Dritte Szene
Saal auf dem Schlosse.
Der Teufel liegt auf dem Tische und die vier Naturhistoriker stehen um ihn herum.
ERSTER NATURHISTORIKER.
Sie geben mir zu, meine Herren, es ist mit diesem Toten ein verwickelter Kasus.
ZWEITER NATURHISTORIKER.
Wie man es nimmt! Es ist nur schlimm, daß seine Pelzkleider so labyrinthisch zugeknöpft sind, daß selbst der Weltumsegler Cook sie nicht würde aufknöpfen können.
ERSTER NATURHISTORIKER.
Sie geben mir zu, daß es ein Mensch ist?
DRITTER NATURHISTORIKER.
Gewiß! er hat fünf Finger und keinen Schwanz.
[219]VIERTER NATURHISTORIKER.
Hier ist also nur die Frage zu lösen, was es für ein Mensch sein mag.
ERSTER NATURHISTORIKER.
Richtig! Dabei kann man aber nicht vorsichtig genug zu Werke gehn; obschon es also heller Tag ist, so rate ich doch, daß man noch außerdem ein Licht anzündet.
DRITTER NATURHISTORIKER.
Sehr wahr, Herr Kollege!
Sie zünden ein Licht an und setzen es neben den Teufel auf den Tisch.
ERSTER NATURHISTORIKER
nachdem sie alle vier den Teufel mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit betrachtet haben.
Meine Herren, ich denke jetzt mit diesem rätselhaften Kadaver im klaren zu sein, und ich hoffe, daß ich mich nicht irre. Bemerken Sie diese zurückgestülpte Nase, diese breiten, großmäuligen Lippen, – bemerken Sie, sage ich, diesen unnachahmlichen Zug von göttlicher Grobheit, welcher über das ganze Antlitz ausgegossen ist, und Sie werden nicht zweifeln, daß Sie einen unsrer jetzigen Rezensenten, und zwar einen echten, vor sich liegen sehen.
ZWEITER NATURHISTORIKER.
Lieber Kollege, ich kann nicht so völlig mit Ihrer übrigens außerordentlich scharfsinnigen Meinung übereinstimmen. Nicht zu erwähnen, daß unsre heurigen Rezensenten, besonders die Theaterkritiker, mehr einfältig als grob sind, so spüre ich auch in diesem toten Gesichte kein einziges von den Merkmalen, welche Sie uns aufzuzählen belieben. Ich gewahre im Gegenteil durchaus etwas Mädchenartiges darin; die buschigen, überhängenden Augenbrauen deuten auf jene zarte, weibliche Verschämtheit, welche sogar ihre Blicke zu verstecken trachtet, und die Nase, welche Sie zurückgestülpt nennen, scheint sich vielmehr aus Höflichkeit zurückgebeugt zu haben, um dem schmachtenden Liebhaber einen recht großen Platz zum Kusse offen zu lassen; – genug, wenn mich nicht alles trügt, so ist dieser erfrorene Mensch eine Pastorstochter.
DRITTER NATURHISTORIKER.
Ich muß gestehen, mein Herr, daß mir Ihre Hypothese etwas gewagt vorkommt. Ich vermute, daß es der Teufel ist.
ERSTER UND ZWEITER NATURHISTORIKER.
Das ist ab initio unmöglich, denn der Teufel paßt nicht in unser System!
VIERTER NATURHISTORIKER.
Streiten Sie sich nicht, meine wertgeschätzten Kollegen! Nun will ich Ihnen meine Meinung [220] sagen, und ich wette, daß Sie derselben sofort beistimmen werden. Betrachten Sie die enorme Häßlichkeit, welche uns aus jeder Miene dieses Gesichtes entgegenkreischt, und Sie sind ja gezwungen, mir einzuräumen, daß solch eine Fratze gar nicht existieren könnte, wenn es keine deutsche Schriftstellerinnen gäbe.
DIE DREI ANDREN NATURHISTORIKER.
Ja, es ist eine deutsche Schriftstellerin; wir weichen Ihren triftigern Argumenten.
VIERTER NATURHISTORIKER.
Ich danke Ihnen, meine Kollegen! – Aber, was ist das? Sehen Sie auch wie die Tote, seitdem wir ihr das brennende Licht vor die Nase gesetzt haben, anfängt sich zu regen? Jetzt zuckt sie mit dem Finger, – jetzt schüttelt sie mit dem Kopfe, – sie macht die Augen auf, – sie ist lebendig!
