Fürwahr, ein artig Bild!
1 Es steht ein Menschenkopf
Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogelkropf
Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder:
Hernach erblicket man verschiedner Thiere Glieder.
Von oben zeigt ein Weib ihr schönes Angesicht,
Von unten wirds ein Fisch. Ihr Freunde, lacht doch nicht!
Wir wollen mit Geduld des Malers
2 Thorheit schonen.
Indessen glaubet mir, ihr trefflichen Pisonen,
Dafern mein Wort was gilt: daß eine tolle Schrift,
3Wo weder Haupt noch Schwanz geschickt zusammen trifft,
Und nicht mehr Ordnung herrscht, als wenn ein Kranker träumet,
Sich unvergleichlich wohl zu solchem Bilde reimet.
Ich weis wohl, was man glaubt. Man spricht
4 und bleibt dabey:
Ein Maler und Poet folgt seiner Phantasey;
Er kann sich seiner Kunst nach eigner Lust bedienen,
Und sich durch Geist und Witz, was ihm beliebt, erkühnen.
Ganz recht, ich geb es zu,
5 und mach es selber so.
Allein man mische nie das Feuer in das Stroh;
[38][40]Kein Tyger zeug ein Lamm, kein Adler hecke Schlangen.
Doch manches Dichters Schrift wird prächtig angefangen,
Man schmückt sie hin und her mit Edelsteinen
6 aus,
Beschreibt Dianens Häyn, Altar und Götterhaus,
Entwirft mit großer Kunst des Rheinstroms Wasserwogen,
Und malt der Farben Glanz im bunten Regenbogen.
Das alles ist schon gut:
7 nur hier gehörts nicht her.
Dort stürzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer:
Gesetzt, du könntest nun Cypressenwälder schildern,
Was hilft dir diese Kunst? da sich in deinen Bildern
Der Schiffbruch zeigen soll, den jener für sein Geld,
Nach überstandner Noth, mit Fleiß bey dir bestellt.
Dein stolzer Anfang pralt von seltnen Wundersachen,
8Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?
Kurz, alles was du schreibst muß schlecht und einfach seyn.
9Doch, Piso, trügt uns oft des Guten falscher Schein.
Streb ich der Kürze nach; mein Vers wird dunkel klingen:
Wer leichte Sachen liebt, wird niederträchtig singen.
Wer hoch hinaus will, schwillt. Wenn jener furchtsam schreibt,
Geschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt.
[40][42]Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzustellen,
10Malt leicht den Stöhr ins Holz, den Eber in die Wellen.
So leicht ist es geschehn, auch wenn man sich bemüht
Von Fehlern frey zu seyn, daß sich der Kiel versieht.
Man läßt ein Fechterspiel aus dichtem Erzte gießen:
Da hat der Stümper nun die Nägel an den Füßen
Und jedes Haar des Haupts sehr künstlich ausgedrückt:
11Die ganze Bildung nur ist plump und ungeschickt,
Weil Ordnung und Gestalt und Stellung gar nichts taugen.
Viel lieber wünsch ich mir, bey schwarzem Haar und Augen,
Ein scheußlich Angesicht und krummes Nasenbein,
Als daß ein Vers von mir, wie dieses Bild soll seyn.
Ihr Dichter, wagt doch nichts, als was ihr wohl versteht,
12Versuchts, wie weit die Kraft von euren Schultern geht,
Und überlegt es wohl: so wird nach klugem Wählen,
Den Schriften weder Kunst, noch Licht, noch Ordnung fehlen.
Mich dünkt, daß sich allda der Ordnung Schönheit zeigt,
Wenn man das Wichtigste von vorne zwar verschweigt,
Doch räthselhaft entdeckt;
13 und klug im Unterscheiden
14Die schönsten Sachen wählt, die schlechten weis zu meiden.
[42][44]In neuer Wörter Bau, sey kein Poet zu kühn;
15Das ältste läßt sich oft auf neue Sachen ziehn,
16Nur muß die Redensart des Schreibers Sinn erklären.
Doch, sollten Kunst und Fleiß ein neues Ding gewähren:
So stellt mans ungescheut durch einen Ausdruck dar,
Der unsern Vätern noch was unerhörtes war.
Wer dieß bescheiden thut, dem kann mans nicht verwehren,
17Zuweilen kann man auch der Wörter nicht entbehren.
Die Griechenland uns leiht.
18 Was Plautus und Cäcil
Vorzeiten Macht gehabt, das kann ja auch Virgil.
Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?
Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,
Und manche Redensart zu Rom in Schwang gebracht?
Wie kömmts denn, daß man itzt ein solches Wesen macht,
Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu schelten?
Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.
So wie es alle Jahr belaubten Wäldern geht;
Das welke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet,
Indem sich unvermerkt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan,
Sein Arm greift alles das, was menschlich heißet, an.
[44][46]Hier läßt ein Julius
19 den neuen Hafen bauen,
Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen,
Ein königliches Werk! Was kann Augustus
20 thun?
Er trocknet Seen aus, und kann nicht eher ruhn,
Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,
Ein fruchtbar Ackerland und fette Wiesen sehen.
Noch mehr, er ändert gar der Tyber alten Lauf,
Und schränkt die Fluthen ein. Das allzumal hört auf!
Der größten Werke Pracht, muß endlich untergehen:
Wie könnten denn der Zeit die Sprachen widerstehen?
So manch verlegnes Wort, das längst vergessen war,
Kömmt wieder an das Licht, und stellt sich schöner dar:
Und was man itzo braucht, das wird man einst vergessen;
Kurz, Sprachen müssen sich nach der Gewohnheit messen.
21In was für Versen man der Fürsten Heldenmuth,
Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth
Geschickt besingen kann, das hat Homer gewiesen,
Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen.
22Die Elegie
23 war sonst ein Werk der Traurigkeit,
Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweiht.
[46][48]Wer sie zuerst erdacht, das ist nicht leicht zu sagen,
Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen.
Archilochus erfand das jambische Gedicht,
24Darinnen trat das Lust- und Trauerspiel ans Licht:
Es ist auch sehr geschickt Gespräche drinn zu setzen,
25Bezwingt des Volks Geräusch
26 und kann das Ohr ergetzen.
Der Götter hohes Lob, der Völker Alterthum,
Berühmter Helden Preis, der Kämpfer Kranz und Ruhm,
Und was ein Jüngling thut, den Wein und liebe zwingen,
Befahl der Musen Mund
27 in Oden
28 abzusingen.
Wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh,
Und mich in jeder Art der Poesie vergeh,
29Bin ich denn ein Poet? Ich bins nicht; das sey ferne!
Was stört mich denn die Scham, daß ich die Kunst nicht lerne?
[48][50]Wo Lust und Anmuth herrscht, da schreibt man nicht betrübt:
30Hingegen wo Thyest
31 ein blutig Gastmahl giebt,
Da wird dein Trauerspiel sehr wiedersinnisch klingen,
Dafern dein matter Reim es niedrig wird besingen.
Nicht jede Schreibart kann auf jeder Stelle stehn,
32Zuweilen darf sich auch des Lustspiels Ton
33 erhöhn:
Wenn Chremes zürnt und dräut, im Herzen Galle kochet,
Und bey geschwollner Brust mit frechen Worten pochet.
Im Klagen senkt sich auch das Trauerspiel mit recht,
34Darum spricht Telephus und Peleus platt und schlecht
Ohn allen Wörterpracht;
35 denn soll man mit ihm weinen,
So muß uns erst sein Schmerz ganz ungekünstelt scheinen.
Laß dein Gedichte nicht nur schön und zierlich seyn,
Ein wohlgemachter Vers nimmt Herz und Geister ein,
Und kann des Lesers Brust bezaubern
36 und gewinnen.
Man lacht mit Lachenden, und läßt auch Thränen rinnen,
[50][52]Wenn andre traurig sind. Drum, wenn ich weinen soll;
So zeige du mir erst dein Auge thränenvoll:
37Alsdann o Telephus! wird mich dein Unglück rühren.
Allein ist an dir selbst kein wahrer Schmerz zu spüren,
So schläft man drüber ein, und du wirst ausgelacht.
38Ein weinend Angesicht das kläglich Worte macht,
Ist der Natur gemäß. Ein Eifriger muß zürnen,
Der Scherz spricht frech und geil, der Ernst mit krauser Stirnen.
Der Seelen Innerstes sey erst in uns bewegt,
39Von Zorn und Eifersucht und Rachgier angeregt,
Von Schrecken überhäuft, von Gram und Furcht zerschlagen:
Alsdann wird auch der Mund schon Centnerworte sagen.
Spricht irgend die Person, wie sichs für sie nicht schickt,
40So lacht das ganze Rom,
41 so bald es sie erblickt.
[52][54]Drum unterscheide man Stand, Alter und Geschlechte:
Ganz anders spricht ein Herr, ganz anders reden Knechte.
42Es ist nicht einerley, was ein verlebter Mann
Und muntrer Jüngling spricht. Dieß Wort steht Ammen an;
Matronen aber nicht. Kein Kaufmann spricht wie Bauren,
43Kein Kolcher redet so, als ob er Babels Mauren,
Von Jugend auf gekannt. Wen Argos Bürger heißt,
Spricht nie Thebanern gleich. Drum lenke deinen Geist
Entweder auf ein Werk aus wirklichen Geschichten:
Wo nicht, so mußt du doch nichts ungereimtes dichten.
44Führst du, wie dort Homer, den Held Achilles ein:
So muß er zornig, hart, und unerbittlich seyn;
Er trete Billigkeit, Gesetz und Recht mit Füssen,
Und wolle sonst von nichts, als Macht und Waffen wissen.
Medeen schildre frech,
45 Ixion
46 komme mir
Ganz treulos und verstockt, und Ino
47 kläglich für.
[54][56]Wenn Jo
48 flüchtig irrt; so muß Orestes
49 klagen.
Hingegen willst du dich an neue Fabeln
50 wagen,
So richte die Person nicht widersinnisch ein
Und laß sie mit sich selbst in allem einig seyn.
Es ist in Wahrheit schwer, was eignes anzufangen:
Du wirst noch eins so leicht im Schreiben Ruhm erlangen,
Wenn du Atridens Zorn in neue Verse schränkst,
51Als wenn du selbst zuerst ein Trauerspiel erdenkst.
Es steht ja Dichtern frey, sich aus bekannten Sachen,
52Durch Witz und Kunst und Fleiß ein Eigenthum zu machen.
Dafern die Feder nur nicht allzu sklavisch schreibt,
Und Uebersetzern gleich, an Worten kleben bleibt.
Ein Thor ahmt ängstlich nach,
53 mit kläglichem Bemühen,
Wo er sich endlich schämt den Fuß zurück zu ziehen.
[56][58]Man fange kein Gedicht
54 so stolz und schwülstig an,
Als jenes Stümpers Kiel aus Unverstand gethan:
Ich will von Priams Glück und edlen Kriegen singen!
Was wird der Praler doch für Wunderwerke bringen!
Er kreist, wie jener Berg, der eine Maus gebahr.
Wer sieht nicht, daß Homer hier viel bescheidner
55 war?
