Sechsundzwanzigstes Kapitel
Wie Vreneli und Uli auf hochzeitlichen Wegen gehen und endlich Hochzeit halten
Von da an ging die Sache vonstatten, viel besser, als Uli gedacht hatte, und er mußte manchmal denken, es gehe ihm besser, als er verdient, und mußte denken, was sein alter Meister gesagt: der gute Name sei ein eigenes Kapital und mehr wert als Geld und Gut. Der Lehenzins war billig, was aber die Hauptsache ausmachte, das waren die Zugaben. Einiges, was ihm besonders gefiel, nahm zwar der Johannes zuhanden.
Es sei nichts als billig, sagte er, daß er auch etwas hätte gegen das Korn und Kirschenwasser, das der Schwager ihnen abgeläschlet. Die Zugaben erstreckten sich nicht nur auf den ganzen Viehstand, Schiff und Geschirr, sondern auch auf den Hausrat und die Dienstenbetten. Die Schatzung über alles [379] war billig, so daß sie den Empfänger, wenn die Sachen ein, mal zurückgegeben werden mußten, nicht über Nichts bringen konnte. Es waren einige tüchtige Vorbehälte, die indessen bei dem billigen Zins zu übersehen waren. Uli mußte ihnen eine Kuh füttern, zwei Schweine mästen, Erdäpfel genug geben, ein Mäß Flachssamen, zwei Mäß Hanfsamen säen, ein Pferd geben, so oft sie fahren wollten. Wenn man einig ist, so ist selten ein Vorbehalt zu schwer, gerät man aber in Mißverhältnisse, so wird jeder Vorbehalt ein Stein des Anstoßes.
Uli und Vreneli konnten ihr meistes Geld sparen und brauchten sehr wenig anzuschaffen; der versprochene Trossel blieb ihnen auch nicht aus, ein Bett und einen Schaft erhielten sie, wie man sie selten schöner sieht. Johannes sandte ihnen, ohne ihre Auswahl zu erwarten, eine schöne Wiege, die Vreneli lange nicht ins Haus lassen wollte, behauptend, die sei verirret.
Aber was das dem Uli zu sinnen und zu denken gab, wie er alles anzustellen hätte in Feld, Stall und Haus; wie es ihm angst machte bald um das Korn, bald um den Lewat, bald ums Gras; wie er schon vor Fasnacht, wenn der Bysluft ging, jammerte, es gebe in diesem Jahr nicht Heu; wie hundertmal er rechnete, aus was er den Lehenzins schlagen, wieviel er verspielen, wieviel gewinnen könne, das kann nicht wohl erzählt werden. Es ist aber auch begreiflich, daß es einem jungen Anfänger im ersten Jahr, das ihm den Boden unter den Füßen wegnehmen oder einen Boden darunter gründen kann, etwas bange wird; ein alter, reicher Bauer nimmt es schon kaltblütiger. Da tut es ihm wohl, wenn er oft zu dem auf, sieht, der in seinen geheimen Kammern den Bysluft macht und den Schnee, der Heuschrecken sendet und den Tau fallen läßt. Wenn er aufblickt zu dem da oben, so kommt ihm der Trost ins Herz, daß der den jungen Anfänger so wenig vergessen [380] werde als den Sperling auf dem Dache, als die Lilie auf dem Felde , sobald derselbe seiner nicht vergißt. Allgemach wird er es lernen, aber nur allgemach, fleißig sein und treu und alles auf das beste tun, dann aber dem Herrn getrost es überlassen, was daraus werde, und kummerlos das Gedeihen erwarten oder das Fehlschlagen; wird mit ergebenem Herzen zusehen können, wie der Hagel die Felder zerschlägt, die Flammen das Haus zerstören, und getrost und ohne Heuchelei sagen: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt. Uli sah viel auf zu dem, der so schön ihn geführt bis dahin, und vergaß keinen Abend seinen innigen Dank; aber das stürmische Meer im Herzen, das Wogen der Gedanken in der Brust wollte sich nicht legen: er war zu neu aufgeregt, zu viel stürmte auf einmal auf ihn ein.
Vreneli klagte gar manchmal, er sei nicht mehr sein alter Uli, habe keinen Spaß mehr, keine Worte, keine Ohren. Sie hätten noch so viel abzureden, und da sitze er, staune; es sei, als ob die Worte ihm im Halse gefrören, und es könne manchmal eine ganze Stunde reden, ohne Antwort zu bekommen. Wenn es gewußt hätte, daß der Brautstand so langweilig sei, so hätte es ihn geschickt Band hauen. Statt zuweilen mit ihm zu schätzelen und Flausen zu haben, sinne er darüber nach, was ihm mehr abtrage, eine Füllimähre oder zwei Ferlimore, oder welche Kühe besser Milch geben, die rotschäcken oder die schwarzblöschen. Wenn Vreneli so mit Uli kifelte, so weckte das ihn wohl auf und er tändelte und lachte manchmal eine ganze Viertelstunde lang, bis ihm der Ernst und das Sinnen wieder kam. Vreneli, so leichtfertig es schien, war innerlich nicht minder ernst, konnte es aber verbergen. Es war von den Leuten, die äußerlich immer lustig und leichten Sinnes scheinen, die tiefen Gedanken aber in der Tiefe des Herzens verbergen, so daß man sie ihnen gar nicht zutraut. Es [381] konnte auch halbe und ganze Nächte sinnen, was ihm als Hausfrau alles obliege, wie es dieses und jenes machen wolle, daß es am besten komme, konnte aus vollem Herzen seufzen, ob es wohl der Aufgabe gewachsen sei, konnte mit nassen Augen Gott bitten um seinen Beistand und seine Hülfe, seinem schweren Amte getreulich vorzustehen und Uli glücklich zu machen. Von diesem allem sieht man am Morgen nichts mehr, der feuchte Glanz in den Augen scheint von dem Rauch in der Küche zu kommen. Es fährt herum wie auf Rädern und trällert seine Liedchen wie ein harmlos Rotkehlchen, und wo es Uli erwischen kann, möchte es mit ihm spassen, ihn necken. Hinter dem Tändeln aber sitzt der ernste, innige Gedanke, Uli glücklich machen zu wollen, und wenn es leichtsinnig mit ihm zu schätzeln scheint, so ist es nur, um einen Augenblick seinen Kopf an Ulis Brust legen, sich seines Glückes reche bewußt werden zu können, eine Seele zu besitzen, ein vernünftig Wesen sein nennen zu können.
»Du bist mir auch das leichtsinnigste Geschöpf von der Welt,« sagte die Base oft. »Wo ich habe Hochzeit halten sollen, da habe ich manchmal ganze Tage lang pläret, und wenn mich Joggeli hat anrühren wollen, daß es die Leute gesehen, so bin ich zur Türe aus gelaufen, und kein Mensch hätte mich wieder hineingebracht. Ich weiß nicht, wie das gehen soll.« Und wirklich schüttelte sie manchmal bei sich selbst den Kopf und dachte, sie verstehe sich nicht mehr auf die heutigen Meitschi, aber wenn das so fortgehe, so komme das nicht gut. Vreneli falle nicht gut aus, und Uli sei mit ihm geschlagen, mit dr Narre Trybe werche man keinen Hof. Diesen geheimen Kummer vermehrte Joggeli noch, der ihr alle Tage sagte: »Du kannst sehen, wie das kömmt; das geht nicht ein Jahr, so sind sie am Haufen. Aber ich vermag mich dessen nichts, ich habe es genug gesagt, es komme nicht gut. Aber man glaubt mir nichts, man hat mir nie geglaubt, darum ist auch alles so gekommen. [382] Ich habe es mit dem Elisi von Anfang an gesagt, aber es wollte mich damals niemand hören.«
So rückte in banger Stimmung die Zeit heran, wo Uli das Lehen übernehmen sollte, das ihm das Zutrauen um seiner Anstelligkeit und Treue willen übertrug. Vorher sollte er mit Vreneli Hochzeit halten. Schon seit dem Neujahr war davon die Rede gewesen, aber das Meitschi hatte immer Gründe zum Aufschub. Bald hatte es nicht Zeit gehabt, recht daran zu sinnen, bald hatte es eben daran gesinnet und gefunden, es sei besser, noch einen Sonntag oder zwei zu warten. Dann sagte es, es wolle vom Hochzeit gleich als Meisterfrau eintreten und nicht erst noch Magd sein, oder der Schuhmacher hätte seine Sonntagsschuhe, in den Holzböden könne es doch nicht wohl zum Pfarrer gehen, das Hochzeit anzugeben. So strich ein Sonntag nach dem andern vorbei. Da saß an einem stürmischen Sonntagsnachmittag die Base hinter dem Tisch und sagte: »Vreneli, gib mir doch die Brattig, sie hanget dort auf.« Sie blätterte darin, weit von den Augen sie haltend, zählte mit dem dicken Finger die Wochen, zählte wieder und schrie endlich: »Weißt du, daß es bis zum fünfzehnten Merz, wo ihr das Leben antreten müßt, nur noch fünf Wochen sind? Du wüests Meitli hast die Sache bis dahin verdreht! Auf der Stelle geht mir jetzt und gebt mir das Hochzeit an! Das ist mir eine schöne Geschichte! Jawolle!« Vreneli wollte es nicht glauben, zählte nach, fand es endlich noch eine Woche zu früh und meinte, wenn sie nur einen Tag oder zwei vor dem Fünfzehnten Hochzeit hielten, so wäre es lange früh genug. Aber davon wollte die Base nichts hören. Uli schlug sich auf ihre Seite, und wenn schon nicht selben Sonntag, so sollte doch in selber Woche das Hochzeit beim Pfarrer zu Üfligen angegeben und derselbe ersucht werden, in Beider Heimat zu schreiben, damit es auch dort verkündet werde. Am Montag hatte aber Vreneli seine Schuhe noch nicht vom Schuhmacher, am [383] Dienstag schien ihm der Mond zu heiter. Alle Leute würden es ja kennen durchs Dorf ab, sagte es. Am Mittwochen war das Zeichen ihm nicht gut genug, auch sei der Mittwochen ja eigentlich kein Tag, behauptete es. Es stehe an diesem Tag ja kein Jungfräulein ein, und sei das Hochzeitangeben noch wichtiger, als einen Dienst anzutreten, wo man ja das ganze Jahr daraus könne, wann man wolle. Endlich am Donnstag gingen alle mit Ernst hinter ihns und sagten ihm, das sei kreuzdumm getan. Es hätte sich der Sache doch nicht zu schämen und einmal müsse es sein, gäb es geschehe einen Tag früher oder später, und es sollte froh sein, wenn es einmal geschehen sei.
Glücklicherweise hatte der Schuhmacher die Schuhe gebracht, und der liebe Gott sandte ein gräßliches Schneegestöber, daß kein Mensch mit offenen Augen ein Dutzend Schritte gehen konnte, und eine Nacht legte sich zwischen Himmel und Erde, wie keine noch so dick und schwarz gewesen war. Als es nun so recht strub machte, Schnee und Riesel an die Fenster prätschten, fingershoch an den Rahmen hingen, der Wind schaurig durch das Dach pfiff, die Nacht dick und finster zu den Fenstern ein kam, das Lämpchen selbst sich ihrer kaum erwehren mochte, die Katzen schaudernd die Feuerplatte suchten, der Hund an der Küchentüre kratzte und mit dem Schwanz zwischen den Beinen unter den Ofen kroch, da sagte Vreneli endlich: »Jetzt, Uli, mach dich zweg, jetzt wollen wir gehen, jetzt guggen uns die Leute gewiß nicht nach.« »Du bist mir doch das wüstest Gret«, sagte die Base. »Nein, bei solchem Wetter käme ich dir auch nicht, wenn ich Uli wäre, da könntest du alleine gehen.« »Das kann er machen, wie er will«, sagte Vreneli, »aber wenn er heute nicht kömmt, so gehe ich nachher nicht mehr. Und wenn seine Liebe so groß ist, wie er sagt, so tut ein solches Wetter ihm nur wohl.« »Wohl, ich wollte dir, wenn ich Uli wäre!« sagte [384] die Base. »Aber so nehmt doch das Wägeli, Hans kann euch führen, ihr kommt ja um in solchem Wetter.« »Warum nicht gar, Base, auf dem Wägeli reiten, um das Hochzeit anzugeben! Da würden die Leute ja erst recht zu reden haben, und wir kämen das andere Jahr in die Brattig, und das Wägeli käme zmitts auf die große Helge.« Nun wollte die Base Uli aufweisen, er solle nicht gehen, aber dem war es recht, wenn Vreneli nur einmal gehen wollte. Aber wunder nehme es ihn, wie Vreneli durchkommen wolle. Etwas hätte es verdient um sein wunderlich Tun, und so wollten sie es in Gottes Namen wagen, könnten sie doch jetzt zusammen gehen und brauchte Keins dem Andern hinter einem Hag oder hinter einer Scheuer zu warten, wie es sonst üblich sei. Die Base, beständig brummend über diese Narrheit, half doch, so gut sie konnte, bei der Ausrüstung zu dieser Fahrt, brachte Joggelis Mantelkragen und seine Pelzhandschuhe; aber bei jedem Stück, das sie brachte, sagte sie: »Los, Meitschi, das kömmt gewiß nicht gut. Wenn du so wunderlich tun willst, so schlägt dir Uli vom Nest. Wenn ein Meitschi so tut, du mein Gott, was soll das für eine alte Frau werden! Die Wunderlichkeiten nehmen mit dem Alter zu, das kann ich dir sagen.«
Als sie endlich fertig waren und die Küchentüre aufmachten, mußte Vreneli dreimal ansetzen, bis es draußen war, und Uli mußte seinen Hut zuhinterst in der Küche wieder suchen. Die Base fing von neuem an zu jammern, sie zu beschwören, sie sollten doch dr tusig Gottswillen nicht gehen, sie kämen ja um! Aber Vreneli setzte zum drittenmal an mit aller Kraft, war im Schneewirbel verschwunden, der Base Gejammer verhallte ungehört. Es war wirklich ein halb halsbrechender Gang, und Uli mußte dem Mädchen aushelfen. Den Wind gerade im Gesicht, verloren sie öfters den Weg, mußten manchmal stillestehen, sich umsehen, wo sie seien, mußten Atem schöpfen, sich umdrehen, die grellsten Stöße vorbeizulassen; [385] sie brauchten Dreiviertelstunden für die kleine Viertelstunde bis zum Pfarrhaus. Dort klopften sie sich erst so gut möglich vom Schnee rein, dann an die Türe. Lange klopften sie umsonst, der Schall verlor sich in des Windes Geheul, das schauerlich durch die Kamine toste. Da verging Vreneli die Geduld, statt des ehrerbietig klopfenden Uli klopfte nun es, daß sie drinnen von ihren Sitzen auffuhren, die Frau Pfarrerin sagte: »Herr Jeses, Herr Jeses, was ist das!« Der Herr Pfarrer aber beruhigte sie und sagte: Das werde ein Kindbettimann oder ein Hochzeit sein, die schon mehrere Male geklopft; aber Marei werde wieder nichts gehört haben, wie es es im Brauch habe. Unterdessen Marei Bescheid gab, zündete er bereits ein Licht an, damit die Leute nicht lange warten müßten, und sobald Marei zur Türe hinein sagte: »Herr Pfarrer, es sind zwei Lütli da«, trat er schon heraus.
Hinter der Haustüre stunden die Beiden, Vreneli hinter Uli. Der Pfarrer, etwas klein, in eben rechtem Alter, aber bereits mit einem ehrwürdigen Haupte versehen und klugen Zügen, die sehr scharf und sehr freundlich sein konnten, hob das Licht über sein Haupt empor, sah etwas vorwärtsgebeugten Hauptes darunter durch und rief endlich: »Eh, Uli, bist du es, bei solchem Wetter! Und hinter dir wird wohl Vreneli sein,« sagte er, mit dem Lichte herumzündend. »Nei aber,« rief er »bei solchem Wetter? Und die gute Glunggebäurin hat euch gehen lassen! Marei, komm,« rief er, »putz mir die Lütli ab, nimm diesen Kragen und trockne ihn.« Marei kam mit seiner Lampe sehr gerne her. Da tat die Frau Pfarrerin auch die Türe auf mit dem Lichte in der Hand und sagte: »Führe doch die Lütli hier herein, es ist wärmer als bei dir, und Vreneli und ich kennen einander gar wohl.«
Da stand nun Vreneli im Glanz von drei Lichtern noch immer zwischen Uli und der Türe und wußte nicht recht, was für ein Gesicht es vornehmen solle. Endlich machte es [386] gute Miene zum bösen Spiel, kam hervor, grüßte sittig den Pfarrer und dessen Frau und sagte, die Base lasse ihnen guten Abend wünschen, der Vetter auch. Das sagte Vreneli mit der unschuldigsten Miene von der Welt. »Aber,« sagte drinnen der Pfarrer, »warum kommt ihr bei solchem Wetter? Es ist ja für darin umzukommen!« »Es hat sich nicht wohl anders geschickt«, sagte Uli, der die Mannespflicht, den Eigenwillen seiner Frau auf seine Schultern zu nehmen, zu fühlen begann, eine Pflicht, die man am Ende notgezwungen üben muß, entweder um nicht unter dem Pantoffel zu scheinen oder die Schwachheiten der Frau nicht auszubringen. »Wir durften nicht länger warten,« fuhr er fort, »da wir den Herrn Pfarrer bitten möchten, die Sache noch da und dort anzuzeigen, damit es auf den nächsten Sonntag verkündet werden könne.« Dafür seien sie wohl spät, sagte der Pfarrer, er wisse nicht, ob die Post vor dem Sonntag käme an beide Orte. Es sei ihm leid, sagte Uli, daran hätten sie nicht gedacht; Vreneli tat, als ob ihns die Sache nichts anginge, und redete recht eifrig mit der Frau Pfarrerin über den Flachs, der so schön geschienen und doch beim Hecheln gar nicht ausgeben wolle.
