[91] [93]Neunter Reim

Venusinens Besuch und Ohnmacht in der Sixtina

[93][95]
»Muß noch zur Sixtina,«
Rief die Venus eilig.
»Diese ist besonders
Meinem Herzen heilig.
Hörte: es vergehen
Dort die Christusbilder,
Die schon lang bestehen.
Angelo, der Meister,
Er kehrt niemals wieder,
Und vor seinen Werken
Knie auch ich gern nieder,
Lieb ihn, den das Nackte,
Mächtig wie die Götter,
Stets von Grund aus packte.
Tat heut Nacht ersuchen
Meinen Signor Teufel:
›Reparier' Sixtina!‹
Doch er hegte Zweifel.
Will mir's selbst ansehen,
Ob er nachgeholfen.
Etwas muß geschehen!«
Zu dem Vatikane
Mit besorgter Miene
Eilte kunstverständig
Schleunigst Venusine
Durch die Schweizer Wachen,
Die der schönsten Dame
Liebeszeichen machen.
[95]
Sie ersteigt die Treppen.
Im Entré voll Farben
Standen bleiche Leute,
Bleich, als ob sie starben,
Kopfschütteln die Köpfe,
Schienen zu ersticken,
Kriegten beinah Kröpfe.
Da kam auch der Teufel
Venus schon entgegen.
Bat: »Geh nicht mehr weiter
Der Sixtina wegen!«
War im Reiserocke
Wie ein Opernsänger,
In der Stirn die Locke.
Venus voll Erstaunen
Fragt: »Was ist geschehen?
Daß die Leut wie Leichen
Hier im Vorsaal stehen?«
Teufel konnt nicht sprechen.
Venus kurz entschlossen
Mußte Bahn sich brechen.
Greift der Türe Klinke,
Steht in der Kapelle.
Plötzlich sinkt sie nieder
Ohnmächtig zur Schwelle.
»Teufel,« ruft der Teufel,
»Ich werd's reparieren!
Das ist ohne Zweifel.«
[96]
Leer in der Kapelle
Waren alle Flächen.
Leere öde Mauern –
S'war zum Herzzerbrechen.
Staub lag auf den Fliesen
Gleich, als hab ein Beben
Alles umgeschmissen.
»Venus,« bat der Teufel
Kläglich in der Miene.
Führt sie fast gebrochen
Fort aus der Sixtine.
Hat sie fortgeschoben,
Hieß sie niedersitzen
Erst in der Garderoben.
»Laß mich hier erzählen,
Und Du sollst Dich fassen,«
Bat auf Knie'n der Teufel.
»Als ich Dich verlassen
Heut im Morgengrauen,
Lief ich nicht gleich weiter
Zu den andern Frauen.
Eilte zur Sixtina –
Eifersucht macht Schmerzen,
Wollte nicht, daß Deine
Augen Bilder herzen,
Jenen großen nackten
Menschensohn im Bilde, –
Qualen mich zerhackten.
[97]
Jenen da, der richtend
Aus den Wolken rannte,
Böses und auch Gutes
Viel zu ernst erkannte.
Jenen Sohn der Nöte
Dacht ich zu zerstören,
Wenn ich Kraft aufböte.
Tret' in die Sixtina,
Unter tiefstem Schauer,
Öffne nicht die Lippe,
Starre nur zur Mauer
Denkend: wie so mächtig
Venusin mich machte!
Und war ganz andächtig.
Mußte niederknieen,
Nicht vorm Kirchenbilde, –
Vor dem Blut im Herzen,
Das heut Nacht mich stillte;
Vor den kurzen Stunden,
Da wir nichts mehr wußten
Und uns nackt gefunden.
Plötzlich war's wie Seufzen,
Das sich um mich windet:
Von den Bilderwänden
Fällt die Farb' und schwindet.
Alles, was die Mauer
Hielt, stob in die Winde,
Der Jahrhundert Dauer.«
[98]
Venusine staunte
Und war fast beklommen,
Daß der Teufel solche
Lieb für sie bekommen.
Dankte ihm; indessen
Blieb sie doch inwendig
Etwas abgemessen.
Dachte: »War des Menschen
Sohn nicht doch am Ende
Schöner als der Teufel
An Sixtinas' Wände,
Weil der Teufel wollte,
Daß ich den nicht sehen
Und nicht lieben sollte?«
»Ja, so sind die Frauen,«
Rief gereizt der Teufel,
»Sehen Angebote
Immer an mit Zweifel.
Lieber sind sie Diebe,
Als daß sie die Treue
Schätzen in der Liebe.
Bin nicht stets der Böse,
Du nicht stets die Gute.
Heut in nächtger Stunde
Mischten wir zwei Blute.
Fühl mich jetzt wie aller
Schöpfung frohe Wesen
Und doch nicht banaler.
[99]
Will an leere Wände
Dir jetzt Christus malen,
Leiden auch die Hände
Drüber Folterqualen.
Sollt's Ideal mal sehen,
Herrin Venusine,
Nackt bis an die Zehen.«
Seine Stimme hallte
Donnernd aus dem Blauen.
Christus den Asketen
Schildert er mit Grauen.
Venus wehrt mit Händen,
Weil die Lust des Blutes
Schmerz wird ihren Lenden.
Doch er malt ohn' Gnade,
Malt mit klaren Zügen
Teuflisch 'ne Ballade,
Schildert ohne Lügen;
Schildert den Rivalen,
Und sogar die Wahrheit
Macht ihm heut nicht Qualen.
Venusin erschrocken,
S' fing ihr Haar fast Flammen,
Flüchtet in der Erde
Herz und kriecht zusammen.
Ist voll Angst entwichen,
Und der Teufel hat sich
Stolz den Bart gestrichen.
[100]
Horcht jetzt was er sagte!
Teuflisch war's ersonnen.
Nur ein Gott so wagte
Götter zu entthronen.
Venus zu gewinnen,
Sprach sich selbst der Teufel
Heute ganz von Sinnen:

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek