[153] Kunst, Wahrheit, Volk

Aus Traum zu Leben.


Es war im Mai; ein Mittag weich und schwül.
Weitauf das Fenster – saß ich: ins Gewühl
der feuchten Dächer staunend, die gleich Schollen
von Silberfelsen, fern im blauen Meer
des Himmels drüben, aus der Brandung schwollen
der Stadt tiefunten um mich her.
Am Horizonte hing vom blassen Kranz
des Dunstes, wie ein Band aus Frühlingsglanz,
sanft um der Siegesgöttin goldne Glieder
in langer Bahn das weiße Licht hernieder;
zu flattern schien's im lauen Wind.
Die Sonne blickte müde wie ein Kind;
die Lüfte seufzten wie im Traum ...
Da: klirrend rührte sich der erzne Saum
am Fuß der Göttin, – und ich saß und lauschte, –
mir war, daß fernher eine Stimme rauschte, –
hell flirrend schossen um die Spitze
des Säulenknaufes singende Blitze:
die Göttin schüttelte den Siegesspeer.
Doch plötzlich – sausend flog hinab die Wehr,
zur Erde wallte auf den Strahlenstufen
das hohe Weib, und hohl wie Glockentöne
aus ehernem Munde hört' ich laut sie rufen:
»Genug des eitlen Ruhmes! Kommt, ihr Söhne,
ihr Töchter all des Volkes, kommet her!
Ich will euch künden eine neue Mär:
hin werf' ich Helm und Waffen in den Staub,
genug von Kampf und Haß! aus mildern Sphären
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vom Baum des Friedens pflückt' ich schimmernd Laub.
mit reinerm Glanz die Stirn mir zu verklären!
Die Frucht der Schönheit bring' ich auf die Erde,
die Kunst, die Seligkeit der Ewigkeiten:
vergessen sollt ihr Mühsal und Beschwerde,
auf stiller Flut ins Meer der Freude gleiten!
Ein trüber Rausch nur ist des Daseins Not,
ein Wahn der Schmerz, ein Augenblick der Tod:
entzückt ob allem Erdendunste schweben,
Das ist die Wahrheit, Das ist das Leben!«
Da stand sie funkelnd in der Sonne, – winkte, –
hoch in der Rechten weithingleißend blinkte
die goldne Frucht ... Und jauchzend ihr entgegen
aus allen Thoren brausende Scharen quollen,
auf allen Straßen Jubelgrüße schollen,
in jedem Aug' ein Glanz, als hätt' ein Regen
von Glück geweckt die Blüten jeder Seele.
Mitkeucht' ich vorn im Schwarm. Aus heißer Kehle
durströchelnd, niederstürzt' ich in den Sand,
umklammerte des Weibes Prachtgewand:
»Gieb!« fleht' ich ächzend – »Gieb uns, gieb uns!« ächzten
die Abertausende, die mit mir lechzten.
Doch dumpf und hohl die Glockenstimme tönte
herab zu uns, wie Grabeston sie dröhnte:
»Nicht dürft' ihr nah'n mit irdischer Begier,
im Abglanz nur begreift die Schönheit ihr!«
Und scheu verstummten Alle; auf dem Volke
lag schwer das Wort gleich Nebeldunst und Wolke.
Auf Einmal aber – leise, heiser, bang
ein Angstgeflüster durch die Stille klang:
»Sie log uns! wir verschmachten! weh, sie log!«
Und, wie die Windsbraut durch den Forst, so flog
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es durch die Scharen, laut und lauter schwellend:
»Sie log, log, log uns« – toll und toller gellend,
wutschreiend, hohneswild, – und Flüche schallten,
und Fäuste langten drohend nach den Falten
des prunkenden Kleides und – – ein Schreck! ein Graun!
die tobenden Reihen starrten wie erdrückt:
ein Bild des Stolzes hatte sie berückt, –
da stand's, ein Bild der Ohnmacht anzuschaun!
Ein Schauer zuckte durch den Riesenleib,
es war als schrumpfte Zoll um Zoll das Weib,
matt knickte nieder Haupt und Arm,
die blanke Frucht fiel prasselnd in den Schwarm,
zu Moderqualm zerstob sie im Gedränge,
zu Flitterspreu der Schale Goldgepränge.
Und vom Gesicht des Weibes sah ich flattern
die glatte Haut wie abgeschürfte Blattern,
aus blöden Augen glomm ein trüber Schein
wie schaler Bodenrest aus leeren Bechern,
die dünnen Lippen knifften welk sich ein,
und aus dem Zahngelücke kroch es blechern:
»Ach ja – ach je – die Kunst wird alt so sachte!
ihr habt schon recht! na, seid man still! ich dachte:
ihr könnt noch glauben an die ewige Jugend!
Na, laßt man, Kinder! seht: ich bin ja ehrlich!
und ist das schwache Rückgrat auch beschwerlich,
man macht dann eben aus der Not 'ne Tugend...
Ja – alles Dasein ist ein morscher Plunder,
der Geist verpufft sich selbst wie mürber Zunder,
