[177] Glaube, Liebe, Glaube

Eine Romanze aus alten Zeiten.


Reicher war in Spanien Keiner
als der Reichste von Sevilla,
als der reiche Ben Manasse,
aller Juden Stolz und Trost.
Denn schon lange ging ein Murren
drohend durch die Christenschaaren
ob der zähen Macht des Volkes,
das den Heiland einst erwürgt.
Doch das Gold des Ben Manasse
schützte Alle; – seinen Reichtum
grüßten selbst die Christenfürsten.
Und die Priester schwiegen noch.
Schöner war in Spanien Keine
als die Schönste von Sevilla,
als des großen Juden Tochter,
einz'ge, schöne, Sulamith.
Und die Söhne ihres Stammes
kamen weither sie umwerbend,
emsig wie die Bienen schwirren
um den Mandelblütenbaum.
Aber sie erhörte Keinen;
denn es liebte sie ein Ritter,
Don Alvaro de Niebla,
denn den Ritter liebte sie.
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Heimlich war ihr reines Lieben:
ach, der fromme stolze Ritter
haßte ihres Vaters Glauben
und verachtete ihr Volk!
Und weil sie so sehr ihn liebte,
und weil Er so sehr sie drängte,
nahm sie heimlich seinen Glauben; –
und nun hieß sie Margarita.
Viel geweihtes Wasser floß schon
damals über Judenstirnen;
denn – die Furcht des Heil'gen Geistes
tauft hinweg die Menschenfurcht.
Und die Christen drohten lauter!
nur die Fürsten schwiegen still noch
vor dem Gold des Ben Manasse, –
doch die Priester murrten schon.
Er, der greise Jude selber,
ob auch treu dem Gott der Väter,
schaute oft voll tiefer Sorge
auf sein liebes, einzig Kind.
»Sulamith, mein schutzlos Täubchen,
willst du einen Mann nicht wählen
aus den Söhnen deines Stammes,
der ein sichres Nest dir baut?«
Ach, mein Vater! nein, mein Vater!
frage nicht! Ich kann nicht lieben,
Die ich sah von unserm Stamme.
Du, mein Vater, bist mein Schutz!
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»Sulamith, mein einzig Kleinod,
sieh: er ist sehr alt, dein Vater!
Wirst du auch allein, verlassen
treu dem Gott der Väter sein?!«
O mein Gott, mein Gott –! Mein Vater,
frage nicht! Ja, ja, ich schwöre:
immer treu zu sein dem Glauben,
den ich habe... Oh mein Gott!
»O du Leuchte meines Alters,
o du Morgen meiner Tage,
Sulamith, Tau meiner Nächte,
Sulamith, – ich segne dich!«
Weinend lag, so oft die Nacht sank,
weil sie ihren Vater liebte,
weil sie ihren Liebsten liebte,
Margarita Sulamith.
Und an jedem Abend wollte
sie den Ritter bitten, mit ihr
hinzutreten vor den Vater, –
doch sie schwieg: er war so stolz.
Und an jedem Morgen wollte
Alles sie dem Vater sagen,
doch sie konnt' ihn nicht betrüben,
und sie schwieg: er war so alt.
Ja, sie liebte ihren Vater,
liebte mehr ihn, weil so gut er,
mehr ihn, weil so fromm er glaubte,
mehr, je mehr sie um ihn log.
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Ja, sie liebte ihren Ritter,
liebte mehr ihn, weil so stolz er,
mehr ihn, weil so heiß er glaubte,
mehr, je mehr sie um ihn litt.
Liebte seinen, ihren Glauben,
liebte ihn, den Mann am Kreuze,
liebt' ihn um sein großes Leiden,
mehr, je mehr sie selber litt.
Aber morgens, aber abends
lächelte vor ihrem Vater,
lächelte vor ihrem Liebsten
Margarita Sulamith.
»Margarita, meine Sehnsucht,
siehst du wol den Mondschein beben
um die weichen Wellenbrüste
dort im Guadalquivir?!
Margarita, meine Sehnsucht,
siehst du dort den Abendfalter
taumeln durch die Fliederblüte?
Margarita, siehst du nicht!«
Ach, Alvaro! ach, ich seh' ihn
in ein großes Feuer flattern.
Ach, und sieh: der Mond verbirgt sich
hinterm Turm des Domes dort!
»Margarita, dort im Dome
wartet doch der Altar unser!
Laß mich nun nicht länger bitten,
Margarita! Folge mir!«
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Oh, Alvaro – schone meiner!
denk' an meinen alten Vater!
laß uns warten – heimlich – bis er –
bis – –, und scheu verstummte sie.