Ihr Musen! zeigt mir den, der Trojens Burg bestritten,
Und nach der Teukrer Fall so vieler Völker Sitten;
So manche Stadt gesehn. Hier folgt das Finstre nicht
Auf heller Blitze Glanz; der Schatten zeugt das Licht.
56Er fängt ganz niedrig an, um destomehr zu steigen,
Und wird allmählich schon die größten Wunder zeigen:
Den Riesen Polyphem, Charybdens Strudelmund,
Der Menschenfresser Grimm und Scyllens wüsten Schlund.
Den Vortrab wird er nie von weit gesuchten Sachen,
Zur Rückkunft Diomeds
57 vom Trojer Kriege machen,
Wo Meleager fiel. Wo fängt der große Mann
Der Teukrer Untergang von Ledens Eyern an?
58 [58][60]Er eilt dem Zwecke zu
59 und wird von vielen Dingen,
Die er berühren muß, als längstbekannten, singen.
Was gar nicht fähig ist, wohl ausgeputzt zu seyn,
Das übergeht er gar: Und mischt er Fabeln ein,
Die er ersonnen hat,
60 so wird in allen Stücken,
Der Anfang sich genau zu seinem Ende schicken.
Vernimm dann
61 was nebst mir das Römervolk begehrt:
Denn willst du, daß man nicht, indem dein Schauspiel währt,
Nach Hause laufen soll; und daß man bis zum Ende,
Dabey der Sänger
62 ruft: Nun klopfet in die Hände!
Geduldig, ja noch mehr, durch Klatschen und Geschrey,
Ein Zeuge deiner Kunst und dein Verehrer sey:
So zeige, daß du dich mit ganzem Ernst beflissen,
Der Menschen Unterscheid,
63 Natur und Art zu wissen.
[60][62]Ein Kind, das reden lernt, und dessen sichrer Schritt,
Den Boden allbereit ohn alle Furcht betritt,
Vertreibt die Zeit im Spiel und scherzt mit seines gleichen,
Ist bald zum Zorn gereizt, auch leichtlich zu erweichen,
Und stets voll Unbestand. Wird nun der Knabe groß,
Der Aeltern strenger Zucht, der Lehrer Aufsicht los:
So lacht ihm stets das Herz bey Hunden, Wild und Pferden;
Kann leicht aus Unverstand der Laster Sklave werden;
Haßt jeden, der ihn straft; bedenkt nicht, was ihm nützt;
Verzehrt mehr als er hat; ist stolz, vor Lust erhitzt,
Und kann doch was er liebt, in kurzem wieder hassen.
Ganz anders ist ein Mann, der alles das verlassen.
Gesetzt und standhaft seyn, das ist sein Eigenthum.
Er strebt nach Geld und Gut, nach Freundschaft, Gunst und Ruhm,
Und nimmt sich wohl in acht, damit er nichts begehe,
Daraus ihm Schimpf und Spott und späte Reu entstehe.
Ein abgelebter Greis wird mit den Jahren matt,
Verlangt was ihm gebricht, geneußt nicht was er hat,
Ist furchtsam was zu thun, und gar zu karg im geben,
Schiebt alles länger auf, und hofft ein langes Leben,
Ist träge, wünscht zu viel, hat stets ein schlechtes Jahr,
Und lobt die alte Zeit, da er ein Jüngling war,
Ist immer voll Verdruß, bedroht und straft die Jugend,
Und setzt sein eigen Werk zur Regel aller Tugend.
Der Jahre Wachsthum bringt uns Stärke, Muth und Kraft,
Und wenn das Alter kömmt, wird alles hingerafft.
Drum laß den Jüngling nie des Greises Rolle
64 machen;
Kein Greis sey Knaben gleich. Man muß in allen Sachen,
[62][64]Auf das, was sich geziemt, und auf den Wohlstand sehn.
Was sich nicht spielen läßt, so wie es ist geschehn,
Davon erzählt man bloß
65 die Nachricht auf den Bühnen.
Doch, was das Ohr nur hört, so kräftig es geschienen,
Dringt lange nicht so tief in die Gemüther ein,
Als was man selber sieht. Doch solltens Dinge seyn,
Die man nicht zeigen mag, die darf das Volk nicht sehen:
Man trägt sie mündlich vor, als wären sie geschehen.
Medea
66 darf den Mord an ihrer Leibesfrucht
Nicht öffentlich begehn. Des Atreus Eifersucht,
Giebt dem Thyestes zwar das Fleisch gekochter Knaben;
Doch darf man Topf und Heerd nicht selbst gesehen haben,
Wo sie gesotten sind. Verwandelt Progne sich,
67Wird Cadmus eine Schlang; alsdann bediene dich
Der Freyheit nimmermehr, dergleichen sehn zulassen:
Ich glaub es wahrlich nicht, und werd es ewig hassen.
Ein Schauspiel, das beliebt und angenehm soll seyn,
Das theile man genau nur in fünf Aufzüg' ein.
68Man mische keinen Gott
69 in seiner Helden Thaten,
Bis es nicht möglich ist, der Wunder zu entrathen.
[64][66]Es sprechen auf einmal nicht mehr als ihrer Drey;
70Man sorge, daß der Chor zwar mit im Spiele sey:
71Doch daß sein Singen nicht die Handlung unterbreche,
Und er nichts thörichtes, nichts ungeschicktes spreche.
72Er sey der Tugend hold, er gebe guten Rath
73Und bändige den Zorn. Wer eine Frevelthat
Sich scheuet zu begehn, den muß er willig preisen.