Als die Formalitäten zu Ende waren, sagte der Pfarrer zu Uli: »Und Ihr werdet Lehenmann in der Glungge? Das freut mich. Ihr seid nicht wie so viele Knechte, denen man kaum ansieht, daß sie Menschen, geschweige daß sie Christen sind, Ihr stellt Euch wie ein Mann dar und tut auch wie ein Christ.« »Ja,« sagte Uli, »warum sollte ich Gottes vergessen? Ich habe ihn nötiger als er mich, und wenn ich ihn vergesse, darf ich dann hoffen, daß er an mich denkt, wenn er seine Gaben und Gnaden austeilt?« »Ja, Uli, das ist schön,« sagte der Pfarrer, »und ich glaube, auch er habe Euch nicht vergessen. Ihr habt ein gutes Lehen, und ich glaube, Ihr bekommt eine gute Frau. Ich rede nicht vom Arbeiten und Haushasten, da wird Vreneli gerühmt, ich weiß es wohl; Arbeiten und Haushasten ist [387] gut, aber doch nur eine Nebensache. Vreneli scheint leichtsinnig und flüchtig, aber ich weiß, es sinnet auch tiefer und hat ein gutes Herz.« Vreneli hatte seine Ohren bei diesem Gespräche, wie eifrig es vom Flachs redete. So wenig es früher dieses merken ließ, so wenig konnte es sich jetzt enthalten, zu sagen: »Aber Herr Pfarrer, Ihr könntet nur auch zu viel zutrauen.« »Nein, Vreneli,« sagte der Pfarrer, »ich sehe in der Unterweisung in gar manches Herz hinein, man weiß es nicht, ich höre gar manches, man glaubt es nicht, und dazu errate ich noch vieles. Bist du nicht auch schuld, daß Ihr bei diesem gräßlichen Wetter hereingekommen? Sieh, ich wünsche von ganzem Herzen, daß dieses der strübste Gang ist, den ihr mit einander während Eurer Ehe geht. Doch was Gott verhängt, weiß niemand, wenn nur alles zur Seligkeit dienet. Aber das kann ich wohl wünschen, daß Ihr keinen so struben Gang mehr tun müßt durch des Einen oder Andern Schuld. Was von Gott kömmt, das läßt sich alles tragen, wenn Zwei in Gott eins sind; aber wenn der Eigensinn oder die Wunderlichkeit oder die Leidenschaft von Mann oder Weib Unglück über eine Ehe bringen, Ärgernis und Elend, und das Unschuldige muß mit aus dem bittern Kelch trinken, muß bei jedem Zuge denken: Daran ist mein Gatte schuld, wenn er nicht wäre oder anders wäre, so wäre das auch nicht, da wird das Leben ein Wermutstrank und der Gang durchs Leben ist noch viel ungestümer als euer heutige Gang. Und wenn man am Ende ist und es gehen einem die Augen auf und man sieht, daß man das Unwetter selbst war auf dem Lebensweg, das einem Gatten die ganze Lebenszeit verfinstert, getrübt hat, daß er unsertwegen einen so schweren Gang hätte, während er bei etwas weniger Eigensinn oder Wunderlichkeit einen recht schönen, heitern hätte haben können: denk, Vreneli, was muß man sich da für ein Gewissen machen!«
Vreneli war ganz rot geworden, das Wasser trat ihm in die [388] Augen, und die Frau Pfarrerin sagte: »Aber Mannli, du machst ja dem Meitschi ganz angst, kommst so ernsthaft, daß es mir selbst den Rücken auf geht, und du weißt doch nicht, ob die Sache so ist, wie du meinst.« »Ich kann mich irren,« antwortete der Pfarrer, »aber ein ernstes Wort gehört zu diesem ernsten Gange. Ihr werdet Euch Euer Lebtag erinnern an das gräßliche Wetter und das mühselige Gehen, da kömmt dann auch die freundliche Mahnung Euch in Sinn, auch wenn Vreneli diesmal nicht schuld war, daß jedes sich hüten solle, daß das Andere nicht durch seine Schuld beschwert werde, leiden müsse, daß wir daseien, einander das Leben zu erleichtern und zu versüßen und nicht zu verbittern und mühselig zu machen. Paulus sagt, die Ehe sei ein Geheimnis; er hat recht, aber die Liebe, die er im dreizehnten Kapitel im ersten Brief an die Korinther beschreibt, ist der Schlüssel dazu. Habe ich dir unrecht getan, Vreneli, so zürne mir nicht; du sollst wissen, daß ich es doch gut mit dir meine.«
Da begannen die Wasser aus den Augen zu rollen, und Vreneli bot dem Pfarrer die Hand und sagte: »Ihr habt mehr als recht, ich bin schuld daran, bin ein wüst und wunderlich Meitschi gewesen. Was Ihr mir gesagt, will ich nicht vergessen, es soll nur eine Warnung sein für mein Lebtag. Ich habe es nicht bös gemeint, habe nicht daran gedacht, daß es so kommen werde; es ist mir zuwider gewesen, zu kommen, und da habe ich alles hervorgesucht, um es zu verschieben. Aber es soll mir eine Warnung sein!« Nun, nun, sagte der Pfarrer, »gräme dich nicht. Es ist allerdings ein schwerer Gang, zum Pfarrer, das Hochzeit anzugeben. Ich begreife, daß es einem Mädchen bange werden muß dabei, und daß man das Schwere so weit von sich wegschiebt als möglich, ist menschlich, und es tun das noch viel andere Leute als nur junge Meitscheni. Es ist eben die schwerste Lebensaufgabe, das Schwere auf sich zu nehmen, vor dem Schwersten nicht zu [389] zagen und zu zittern. Das meiste Unglück der Menschen besteht eigentlich nur darin, daß sie sich mit Händen und Füßen gegen das Kreuz, das sie tragen sollen und tragen müssen, stemmen und wehren. Es ist ganz recht, wenns den jungen Leuten eng ums Herz wird, wenn sie zum Pfarrer gehen, ist dieser Gang doch der entscheidende für ihr ganzes Lebensglück; darum rede ich gewöhnlich ein ernstes Wort dazu, denn dieses Wort wird viel weniger vergessen als hunderte, die ich in der Kirche sage. Wie heute geben die Umstände sie mir in den Mund, und wenn der Herr so mächtig auf den Flügeln des Sturmes daherfährt, so müssen die Worte ernsthaft werden. Und wie das äußere Leben ein Bild des geistigen Lebens ist, so ward mir Euer Gang daher zum Bilde mancher, mancher Ehe, zum warnenden Worte, vor solcher Ehe und den Ursachen dazu Euch zu hüten. Es muß auch niemand wunder nehmen und auch dich nicht, liebe Frau, die du jetzt vielleicht zum erstenmal bei der Abnahme einer solchen Angabe gewesen und zum erstenmal einen solchen Zuspruch gehört hast, daß ich so ernsthaft werde. Es ist fürchterlich, welcher Leichtsinn einreißt und wie schauderhaft unwürdig so Viele ihre Ehe angeben. Ein Freund hat mir geschrieben, daß ihm letzthin an einem Samstag zwei Paare zur Hochzeitangabe gekommen seien, beide Bräute hochschwanger und alle Viere voll Branntwein, so daß sie kaum reden, kaum gehen konnten. Wären wir in einem christlichen Staate und nicht in einer Agentenwirtschaft, so würde man solche Tiere zurück, weisen, bis sie in einem menschlichen Zustande wären. Täte man es jetzt, so riskierte man Anschicksmänner, Rechtsverwahrungen, Zitationen, und die Richter würden mühselig in der Gerichtssatzung oder im Personenrecht einen Paragraphen suchen, der sich auf diesen Fall beziehen ließe, und würden ganz sicher gegen den Pfarrer auch einen finden. Vom eigentlichen Regieren löscht der Begriff immer mehr aus, wie auch [390] das Licht immer düsterer brennt, je mehr Rauch und Staub um dasselbe gemacht wird. Aber was muß das für Ehen geben, wo die Leute in solchem Zustande den wichtigen Gang tun, und was für ein Bild ihres zukünftigen Zustandes wird da dem Pfarrer auf die Zunge gelegt! und doch darf er es vielleicht nicht einmal aussprechen diesen trunkenen Leuten, besonders wenn sie etwa Bürger einer Stadt oder sogenannte Fötzelherren sind. Bei solchen läuft er Gefahr, daß sie ihm wüst sagen, ihn in eine Zeitung tun oder gar verklagen. So wie es bei solchen Erscheinungen einem recht eigentliche Stiche ins Herz gibt, so tut es einem auch wohl, wenn man Zwei zur Ehe schreiten sieht, von denen man weiß, daß Gott bei ihnen ist und daß sie trachten werden, ihre Leiber und ihr Haus zu einem Tempel zu machen, darin Gott wohnen mag. Nicht nur muß der Pfarrer über jede solche Ehe sich freuen, ich weiß, es ist Freude darüber im Himmel. Wenn nun zwei Solche zu einem kommen, wo man sich freuen kann über sie, da darf man ein ernsthaft Wort zu ihnen reden; man weiß, sie nehmen es einem nicht übel, sondern es fällt auf gutes Erdreich, wo es dreißig-, sechzig-, hundertfältige Früchte bringt.«
»Ja, Herr Pfarrer,« sagte Vreneli, »ich werde es nie vergessen, was Ihr gesagt, und Uli soll es Euch zu danken haben. Oh, ich habe noch manches Wort von der Unterweisung her, das ich nie vergessen werde. Und wenn es mich schon manch- mal dünkt, ich hätte alles vergessen, so steigt bei diesem Anlaß oder einem andern ein Wort aus der Unterweisung in mir auf, fast als ob mir jemand den Finger aufhöbe und sagte: Eh, eh!« Es gehe ihm auch so, sagte Uli, doch jetzt mehr als früher. Es sei eine Zeit gewesen, wo er wenig an die Unterweisung gesinnet habe. Es komme viel darauf an, was man im Kopf habe, je nachdem komme einem etwas in Sinn. Er hätte es nicht geglaubt, wenn er es nicht selbst erfahren hätte.
Da kam die Magd mit den Tellern herein, um Tisch zu [391] decken. Vreneli merkte es und stund zum Abschied auf, obgleich die Frau Pfarrerin sagte: Man solle nicht pressieren, oder sie sollten mithalten. Aber Vreneli sagte, sie müßten gehen, die Base meine sonst, sie seien umgekommen, dankte recht innig dem Pfarrer noch einmal für sein Wort und bar ihn, zu versprechen, daß er auch zu ihnen komme, wenn sie schon nur Lehenleute seien. Ein Kaffee vermöchten sie doch immer, wenn sie vorlieb nehmen wollten. Es lache ihm alle, mal das Herz im Leibe, wenn es ihn nur von weitem sehe. Glück und Segen wünschend zum heiligen Ehestand, zündete ihnen mit hochgehaltenem Lichte der Pfarrer selbst hin, aus und gab ihnen einen guten Abend mit für die Base und für den Vetter auch.
Draußen hatte der Schneesturm aufgehört, zerrissene Wolken jagten durch den Himmel, einzelne Sterne flimmerten in den lichten Zwischenräumen, in ein weißes Schneegewand war die Erde gehüllt. Stillschweigend wanderten sie durch das Dorf, wo die Bewohner hinter ihren kleinen runden Scheiben um düstere Lampen saßen, die Spinnräder lustig schnurrten, lang ausgestreckt das Bein von manchem Hans Joggi um den Ofen blampete. Hie und da bellte ein Ringgi sie an, sonst nahm sie niemand wahr, überflüssig war ihre Vorsicht, schweigend und leise durchs Dorf zu eilen. Zum Schweigen trugen auch ihre vollen Herzen bei, in denen gar manches ernst und heiter sich wälzte, während rasche Wolken vorübertrieben, zwischen denen heiterere Sterne funkelten in immer größerer Menge, bis die letzte Wolke entschwunden war, in heiterem Blau Stern an Stern sich reihte, in heiterer Pracht ein funkelnder Himmel sie überstrahlte, die düstern Lämplein zurückblieben unter des Dorfes düstern Dächern. Da umfaßte schweigend Vreneli seinen Uli, blickte hell und strahlend ihm ins Auge, strahlende Augen hoben sich auf zum strahlenden Himmel. Die verschwiegenen Sternlein hörten heilige Gelübde, [392] horchten lautlos den heiligen Gedanken, welche leise und wonnereich die Herzen der seligen Brautleute füllten, die still und leise ihren Heimweg gingen, den ihnen Gottes eigene Hand mit des Himmels Blüten, mit reinem, unbeflecktem Schnee bestreut hatte.