TEUFEL
sich auf dem Tische emporrichtend.
Wo – bin ich? – Hu, friere noch immer! Zu den Naturforschern. Bitte, meine Herren, machen Sie doch dort die beiden Fenster zu, – ich kann den Luftzug nicht recht gut vertragen!
DER ERSTE NATURHISTORIKER
indem er die Fenster zumacht.
Sie haben gewiß eine schwache Lunge!
TEUFEL
indem er vom Tische herunterklettert.
Nicht immer! Wenn ich in einem wohleingeheizten Ofen sitze, nicht!
ZWEITER NATURHISTORIKER.
Wie? Sie setzen sich in einen wohleingeheizten Ofen?
TEUFEL.
Ja, ich pflege mich bisweilen hineinzusetzen.
DRITTER NATURHISTORIKER.
Eine merkwürdige Gewohnheit!
Er schreibt es auf.
VIERTER NATURHISTORIKER.
Nicht wahr, Madam, Sie sind eine Schriftstellerin?
TEUFEL.
Schriftstellerin? Was soll das heißen? Solche Weiber plagt der Teufel, aber Gott behüte den Teufel, daß sie der Teufel selbst wären.
ALLE VIER NATURHISTORIKER.
Was? also doch der Teufel? der Teufel?
Sie wollen davonlaufen.
TEUFEL
beiseit.
Ha, nun kann ich einmal weidlich lügen! Laut. Meine Herren, meine Herren! wohin? Beruhigen Sie sich! Sie werden doch vor keiner Spielerei, die ich mit meinem Namen mache, davonlaufen?
Die Naturhistoriker kehren wieder um.
Ich heiße Teufel, aber ich bins wahrhaftig nicht!
ERSTER NATURHISTORIKER.
Mit wem denn haben wir die Ehre [221] zu sprechen?
TEUFEL.
Mit Theophil Christian Teufel, Generalsuperintendenten in herzoglich – – schen Diensten, Ehrenmitgliede einer Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden, und Ritter des päpstlichen Zivilverdienstordens, welcher mir nämlich im Mittelalter vom Papste dafür, daß ich ihm den Pöbel in steter Furcht erhielt, verliehen worden ist.
VIERTER NATURHISTORIKER.
So müssen Sie ja schon ein bedeutendes Alter erreicht haben!
TEUFEL.
Sie irren, ich bin erst 11 Jahr alt.
DRITTER NATURHISTORIKER
zum zweiten.
Das ist der größte Lügenbeutel, den ich je gesehen habe.
ZWEITER NATURHISTORIKER
zum dritten.
So wird er den Damen sehr gefallen! –
Teufel ist dem Lichte immer näher gerückt und hat unwillkürlich den Finger hineingesteckt.
ERSTER NATURHISTORIKER.
Herr Gott, was machen Sie da Herr Generalsuperintendent? Sie stecken ja den Finger ins Licht!
TEUFEL
verwirrt; den Finger zurückziehend.
Ich – ich liebe es, den Finger ins Licht zu stecken!
DRITTER NATURHISTORIKER.
Sonderbare Passion! Schreibt es auf.
Der Baron, Liddy, Wernthal und Rattengift treten ein.
VIERTER NATURHISTORIKER.
Ah, der Baron und die Gesellschaft!
ERSTER NATURHISTORIKER
zu den Eintretenden.
Hier stelle ich Ihnen den Herrn Generalsuperintendenten Theophil Teufel vor, welcher im Mittelalter Ritter vom päpstlichen Zivilverdienstorden geworden ist, und sich nicht nur in wohleingeheizte Öfen zu setzen pflegt, sondern auch den Finger in das Licht zu stecken liebt!
RATTENGIFT.
Ei, Herr Generalsuperintendent, Sie kommen ja wie gerufen, um die schöne Liddy mit dem Herrn von Wernthal zu kopulieren.
TEUFEL
verlegen.
Kopulieren? Ich? Halblaut. Heilige Kreuz-Donnerwetter, ich kenne die Formel nicht!
LIDDY.
Fluchen Sie nur nicht so gräßlich, Herr Generalsuperintendent! Mit dem Kopulieren hats noch einige Monate Zeit.