der Mitmensch kommt und schluckt den schlimmen Rauch
und kriegt davon das Grimmen in den Bauch;
ein Kunststück ist es, sich davor zu hüten!
Drum will ich euch, als Gegengift, die Blüten
aus diesem Pestbeet säuberlich seciren, –
ein schwaches Auge liebt das Mikroskop
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und nicht das Sonnenfernglas zu regieren, –
und Unkraut wächst ja massenhaft, gottlob!
Die Decke von der Fäulnis aufzuheben:
Das ist die Wahrheit, Das ist das Leben!«
Und wieder lautlos, in beklommnen Träumen,
ein Nicken rings, – und dünne Seufzer wehten,
wie Herbstlaub rieselt von den blassen Bäumen;
dann – sah ich Manchen grinsend näher treten.
Da schien's als wüchse wieder hoch die Alte,
und prahlender die dürre Stimme hallte:
»Am Schönheitswahnsinn mögen Narren klauben,
heut braucht man bloß der – Wissenschaft zu glauben!
Und da ihr reif seid Alles zu verstehn,
sollt ihr die Kunst in ganzer Nacktheit sehn!«
Und mit den Spinnenfingern krallte
ins schlotternde Prunkgewand die Alte,
schon blinzten durch des Kleides Spalten
des greisen Leibes schlaffe Falten:
Da – wie ein Frühlingsdonner schwoll es an –
ein Ekelschrei zerriß den dumpfen Bann,
und wie die Brandung von der morschen Klippe
zurück ins freie Meergewoge schäumt,
so stürmten, flohen scham-und-zorngebäumt
hinweg die Scharen von dem Angstgerippe ...
Um rannte mich die tolle Flut, doch jauchzend lachte
erlöst aus voller Brust ich und – – erwachte.
Weitauf das Fenster, saß ich; ins Gewühl
der lauten Straße sanft das Mailicht fiel.
Tiefunten, aus dem dunklen Schattenloch
des Hofes drüben, schien zum Glanz zu steigen
ein blühender Kirschbaum, rein als hinge noch
das Morgenrot in seinen schimmernden Zweigen.
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Und wo er über die graue Mauer nickte,
stand blaß ein Straßenkind und gab
von seinem Brote einer Armen ab,
die kranken Fußes, lächelnd weiterkrückte;
das Brot war trocken, das Stück war klein,
das Händchen schmutzig, – doch des Auges Leuchten
so rein wie über ihm der Sonnenschein,
der ringsher um die schwarzen frühlingsfeuchten
Dächer der gärenden Stadt, als wären's Bräute,
weißseidne Schleier wob und Perlen streute.
Am Horizonte glimmte in den Dünsten,
schwach wie ein Irrlicht schwimmt in Sumpfgespinsten,
die plumpe Göttin jetzt. Doch näher, an der Ecke
dicht unter mir, floß hell der weiche Glanz
um eine andre Säule; bunt Geflecke,
grell, ein zerhackter Regenbogenkranz
in lustigem Farbenwirbel, prangte dran;
und auf dem Pflaster drängte Mann an Mann;
sie lauschten; Einer las, gebückt und schief,
ein rotes Blatt, das zur Versammlung rief.
Verbißner Grimm aus knochigen Mienen sprach,
auf furchigen Stirnen dick die Sorge lag;
und als der Haufen auseinanderwich
und als sie sich die rußigen Hände drückten
und kargen Gruß die storren Köpfe nickten,
da – ja da fühlte man: es schlich
manch schlimmer Wunsch aus haßgepreßter Kehle;
doch aus den Blicken zuckte im Sonnenstrahl –
so bricht der Funke aus dem harten Stahl –
hell die Begeisterung der wilden Seele.
Und wie der Schein dortoben das rauhe Land,
die schlafenden Keime rings der rohen Erde:
so, Einer lautern Hoffnung voll, umwand
in Eins sie Alle diese Lichtgebärde.
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Und in mir rief und sang es: »Sonnenflamme!
wir Alle sind von Deinem goldnen Stamme!
in Jeder Brust von Dir ein Funke glüht,
der angefacht empor zur Lohe blüht!
Kein Wahn ist diese schwebende Kraft, kein Traum:
kein dunstig Hirngespinst – kein schillernder Schaum!
Wie Du aus Licht und Dunkel Farben wirkst,
im Schooß der Nacht die Saat des Tages birgst,
wie in der dumpfen Schlacke, dir entflossen,
dein Flammenblut du in die Welt gegossen,
das aus dem kalten Staube der Gestalt
vor Sonnenheimweh heiße Worte lallt:
so in den Schatten der Vergangenheiten
die Glut der lichten Sehnsucht dieser Zeiten
am Blut der Zeit, am Volke, aufbeleben:
Das ist die Kunst, die Wahrheit, – Das wirkt Leben!«

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