»Sag's nur! bis er tot, der Jude!«
stieß er zitternd durch die Zähne,
stürzte wild er aus dem Garten, –
und sie wankte blaß ins Haus.
Und es kam auf stillen Sohlen
durch die Sommerglut geschlichen
nach Sevilla ein gefräßig
katzenhaft Gespenst – die Pest.
Auf den Gassen, in den Kammern
lag zum Sprunge sie gekauert;
und nun leckte sie die Fänge,
reckte sie zum üppigen Schmaus.
Ueber tausend tausend Leiber
spannte sie ihr bläulich Tischtuch;
und das Mahl mit ihr zu teilen,
kam ihr Bräutigam – der Tod.
Tag und Nacht sie gierig schwelgten;
rings die Leichenfeuer brannten,
ihres grausen Liebesfestes
Hochzeitsfackeln, – Tag und Nacht.
Und der geile Bund ward fruchtbar:
aus dem Schooß der Pest gekrochen
kam ans Licht ein blindgeboren
gräulich Vampyrzwillingspaar, –
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und es hob sich in die Lüfte,
hakte sich in alle Ohren,
kroch durch alle Christenherzen:
blinde Angst und blinder Haß.
Schwirrend durch ganz Spanien flog es, –
und es zischelten die Priester,
und es raunten auch die Fürsten,
und es knirschte wild das Volk:
Drückt sie tot, die Judennattern!
sie vergiften uns die Brunnen!
Die den Heiland einst gekreuzigt,
wollen würgen nun auch Uns!
Gier'ger immer fraß die Pest noch;
unter Christen, unter Juden
wütete ihr großer Hunger;
fraß und fraß und ward nicht satt.
Hielt im Bann den Haß der Christen,
hielt im Bann das Gold der Juden;
Jeder floh die Hand des Andern,
Freund den Freund, und Feind den Feind.
Kind verschloß sich vor dem Vater,
Weib verschloß sich vor dem Manne, –
nur die Leichenknechte karrten
beutelüstern durch die Stadt.
Denn durch alle Schlösser langte,
durch die Bretterthür der Hütte,
durch das Eisenthor der Steinburg,
mit der Krallenfaust die Pest;
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langte durch die rissige Lehmwand,
langte durch die Marmormauer, –
und der große Ben Manasse
war auch Einer, den sie griff.
In dem hohen Prunkgemache
auf den seidnen Polsterpfühlen
wälzte sich in Fieberschauern
einsam Spaniens reichster Mann.
Sein Gesinde all verbarg sich,
seit den Hauch der Pest es spürte;
seinem Kind befahl er selber,
fern zu bleiben seinem Leib.
Nur der alte treue Asser
lugte manchmal durch den Thürspalt,
reichte seinem Herrn an langer
Stange hastig Wein und Brot.
Sieben Tage schon in Qualen
wand sich einsam Ben Manasse,
sieben Tage schon in Aengsten
um sein einzig, schutzlos Kind.
Immer in den wilden Träumen
sah er in ein großes Feuer
sein gehetztes Täubchen flattern
vor der Wut des Christenvolks.
Nein, o Qual! das Feuer brannte
in ihm selber! immer wilder!
nagte heiß an allen Knochen,
züngelte schon um sein Herz.
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Wehe, wie es zuckend glühte –!
»Wehe, weh! mein Kind verbrennt drin!
Herr, Du bist ein Gott der Juden –
Herr, und bist der Christen Gott!
Herr, o Herr! du siehst das Herz nur!
Herr, sie ist mein einzig Kleinod!
Ich, Herr, bin dir treu gewesen –
Herr, mein Gott, verzeihe mir –
Asser – Herr, verzeih mir – Asser!
Asser, hörst du –? Gott, ich sterbe!
Asser – aber nicht herein hier –
Asser, – rufe mir – mein Kind!«
Vor dem hohen Prunkgemache
lehnte bleich in wirrem Brüten,
ihres Vaters Tod belauschend,
Margarita Sulamith.
War er nicht sehr alt, ihr Vater?!
war sie jung nicht und voll Liebe?!
war er nicht ein starrer Jude?!
war Alvaro nicht ihr Glück?!
Aber Jammer, wie er stöhnte!
wie er wimmernd drinnen raste,
wie er auf den Knieen rutschte,
röchelte zu seinem Gott!
Da: was war das? Heil'ge Jungfrau,
für sie selbst zu Gott er schluchzte!
Da, wer schrie das: Ja, Jehovah,
Du bist auch der Christen Gott –!