WERNTHAL.
Liddy, wie können Sie mir diese Hand, die ich [222] voller Sehnsucht an meine Lippen drücke, so lange verweigern?
LIDDY
unwillig ihre Hand wegziehend.
Herr von Wernthal, lassen Sie das! Ich liebe die Narreteien nicht!
WERNTHAL.
O, teures Fräulein, ich verehre Sie so grenzenlos, daß ich –
BARON.
Eine Prise, Herr von Wernthal! Herr von Wernthal nimmt sie und niest gewaltig.
Der Teufel ist unterdes dem Lichte wieder näher gerückt und hält abermals den Finger hinein.
DIE VIER NATURHISTORIKER
welche jede seiner Bewegungen mit ihren Blicken verfolgt haben, lautrufend.
Sehen Sie, sehen Sie, meine Herren, der Generalsuperintendent hält schon wieder den Finger ins Licht!
DER TEUFEL.
Ei, so wollt ich doch –
Er reißt sich mit der rechten Hand den linken Arm ab und prügelt damit die Naturhistoriker zur Stube hinaus; dann setzt er sich den Arm wieder ein und kehrt zur Gesellschaft zurück.
RATTENGIFT.
Herr! Herr! was soll ich von Ihnen denken? Sie reißen sich da den Arm aus und setzen ihn wieder ein, als wenn man einen Strumpf aus und anzieht! Wahrlich, das wäre selbst in der Poesie zu kühn, wieviel mehr im Leben!
TEUFEL.
Sie erstaunen um nichts! Bloße Geschwindigkeit! Ich habe auf der Universität zu – die Theologie studiert und dort schnappt man in den Kollegien nebenbei solcherlei Kunststückchen weg!
EIN DIENER
tritt auf.
Der Schulmeister wünscht vorgelassen zu werden; er hätte ein junges Genie bei sich, welches er der Gesellschaft produzieren wolle.
BARON.
Sag dem Saufaus vom Schulmeister, daß er sich mit seinem Genie zum Henker packen möge!
LIDDY.
Ei, lieber Onkel, verderben Sie uns den Spaß nicht! Der Schulmeister ist der lustigste Kauz, den ich kenne, und bei aller seiner Tollheit, weiß er recht gut, was er tut! Gewiß hat er irgend einen erzdummen Dorftölpel aufgefischt, den er uns nun als einen großen Poeten vorstellen und ganz dreist mit Homer und Ariost vergleichen wird.
BARON
zu dem Diener.
So laß ihn hereinkommen.
Diener ab.
Aber Sie, Herr Generalsuperintendent, sollen ihn zu schrauben [223] suchen!
TEUFEL.
Ich will ihn schon ins Gebet nehmen, Herr Baron!
WERNTHAL
zu Liddy.
Sie sind es doch stets, welche Jedem –
BARON.
Eine Prise, Herr von Wernthal!
Wernthal nimmt sie und niest.
LIDDY.
Der Schulmeister hat wahrscheinlich wieder neue Heringe erhalten, Herr Rattengift!
RATTENGIFT.
Die vertrackten Heringe!
Er geht grimmig ab.
BARON.
Was ist das mit den Heringen, du schadenfrohe Nichte? Rattengift schien gewaltigen Anstoß daran zu nehmen!
LIDDY.
Geduld, lieber Onkel! Sie werden es gleich vom Schulmeister selbst erfahren.
Der Schulmeister und Gottliebchen treten ein.
SCHULMEISTER
mit großen Reverenzen.
Habe die Ehre und die –
WERNTHAL.
Um des Himmelswillen, Herr Schulmeister, was haben Sie da für einen furchtbaren Tintenstrich durchs Gesicht?
SCHULMEISTER
stellt sich erstaunt.
Ich – einen Tintenstrich? – wirklich? – – Ah, Euer Gnaden, da können Sie nun betrachten, was der Fleiß, was der Eifer –
LIDDY.
Bemühen Sie sich nicht, Herr Schulmeister! Wir wissen, was so etwas bei Ihnen bedeutet! Nicht wahr? gestern als die Sonne unterging, ging Ihnen ein großer Gedanke auf, und da Sie grade kein weißes Papier bei sich hatten, so schrieben Sie ihn in der Eile sich ins Gesicht!
SCHULMEISTER.
