Licht den Lebendigen!

Ich hab' mich jenen je und je gesellt,
Die, ausgestoßen, nur des Tempels Stufen
Und nie das Allerheiligste betreten ...
Umsonst erklingt ihr banges Hilferufen,
Umsonst springt von den Lippen brünstig Beten,
Umsonst ersteht aus ihnen – ja! – ein Held,
Der sie aus ihrer Knechtschaft an das Licht
[132]
Der goldnen Freiheit führen will – ein Sieger:
Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger –
Doch die Galeerenketten bricht er nicht! ...
Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt
Vom Anbeginn der Welt als ein Verhängnis –
Das Leben ist für sie nur ein Gefängnis –
Sie sterben in der Tiefe – keiner siegt!
Ich hab' mich ihnen je und je gesellt:
Frommt dem Poeten denn – ich frag' es dreist –
Ein ander Los? – Wo sich in bangen Qualen
Um niegelöste Rätsel müht ein Geist;
Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen,
Der Hunger seine Fingerspur geprägt;
Wo sich in wildem Ingrimm eine Hand
Zur Faust zusammenballt; wo, stets verkannt,
Ein Mann im Innersten Empörung hegt –
Empörung gegen sie, die Kettenschmieder:
Da tret' ich hin und singe meine Lieder –
Ja! Lieder, die ich nicht erkünstelt und erdacht,
Die ich aus tiefstem Seelenschacht,
Aus meines Herzens Tiefe trug ans Licht –
Und was ich nicht gefühlt, das sing' ich nicht! ...
Wohl soll des Sängers Lied auf Wunden leise
Den Balsam legen! Von den Stirnen bannen
Soll es die Furchen, Tränen aus den Augen ...
Doch gibt's auch Lieder, die dazu nicht taugen:
Sie ragen trotzig wie die Wettertanne,
Sie zucken wie der Blitz mit loh'nden Zungen,
[133]
Sie hallen, wie der Donner krachend hallt –
Sie singen von der Schergen Allgewalt,
Von Buben, die der Knechtschaft sich verdungen!
Sie singen eine einz'ge Weise nur:
Die Weise der Empörung gen Despoten!
Sie flammen wild zusammen zu dem Schwur:
Licht den Lebendigen – die Nacht den Toten! ...

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