[350] An die Frau D. Volkmanninn in Liegnitz

1732 im Jenner.


Belobte Volkmanninn! du schreibest mir so schön,
Daß ich mir schwerlich darf die Antwort unterstehn,
Die Reime fließen dir so rein und ungezwungen,
Als sie vor Zeiten kaum der Sappho selbst gelungen:
Jedoch ich tadle sie, (du hast es mir erlaubt)
Und habe kaum davon das zehnte Wort geglaubt.
Was meynst du nun von mir? Mich dünkt du wirst mich schelten,
Und lässest mich den Spruch durch deinen Zorn entgelten.
Doch, was kann ich dafür? du hast mirs auferlegt:
Drum nimm damit vorlieb, wie man zu sagen pflegt;
Und zwinge niemand mehr zu Leistung solcher Pflichten,
Die so vermögend sind, ein Unheil anzurichten.
Allein, ich fahre fort, nachdem ich es gewagt,
Und dir so deutsch und rund die Wahrheit hergesagt:
Denn diese ziert allein die Schriften der Poeten,
Und wo man sie vermißt, da muß das Blatt erröthen.
Nicht so? du giebst mir recht, geschickte Dichterinn!
Wie kömmts denn, daß nur ich nicht werth gewesen bin,
Die Wahrheit, die dir sonst beständig lieb gewesen,
In deiner letzten Schrift, nach alter Art, zu lesen?
Du lobst mich gar zu sehr, und setzest keinen Reim,
Den nicht die Schmäucheley, durch süßes Honigseim,
Ganz überzogen hat. Wie hab ich das verdienet?
Hat deine Muse sich nicht gar zu viel erkühnet;
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Wenn sie ein Lob besingt, das so verächtlich ist,
Und wo man überall der Wahrheit Spur vermißt?
Doch, daß du wissen magst, was mir im Sinne lieget:
So glaube, daß mich nie ein Schmäuchelwort vergnüget.
Ich weis wohl, was du denkst. Mich dünkt, du rufst mir zu.
Mein Freund! wer lobte wohl bisher so gern als du?
Ganz recht, ich kenne mich, und will es frey gestehen,
Ich kann mich ebenfalls, wie sonst ein Mensch, vergehen.
Ich habe gern gerühmt, und stimmte manches Lob
Mit großem Jauchzen an, das den und die erhob.
Zuweilen wußt ich gar aus den geringsten Sachen,
Die Stax und Mops verübt, ein Wunderding zu machen.
Ich pries was mäßiges als unvergleichlich an;
Und ob ich gleich dadurch der Wahrheit weh gethan:
So war die Absicht doch nicht völlig zu verwerfen;
Ich suchte durch den Ruhm den Tugendtrieb zu schärfen.
Doch, als die Weisheit mir nach diesem vorgestellt,
Man fände nichts so schön und trefflich in der Welt,
Das ohne Tadel wär, und keine Flecken hätte:
So seufzt ich oftermals mit jenem um die Wette,
Der stets mit Traurigkeit der Menschen Schwachheit sah;
Wenn, nach des Pöbels Wahn, die größte That geschah.
So ist denn, war mein Wort, kein Sterblicher zu loben?
So wird denn all ihr Thun ganz unverdient erhoben?
So ist denn keine That in allen Stücken rein?
Ja, ja! wer loben will, der muß ein Lügner seyn.
Thalia mußte mich alsbald zum Schüler nehmen;
Ich fieng satirisch an, die Thorheit zu beschämen:
Ich deckte manches auf, das schön von außen war,
Und stellte manch Gesicht in seiner Blöße dar:
In Hoffnung, dergestalt, durch die entlarvten Flecken,
Die gleißnerische Welt vom Bösen abzuschrecken.
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Allein, es war umsonst, die Lauge biß zu scharf.
Es hieß: Wie geht es zu, daß der so lästern darf?
Wer hat ihm immermehr das Strafamt aufgetragen?
Und wer wird endlich was nach seinen Lehren fragen?
So war mein Hoffen aus. Ich merkte, daß die Welt
In allem, was sie thut, nicht viel auf Regeln hält;
Und lieber blindlings tappt, als recht im Lichte gehet,
So nah ihr sichrer Fuß an tausend Fallen stehet.
Drum hab ich nach und nach Thalien abgeschafft:
Doch weil mich Phöbus noch, mit ungeschwächter Kraft,
Zur Dichtkunst angespornt; so hat mir unter allen,
Die seine Schwestern sind, Melpomene gefallen.
Die hat mich, seit der Zeit, mit vielem Ernst gelehrt,
Wie man der Tugend Werth in klugen Fabeln ehrt;
Der Alterthümer Nacht in hellen Tag verwandelt,
Und in dem Trauerspiel von Sittenlehren handelt;
Wie man der Weisheit Macht, der Großmuth Stärke zeigt,
Wenn ein gesetztes Herz kein harter Zufall beugt;
Wie hoch die Bosheit wächst, wenn ihr die Frevelthaten
Erst wohl von statten gehn, und recht nach Wunsch gerathen;
Und wie des Himmels Zorn mit sich nicht scherzen läßt,
Wenn sein gereizter Arm zuletzt der Laster Pest,
Mit siegender Gewalt im größten Wüthen wehret,
Und ihre Raserey auf ihre Scheiteln kehret.
Dieß ist die sichre Bahn, darauf mein Geist sich übt,
Wo er nicht schmäucheln darf, auch nicht das Tadeln liebt;
Nur bloß die Tugend lobt, nur bloß das Laster schändet,
Weil weder Eigennutz, noch Furcht sein Auge blendet.
Doch, wo gerath ich hin? Du kannst hieraus ersehn,
Daß deiner Poesie kein Unrecht ist geschehn,
Belobte Dichterinn; wenn ich dir vorgerücket,
Daß sie mein kleines Lob mit Reimen ausgeschmücket.
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Mehr hab ich nicht bemerkt, daß auszusetzen sey.
Philander, den du ehrst, verdient es zweifelsfrey,
Und läßt sich für den Gruß, durch meinen Kiel bedanken;
Doch zählt der theure Mann sich längstens zu den Kranken.
Die Augen werden stumpf, es schwindet alle Kraft.
Und so fällt nach und nach des Geistes Eigenschaft,
Davon die halbe Welt bisher die Frucht gelesen:
Und kurz, er ist kaum halb, was er bisher gewesen.
Dein Hofmann grüsset dich, so wie mein Jonathan;
Verrichte dieß von mir an deinen werthen Mann,
Und was dir angehört. Viel Glück zum neuen Jahre!
Gott gebe, daß man stets viel Guts von dir erfahre.

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