Gnädiges Fräulein, Sie erraten nicht übel –
LIDDY.
Oder Sie besahen sich zufälligerweise im Spiegel, und da Ihnen Ihr Gesicht zu schlecht vorkam, so strichen Sie es aus!
SCHULMEISTER.
Sie werden bitter, Fräulein, werden bitter! Tinte ist das wahre Seelenblut eines Gelehrten, und Wehe dem Gelehrten, der sein Seelenblut im Gesichte sitzen hat, denn es sieht sehr häßlich aus und macht schwarze Flecke.
BARON UND WERNTHAL.
Ein närrischer Pedant!
LIDDY
leise zum Schulmeister.
Scherz beiseit! Hat die alte Marie das Geld erhalten?
SCHULMEISTER.
Ja, bestes Fräulein, und sie weinte vor Freuden –
LIDDY.
Still! hier ist noch ein Louisd'or für sie, – ich werde [224] sie heute abend besuchen!
Der Teufel welcher mittlerweile dem Lichte wieder allmählich näher gegangen war, fängt auf einmal laut an zu weinen und zu schluchzen.
BARON.
Holla, was fällt so plötzlich dem Generalsuperintendenten ein? Er schluchzt ja wie ein Mühlrad!
WERNTHAL.
Wahrhaftig, die Tränen laufen ihm dick über die Wangen!
SCHULMEISTER.
Ein Generalsuperintendent? – Gottliebchen, mach eine Verbeugung!
LIDDY.
Was fehlt Ihnen, mein Herr?
TEUFEL.
Ach! Sie können noch fragen! Hier muß was Edles geschehen sein!
BARON.
Was Edles?
SCHULMEISTER.
Der Herr Generalsuperintendent irren sich nicht! Fräulein Liddy hat mir eben einen Louisd'or für die kranke Marie gegeben.
TEUFEL.
Hören Sie es nun, meine Herren?
WERNTHAL.
Und deswegen fingen Sie an zu weinen?
TEUFEL
sich die Augen trocknend.
Ja, es machte mich melancholisch.
LIDDY.
Beruhigen Sie sich; es soll sobald nicht wie der geschehn!
BARON.
Nein, das ist bei einem Generalsuperintendenten doch höchst singulär!
WERNTHAL.
Was meinen Sie dazu, Herr Schulmeister?
SCHULMEISTER.
Seine Hochwürden scheinen sehr gemütlich zu sein!
BARON.
Gemütlich? Wo haben Sie das jämmerliche Wort her?
SCHULMEISTER.
Aus der Zeitung für die elegante Welt.
BARON.
Zeitung für die elegante Welt? Wo haben Sie denn die her?
LIDDY.
Nun, lieber Onkel, erinnern Sie sich an die Heringe, vor denen der ästhetische Rattengift davonlief.
SCHULMEISTER.
Ja, Herr Baron, damit hat es seine eigne Bewandtnis. Ich habe in der Stadt einen weitläuftigen Vetter, Herrn Pfennigschlucker, der mit Packdraht, Gemmen, Kupferstichen, Fischen und alten Hosen einen nicht uneinträglichen Handel treibt.
BARON.
Wir glauben es.
SCHULMEISTER.
Dieser Mann pflegt mir alle vierzehn Tage [225] ein Paketchen halbfauler Heringe zu schicken, für welches ich nur den spottwohlfeilen Preis von 14 Groschen zu bezahlen brauche; die einzelnen Heringe aber hat er meistenteils sorgfältig in die frischen Druckbogen der elendesten poetischen Werke und Zeitschriften eingewickelt, und auf diese Weise werde ich denn so ziemlich vollständig mit den besten Produkten unserer neueren Literatur versorgt.
BARON.
Hahaha! eine Heringsliteratur!
SCHULMEISTER.
Da erhalte ich nun Gedichte von August Kuhn, Erzählungen von Krug von Nidda, Maultrommel- oder Lyra-Töne von Theodor Hell, Trauerspiele von einem gewissen Herrn von Houwald –
WERNTHAL.
Bei Gott, das sind ja lauter Damenschriftsteller! lauter geschätzte Damenschriftsteller!
LIDDY.
Herr von Wernthal, wenn man, wie es jetzt Mode ist, grade die fadesten Schriftsteller, Damenschriftsteller nennt, so macht man uns wahrlich ein schlechtes Kompliment damit.
