glück.
Er geht hinein.
Don Manrique und Garceran erscheinen in der Mitteltüre. Letzterer macht einen Schritt über die Schwelle.
MANRIQUE.
Willst du mit uns?
GARCERAN.
Mein Vater!
MANRIQUE.
Willst du nicht?
Die andern sind voran. Folgst du?
GARCERAN.
Ich folge.
Sie ziehen sich zurück. Die Türe geht zu.
[503] Pause. Der König kommt zurück. In der Stellung eines Horchenden.
KÖNIG.
Horch, wieder! – Es ist nichts, und alles stille.-
Die Zimmer meiner Gattin leer, verlassen.
Rückkehrend aber, in der Erkerstube,
Vernahm ich Lärm von Wagen und von Rossen,
In reißendem Galopp das Weite suchend.
Bin ich allein? – He, Garceran! Reinero!
Der Knappe kommt aus der Seitentüre links.
KÖNIG.
Was ist? Was geht hier vor?
KNAPPE.
Erlauchter Herr,
Das Schloß ist menschenleer; ihr selbst und ich
Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner.
KÖNIG.
Die Königin?
KNAPPE.
Verließ das Schloß zu Wagen.
KÖNIG.
Schon nach Toledo denn zurück?
KNAPPE.
Ich weiß nicht.
Allein die Herren –
KÖNIG.
Welche Herrn?
KNAPPE.
Die Stände,
Die sich gesamt auf ihre Pferde schwangen,
Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo,
Vielmehr den Weg, auf dem ihr selber kamt.
KÖNIG.
Ha, nach Retiro? Fällts wie Schuppen doch
Von meinen sehenden und blinden Augen.
Das ist der Mord. Sie gehen, sie zu töten.
Mein Pferd! Mein Pferd!
KNAPPE.
Das eure, hoher Herr,
Ward als gelähmt, wie selber ihr befahlt –
KÖNIG.
Nun denn ein andres, Garcerans, das deine.
KNAPPE.
Man hat die Pferde sämtlich weggebracht,
Mit sich geführt, vielleicht gejagt ins Freie.
Die Ställe sind geleert, so wie das Schloß.
KÖNIG.
Sie denken mich zu überholen. Fort,
Schaff mir ein Pferd, und wärs ein Ackergaul,
Es soll ihm Flügel leihen meine Rache.
Und wenns geschah. – Dann, guter Gott, dann gib,
[504] Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Mensch
Die Schuld bestrafe und die Schuldigen.
Schaff mir ein Pferd! Sonst bist du einverstanden
Und zahlst mit deinem Kopf wie alle,
An der Türe stehenbleibend, mit einer heftigen Bewegung.
alle!
Er eilt fort.
Der Vorhang fällt.