[66] Toni

Den ganzen Tag hindurch bin ich besonnen
Und weiß es so genau als irgend einer,
Dass du gestorben bist und dass man Dich
Weit draußen auf den großen, grellbesonnten,
Kasernenkahlen Friedhof eingegraben,
Weiß, dass ich selber eine braune Scholle
Und einen Veilchenkranz Dir nachgeworfen.
Zur Dämmerzeit jedoch, da werd' ich wankend,
Und insgeheim erwacht in mir der Zweifel,
Obs wirklich wahr ist oder bloß geträumt,
Ob das nicht irgend eine Fremde war,
Zu deren Leichenzug ein blinder Zufall
An jenem Frühlingsmorgen mich geführt.
Ob ich in jener dumpfig-kühlen Kammer
Mit ihren weißgetünchten, nackten Wänden
Nicht eine müdgespielte Schläferin nur
Geküsst und keine Todte.
[67]
Sah sie doch
So gar nicht todt aus! Nein, so rosig frisch,
So ganz wie alle Tage, gar nicht schrecklich.
Und sehnsuchtsvoll durchirrt mein Aug' die Straßen
Und hält an jeder Ecke wartend still,
Ob nicht die zarte, reizende Figur
Mit ihrem lieben Amorettenkopf
Und ihren Zöpfen, schwer und dunkelbraun,
Auf einmal aus dem Menschentrubel auftaucht
Und mir entgegenruft, erregt und lachend,
Um staunende Passanten unbekümmert,
Da bin ich schon, mein lieber Bub'. Grüß' Gott!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das ist am Abend, aber ach! am Tag'
Da träum' ich nicht, da weiß ich alles, alles ...

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