Er lobt die Mäßigkeit der aufgetragnen Speisen,
Liebt Recht und Billigkeit, und der Gesetze Flor,
Erhebt ein ruhig Volk bey unbewachtem Thor,
Verhehlt des andern Fehl, und ruft mit heißem Flehen
Zu Gott, den Armen reich, den Stolzen arm zu sehen.
[66][68]Vorzeiten durfte nur die Pfeife schlecht und klein,
74Nicht mit Metall
75 umfaßt, Trompeten ähnlich seyn.
Und dennoch ließ sie sich, bey den beliebten Chören,
Auch mit vier Löchern
76 schon ganz hell und lieblich hören:
Indem der Schauplatz noch durch jene kleine Schaar
Des tugendhaften Volks, so sehr besetzt nicht war.
Allein nachdem das Schwerdt der Römer durchgedrungen,
Bald dieß bald jenes Land bestritten und bezwungen;
Seit dem der Mauren Kreis, sich weiter ausgedehnt,
Die reichen Bürger sich das Schmausen angewöhnt,
Weil sie kein Richter schilt, wenn sie bey Tage prassen:
77So hat auch Reim und Ton den alten Klang verlassen.
Denn was verstund davon ein Bauer,
78 dessen Fleiß
Von schwerer Arbeit kam; der meistens voller Schweiß
In unsern Schauplatz trat; wohin sich alles drängte,
Wenn Pöbel, Herr und Knecht sich durcheinander mengte.
Drum hat Musik und Tanz die alte Kunst erhöht,
Der Pfeifer,
79 der so stolz stets hin und wieder geht,
Schleppt itzt den langen Rock ganz prächtig auf den Bühnen;
[68][70]So mußt in Griechenland die Cither
80 gleichfalls dienen.
Die Uebung samt der Kunst hat sehr beredt gemacht,
Und öfters ist der Reim so voll Geschwulst
81 und Pracht,
Als wenn Apollo spricht, der dort aus finstern Klüften
In seine Priesterinn Orakel pflegt zu düften.
82Der Dichter,
83 der zuerst sich durch ein tragisch Lied,
Um einen schlechten Bock, als den Gewinnst, bemüht,
Entblößte
84 bald darauf die bäurischen Satyren,
Und ließ bey seinem Ernst auch Scherz und Stacheln spüren.
Kein Wunder, denn das Volk verlangte zu der Zeit,
Durch neue Reizungen und lauter Lustigkeit,
Hinein gelockt zu seyn; wenn es an Feyertagen
85Den Gottesdienst vollbracht, und denn bey Saufgelagen,
[70][72]Sich toll und voll gezecht. So fieng das Lustspiel an.
Doch wagt sich unter uns ein neuer Dichter dran:
86So muß er seinen Scherz und sein satyrisch Lachen
Nicht frech und regellos, vielmehr so klüglich machen;
Daß, wenn ein Gott, ein Held
87 sich auf der Bühne zeigt,
Der Gold und Purpur trägt, und kaum vom Throne steigt,
Sein Mund sich weder ganz zum tiefsten Pöbel neige,
Noch gar zu voller Schwulst die Wolken übersteige.
88So ehrbar eine Frau,
89 wenn sie ein hohes Fest,
Nach unsrer Stadt Gebrauch, zum Tanze rufen läßt,
In ihrem Reihen geht: So pflegt sich bey Satyren
Das hohe Trauerspiel ganz schamhaft aufzuführen.
Wenn ihr denn selbst einmal ein solch Gedichte schreibt:
90So denkt nicht, daß ihr nur bey schlechten Worten bleibt,
[72][74]Bey Namen stolzer Art von Königen und Kronen,
Die sonst kein Putz erhöht; ihr trefflichen Pisonen!
Auch unterscheidet sich mein Reim vom Trauerspiel,
Im Ausdruck nicht so sehr; als wär es mir gleichviel,
91Ob Davus etwas sagt? ob Pythias gelogen,
Die Simons schnöden Geiz um ein Talent betrogen?
Ob gar der bäurische verlebte Greis Silen,
Der sich geschickt erwies dem Bachus vorzustehn,
Sich redend hören laßt. Ich werde zwar was dichten;
Doch meine Fabel stets nach etwas wahrem richten,
92Das jeder kennt und weis. Ein jeder, der es sieht,
Wird glauben: es sey leicht. Doch wenn er sich bemüht,
Mir wirklich nachzugehn, wird er vergeblich schwitzen,
Und bey dem grösten Fleiß umsonst darüber sitzen.
So viel kömmt auf die Art und die Verbindung an;
93Indem die Fügung auch was schlechtes adeln kann.
Nehmt
94 euch auch wohl in acht, ihr Künstler in Satyren!
Sie nicht nach Römerart ganz artig aufzuführen,
Wie sonst die Zärtlichkeit der edlen Jugend spricht.
Doch überhäuft den Vers mit schnöden Fratzen nicht;
Schreibt niemals ärgerlich und lernt das Lästern meiden:
Den Unflath kann kein Mensch von gutem Stande leiden;
Kein züchtiges Gemüth, das Ehr und Tugend liebt.
[74][76]Denn ob der Pöbel euch gleich seinen Beyfall giebt,
95Wird doch ein edler Geist euch allezeit verhöhnen,
Und eure Scheiteln nie mit Lorberzweigen krönen.
Ein Jambus heißt vorlängst in unsrer Kunst ein Fuß,
Da eine Sylbe kurz, die andre lang seyn muß.
Er fließet schnell und leicht: daher man solchen Zeilen,
Darinn er sechsmal klappt, den Namen läßt ertheilen,
Daß man sie dreyfach nennt.
96 Von Anfang hat er sich
Mit andern nicht vermischt: nur neulich aber wich
Derselbe hier und dar den langsamen Spondeen,
Um desto männlicher damit einherzugehen.
97Doch so gefällig er in diesem Falle war;
So wich er doch nicht ganz. Das zweyt und vierte Paar
Der Sylben hat er sich beständig vorbehalten.
Man spürt ihn auch bereits in mancher Schrift der Alten.
98Es hat ihn Accius und Ennius gebraucht:
Hingegen wem es itzt was ungemeines daucht,
Den Jamben gar zu viel Spondeen einzumengen,
Als wenn sie prächtiger auf unsern Bühnen klängen:
Da dächt ich, daß man sie gewiß in Eil gemacht,
Wo nicht, doch an die Kunst der Musen nie gedacht,
Die Regeln nie gelernt. Von Liedern und Gedichten,
[76][78]Weis nicht ein jedes Ohr wie sichs gebührt zu richten.
99Wie mancher Stümper hat, ohne alle Kunst und Fleiß,
Bey unserm Römervolk der Dichtkunst hohen Preis
Bisher gar oft erlangt! Soll ich deswegen hoffen,
Es stehe mir der Weg zu jeder Freyheit offen?
Soll ich verwegen seyn, weil irgend niemand sieht,
Wie oft mein Kiel gefehlt? und wenn das gleich geschieht,
Dieweil man mir auch dann die Fehler leicht vergiebet?
Fürwahr, so denkt kein Geist, der Ruhm und Ehre liebet;
Und ich verlange mehr, als tadelfrey zu seyn.
100Ihr Freunde, blättert doch bey Sonn- und Mondenschein,
Bey Tage wie bey Nacht der Griechen alte Schriften:
101Denn diese werden euch den schönsten Vortheil stiften.
Zwar unsrer Väter
102 Mund hat Plautus Scherz und Kunst
Im Lustspiel sehr gelobt; allein aus blinder Gunst.
103 [78][80]Man hat ihn wahrlich nur aus Einfalt hochgeschätzet;
Dafern ich anders weis, was euch und mich ergetzet;
Was ein erlaubter Scherz,
104 was grob und garstig ist,
Und wenn ein reiner Vers ganz ungezwungen fließt:
Wenn wir das Sylbenmaaß an unsern Fingern zählen,
Und was den Klang betrifft, das Ohr zum Richter wählen.
Das edle Trauerspiel hat Thespis aufgebracht,
105Indem vor seiner Zeit kein andrer dran gedacht.
Er fuhr von Dorf zu Dorf mit seinen Sängerchören,
Und ließ Gesang und Spiel
106 auf schlechten Wagen hören.
Mit Hefen salbte man den Sängern das Gesicht,
Bis Aeschylus hernach die Larven zugericht,
107Die Kleidung ausgedacht und auf erhöhten Bühnen,
Mit stolzer Wörterpracht und hohem Schuh erschienen.
108 [80][82]Das Lustspiel folgte bald dem Trauerspiele nach,
109Davon man auch sogleich mit vielem Lobe sprach:
Allein die Freyheit wuchs in dem verwegnen Singen
Und ließ sich endlich kaum durch die Gesetze zwingen.
Die Frechheit gieng zu weit, man schrieb ihr Regeln vor:
110Drauf ließ die Schmähsucht nach; so ward zuletzt der Chor
Mit seiner Bosheit stumm
111 und schonte zarter Ohren,
So bald er Fug und Recht zur Lästerung verlohren.
Wir Römer haben auch nicht wenig Lob erjagt,
Seit unsre Dichter sich an alles das gewagt,
Und sich zugleich erkühnt von jenen abzuweichen,
Und unsrer Helden Ruhm in Fabeln zu erreichen.
Ist nicht bey uns sowohl der stille Bürgerstand
Als edler Fürsten Muth auf Bühnen schon bekannt?
112 [82][84]Und wirklich würde Rom durch Tugend und durch Waffen,
Sich keinen größern Preis als durch die Sprache schaffen:
Wenn unsern Dichtern nur der Ausputz nicht so schwer,
Geduld und langer Fleiß so unerträglich wär.
113O ihr Pompilier,
114 so edel von Geblüthe,
Als aufgeweckt am Geist und redlich im Gemüthe:
Verwerft doch jeden Vers,
115 den nicht so mancher Nacht,
Und manches Tages Fleiß recht ins Geschick gebracht;
Und den sein Meister nicht, an Worten und an Sprüchen,
Wohl zehnmal übersehn, wohl zehnmal ausgestrichen.
Verwirft Demokritus die Regeln der Vernunft,
Und lobt er nur den Geist an der Poetenzunft;
116Ja meynt er gar der Sitz, den Phöbus sich erkohren,
Der hohe Pindusberg, gehöre nur für Thoren:
So putzt sich mancher itzt kaum Nägel oder Bart,
117Entflieht aus Eigensinn der Menschen Gegenwart,
Lebt schmutzig, und verhofft, ein solch verkehrtes Leben
Werd ihm in aller Welt den Dichternamen geben.
[84][86]Drum trägt sein wüster Kopf, dem Niesewurz so gar
Das Mark nicht saubern kann, ein unverschnittnes Haar.
Bin ich denn nicht ein Thor, daß ich zu Frühlingszeiten,
Durch manche Cur gesucht die Galle weg zu leiten?
O ließ ich doch, wie sie, dieß albre Wesen stehn!
So würde mich kein Mensch im Dichten übergehn.
118Doch Grillen! weg damit! Ich trachte, den Poeten
119Hinfort ein Sporn zu seyn, ein Antrieb ihrer Flöten.