Näher und näher rückte der verhängnisvolle Hochzeittag. Schon waren des Vetters ins Stöckli gezügelt; die Base ließ das Haus von oben bis unten fegen und ribeln, wie sehr auch Vreneli wehrte, daß in dieser kühlen Jahreszeit solche Arbeit nicht viel abtrage, aber ungesund sei. Sie wolle das Haus nicht übergeben wie einen Schweinstall, sagte sie, und die Leute sollten ihr nicht nach ihrem Tode nachreden, wie sie ihr Haus übergeben. Aber man sinne nicht, daß wenn so viel draußen zu tun sei und man so viel Land habe, man im Hause nicht machen könne, was man wolle, und nicht alle Freitage fegen wie die Herrenfrauen. Der Tischmacher hatte seine Arbeit gebracht, Schneider, Näherin waren endlich unter Schweiß und Angst zu Ende getrieben worden, aber der Schuhmacher wollte nicht rücken, der kam nicht und kam immer nicht, der hatte seine Freude daran, warten zu lassen, sein Wahlspruch war: Ihr wartet wohl, bis ich komme. Vreneli verredete sich, der habe ihm die letzten Schuhe gemacht, und sollte es fürder barfuß laufen, und es hielt sein Gelübde.
Wie an einem Samstag vor einem heiligen Sonntag, der fast unwiderstehlich feierliche Gefühle den Herzen aufdringt, fast wie am Vorabend seiner Admission war es ihm am Tage vor der Hochzeit zumute. Sinnig und ernst waltete es im Hause, vielleicht hatte es noch nie so wenig geredet als an diesem Tage. Es war ihm manchmal, als ob es weinen sollte, und doch hatte es ein freundlich Lächeln für alle, die ihm begegneten. Es versank zuweilen in ein Sinnen, wo es sich, Ort und Zeit, alles, alles vergaß; es wußte nichts von sich selbst, wußte nichts von seinem Sinnen. Wenn dann jemand es anredete, so fuhr [393] es auf wie aus tiefem Schlafe, es war ihm, als ob es erst jetzt wieder Ohren und Augen bekäme, als ob es aus einer andern Welt wieder auf Erden fiele.
Als sie am Nachtessen saßen, knallte es unerwartet auf dem Hügel neben dem Hause, daß alle hoch auffuhren. Es waren die Knechte und einige Tagelöhner, die die Ehre der neuen Meisterleute der Welt verkünden wollten. Es liegt in diesem Schießen und Knallen bei Hochzeiten ein tiefer Sinn, schade nur, daß so manches Menschenleben dabei gefährdet wird; Kein widriges Horngeheul klang dazwischen, keine gräßliche Trosselfuhr, wie Neid oder Feindschaft sie Brautleuten bringen, störte den friedlichen Abend. Die Base gab allerlei Ermahnungen, hatte mitunter auch allerlei Späße, brachte Finkenschuhe, Handschuhe und was sie auftreiben konnte, um am frostigen Morgen vor Kälte sie zu schützen. Früh wollten sie fort. Uli wollte in seiner Heimat Hochzeit halten, wo Vetter Johannes wohnte. Er sagte, es koste dort weniger. Aber inwendig in ihm war etwas anderes, das ihn heimtrieb. Seine schöne Braut, das stattliche Fuhrwerk zeigte er gerne daheim. Man sollte daheim doch auch wissen, daß er aus einem Hudelbub ein Mann geworden, und er wollte es gerne erzählen zu Nutz und Frommen von Vielen, wer ihn dazu gemacht und wie.
Unerwartet rief Joggeli ihn noch ins Stübchen und sagte ihm: Rühmen und Flattieren sei nicht seine Art, so lange er dagewesen, habe er ihm nicht viel gesagt; aber daß er zufrieden sei mit ihm, das hätte er sehen und daraus abnehmen können, daß er ihm das Gut so gegeben, ein Fremder hätte es nicht so erhalten. Der Tochtermann habe ihm noch gestern geschrieben, er solle, statt so viel in die Schatzung zu geben, eine Steigerung darüber halten; er löse ein großes Kapital, das er ihm zu fünf oder sechs verzinsen wolle. Aber er wolle seine Sachen nicht versteigern, und was er geschrieben habe, das [394] habe er geschrieben. Zum Zeichen der Zufriedenheit wolle er ihm aber noch etwas tun. Er solle das Päckchen nehmen, es sei etwas an die Kosten des morndrigen Tages. Er wisse, Uli sei huslich und halte jetzt besonders sein Geld zusammen, aber morgen solle er nicht sparen und sich gehen lassen. Huslichkeit sei eine schöne Sache, aber am Hochzeittage dürfe man nicht auf den Kreuzer sehen; wo es geschehe, sei es meist eine böse Vorbedeutung; wenn die junge Frau halb hungrig heimkomme und pläre, so komme das selten gut. Uli weigerte sich erst, dankte vielmals für alle schon erhaltenen Vergünstigungen, versprach noch einmal alles Gute und nahm es endlich doch, obgleich er es nicht bedürfe und dafür Geld gerüstet hätte. Da lachte die Mutter: Das werde ein Haufen sein, sie könne es sich schon denken; sie wisse, wie er es habe. Was er Ungerades zu einem Neutaler habe, das werde gerüstet sein, aber wechseln werde er kaum etwas lassen wollen. Ei, sagte Uli, wenn man das Geld genug verdienen müsse, so zähle man die Batzen, ehe man sie ausgebe, und jetzt könne er gar nicht begreifen, wie man an einem Tage so mir nichts dir nichts verhudeln könne, was man mit saurer Mühe während sechs Tagen an Wind und Wetter verdient habe. Ehedem hätte er es auch nicht so gehabt. Aber für morgen hätte er nicht sparen wollen und möchte gerne noch seinen alten Meister und dessen Frau einladen. Zwei Kronen oder sechzig Batzen sollten ihn nicht reuen. Da lachte das alte Ehepaar gar herzlich, selbst Joggeli, der es sonst selten tat. »Nu nu,« sagte er, »es ist nicht Gefahr, daß du um deine Sache kömmst, wenn du nie mehr brauchst und noch Leute zu Gast haben willst. Es ist gut, daß ich noch etwas nachgebessert, sonst hätte Kohli Hunger haben müssen, und du hättest noch manchen Tag ein saures Gesicht gemacht über das zu viel gebrauchte Geld, und ds Vreni, weil du ihm Hunger und Durst gelassen. Gute Nacht!«
[395] Uli aber hatte keine gute Nacht. Früh um drei wollten sie fort. Der Stunden waren also wenige bis dahin, aber sie wollten nicht vorbei. Er konnte nicht schlafen, gar vieles bewegte ihn, warf ihn unruhig hin und her, und alle halbe Minuten griff er nach der Uhr. Die ganze Bedeutung, in die er treten sollte, wälzte sich in ihrer ganzen Schwere auf seine Seele. Dazwischen gaukelten liebliche Bilder, und Vreneli in seiner ganzen Holdseligkeit tanzte vor seinen geschlossenen Augen. Noch nicht lange war die Geisterstunde vorüber, als er das Bett verließ, um dem Pferde sein Futter zu geben und es gehörig zu putzen und zu striegeln. Als er mit dieser Arbeit fertig war, ging er zum Brunnen und begann das Werk auch an sich. Da umfingen ihn wieder schalkhafte Hände, und Vreneli brachte ihm den holden Morgengruß. Ein Vorgefühl hatte es zum Brunnen geführt, und sie kosten in kalter Morgenluft, als ob laue Abendwinde säuselten. Das Beängstigende, Drückende schwand ihm nun, und rasch förderte er die Vorbereitungen zur Abfahrt. Bald konnte er in die Stube zum warmen Kaffee, den Vreneli gekocht und zu dem die Base weißes Brot und Käse gerüstet hatte. Wenig Ruhe hatte das Meitschi am Tische, der Kummer, etwas zu vergessen, ließ es nicht rasten; das Zusammengelegte wurde immer wieder besehen, ob nichts fehle, und doch wären die Finkenschuhe der Base bald zurückgeblieben. Endlich stund es fix und fertig da, holdselig und schön. Die beiden Mägde, die der Gwunder aus dem Bette getrieben, umleuchteten es mit ihren Lampen und waren so in Bewunderung vertieft, daß sie vergaßen, daß das Öl Flecken mache, daß das Feuer zünde; bald wäre Vreneli in Öl getränkt im Feuer aufgegangen. Ach, in der armen Mägde fleischichten Herzen wogte das Verlangen: ach, wenn sie doch einmal so schöne Kleider hätten, so würden sie auch so schön sein wie Vreneli, dann könnten sie auch einmal mit einem so schönen Mann zHochzyt ryten!
[396] Lange vor drei Uhr fuhren sie in den kalten, bereiften Morgen hinaus. Es ist seltsam, wie froh und frei es einem im Gemüte wird, wenn man des Hauses beengende Schranken verläßt, von den allenthalben einem entgegentretenden Geschäften sich wendet und hinaustritt in einen hellen Morgen Gottes. Da geht es einem weit vor den Augen auf, weit wird das Herz, und kühnen Mutes schlägt es dem Leben entgegen, dem Leben, rosenrot gefärbt durch das junge Morgenlicht. Wenn der Abend wiederkömmt, dann kehrt in die müden Glieder das Sehnen ein nach des engen Hauses Ruhe, jede kleine Mühe wird zum Berge, der seufzend bezwungen wird, und erst leuchtet das matt gewordene Auge wieder auf, wenn das düstere Häuschen sichtbar wird, wenn das dunkle Kämmerlein sich zeigt, wo Ruhe ist für die müden Glieder, wo das an Heimweh kranke Herz heilende Schranken findet. Fröhlichen Gemütes fuhren sie der Stunde entgegen, in der ihr Bund fürs Leben geheiligt werden sollte; ein fröhliches Vertrauen zu sich und Gott hatte sich auf erbaut in ihren Herzen, sie zweifelten nicht an ihrem Glücke. Fröhlich küßte Uli sein Mädchen, er wußte, die verschwiegenen Sterne plauderten es nicht aus. Er hatte seine Freude an Vrenelis kalt angehauchten Wangen, die, sobald er sie berührte, zu schwellen und zu glühen begannen, als ob sie nur die Wölbung wären des geheimen Feuerherdes, der bei jedem männlichen Hauche zu flammen und zu sprühen beginnt. Er hatte den Mut, zu sagen: Das sei doch ein ander Küssen als auf Elisis kalte Backen, die ihm immer vorgekommen wären wie eine weseme Rübe, und es sei ihm immer gewesen, als müßte er den Pfnüsel bekommen, wenn er ihm ein Müntschi habe geben müssen. Vreneli nahm diese Rede nicht übel, fügte nur bei: Was dahinten sei, das sei gemäht, es wolle es vergessen. Aber für die Zukunft verbitte es sich das Untersuchen, ob andere Backen heiß oder kalt seien. Wenn er ihm ds Herrgetts wäre, so [397] etwas zu machen, es wüßte nicht, was es anfinge, aber gut ginge es nicht. Unter solcher Rede und Gegenrede erbleichten die flimmernden Sterne und suchten ihre himmelblauen Bettlein, und die gute Mutter Sonne begann ihnen den goldenen Umhang darum aus funkelnden Lichtesstrahlen zu weben, damit ihr keusches Niedergehn, ihren unschuldigen Schlaf neugieriger Sünder Augen nicht beflecken möchten. Der Reif schüttelte seine Locken mächtiger; durch die Sonne von den Sternlein weg, dem dunkeln Schoß der Erde zu getrieben und von den himmlischen Liebchen verjagt, versuchte er mit irdischen zu kosen, wollte um Vreneli sich legen, seine kalten Arme schlingen um das warme Mädchen, sein weißer Hauch spielte schon in den Spitzen von Vrenelis Kappe. Das Mädchen schauderte zusammen und bat Uli, sich flüchten zu dürfen in ein warmes Stübchen nur einen Augenblick; es schüttle ihns durch und durch, sie kämen immer noch früh genug.