BARON.
Kind, tadle den Herrn von Wernthal nicht! Bedenke! Houwald, der sinnige, zarte Houwald! um einen Hering gewickelt! welche Beleidigung!
SCHULMEISTER.
Keine Beleidigung, Herr Baron, sondern eine Verbesserung! Der gute Mann will nämlich zuweilen auch satirisch sein. So hat er vor einiger Zeit eine Parodie auf die Schuld schreiben wollen, welche letztere mir bei allen ihren Mängeln doch noch viel zu gut dünkt, als daß ihre Rezensenten sie verstehen könnten; sein Machwerk hieß, wie ich glaube, die Fliegenklatsche, und enthielt viel Trivialität, aber kein Körnchen Salz; seitdem sich jedoch meine eingewickelten Heringe desselben erbarmt haben, ist es so durch und durch salzig geworden, daß selbst Müllner, wenn er es in den Mund nähme, ausrufen würde: »ich habe noch nie etwas so Salziges geschmeckt!«
BARON.
Bravissimo, Herr Schulmeister! Sie sind mein Mann! – Aber in aller Welt, wie kommen Sie auf dem Dorfe zu diesen sarkastischen Ansichten über unsre moderne Schriftstellerei?
SCHULMEISTER
sich gegen Liddy verbeugend.
Hier steht meine Lehrerin; – als Fräulein Liddy vorigen Winter krank war, mußte ich ihr abends aus neuerschienenen Werken vorlesen, und da habe ich denn, wenn sie die meisten zum Feuer [226] verurteilte, nicht wenig profitiert.
LIDDY.
Der Herr Schulmeister erzeigen mir zu viel Ehre!
Während dieser Unterredung hat sich der Teufel beiseit gemacht; er hat mit schadenfrohem Lächeln einen Stuhl zerbrochen, die einzelnen Stücke in den Kamin gelegt, sein chemisches Feuerzeug herausgezogen, das Holz angezündet, die spanische Wand vorgeschoben und sich dahinter begeben.
WERNTHAL
vermißt ihn zuerst.
Aber wo ist unser Generalsuperintendent geblieben?
BARON.
Er scheint davongelaufen zu sein! Am Ende ist er auch einer von den neuen Skribenten.
SCHULMEISTER.
Ja ja, wahrscheinlich wird er ebenfalls um einen verfaulten Hering gewickelt.
BARON
zornig.
Man sollte die ganze Leipziger Büchermesse darumwickeln! Judenjungen, deren Bildung im Schweinefleischessen besteht, spreizen sich auf den kritischen Nachtstühlen, und erheben nicht nur Armseligkeitskrämer zu den Sternen, sondern injuriieren sogar ehrenwerte Männer mit ihren Lobsprüchen –
Liddy wendet sich bei den ersten unedlen Ausdrücken rasch weg und redet eifrig mit dem Herrn von Wernthal, indem sie tut, als ob sie von den Worten des Barons nichts hörte. Dieser fährt noch heftiger fort.
Reimschmiede, die so dumm sind, daß jedesmal wenn ein Blatt von ihnen ins Publikum kommt, die Esel im Preise aufschlagen, heißen ausgezeichnete Dichter, – Schauspieler, die so langweilig sind, daß alles vor Freude klatscht, wenn sie endlich einmal abgehen, heißen denkende Künstler, – Vetteln, deren Stimmen so scharf sind, daß man ein Stück Brot damit abschneiden könnte, tituliert man echt dramatische Sängerinnen! – Die Muse der Tragödie ist zur Gassenhure geworden, denn jeder deutsche Schlingel notzüchtigt sie nach Belieben und zeugt mit ihr fünfbeinige Mondkälber, welche so abscheulich sind, daß ich den Hund bedaure, der sie anpißt! – Die Wörter: »genial, sinnig, gemütlich, trefflich« werden so ungeheuer gemißbraucht, daß ich schon die Zeit sehe, wo man, um einen entsprungenen, über jeden Begriff erbärmlichen Zuchthauskandidaten vor dem ganzen Lande auf das unauslöschlichste zu infamieren, an den Galgen schlägt: N.N. ist sinnig, gemütlich, trefflich und genial! – O stände doch endlich ein gewaltiger [227] Genius auf, der mit göttlicher Stärke von Haupt zu Fuß gepanzert, sich des deutschen Parnasses annähme und das Gesindel in die Sümpfe zurücktriebe, aus welchen es hervorgekrochen ist!