Denn wie ein Wetzstein schärft, und selbst nicht schneiden kann:
So schreib ich selbst zwar nichts, doch zeig ich lehrend an,
Woher der Reichthum kömmt, der sich in Versen findet;
Was einen Dichter zeugt, ernähret, stärket, gründet;
Was wohl und übel steht, wie Geist und Tugend führt,
Und wie der Unverstand im Irrthum sich verliert.
Vernunft und Klugheit sind die Qvellen schöner Lieder!
120Durchblättert nur mit Fleiß die Bücher hin und wieder,
Darinn des Sokrates berühmte Weisheit steht:
121So findet ihr den Stoff, der ein Gedicht erhöht.
Wo nun der Zeug nicht fehlt, den wir in Verse binden,
Da wird der Ausdruck sich schon von sich selber finden.
122 [86][88]Wer wohl gelernet hat,
123 was Freund und Vaterland
Für Pflichten von ihm heischt; die Schuldigkeit erkannt,
Die Kindern zugehört; die Art, wie Brüder leben;
Was Rath und Richteramt für Lebensregeln geben;
Wie Feldherr und Soldat im Kriege sich beträgt:
Der hat den rechten Grund zur Poesie gelegt;
Der wird nichts thörichtes, nichts ungereimtes dichten,
Und den Character stets nach den Personen richten.
Wer klüglich bilden will,
124 der schaue die Natur,
Und Art der Menschen an, und folge dieser Spur:
So wird er fähig seyn, sie lebhaft abzuschildern.
Oft rühret ein Gedicht
125 mit wohlgetroffnen Bildern,
Darinnen hier und dar ein schöner Lehrspruch liegt,
So schlecht der Ausputz auch ein zartes Ohr vergnügt,
Viel kräftiger das Volk; als Verse, die wie Schalen,
Darinn kein Kern mehr ist, mit leeren Tönen pralen.
Den Griechen ist das Chor der Castalinnen hold:
126Das macht, sie geizen nicht nach Silber oder Gold;
127 [88][90]Sie streben nur berühmt und stets beliebt zu bleiben,
Drum sind sie reich an Geist, im Reden und im Schreiben,
In Rom hergegen fängt ein Kind, das reden kann,
Die güldne Rechenkunst
128 mit vielem Eifer an,
Und lernt des Groschens Werth durch hundert Brüche theilen.
Geht, fragt den Sohn Albins,
129 das kleine Kind, zuweilen:
Fünf hab ich, zwey davon, was bleibt, mein Söhnchen? Drey.
Vortrefflich schön! mein Kind. Ganz recht! es bleibt dabey;
Du wirst dein Glück einmal zum höchsten Gipfel bringen:
Wer diese Kunst versteht, dem muß es einst gelingen.
Noch mehr: Ich habe fünf, und setze drey darzu,
Was machts, mein Söhnchen? acht. Ach Kind, wie klug bist du?
Bey solcher feinen Zucht erwachsen unsre Knaben:
Und doch hofft Rom dereinst Gedichte gnug zu haben,
Darinn der Zeit zu Trotz, das prächtige Latein
Bis auf die späte Welt soll unvergänglich seyn.
130Entweder ein Poet sucht Nutzen oder Lust;
131Auch beydes liebt er wohl zugleich mit reger Brust.
Im lehren sey man kurz, die nutzerfüllten Sachen,
Gemüthern guter Art nicht gar verhaßt zu machen.
[90][92]Was überflüßig ist
132 vergißt man gar zu leicht.
Die Fabel laute so, daß sie der Wahrheit gleicht,
133Und fordre nicht von uns, daß man ihr alles glaube.
Man reiße nicht das Kind den Hexen
134 aus dem Leibe,
Die es bereits verzehrt. Die Aeltesten der Stadt,
135Verachten ein Gedicht, das nichts gesetztes hat.
Der hohe Ritterstand
136 mag lauter Ernst nicht hören.
Der wird vollkommen seyn, der theils geschickte Lehren,
Und theils was liebliches durch seinen Vers besingt;
Zum theil dem Leser nützt, zum Theil Ergetzung bringt.
Ein solch Gedicht geht ab, wird weit und breit verführet;
Bis es dem Dichter gar Unsterblichkeit gebiehret.
Zwar Dichter fehlen auch;
137 und man verzeiht es leicht,
Indem die Seyte doch nicht stets den Ton erreicht,
[92][94]Den Hand und Ohr verlangt. Es soll oft niedrig klingen.
Doch läßt die Laute kaum den Mittelton erzwingen.
Ein Bogen trifft nicht stets, wornach er abgezielt.
Allein wenn ein Poet dem Phöbus nachgespielt,
Und seine Lieder uns fast durch und durch gefallen,
Denn mag nur hier und da was hartes drunter schallen.
138Es geht ganz menschlich zu. Wie leicht ist es geschehn,
Daß wir zu sorglos sind, und irgend was versehn!
Was folgt indessen draus? Wie wir der Schreiber lachen,
Die, wenn man sie gleich straft, doch stets die Fehler machen,
Davor man sie gewarnt; und wie ein Leyermann,
Der nur sein altes Lied auf einer Seyte kann,
Ein Spott der Kinder wird: so setz ich den Poeten,
Der keinen Ton versteht, und auf den heischen Flöten
Stets falsche Griffe macht,
139 zu jenem Chörilus,
140Bey dessen Versen ich verwundernd lachen muß,
Wenn er zuweilen noch was leidliches getroffen.
Hingegen schmerzt es mich, wann wider Wunsch und Hoffen
Homer einmal entschläft.
141 Obwohl es leicht geschieht,
Daß ein so langes Werk den Schlummer nach sich zieht.
[94][96]Ein Vers ist Bildern gleich,
142 wo manches uns gefällt,
Wenn mans genau besieht und nah vor Augen stellt;
Indem sich andre nur von ferne trefflich zeigen.
Dem einen ist die Nacht und Dunkelheit fast eigen.
143Das andre liebt den Tag und volles Sonnenlicht,
Und scheuet dergestalt die schärfste Prüfung nicht.
Dieß mag man einmal kaum; und jenes zehnmal leiden,
Denn man erblickt es stets mit neuer Lust und Freuden.
Drum merk, o Piso, dir die güldne Regel an,
Wiewohl des Vaters Wort dich sattsam leiten kann,
Und du schon selber weist die Sachen zu entscheiden:
Man kann in mancher Kunst die Mittelstraße leiden;
Ein Rechtsgelehrter darf nur mittelmäßig seyn,
Ein Redner ebenfalls darf nicht so ungemein,
Als ein Cascellius und ein Messalla sprechen;
144Doch hält man beyde werth und wird sich nicht entbrechen,
Sie lobend zu erhöhn. Allein daß ein Poet
Nur mittelmäßig ist und nicht aufs höchste geht:
145 [96][98]Das hat kein Musenchor, kein Phöbus zugegeben:
146Das wird kein kluger Mensch, kein Bücherkram
147 erheben.
Musiken sonder Kunst und voller Uebelklang,
Ein halbverfaultes Oel und Salben voll Gestank,
Ein herber Honigseim,
148 das Werk der Sarderbienen;
Was werden die zur Lust bey fetten Tafeln dienen?
Wie man nun ohne sie sich leicht behelfen kann;
So sieht man kein Gedicht mit holden Augen an,
Das kein Vergnügen giebt,
149 wozu mans doch erfunden,
Als man zum erstenmal das Sylbenmaaß gebunden.
So bald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht,
Bemerkt man, daß er sinkt, und in der Tiefe kreucht.
Wer kein Turnier versteht,
150 enthält sich doch der Waffen:
Wer nie den Ball gespielt, hat nichts damit zu schaffen;
Denn wer sich so vergeht, wird häßlich ausgelacht.
Hingegen nimmt man wahr, daß jeder Verse macht,
151Der doch die Kunst nicht kann. Warum nicht? Geld und Titel
152Sind ihrer Meynung nach der wahren Dichtkunst Mittel.
[98][100]Du zwingst dich zwar zu nichts, was Pallas dir versagt;
153Das zeigt, wie klug du bist: Doch wenn dein Witz es wagt,
Hinführo auch einmal ein Probestück zu dichten:
So laß erst Tarpens Ohr
154 und deinen Vater richten,
Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit geglückt;
Dann werd es noch neun Jahr bedächtig unterdrückt.
155So lang es bey dir liegt, ist leicht was ausgestrichen,
Kein Wort kehrt wieder um, so bald es dir entwichen.
Von schnöder Lebensart, von Mord und Unverstand
Hat Orpheus, der Poet, die Menschen abgewandt,
156Die wilden Thieren gleich in wüsten Wäldern tobten,
Und nachmals seine Kunst als übermenschlich lobten.
Drum sagt man sonst, daß er der Tyger Wuth gezähmt,
Der Löwen Raserey zur Lindigkeit bequemt.
Amphion ebenfalls
157 soll durch die Dichtergaben,
Und seiner Cither Klang ein Schloß erbauet haben:
Weil auf der Seyten Ton sich Stein und Holz bewegt,
Bis Thebens Mauer sich freywillig angelegt.
Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten
158 [100][102]Zu zeigen, was für gut und strafbar sey zu halten,
Was recht und schändlich war, der Unzucht feind zu seyn,
Den Beyschlaf abzuthun, den Ehstand einzuweihn,
Die Städte zu erbaun, Gesetze vorzuschreiben:
So mußte Ruhm und Preis den Dichtern eigen bleiben.
Tyrtäus
159 und Homer hat nachmals dargethan,
Wie muthig ein Gedicht zum Streite machen kann.
Man hat, was künftig war, in Versen angezeiget,
160Des Lebens Pflicht gelehrt, der Fürsten Herz geneiget,
Das Lust- und Trauerspiel erdacht und ausgeschmückt,
Daran sich das Gemüth nach langer Müh erqvickt.
Drum schäme dich nur nicht der Musen lauten Chören,
Und was Apollo singt, o Piso, zuzuhören.
Man fragt, ob Kunst und Fleiß den Dichternamen bringt,
161Und ob es nicht vielmehr durch die Natur gelingt?
Doch ich kann weder sehn, was Fleiß ohn alle Gaben,
Noch Gaben ohne Fleiß für Nutz und Vortheil haben.
Eins hilft dem andern auf, Natur und Kunst stimmt ein;
Und beydes wird also dem Dichter nöthig seyn.
Wer das erwünschte Ziel im Laufen will ereilen,
Der thut und duldet viel, und schwitzt und friert zuweilen,
Vermeidet Lieb und Wein. Ja wenn an Phöbus Fest
Ein Pfeifer seinen Ton vor andern hören läßt:
So hat er längst zuvor die schwere Kunst gefasset,
Und ist in strenger Zucht gar oft vor Furcht erblasset.
Doch itzo ists genug, wenn jemand selber spricht:
[102][104]Ich dichte trefflich schön!
162 zum mindsten darf ich nicht
Der allerletzte seyn;
163 vielweniger gestehen,
Ich hätt es nicht gelernt, den Regeln nachzugehen.
So wie der Mäkler sonst das Volk, das ihn umringt,
Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt:
So lockt ein Dichter oft die Schmeichler seiner Künste,
Weil er begütert ist, zum schändlichsten Gewinnste.