Uli lenkte alsobald unter einen Herberge darbietenden Schild, und Vreneli suchte Schutz vor dem kalten Liebhaber in einer Gaststube. Dort ist des Morgens gewöhnlich ein wüstes Sein, sie mahnt an eines Trunkenen Erwachen und Katzenjammer; indessen wenn es draußen kalt ist, so nimmt man vorlieb, auch wenn der Ofen nur verglimmende Wärme hat. Das Pferd war bald eingestallet, desto schwerer aber das Stubenmädchen zu wecken, welches das Aufstehen vor hellem Tage nicht liebte, nicht gerne sein abgeschossenes Angesicht zeigte, ehe die Sonne darauf scheinen konnte. Endlich kam es verstrupft dahergeschlarpet. Es war, als ob es bei jedem Schritt ein Bein oder gar beide verlieren müßte, und vor Gähnen konnte es lange, lange nicht fragen, was ihnen lieb wäre. Lange, lange gings, bis endlich der bestellte warme Wein kam, den man fast siedend trinken mußte, wenn man sich nicht verspäten wollte. Schon acht Batzen, dachte Uli, als er [398] die Ürti hörte, und ein Batzen dem Stallknecht, macht neun. Es ist gut, daß mir Joggeli etwas beigeschossen, ich käme sonst mit fünfzig Batzen nicht aus! Somit zog er das Päckchen, das er für ein neutaleriges Münzpäckchen eingesteckt, hervor, klaubte es auf und wollte abschaffen. Als er es endlich offen hatte, waren lauter Fünfbätzler darin und fünfzig an der Zahl. Er war eigentlich erschrocken, als sie ihm so unverhüllt auf der Hand lagen, und sagte immer: »Lue doch, Vreneli, lue doch, was mir Joggeli gegeben! Wenn ich das gewußt hätte, ich hätte ihm nötlicher gedankt.« »Das kannst du ja immer noch«, sagte Vreneli, »das Beste ist, daß du es hast. Ich hätte das aber von Joggeli nicht erwartet. Mir hätte er auch etwas geben können. Er hat mich nicht einmal gefragt, ob ich einen Kreuzer Geld habe, und doch weiß er wohl, wie bös das Zeichen ist, wenn eine Hochzeiterin kein Geld im Sack hat. Aber ich glaube, er möchte mir es gönnen, wenn ich mein Lebtag keinen Heller zum Brauchen hätte.« »Da,« sagte Uli, »nimm die Hälfte, es gehört dir wie mir.« »Nein, Uli,« sagte Vreneli, »was sinnest doch? Ich habe Geld genug, und wenn ich keines hätte heute, so wollte ich doch, Zeichen hin, Zeichen her, Geld haben, so lange als du welches hast. Zähle darauf, ich will ein freines Fraueli werden, wenn du ein Mann bist, wie es sich gehört; aber wenn du mich unterntun wolltest und vogten, daß ich nichts sagen, nichts haben sollte, so will ichs mit dir probieren, wer Meister werden soll. Du weißt nicht, wie bös ich sein kann. Ich habe mich mein Lebtag wehren müssen, es hat mich immer alles unterntun wollen, und niemand hat es gekonnt. Da kann ich das Wehren, und ich glaube immer, du brächtest so wenig ab als die Andern, ds Cunträri.« »Aber wir wollen nicht probieren«, sagte Uli, »ich glaubs, ich käme zu kurz mit dir. Du kannst ja alle um einen Finger wickeln und sie merkens nicht einmal. Ja nicht einmal spaßen wollen wir darüber, liebs Meitschi, sonst hörts [399] der Böse und sucht beim Einen oder beim Andern aus dem Spaße Ernst zu machen. Ich habe einmal meine Großmutter sagen hören, es sei von gar schwerer Bedeutung, was man am Hochzeitmorgen rede, und je näher man der Kirche komme, um so schwerer werde die Bedeutung. Da sollte man eigentlich an nichts anderes denken als an den lieben Gott und seine Engelein, wie die in Friede und Freude mit einander lebten und den Menschen alles Gute brächten und gönnten, und sollte nichts anderes reden als mit dem lieben Gott, daß er bei einem bleiben möchte am Abend und am Morgen, im Hause und auf dem Felde, im Herzen und im Wandel, und daß seine Engelein über einem wachen möchten jahraus jahrein, damit kein böser Geist Gewalt über einem bekäme und keiner zwischen Beide hineinkäme. Sie hat manchmal gesagt, wie es ihr angst geworden sei, als mein Vater und meine Mutter mit einander gelacht und im Spaß gestritten und viel Weltliches geredet. Da sei es nicht lange gegangen, so seien die bösen Geister gekommen, Beide seien früh in der Welt untergegangen, und wir seien arme Kinder geworden, allen Leuten im Weg und zweg zum Verderben, wenn sich nicht Gott ganz apart unserer erbarme. Gottlob, er hat es getan, aber der Großmutter Wort kann ich nicht vergessen, und je näher wir jetzt kommen, desto ernsthafter wird es mir im Herzen. Es ist mir fast und doch nicht ganz wie beim Sterben: da geht man auch so einem Tor entgegen und weiß nicht, was dahinter ist, und dahinter kann die Seligkeit sein oder die Hölle. Und wenn man schon mehr oder minder glaubt, es sei die Hölle oder die Seligkeit, die einem wartet, so weiß man doch nicht, wie die Seligkeit ist und wie die Hölle ist, und beide sind sicher viel anders, als man glaubt, die Seligkeit viel süßer, die Hölle viel bitterer. Da klopft mir das Herz immer mehr, ich muß mich fast schämen, und doch kann ich es nicht verbergen.«
[400] »Meine Eltern sind nie zusammen z'Kilche gegangen,« sagte Vreneli, »und ich habe es entgelten müssen. Während Beide noch gelebt, bin ich doch ein arm, verstoßen Waischen gewesen und alle bösen Geister haben mir aufgelauert, aber Einer hat mich behütet. Wer weiß, ob nicht auch ein frommes Großmütti für mich gebetet oder gar mich behütet und beschützt hat, vom lieben Gott verordnet. Nein, Uli, ich begehre nicht zu spaßen; ich möchte nicht, daß einmal wieder arme Kinder unsere Sünde entgelten müßten. Und wer weiß, wenn wir recht fromm sind und unsere Kinder dem Herrn zuführen, ob dann nicht Gott um unsertwillen unsern Eltern ihre Sünden vergibt. Nein, Uli, glaub, es ist mir nicht ums Spaßen, es ist mir gar ernst im Gemüt; aber ich habe gar oft spaßen müssen, um den Leuten nicht zu zeigen, wie es mir im Herzen ist, und mit dem Lachen habe ich das Weinen vertrieben, um nicht ausgelacht zu werden. Und um die Meisterschaft wollen wir nicht streiten, da behüte mich Gott davor. Ich habe mich dir ergeben und will dir auch gehorchen, solange du mich lieb hast, und will tun, daß du mich alle Tage lieb haben kannst, will keine Zyberligränne werden. Nicht daß ich mich nicht auch wehren würde, wenn du mich quälen, zu deinem Hund machen wolltest; ich glaube, ich würde ein böser Tüfel, ich könnte weiß Gott nicht anders. Aber das tust du nicht, und wo mich jemand lieb hat, da gehe ich für ihn durchs Feuer, Uli, weiß Gott, noch heute, wenn es sein muß. Sieh, ich verspreche es dir schon hier, und der liebe Gott wird es auch hören, ich will immer Gott vor Augen haben und mit dir zu Gott beten, wann du willst. Aber zürnen mußt mir auch nicht, wenn ich zuweilen lache, singe und springe. Glaub mir, ich habe schon manchmal dar, über nachgedacht, wenn eine alte Frau mit mir gekifelt hat, wie ich immer lachen und springen möge und so leichtsinnig sei; aber ich fand mich sicher nie frömmer, als wenn ich so [401] recht fröhlich im Gemüte war, da ists mir oft, ich möchte über alle Berge aus und dem lieben Gott um den Hals fallen oder möchte für jemand sterben, möchte allen Leuten Gutes tun.« »Bhüetis,« sagte Uli, »das Lachen und Lustigsein habe ich gar gerne; aber steh, dort ist der Kirchturm schon, und da ist mir die Rede der Großmutter in Sinn gekommen und ich habe gedacht: wie man auch nicht lache und spaße, wenn man das Nachtmahl nehmen will, so solle man auf jedem Gange, den man eigentlich zu Gott tut, an Gott denken und ihn bitten, daß er einem dazu verhelfe, zu halten, was man ihm versprechen wolle. Sieh, da fliegen uns Tauben entgegen, eine ganze Schar, und sieh, die zwei weißen darunter, wo dort zusammen fliegen, das ist eine gute Vorbedeutung für Frieden und Eintracht. Es ist mir fast, wie wenn der liebe Gott unseretwegen ein Zeichen getan, daß es gut kommen werde. Meinst du nicht auch?« Und Vreneli drückte Uli die Hand, und in stiller Andacht weilten sie, bis der Stallknecht des Pferdes Zügel nahm und sagte: »Es ist gut frisch diesen Morgen.«
Es war da eins der guten alten Wirtshäuser, in denen die Leute nicht alle Jahre wechseln, sondern eine Generation die andere ablöst. Diese saßen eben an ihrem Kaffee, als die Brautleute hereinkamen, und erkannten alsobald Uli. Nun eine recht freundliche Begrüßung, und sie mußten, sie mochten wollen oder nicht, zu ihnen sitzen und mithalten. Sie sollten doch nicht Umstände machen, hieß es, das sei ja zweg, und an einem so kalten Morgen tue einem nichts wöhler als ein Kacheli warmer Kaffee. Vreneli tat etwas zimperlich: Es sei uverschant für ihns, da zuechezhocke, als ob es da daheim wär. Die Wirtin aber musterte es, bis es saß, gschauete es dann und begann dem Uli zu rühmen, wie er eine hübsche Frau habe; lange Zeit sei keine brävere dagewesen. Es freue sie, daß er seine Sache so gut mache, er hätte sie alle gereut, als er fortgekommen. [402] Es freue einen immer, wenn einer zwegkomme. Nit, sie wolle nicht sagen, es gebe auch Leute, die das nicht leiden mögen, aber deren seien doch nicht recht viel. Ob der Pfarrer wohl auf sei, fragte Uli, er sollte vorher noch zu ihm. Er werde wohl, hieß es, bsunderbar an einem Freitag, wo gewöhnlich Leute kämen. Nit, sie wollten sonst nicht sagen, daß er von den Frühsten sei, er möge das Liegen wohl erleiden; aber er sei afe von den Alten, und da sei es ihm wohl zu gönnen. Aber er hätte einen Winter einen Vikari gehabt, den hätte man vor den achten nie sehen können, und das habe alle Leute geärgert, daß sie so einen faulen Vikari haben müßten. Darauf fragte Uli: Ob es wohl der Brauch sei, daß er ihns gleich mitnehme? Nein, hieß es, selten warte man im Pfarrhaus. Nachher gingen wohl Viele zusammen hin, den Schein zu holen. Was aber so die Scheuen seien oder die, welche glaubten, der Pfarrer hätte Ursache, ihnen etwas zu sagen, die kämen gleich wieder ins Wirtshaus, und nur die Kerleni gingen hin.