SCHULMEISTER.
Dieser Genius ist aufgestanden, Herr Baron, er steht vor Ihnen, es ist Gottliebchen!
LIDDY
muß hier laut auflachen.
Das wäre!
SCHULMEISTER.
Das ist, Fräulein Liddy, das ist! Er hat seiner Mutter das irdene Geschirr zum Fenster hinausgeschmissen!
LIDDY.
Gottliebchen, bist du ein Genius?
GOTTLIEBCHEN
halb weinend.
Ich – ich – ich –
SCHULMEISTER.
Schauen Sie, mit welcher Geistesgegenwart er sich in eine malerische Positur wirft? Wie er sich hinter den Ohren kratzt? Ganz die Stellung von Hogarths greinendem Straßenbuben! Ich habe es von je gesagt, daß in dem Gottliebchen ein großes Talent zum Malerschauspiel stäke!
BARON.
Ei, Schulmeister, was ist denn ein Malerschauspiel?
SCHULMEISTER.
Die Malerschauspiele sind etwas Neues, Herr Baron. Ein Kind, welches gern mit Farben und Bilderchen spielt, freut sich, sie erfunden zu haben; ihr Charakter besteht darin, daß alles, was in ihnen vorkommt, malerisch ist; so z.B. sind die auftretenden Personen immer einfältige Pinsel, wie unter andern der Ritter Nanni, Van Dyk, Spinarosa, der Marchese di Sorrento u.s.w.
BARON.
Nun, Herr von Wernthal, was sagen Sie zu dieser Erklärung der Malerschauspiele?
WERNTHAL.
Ich fürchte, der Schulmeister findet sie malerischer als es die Verfasser haben wollen. –
LIDDY.
Ich weiß nicht, meine Herren, es wird hier im Zimmer außerordentlich schwül.
WERNTHAL
welcher sich schon mehrmals die Stirne gewischt hat.
Ja ja, ich spüre eine zunehmende Hitze! Es ist beinahe, als wenn man eingeheizt hätte!
BARON.
Wo denken Sie hin? Die Sonne brennt auf den Schornstein.
LIDDY.
Wer von den beiden hat Recht, Gottliebchen?
GOTTLIEBCHEN.
Ja.
LIDDY.
O weh, das ist ein arger Tropf, Herr Schulmeister!
SCHULMEISTER.
Ein Tropf-Genius, wie es deren in unsren Tagen [228] viele gibt! Er will verstanden sein, er hat Tiefe! Auch werden seine Schriften nicht um verfaulte Heringe gewickelt!
LIDDY.
Das spricht zu seinen Gunsten, denn es beweist doch wenigstens, daß er noch keine geschrieben hat! –
WERNTHAL
zum Baron.
Bemerken Sie den Rauch, der sich im Zimmer verbreitet? Unmöglich kommt das von der Sonne!
BARON.
Ich bekenne meinen Irrtum, – Es ist doch nebenan kein Feuer ausgebrochen?
TEUFEL
aus dem Kamine hinter der spanischen Wand nach der Melodie von Goethes Fischerliede heraussingend.
»Ach wüßtest du, wie's wohlig ist
Dem Teufel in dem Feur –«
Er schlägt einen Triller.
BARON.
Alle Wetter, das ist die Stimme des Ritters vom päpstlichen Zivilverdienstorden!
SCHULMEISTER
ist hinter die spanische Wand gelaufen und kommt voller Entsetzen zurück.
Nein, nein, nein! Mir stehen die Haare zu Berge! Der Herr Generalsuperintendent sitzt mitten im lodernden Kamine, schluckt glühende Kohlen herunter, und schlägt dabei seinen Triller, daß Gott erbarm!
ALLE.
Wie?!
Sie reißen die spanische Wand weg; man sieht wie der Teufel eben aus dem Kamine steigt.
SCHULMEISTER.
Sehen Sie es nun, wie er herausklettert? O tempora, o mores!
BARON
zum Teufel.
Zum Henker, Herr, was ist das für ein Betragen? Sind Sie toll? Sich in den Kamin zu setzen? Kohlen zu –
TEUFEL
beiseit.
