Erster Traum
Tochter des schönsten Rosenstockes! Einsam
Stehst du noch immer. Deine Schwestern alle
Glänzen und duften lange schon um edler
Jünglinge Scheitel.
Wandelt der Sohn des Liedes dich vorüber
Unter dem Abendwinde, dann umwallt ihn
Deines Geruches süße Fluth. Er seufzet:
Immer noch einsam!
Aber um dich her schrecken unversöhnte
Dörner, um dich her windet sich ein hoher
Dreimal geflochtner Zaun, und gönnt dem Auge
Kaum dich zu sehen.
Blick' ich durch seine Klüfte, dann entdeck' ich,
Holde! dein Streben. Hielte dich dein Stengel
Minder, du trotztest deiner Hürde, flögest
Feurig herüber.
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Freudig erhübe deinen Flug der Barde.
Freudig erklängen seine Feiersaiten:
Heil dem beglückten Erdesohn', in dessen
Hände du sänkest.
Wonnevoll hüpften Fluren dir entgegen,
Trunken von Hoffnung, sich mit Erben deiner
Farbe zu kleiden, sich mit Erben deiner
Düfte zu kleiden.
Tochter des schönsten Rosenstockes! Aengstig
Ist mir um dich die Seele. Deine milden
Sonnen verblinken, und die Morgen hauchen
Kälter, und Reif dräut.
Fällt er, und welken deine Blätter, o dann
Bleibet dir noch ein Trost beschieden. Einstens
Sieht dich mein Aug' in seligern Gefilden
Herrlicher aufblüh'n.