Nachdem Vreneli das Mitkommen von der Hand gewiesen und Uli noch befohlen hatte, daß man seinem Meister Bescheid mache, er und seine Frau sollten doch kommen, machte er sich auf. In seiner stattlichen Kleidung und in dem düstern Stübchen erkannte ihn der Pfarrer nicht gleich, hatte dann aber eine rechte Freude. »Ich habe gehört,« sagte derselbe, »du seiest zweg, bekommest ein gutes Lehen, eine gute Frau und habest schön Geld erspart. Das tut mir gar wohl, wenn ich eine Ehe einsegnen kann, von der ich hoffe, daß sie in dem Herren bleibt. Daß du etwas erspart, ist nicht die Hauptsache, aber du hättest es nicht und man hätte dir nicht so viel anvertraut, wenn du nicht brav und fromm wärest, und das ists, was mich eigentlich recht freut. Das Weltliche und das rechte Geistliche sind viel näher bei einander, als die meisten Leute glauben. Sie meinen, um recht wohl zu sein auf [403] der Welt, müsse man das Christentum an den Nagel hängen, und das ist gerade das Gegenteil; daher das beständige Klagen in der Welt, daher betten sich die meisten Menschen so, daß sie liegen wie in Nesseln. Frage dich nur selbst, ob es dir so wohl wäre, wenn du ein Hudel geblieben, verachtet von allen Leuten. Was meinst du wohl, was für einen Hochzeittag hättest du erlebt? Denke dir recht, was du für Eine erhalten und was für Aussichten du gehabt und was die Leute gesagt hätten, wenn sie euch hätten zur Kirche gehen sehen, und stelle dagegen, wie es heute ist, dann ermiß den großen Unter, schied. Oder was meinst du, ist das blinde Glück, der Zufall, das sogenannte Gfell schuld daran? Die Leute sagen immer: Ich habe das Gfell nicht, es ist heutzutage nichts mehr zu machen. Was glaubst du, Uli, ist es bloß das Gfell? Hättest du dieses Gfell auch gehabt, wenn du ein Hudel geblieben? Aber eben das ist das Unglück, daß die Leute durch das Gfell glücklich werden wollen und nicht durch ein frommes Leben, bei dem der Segen Gottes ist. Da ists nun ganz recht, daß die, welche nur auf das Gfell warten, vom Gfell betrogen werden, bis sie wieder zur Erkenntnis kommen, daß am Gfell nichts, aber an Gottes Segen alles gelegen sei.«
»Ja, Herr Pfarrer,« sagte Uli, »ich kann Euch nicht sagen, wie wohl es mir ist gegen damals, wo ich einer von den Schlechtern gewesen bin, die auf der Gasse herumgelaufen. Aber es kömmt doch auch etwas auf das Gfell an, denn wäre ich nicht zu so einem guten Meister gekommen, so wäre auch nichts aus mir geworden.« »Uli, Uli,« sagte der Pfarrer, »war das Gfell oder Gottes Fügung?« »Das ist das Gleiche, meine ich«, antwortete Uli. »Ja,« sagte der Pfarrer, »es ist das Gleiche, aber gleichgültig ists nicht, wie man sagt, darin liegt eben der Unterschied. Wer vom Gfell redet, denkt nicht an Gott, dankt ihm nicht, sucht seine Gnade nicht, er sucht das Gfell von und in der Welt. Wer von Gottes Fügung redet, denkt [404] an Gott, danket ihm, sucht sein Wohlgefallen, sieht in allem Gottes Leitung; er kennt weder Gfell noch Ungfell, sondern alles ist ihm Gottes gütige Leitung, die ihn zur Seligkeit führen will. Die verschiedene Redensart ist der Ausdruck einer verschiedenen Gesinnung, einer verschiedenen Ansicht des Lebens; darum liegt ein so großer Unterschied in den Worten, und es ist wichtig, welche man braucht. Und meint man es auch gut, so macht es einen, wenn man nur von Gfell redet, leichtsinnig oder mißmutig; redet man aber von Gottes Fügung, so wecken diese Worte schon Gedanken in uns und richten unsere Augen auf Gott.« »Ja, so, Herr Pfarrer, habt Ihr etwas recht,« sagte Uli, »und ich will es mir lassen gesagt sein.« »Du kommst doch mit deiner Braut nach dem Gottesdienst zu mir?« »Gar gerne, wenn Ihr es begehret« , sagte Uli, »aber wir versäumen Euch an Eurer Arbeit.« »Es versäumt mich niemand«, sagte der Pfarrer, »denn das ist nicht nur mein Amt, sondern auch meine Freude, bei ernsten Anlässen ein ernstes Wort zu Herzen zu reden, wo ich auf einen Boden hoffen darf, der Früchte trägt. Was bei solchen Anlässen der Herr redet, das wird nicht so bald vergessen.«
Unterdessen hatte Vreneli die Finkenschuhe ausgezogen, die rechte Kappe aufgesetzt, und mit eigenen Händen hatte die Wirtin ihm das Kränzchen aufgeheftet. Das sei eins auf die Langenthaler Mode, sagte sie. »Sei es nun eins auf welche Mode es wolle, so steht es dir wohl an«, fuhr sie fort. »Aber wenn sie mir daherkommen mit einem Ranzen, der beim Fenster ist, wenn der Kopf erst zur Türe hinein kömmt, und ich soll ihnen dann noch das Kränzchen auf heften, dann kömmt es mir in alle Finger und ich möchte sie lieber bei den Züpfen nehmen und sie verflümert haaren, als ihnen ein Kränzchen aufheften. Es ist eine bluetige Schand, daß eine jede Hure mit einem Kränzchen daherkömmt und damit im Lande herumfährt, und über den Fußsack heraus hängt ihr [405] der Ranzen bis ihrer Mähre aufs Kreuz. Sellige sollten die Kränzchen verboten werden, es ist ja nur das Gespött damit getrieben. Aber es heißt, die Gnädigen Herren frügen dem nicht viel nach und hätten selbst die Ranzen lieber als die Kränzchen. Ich weiß das nicht, ich bin, seit die Östreicher gekommen, nie in Bern gewesen, aber man sagt es so. Ob es ist, weiß ich nicht, frage auch nicht viel darnach, was gehen mich die Herren an! Es ist mir zwider, wenn einer zu uns kömmt. Sie sind so hochmütig, daß sie einem nicht einmal antworten mögen, wenn man ihnen Gottwilchen sagt; und wenn man ihnen die Hand längen will, so mögen sie einem die ihre nicht geben, so ziehen sie nicht einmal die Handschuhe aus und habest noch Furcht, man bschyße die.«
Es begann zu läuten, und laut begann Vrenelis Herz zu klopfen, es schwamm ihm ordentlich vor den Augen. Die Wirtin brachte ihm Hoffmannstropfen, rieb ihm mit etwas die Schläfe und sagte: »Du mußt das nicht so schwer nehmen, Meitschi, wir müssen alle da durch. Aber geht jetzt in Gottes Namen, der Herr wartet an einem Freitag nicht lange, er ist gar e Ängstige.«
Uli faßte sein Vreneli bei der Hand und wanderte mit ihm der Kirche zu; feierlich tönten die feierlichen Klänge im Herzen wieder, denn der Siegrist läutete ordentlich die Glocken, daß sie an beiden Orten anschlugen, und sucht wie wenn sie lahm wären, nur bald all diesem, bald an jenem Orte. Wie sie auf den Kirchhof kamen, schaufelte eben der Totenmann an einem Grabe, und stille wars um ihn: kein Schaf, keine Ziege kam und verrichtete ihre Notdurft in des Menschen letzte Ruhestätte, denn da war der Kirchhof kein Weideplatz für ungeistliche Tiere. Es ergriff Vreneli plötzlich eine unwiderstehliche Wehmut. Der ehrwürdige Anblick der Gräber, das Schaufeln eines Grabes wecken düstere Gedanken. »Das bedeutet nichts Gutes,« flüsterte es, »einem von uns schaufelt[406] man sein Grab.« Vor der Kirche stunden Gevatterleute, eine Gotte mit einem Kinde auf dem Arme. »Das bedeutet einem von uns eine Kindbett«, flüsterte Uli, um Vreneli zu trösten. »Ja, daß ich in einer solchen sterbe,« antwortete es, »daß ich aus meinem Glück weg muß ins kalte Grab.« »Denk doch,« sagte Uli, »daß der liebe Gott ja alles macht und daß wir nicht abergläubisch, sondern gläubig sein sollen. Daß einmal unser Grab geschaufelt werden wird, ist gewiß, aber daß das Grabgraben Sterben bedeute denen, die dazukommen, habe ich noch nie gehört. Denke doch, wie Viele ein Grab graben sehen; wenn es die alle nachzöge, denk auch, wie groß der Sterbet sein müßte.« »Ach, verzeih mir,« sagte Vreneli, »aber je wichtiger ein Gang ist, um so ängstlicher wird die arme Seele und möchte gar zu gerne wissen, wie es zu Ende geht, und nimmt daher jede Bewegung als ein Zeichen auf, ein gutes oder ein böses; weißt du, was du von den Tauben sagtest, als wir ins Dorf fuhren?« Da drückte Uli seiner Braut die Hand und sagte ihr: »Du hast recht; laß du uns unser Vertrauen auf Gott stellen und nicht kummern. Was er uns tun, nehmen oder geben wird, das ist wohl getan.«
Sie traten in die Kirche, leise, zagend, teilten sich zur Linken und zur Rechten, sahen ein Kindlein aufnehmen in den Bund des Herrn, dachten, wie schön es doch sei, so ein zart und hinfällig Kind der besondern Obhut seines Heilands mit Leib und Seele anempfehlen zu dürfen, und wie eine große Last es von der Eltern Brust wälzen müsse, wenn sie in der Taufe das Bewußtsein erhielten, der Herr wolle mit ihnen sein und mit seinem Geiste sie das Kind nähren lassen, wie die Mutter es sättige mit ihrer Milch. Sie beteten recht andächtig mit und dachten, wie ernsthaft sie es nehmen wollten, wenn sie als Taufzeugen es geloben müßten, darauf zu achten, daß das Kind dem Herrn zugeführt werde. Das gewöhnliche Wochengebet verhallte ihnen in der Wichtigkeit des ernsten Augenblicks, [407] der näher und näher kam. Als der Pfarrer hinter dem Taufsteine hervortrat, als Uli Vreneli geholt hatte und Beide ans Bänkchen traten, sanken Beide auf die Knie, der Zeremonie weit vorgreifend, hielten die Hände inbrünstig verschlungen, und von ganzer Seele, ganzem Gemüte und allen Kräften beteten und gelobten sie, was die Worte sie hießen, ja noch viel mehr, was aus treuen Herzen sprudelte. Und als sie aufstunden, fühlten sie sich so recht fest und wohlgemut; es war einem jeden, als hätte es einen großen Schatz gewonnen fürs ganze Leben, der ihns glücklich machen müsse, den ihm niemand entreißen, niemand abgewinnen könne, mit dem es vereint bleiben müsse in alle Ewigkeit.