Jetzt gilt es grob zu sein und eine unverschämte Stirn zu zeigen! Zum Schulmeister. Du niederträchtiges Krötenschnupftuch, wie kannst du sagen, daß ich in dem Kamin gesessen hätte?
SCHULMEISTER.
Herr –
TEUFEL.
Ja, nun glaube ichs steif und fest, daß die funfzig Danaidenfässer funfzig Schulmeister gewesen sind, denn alles wird endlich voll, nur so ein versoffener Kinderohrfeigenverfertiger nicht! Wie, frage ich nochmals, wie konntest du mich, du Schnapsegel, im Kamine sitzen sehen, wenn du nicht besoffen gewesen wärst? Ich saß ja nur davor und blies das Feuer an!
[229]SCHULMEISTER.
Donnerwetter, Herr Generalsuperintendent –
TEUFEL.
Was? willst du noch nicht das Maul halten, du –
LIDDY.
Still! das Schimpfen habe ich satt!
BARON.
Sagen Sie uns nur, womit zündeten Sie das Feuer an?
TEUFEL
mit sichtbarem Vergnügen.
Ei, mit dem schönen Stuhle, der dort in der Ecke stand!
BARON.
So? mit dem schönen Stuhle? – Liddy, was sagst du dazu?
LIDDY.
Es war der beste Stuhl im ganzen Hause!
TEUFEL.
War er das? O meine Ahnung!
Er freut sich.
BARON.
Soll ich den Kerl ins Hundeloch stecken lassen?
WERNTHAL.
Ich würde nichts dagegen haben!
LIDDY.
Onkel, wo denken Sie hin? Der Mann fängt an, mich zu interessieren! Ich bitte, lassen Sie ihm ein Zimmer im Schlosse einräumen! Die Stühle, welche er zerbricht, will ich bezahlen!
BARON.
O ihr Weiber! Wie ihr gleich in das Verrückte verschossen seid! Zum Teufel. Wenn Sie Lust finden, mein Herr, hier bei uns zu bleiben, so steht Ihnen ein hübsches Zimmer zu Diensten.
TEUFEL.
Ich nehme Ihr gefälliges Anerbieten an und danke Ihnen aus vollem – Für sich. Was? danken? Das wäre ein Edelmut! Laut. Ich frage den Dreck darnach, ob Sie mir ein Logis anbieten oder nicht! Auch ist es höchst unvorsichtig, wo nicht albern, daß Sie einen Wildfremden ohne nähere Untersuchung bei sich aufnehmen! Übrigens, wo ist der Lumpenhund vom Bedienten, der mir das Zimmer anweist?
Er geht ab.
BARON.
Da hast du einen Gast, Nichte, der sich gewaschen hat!
WERNTHAL.
Sagen Sie vielmehr: gefeuert!
BARON.
Und ich fürchte, Mädchen, daß du dich nicht eine Stunde mit ihm verträgst!
LIDDY.
Sorgen Sie nicht!
BARON.
Der treibt seine Frechheit gewiß bis zu den äußersten Grenzen!
LIDDY.
So lasse ich ihn zum Schlosse hinauswerfen.
[230]BARON.
Ah, du weißt dir im Notfalle zu helfen! – Deinen Arm! wir wollen den Kaffee unten im Garten trinken.
LIDDY.
Ich folge gleich nach!
Baron und Wernthal ab.
LIDDY
zum Schulmeister.
Hier! – ein kleines Trinkgeld für Ihren durstigen Gaumen. – Nun, nun! schämen Sie sich nicht! Ich kenne Ihre alte Leidenschaft. – Aber bringen Sie schnell der Marie den Louisd'or!
SCHULMEISTER.
Auf der Stelle, Euer Gnaden!
LIDDY.
Adieu.
Geht ab.
SCHULMEISTER.
Ein himmlisches Mädchen! – – Und du, Gottliebchen, und du? Du bist verkannt worden, armer Junge! Doch tröste dich, so ging es allen großen Geistern! Auch Solon, Plato, Cartouche, Robespierre, Heinrich der Vierte und Caligula haben dies traurige Los erfahren! – Komm! ich will dich vier Tage einsperren und dir nichts zu essen geben; vielleicht, daß dich das noch nachdenklicher macht als du schon bist.
Gottliebchen schreit; der Schulmeister geht mit ihm ab.