164Wer nun ein Gastmahl giebt und wohl bewirthen kann,
Für Schuldner Bürge wird, und manchen armen Mann,
Der in Processen steckt, vermögend ist zu retten;
Von dem erkühn ich mich ohn alle Scheu zu wetten:
Für Liebe zu sich selbst erkennt er selber nicht,
Des wahren Freundes Wort, und was ein Heuchler spricht.
Wenn du einmal tractirst; so zeige nur dein Blatt
Dem Gaste nicht alsdann, wenn er getrunken hat,
Voll Wein und Freuden ist. Sonst wird er sich nicht scheuen:
Vortrefflich, ungemein! auf jedes Wort zu schreyen.
Er wird entzücket stehn; ein heißer Thränenguß
Wird aus den Augen thaun; und sein gestampfter Fuß
Wird tanzend lustig seyn. Denn so wie bey den Leichen
Die nächsten Erben fast den Klageweibern weichen,
Die man für Geld gedingt, zu heulen und zu schreyn:
So wird ein Spötter auch weit mehr gerühret seyn
165 [104][106]Als Freunde guter Art, die deiner Dichtkunst Proben
Vernünftig eingesehn, und mit Verstande loben.
Man sagt, daß Könige zum Trunke zwingen sollen,
Wenn sie der Diener Herz und Art erforschen wollen;
Bevor sie sich vertraun. Machst du nun ein Gedicht,
So traue doch durchaus den schlauen Schmeichlern nicht.
Ihr glatter Fuchspelz deckt ein hinterlistig Wesen.
166So oft man dem Quintil
167 was pflegte vorzulesen,
So sprach er: Aendre dieß, und jenes beßre noch.
Ich kann nicht, sagte man; und gleichwohl hab ichs doch
Mehr als einmal versucht. So muß die Zeile weichen!
168War sein gewohnter Rath; sie ist leicht auszustreichen:
Dann mustre deinen Vers und setz an seiner statt
Was bessers an den Ort, wo er gestanden hat.
Vertheidigte man sich und blieb bey seinen Grillen:
169So sprach er weiter nichts, um solches Dünkels willen;
Und ließ den Affen gehn, der seine Jungen liebt,
Wenn ihm gleich sonst kein Mensch den mindsten Beyfall giebt.
So machts ein kluger Mann,
170 er tadelt matte Zeilen,
Verwirft ein hartes Wort, bemerkt auch wohl zuweilen,
[106][108]Am Rande, wo der Vers was ungeschicktes zeigt.
Er meistert allen Schmuck der gar zu prächtig steigt.
Was unverständlich ist, daß heißt er klärer machen,
Bestraft den Doppelsinn und wird in allen Sachen
Ein andrer Aristarch.
171 Er fragt nicht kummervoll,
Warum er einen Freund um nichts verscherzen soll?
So schlecht dieß alles scheint, so wirkt es doch zu Zeiten,
In Wahrheit, etwas mehr, als schlechte Kleinigkeiten;
172Dein schmeicheln macht ihn stolz, dein höflicher Betrug
Bläst einen Dichter auf: so wird er nimmer klug.
Und wie man Leute fleucht, die sich die Krätze schaben,
Die Gelbsucht, Raserey, und Mondenkrankheit haben;
So wird ein kluger Mensch, vor tollen Dichtern fliehn,
Die Knaben werden ihn, zum Hohngelächter ziehn:
Nur von der dummen Schaar, der Witz und Vorsicht fehlet,
Wird er der kleinen Zahl der Dichter beygezählet.
Wie sonst ein Vogler oft, wenn er nach Amseln stellt,
Aus Unvorsichtigkeit in Brunn und Grube fällt:
So stürzt sich ein Poet, der hohe Verse speyet,
Oft selber in Gefahr. Gesetzt nun, daß man schreyet:
Ihr Leute! rettet, helft! Ist doch kein Mensch zu sehn.
Wer weis auch in der That, obs nicht mit Fleiß geschehn?
Und ob er auch einmal, wenn man ihm helfen wollte,
Das zugeworfne Seil, mit Dank ergreifen sollte?
Er kömmt mit Willen um. Ich spreche nicht zu scharf.
Wie sich Empedokles
173 in Aetnens Klüfte warf,
[108][110]Als ihm das kalte Blut so melancholisch worden,
Daß er dadurch verhofft zum hohen Götterorden,
Sich selber zu erhöhn: So geht es hier wohl an.
Man laß es ihm denn zu, daß er verderben kann.
Wer wider Willen hilft, wird schlechten Dank erwerben,
Drum lasse man getrost den tollen Dichter sterben.
Es ist sein erstes nicht, daß er nach Unglück ringt;
174Und wenn man ihn gleich itzt mit Fleiß zurechte bringt,
So wird er darum doch die Thorheit nicht verlassen,
Vielweniger den Weg zum Untergange hassen.
Man sieht auch endlich nicht, warum ein böser Geist,
Poeten solcher Art zum Versemachen reißt.
Ob sie des Vaters Grab
175 durch ihren Koth entweihet?
Ob sie kein Heiligthum in ihrer Wuth gescheuet?
176Ob ihre Frevelthat der Götter Haus befleckt?
Das weis ich, sie sind toll; und wie ein Bär uns schreckt,
Wenn er des Kerkers Schloß und Riegel durchgebrochen;
So flüchtet alles weg, wenn sie ein Wort gesprochen.
Denn wer ergriffen wird, daß er sie hören muß,
Der kömmt so bald nicht los, und stirbt fast vor Verdruß:
Weil sie, den Egeln gleich, nicht eh die Haut verlassen,
Bis sie nicht fähig sind, mehr Blut in sich zu fassen.