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O mein Heiland, o mein Vater!
Jesus, – jetzt ein Winseln – Kratzen:
»Sulamith, du sollst nicht sterben!
Sulamith, vernimmst du mich?
Sulamith, die Christen kommen!
Sulamith, mein schutzlos Täubchen,
Sulamith – geh, – laß dich – taufen!
Herr, verzeih mir! räche nicht!«
Da riß taumelnd sie die Thür auf,
fort den alten Diener stieß sie,
stürzte nieder zu dem Juden:
»Vater, Vater, o vergieb!
Wenn ich's gleich nicht wert bin, Vater!
Ach, er bat so! mein Alvaro!
Christin bin ich! O vergieb mir,
Vater, daß ich dich betrog!«
Christin? Fluch, mein Kind betrog mich!
oh Jehovah, Deine Rache! –
»Vater, Vater, meine Thränen!
meine Reue –! Segne mich!«
Und in heißer Kindesliebe
weinend mit dem Vater rang sie,
küßte die geballten Fäuste,
küßte den verzerrten Mund, –
bis die pestzerfreßnen Finger
segnend um ihr Haupt sich legten,
bis er mit den blauen Lippen
Segen hauchte – und verschied.
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Zu den Füßen Don Alvaro's
krümmte sich der alte Asser:
»Herr! das – Mädchen, das Euch liebet,
ruft nach Euch. Sie hat die Pest.«
Herr, mein Heiland, Margarita –!
fort, verfluchter Jude, eh ich – –
Doch er schlug nicht; stieren Auges
schwankte er dem Alten nach.
Dreimal kam und ging die Sonne.
An dem Lager Margaritas
kniete schlaflos Don Alvaro.
Dreimal kam und ging der Mond.
Wild mit seinem Gotte rang er
um das eine eine Leben,
das er liebte –; furchtbar scholl sein
Beten durch die öde Nacht.
»Oh, Alvaro, bete nichtmehr!
küsse, küsse mich! ich sterbe.«
Nein, nicht sterben, Margarita!
Margarita –! Herr, sie stirbt –
Fluch ihm, ewig Fluch dem Juden,
der im Tod sein Kind noch würgte!
»Weh, Alvaro! weh, was thust du!
wehe –!« und ihr Auge brach.
Tot –? Da fuhr der Wahnsinn in ihn.
»Tot? nein, nein, du lebst! du lebst ja!«
Brünstig ihren Leib umschloß er,
preßte zu ihr sich ins Bett:
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»Margarita, meine Sehnsucht,
hörst du? küsse mich! o sprich doch!
küsse, küsse mich zu Tode!
lebe doch –! o küsse mich!«
Sieben Tage, sieben Nächte
hielt den Leichnam er umklammert,
kos'te die verwesten Glieder,
kos'te den zerfallnen Mund.
Sieben Tage, sieben Nächte
schrie er tobend seinen Gott an,
ihn zu töten; – grausig gellte
durch Sevilla sein Gebet.
Und dazwischen, gräßlich lästernd,
fluchte er dem toten Juden, –
selbst die frechen Leichenknechte
flohn entsetzt vor seiner Wut.
Bis am achten Tage endlich
aus der Stadt die Pest gesättigt
mit dem Tod vondannen keuchte.
Aber Ihn verschonten sie.
Vor dem Kruzifix, gesundet,
lag zum Ersten Mal er wieder;
aus dem düstern Auge lohte
himmelauf ein stummer Schwur.
Zehen volle Monde trug er
dann die Martern schwerster Buße,
geißelte die welken Glieder,
fastete den matten Leib.
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Bis es mählich stille wurde,
das verbuhlte wilde Herze;
dann sein Gut den Armen gab er,
und ging hin und ward ein Mönch.
Und zog aus auf alle Gassen,
predigte auf allen Plätzen,
predigte in allen Kirchen,
predigte vor jedem Haus, –
bis es durch ganz Spanien brauste:
Drückt sie tot, die Judenpestbrut,
die den Heiland uns gekreuzigt,
die ein Fluch der Christenheit!
bis die Fürsten in Gesetzen
vor den Juden Spanien schützten,
bis ihr Blut zum Himmel rauchte,
bis sie wichen aus dem Reich.
Und so reinigte vom Aussatz
seine holde Heimaterde,
ward ein Retter seines Volkes –
und ward Prior, und ward Bischof,
ward Erzbischof von Sevilla
Spaniens großer Judenhasser,
Spaniens erster Judenwürger:
Don Alvaro de Niebla.

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