Draußen bat Uli sein Weibchen, mit ihm zum Pfarrer zu kommen, den Schein zu holen. Verschämt weigerte sich dasselbe dessen unter dem Vorwande, es kenne ihn nicht, es sei ja nicht nötig usw. Indessen ging es doch und nicht mehr verschüchtert wie ein Dieb in der Nacht, sondern wie es einem glücklichen Weib an der Seite eines ehrenhaften Mannes wohl ansteht. Vreneli wußte sich zusammenzunehmen.
Freundlich empfing sie der Pfarrer, ein ehrwürdiger, langer, hagerer Herr. Es war nicht bald einer wie er, der Ernst mit holdseligem Wesen zu mischen wußte, daß vor ihm die Herzen aufgingen, als wären sie mit einem Zauberstäbchen berührt.
Als er Vreneli betrachtet hatte, fragte er: »Was meinst du, Uli, ist das Gfell oder Gottes Fügung, daß du dieses Weibchen bekommen?« »Herr Pfarrer,« sagte Uli, »Ihr habt recht, ich halte es für eine Gabe Gottes.« »Und du, Weibchen, welches Sinnes bist du?« »Ich meine auch nichts anderes, als daß der liebe Gott uns zusammengeführt«, sagte Vreneli. »Ich glaube auch,« sagte der Pfarrer, »Gott hat das gewollt, das vergeßt nie. Warum hat er euch zusammengeführt? Daß Eins das Andere glücklich mache, aber nicht nur hier, sondern auch dort – das vergeßt mir wieder nicht. Die Ehe ist auf Erden [408] Gottes Heiligtum, in welchem die Menschen sich weihen und reinigen sollen für den Himmel. Ihr seid gute Leute, seid fromm und brav, aber ihr habt Beide Fehler. Dir, Uli, kenne ich zum Beispiel einen, der dir näher und näher kömmt, es ist der Geiz; du, Vreneli, wirst auch welche haben, aber ich kenne sie nicht. Diese Fehler werden hervortreten nach und nach, und wie an dir, Uli, ein Fehler sichtbar wird, so gewahrt ihn deine Frau zuerst und du kannst ihn an ihren Mienen gewahren, und was an Vreneli hervorkömmt, bemerkst du und es kann es an deinem Gesichte absehen. Eines wird fast zu des Andern Spiegel. In diesem Spiegel, Uli, sollst du deine Fehler erkennen und aus Liebe zu deiner Frau sie abzulegen suchen, weil sie am meisten darunter leidet, und du, Frau, sollst ihm mit aller Sanftmut beistehen, sollst aber auch deine Fehler erkennen und um Ulis willen bezwingen, und er wird dir auch dazu helfen. Wenn der Liebe diese Arbeit zu schwer werden will, so schenkt Gott Kind um Kind, und jedes ist ein Engel, der uns heiligen soll, jedes bringt uns neue Lehren, uns recht darzustellen vor Gott, und neues Begehren, daß es zugerichtet werde zu einem Opfer, das da heilig und Gott wohlgefällig sei. Und je mehr ihr in diesem Sinne zusammen lebt, desto glücklicher werdet ihr im Himmel und auf Erden, denn glaubt es mir doch recht, das rechte weltliche Glück und das himmlische Glück werden akkurat auf dem gleichen Wege gefunden. Glaubt es mir, der liebe Gott hat euch zusammengeführt, daß Eins dem Andern in Himmel helfe, daß Eins dem Andern Stütze und Stab sei auf dem engen, schweren Wege, der ins ewige Leben führt, daß Eins dem Andern diesen Weg durch der Liebe Sanftmut und Geduld ebne und leichter mache – er ist so schwer und dornenvoll. Wenn nun trübe Tage kommen wollen, wenn Fehler an dem Einen, an dem Andern, an Beiden ausbrechen, so denket nicht an Ungefell, daß ihr unglücklich seiet, sondern [409] an den lieben Gott, der alle diese Fehler schon lange gekannt und euch eben deswegen zusammengebracht, damit Eins das Andere heile, ihm von seinen Fehlern helfe, das ist Zweck und Aufgabe eures Zusammenkommens. Und wie Liebe den Heiland gesandt, Liebe ihn ans Kreuz gebracht, so muß auch bei euch die Liebe tätig sein; sie ist die Kraft, die über alle Kräfte geht, heilet und bessert. Mit Fluchen und Schimpfen, mit Drohen und Schlagen kann Eins das Andere unterdrücken, aber nicht bessern, daß es wohlgefällig vor Gott wird. Gewöhnlich, je wüster Eins wird, desto wüster wird auch das Andere, Eins hilft dem Andern in die Hölle. Darum vergeßt es nie: Gott hat euch zusammengebracht, Eins wird er aus der Hand des Andern fordern. Mann, wird er sagen, wo ist deines Weibes Seele? Weib, wird er sagen, wo ist deines Mannes Seele? Macht, daß ihr wie aus Einem Munde antworten könnt: Herr, hier sind wir Beide, hier zu deiner Rechten. Fraueli, vergib mir, daß ich dir an diesem Morgen so ernsthaft geredet. Aber es ist ja besser, man rede dir jetzt so als später, wenn Uli gestorben und man ihn durch deine Schuld verdorben glaubt; es ist auch dem Uli besser jetzt als später, wenn er dich unter die Erde gebracht hätte. Was ich aber von Beiden nicht glaube, denn ihr seht mir Beide wirklich so aus, als wenn Gott und Menschen Freude an euch haben sollten.«
Als Vreneli von Sterben hörte, schoß ihm das Wasser in die Augen, und mit bewegter Stimme sprach es: »O Herr Pfarrer, da ist keine Rede von Zürnen. Ihr sollt Dank haben z'hunderttausend Malen für den schönen Zuspruch, ich will mein Lebtag daran denken. Es würde uns große Freude machen, wenn Ihr einmal in unsere Gegend kämet, Ihr uns besuchen würdet, um zu sehen, wie Eure Worte bei uns fruchten und daß wir sie nicht vergessen haben.« Der Pfarrer sagte, das werde gewiß geschehen, sobald er in ihre Gegend käme, [410] und das könne sehr leicht geschehen. Er betrachte sie, wenn sie auch nicht in seiner Gemeinde wohnten, doch so halb und halb als seine Schäfchen, und sie sollten darauf zählen, daß wenn es ihnen wohlgehe und sie glücklich seien, niemand größere Freude daran hätte als er. Und wenn er ihnen in etwas dienen könne, sei es was es wolle, und es stehe in seinen Kräften, so sollten sie nur kommen, er werde sich eine Freude daraus machen. Darauf nahmen sie Abschied, und allen war es recht wohl und heiter im Herzen. Ein wohltuendes, erwärmendes Gefühl hatten sie sich gegenseitig erweckt, das eigentlich ein Mensch im andern bei jedem Zusammensein erwecken sollte. Dann wäre es schön auf Gottes schöner Erde. »Das ist mir doch der freundlichste Herr«, sagte Vreneli im Fortgehen, »er nimmt die Sache ernsthaft und meint es doch gut; dem könnte ich einen ganzen Tag ablosen, es würde mir nicht erleiden.«
Als sie ins Wirtshaus kamen, waren die Gäste noch nicht da, nur der Bescheid: Johannes werde bald kommen, aber seine Frau könne nicht wohl. Da sagte Vreneli: »Du mußt sie holen, fahre hinauf, es ist nicht so weit; wenn du recht fährst, in einer halben Stunde bist du wieder da.« »Ich plage den Kohli nicht gerne, er hat heute noch zu laufen genug«, antwortete Uli. »Der Wirt gibt dir wohl ein Roß, nicht weiter, als es ist.«
So geschah es auch, und es war gut. Johannes war noch nicht zweg, und seine Frau trug großes Bedenken, so an einem Werktag ins Wirtshaus zu sitzen, ohne daß man Gotte sei; was würden die Leute dazu sagen, Er hätte mit seiner Frau zu ihnen kommen sollen, statt da im Wirtshaus Kosten zu haben, sie hätten ihnen auch zu essen und zu trinken gehabt. Das wisse er wohl, sagte Uli, allein das wäre uverschant gewesen und dazu wohl weit, denn sie wollten heute noch heim, er hätte jetzt alle Hände voll zu tun. Aber sie sollten [411] doch recht kommen, er hätte es sonst ungern und müßte glauben, sie schämten sich ihrer. »Was sinnest doch, Uli?« sagte die Frau, »du weißt ja, wie wert du uns bist. Expreß sollte ich jetzt nicht kommen, weil du solche Gedanken hast.« Indessen machte sie sich doch zweg, wollte aber nicht erlauben, daß ihre Tochter mitkäme, die Uli auch gerne mitgehabt. »Warum nicht gar,« sagte sie, »noch die Katze und der Hund, das wäre mir! Es ist uverschant genug, daß ich komme. Warte nur, du wirst dein Geldli sonst noch brauchen können – Haushalten hat gar ein weites Maul.«
Mit Verlangen hatte ihnen Vreneli entgegengesehen von der Ecke des Wirtshauses aus. Wer vorbeiging, wandte kein Auge ab ihm, und wenn er vorüber war, fragte er: »Wem ist die Hochzeitere? Ein schöner Meitschi sah ich lange nicht.« Es ging im ganzen Dorfe die Rede von der schönen Hochzeiterin, und wer nur irgend Zeit oder einen Vorwand hatte, ging beim Wirtshause vorüber.
Endlich kam Uli dahergefahren, und gar freundlich empfing sie Vreneli. »Bist doch jetzt ein Fraueli geworden,« rief die Bäurin, »bis mir Gottwilche,« und streckte Vreneli die runde, hohe Hand entgegen. »Das hab ich doch wohl gedacht, das werde ein Paar geben, es hätte sich niemand bas zu einander geschickt.« »Ja, aber selb Kehr ist noch gar nichts gewesen, erst auf dem Heimweg haben sie mich angefangen zu plagen, und daran seid Ihr, glaub ich, auch schuld gewesen«, sagte Vreneli, sich zu Johannes wendend und ihm die Hand bietend. »Aber wartet nur, ich will Euch recht den Krieg machen, hinter meinem Rücken mich so zu verhandeln. Ihr seid mir sufere Kunden, und tut Ihr mir das noch mehr, so will ich Euch bezahlen, wartet nur! Wir wollen Euch auch verhandeln hinter Eurem Rücken.« Johannes antwortete, und Vreneli begegnete ihm wieder mit schalkhaft wohlgesetzten Worten. Als es einen Augenblick hinausgegangen [412] war, sagte die Bäurin: »Uli, du hast bsunderbar eine manierliche Frau; die kann reden, es stünd manchem Herrenhause wohl an, und ds Schönste ist, daß sie das Werchen ebenso gut kann, das ist sonst nicht immer bei einan der. Häb Sorg zu dere, du überchunst ke Selligi meh!« Da begann auch Uli mit nassen Augen zu rühmen, bis Vreneli wiederkam. Als bei seinem Eintritt plötzlich das Gespräch stockte, sah es schelmisch Eins nach dem Andern an und sagte: »Schon wieder habt ihr mich hinter meinem Rücken verhandelt, und das linke Ohr hat mir geläutet, wartet nur! Uli, ist das schön, mich schon so zu verklagen, wenn ich nur einen Augenblick den Rücken kehre?« »Er hat dich nicht verklagt,« sagte die Bäurin, »ds Cunträri, aber ich habe ihm gesagt, er solle Sorg zu dir haben, eine Solche bekomme er nicht wieder. Ach, wenn dManne mängisch wüßte, wie die Zweute wäre, sie hätten besser Sorg zu de Erste! Nit daß ich zu klagen habe. Myne ist mir lieb und wert, ich bekäme keinen Bessern und er gönnt mir, was ich brauche, aber ich sehe öppe, wie es an andern Orten zugeht.« »Ih ha welle lose«, antwortete Johannes. »Du hast aber nachebesseret. Du hast recht, es geht an manchem Ort den Weibern bös, aber an andern den Männern auch, es kömmt immer darauf an, wo auch Erkanntnus ist und öppe auch der Glaube, daß ein Gott im Himmel sei. Wo kein Glaube ist, da ist das Wüstest Meister.«
Darauf wurden sie in die Hinterstube entboten. Dort war die Suppe aufgetragen, eine Maß Wein auf dem Tisch, ein Kännlein süßer Tee dabei. Sie habe gedacht, sie wolle gleich Tee machen, sagte die Wirtin, es könne dann nehmen, wer wolle; ein Teil sei Liebhaber, ein Teil nicht. Mit ungezwungener Freundlichkeit machte Vreneli die Wirtin, schenkte ein, legte vor, mahnte ans Austrinken; es wurde allen recht wohl und heimelig. Uli machte sich an den Meister und fragte ihn dies und das: Wie er sich einrichten solle im Stall, was [413] er für vorteilhafter halte zu pflanzen, um welche Zeit er dieses säe und jenes, für was der Boden gut sei, für was jener. Johannes berichtete väterlich, fragte wieder, und Uli teilte seine Erfahrungen mit. Die Weiber horchten anfangs, dann aber schwoll auch Vrenelis Herz mit Fragen an und es suchte Rat bei der Bäurin in den hundert Dingen, in denen eine Bäurin Meister sein sollte, erzählte, wie es es bis dahin gemacht, aber ob es nicht noch besser und vorteilhafter anzuschicken wäre? Mit Freuden enthüllte die Bäurin ihre Geheimnisse, sagte aber oft: »Ich glaube, du machst es besser, das muß mir auch probiert sein.« Die trauliche Heimeligkeit lockte Wirt und Wirtin an, verständige Leute, und Beide halfen raten und wägen, was das Beste sei, und zeigten ihre Freude an manchem, das sie hörten. Und je mehr sie hörten, um so mehr zeigten Vreneli und Uli Begierde, zu lernen, um so demütiger wurden sie und horchten den Alten ihre Erfahrungen ab und prägten dieselben sich ein in ihr nicht mit unnützen Dingen beschwertes Gedächtnis.
Der Nachmittag schwand, es wußte es niemand. Auf einmal warf die Sonne einen goldenen Schein ins Stübchen, und verklärt schwamm in ihrem Lichte, was darinnen war Erschrocken fuhren sie zweg über das unerwartete Licht; das fast von ausgebrochenem Feuer zu kommen schien. Sie sollten nur ruhig sein, sagte die Wirtin, das sei nur von der Sonne; die möge gegen Haustagen hineinscheinen, wenn sie nieder, gehen wolle. »Herr Yses, so spät schon?« sagte Vreneli, »wir müssen fort, Uli.« »Ich wollte nicht pressieren,« sagte die Wirtin, »der Mond kömmt, ehe es finster wird.« »Wie ist mir doch dieser Nachmittag vorbeigegangen!« sagte die Bäurin. »Ich wüßte mich gar nicht zu besinnen, wann ich so kurze Zeit gehabt hätte.« »Es geht mir auch so«, sagte die Wirtin. »Das ist etwas anderes gewesen als so viele Hochzeitleute, die vor langer Weile nichts anzufangen wissen als zu saufen und zu [414] spielen, und einem so lange Zeit machen, daß man froh ist, wenn man ihnen den Rücken sieht. Ja es dünkt mich manch, mal, ich müßte so einem Bürschchen, das nichts zu reden weiß an seinem Hochzeittag als zu fluchen und seine entlehnte Pfeife geradeausstreckt, wie wenn er den Mond hinunterguseln wollte, eins zum Grind geben, daß er ihn doch auch wieder da habe wo andere Leute und reden lerne wie andere Leute.« Die Bäurin aber gab Vreneli die Hand und sagte: »Du bist mir, weiß Gott, recht lieb geworden, und ich lasse dich nicht fort, bis du mir versprichst, du wollest bald wieder zu uns kommen.« »Recht gerne,« sagte Vreneli, »wenns möglich ist. Es ist mir auch gewesen, als rede ich mit einer Mutter, und wenn wir nur näher bei einander wären, ich käme nur zu viel. Aber wir haben ein großes Wesen und wer, den nicht viel daraus können, ich und Uli. Aber kommt Ihr zu uns, das müßt Ihr mir versprechen; Ihr habt erwachsene Kinder und wisset, es geht zu Hause gleich, wenn Ihr schon fort seid.« »Ja, kommen will ich zu euch, das verspreche ich. Ich habe es dem Johannes schon manchmal gesagt, es nähmte mich wunder, wie es in der Glungge sei. Und los, wenn ihr öppe einist eine Gotte mangelt, so habt nicht Mühe und lauft weit um eine aus. Ich weiß eine, sie sagt euch nicht ab.« »Das wäre guter Bescheid,« sagte Vreneli und zupfte am Fürtuchbändel, es wolle ihn nicht vergessen und daran sinnen, wenn es ihnen einmal dazu kommen sollte; man wisse nie, was es geben könne. »Ungefähr wohl,« lachte die Bäurin, »und dann wollen wir sehen, ob ihr uns etwas schätzet oder nicht.«
Unterdessen hatte Uli abgeschafft, anspannen lassen und schenkte nun allseits ein und nötigte zum Abschiedstrunk. Da kam noch der Wirt mit einer Extraflasche und sagte: Etwas wolle er auch tun und nicht umsonst getrunken haben. Es freue ihn, daß sie bei ihm gewesen, und er wollte alle Freitage eine vom Mehbesseren zum besten geben, wenn alle Freitag[415] solche Leute bei ihm Hochzeit hätten; an denen hätte er jetzt Freude gehabt. Als er hörte, daß abgeschafft sei, tat Johannes es nicht anders, der Wirt mußte noch eine auf seine Rechnung holen, und es stunden wiederum die Sterne am Himmel, als nach recht innigem Abschied, wie er selten von Nichtverwandten genommen wird, der mutige Kohli ein glückliches Paar rasch davonführte – dem Himmel zu.
Ja, lieber Leser, Vreneli und Uli sind im Himmel, das heißt sie leben in ungetrübter Liebe, mit vier Knaben, zwei Mädchen von Gott gesegnet; sie leben im wachsenden Wohlstande, denn der Segen Gottes ist ihr Gfell, ihr Name hat guten Klang im Lande, weit umher stehn sie hoch angeschrieben, denn ihr Trachten geht hoch, geht darauf, daß ihr Name im Himmel angeschrieben stehe!
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