Die Widersprecherin

Ismene hatte noch, bei vielen andern Gaben,
Auch diese, daß sie widersprach.
Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach,
Daß alle diese Tugend haben;
Doch, wenn's auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht,
[62]
So halt' ich's doch für ein Gedicht
Und sag' es öffentlich, ich glaub' es ewig nicht.
Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt,
Ich hab' es oft versucht und manche schön genannt,
So häßlich sie auch war, bloß, weil ich haben wollte,
Daß sie mir widersprechen sollte;
Allein sie widersprach mir nicht.
Und also ist es falsch, daß jede widerspricht.
So kränkt man euch, ihr guten Schönen!
Itzt komm' ich wieder zu Ismenen.
Ismenen sagte man's nicht aus Verleumdung nach;
Es war gewiß, sie widersprach.
Einst saß sie mit dem Mann bei Tische;
Sie aßen unter andern Fische,
Mich deucht, es war ein grüner Hecht.
»Mein Engel«, sprach der Mann, »mein Engel, ist mir recht,
So ist der Fisch nicht gar zu blau gesotten.« –
»Das«, rief sie, »hab' ich wohl gedacht:
So gut man auch die Anstalt macht,
So finden Sie doch Grund, der armen Frau zu spotten.
Ich sag' es Ihnen kurz, der Hecht ist gar zu blau.« –
»Gut«, sprach er, »meine liebe Frau,
Wir wollen nicht darüber streiten,
Was hat die Sache zu bedeuten?«
So wie dem welschen Hahn, dem man was Rotes zeigt,
Der Zorn den Augenblick in Nas' und Lefzen steigt,
Sie rot und blau durchströmt, lang auseinander treibet,
In beiden Augen blitzt, sich in den Flügeln sträubet,
In alle Federn dringt und sie gen Himmel kehrt
Und zitternd mit Geschrei und Poltern aus ihm fährt:
So schießt Ismenen auch, da dies ihr Liebster spricht,
Das Blut den Augenblick in ihr sonst blaß Gesicht;
Die Adern liefen auf, die Augen wurden enger,
Die Lippen dick und blau und Kinn und Nase länger;
Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor
Und stieß, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr.
Drauf fing sie zitternd an: »Ich, Mann! ich, deine Frau,
[63]
Ich sag' es noch einmal, der Hecht war gar zu blau.«
Sie nimmt das Glas und trinkt. O! laßt sie doch nicht trinken!
Ihr Liebster geht und sagt kein Wort;
Kaum aber ist ihr Liebster fort,
So sieht man sie in Ohnmacht sinken.
Wie konnt' es anders sein? Gleich auf den Zorn zu trinken!
Ein plötzliches Geschrei bewegt das ganze Haus;
Man bricht der Frau die Daumen aus;
Man streicht sie kräftig an; kein Balsam will sie stärken.
Man reibt ihr Schlaf und Puls; kein Leben ist zu merken.
Man nimmt versengtes Haar und hält's ihr vors Gesicht;
Umsonst! Umsonst! Sie riecht es nicht!
Nichts kann den Geist ihr wiedergeben.
Man ruft den Mann; er kommt und schreit: »Du stirbst, mein Leben!
Du stirbst? Ich armer Mann! Ach! meine liebe Frau,
Wer hieß mich dir doch widerstreben!
Ach, der verdammte Fisch! Gott weiß, er war nicht blau.«
Den Augenblick bekam sie wieder Leben.
»Blau war er«, rief sie aus, »willst du dich noch nicht geben?«
So tat der Geist des Widerspruchs
Mehr Wirkung als die Kraft des heftigsten Geruchs!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek